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14. Jahrgang · 9,50 Euro 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem Land im Umbruch 6 Bucuresti kommt von ›bucurie‹, und ›bucurie‹ heißt Freude 8 Netzwerke und Kostenfallen – unliebsame Über- raschungen 13 Überschreitung als Regel: deutsch- polnische Zusammenarbeit seit 1989 16 Fotostrecke Zypern 21 Milyen kár! Eine Fallgeschichte deutsch-ungari- scher Unternehmenskommunikation 24 »Wann waren Sie eigentlich zum letzten Mal direkt?« 27 Trainieren im Spannungsfeld. Eine Replik 28 Neue wissenschaftliche Publikationen 29 Die Bilder im Kopf: Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin 32 Fünfzehn Fragen an Interkulturalisten 33 Interkulturelle Trainer durchleben Identitäts- krise 36 SIETAR Weltkongress in Granada 37 Veranstaltungen mondial SIETAR Journal für interkulturelle Perspektiven 1/2008

3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

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Page 1: 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

14. Jahrgang · 9,50 Euro

3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein-drücke aus einem Land im Umbruch 6 Bucurestikommt von ›bucurie‹, und ›bucurie‹ heißt Freude 8 Netzwerke und Kostenfallen – unliebsame Über-raschungen 13 Überschreitung als Regel: deutsch-

polnische Zusammenarbeit seit 1989 16 Fotostrecke Zypern 21 Milyen kár! Eine Fallgeschichte deutsch-ungari-scher Unternehmenskommunikation 24 »Wann waren Sie eigentlich zum letzten Mal direkt?« 27 Trainieren imSpannungsfeld. Eine Replik 28 Neue wissenschaftliche Publikationen 29 Die Bilder im Kopf: Eine Ausstellung imJüdischen Museum Berlin 32 Fünfzehn Fragen an Interkulturalisten 33 Interkulturelle Trainer durchleben Identitäts-krise 36 SIETAR Weltkongress in Granada 37 Veranstaltungen

mondialSIETAR Journal für interkulturelle Perspektiven 1/2008

Page 2: 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

mondial 1/082

Südosteuropa

3 Kosovo-albanische Wertewelt:

Persönliche Eindrücke aus einem Land im Umbruch

Heike Hildesheim und Martina Müller-Krüger6 Bucuresti kommt von ›bucurie‹, und ›bucurie‹ heißt Freude

Rita Booker-Solymosi8 Netzwerke und Kostenfallen – unliebsame Überraschungen

Rita Booker-Solymosi im Gespräch mit Cristian Bizau16 griech.: Kypros, türk.: Kıbrıs

Ein Fotobericht von Ulrich Bauer21 Milyen kár…

Eine Fallgeschichte deutsch-ungarischer

Unternehmenskommunikation

Sylvia Schroll-Machl und Christine Sontag

Dialog

24 Vermittlung interkultureller Kompetenzen mit

linguistischen Mitteln oder: »Wann waren Sie

eigentlich zum letzten Mal direkt?«

Peter Jandok27 Trainieren im Spannungsfeld

Eine Replik zum Beitrag von Peter Jandok

Steffen Henkel

Themen

13 Überschreitung als Regel

Der Wandel deutsch-polnischer grenzüberschreitender

Zusammenarbeit seit 1989

Ulrich Best29 Die Bilder im Kopf

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin

widmet sich populären Klischees

Thorsten Beck

Serie

28 Neue wissenschaftliche Publikationen

32 15 Fragen an Interkulturalisten

Aktuell

33 Interkulturelle Trainer durchleben Identitätskrise

Stéphanie Stephan36 »Wie beeinflusst die Globalisierung Kulturen,

wie formen Kulturen die Globalisierung?«

SIETAR-Weltkongress in Granada, 22.– 29. Oktober 2008

Candela Julia Fernández und Mete Atam37 Veranstaltungen

38 SIETAR Deutschland Regionalgruppen

39 Impressum

EditorialInhalt

Liebe Leserinnen

und liebe Leser, nach einem Relaunch erscheint das SIETARJournal in neuer Form und mit einem neuen Namen. Wir freuenuns, Ihnen die erste Ausgabe von mondial, dem SIETAR Journalfür interkulturelle Perspektiven, vorzustellen! Ihr Feedback aufdie Leserbefragung und Ihre Anregungen haben zur Realisie-rung von mondial beigetragen, und auch der Wunsch des Vor-stands von SIETAR Deutschland und der Redaktion, das Journalweiter zu entwickeln und zu professionalisieren, konnte umge-setzt werden. Viele neue Ideen und konstruktive Vorschlägesind in den Relaunch eingeflossen, zugleich wurde auch einigesVertraute und Bewährte beibehalten.

Der aktuelle Fokus Südosteuropa richtet unseren Blick aufdie Regionen und Länder Kosovo, Rumänien, Zypern und Un-garn. Persönliche Erfahrung, Expertengespräch, ein Fotobe-richt sowie eine Fallgeschichte eröffnen eindrückliche Zugängezu multiethnischen Gesellschaften in unserer Nachbarschaft,die gegenwärtig einen rasanten Wandel vollziehen.

In der Rubrik Dialog werden in mondial künftig Forscherund Praktiker in einen problemorientierten Diskurs zu ausge-wählten interkulturellen Brennpunkten treten. Im Dreischrittvon These, Antithese und Synthese werden kontroverse Argu-mente nachvollziehbar gemacht und gemeinsam Positionen er-arbeitet.

Neben Themenschwerpunkt und Forscher-Praktiker-Dia-log bietet mondial auch Raum für eigenständige Beiträge zu denBereichen interkulturelle Zusammenarbeit, Austausch und Be-gegnung. Lassen Sie sich von weiteren Rubriken überraschen,die mondial künftig prägen werden!

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Freude mit mondial.

Ihr Redaktionsteam, Friederike von Denffer, Uli Bauer

Page 3: 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

mondial 1/08 3

Ein dunkles, zugiges Beton-Treppenhaus eines Hochhauses inPrishtina, der Hauptstadt des Kosovo. »Funktioniert wohl derAufzug?« Ich entscheide mich vorsichtshalber für die Treppe –wie es mir meine Gastgeberin, Rifadije Ahmeti, empfohlen hat.Die Zwei-Zimmer-Wohnung der Familie, die ich besuche,strahlt hingegen eine helle Freundlichkeit aus. Warmherzigwerde ich empfangen von drei Generationen: von Vater, Mutter,Großvater und zwei aufgeregten Töchtern, von denen die älteremit ihren zwölf Jahren munter Small talk in englischer Spracheführt. Während die Mutter das Essen zubereitet, geben dieKinder stolz und selbstverständlich ein kleines Hauskonzert aufihren Instrumenten Geige und Keyboard. Trotzdem: Wäsche-waschen war heute nicht möglich, und auch das Kochen hat sichverzögert, denn es gab einige Stunden weder Wasser nochStrom. Aber das ist normal hier: Das Alltagsleben muss sich derMangelsituation anpassen.

Während die vierköpfige Familie Ahmeti in einer eigenenWohnung in der Hauptstadt lebt, wohnt die 14-köpfige FamilieSaraçi in einem kleinen, gemütlichen Haus auf dem Land. Sieteilt sich alles, was die einzelnen Familienmitglieder erarbei-ten. Ohne diese Solidarität könnten nicht alle überleben. Der54-jährige Vater, dessen Familie im Krieg gegen die Serben allesEigentum verlor und der schwer erkrankte, erhält eine Invali-denrente von vierzig Euro monatlich. Die Mutter kümmert sichaufopferungsvoll um die Versorgung der Großfamilie. VierKinder sind noch schulpflichtig. Die Familie ist im wesentlichenSelbstversorger. Trotz der knappen Mittel zaubern sie köstli-ches, selbstgemachtes Essen auf den Tisch: Flija, Pita, einge-legte Paprika, Weißkäse und Maisbrot. Die Mahlzeiten werden

gemeinsam eingenommen,der Gast wird von der Hausfraustets als erster bedient, danach das männliche Familienober-haupt. Diese, über Jahrhunderte gepflegte kosovo-albanischeTradition lebt bis in die Gegenwart fort.

Kosova – wie die Kosovo-Albaner ihr Land nennen – hat am17. Februar 2008 seine Unabhängigkeit erklärt und ist von denUSA und der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten anerkannt wor-den. Ungeachtet der völkerrechtlich umstrittenen Situationund der ungelösten Frage des Zusammenlebens mit der serbi-schen Minderheit ist dieser Status ein lang ersehnter Traum derKosovo-Albaner. Seitdem die NATO 1999 serbische Truppennach massiven Übergriffen auf die albanische Bevölkerung ver-drängte und die Region unter UN-Protektorat gestellt wurde,hatte sich u.a. der (verstorbene) Präsident Rugova, der für seinegewaltfreie Haltung bekannt war, für eine Unabhängigkeit ein-gesetzt. Diese scheiterte jedoch immer wieder an der Uneinig-keit und Unentschlossenheit der internationalen Gemein-schaft. Nicht zuletzt deswegen hatte sich die bewaffnete UÇKgebildet, der auch der heutige Regierungschef Thaçi ange-hörte1. Nun hoffen die Menschen, dass in der Unabhängigkeitgetroffene Entscheidungen von Parlament und Regierung zuHandlungsfähigkeit führen, die vor allem die wirtschaftlicheSituation im Lande verbessert.

Was zeichnet Kosovo-Albaner aus? – Anmerkungen zu

kosovo-albanischer Identität und Wertewelt Die Identität derKosovo-Albaner nährt sich aus dem Stolz, ihre Kultur undSprache durch die Stürme der Geschichte bewahrt und weiter

Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche

Eindrücke aus einem Land im Umbruch

Heike Hildesheim und Martina Müller-Krüger

Tradition und Moderne: Prishtina

Page 4: 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

mondial 1/088

Ob freiwillig oder vom deutschen Großkunden gezwungen:Immer mehr Unternehmen produzieren in Osteuropa vor Ort.Oft zeigt sich jedoch, dass die ursprünglichen Erwartungen hin-sichtlich des erforderlichen lokalen Personals ebenso wenigerfüllt werden wie in Bezug darauf, ob sich Arbeitsabläufe oderQualitätsstandards wie in Deutschland durchsetzen lassen. DieFolge ist, dass unterstellte Kostenvorteile schnell wegschmelzenoder im schlimmeren Fall Zusatzkosten zum Scheitern desOsteuropa Engagements führen. Im Gespräch mit Wirtschafts-prüfer Cristian Bizau wird deutlich, dass Erwartungen und Rea-lität nicht immer übereinstimmen müssen. Welches sind diehäufigsten Fehleinschätzungen? Wo lauern die Kostenfallen?Seine Empfehlungen geben wertvolle Hinweise für die Planunginternationaler Unternehmen. Gleichzeitig finde ich seinePerspektive aus einem anderen Grund sehr interessant: HerrBizau hat es mit 27 Jahren als Geschäftsführer und Inhabereiner Bukarester Beratungsfirma geschafft, nicht nur interna-tionale Kunden als so junger Wirtschaftsprüfer zu gewinnen,sondern repräsentiert genau die Generation von rumänischenUnternehmern, die internationale Dienstleistungsstandardsund privatwirtschaftlich ethische Geschäftspraktiken inRumänien vorleben und fördern. Aufgrund seiner bisherigenBiografie gehört er außerdem zur jungen rumänischen Elite,die so wohltuend weltoffen denkt. Während seines Studiums derWirtschaftsinformatik in Cluj (Klausenburg, Siebenbürgen)schloss er sich der weltgrößten Studentenorganisation AIESECan, die ihn für ein Praktisches Jahr nach Litauen schickte. An-schließend absolvierte er das letzte Studienjahr mit Bestnotenan der renommierten Bukarester Wirtschaftsuniversität. Wasfällt ihm in der Zusammenarbeit mit internationalen Mitarbei-tern und Kollegen auf? Welche Schlüsse zieht er daraus für die

Zukunft seiner Generation in einer Welt-wirtschaft, in der anscheinend die Kartenneu gemischt werden?

Rumänischer High Potential Cristian Bizauist jetzt 32 Jahre alt, Rumäne mit ungari-scher Abstammung, spricht vier Spra-chen fließend und erlebt aufgrund seineraktiven Mitgliedschaft bei den AIESECAlumni, BNI Romania, und den beidenselbst gegründeten rumänischen Netz-werken www.antreprenor.ro und www.academiadenetworking.ro nicht nur dieZusammenarbeit mit internationalenKunden im eigenen Unternehmen, son-dern erfährt durch den Kontakt mit ande-ren Entscheidungsträgern aus europäi-schen Firmen auch viel über deren Ge-schäftsalltag in Rumänien.

Gehen Sie bedacht auf den

osteuropäischen Markt! Herr Bizau be-dauert, dass in Medienberichten vor

allem von den großen Absatzchancen, der Nähe zum Be-schaffungsmarkt oder den niedrigen Lohnkosten gesprochenwird. »Von den Bruchlandungen hört man zu wenig.« Dieseerlebt er aber Vorort und erfährt von ihnen im Austausch mit an-deren Europäern. »Man kommt mit großen Erwartungen unddemzufolge unzutreffenden Annahmen und Kalkulations-grundlagen. Dann tauchen plötzlich Kosten auf, an die man niegedacht hat.«

Der Einsatz von komplexen Maschinen

kann Zusatzkosten auslösen! Cristian Bizau beobachtet, dassdeutsche Firmen oft komplexe, computergesteuerte Maschinenin ihren Werken in Rumänien aufbauen, ohne zu bedenken,dass die lokalen Mitarbeiter (noch) nicht die Kenntnisse undErfahrungen haben, diese Anlagen richtig zu bedienen undinstand zu halten.»Für das Anlernen, die Wartung, die Instand-haltung und die Reparatur benötigt man die häufige Anwesen-heit deutscher Fachkräfte. Diese müssen dann für viel Geld ein-geflogen werden, das sind erste Zusatzkosten, an die man amAnfang nicht gedacht hat.« Grundsätzlich zeigten Rumänenbeim Umgang mit den Maschinen ein anderes Denken und eineandere Geisteshaltung. »Für Deutsche ist präventive Wartungund vorausschauende Instandhaltung sehr wichtig. Sie agie-ren, während wir Osteuropäer reagieren. Sie stellen Wartungund Instandhaltungspläne auf und halten sich strikt daran, wasfür manche Osteuropäer nicht immer nachvollziehbar ist. Sieversuchen, durch das zeitnahe Austauschen von Ersatz- undVerschleißteilen und durch das strikte Einhalten von Wartungs-und Instandhaltungsintervallen die Lebensdauer der Anlagenzu erhöhen, auch wenn es kurzfristig günstiger wäre, auf deneinen oder anderen Schritt zu verzichten.«

Netzwerke undKostenfallen – unliebsame Überraschungen

Rita Booker-Solymosi im Gespräch mit Cristian Bizau

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Interkulturelle Kommunikation bedeutet in Deutschland und inEuropa vor allem die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg.Wie hat sich aber die Rolle von grenzüberschreitender Zusam-menarbeit geändert, welche Bedingungen regulieren heute dieBegegnung mit dem Anderen?

Zu den Bedingungen grenzüberschreitender Zusammen-arbeit gehören die gesellschaftlichen Wahrnehmungen desjeweils Anderen, die Bilder vom Eigenen und vom Fremden.Dazu gehören aber auch die staatlichen Strukturen, die dieHandlungen im grenzüberschreitenden Feld regulieren, unddrittens gehören dazu die spezifischen Akteure, die diese Zu-sammenarbeit praktizieren. Diese drei Aspekte möchte ich imFolgenden untersuchen. Der deutsch-polnische Fall steht dabeinur als ein Beispiel für die grenzüberschreitende Zusammenar-beit in Mittel- und Osteuropa.

Geschichten der Fremdheit: Von Zeitreisen

und Erinnerungslandschaften Der Umbruch 1989 war nicht nurein politischer, sondern bedeutete auch einen Umbruch in derDarstellung Polens in den Medien. In den 1980er Jahren wurdeüber Polen in den deutschen Medien vor allem im Zusammen-hang mit der dortigen Oppositionsbewegung berichtet. Dabeiging es weniger um die Kultur oder das Land, das ja den meistenWestdeutschen nur schwer zugänglich war. Menschen aus Po-

len wurden als Ankömmlinge in Deutschland beschrieben (zumBeispiel als Händler auf Märkten), aber nur selten wurde dasLand Polen aus den Augen von Reisenden dargestellt. Das än-derte sich 1989. Nun erschienen in den Zeitungen zahlreicheReiseberichte und Reportagen, die Land und Leute darstellensollten. Der Reisebericht und die Reportage waren während der1990er Jahre die wichtigsten Formen der Darstellung nicht nurim Reiseteil, sondern auch in den anderen Ressorts wie z.B. derWirtschaft und Politik. Diese in Zeitungen abgedruckten Reise-berichte waren zwar eine neue Erscheinung. Im historischen

Sinne war es jedoch nicht neu, dass über Polen in Form von Rei-seberichten erzählt wurde. Der amerikanische Historiker LarryWolff untersucht, wie im 18. Jahrhundert westeuropäische (beiihm vor allem französische) reisende Intellektuelle Osteuropa›erfanden‹, das heißt, ein Bild von Osteuropa (als dem Fremden)erzeugten, das dem Bild von Westeuropa (als dem Eigenen) ent-gegengesetzt war. In diesem Bild von Osteuropa wurde einHintergrund konstruiert, vor dem sich die Errungenschaftender Aufklärung und der westlichen Kultur abheben konnten.Die Bewohner Osteuropas (vor allem Polens und Russlands)wurden als rückständig und unzivilisiert, die Straßen alsschlecht, die Häuser als Lehmhütten beschrieben. Die westli-chen Reisenden (und ihre Leser) erschienen damit als Wegbe-reiter der Aufklärung in einem ›barbarischen‹ Landstrich.

Die Reportagen der 1990er erinnern vielfach an Wolffs Ana-lyse. So berichtet das Nachrichtenmagazin ›Der Spiegel‹ in Aus-gabe 20/1990 von einer Reise an die deutsch-polnische Grenzenach Görlitz. Der Reporter schildert zunächst die Situation aufder deutschen Seite der Grenzregion, dann die Grenzüberque-rung, schließlich beschreibt er seine Begegnung mit den An-wohnern auf der polnischen Seite. Die Straße ist so schlecht,dass der Bus über Kartoffelfelder fahren muss. Die Dörfersehen aus wie nach dem Krieg. Der Autor wird in ein Haus einge-laden, das völlig heruntergekommen ist – Löcher im Dach sindmit Lumpen verstopft, und die Hausherrin bietet ihm mit denWorten »Willkommen in Polen« ein Stück in heißes Fett ge-tauchtes Brot an. Der Autor schildert eine Zeitreise, eine Reisein ein Land des Zerfalls. In diesen Jahren wurde diese Form derReiseerzählung – mit ihren typischen Elementen wie demGrenzübergang und der Ankunft sowie den Polen als zurück-geblieben charakterisierenden Elementen (kaputte Straßen,verfallene Häuser) – zur prägenden Erzählung Polens in dendeutschen Medien. Noch 1997 schrieb ein Autor der ›Frank-furter Allgemeinen Zeitung‹ (FAZ) über eine Fahrt auf der polni-schen Nationalstraße 2, »nur 100 km von Berlin«, aber »tief imOsten«, über »gedrungene Katen«, endlose Wälder und Sümpfe.

Viele dieser Berichte sind als Zeitreisen in die Vergangen-heit abgefasst, in denen (West-) Deutschland für die Gegenwart

steht, aus der die Beobachter dorthin reisen. Ein Subgenre die-ser Berichte sucht und findet in Polen die verlorene deutscheVergangenheit: Die Reisen führen zu alten deutschen Adels-sitzen, in frühere deutsche Ländereien, und immer wieder tau-chen in diesen Artikeln dieselben Protagonisten auf– z.B. eindeutsches Paar, das ein Schloss in Niederschlesien erworbenund zum Hotel umfunktioniert hat. Auch eine Reportage ausdem Tagesspiegel von 2007 benutzt noch diese Form der ›Zeit-reise‹ in eine deutsche Vergangenheit, in der Adelige (und Freun-de des Adels) ehemalige Besitztümer in Masuren besuchen.

mondial 1/08 13

Überschreitungals RegelDer Wandel deutsch-polnischer grenzüber-schreitender Zusammenarbeit seit 1989

Ulrich Best

Ciesze sie, ze wreszcie moge Cie poznac.Es freut mich, dass wir uns endlich kennenlernen.

Page 6: 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

Britisches Erbe oder Konzession an den Tourismus?

Kulturkontraste sind in Zypern allgegenwärtig.

Sie mutet schon wie ein Anachronismus an: Europas letztegeteilte Hauptstadt Nikosia (griech.: Lefkosía). Fast zwanzigJahre nach der weitgehend gewaltfreien Überwindung der ver-feindeten Systemblöcke in Mittel- und Osteuropa verläuft auchheute noch eine von UN-Blauhelmen überwachte ›Grüne Linie‹zwischen dem griechisch-zypriotischen und dem türkischenTeil der Mittelmeerinsel. Schengen-Raum, Euro-Zone, NATO-Mitgliedsstaat – im kulturellen Zentrum Zyperns verlaufenebenso verwirrende wie umstrittene Grenzen zwischen geopo-litischen Konstrukten und Territorien. Doch eine Lösungscheint in greifbarer Nähe, und seit Anfang April 2008 könnenSpaziergänger wieder über die vormals gesperrte Fußgänger-zone, die Ledra Street, vom Südteil in den Nordteil der Altstadtflanieren, ohne ein (inoffizielles) ›Visum‹ zu benötigen. Diehier abgebildeten Fotografien entstanden im März 2008 im

Rahmen einer Exkursion, die von einem europäischen For-scherverbund »Searching for Neighbours« (www.sefone.net)durchgeführt wurde. Im Mittelpunkt stand die Erfahrung men-taler und geopolitscher Grenzen im Neuen Europa.

Autor

Dr. Ulrich Bauer, Studium der Interkulturellen Germanistik und Ethnologie; Pro-

motion im Fach Interkulturelle Kommunikation an der Technischen Universität

Chemnitz; seit April 2008 Akademischer Rat im Fachgebiet Interkulturelle Ger-

manistik der Universität Bayreuth; Forschungsschwerpunkte: Auswärtige Kultur-

und Bildungspolitik, internationale Kulturbeziehungen, Fremdheitsforschung.

Redakteur von mondial. Kontakt [email protected]

Fotos Sämtliche Fotografien stammen vom Verfasser.

griech.: Kypros türk.: Kıbrıs Ein Fotobericht von Ulrich Bauer

Page 7: 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

Mahnendes Gedenken an die Gewaltopfer

der Teilung Zyperns in Nikosia

Page 8: 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

Umstürzende Mauern und eingerissene Zäune versinn-

bildlichen den Wandel, den Europa seit 1989 vollzogen

hat. Die Überwindung der Teilung ist ein sehr aktuelles

Thema auf Zypern.

UN-Schutztruppen auf Zypern: mißtrauische

Beobachtung oder touristische Neugier?

Page 9: 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

mondial 1/08 21

Einer der mentalitätsprägenden Bausteine in der Geschichteder Länder Mitteleuropas war die einstige Beherrschung dieserRegion durch das Osmanische Reich. Das gilt auch für Ungarn,im Vergleich mit anderen Ländern allerdings für einen kürze-ren Zeitraum. Heute unterhält Deutschland mit Ungarn inten-sive Wirtschaftsbeziehungen, die im Rahmen der EU-Osterwei-terung von 2004 noch weiter ausgebaut und vertieft wurden.

Eine Fallgeschichte »Europäische Synergien« heißt ein Projekt,in dem eine international tätige Firma bestimmte technischeElemente ihrer europaweit verteilten Produktion abstimmenund angleichen möchte. Dazu müssen die in den einzelnenLändern jeweils bestehenden Elemente zunächst besprochenund dann entsprechend abgeändert werden. Also sind etlicheeuropaweite Meetings geplant.

Das Kick-Off-Meeting für Mitteleuropa soll in Ungarn statt-finden, weswegen die Vorbereitung und Organisation in ungari-scher Hand liegt. Zunächst ist der ungarische Verantwortlichein Urlaub, dann hat er etliche andere Dinge vor, und so wird die-ses Kick-Off-Meeting mehrmals verschoben. Nun existiert einTermin, zu dem alle eingeladen werden. Herr Dr. Huber, derzuständige, für das Projekt verantwortliche Deutsche, meldetsofort, dass er an diesem Termin verhindert sei. Könne man dasMeeting verschieben oder könne ihn eine Kollegin, Frau Dr.Groß, vertreten? Verschieben geht nicht. Also richtet sich FrauDr. Groß auf ihre Teilnahme ein und vertieft sich zwei Wochenlang in das Thema. Sicherheitshalber ruft sie am Tag vor demMeeting nochmals in Budapest an. Nein, erfährt sie, dasMeeting sei morgen nicht in Budapest, sondern in Gyor. Daswäre für den slowakischen Kollegen besser. Tja, wie käme sie dahin? Man könne ihr leider aufgrund einiger unglücklicherUmstände, die man ihr nennt, keine Fahrmöglichkeit organi-sieren. Außerdem gebe es ein zusätzliches Sprachproblem:

Man habe keinen Dolmetscher für sie. Es ginge eigentlich fastnicht, so erfährt sie auf ihr Nachfragen, dass sie, Frau Dr. Großteilnehme. Sie insistiert mit hundert Argumenten, auf die siestets ein Gegenargument zu hören bekommt mit einer jeweilsneuen, anderen, leider ebenfalls unüberwindbaren Schwierig-keit. Gut, dann nicht. Frau Dr. Groß schickt ihre Folien per Mailnach Budapest. Diese enthalten Ideen, wie im skandinavischenRaum diese technischen Probleme angegangen werden wür-den. Sie könne ja dann zum nächsten Termin kommen, tröstetman sie noch.

Dieser nächste Termin findet exakt an einem Datum statt,an dem Frau Dr. Groß einen unabänderlichen Zahnoperations-termin hat. Das hatte sie zwar nach Budapest gemeldet, dochman habe das leider übersehen. Wie schade! Sie erhält zwareine Einladung dazu, aber sie kann eben nicht. Auch HerrHuber nicht, er ist in Urlaub. Auf ähnliche Weise schleppt sichdas Projekt nun schon längere Zeit hin. Ergebnisse gibt eskeine. Was ist hier passiert? Wie ist das Verhalten der ungari-schen Seite zu erklären?

Deutungen – Bedeutungen

(1.) Dieses Meeting kann nicht besonders wichtig sein, wenn Herr

Dr. Huber, der Verantwortliche, nicht selbst kommt, sondern eine

Vertretung schickt. Weshalb sich also um Frau Dr. Groß bemühen?

Sie hat ja sowieso nichts zu sagen. Das denken sich die Ungarnsicher. Denn in beziehungsorientierten Kulturen (vgl. Kultur-standard ›Beziehungsorientierung‹) hat physische Präsenzeine im Vergleich zu Deutschland noch intensivere symbolischeWirkung. Anwesenheit signalisiert Wichtigkeit, Abwesenheitdas Gegenteil. Das, so nehmen die ungarischen Geschäftspart-ner an, ist doch klar. Und insofern ist Herr Hubers Fernbleibeneindeutig zu interpretieren.

Da Ungarn zudem ausgeprägter hierarchisch denken (vgl.Kulturstandard ›personbezogene Hierarchie‹), akzeptieren sieVertretungen weit weniger. Herr Huber ist der Verantwortliche,also der Chef in diesem Projekt. Nur er kann Entscheidungentreffen, und somit lohnt sich ein Treffen nur mit ihm. Dennocherklärt diese Facette nicht alles am Verhalten der Ungarn …

(2.) Wenn es um Technik geht, dann ist das Männersache. Einer

Frau wird nichts zugetraut, und deshalb will man Frau Dr. Groß

nicht dabei haben. Das stimmt so nicht. In Ungarn ist es wesent-lich üblicher, dass Frauen berufstätig sind und auch gute Posi-tionen bekleiden. Es war in sozialistischen Zeiten selbstver-ständlich, dass beide Geschlechter gute Ausbildungen erhiel-ten, und dazu gehörten alle Berufe, die volkswirtschaftlichgebraucht wurden. Insofern gab und gibt es weit mehr Frauen inmathematisch-technischen Fächern als das in Deutschland derFall ist, wenngleich auch in Ungarn der Männeranteil höher istund zunehmend höher wird. Aber Frau Dr. Groß aufgrund ihresFrauseins ausgrenzen zu wollen, das ist nicht die Ursache für

Milyen kár!*Eine Fallgeschichte deutsch-ungarischerUnternehmenskommunikation

Sylvia Schroll-Machl und Christine Sontag

* ungarisch: Wie schade!

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Auf die im zweiten Teil der Überschrift bewusst provozierendgestellte Frage zu antworten, fällt einem deutschen Mutter-sprachler gar nicht so leicht, obwohl doch fast jeder – Nicht-deutsche – weiß, dass wir so ›direkt‹ sind. Ist die Bitte »Kannstdu mal das Fenster aufmachen?« wegen der Abwesenheit desWortes »bitte« direkt? Ist das spanische »Digame« (wörtlich:»Sagen Sie’s mir«) im ersten Redezug eines Telefongesprächsaufgrund der Imperativform direkt? Spätestens beim chinesi-schen (wei) – am schlechtesten übersetzbar mit »Hallo« undebenfalls das sprachliche Mittel, einen Telefonanruf anzuneh-men – versagt die interpretierende und attribuierende Katego-rie ›Direktheit‹. Es lässt sich also nicht so einfach aus der Ober-fläche von (verbalen, para- und nonverbalen) Handlungen aufzugrunde liegende Einstellungen schließen.

Probleme mit ›Dimensionen‹,

›Standards‹ und Co. Solche Kategorien, zu denen z.B. ›Zeit-planung‹ (Deutschland), ›Gelassenheit‹ (USA), ›Spiritualität‹(Südafrika) oder ›individualistisch-egoistische Arbeitsweise‹(Frankreich) gehören, werden auch ›Dimensionen‹ oder›Standards‹ genannt. Sie sind in interkulturellen Trainings einbeliebtes Mittel, fremdkulturelle Denk- und Handlungsweisenverständlich, übersichtlich und (ver)einfach(t) zu vermitteln.Sie sind aber auch – und vor allem – kritisch bezüglich ihres Er-klärungspotenzials zu betrachten.

Die Beliebtheit von (Kultur-) ›Standards‹ bzw. ›Dimensio-nen‹ rührt vor allem daher, dass sie in fremdkulturellen Kontex-ten als Orientierungshilfen fungieren können. Sie sind im Stildes programmierten Lernens didaktisiert und preiswert inForm von »Beruflich in…«-Büchern zu erwerben. Mit ihnen istes möglich, ein breites ›fremdes‹ Handlungsrepertoire zu er-klären. Durch diese Breite entsteht jedoch gleichzeitig die Ge-fahr, ›alles und nichts‹ begründen zu können.

Trotz der von den Hauptvertretern der ›Dimensionen‹ und›Standards‹ transparent gemachten Einschränkungen und

Hinweise auf ihren stereotyphaften Charakter, finden sie meistunhinterfragt Eingang in interkulturelle Trainings. Oftmalstabellarisch abgebildet, mit zwei Spalten zur Kontrastierungeigener und fremder ›Eigenschaften‹ bilden sie die Arbeits-grundlage eines ›Vergleichstrainings‹. Im Anschluss an diesekontrastive Abbildung sollen die Trainees Episoden, die kleinecritical incidents beschreiben, mit entsprechenden Kategorien›erklären‹. Damit eignen sich die Teilnehmer der betreffendenIntervention ein Vokabular zur schnellen und monokausalenInterpretation ›fremden‹ Verhaltens an. Komplexe Episodenwerden also auf isolierte Phänomene reduziert, was eine Ein-schränkung der Wahrnehmung in authentischen interkulturel-len Situationen zur Folge haben kann. Die Wirkung des Eigenenbei der Gestaltung von Interaktion bleibt in den (internalisier-ten) Erklärungsansätzen unberücksichtigt.

Wenn auch nicht intendiert, so liegen mit ›Dimensionen‹und ›Standards‹ latent vorhandene Bewertungen vor. Denn:Gibt es wirklich ehrliche Gründe, ›kollektivistisches‹ und ›indi-rektes‹ Verhalten ebenso neutral anzuerkennen und zu schät-zen wie ›individualistisches‹ und ›direktes‹?

Wurden bis jetzt lediglich die Kategorien an sich kritisiert(forschungsmethodische Kritikpunkte an Hofstedes ›Dimensio-nen‹ bringt u.a. Behrens (2007) vor), ist mit dichotom angeleg-ten Vergleichskategorien noch keine Aussage über derenRelevanz für interkulturelle Interaktionen gemacht. So konntez.B. Bubel (2006) an britisch-deutschen Telefongesprächennachweisen, dass für deutsche Interaktanten von britischenGesprächspartnern initiierte ausführlichere Smalltalk-Sequenzen keinerlei Probleme darstellen, obwohl Deutscheangeblich Smalltalk in Geschäftstelefonaten vermeiden. Unter-schiede sind also nicht mit ›Schwierigkeiten‹ und schon garnicht mit Konflikten zu verwechseln.

Ein abschließender Hinweis, der vor allem als Anregungfür die Forschung anzusehen ist, besteht darin, stärker dieVernetzungen der angedeuteten psychologischen und anthro-

Vermittlung interkultureller Kompetenzen mit linguistischen Mitteln oder:

Wann waren Sie eigentlich zum letzten Mal direkt? Peter Jandok

Beitrag zum Forscher-Praktiker-Dialog

Die Redaktion von ›mondial‹ möchte Raum bieten für den Austausch zwischen Wissenschaft und Trainingspraxis. Einen Anfang machen hier

Peter Jandok und Steffen Henkel, die mit ihren kontroversen Darstellungen in ein produktives Streitgespräch treten. In der nächsten Ausgabe

von ›mondial‹ unternehmen beide Autoren den Versuch einer Synthese, in der theoretische Erwägungen und praktische Umsetzungen zusam-

mengeführt werden.

Page 11: 3 Kosovo-albanische Wertewelt: Persönliche Ein- drücke aus einem

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Als interkulturelle Trainerin bzw. interkultureller Trainer stehtman in einem Spannungsfeld, das sich aus meiner Sicht nicht auf-lösen lässt: Das Themenfeld der ›Interkulturalität‹ ist hochkom-plex, in seiner Ganzheit nicht zu erfassen und somit nicht in einerabgeschlossenen, das heißt ›erschöpfenden‹ Form zu vermitteln.Dem gegenüber steht der Wunsch, in einem Training oderSeminar das Thema so aufzuarbeiten, dass die Teilnehmer eineHilfestellung bei der Lösung ihrer täglichen Aufgabenstellungenin internationalen Teams oder bei einer Auslandsentsendungerhalten. Das Extrem bildet da oftmals die Vorstellung von Teilneh-mern, die gerne das ganze Thema anhand einer Checklist odereinfacher »Dos and Don’ts« abgehandelt hätten.

Jeder Trainer und Trainingsanbieter kennt das Problem,zwischen eigenen Qualitätsansprüchen auf der einen Seite unddem Wunsch einem Kunden zu helfen – sei es auch bei knapp-stem Zeitbudget – hin und her gerissen zu sein. Zumeist mussein Trainer bei einem Seminar dann gar nicht von eigenenQualitätsvorstellungen abweichen, sondern nur einen Abgleichvon Erwartungen und Möglichkeiten hinbekommen. Stimmendiese überein, ist auch eine noch so kurze Intervention hilf-reich – zumindest hilfreicher, als gar nichts zu unternehmen.

Um die Ziele eines interkulturellen Trainings zu erreichen,vertrete ich die Ansicht, dass eine eklektische und auf alle Fällezielgerichtete Auswahl verschiedener inhaltlicher und didakti-scher Methoden das Mittel der Wahl ist. Jedem guten Trainergestehe ich zu, eine für seine Trainingsziele angemesseneAuswahl zu treffen.

Bewertungsproblem In seiner sehr gelungenen Vorstellungeiner linguistischen Methode erhebt Peter Jandok den Vorwurf,dass das Vokabular, welches uns durch Wissenschaftler wieHofstede und Trompenaars gegeben wurde, grundsätzlich wer-tend ist und daher gar nicht in der Lage ist, einen objektivenBlick auf kulturelle Unterschiede zu werfen. Ganz abgesehendavon, dass es in einem guten Training gelingen muss – sonsthat es das Prädikat ›gut‹ nicht verdient – einen positiven Blickauf eine ›indirekte Kommunikation‹ zu werfen, ist diese emotio-

nale Zuschreibung auch genau das, womit wir es in interkultu-rellen Situationen zu tun haben. Begründet durch unsere En-kulturation haben wir bestimmte Vorstellungen von richtig oderfalsch. Sich ganz bewusst damit auseinander zu setzen ist ebeneines der Ziele von interkulturellen Trainings. Durch Objekti-vierung die Emotionalität heraus zu nehmen führt meinerAnsicht nach nicht dazu, sich eben dieser Gefühle bewusst zuwerden.

Fähigkeit zur Analyse Des Weiteren unterstellt Jandok seinerMethode, dass sie in der Lage ist, ›Analysekompetenz‹ zu ver-mitteln und somit »ein (Re-)Aktionspotenzial beschreibt, mitdem Gesprächspartner unmittelbar aufeinander eingehen kön-nen«. Dies ist unbestritten. Offen ist für mich, wieso er diesModellen wie den Kulturstandards und -dimensionen ab-spricht. Ich gehe davon aus, dass in einem Training diese Werk-zeuge als das dargestellt werden, was sie sind, nämlich als Mo-delle, die versuchen das ›Unsagbare‹ zu erklären und Hilfe-stellung für die Analyse von Situation zu geben. Trainer, die diesnicht tun, wenden die Methode falsch an, was jedoch nicht derMethode als solcher anzulasten ist.

Etwas wirklich Neues? Die von Jandok dargestellte Transkript-analyse und ihre Hilfestellung bei der Analyse zur Deutunginterkultureller Situationen ist sehr hilfreich und wird meinerAnsicht nach in Trainings noch viel zu wenig beachtet. Jedochmöchte ich die Frage stellen: Wie neu ist das Ergebnis derAnalyse?

Im analysierten Transkript wird dargestellt, dass es vermut-lich zu einer Unterbrechung der Rede des Chinesen durch sei-nen deutschen Kollegen kommt. Anschließend wird herausge-arbeitet, aufgrund welcher unterschiedlichen Redekonventio-nen es zu dieser Unterbrechung kommen kann. Sinnvoll ist diesaus meiner Sicht, wenn hier Verallgemeinerungen durchge-führt werden können, die helfen, eine Art Regelwerk zu verin-nerlichen, damit in Zukunft ein Gespräch ohne Unterbrechun-gen verlaufen kann. Ansonsten verbleiben die Gesprächspart-ner zwangsläufig in einer Situation des »Kampfes um dasRederecht«. Ergebnis dieser Transkriptanalyse, würde ichsomit interpretieren, ist, dass es bestimmte Kommunikations-konventionen gibt, die dazu führen, dass Chinesen von Deut-schen tendenziell öfter unterbrochen werden. Dies kann fürChinesen ein frustrierendes oder ärgerliches Erlebnis sein.Was ist nun das Neue an dieser Erkenntnis?

Grundsätzlich erwarte ich von einem interkulturellenTraining, dass es auf diese Tatsache aufmerksam macht. Bei-spielsweise kann bei der Trainingssequenz, die sich mit Stereo-typen der Chinesen über uns Deutsche auseinandersetzt, her-auskommen, dass Chinesen uns Deutsche oftmals als ›stur‹oder auch ›unhöflich‹ wahrnehmen. Eine Erklärung dafür gibtdie Transkriptanalyse. Somit stellt Jandok keine neuen Er-kenntnisse dar. Vielmehr bietet er einen weiteren – sehrwissenschaftlich fundierten – Erklärungsansatz für einenbekannten Sachverhalt.

Trainieren imSpannungsfeld Eine Replik zum Beitrag von Peter Jandok

Steffen Henkel

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»Sind Schwarze die besseren Athleten? Haben Schwule einenausgeprägten Sinn für Kunst? Sind Pfeifenraucher gemütlich,und haben Juden lange Nasen?« – fragt das Jüdische MuseumBerlin in einem Ankündigungstext zur aktuellen Ausstellung»typisch! Klischees von Juden und Anderen«. Wie ist es bestelltmit den Bildern in unseren Köpfen, wie komplex oder wie dürf-tig sind eigentlich unsere Kenntnisse über Individuen, Gruppenund Nationen? Welche Einstellungen haben wir inzwischen sofest verinnerlicht, dass wir sie nicht zu ändern vermögen, siezuweilen auch gar nicht ändern wollen?

›Stereotyp‹ und ›Klischee‹ – das sind ursprünglich Fachbe-griffe aus der Welt des Druckereiwesens. Sie bezeichnen diemateriellen Vorlagen, von denen aus sich beliebig viele Kopienziehen lassen. Ohne Massenmedien, wie Plakate, Flyer, Bro-schüren und Zeitungen, ohne Fernsehen und Internet wäre un-sere Welt kaum noch denkbar. Zu sehr prägen Medien unsereLebenswelt. In Anlehnung an die metallene Druckvorlage be-zeichnet auch das mentale Klischee ein immer gleiches und un-veränderlich reproduziertes Bild. Vereinfachte Einstellungen,die einerseits im Alltag Orientierung bieten, dienen anderer-seits nicht selten als Vorlage für rassistische, sexistische undandere menschenfeindliche Positionen, und sie definierenGrenzen zwischen Individuen und Gruppen.

Das Klischee, so könnte man behaupten, ist der blindePassagier, der uns beim Denken stets begleitet. Nicht immer istes uns bewusst, woher unsere, als Erkenntnisse maskierten,festen Meinungen über bestimmte Gruppen eigentlich stam-men. Gut und gerne lässt sich noch über die skurrilen oder into-leranten Einstellungen anderer sprechen; doch die eigenen,unhinterfragten und pauschalisierten Überzeugungen bleibenin der Regel unangetastet, oder zumindest unbemerkt. Dort, wosie bewusst sind, spricht man sie nicht gerne aus, denn die eige-nen Klischees zugeben, hieße zugleich, sich zu entlarven undangreifbar zu machen. Genau hier setzt die Ausstellung im Jüdi-schen Museum an, sie will den Besucher in die Auseinanderset-zung mit den dargestellten Themen einbeziehen, so dass er sichüber eigene, unhinterfragte Positionen klar werden kann.

Eine Ausstellung, die Fragen aufwirft und die mit einer Flutder Bilder einsetzt. Im ersten Raum von »typisch« wird der Be-sucher durch eine großflächige Projektion mit Werbemotivenaus Vergangenheit und Gegenwart konfrontiert. Eine Vielzahlvon Typen, aber auch rassistisch gefärbter Klischees kommendem Betrachter auf einer virtuellen Plakatwand entgegen, alswollten sie ihn auffordern, einmal genau hinzuschauen. Rau-chende Araber und Türken, sich mit Seife die Haut weißwaschende Schwarze, den biederen Haushalt säubernde Frau-

Die Bilder im KopfEine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin

widmet sich populären Klischees

Thorsten Beck

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1. Mein deutsches Lieblingswort ist… bedeutungsschwanger.

2. Diesen Geschmack oder Geruch verbinde ich mit meiner Heimat… Heimat? Welche Heimat ist gemeint? Ich bin hier zuhause. In Haifa? In dem Geburtsort meiner Eltern war ichzum ersten Mal mit 32 Jahren! Ich kenne das Land nicht, wie es damals war, als meineEltern dort gelebt haben. Der Geruch der ersten deutschen Stadt, in der ich gelebt habe,also von Mannheim, ist Chemie!

3. Wenn ich Familie im Ausland besuche, mache ich zuerst… essen, weil ich essen so liebe. Alles was sie dort zubereiten ist fantastisch, vor allem die fleischlose Küche.

4. Was mir in Deutschland fehlt… warmes Klima, das Mittelmeer und das gute mediterraneEssen. Ja, so banal bin ich!

5. Dafür gibt es in Deutschland ein bisschen zu viel… zu viele kalte und verregnete Tage.

6. Als König von Deutschland würde ich… in die Bildung investieren und die Kneipen- und Esskultur fördern.

7. Forschung bedeutet für mich… lebendig bleiben und Neugierde ausleben.

8. Was ich unbedingt noch erforschen möchte… mich.

9. Ich glaube an… das Gute im Menschen. Das klingt zwar etwas abgedroschen, doch es entspricht meiner Überzeugung.

10. Als 13-jähriger wollte ich gerne werden… Pilot – aber heute hasse ich das Fliegen.

11. Diese Website würde ich der Welt empfehlen… die vom Orient Institut für Interkulturelle Studien natürlich – http://ois.hs-heilbronn.de/wiki/home/.

12. Glücklich macht mich… zu sehen, dass ich zwei tolle Kinder habe.

13. Mich ärgert im Moment… die Verschulung des Studiums an den Hochschulen.

14. Dieses Kompliment verunsichert mich… ›Sie sprechen aber gut deutsch‹.

15. Diesen Menschen möchte ich gerne kennen lernen… Ich wollte schon immer Voltaire kennen lernen – »Candide« habe ich mit 16 Jahren gelesen, später dann seine Biografie – ich wollte schon immer wissen, was das für ein Mensch ist.

15 Fragen an Interkulturalisten

Elias Jammal (Prof. Dr. phil.) lehrt an der Hochschule Heilbronn u.a. vergleichende Verhaltenswissenschaften, inter-kulturelle Studien und interkulturelles Management mit dem regionalen Bezug auf den arabisch-islamischen Raum.Er leitet dort das Orient Institut für Interkulturelle Studien (OIS) und ist darüber hinaus als Berater und Trainer tätig.In Heidelberg studierte er Philosophie, Physik und Kunstgeschichte, machte seinen MBA in England und promo-vierte in vergleichender Erziehungswissenschaft an der Universität Kaiserslautern. Der 54-jährige ist in Beirut gebo-

ren und in Mannheim aufgewachsen. Die Mutter seiner beiden Kinder kommt aus Deutschland; Seine Tochter geht in Heidelberg aufdas Gymnasium und sein Sohn ist Schauspieler am Theater in Magdeburg.

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»Was mal war, ist nicht mehr! Wer mal war, ist nicht mehr! Wiees mal war, ist es nicht mehr!« Diese Feststellung, die Prof. Dr.Raymond Saner vom Genfer Centre of Socio-Eco-Nomic De-velopment (CSEND) in seiner Keynote-Speech zum Auftakt desSIETAR-Forums 2008 Ende Februar machte, zog sich durch diegesamte dreitägige Veranstaltung im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn-Bad Godesberg – dem SIETAR-Event, auf demalles so ganz anders war als sonst.

Das Forumsmotto »Realitäten, Herausforderungen undChancen für Veränderungsprozesse international tätiger Orga-nisationen« hatte das Organisationsteam um Christine Wirthsbewusst als Experiment und Prozess gewählt. Die Noch-Vor-standsvorsitzende gab bei ihrer Begrüßung unumwunden zu,dass die achtmonatige Vorbereitungszeit für das sechsköpfigeTeam ein Lernprozess war, der sich analog zum Symbol desForums – die Entwicklungsstadien eines Schmetterlings – füralle Beteiligten spürbar vollzog. Einen ebensolchen Lernpro-zess wünschte sich das Vorbereitungsteam nach Forumsab-schluss auch als Ergebnis für alle Teilnehmer.

Hierfür bildeten das ungewöhnliche Setting des Plenar-saales und der aus der Gestalt-Organisationsberatung ent-lehnte Moderationsansatz schon mal ideale Voraussetzungen.Erstaunlich schnell konnten die Potenziale der Teilnehmergleich zu Beginn des Forums in lockerer Atmosphäre und guterStimmung aktiviert werden. Da scheute sich auch niemand inaller Öffentlichkeit sich der Altersgruppe zuzugesellen, die bei-spielsweise schon ziemlich weit fortgeschritten war – etwa den

51- bis 60-Jährigen – und unbekümmert und wahrheitsgetreuim Plenum die Frage zu beantworten: »Wie erlebe ich Verände-rungen in meinem Leben beziehungsweise meiner Arbeit indiesem Lebensabschnitt?« Auch wenn es sich nicht nur umpositive Wahrnehmungen handelte, die diese Altersstufe kenn-zeichnen. Oder in der Kleingruppe laut über ›brennende Fragen‹nachzudenken, die jede/n Einzelne/n beruflich beschäftigen.

Die Kultur darf nicht auf der

Strecke bleiben Der Entwicklungsprozess, der hier zum Tragenkommen muss, ist der, den Professor Saner kurz und bündig sobeschrieben hat: unfreeze – conform – refreeze. Er berief sichdabei auf den bedeutenden Gestaltpsychologen Kurt Lewin(1890–1947). Genau wie herkömmliche Strukturen in Organisa-tionen und Unternehmen im Wandel begriffen sind, trifft diesauch auf Berufsbilder zu, beispielsweise dasjenige des interkul-turellen Trainers. Die Herausforderungen in Wirtschaft undIndustrie sind komplexer geworden, die Zeitfelder kürzer,immer schneller abrufbare Lösungen sind gefragt. Daher sei esauch nicht verwunderlich, dass engagiert arbeitende interkul-turelle Trainer in letzter Zeit immer häufiger die Beobachtungmachten, gleichzeitig als Berater, Begleiter, Coach, ›Facilita-tor‹, ›Change-Agent‹ oder Mentor gefragt zu sein, insbesonderewenn es um die Bereiche Organisationsentwicklung (OE), Per-sonalentwicklung (PE) oder Veränderungsprozesse im globalenKontext geht. Und dieser Trend verstärke sich noch, so Pro-fessor Saner.

Gesellschaftliche und unternehmerische Veränderungen machen es erforderlich, das berufliche Selbstverständnis zu hinterfragen und das Berufsbild durch neue Kompetenzen zu erweitern.

Interkulturelle Trainer durchleben Identitätskrise

Stéphanie Stephan

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SIETAR im Internet

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