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5 JAHRE RESETTLEMENT NACH DEUTSCHLAND

5 Jahre Resettlement - im-muenchen.de · 2015. 9. 25. · 5 jahRe Resettlement nach eutschlandd. Mit dem Einstieg in das Resettlement-Programm beschloss München eine Resettlementbeauftragte

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save meeine stadt sagt ja

5 Jahre Resettlement nach deutschland

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4 save me – eine stadt sagt „ja!“

6 Resettlement im ÜbeRblick

10 FÜnF jahRe Resettlement nach deutschland

12 veRschiedene städte – unteRschiedliche modelle

14 inteRview mit lina salman

17 die humanitäRe auFnahme von syRischen FlÜchtlingen

19 deR anFang ist gemacht

I n h a l t

Mit ihrer positiven Annäherung und ihrer zivilgesellschaftlichen Kraft hat die Save Me Idee Pro Asyl inspiriert wie kaum eine andere Kampagne für Flüchtlinge.

Andrea Kothen, Pro Asyl

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save me – eine stadt sagt „ja!“2008 feierte die Stadt München ihren 850. Geburtstag. Dessen Motto „Brücken bauen“ nahm die Save Me Kampagne zum Anlass, eine Brücke in die Länder jenseits Europas zu schlagen.

„Wir können mehr tun!“ Das dachten sich die Initiatoren der Save Me Kampagne – der Bayerische Flüchtlingsrat, der Münchner Flüchtlingsrat, Refugio München und die Münchner Kammerspiele im Jahr 2008. Sie forderten die Aufnahme von 850 besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen in München, die über das Resettlement-Programm des UN-Flüchtlingshilfs-werks (UNHCR) nach Deutschland kommen sollten. Verknüpft war damit auch die Forderung an die Bundesregierung, mit einem jährlichen Kontingent in ein regelmäßiges Resettlement einzusteigen.

Der Münchner Stadtrat gab der Kampagne durch seinen offiziellen Beschluss zur Aufnahme der Flüchtlinge Gewicht und setzte damit eine Bewegung in Gang, die deutschlandweit die Gründung vieler weiterer Save Me Gruppen zur Folge hatte. Über 50 Städte und Gemeinden konnten durch diese lokalen Save Me Initiativen davon überzeugt werden, sich per Stadtratsbeschluss zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit zu erklären.

Neben der Forderung nach der Aufnahme von Flücht-lingen hilft die Kampagne auch ganz praktisch: Durch Ehrenamtliche, die je nach Save Me Stadt entweder Paten, Lotsen oder Botschafter heißen, will die Save Me Kampagne zur Herausbildung einer Willkommens-kultur beitragen. Die Ehrenamtlichen empfangen die Flüchtlinge nach der Ankunft und begleiten sie bei ihren ersten Schritten. Sie helfen bei Behördenangelegen-heiten, dem Deutschlernen oder zeigen ihnen ihre neue Umgebung. Dabei stehen sie, je nach Stadt, nicht nur Resettlement-Flüchtlingen, sondern auch Asyl- bewerbern zur Seite.

In Zeiten, in denen sich die politische und mediale Asyldebatte vor allem mit steigenden Flüchtlings- zahlen beschäftigt und Szenarien von „Strömen“ und „Wellen“ beschreibt, ist es um so wichtiger zu zeigen, dass große Teile der Bevölkerung bereit sind, mehr Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen. Sie setzen sich gerne für den Flüchtlingsschutz und die Umsetzung einer Willkommenskultur ein.

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Ich mache mit, weil der Slogan „Weltstadt mit Herz“ meiner Meinung nach endlich in die Tat umgesetzt werden muss! Tania Bloch (28), Lehrerin an einem sonderpädagogischen Förderzentrum

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wer kommt für Resettlement in Frage? Das Resettlement-Programm richtet sich an Flücht- linge, die besonders schutzbedürftig sind, das heißt: alleinstehende und alleinerziehende Frauen, unbe- gleitete Minderjährige, Traumatisierte und Folteropfer, alte und kranke Flüchtlinge sowie verfolgte Minder-heiten. UNHCR hat die Aufgabe zu prüfen, wer ein Flüchtling und besonders schutzbedürftig ist.

der weg in eine bessere Zukunft ist lang Nach der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und der Schutzbedürftigkeit erstellt UNHCR ein Dossier, das an Resettlement-Länder geschickt wird. Welches Land in Frage kommt, richtet sich unter anderem nach vorhandenen Sprachkenntnissen und Verwandt-schaftsbeziehungen im entsprechenden Aufnahme-land. Dieses entscheidet letztendlich selber, wer in

das Resettlement-Programm aufgenommen wird. In der Regel geschieht dies durch eine nationale Delegation, die im Erstzufluchtsland Interviews mit den Flüchtlingen durchführt. In Deutschland über-nimmt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) diese Aufgabe.

Zu wenig Resettlement-Plätze Die Teilnahme am Resettlement-Programm ist für die einzelnen Länder freiwillig. Sie bieten jährliche Kontingente an, die von UNHCR gefüllt werden. 92% der aufgenommenen Flüchtlinge reisten im Jahr 2013 in die USA, nach Australien und Kanada. Für die kommenden Jahre geht UNHCR von 960.000 benötigten Resettlement-Plätzen aus, tatsächlich stehen 2014 jedoch nur 70.112 Plätze zur Verfügung.

Resettlement im ÜbeRblick Unter Resettlement versteht man die Neuansiedlung von besonders schutz-bedürftigen Flüchtlingen in einem Aufnahmestaat. Wenn die Rückkehr ins Heimatland oder die Integration im Erstzufluchtsland selbst nach vielen Jahren nicht möglich ist, ist das Resettlement oft der einzige Ausweg. Diese Form der humanitären Aufnahme ermöglicht Flüchtlingen den dauerhaften Verbleib in einem Aufnahmestaat und bietet damit einen Weg heraus aus der Perspektivlosigkeit.

schlusslicht europa Europa nimmt insgesamt jährlich nur etwa 4.000 bis 5.000 Flüchtlinge über UNHCR auf. Obwohl die EU-Kommission eine europaweite Bereitstellung von 20.000 Resettlement-Plätzen pro Jahr befürwortet, die bis 2020 eingerichtet werden sollen, liegt das europäische Engagement bislang noch weit unter dem angepeilten Kontingent.

deutschland beginnt mit Resettlement 2011 beschloss Deutschland in das Resettlement- Programm einzusteigen und 300 Flüchtlinge pro Jahr

aufzunehmen. Sie erhalten jedoch keine Flüchtlings- anerkennung, sondern ein zunächst befristetes Aufenthaltsrecht nach § 23 Abs. 2 Aufenthalts- gesetz. Es kann nach sieben Jahren in einen unbefris-teten Aufenthalt übergehen, wenn die Flüchtlinge eine Arbeit haben, keine Sozialleistungen mehr erhalten und die entsprechenden Deutschkenntnisse vorweisen können. Diejenigen, die diese Kriterien nicht erfüllen, sind gezwungen ihren Aufenthalt immer wieder aufs Neue zu verlängern. Zurück in ihr Heimat-land müssen sie jedoch nicht, sie sind gekommen, um zu bleiben.

Ich mache mit, weil ich der Meinung bin, dass es für ein Resettlement-Programm höchste Zeit ist, auch als politisches Signal gegen die Festung Europa. Florian Fritz (47), Sozialpädagoge

* Quelle: EU-Resettlement Fact Sheet

usa 47.870

australien 11.117

kanada 5.140

schweden 1.832

großbritannien 750

Finnland 665

dänemark 475

holland 362

deutschland 293

belgien 100

Frankreich 100

resettlement-Zahlen 2013*

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Ich mache mit, weil ich der Meinung bin, dass die Erde allen Menschen gehört. Niemand hat das Recht einem Menschen einen bestimmten Lebensraum auf dieser Welt zuzuweisen

oder vorzuenthalten. Ich sehe gerade Deutschland in der Pflicht, Menschen, die vor widrigen Umständen auf der Flucht

sind oder vertrieben wurden, eine Zuflucht zu bieten. Thomas Schneider (43), Wahlkreismitarbeiter

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2500 iraker kommen zu unsVor fünf Jahren wurden zum ersten Mal Flüchtlinge unter Beteiligung von UNHCR in Deutschland auf-genommen. 2.500 Iraker bekamen die Möglichkeit über ein einmaliges Resettlement-Verfahren bei uns ein neues Leben zu beginnen. Sie absolvierten Deutschkurse, holten Schulabschlüsse nach, be-gannen eine Ausbildung oder eine Arbeit. Bei der Aufnahme im Jahr 2009 handelte es sich, wenngleich die Auswahl über UNHCR ablief, um eine einmalige, eine ad-hoc-Aufnahme und damit noch nicht um ein Resettlement-Programm im eigentlichen Sinne. Dies setzt eine kontinuierliche Aufnahme mit jährlichen Kontingenten voraus.

„ad hoc“ hat es in sichEine eigene Aufnahmestruktur gab es für diese Flücht-linge nicht, aus diesem Grund griff man auf Asylstruk-turen zurück. In vielen Städten wurden die Flüchtlinge in Asylunterkünften untergebracht. Für diejenigen, die auf Grund schwerer Krankheit oder Behinderung eine angemessene Unterbringung benötigten, bedeutete dies große Strapazen. Es kam vor, dass Resettlement-

Flüchtlinge Wand an Wand mit abgelehnten Asyl- bewerbern wohnten, die abgeschoben werden sollten – eine schwierige Situation! Die Aufnahme 2009 zeigte, dass es nötig sein würde, ein erfolgrei-ches Resettlement nicht nur an der Anzahl aufgenom-mener Flüchtlinge zu bemessen, sondern auch über entsprechende Aufnahmestrukturen nachzudenken.

300 Flüchtlinge pro jahrEnde 2011 stieg Deutschland endlich in ein kontinu-ierliches Resettlement-Programm ein und bot für eine dreijährige Testphase 300 Aufnahmeplätze pro Jahr an. Im September 2012 reisten die ersten dieser Resettlement-Flüchtlinge ein. Es handelte sich um 195 Afrikaner aus dem Sudan, Somalia, Eritrea, Äthiopien, Nigeria und DR Kongo, die nach dem Sturz Al-Gaddafis aus ihrem bisherigen Zufluchtsland Libyen ins Grenzlager Shousha (Tunesien) geflohen waren. Ihnen folgten im selben Jahr 105 Iraker aus der Türkei. Auch 2013 kamen 293 Iraker, Iraner und Syrer, die in der Türkei auf einen Weg aus der Perspektivlosigkeit gehofft hatten, zu uns. Dezember 2014 sollen 300 Dritt-staatler aus Syrien und Indonesien in Deutschland

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eintreffen. Dann entscheidet sich auch, wie es mit dem Resettlement ab 2015 weitergehen wird. Alles deutet darauf hin, dass das jährliche Kontingent auf 500 bis 600 Personen angehoben werden wird. Die endgültige Entscheidung trifft die Innenministerkonferenz.

die suche nach strukturenMomentan gibt es noch einige Herausforderungen zu bewältigen: Die Ankunft der Flüchtlinge wird den

Kommunen sehr kurzfristig mitgeteilt, so dass nur wenig vorbereitet werden kann. Insbesondere in Städten mit einem angespannten Wohnungsmarkt ist die Vorbereitung bei Ankündigungszeiten von unter drei Wochen kaum zu bewältigen. Die Auszahlung der ersten Sozialleistungen dauert oft zu lange und bis die Flüchtlinge krankenversichert sind, können Wochen vergehen. Jede Kommune findet dabei andere Lösungs-ansätze, um die Herausforderungen anzugehen.

Ich mache mit, weil ich etwas zu einer starken Bürgergesellschaft beitragen möchte. Josephin Schmid (27), Volontärin Unternehmenskommunikation

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Mit dem Einstieg in das Resettlement-Programm beschloss München eine Resettlementbeauftragte beim Amt für Wohnen und Migration zu berufen, die die Ankunft der Flüchtlinge koordiniert. Diese wer-den in das Wohnungslosensystem der Stadt bzw. in Wohnungen einquartiert. Dazu berät eine bei der IG-Initiativgruppe angesiedelte Sozialpädagogin die Resettlement-Flüchtlinge nach deren Ankunft für ein Jahr, danach werden sie an die reguläre Migrati-onsberatung weitergeleitet. Save Me unterstützt die Flüchtlinge durch den Einsatz von Paten. Die Stelle bei der IG-Initiativgruppe wurde per Entgeldverein- barung (SGB XII) mit einer festen Stundenzahl für jeden Haushalt eingerichtet. Kommen mehr Flüchtlinge nach München, kann auch die Platzzahl innerhalb der Beratung angepasst werden.

Ganz anders geht Nürnberg an das Thema heran. Dort läuft die Koordination der Ankunft über das Menschenrechtsbüro der Stadt, das dem Büro des Bürgermeisters zugeordnet ist. Dort werden die entsprechenden Absprachen und Vorbereitungen für die Ankunft der Flüchtlinge getroffen. Einen eigenen

Resettlement-Migrationsdienst wie in München gibt es in Nürnberg nicht. Dafür teilen die Wohlfahrts-verbände die Versorgung der Flüchtlinge unter sich auf. Im Rotationsverfahren ist jedes Jahr ein anderer Verband für die Neuankömmlinge zuständig. Die Unterbringung erfolgte bisher entweder in städtischen Sozialimmobilien oder übergangsweise in Obdach- losenunterkünften.

Ein anderes Beispiel ist Aachen: Resettlement- Flüchtlinge bekommen dort gleich zu Beginn eine Wohnung zugewiesen. Die Koordination der Ankunft und die soziale Beratung der Flüchtlinge übernimmt das Sozialamt mit seinem Sozialarbeiterstab. So ist gewährleistet, dass alle nötigen Anträge gestellt und die Flüchtlinge gut versorgt sind. Unterstützung erhält die Stadt von Save Me Paten, die sich um die schönen Dinge kümmern und Ausflüge sowie Kochtreffen organisieren. Unter ihnen befinden sich auch Resettlement-Flüchtlinge, die in den Vorjahren nach Aachen gekommen sind und nun den Neuankömm- lingen zur Seite stehen.

veRschiedene städte – unteRschiedliche modelle Jede Kommune hat eine andere städtische Infrastruktur vorzuweisen, die auf ihre ganz eigene Art auf die Herausforderungen des Resettlements reagiert.

Ich mache mit, weil ich das Engagement von Save Me und seinen Paten großartig finde, das Anliegen bitterernst und eine Veränderung absolut notwendig ist. Angelika Zwingel (45), Architektin12

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Ich mache mit, weil ich anderen Menschen helfen möchte. Der Geburtsort alleine sollte nicht über das Schicksal eines Menschen bestimmen. Patrick Badur, 25, Ingenieur

Sie kommen aus dem Irak. Wie war die Lage dort vor Ihrer Flucht? Wir haben in dem Ort Tellkaif gewohnt, Mossul ist die nächstgrößere Stadt. Dort mussten wir auch zum Arzt, wenn wir krank waren. Die Sicherheitslage in Mossul ist schrecklich, selbst die Polizei ist von Gewalt betroffen. Kinder bekommen manchmal von Extremisten Granaten in die Hand, damit sie sie den Polizisten übergeben und alle Frauen müssen einen Rock und ein Kopftuch tragen. Auch Christinnen, wie wir.

Als meine Mutter eines Tages auf den Gewürzmarkt nach Mossul ging, wurde sie Zeugin eines Attentats. Sie hat geschworen, nie wieder dorthin zu gehen. Mir ist so etwas Gott sei Dank nicht passiert. Ich bin lieber ins kurdische Dohuk gefahren, selbst wenn zum Beispiel Arztbesuche dort viel teurer waren als in Mossul. 2012 verschlechterte sich dann auch die Situation in unse-rem Heimatort Tellkaif. Die Eltern vieler Schulkinder bekamen Drohbriefe, in denen sie aufgefordert wurden Schutzgeld zu zahlen, sonst würden ihre Kinder umge-bracht. Die Gefahr für uns wurde einfach zu groß.

Wann haben Sie sich dazu entschieden in die Türkei zu flüchten? Das war, als mein Mann entführt wurde. Viele mei-ner Verwandten, darunter auch Geschwister, waren bereits in die Türkei geflohen. Sie halfen mir und den Kindern dort eine Wohnung zu finden. Das Leben war sehr teuer. Es gab keine staatliche Hilfe, nur Lebens-mittelhilfe beim Roten Kreuz, aber wir bekamen nichts. Ich musste die Miete und das Essen selber finanzieren.

Meine in der Türkei lebenden Geschwister haben mich finanziell unterstützt und meine Eltern schickten mir Lebensmittel und Dinge für den Haushalt aus dem Irak. Die Kinder konnten in der Zeit nicht zur Schule gehen. Es war sehr schwer für uns, aber nach Hause konn-ten wir auch nicht gehen. Als wir den Irak verließen, wusste ich, dass wir nie wieder zurückkehren würden.

Wie sind Sie nach Deutschland gekommen? Meine Familie hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass man beim UN-Flüchtlingshilfswerk einen Antrag auf Resettlement stellen kann. Wir wurden drei Mal

interviewt, dann wurde unser Dossier an die USA geschickt, aber sie lehnten uns ab. Kurz danach bekamen wir die Nachricht, dass unser Dossier nach Deutschland geschickt würde, was mich sehr glücklich machte. Denn dorthin wollte ich ja schon von Anfang an. UNHCR sagte, wir würden an Weihnachten in Deutschland sein, wenn wir eine Zusage bekämen.

Ich war skeptisch, weil die USA uns ja auch schon ab-gelehnt hatte. Nach weiteren Interviews bekamen wir dann aber doch eine Zusage für Deutschland. Insge-samt war ich mit meinen Kindern zu diesem Zeitpunkt bereits 1½ Jahre in der Türkei.

Und wie war es dann, in Deutschland anzukommen? Ich war erleichtert! Wir haben es kaum glauben können. In der Früh, kurz vor dem Flug, hatten wir erst die Visa erhalten. Die Kinder fragten: „Werden wir wirklich im Flugzeug sitzen?“ Am Flughafen in Hannover wurden wir abgeholt und dann erst einmal nach Friedland ins Grenzdurchgangslager gebracht. Die Kinder waren glücklich!

Meine Schwester, die in München lebt, hat mir ge-sagt, dass wir hier in Sicherheit sein würden. Als wir ankamen wurden wir schließlich von Save Me und der Stadt München willkommen geheißen. Sie halfen mir, meine Kinder einzuschulen und erklärten mir die ganzen Papiere. So viele Papiere! Für eine kurze Zeit wohnten wir in einer Pension, im Frühjahr zogen wir dann in eine Wohnung um. Bevor ich nach Deutschland kam, habe

ich von anderen gehört, die Deutschen seien fremden-feindlich, was mich verunsichert hat. Aber letztlich habe ich das hier nie erlebt, im Gegenteil!

Sie haben eine Save Me Patin bekommen. Was haben Sie sich von ihr erwartet? Bevor ich sie kennenlernte, dachte ich: „Oh Gott, das wird komisch. Wie soll ich mit ihr umgehen, in welcher Sprache sollen wir uns überhaupt unterhalten?“ Aber jetzt ist sie wie jemand aus der Familie! Sie gehört zu uns und ist wirklich eine große Unterstützung!

Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Das wichtigste für mich ist, dass meine Kinder ein Schulzeugnis und eine abgeschlossene Ausbildung in der Hand haben. Etwas für die Zukunft! Mein Sohn möchte gerne Mechatroniker werden, was ich gut finde. Und ich weiß, dass mir Menschen zur Seite stehen, die mich und meine Kinder dabei unterstützen.

Fühlen Sie sich in München zu Hause? Hmmm... zu Hause... ich weiß nicht genau. Aber ich wünschte, wir hätten von Anfang an hier gelebt. Das wäre um einiges besser gewesen als unsere Erfahrungen im Irak oder der Türkei. Wir fühlen uns hier in Sicherheit!

Lina Salman*, 37, kam an Weihnachten 2013 zusammen mit ihren fünf Kindern aus der Türkei nach München. Im Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen mit dem Resettlement-Programm.

inteRview mit lina salman

*Name geändert

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das bundesprogramm 2013 beschloss die Bundesregierung auf die katastrophale Lage im Nahen Osten zu reagieren und 10.000 syrische Flüchtlinge übergangsweise in Deutschland aufzunehmen, um vor allem Jordanien und den Libanon zu entlasten. Das Kontingent wurde inzwischen auf 20.000 Aufnahmeplätze erhöht. Über 70.000 eingereichte Aufnahmeanträge zeigen, dass der Bedarf jedoch bei weitem nicht gedeckt ist.

Diese Form der humanitären Aufnahme ist kein Resettlement, da die Flüchtlinge nicht dauerhaft in Deutschland bleiben sollen. Sie erhalten einen zweijährigen Aufenthalt, der verlängert werden kann, wenn der Krieg in Syrien anhält. Syrer, deren in Deutschland lebende Verwandte sich an den anfallenden Kosten beteiligen oder sie ganz tragen können, werden vorrangig für das Aufnahme- programm berücksichtigt. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass Flüchtlinge einreisen, die keine oder mittellose Verwandte haben.

Trotz zeitlicher Beschränkung auf vorerst zwei Jahre ist es wahrscheinlich, dass die Syrer lange hier bleiben werden, denn ein Ende des Bürgerkrieges ist nicht absehbar. In Zukunft wird sich die Frage stellen, ob man Familien zurück nach Syrien schicken kann, deren Kinder in Deutschland aufgewachsen sind und kaum Bezug zu ihrem Heimatland haben.

die länderprogramme Neben der bundesweiten Aufnahme gibt es auch Länderprogramme, über die Syrer nach Deutschland kommen können. Insgesamt 15 Bundesländer nehmen über sogenannte Ländererlasse Flüchtlinge auf. Über die Länderprogramme kommen ausschließlich Syrer, deren Verwandte die Kosten komplett decken können. Die finanziellen Hürden sind so hoch, dass sich nur we-nige Familien einen Nachzug ihrer syrischen Verwand-ten nach Deutschland leisten können. Immerhin haben die Länder inzwischen entschieden, die Krankenkosten zu übernehmen. Bayern beteiligt sich als einziges Bundesland nicht an der Aufnahme von Flüchtlingen über ein solches Länderprogramm.

die humanitäRe auFnahme von syRischen FlÜchtlingenNeben dem Resettlement gibt es auch Aufnahmeprogramme, die auf aktuelle Krisen wie beispielsweise in Syrien reagieren. Über drei Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge halten sich derzeit in Syriens Nachbarländern auf.

Ich komme selber aus einem arabischen Land. Ich hatte viel Unterstützung und möchte jetzt anderen helfen. Montassar Alibi (28), Musiklehrer 17

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Beim Resettlement gibt es jedoch noch deutlich Nachbesserungsbedarf. Bislang erhalten diese Flücht-linge in Deutschland keinen Flüchtlingsstatus und sind damit schlechter gestellt als diejenigen, die hier Asyl erhalten. Konkret bedeutet dies, dass sie keinen Flüchtlingspass und auch nicht nach drei Jahren die Niederlassungserlaubnis bekommen können. Anders als anerkannte Flüchtlinge haben sie nicht die Möglichkeit, ihren Wohnort in Deutschland zu wählen, sondern sind – solange sie Sozialleistungen erhalten – auf das Bundesland beschränkt, dem sie nach Ankunft zugeteilt wurden. Zur Zeit ist es ihnen auch noch nicht möglich, den erleichterten Familiennachzug geltend zu machen. Eine Gesetzesänderung ist jedoch in Arbeit.

Momentan mangelt es außerdem an nachhaltigen Aufnahmestrukturen. 300 Flüchtlinge, die pro Jahr zu uns kommen, schlagen bislang kaum zu Buche. Sie können meistens durch bestehende Migrations-strukturen versorgt werden. Auf Grund der geringen Aufnahmezahl und durch das große Engagement aller beteiligten Akteure gelingt dies meist zeitnah. An ihre Kapazitätsgrenze stoßen die bisherigen Strukturen

jedoch, wenn eine größere Zahl Flüchtlinge über eine humanitäre Aufnahme zu uns kommen, was sich bei den 20.000 Syrern gezeigt hat. Für die 70 Personen, die im Mai 2014 innerhalb von zwei Wochen mit nur vier Tagen Ankündigungszeit in München ankamen, mussten etwa 1.000 Antragsformulare ausgefüllt werden, damit sie schnell Zugang zu Sozialleistungen erhalten. Dies ist auch mit vielen Überstunden durch Sozialarbeiter und die Unterstützung durch Ehrenamt-liche nicht zu schaffen.

Eine großzügige Erhöhung des Resettlement-Kontin-gents, in das auch Flüchtlinge aus aktuellen Krisen-gebieten, wie zum Beispiel aus Syrien, eingefädelt werden können, wäre eine Möglichkeit die Sichtbarkeit des Programms zu erhöhen und die Entwicklung eines bundesweiten Konzeptes anzuregen, das den Bund, die Länder und die Kommunen einbezieht und auf Nach-haltigkeit setzt. Je schneller und reibungsloser sich die Ankunft der Flüchtlinge vollzieht, desto eher können sie ihr Leben in Deutschland beginnen.

deR anFang ist gemachtDie Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre haben gezeigt, dass Deutschland weit mehr leisten kann, als 300 Resettlement-Flüchtlinge jährlich aufzu-nehmen. Die Entscheidung, 20.000 Syrern über eine humanitäre Aufnahme vorübergehend Schutz zu bieten, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Wer nicht für sich selbst sprechen kann, braucht eine Stimme. Meine ist ziemlich laut! Lisa Rauch (30), Veranstaltungskauffrau 19

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Weltweit befinden sich über 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Einige wagen die gefährliche Überfahrt nach Europa, andere harren in Lagern dem Ende des Krieges in ihrem Heimatland. Weniger als 1% dieser Flüchtlinge haben eine Chance auf einen Resettlement-Platz.

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bildnachweisSeite 1 UNHCR / P. Hajdú Seite 5 Save Me München Seite 11 IOM Seite 13 UNHCR / A. D‘Amato Seite 17 Save Me München Seite 18 Thomas Prieto-Peral

Seite 20 von links oben nach rechts: UNHCR / I. Brandau Thomas Prieto-Peral UNHCR / D.al-Achi UNHCR / J. Wreford UNHCR/ A. Awad UNHCR / A. D‘Amato UNHCR / K. Gebre Egziabher

Seite 21 von links oben nach rechts: Thomas Prieto-Peral UNHCR / M. Varzariu UNHCR / Guardia Costiera UNHCR / P. Hajdú UNHCR / S. Baldwin Thomas Prieto-Peral UNHCR / S. Baldwin UNHCR / A. Rodríguez

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imPRessumVisdP.: Sarah Hergenröther

Save Me München c/o Münchner Flüchtlingsrat Goethestr. 53 80335 München

Layout: Sergio Magallanes Text: Sarah Hergenröther

Save Me München wird gefördert von: Landeshauptstadt München und UNO-Flüchtlingshilfe

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unteRstÜtZen sie FlÜchtlinge!Vielleicht gibt es in Ihrer Stadt auch eine Save Me Kampagne, bei der Sie aktiv werden können. Schauen sie auf www.save-me-kampagne.de nach. Oder fragen Sie bei den lokalen Wohlfahrtsverbänden, Flücht-lingsorganisationen oder in Gemeinschaftsunterkünften, was Sie tun können: Hausaufgabenhilfe oder Deutschunterricht, Begleitung zu den Behörden oder die Organisation von Ausflügen. Tun kann man viel!

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www.save-me-kampagne.de