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Drei Neue wollen FUEV-Mitglied werden BRIXEN. Drei weitere nationale Minderhei- ten haben um Aufnahme in die FUEV ange- sucht: Die Bretonen (Frankreich), die Un- garn in Slowenien und die Türken in Grie- chenland. Letztere sind seit der Militär- diktatur in Griechenland (1967 bis 1974) massivem Druck ausgesetzt; ihnen werden elementare Rechte vorenthalten, die sie bis 1967 dank internationaler Verträge genos- sen. Die „Dolomiten“ werden berichten. © 20 Südtirol Freitag, 21. Juni 2013 - Die FUEV BRIXEN. Die Föderalistische Union Europäischer Volks- gruppen wurde 1949 in Paris gegründet. Im Mittelpunkt stand die Idee, ein Europa der Regionen auf föderaler Grundlage als Instrument der Friedenssicherung zu schaf- fen, weil die Nationalstaaten nach dem Ersten Weltkrieg versagt hatten. Zu einer vor- bereitenden Konferenz trafen sich im April 1949 in Paris ei- nige französische Föderalis- ten unter dem Bretonen Jo- seph Martray, welcher der Vater der FUEV wurde, und einige West- und Ostfriesen. Die FUEV war also keine Gründung deutschtümelnder Heimatvertriebenenverbän- de, wie später hin und wieder fälschlich behauptet wurde. Die eigentliche Gründungs- konferenz der FUEV sollte im September 1949 in Meran stattfinden, doch verbot die italienische Regierung die Abhaltung der Versammlung (im Bild die Meldung in den „Dolomiten“ vom 8. Septem- ber 1949). Daher wurde die FUEV am 20. November 1949 in Versailles bei Paris gegrün- det. © HINTERGRUND 90 Organisationen sind FUEV-Mitglied 340 autochthone Minder- heiten gibt es in den 47 Staa- ten Europas. 100 Millionen EU-Bürger sind Angehörige nationaler Minderheiten bzw. Sprecher von Regional- und Minder- heitensprachen. Die FUEV hat über 90 Mit- gliedsorganisationen in 32 europäischen Staaten. © ZAHLEN Mit Europa auf Augenhöhe verhandeln FUEV-KONGRESS: Dachverband der nationalen Minderheiten Europas tagt in Brixen – Autonomie als Thema des ersten Tages VON HATTO SCHMIDT . . ................................................. BRIXEN. Die eine nationale Minderheit wird unterdrückt, politisch, religiös und kultu- rell, die andere genießt Schutzrechte, kämpft aber für mehr Autonomie, und die nächste Gruppe kann weitge- hend über ihre Angelegenhei- ten selbst bestimmen, strebt aber die Unabhängigkeit vom Titularstaat an: Das Thema Autonomie war am Donners- tag das Thema der Vollver- sammlung der Föderalisti- schen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) in der Cusanus-Akademie in Brixen. 220 Delegierte von rund 40 der insgesamt 90 Mitgliedsorganisa- tionen der FUEV sind seit Mitt- woch in Brixen versammelt. Er- öffnet wurde die Tagung von FU- EV-Vizepräsidentin Martha Sto- cker. Die Regionalassessorin be- klagte, dass die friedensstiftende Funktion der nationalen Min- derheiten der Europäischen Union bei der Fixierung der Ko- penhagener Kriterien für die Aufnahme neuer Mitglieder 1993 noch bewusst gewesen sei. Heute sei dies offenbar weitge- hend vergessen. Sie hätte sich gewünscht, dass die Rolle der nationalen Minderheiten bei der Vergabe des Friedensnobelprei- ses an die EU gewürdigt worden wäre. Die Solidarität unter den Volksgruppen betonte FUEV- Präsident Hans Heinrich Han- sen: „Du bist nicht allein“ sei das Motto der Europäischen Bürger- initiative für mehr Minderhei- tenschutz „Minority Safe Pack“, die am heutigen Freitag auf den Weg gebracht wird. Diese Initia- tive sei die größte Aktion in der Geschichte der FUEV, und es werde kein Spaziergang werden, die notwendige Million Unter- stützungsunterschriften zu sam- meln, sagte Hansen. „Europa muss mit uns auf Au- genhöhe verhandeln!“, forderte Hansen, und die nationalen Minderheiten wollen die euro- päische Politik durch die Bürger- initiative dazu bringen. Kulturelle Vielfalt, der Respekt vor den vielen unterschiedli- chen Gemeinschaften sei le- benswichtig für die europäische Gemeinschaft, sagte Hansen: „Für die Welt ist Empathie wich- tiger als der Rohstoff Öl!“ Heute sei das Thema Selbst- bestimmung der Trend unter der Jugend, stellte Ladiner-Lan- desrat Florian Mussner in sei- nem Grußwort fest. Dem ent- gegnete er: „Damit wird Tren- nendes in den Vordergrund ge- stellt, aber: das Gegeneinander darf nicht das Thema der Zu- kunft sein!“ Die gute Entwick- lung der Ladiner sei nur möglich gewesen, weil die Ladiner zu- sammen mit der deutschen Volksgruppe an der Autonomie gearbeitet hätten. Südtirol sei „ein Modell, nicht DAS Modell“, sagte Landes- hauptmann Luis Durnwalder: Überall gebe es andere Voraus- setzungen, daher sei die Südti- rol-Autonomie nicht auf andere anwendbar. Aber sie sei ein Zei- chen der Hoffnung für andere. Auch Durnwalder ging kurz auf das Thema Selbstbestim- mung ein und verwarf es: „Gren- zen werden im heutigen Europa nicht mehr verschoben, man muss über Grenzen hinaus den- ken“. Die Autonomie habe Südtirol viele Vorurteile gebracht. „Na- türlich ist nicht alles gelöst“, sag- te Durnwalder, „aber wir haben einen internationalen Vertrag. Wir müssen das bewahren und ausbauen, was wir haben: Steu- erhoheit bzw. die Einhebung der Steuern durch das Land, die Po- lizei und vieles andere“. Es gebe heute viel Unzufriedenheit, aber mehr zu bekommen sei nicht leicht. © Alle Rechte vorbehalten Paket für mehr Minderheitenrechte BRIXEN. Heute um 11 Uhr wird die FUEV am Brixner Domplatz die Europäische Bürgerinitiative „Minority Safe Pack“ vorstellen, mit der sie die EU-Kommission be- wegen will, mehr für nationa- le Minderheiten zu tun. © „Die Alternative ist keine“ SPANIEN: Kataloniens Ex-Ministerpräsident Pujol BRIXEN (sch). „Die Katalanen wollten nach dem Ende der Franco-Diktatur im Rahmen Spaniens und auf Europa ausge- richtet eine neue Autonomie für ihr Land erkämpfen“, schilderte Jordi Pujol bei der FUEV-Tagung. Heute tritt der 83-Jährige, der bis 2003 23 Jahre lang Ministerpräsi- dent war, für Kataloniens Unab- hängigkeit ein. Nach dem Ende der Franco- Diktatur 1975 wollten die Katala- nen nicht nur ihre nationale Identität und ihre wirtschaftli- che Stärke erneuern, sondern auch eine positive, europäisch orientierte Politik im Rahmen Spaniens betreiben. „Dieser Versuch war ein Miss- erfolg!“, sagte Pujol. Die Katala- nen hätten gedacht, es sei mög- lich, innerhalb Spaniens ein neues Einvernehmen zu finden, aber Spanien sei ihnen sehr feindlich gesinnt. Der Staat habe Katalonien auch in eine sehr schwierige finanzielle Lage ge- bracht. „Jetzt sind wir für Unabhän- gigkeit“, sagte Pujol, „uns ist be- wusst, dass das sehr schwierig, fast unmöglich ist. Aber mit der Alternative zu leben ist sehr schwierig“. © Alle Rechte vorbehalten Jordi Pujol „Für starke blühende Gemeinschaften“ RUMÄNIEN: RMDSz-Präsident Hunor Kelemen BRIXEN (sch). „Ich lebe in ei- nem Staat, der sich als National- staat versteht, obwohl 19 natio- nale Minderheiten darin leben“: So begann Hunor Kelemen, der Präsident des Ungarn-Dachver- bandes RMDSz die Schilderung der Lage seiner Volksgruppe. Die Zukunft der 1,5 Millionen Angehörige zählenden ungari- schen Minderheit sei nur mit ei- ner anderen Autonomie denk- bar, sagte Kelemen: „Wir brau- chen eine territoriale Autono- mie für die Szekler im Südosten Siebenbürgens und eine kultu- relle für die ungarische Minder- heit in den anderen Gebieten Siebenbürgens“, sagte Hunor Ke- lemen. Die ungarische Minderheit könne nach 24 Jahren einige Er- folge vorweisen, aber es bleibe noch viel zu tun. Die Ungarn in Rumänien setzten dabei große Hoffnungen in die EU, weil in Rumänien kaum auf Fortschritte zu hoffen sei. Die FUEV vereine viele unter- schiedliche Situationen in sich. Jede Gemeinschaft müsse ihren eigenen Weg gehen. Dabei wer- de oft sogar die Existenz einer Volksgruppe in Frage gestellt. „Dies bleibt eine große Aufgabe für die FUEV und die nationalen Minderheiten in Europa“, sagte Kelemen. Für das Ziel lohne es sich aber zu kämpfen: „Damit starke und blühende Gemeinschaften in ih- rer Heimat leben können.“ © Alle Rechte vorbehalten Hunor Kelemen FUEV-Vizepräsidentin Martha Stocker „Dolomiten“: Unabhängig- keitsbestrebungen sind in jün- gerer Zeit nicht nur in Südtirol ein Thema, sondern waren es auch beim FUEV-Kongress. Wie geht die FUEV damit um? Martha Stocker (im Bild): Den Katalanen geht es wohl vor al- lem darum, auf Augenhöhe mit Spanien zu sein. Gerade in den Finanzverhandlungen haben die Katalanen auf Granit gebis- sen. Sie sind nicht zufrieden mit der Autonomie, die sie bekom- men haben. Jetzt geht die Bewe- gung ganz klar in eine andere Richtung. Aus meiner Sicht sind das aber in erster Linie taktische Überlegungen. VIER FRAGEN AN . . . „D“: Sie meinen, die Katalanen lassen es nicht drauf ankom- men? Stocker: Doch. Ich denke, sie werden innerstaatlich alles aus- nützen, um Autonomie und Ge- staltungsmöglichkeiten zu er- reichen. Das Thema Sezession ist aber natürlich auch sonst ei- ne Realität in Europa. Wenn Eu- ropa es nicht versteht, dass es den europäischen Regionen mit ihren nationalen Minderheiten und Regionalsprachen mehr Gewicht geben muss, dann ist das auch eine Gefährdung Eu- ropas. „D“: Durch Sezessionsbestre- bungen könnten gefährliche Konflikte heraufbeschworen werden. Stocker: 1989 nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs wurden die Kopenhagener Kriterien für EU-Neumitglieder festgelegt in der Einsicht, es könnte eine Ge- fährdung des Friedens geben, wenn nationale Minderheiten schlecht behandelt werden. Das Problem wurde durch die An- wendung der Kriterien gelöst. Aber jetzt lässt man das wieder schleifen. Wir möchten Europa wieder zur Erkenntnis bringen, dass jeder, der nicht anerkannt ist in seinem Wert, irgendwann einmal halt nicht mehr so lieb und nett sein wird. Europa schuldet den Minderheiten und Volksgruppen etwas: Deshalb meine ich auch, der Friedens- nobelpreis, den die EU erhalten hat, stünde auch den Volksgrup- pen zu. „D“: Die FUEV tritt dafür ein, Grenzen nicht anzutasten? Stocker: Europa muss seine Re- gionen aufwerten, dann spielen die nationalen Grenzen auch nicht mehr diese Rolle wie bis- her. © Lageberichte über Autonomieregelungen in Europa beim FUEV-Kongress in der Brixner Cusanus-Akademie: (von links) Tatyana Smirnova (Russlanddeutsche), Hunor Kelemen (Ungarn in Rumänien), Simundur Ísfeld (Fä- röer), Johann Häggman (EU-Kommission) und Jordi Pujol (Katalonien) sch

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Drei Neue wollen FUEV-Mitglied werdenBRIXEN. Drei weitere nationale Minderhei-ten haben um Aufnahme in die FUEV ange-sucht: Die Bretonen (Frankreich), die Un-garn in Slowenien und die Türken in Grie-chenland. Letztere sind seit der Militär-

diktatur in Griechenland (1967 bis 1974)massivem Druck ausgesetzt; ihnen werdenelementare Rechte vorenthalten, die sie bis1967 dank internationaler Verträge genos-sen. Die „Dolomiten“ werden berichten. ©

20 Südtirol Freitag, 21. Juni 2013 -

Die FUEV

BRIXEN. Die FöderalistischeUnion Europäischer Volks-gruppen wurde 1949 in Parisgegründet. Im Mittelpunktstand die Idee, ein Europa derRegionen auf föderalerGrundlage als Instrument derFriedenssicherung zu schaf-fen, weil die Nationalstaatennach dem Ersten Weltkriegversagt hatten. Zu einer vor-bereitenden Konferenz trafensich im April 1949 in Paris ei-nige französische Föderalis-ten unter dem Bretonen Jo-seph Martray, welcher derVater der FUEV wurde, undeinige West- und Ostfriesen.Die FUEV war also keineGründung deutschtümelnderHeimatvertriebenenverbän-de, wie später hin und wiederfälschlich behauptet wurde.Die eigentliche Gründungs-konferenz der FUEV sollte imSeptember 1949 in Meranstattfinden, doch verbot dieitalienische Regierung dieAbhaltung der Versammlung(im Bild die Meldung in den„Dolomiten“ vom 8. Septem-ber 1949). Daher wurde dieFUEV am 20. November 1949in Versailles bei Paris gegrün-det. ©

HINTERGRUND

90 Organisationensind FUEV-Mitglied� 340 autochthone Minder-heiten gibt es in den 47 Staa-ten Europas.� 100 Millionen EU-Bürgersind Angehörige nationalerMinderheiten bzw. Sprechervon Regional- und Minder-heitensprachen.� Die FUEV hat über 90 Mit-gliedsorganisationen in 32europäischen Staaten. ©

ZAHLEN

Mit Europa auf Augenhöhe verhandelnFUEV-KONGRESS: Dachverband der nationalen Minderheiten Europas tagt in Brixen – Autonomie als Thema des ersten TagesVON HATTO SCHMIDT. ..................................................

BRIXEN. Die eine nationaleMinderheit wird unterdrückt,politisch, religiös und kultu-rell, die andere genießtSchutzrechte, kämpft aber fürmehr Autonomie, und dienächste Gruppe kann weitge-hend über ihre Angelegenhei-ten selbst bestimmen, strebtaber die Unabhängigkeit vomTitularstaat an: Das ThemaAutonomie war am Donners-tag das Thema der Vollver-sammlung der Föderalisti-schen Union EuropäischerVolksgruppen (FUEV) in derCusanus-Akademie in Brixen.220 Delegierte von rund 40 derinsgesamt 90 Mitgliedsorganisa-tionen der FUEV sind seit Mitt-woch in Brixen versammelt. Er-öffnet wurde die Tagung von FU-EV-Vizepräsidentin Martha Sto-cker. Die Regionalassessorin be-klagte, dass die friedensstiftendeFunktion der nationalen Min-derheiten der EuropäischenUnion bei der Fixierung der Ko-penhagener Kriterien für dieAufnahme neuer Mitglieder1993 noch bewusst gewesen sei.

Heute sei dies offenbar weitge-hend vergessen. Sie hätte sichgewünscht, dass die Rolle dernationalen Minderheiten bei derVergabe des Friedensnobelprei-ses an die EU gewürdigt wordenwäre.

Die Solidarität unter denVolksgruppen betonte FUEV-Präsident Hans Heinrich Han-sen: „Du bist nicht allein“ sei dasMotto der Europäischen Bürger-initiative für mehr Minderhei-tenschutz „Minority Safe Pack“,

die am heutigen Freitag auf denWeg gebracht wird. Diese Initia-tive sei die größte Aktion in derGeschichte der FUEV, und eswerde kein Spaziergang werden,die notwendige Million Unter-stützungsunterschriften zu sam-meln, sagte Hansen.

„Europa muss mit uns auf Au-genhöhe verhandeln!“, forderteHansen, und die nationalenMinderheiten wollen die euro-päische Politik durch die Bürger-initiative dazu bringen.

Kulturelle Vielfalt, der Respektvor den vielen unterschiedli-chen Gemeinschaften sei le-benswichtig für die europäischeGemeinschaft, sagte Hansen:„Für die Welt ist Empathie wich-tiger als der Rohstoff Öl!“

Heute sei das Thema Selbst-bestimmung der Trend unterder Jugend, stellte Ladiner-Lan-desrat Florian Mussner in sei-nem Grußwort fest. Dem ent-gegnete er: „Damit wird Tren-nendes in den Vordergrund ge-

stellt, aber: das Gegeneinanderdarf nicht das Thema der Zu-kunft sein!“ Die gute Entwick-lung der Ladiner sei nur möglichgewesen, weil die Ladiner zu-sammen mit der deutschenVolksgruppe an der Autonomiegearbeitet hätten.

Südtirol sei „ein Modell, nichtDAS Modell“, sagte Landes-hauptmann Luis Durnwalder:Überall gebe es andere Voraus-setzungen, daher sei die Südti-rol-Autonomie nicht auf andereanwendbar. Aber sie sei ein Zei-chen der Hoffnung für andere.

Auch Durnwalder ging kurzauf das Thema Selbstbestim-mung ein und verwarf es: „Gren-zen werden im heutigen Europanicht mehr verschoben, manmuss über Grenzen hinaus den-ken“.

Die Autonomie habe Südtirolviele Vorurteile gebracht. „Na-türlich ist nicht alles gelöst“, sag-te Durnwalder, „aber wir habeneinen internationalen Vertrag.Wir müssen das bewahren undausbauen, was wir haben: Steu-erhoheit bzw. die Einhebung derSteuern durch das Land, die Po-lizei und vieles andere“. Es gebeheute viel Unzufriedenheit, abermehr zu bekommen sei nichtleicht. © Alle Rechte vorbehalten

Paket für mehrMinderheitenrechteBRIXEN. Heute um 11 Uhrwird die FUEV am BrixnerDomplatz die EuropäischeBürgerinitiative „MinoritySafe Pack“ vorstellen, mit dersie die EU-Kommission be-wegen will, mehr für nationa-le Minderheiten zu tun. ©

„Die Alternative ist keine“SPANIEN: Kataloniens Ex-Ministerpräsident PujolBRIXEN (sch). „Die Katalanenwollten nach dem Ende derFranco-Diktatur im RahmenSpaniens und auf Europa ausge-richtet eine neue Autonomie fürihr Land erkämpfen“, schilderteJordi Pujol bei der FUEV-Tagung.Heute tritt der 83-Jährige, der bis2003 23 Jahre lang Ministerpräsi-dent war, für Kataloniens Unab-hängigkeit ein.

Nach dem Ende der Franco-Diktatur 1975 wollten die Katala-nen nicht nur ihre nationaleIdentität und ihre wirtschaftli-che Stärke erneuern, sondernauch eine positive, europäischorientierte Politik im RahmenSpaniens betreiben.

„Dieser Versuch war ein Miss-erfolg!“, sagte Pujol. Die Katala-nen hätten gedacht, es sei mög-

lich, innerhalb Spaniens einneues Einvernehmen zu finden,aber Spanien sei ihnen sehrfeindlich gesinnt. Der Staat habeKatalonien auch in eine sehrschwierige finanzielle Lage ge-bracht.

„Jetzt sind wir für Unabhän-gigkeit“, sagte Pujol, „uns ist be-wusst, dass das sehr schwierig,fast unmöglich ist. Aber mit derAlternative zu leben ist sehrschwierig“. © Alle Rechte vorbehalten

Jordi Pujol

„Für starke blühendeGemeinschaften“RUMÄNIEN: RMDSz-Präsident Hunor Kelemen

BRIXEN (sch). „Ich lebe in ei-nem Staat, der sich als National-staat versteht, obwohl 19 natio-nale Minderheiten darin leben“:So begann Hunor Kelemen, derPräsident des Ungarn-Dachver-bandes RMDSz die Schilderungder Lage seiner Volksgruppe.

Die Zukunft der 1,5 MillionenAngehörige zählenden ungari-schen Minderheit sei nur mit ei-ner anderen Autonomie denk-bar, sagte Kelemen: „Wir brau-chen eine territoriale Autono-mie für die Szekler im SüdostenSiebenbürgens und eine kultu-relle für die ungarische Minder-heit in den anderen GebietenSiebenbürgens“, sagte Hunor Ke-lemen.

Die ungarische Minderheitkönne nach 24 Jahren einige Er-folge vorweisen, aber es bleibenoch viel zu tun. Die Ungarn inRumänien setzten dabei großeHoffnungen in die EU, weil in

Rumänien kaum auf Fortschrittezu hoffen sei.

Die FUEV vereine viele unter-schiedliche Situationen in sich.Jede Gemeinschaft müsse ihreneigenen Weg gehen. Dabei wer-de oft sogar die Existenz einerVolksgruppe in Frage gestellt.„Dies bleibt eine große Aufgabefür die FUEV und die nationalenMinderheiten in Europa“, sagteKelemen.

Für das Ziel lohne es sich aberzu kämpfen: „Damit starke undblühende Gemeinschaften in ih-rer Heimat leben können.“

© Alle Rechte vorbehalten

HunorKelemen

FUEV-Vizepräsidentin Martha Stocker

„Dolomiten“: Unabhängig-keitsbestrebungen sind in jün-gerer Zeit nicht nur in Südtirolein Thema, sondern waren esauch beim FUEV-Kongress.Wie geht die FUEV damit um?Martha Stocker (im Bild): DenKatalanen geht es wohl vor al-lem darum, auf Augenhöhe mitSpanien zu sein. Gerade in denFinanzverhandlungen habendie Katalanen auf Granit gebis-sen. Sie sind nicht zufrieden mitder Autonomie, die sie bekom-men haben. Jetzt geht die Bewe-gung ganz klar in eine andereRichtung. Aus meiner Sicht sinddas aber in erster Linie taktischeÜberlegungen.

VIER FRAGEN AN . . .

„D“: Sie meinen, die Katalanenlassen es nicht drauf ankom-men?Stocker: Doch. Ich denke, siewerden innerstaatlich alles aus-nützen, um Autonomie und Ge-staltungsmöglichkeiten zu er-reichen. Das Thema Sezessionist aber natürlich auch sonst ei-ne Realität in Europa. Wenn Eu-ropa es nicht versteht, dass esden europäischen Regionen mitihren nationalen Minderheitenund Regionalsprachen mehrGewicht geben muss, dann istdas auch eine Gefährdung Eu-ropas.

„D“: Durch Sezessionsbestre-bungen könnten gefährlicheKonflikte heraufbeschworenwerden.Stocker: 1989 nach der Öffnungdes Eisernen Vorhangs wurdendie Kopenhagener Kriterien fürEU-Neumitglieder festgelegt inder Einsicht, es könnte eine Ge-

fährdung des Friedens geben,wenn nationale Minderheitenschlecht behandelt werden. DasProblem wurde durch die An-wendung der Kriterien gelöst.Aber jetzt lässt man das wiederschleifen. Wir möchten Europawieder zur Erkenntnis bringen,dass jeder, der nicht anerkanntist in seinem Wert, irgendwanneinmal halt nicht mehr so liebund nett sein wird. Europaschuldet den Minderheiten undVolksgruppen etwas: Deshalbmeine ich auch, der Friedens-nobelpreis, den die EU erhaltenhat, stünde auch den Volksgrup-pen zu.

„D“: Die FUEV tritt dafür ein,Grenzen nicht anzutasten?Stocker: Europa muss seine Re-gionen aufwerten, dann spielendie nationalen Grenzen auchnicht mehr diese Rolle wie bis-her.

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Lageberichte über Autonomieregelungen in Europa beim FUEV-Kongress in der Brixner Cusanus-Akademie:(von links) Tatyana Smirnova (Russlanddeutsche), Hunor Kelemen (Ungarn in Rumänien), Simundur Ísfeld (Fä-röer), Johann Häggman (EU-Kommission) und Jordi Pujol (Katalonien) sch