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2. Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult 2.1. Die Kirche und die Heiligen in Schweden vor 1250 Vor dem Hintergrund der im ersten Kapitel umfassender charakterisierten Geschichte der Heiligenideale und Heiligenbilder im lateinischen Europa ist nun der schwedische Raum in den Blick zu nehmen. Die Missions- und frühe Kirchengeschichte Schwedens 1 ist aufgrund der schlech- ten Quellenlage schwer zu rekonstruieren, auch wenn von Kontakten der Svear mit dem Christentum seit dem 6. Jahrhundert auszugehen ist. Die ausführlichsten Quellen für die Wikinger- oder Missionszeit von etwa 800 bis 1050 sind die Vita Anskarii von Rimbert (um 870), die Gesta Hammaburgensis ecclesiae Pontificum des Adam von Bremen (um 1075) sowie die Gesta Danorum des Saxo Grammaticus (um 1200). Da- neben liefern Runeninschriften, arch ologische Quellen und Bischofs-, Königs- und Heiligenlegenden Informationen. 2 Aus diesen Quellen ist zu folgern, dass die Chris- tianisierung Schwedens ein langanhaltender Prozess gewesen ist, der sich überwie- gend friedlich, ohne Zwangsbekehrungen, vollzogen hat. Rimbert und Adam berich- ten von den ersten schwedischen Missionen des Mönches Ansgar 829/30 und zwi- schen 849 und 854 in Birka. Kurz darauf erhielt das Erzbistum Hamburg (ab 847/8 Hamburg-Bremen) unter Ansgar, der zum Erzbischof ernannt worden war, die Ober- hoheit über die skandinavische Kirche. Jene Berichte sind kritisch zu behandeln, da Adam bestrebt war, die Bedeutung seines Erzbistums bei der Schwedenmission her- ä ä ä ä 1 Wenn im Folgenden von Schweden gesprochen wird, ist damit das Schweden in den mittelal- terlichen Grenzen gemeint, das aus der Vereinigung der Gebiete der Svear (Svitjod/Svealand – das mittelschwedische Gebiet um den M larsee) und der Gebiete der Götar (Götaland – die süd- schwedischen Gebiete um V ner- und V ttersee) hervorging. Schonen im heutigen Südschweden, Halland und Blekkinge waren seit dem 9. Jahrhundert d nisch. 2 Aufgrund der marginalen schriftlichen Überlieferungen sind die Inschriften auf den Runensteinen von besonderer Bedeutung. Sie erlauben es, die Ausbreitung des Christentums in Schweden bis in das 11. Jahrhundert nachzuvollziehen. Auch wenn die meisten Runensteine eindeutig Memori- alzeugnisse sind, enthalten sie theologische Aussagen und belegen durch den großen christlichen Wortschatz in der Volkssprache die Benutzung derselben in Kirche und Predigt. TEGBORG, kyrko- historia 1, S. 13, 35f.; SAWYER, Scandinavia, S. 157f.; NILSSON, Schweden, S. 643; WILLIAMS, Gud hj lpe hennes sj l, S. 177–184. Ü ä ä ä ä ä ä ä 184 Ü ä Unauthenticated | 87.196.181.98 Download Date | 8/30/13 12:32 PM

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2. Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit tund Kult

2.1. Die Kirche und die Heiligen in Schweden vor 1250

Vor dem Hintergrund der im ersten Kapitel umfassender charakterisierten Geschichteder Heiligenideale und Heiligenbilder im lateinischen Europa ist nun der schwedischeRaum in den Blick zu nehmen.

Die Missions- und frühe Kirchengeschichte Schwedens1 ist aufgrund der schlech-ten Quellenlage schwer zu rekonstruieren, auch wenn von Kontakten der Svear mitdem Christentum seit dem 6. Jahrhundert auszugehen ist. Die ausführlichsten Quellenfür die Wikinger- oder Missionszeit von etwa 800 bis 1050 sind die Vita Anskarii vonRimbert (um 870), die Gesta Hammaburgensis ecclesiae Pontificum des Adam vonBremen (um 1075) sowie die Gesta Danorum des Saxo Grammaticus (um 1200). Da-neben liefern Runeninschriften, arch ologische Quellen und Bischofs-, Königs- undHeiligenlegenden Informationen.2 Aus diesen Quellen ist zu folgern, dass die Chris-tianisierung Schwedens ein langanhaltender Prozess gewesen ist, der sich überwie-gend friedlich, ohne Zwangsbekehrungen, vollzogen hat. Rimbert und Adam berich-ten von den ersten schwedischen Missionen des Mönches Ansgar 829/30 und zwi-schen 849 und 854 in Birka. Kurz darauf erhielt das Erzbistum Hamburg (ab 847/8Hamburg-Bremen) unter Ansgar, der zum Erzbischof ernannt worden war, die Ober-hoheit über die skandinavische Kirche. Jene Berichte sind kritisch zu behandeln, daAdam bestrebt war, die Bedeutung seines Erzbistums bei der Schwedenmission her-

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1 Wenn im Folgenden von Schweden gesprochen wird, ist damit das Schweden in den mittelal-terlichen Grenzen gemeint, das aus der Vereinigung der Gebiete der Svear (Svitjod/Svealand –das mittelschwedische Gebiet um den M larsee) und der Gebiete der Götar (Götaland – die süd-schwedischen Gebiete um V ner- und V ttersee) hervorging. Schonen im heutigen Südschweden,Halland und Blekkinge waren seit dem 9. Jahrhundert d nisch.

2 Aufgrund der marginalen schriftlichen Überlieferungen sind die Inschriften auf den Runensteinenvon besonderer Bedeutung. Sie erlauben es, die Ausbreitung des Christentums in Schweden bisin das 11. Jahrhundert nachzuvollziehen. Auch wenn die meisten Runensteine eindeutig Memori-alzeugnisse sind, enthalten sie theologische Aussagen und belegen durch den großen christlichenWortschatz in der Volkssprache die Benutzung derselben in Kirche und Predigt. TEGBORG, kyrko-historia 1, S. 13, 35f.; SAWYER, Scandinavia, S. 157f.; NILSSON, Schweden, S. 643; WILLIAMS,Gud hj lpe hennes sj l, S. 177–184.

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60 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

vorzuheben, Saxo die Oberhoheit des jüngeren dänischen Erzbistums über die schwe-dische Kirche, Rimbert dagegen die Notwendigkeit einer weiteren von Hamburg-Bremen ausgehenden Missionierung Skandinaviens.3

Ein bedeutender Fortschritt in der Missionierung Schwedens wurde mit der Kon-version der schwedischen Herrscher erreicht. Nach den ersten christlichen Königenin Dänemark und Norwegen sowie der Konversion Islands nahm möglicherweise um1000 der schwedische König Olaf Eriksson „Schoßkönig“ (Skötkonung) das Chris-tentum an.4 Im gesamten 11. Jahrhundert waren deutsche und englische Einflüsse aufdie Kirche in Schweden wirksam; in der älteren Forschung diskutierte byzantinischeEinflüsse sind nicht zu belegen.5

Kirchenpolitisch bedeutsam sind für diese Zeit Bischöfe und Missionare aus demReich. In der Mission wirkten dagegen besonders in Götaland und in der Mälarregi-on angelsächsische Missionsbischöfe und Missionare, deren Einfluss lange zugunstendeutscher Einflüsse unterschätzt wurde. Diese Missionare wurden vermutlich von ein-heimischen Fürsten und Stammeshäuptlingen ins Land geholt und sicher von diesengefördert. Das Wirken der Missionare vollzog sich parallel zu den weiter bestehen-den und praktizierten paganen Traditionen. Ein paganes Zentrum, über das bereitsAdam in seiner Gesta bericht hatte,6 war Gamla Uppsala (Alt Uppsla), welches seineBedeutung auch im christlichen Mittelalter lange beibehalten sollte.7 Der Kampf derersten Missionare gegen jene Traditionen wurde in den oft jüngeren Heiligenlegen-den entsprechend betont und es sind vor allem jene Legenden, die die Missionare derNachwelt vermittelten.8

Sigfrid von Schweden, ein Missionar und Bischof englischer Herkunft aus dem11. Jahrhundert, wurde in Växjö, wo sich nach der Legende sein Grab befand, ver-

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3 Ausgehend von Bremen entwickelte sich im Frühmittelalter um Ansgar ein Kult, welcher überLund im 14. und 15. Jahrhundert auch die schwedischen Kirchenprovinzen erfassen sollte.ADAM, GESTA HAMMABURGENSIS; TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 49–53; SAWYER, Scandi-navia, S. 148f.; DINZELBACHER, Ansgar, S. 17; NILSSON, Schweden, S. 642; SAWYER, conver-sion histories, S. 92–94, 96–99. Zur Vita Anskarii und der Gesta Hammaburgensis siehe auch:MÖLLER, Håkan: Helgonbiografi och biskopshistoria; Två texter ur den kontinentala kloster- ochkyrkokulten som källor till Sveriges tidiga kyrkohistoria, in: Tegborg, kyrkohistoria 1, S. 160–167.

4 Es ist möglich, dass die Taufe Olafs im Jahre 1000 eine spätere legendarische Konstruktion ist.Sicher errichtete Olaf das Bistum Skara in seinem Machtzentrum, dem christlichen Västergötland,und musste sich einer vom heidnischen Uppsala ausgehenden starken Opposition erwehren. TEG-BORG, kyrkohistoria 1, S. 28–31, 65–67; SAWYER, Scandinavia, S. 148f.

5 Konkret handelt es sich um byzantinisch beeinflussteWandmalereien auf Gotland und in Torpa, Sö-dermanland, die sich kunsthistorisch jeweils auf Einflüsse aus Novgorod, vermittelt durch Händlernach Gotland bzw. aus Sizilien, vermittelt durch die Johanniter in Eskilstuna, zurückführen lassen.NILSÉN, Painting, S. 464; NILSSON, Schweden, S. 642; TEGBORG, KYRKOHISTORIA 1, S. 63f.

6 ADAM, GESTA HAMMABURGENSIS, S. 257–260.7 SAWYER, Scandinavia, S. 154; KŁOCZOWSKI, Ausbreitung, S. 911. Zu Gamla Uppsala siehe:

GRÄSLUND, Ann-Sofie: Gamla Uppsala – templet och kyrkan, in: Tegborg, kyrkohistoria 1,S. 168–176.

8 TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 57–61; SAWYER, conversion histories, S. 105–107.

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Die Kirche und die Heiligen in Schweden vor 1250 61

ehrt. Er wird bereits in der Gesta Hammaburgensis erw hnt. In V xjö wurde 1206 dieGesta beati Sigfridi verfasst; im frühen 13. Jahrhundert ein Offizium für seinen Fest-tag am 15. Februar, welches in einer überarbeiteten Form – De Sancto Sigfrido – ausder zweiten H lfte des 14. Jahrhunderts bis in das 16. Jahrhundert im Dom von V xjöverwendet worden ist. Auch wenn sich das Kultzentrum im Bistum V xjö befand,war Sigfrid in ganz Schweden bekannt; in einem Brief bezeichnete ihn König Ma-gnus II. Eriksson 1349 als Schutzpatron von ganz Schweden, als Beatissimi Sigfridiregni nostri Suecie patroni.9 Eskil, ein weiterer angels chsischer Missionsbischof, derin Schweden gewirkt hat, wurde nach seinemMartyrium in Tuna, dem sp teren Eskil-stuna begraben. Bereits im Vallentuna-Kalendarium von etwa 1198 ist der 11. Juni alsFesttag des Eskil genannt. Um 1300 verfasste Bischof Brynolf Algotsson10 ein Reim-offizium für Eskils Festtag, das Zentrum seiner Verehrung lag im Bistum Str ngn s.11

Botvid war der Legende nach ein Schwede, der Anfang des 12. Jahrhunderts in Eng-land christlich erzogen und getauft worden ist, bevor er wieder in der Heimat alsMissionar wirkte. Nach seinem Martyrium, er soll von einem wendischen Sklavenmit der Axt erschlagen worden sein, fand er sein Grab in Botkyrka nahe dem heutigenStockholm. Teile der Botvidslegende sind aus der zweiten H lfte des 13. Jahrhundertserhalten geblieben; sein Festtag wurde am 28. Juli im Bistum Str ngn s gefeiert.12

David von Munktorp, der Legende nach ein Cluniazenser aus England, war durchdas Martyrium Sigfrids angeregt worden, in Schweden zu missionieren. Das ersehnteMartyrium wurde ihm nicht zuteil, dennoch wurde er im Bistum V sterås als der ers-te Bischof verehrt. Sein Festtag war der 25. Juli, seine Legende entstand erst im 15.Jahrhundert.13

Neben den Missionaren ist als Heilige des frühchristlichen Schwedens Helena vonSkövde zu nennen. Der Legende nach war sie früh Witwe, führte ein frommes Leben,pilgerte nach Jerusalem und wurde um 1160 mit der Axt erschlagen, weil sie f lsch-licherweise verd chtigt wurde, zum Mord an einen Verwandten angestiftet zu haben.Sie wurde in der von ihr errichteten Kirche in Skövde im Bistum Skara beigesetzt;hier sollen sich bald nach ihrem Tod Wunder ereignet haben, die Kirche wurde einPilgerziel. Ihr Festtag wurde im Bistum Skara am 30. Juli gefeiert, in den anderenschwedischen Bistümern am 31. Juli. Erzbischof Stefan von Uppsala ersuchte PapstAlexander III. 1164 um die Best tigung des Kultes um Helena in der schwedischen

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9 ADAM, GESTA HAMMBABURGENSIS, S. 118, 125, 156, 268 (evtl. zwei verschiedene Personen);DE SANCTO SIGFRIDO. Zu Sigfrids Legende und Kult: LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 47–73,bes. 48–50, 52, 60–62, 176f.; LINDBERG, Missalien, S. 311f.

10 Zu Bischof Brynolf Algotssons Autorschaft siehe LUNDÉN, religiösa litteratur, S. 135–138.11 OFFICIUM SANCTI ESKILLI E BREVIARIO SKARENSI. AUCTORE S. BRYNOLPHO EPISCOPO

SCARENSI in SRS II; Uppsaliae 1828, S. 400–402. LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 234–246;LUNDÉN, religiösa litteratur, S. 139f.; LINDBERG, Missalien, S. 312f.; NILSSON, Schweden,S. 645.

12 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 247–260, bes. 247–257; LUNDÉN, religiösa litteratur, S. 126f.;LINDBERG, Missalien, S. 315f.

13 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 261–268; LINDBERG, Missalien, S. 314f.

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62 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Bevölkerung. Nachdem dieser gebilligt wurde, erklärte Stefan den Kult sicher für dasBistum Skara, eventuell auch für die anderen Bistümer Schwedens für offiziell. Um1288 verfasste Bischof Brynolf Algotsson für das Helenafest ein Reimoffizium nachälteren Traditionen.14

Der Kult um Maria hat in Schweden parallel zur Heiligenverehrung schon früh ei-ne große Rolle gespielt. Die Ursache hierfür liegt sicherlich in der großen BedeutungMarias für die angelsächsischen und auch deutschen Geistlichen, die im 11. Jahrhun-dert in Schweden gewirkt haben.15 Besonders deutlich wird die Marienverehrung inSchweden im 11. Jahrhundert anhand der Runensteine. Es fällt auf, dass auf diesennur Christus, Maria und der Erzengel Michael namentlich genannt werden; Gottvater,der Heilige Geist und Heilige aber keine Erwähnung finden. Maria wird in den In-schriften auf den Steinen mit „Maria“, „Heilige Maria“ oder „heilige Heilige Maria“angesprochen. In den meisten Fällen wird sie in Verbindung mit Bitten für Verstorbe-ne angesprochen, sie muss als mächtige Fürsprecherin für ein gutes Leben nach demTod gegolten haben. Geradezu exemplarisch ist daher die Inschrift auf dem Runen-stein in Risbyle in Uppland: Gud och Guds moder hjälpe hans ande och själ, förlönehonom ljus och paradis.16

Gegen die Jurisdiktionsansprüche Hamburg-Bremens wurden im 12. Jahrhundert inSkandinavien nationale Erzbistümer errichtet; so 1104 Lund, ursprünglich vermutlichfür ganz Skandinavien;17 1153 Drontheim für Norwegen und 1164 – nach der weit-gehenden Einigung der Gebiete der Svear und der Götar – Uppsala für Schweden.Bis zur Reformation war der Erzbischof von Uppsala dem Erzbischof von Lund alsPrimas de iure unterstellt.18 Dass gerade Gamla Uppsala und nicht ältere Bischofssit-ze der Sitz des schwedischen Erzbischofs wurde, wird mit der Bedeutung von GamlaUppsala bereits in vorchristlicher Zeit und mit dem Kult um Erik, der in Uppsala vonDänen ermordet worden sein soll, begründet. Der Sitz des Erzbischofs wurde 1273,gemeinsammit den Reliquien der Schutzheiligen Lars, Erik und Olaf, nach Östra Arosverlegt, das aber den Namen Uppsala übernahm. Erster Erzbischof Schwedens wurde1164 der Zisterzienser Stefan aus Alvastra; die Politik seiner Nachfolger ist von derlatenten Auseinandersetzung mit Lund geprägt.19

In Bezug auf die innerschwedische Kirchenorganisation sind mit einiger Sicherheitfür das Jahr 1100 nur die Bischofssitze in Skara, Linköping und Sigtuna anzunehmen;

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14 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 102–145, bes. S. 122, 126, 130–133, 138; LUNDÉN, religiösalitteratur, S. 138f.; LINDBERG, Missalien, S. 316f.

15 Härdelin und Hallencreutz rekonstruieren die Marienverehrung von Ansgar und den englischenMissionaren. HÄRDELIN, Guds Moder, S. 18–26; HALLENCREUTZ, Jungfru Maria, S. 67f.

16 Den ersten Teil dieser Fürbitte Gud och Guds moder hj lpe hans ande och sj l fand ich auch inEskilstuna auf der Eskilstunakistor, einem Grabmonument aus dem 12. Jahrhundert. WILLIAMS,Maria i Sverige, S. 77–82; HALLENCREUTZ, Jungfru Maria, S. 71.

17 Die erhaltenen Quellen belegen nicht eindeutig, ob Lund ursprünglich nur Metropolie für Däne-mark oder ganz Skandinavien gewesen ist. PARISSE, Die christlichen Reiche, S. 132f.

18 TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 73–77; SAWYER, Scandinavia, S. 154f.; LINDBERG, Missalien,S. 35; ORRMAN, Church and society, S. 430f.

19 TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 142–147; PERNLER, kyrkohistoria 2, S. 29–33.

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Die Kirche und die Heiligen in Schweden vor 1250 63

in der „Florensliste“ von kurz nach 1120 werden die schwedischen Bischofsst dteSkara, Sigtuna, Linköping, Eskilstuna, Str ngn s und V sterås genannt. Unsicher ist,wann nach 1100 das Bistum Linköping gegründet wurde, welches im 12. Jahrhundertdas bedeutendste schwedische Bistum werden sollte. Ebenso unsicher ist, ab wannGotland zum Bistum Linköping gehörte und ob es dort zuvor eine eigene Kirchen-struktur gegeben hat. Um 1140 wurde der Bischofssitz von Sigtuna in das bis etwa1080 pagane Zentrum Alt-Uppsala verlegt; das Bistum von Eskilstuna vor 1250 mitdem nach 1100 entstandenen Bistum Str ngn s vereinigt. 1170 wurde in V xjö einBischofssitz eingerichtet und 1220 das Bistum Finnland gegründet, welches aber erst1300 mit Åbo einen Bischofssitz erhielt. In Skara wurde bereits 1220 ein Regularka-pitel nach der Augustinusregel gegründet, Linköping bekam 1232, Uppsala 1247/48ein S kularkapitel. Bis in das ausgehende 13. Jahrhundert verfügte jeder schwedischeBischofssitz über ein eigenes, oft vom Königtum wirtschaftlich unterstütztes Kathe-dralkapitel.20

Die Entstehung des Pfarreisystems fand in Schweden um 1250 weitgehend seinenAbschluss. Im Süden vollzog sich die Pfarreibildung schneller als im Norden, wasmit den Einflüssen D nemarks und Norwegens auf die Götaregion begründet werdenkann. Sowohl im Götaland als auch in der M larregion und nördlich davon gingendie ersten Kirchengründungen auf lokale M chtige und Landbesitzer zurück. Dieseließen nicht nur Kirchen errichten, sondern setzten h ufig auch die Geistlichen ein.Den – oft ausl ndischen – Bischöfen oblagen in dieser Zeit die Konsekration der Kir-chen, die Ordination des Klerus und die Sorge um die Ausbildung der Geistlichkeit.Um diese lteren Kirchen herum entstanden die ersten Pfarreien, wobei die Einfüh-rung des Kirchenzehnts in der ersten H lfte des 12. Jahrhunderts mitwirkte. Oft wardie Pfarreibildung an vorchristlichen Verh ltnissen, etwa an Tingpl tzen oder paga-nen Kultst tten, orientiert.21 Im 13. Jahrhundert war die innerschwedische Kirchen-organisation auf Bistums- und Pfarreiebene weitestgehend festgelegt. Die BistümerLinköping, Skara und Uppsala wiesen die höchste Zahl an Pfarreien auf, auch wennderen Größe stark variieren konnte.22

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20 TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 79–85, 92–96, 148; SAWYER, Scandinavia, S. 155; DAHLBÄCK,Schweden, Sp. 1633; NILSSON, Schweden, S. 645; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 241.

21 Grundlegend BRINK, Sockenbildningen, S. 120–125, 137f.; TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 70, 98–100; SAWYER, Scandinavia, S. 155f.; ORRMAN, Church and society, S. 434f.; NILSSON, Schwe-den, S. 645.

22 Die Situation um 1250 stellte sich wie folgt dar (nach ORRMAN, Church and society, S. 437):

Bistum Größe des Bistums Zahl der Pfarreien durchschnittl. Größe d. Pfarreien

Skara 41740 km2 630 66,3 km2

Linköping 40300 km2 492 81,9 km2

Uppsala c. 130000 km2 318 408,0 km2

Strängnäs 13400 km2 145 92,4 km2

Västerås 39890 km2 60 655,0 km2

Växjö 6930 km2 60 115,5 km2

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Auch wenn damit die Entwicklung der kirchlichen Infrastruktur in Schweden lang-samer vonstatten ging als in Norwegen oder Dänemark, waren breitere Bevölkerungs-schichten bereits im 10. und 11. Jahrhundert christlich, was durch Runeninschriftenbelegt wird.23

Im gesamten mittelalterlichen Schweden, besonders ausgeprägt in Götaland, stütz-ten sich das frühe Königtum und die christliche Kirche gegenseitig, was in der Vereh-rung von Königen als Heilige deutlich wird. Inge der Ältere konnte sich in der Früh-zeit der schwedischen Kirche nach Rückschlägen gegen die pagane Reaktion durch-setzen, etablierte das Christentum bei den Svear und soll um 1110 eines natürlichenTodes gestorben sein. König Sverker der Ältere soll in der Mitte des 12. Jahrhundertssehr aktiv im Aufbau der Kirche von Östergötland gewesen sein, bevor er unter nichtgeklärten Umständen um 1156 bei Alvastra umkam. König Sverker der Jüngere er-kannte in einem Privileg von 1200 die Immunität der Geistlichen von der weltlichenGerichtsbarkeit (privilegium fori) und die Freistellung des Kirchengutes von könig-lichen Steuern an. Es ist aber zu betonen, dass erst 1210 Erik Knutsson als ersterschwedischer König nach christlichem Ritus gekrönt und gesalbt und somit als Per-son – unabhängig von der Dynastie – sakral in seiner Herrschaft legitimiert wurde.24

Besondere Bedeutung erlangte der Kult um Erik IX. Jedvardsson, der, Nachfahre vonKönig Inge dem Älteren aus dem Geschlecht der Stenkil, als schwedischer König um1150 seine Machtbasis in Västergötland besaß. Der Name seines Vaters, Jedvard (Ed-ward), verweist auf englische Kontakte. Mit Bischof Heinrich von Finnland soll Erikeinen Missionsfeldzug nach Finnland unternommen haben.25 Der Legende zufolgewurde Erik am Himmelfahrtstag 1160 in Uppsala von Magnus Henriksson, einemdänischen Thronrivalen, der zwar mütterlichseits erbberechtigt, aber Ausländer war,nach der Messe erschlagen. Daher kann im eigentlichen Sinne nicht von einem Mar-

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23 Von 2000 in das 10. und 11. Jahrhundert datierten skandinavischen Runensteinen stammen et-wa 1750 aus Schweden, von diesen 1000 aus Uppland, einer sehr spät mit einer Kirchenstrukturversehenen Region. Auf diesen Runensteinen sind ganz überwiegend christliche Texte erhaltengeblieben, die eine große Verinnerlichung der christlichen Lehren in der Bevölkerung erkennenlassen. KŁOCZOWSKI, Ausbreitung, S. 918.

24 Das Phänomen des Königsheiligen trat in ganz Skandinavien auf, wie die Verehrung des hl. OlafHaraldsson in Norwegen und die Verehrung des hl. Knut in Dänemark belegen. Nach angelsächsi-schem Vorbild wurde der Kult um Könige gezielt eingesetzt, um herrschende Dynastien zu legiti-mieren. Zugleich profitierte die Kirche von einer starken und der Kirche gewogenen Königsmacht.Regional beförderten Kulte um Herrscher die politische, spirituelle und wirtschaftliche Bedeutungder Orte, in denen die Gebeine oder Reliquien der Herrscher verehrt wurden. Oft entwickelten sichhieraus Wallfahrtszentren, wie etwa Nidaros in Norwegen oder Uppsala in Schweden. TEGBORG,kyrkohistoria 1, S. 132–138; LINDKVIST, Kings, S. 226–229; NILSSON, Schweden, S. 644; FRÖJ-MARK, helgonkungarna, S. 191–198; NYBERG, Erik, S. 171; KŁOCZOWSKI, Ausbreitung, S. 889,911. Siehe auch HOFFMANN, heilige Könige.

25 GLORIOSUS MARTYR DEI ERICUS, S. 158f.; VITA S. ERICI, nach THORDEMAN, Erik, S. XII;LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 304. Siehe auch WESTMAN, Knut: Erik den helige och hans tid,in: THORDEMAN, Erik, S. 1–108.

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tyrium f r den Glauben gesprochen werden.26 Zwischen 1167 und 1198 wurde ervom Erzbischof von Uppsala heilig gesprochen, seine Gebeine in einem Schrein aufdem Altar des Doms St. Laurentius in Gamla Uppsala aufbewahrt. Da nach der Le-gende Erik am Himmelfahrtstag 1160 erschlagen wurde, dieser aber auf den 5. Maifiel, wird vermutet, dass der 18. Mai den Tag seiner Schreinlegung bezeichnet.27 Dasvermutlich um 1150 entstandene, möglicherweise englisch geprägte Domkapitel vonUppsala scheint in Erik seinen Gr nder gesehen und seinen Kult gefördert zu haben.28

Zugleich geriet der fr he Kult im 12. Jahrhundert in die machtpolitischen Auseinan-dersetzungen zwischen dem Geschlecht der Sverker und der Eriker. Das Geschlechtder Eriker setzte sich durch und verehrte Erik als „ihren“ Heiligen; ebenso sahen spä-ter die Folkunger in Erik einen Patron ihrer Dynastie.29

Vermutlich im 12. Jahrhundert entstand eine erste heute nicht mehr erhaltene Eriks-legende, die Grundlage f r zwei berlieferte Legenden wurde; eine k rzere mit demBeginn Gloriosus martyr dei ericus30 sowie eine längere Vita S. Erici.31 Vor 1300entstand ein Reimoffizium, welches, ergänzt mit der Erikssequenz Gratulemur dul-ci prosa, zentraler Bestandteil des Eriksoffiziums Adest dies leticie wurde, das amals Todestag gedeuteten 18. Mai Verwendung fand.32 Als Verfasser der Vita S. Ericiund des Eriksoffiziums wird Israel Erlandsson, von vor 1280 bis 1291 Kanoniker inUppsala, ab 1291 Dominikaner in Sigtuna und ab 1309 Bischof von Västerås, ange-nommen.33 Dieser stellte außerdem von etwa 1265 bis 1310 zweiundf nfzig Wunder-berichte in der Miracula S. Erici zusammen,34 die Erik zugeschrieben worden sind.Diese Wunderberichte belegen die Verehrung von Erik seit seinem Tod35 in allen ge-sellschaftlichen Schichten.36 Die in der Kirche von Gamla Uppsala erhobenen Gebei-ne wurden spätestens 1274 nach Östra Aros/Uppsala berf hrt. Als Erinnerungstagan die Translatio sancti Erici wurde der 24. Januar gewählt, der zwischen 1344 und

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26 VITA S. ERICI, nach THORDEMAN, Erik, S. XIII; AHNLUND, Erikskulten, S. 115f.27 HOFFMANN, heilige Könige, S. 198; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 298f.28 In den Quellen nur Andeutungen in Bezug auf das Domkapitel: GLORIOSUS MARTYR DEI ERI-

CUS, S. 158; VITA S. ERICI, nach THORDEMAN, Erik, S. XIf.29 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 297–306; HOFFMANN, heilige Könige, S. 197–204; HESS, Hei-

lige, S. 75f.30 GLORIOSUS MARTYR DEI ERICUS; AHNLUND, Erikskulten, S. 158f., 170.31 VITA S. ERICI. LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 538 Anm. 339; HOFFMANN, heilige Könige,

S. 197. Insgesamt zu den Erikslegenden SCHMID, Erik den Helige, S. 155–159; LUNDÉN, Sverigeskristnande, S. 294, 303f.

32 ADEST DIES LETICIE, S. 310f.; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 309–316.33 AHNLUND, Erikskulten, S. 132; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 309.34 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 311.35 VITA S. ERICI, nach THORDEMAN, Erik, S. XIII.36 Heilungswunder geschahen nach der Wundersammlung an Kindern (MIRACULA S. ERICI,

S. 282), an Bauern (etwa S. 278), an einem Handwerker (S. 308), an Adligen (S. 290, 296, anFranziskanern (S. 278), an Priestern (etwa S. 280), an einem Erzbischof (S. 310) und sogar am Kö-nig Birger Magnusson (S. 296). AHNLUND, Erikskulten, S. 132f.; LUNDÉN, Sveriges kristnande,S. 311–315.

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66 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

1419 zum Erikstag umgedeutet wurde. Am 18. Mai fanden Prozessionen mit dem dieGebeine von Erik enthaltenden Schrein auf einer Bahre statt, der über das Land ge-tragen wurde. Diese Tradition scheint so alt wie der Erikskult selbst zu sein. In derersten Hälfte des 14. Jahrhunderts scheint Erik nicht nur als Schutzpatron des BistumsUppsala, sondern auch als schwedischer Reichspatron anerkannt worden zu sein. AlsPatron des schwedischen Königtums wurde er aber erst im 15. Jahrhundert verehrt.Dabei wurde der Kult um Erik mit den Kulten um Olaf von Norwegen und Knut vonDänemark verbunden; die drei wurden als die drei nordischen heiligen Könige verehrt,was mit den skandinavischen Unionsbemühungen im 15. Jahrhundert in Zusammen-hang steht. Zugleich war Erik aber auch weiterhin ein Symbol für die schwedischeUnabhängigkeit.37

Bischof Heinrich von Uppsala, der 1154/55 mit König Erik den Missionskreuzzugnach Nordfinnland organisiert hat und 1156 in Köyliö erschlagen worden sein soll,wurde im 14. Jahrhundert als Heiliger in Uppsala verehrt. Sein erst im 13. Jahrhun-dert fassbarer Kult konzentrierte sich jedoch auf Finnland, hier wurde er 1396 mitMaria Schutzpatron der Domkirche in Åbo; in diese Kirche wurden seine Gebeineaus Nousiainen transferiert. Um 1300 entstand für seinen Festtag, den 20. Januar, einOffizium.38

Ebenfalls in Verbindung mit Erik dem Heiligen steht Holmger, ein Ururenkel vonErik. Nach dem Tod seines Vaters Knut Långe 1234 errang der aus dem dänischenExil zurückgekehrte Erik Eriksson, ebenfalls ein Nachfahre von Erik dem Heiligen,den schwedischen Thron. Dagegen organisierte Holmger einen Aufstand, wurde aber1247 von Erik Eriksson und Birger Jarl besiegt und 1248 enthauptet. Sein Grab fand erim von seinem Vater gegründeten Skokloster. Hier schufen die Zisterzienserinnen fürihn ein Leichentuch mit einer Darstellung Holmgers und dem umlaufenden Schrift-zug: Natum preclara regali stirpe Sueorum/ Holmgerummorum speculummors stravitamara./ Hicque cubat capite plexus, sed mors preciosa/ Monstratur rite multis signisspeciosa. Der Kult um Holmger muss sich rasch in Uppland nach Norden verbreitethaben, ist in Quellen aber erst im 16. Jahrhundert sicher zu fassen.39

In allen Bistümern etwa gleichwertig ausgeprägt war der Kult um Olaf II. Haralds-son, den heiligen Olaf von Norwegen. Dieser starb im Kampf um seinen Thron am29. Juli 1030 in der Schlacht von Stiklestad; er wurde 1031 in der Clemenskirche inDrontheim aufgebahrt und vor 1100 unter dem Altar der neu errichteten Christuskir-che, dem späteren Dom zu Drontheim, beigesetzt. Sein Festtag wurde der 29. Juli;der älteste Beleg für seine liturgische Verehrung stammt aus der Zeit um 1060. Im12. Jahrhundert entstanden eine passio und miracula, verfasst von Erzbischof Eystein(Øystein Erlendsson) von Drontheim nach älteren Vorlagen sowie mehrere Sagas nor-

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37 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 316, 318; AHNLUND, Erikskulten, S. 130–138; PERNLER, kyr-kohistoria 2, S. 33; LINDBERG, Missalien, S. 307–309.

38 AHNLUND, Erikskulten, S. 128; LUNDÉN, religiösa litteratur, S. 142f.; LUNDÉN, Sveriges kristn-ande, S. 326–344.

39 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 353–355.

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Die Kirche und die Heiligen in Schweden vor 1250 67

wegischer und isl ndischer Herkunft.40 In Schweden ist Olaf ausgeprochen popul rgewesen. Die bereits erw hnte Passio et miracula beati Olavi geht auf das 11. Jahrhun-dert zurück und war auch in Schweden verbreitet. Es konnte nachgewiesen werden,dass im 12. Jahrhundert der Kult um Olaf in einigen Gebieten Schwedens den Kultum Thor ersetzt hat. Die Dominikaner nahmen ihn nach ihrer Ankunft in Schwedenals ihren speziellen Heiligen in den ordensinternen Kult auf; die Dominikanerkonven-te in Skara und Sk nnige waren ihm geweiht. Das Domkapitel in Uppsala suchte denKult um Olaf, der mit dem Kult um Erik stark konkurrierte, zu begrenzen, was sichin der geringeren liturgischen Verehrung von Olaf im Bistum Uppsala, verglichen mitanderen schwedischen Bistümern, zeigt.41

Einen wichtigen Schritt in der Binnenmission stellte im 12. Jahrhundert die Ansied-lung verschiedener Orden in Schweden dar. Dabei scheinen die Benediktiner keinegroße Bedeutung gehabt zu haben. Zwar siedelten unweit der Kathedrale von Uppsalanach 1160 Benediktiner, doch wurde ihre Gemeinschaft im frühen 13. Jahrhundert inein Kathedralkapitel umgewandelt. Möglicherweise gab es in Vreta bei Linköping um1100 Benediktinerinnen.42 Erst Zisterzienser von der Linie aus Clairvaux gründetenKlöster in größerer Zahl.43 Das erste 1143 gegründete schwedische Zisterzienserklos-ter Alvastra in Östergötland war eine Gründung von König Sverker I. dem Älteren undseiner Frau Königin Ulvhild. Mit dieser Gründung wurde eine enge Verbindung zwi-schen dem schwedischen Königtum und dem Zisterzienserorden begründet, von derbeide Seiten profitierten: das Königtum wurde durch den Orden in seiner Legitimit tgest rkt, andererseits fanden die Zisterzienser im Königtum einen entschiedenen För-derer. Das Geschlecht der Sverker fand in Alvastra seine Grablege; offen ist, ob KönigSverker selbst in Alvastra begraben worden ist.44 Ebenfalls 1143 veranlasste BischofGisle (Gislo) von Linköping die Gründung des Zisterzienserklosters Nydala in Små-land. Eine Tochtergründung von Alvastra war das um 1150 gegründete Varnhem inV stergötland, welches besonders vom Erikergeschlecht gefördert werden sollte. AlsTochterkloster von Nydala entstand 1164 das Zisterzienserkloster Gutnalia auf Got-land. Das 1160 in Viby (Uppland) gegründete Zisterzienserkloster zog 1185 nach Ju-leta (Julita) in Södermannland um.45 Die Bindung der Klöster an die Menschen in

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40 Im „Red Book of Darley“ von etwa 1060 wird der Olafstag erw hnt. Die wichtigsten Sagas chro-nologisch: die „Älteste Saga“, Island, Ende des 12. Jahrhunderts; die „Legendarische Saga“ ausNorwegen; die „Lífssaga Ólafs hins helga“ des Isl nders Styrmir Kárason und die „Ólafs saga hinshelga“ von Snorri Sturluson um 1250. LÖNNROTH, Literature, S. 515.

41 LINDBERG, Missalien, S. 319–323; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 485–487; ORRMAN, Churchand society, S. 457; LÖNNROTH, Literature, S. 515.

42 NYBERG, Monasticism, S. 415; TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 117.43 FRANCE, Cistercians, S. 1–26 zu der Zisterziensern in Skandinavien allgemein, S. 27–42 zu

Schweden; NYBERG, Monasticism, S. 416.44 KARLSSON, cistercienserklostren, S. 181, 199–214; HEDVALL, Östergötland, S. 229–232; FRAN-

CE, Cistercians, S. 27–31, 34f.; TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 120–122; NYBERG, Monasticism,S. 416.

45 KARLSSON, cistercienserklostren, S. 181; FRANCE, Cistercians, S. 31, 36, 40f.; TEGBORG, kyr-

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68 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

der Umgebung war eng. Zisterzienser übernahmen die Betreuung von Pfarreien; ih-re Klöster wurden Zentren der Alten- und Krankenpflege. Zisterzienser stellten desWeiteren päpstliche Gesandte und waren bis ins 14. Jahrhundert Vertraute von schwe-dischen weltlichen und geistlichen Großen.46 Mit der Ankunft der Zisterzienser inSchweden begann die zweite Welle der Marienverehrung in Schweden. Zisterziensi-sche Kirchen und Klöster wurden Maria geweiht, die zisterziensische Liturgie undLiteratur war auch in Schweden stark marianisch geprägt.47 Aus dem 12. Jahrhundertsind erste Marienabbildungen in der Kunst überliefert, meist handelt es sich um po-lychrome Holzskulpturen.48 Ab dem 12. Jahrhundert soll im Dom zu Linköping eineHaarlocke der Maria als Reliquie verehrt worden sein, für die im 15. Jahrhundert eineMarienkapelle entstand.49

Da die Existenz von Benediktinerinnen in Vreta unsicher ist, brachten wohl erstdie Zisterzienser eine monastische Lebensform für Frauen nach Schweden. Als be-deutendstes Zisterzienserinnenklöster galt das um 1162 gegründete Vreta, das vonKönig Karl Sverkersson und seiner Schwester Ingegerd angeregt und gefördert wur-de. Eine Tochtergründung von Vreta noch vor 1170 war Askaby (Askeby), östlich vonLinköping, ebenfalls eine Stiftung von König Karl Sverkersson. Das Zisterzienserin-nenkloster, das 1233 auf Fogdön im Mälarsee gegründet wurde, wurde um 1290 umeinige Kilometer verlegt, woraus das Kloster Vårfruberga entstand. Dieses Klosterwurde besonders vom Jarl Sigvard gefördert. In Småland wurde um 1180 das Zister-zienserinnenkloster Byarum gegründet, das um 1235 nach Sko im Mälarsee umzog.Die Tradition besagt, dass König Knut Holmgersson Långe den Umzug angeregt hat,er wurde auch in Sko begraben. Das in Västergötland nach 1160 gegründete Zisterzi-enserinnenkloster Gudhem wurde ebenfalls von König Karl Sverkersson gestiftet undspäter von Königin Katarina Sunesdotter, der Frau von König Erik Eriksson, geför-dert. Nach dem Tod ihres Mannes wurde Katarina Zisterzienserin in Gudhem und fand1252 hier ihr Grab. Das Risebergakloster in Närke nördlich des Vättersees entstand1370 auf Initiative des Jarl Birger Brosa, später wurde das Zisterzienserinnenklostervon König Erik Eriksson gefördert. Solberga bei Visby auf Gotland war eine Tochter-gründung von Vreta von vor 1248.50

In den genannten Zisterzienserinnenklöstern lebten und wirkten zahlreiche Frauenaus politisch einflussreichen Dynastien.51 Wie auch die Zisterzienserklöster erhiel-ten die Zisterzienserinnenklöster besonders im 12. Jahrhundert zahlreiche Krongüterübertragen.52 Vor 1350 gab es keine Augustiner- oder Prämonstratenserniederlassun-

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kohistoria 1, S. 123f., 126–129; NYBERG, Monasticism, S. 416.46 LINDBERG, Missalien, S. 370; FRANCE, Cistercians, S. 207–217, 225–232.47 HÄRDELIN, Guds Moder, S. 26–30.48 LIEPE, bilder av Maria, S. 87–101.49 Schriftlicher Hinweis im Dom zu Linköping. In der Literatur fand ich leider keine Hinweise hierzu.50 KARLSSON, cistercienserklostren, S. 181f., 194f.; TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 129–131; HED-

VALL, Östergötland, S. 224, 232–237; NYBERG, Monasticism, S. 189, 416.51 KARLSSON, cistercienserklostren, S. 197f.52 Dies ist das Ergebnis einer Auswertung der königlichen Donationen in Schweden vom beginnen-

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Die Kirche und die Heiligen in Schweden nach 1250 69

gen in Schweden.53 Die Johanniter siedelten sich, aus D nemark kommend, um 1185in Eskilstuna an.54

2.2. Die Kirche und die Heiligen in Schweden nach 1250

Die so charakterisierte frühe Geschichte der schwedischen Kirche erfuhr um 1250entscheidende Wandlungen. Ende Februar 1248 fand in Sk nnige in Östergötland dieerste schwedische Synode statt, an der der p pstliche Legat Kardinalbischof Wilhelmvon Sabina, der Erzbischof Jarler von Uppsala, die Bischöfe von Linköping, Skara,Str ngn s, V sterås und V xjö, der Jarl55 Birger Birgersson56 sowie weltliche Große(lagmannen, „Landrichter“) von Östergötland teilnahmen. Zentrale Themen waren dieFreiheit und die Verfassung der schwedischen Kirche, die auch als Reaktion auf dieAuseinandersetzungen um die Stellung der Kirche im Reich und die Unabh ngigkeitdes Patrimonium Petri in Italien diskutiert wurden. Im am 1. M rz 1248 ausgefertig-ten Statut stand an zentraler Stelle die Frage nach der Verbindlichkeit der kanonischenRechtspraxis nach dem Liber Extra, der Dekretalensammlung von Papst Gregor IX.und damit verbunden die grunds tzliche Frage nach der libertas ecclesiae. Problema-tisch war, dass fast alle schwedischen Priester Söhne von Priestern waren und selbstin ehe hnlichen Beziehungen lebten. Für den defectus natalium dieser Priester musstestets ein Dispens erbeten werden; ebenso für den 1207 gew hlten Erzbischof Valeriusvon Uppsala. Für die Zukunft wurde 1248 daher der Zölibat verbindlich festgelegt,auch wenn ltere, bereits verheiratete Priester nicht darauf verpflichtet wurden. Das

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den 12. Jahrhundert bis etwa 1220. KARLSSON, cistercienserklostren, S. 184f. Eine Betrachtungder Verteilung der Zisterzienser(innen)klöster kann die Bedeutung des Bistums Linköping für dieschwedische Kirche und das schwedische Königtum belegen. W hrend im Bistum Linköping mitAlvastra, Gutnalia, Vreta, Askaby und Solberga fünf Klöster des genannten Ordens existiert haben,gab es im Bistum Str ngn s drei (Juleta, Riseberga, Vårfruberga), im Bistum Uppsala eines (Sko),im Bistum Skara zwei (Varnhem, Gudhem) und im Bistum V xjö eines (Nydala). LINDBERG,Missalien, S. 368.

53 Lediglich in Schonen siedelten Benediktiner und Pr monstratenser. TEGBORG, kyrkohistoria 1,S. 114–120. In Bezug auf die Pr monstratenser vertritt Kłoczowski die Meinung, dass sie bereitsvor 1200 in Schweden gesiedelt h tten, was aber auf lteren, überholten Annahmen beruht. KŁOC-ZOWSKI, Konsolidierung, S. 697.

54 NYBERG, Monasticism, S. 416; ORRMAN, Church and society, S. 441f.55 Die Jarle, lat.

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duces oder comites, vertraten bei den Svearund Götar den König in dessen Abwe-senheit. Ab dem 12. Jahrhundert gab es nur noch einen Jarl in Schweden; dieser konzentrierte inseiner Person die Macht eines fr nkischen „Hausmeiers“, wie bei Birger Jarl deutlich werden soll-te. SAWYER, Peter H.: Jarl, LMA V, Sp. 303. Zu Wilhelm von Sabina und seinem Aufenthalt inSchweden 1248: LÜCKERATH, Carl A.: Wilhelm v. Modena, LMA IX, Sp. 157f.

56 Birger suchte als Jarl die Macht von König Erik Eriksson mit Hilfe der Kirche zu st rken. Nachdem Tod König Eriks ließ Birger seinen Sohn Waldemar zum König w hlen, führte bis zu seinemeigenen Tod aber für diesen die Regentschaft. STRAUCH, Dieter: Birger, Jarl, LMA II, Sp. 214.

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70 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Kircheneigentum, so wurde festgelegt, konnte fortan nicht mehr vererbt werden; dieBischöfe sollten durch Visitationen die Umsetzung dieser Beschlüsse kontrollieren.Jedes Bistum sollte einmal im Jahr, meistens im Hochsommer, eine dreitägige Pries-tersynode in der Bischofsstadt durchführen. Des Weiteren wurden die Domkapitel inihrer Bedeutung aufgewertet, sie sollten die Bischöfe unbeeinflusst von der Königs-macht wählen können, was um 1250 weitgehend anerkannt wurde. Außerdem wur-de die Priesterausbildung geregelt und die Liturgie vereinheitlicht. Schon um 1150war die Abgabe des Peterspfennigs in Schweden eingeführt worden; um 1200 wardas Zehntwesen weitgehend anerkannt und ersetzte vielerorts ältere Abgaben an diePriester oder Bischöfe. In einem großen Privileg bestätigte König Magnus Ladulås1281 die Steuerfreiheit kirchlicher Institutionen, die Anfang des 13. Jahrhundertszwar verkündet, aber nicht konsequent eingehalten worden ist.57 Im letzten Viertel des13. Jahrhunderts entstand neben dem weltlichen ein geistlicher Adelsstand (frälse58);die Mitwirkung von Bischöfen im Reichsrat ist seit 1282 belegt und wurde in der Mit-te des 14. Jahrhunderts auch offiziell festgeschrieben. Hinsichtlich der Beziehungenzu Rom war die schwedische Kirche bis in das 13. Jahrhundert hinein in vielen Berei-chen relativ selbstständig geblieben. Erst durch den Einfluss der Zisterzienser begannsich die schwedische Kirche etwa in ihrer Liturgie, die vorher angelsächsisch geprägtwar, stärker der römischen Kirche anzugleichen.59

Die zweite Gründungswelle von Klöstern stand im 13. Jahrhundert in Verbindungmit den Mendikantenorden. Die Dominikaner siedelten in Skandinavien bevorzugt inden Bischofsstädten, die Franziskaner gründeten ihre Niederlassungen häufig entlangder Handelswege zu Land und zu See. Während die Franziskaner in den Städten undauf dem Land breitere Schichten der Bevölkerung mit ihrer Seelsorge erreichten, wardas Wirken der Dominikaner in Schweden stärker aristokratisch und intellektuell ge-prägt. Die dominikanische Provinz Dacia wurde bereits 1221 gegründet und 1240 zurProvincia maior erhoben. In nur etwa zwanzig Jahren entstanden zehn Dominikaner-konvente.60 Die Gründung der Konvente in Sigtuna und Skara ist auf die Initiativedes Erzbischofs Jarler von Uppsala zurückzuführen; die ehemalige Bischofsstadt Sig-tuna konnte durch die Gegenwart der Predigerbrüder an Bedeutung gewinnen.61 DieDominikaner wurden bei ihrer Ankunft nicht nur von der hohen Geistlichkeit geför-

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57 ORRMAN, Church and society, S. 454, 448f.; SCHÜCK, Folkungs, S. 398; TEGBORG, kyrkohisto-ria 1, S. 140f., 146f.; NILSSON, Schweden, S. 645f.; LINDKVIST, beskattning, S. 216–221; PERN-LER, kyrkohistoria 2, S. 50; DAHLBÄCK, Schweden, Sp. 1633.

58 Fr lse bedeutet „Freiheit von Steuern“ und bezeichnet somit den geistlichen oder weltlichen vonSteuern befreiten Stand. ULSIG, nobility, S. 635.

59 NILSSON, Schweden, S. 646f.; KŁOCZOWSKI, Ausbreitung, S. 911; ORRMAN, Church and socie-ty, S. 448; LINDBERG, Missalien, S. 8, 369. Lindberg untersuchte grundlegend die Entwicklungder schwedischen Liturgie im Mittelalter.

60 In Visby (vor 1230), Sigtuna (1237), Skännige (1237), Skara (1239), Lödöse (1243), Åhus (1243),Kalmar (1243), Västerås (1244) und Åbo (ca. 1250).

61 NYBERG, Monasticism, S. 416; TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 151–157; LINDBERG, Missalien,S. 374–376; RASMUSSEN, Franziskaner, S. 90; SCHENKLUHN, Architektur, S. 158f.

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Die Kirche und die Heiligen in Schweden nach 1250 71

dert, sondern stellten in Schweden im 13. und 14. Jahrhundert selbst zahlreiche Bi-sch fe und Erzbisch fe.62 Dominikanerinnenkl ster entstanden in Skännige und, alsTochtergründung von Skännige, in Kalmar. Die Initiative ging in Skännige von IngridElofsdotter aus, welche ihre Familie 1280 zum Bau eines Dominikanerinnenkonventsan der Pfarrkirche St. Martin überreden konnte, in dem Ingrid 1282 starb.63 VieleDetails aus dem Leben Ingrids sind nur jüngeren Quellen aus dem 15. und 16. Jahr-hundert zu entnehmen, die, wie noch zu zeigen ist, mit Vorsicht zu lesen sind. Sichersind lediglich ihr Todesdatum, der 2. September 1282, und ihre Ehe, eventuell mit ei-nem 1271 verstorbenen Sigge. Mit ihrer Schwester Kristina ist Ingrid im Umfeld desDominikaners Petrus de Dacia zu verorten; das von ihr angeregte Kloster wurde ma-teriell von ihren Brüdern Johan, einem Deutschordensritter, und Andreas Elofs nerunterstützt.64 Wohl legendär sind die Ingrid zugeschriebenen Pilgerreisen nach Rom,Santiago und Jerusalem.65 Interessant ist ein Hinweis in einem Brief ihres geistlichenBegleiters Petrus de Dacia, nachdem eine seiner „geistlichen T chter“ mystische Er-fahrungen und Stigmata habe;66 umstritten ist, ob Ingrid identisch mit der genanntenPerson war. Der Kult um Ingrid beschränkte sich auf Skännige und den Dominika-nerorden, die Kanonisation scheiterte im 15. Jahrhundert, auch wenn der lokale Kultakzeptiert wurde.67

Die ersten franziskanischen Konvente entstanden in Visby (1233), S derk ping(1235), Skara (1242) und Östra Aros/Uppsala (1247). Sowohl die Gründung in Skaraals auch in Uppsala ist auf Erzbischof Jarler von Uppsala und Bischof Lars von Ska-ra zurückzuführen. Zwischen 1239 und 1249 nahm auch die franziskanische ProvinzDacia feste Formen an, die im frühen 14. Jahrhundert aus den beiden Kustodien Lin-k ping und Stockholm bestand. Im Franziskanerkonvent von Enk ping (1250) wurde1267 der erste franziskanische Bischof Schwedens, Erzbischof Laurentius von Upp-sala, bestattet. Kurz nach 1268 entstand das Franziskanerkloster in Stockholm, dasder Legende nach von K nig Magnus Ladulås gestiftet wurde. Dieser scheint aber

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62 So etwa Thomas, Bischof von Åbo (1232 geweiht), Johannes, Bischof von Åbo (1286) und 1289Erzbischof, Gotskalk Falkdal, Bischof von Åbo (1364), Israel Erlandson, Bischof von Västerås(1309), Odgissel Birgerson, Bischof von Västerås oder Erzbischof Peter Philipson (1332). LIND-BERG, Missalien, S. 379f.

63 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 358f.; NYBERG, Female Monasticism, S. 189–191; PERNLER,kyrkohistoria 2, S. 45f.; NYBERG, Monasticism, S. 417.

64 FISCHER, Olaus Magnus Historia, Buch 6, Kap. 19, S. 308 (englische Übersetzung); GALLÉN,Ingrid, S. 25.

65 GALLÉN, Ingrid, S. 25; GALLÉN, causes de Sainte Ingrid, S. 6f.66 [. . . ] aliam filiam habeo, que mirabilem graciam habet a deo et plurimas reuelaciones; que con-

tinue abstinet a carnibus et rarissime bibit ceruisiam et adhuc rarius commedit lacticinia; queomni sexta feria est in raptu, ita quod incipit in media nocte et ad se reueritur circa uesperas;que et aliquando habet stigmata, et plurima signa cristi passionis portat in corpore suo; que cili-cio asperrimo continue induitur; quando sana est, exceptis diebus sollempnibus., in: PETRUS DE

DACIA, VITA CHRISTINAE, epistola 37, S. 222; GALLÉN, causes de Sainte Ingrid, S. 10.67 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 358–363; GALLÉN, causes de Sainte Ingrid, S. 10; GALLÉN,

Ingrid, S. 25.

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72 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

erst nach seinem Regierungsantritt 1275 den Bau der Riddarholmskirche am Klostergefördert zu haben. Auf Magnus Ladulås’ Initiative gehen außerdem die Gründungender Franziskanerkonvente Nyköping (1280), Jönköping (1283), Arboga (1285) undLinköping (1287) zurück. Zugleich unterstützte er die Gründung des ersten schwe-dischen Klarissenklosters St. Klara in Stockholm 1286, das reich mit Grundbesitzdotiert wurde und nicht der ursprünglichen Regel Klaras, sondern der zweiten Regelvon Papst Urban IV. folgte.68

Anders als auf dem Kontinent gab es in Schweden keine ausgeprägten Konfliktezwischen dem Pfarrklerus und den Mendikanten etwa um Predigt-, Beicht- oder Be-stattungsrechte mit den damit verbundenen Dotationen. Vielmehr wirkten viele Do-minikaner als Vermittler in kirchlichen Streitigkeiten und vertraten päpstliche Inter-essen in Schweden.69 Die Klöster Schwedens spielten für die Bildung und Theologiekeine den Klöstern auf dem Kontinent vergleichbare Rolle. Religiöse Bildungszen-tren waren eher die Kathedralschulen in Uppsala, Linköping und Skara.70 Zahlreicheschwedische Theologen, besonders der Mendikantenorden, haben im Ausland, oft inParis studiert.71 Die Mendikanten führten auch in Schweden die häufigere und sys-tematischere Verwendung der exempla ein.72 Im 13. und 14. Jahrhundert gelangtenin großen Umfang theologische und hagiographische Texte nach Schweden, etwa dieLegenda aurea.73 Auf dieser basierte das Forn-Svenskt Legendarium, eine altschwe-

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68 Grundlegend zu den Franziskanern in Schweden RASMUSSEN, Franziskaner. Zur Provinz Daciabes. S. 66–77, zu den einzelnen Klostergründungen S. 64–66, 90–97; NYBERG, Monasticism,S. 416; TEGBORG, kyrkohistoria 1, S. 152f.

69 Zugleich besaßen die Franziskaner in Stockholm in großer Zahl päpstliche und theologische Do-kumente aus dem Zeitraum von 1233 bis 1304, die rechtliche Fragen der Beziehung zwischenBettelorden und Pfarrklerus behandelten. ROELVINK, Franciscans, S. 129; PERNLER, kyrkohisto-ria 2, S. 44f.; LINDBERG, Missalien, S. 381.

70 LÖNNROTH, Literature, S. 493.71 PERNLER, kyrkohistoria 2, S. 43; ULFGARD, bibelstudier, S. 141–148 auch zu den Studieninhalten

zu Mathias’ Zeit in Paris; ORRMAN, Church and society, S. 461.72 BAGGE, Ideologies, S. 478.73 Die Legenda aurea ist für 1291 in Schweden belegt: DS 155. An Exempelsammlungen sind in

Schweden die Sermones de tempore, vulgares et communes des Jakob von Vitry und die Exempel-sammlung Tractatus de diversis materiis predicabilibus des französischen Dominikaners und In-quisitors Stephan von Bourbon belegt. Dieser lehnte in seiner Arbeit die Lehre von der Unbefleck-ten Empfängnis Mariens, wie sie von den Franziskanern vertreten wurde, ab und ließ nach Thomasnur eine „geistige unbefleckte Empfängnis“ zu. Weiterhin in Schweden nachweisbar war die aufdem Tractatus de diversis basierende Exempelsammlung Liber de dono timoris des DominikanersHumbert von Romans sowie das Alphabetum narracionum des französischen Dominikaners Ar-nold von Liège. An homiletischen Werken sind die Dieta salutis des Franziskaners Guilelmus deLanicia, welche fälschlicherweise Bonaventura zugeschrieben wurde, die Moralitates des Fran-ziskaners Nicolaus von Lyra, eine Predigtsammlung des Dominikaners Guido Ebroicensis (Guyd’Evreux), die Predigtsammlung des Franziskaners Guibert von Tournai und die Sermones des Ja-cob von Lausanne zu nennen. Derartige homiletische Werke befanden sich nachweislich nicht nurin den schwedischen Domkirchen und deren Bibliotheken, sondern auch in kleineren Pfarrkirchen,auch wenn die Quellen hierzu dürftig sind. Die Herkunft der Bücher ist relativ sicher; über die

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Die Kirche und die Heiligen in Schweden nach 1250 73

dische Sammlung von Heiligenlegenden, beginnend mit der Jungfrau Maria, Johan-nes dem T ufer, den Aposteln und frühchristlichen Heiligen bis hin zu Heiligen derMendikanten aus dem 13. Jahrhundert, erg nzt mit Informationen aus Geschichte undKirchengeschichte.74 Der scholastische Einfluss vom Kontinent zeigte sich im zuneh-menden Streben nach einer Komposition der Predigten und der logischen Argumen-tation der Priester und Theologen. Als erster schwedischer Autor gilt Petrus de Dacia,gestorben 1289, dessen Briefe an Christina von Stommeln bekannt geworden sind.Am bekanntesten auch außerhalb Schwedens ist Mathias Övidsson, Kanoniker vonLinköping geworden.75

Die teilweise erhaltene Bibliothek der Stockholmer Franziskaner belegt enge Kon-takte der schwedischen Franziskaner nach Paris und die Benutzung spiritueller, theo-logischer und pastoraler Literatur aus ganz Westeuropa.76 Theologisch scheint Bo-naventura für die schwedischen Franziskaner maßgebend gewesen zu sein; philoso-phisch tendierten sie zum Aristotelismus.77 Ab 1250 sind Beginenh user für Schwe-den belegt.78 Anders als in anderen Gebieten Europas waren Beginen in Schwedenaber kein st dtisches Ph nomen. Vielmehr siedelten die Frauen auch in l ndlichen Re-gionen bevorzugt im Umfeld von Klöstern besonders der Zisterzienser und Dominika-ner, sp ter auch bei Vadstena.79 In den St dten entwickelten sich ab dem 13. Jahrhun-dert Hospit ler und Zentren für die Armen- und Krankenpflege, so genannte Heilig-Geist-H user.80

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Mendikanten sind die Werke aus Frankreich aus nach Schweden gelangt. STRÖMBERG, Mathias,S. 39–47, 58–68; BAGGE, Ideologies, S. 478.

74 FORN-SVENSKT LEGENDARIUM. Darin S. 3–46 Jungfru-Maria Sagan. Bemerkenswert istS. 859–872 Sagan om S. Olof, Norges Konung. und S. 883–888 S. Erics Saga. KLOCKARS, bö-ckerna, S. 166.

75 LÖNNROTH, Literature, S. 516f.; zu Petrus de Dacia LUNDÉN, religiösa litteratur, S. 143–150;SENNER, Walther: Augustinus v. Dänemark, LThK 1, Sp. 1247.

76 Die Bibliothek der Stockholmer Franziskaner wurde in die C-Sammlung der Universitätsbiblio-thek Uppsala aufgenommen und ist durch den sogenannten C-Katalog gut zu rekonstruieren. RO-ELVINK, Franciscans, S. 122, 127; RASMUSSEN, Franciscans, S. 12f.

77 ROELVINK, Franciscans, S. 132–139; RASMUSSEN, Franciscans, S. 15.78 PERNLER, kyrkohistoria 2, S. 114; ORRMAN, Church and society, S. 443.79 Interessant ist der Beleg für die Existenz von Beginen durch einen Brief des Dominikaners Petrus

de Dacia an Christina von Stommeln: [. . . ] consolatus eciam est me dominus in istis partibus perquasdam dominas deuotas; quarum quedam habitum ordinis nostri portant; quedam habitum se-cularem quedam beginarum, de quibus eciam prius uobis scripsi., in: PETRUS DE DACIA, VITA

CHRISTINAE, epistola 37, S. 222. Vermutlich handelt es sich um den Kreis um Ingrid von Skän-nige. Ein weiteres Beispiel ist schließlich Birgitta, die lange bei Alvastra gelebt hat. In Stockholmsind keine Beginen nachweisbar. Vgl. MORRIS, Birgittines and Beguines, S. 171.

80 Hospitalgründungen sind belegt für Visby (1330), Borgholm (1268), Kalmar (1340), Kronobäck(1292), Anaboda (1292), Lödöse (1286), Skara (1283), Arboga (1345), Skännige (1324), Strängnäs(1328), Stockholm (1278) und Söderköping (1330). Heilig-Geist-Häuser entstanden in Visby(1237), Kalmar (1336), Växjö (1318), Linköping (1342), Arboga (1345), Västerås (1345), Uppsala(1299), Stockholm (1301) und Söderköping (1237). ORRMAN, Church and society, S. 460; PIRA,helgonkulten, S. 134; PERNLER, kyrkohistoria 2, S. 64.

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74 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Architektonisch folgte in Schweden auf die frühe Missionszeit, in der zahlreicheHolzkirchen entstanden, die spätere Missionszeit, von der an Kirchen aus Stein, bisins Jahr 1500 über eintausend Bauten, errichtet wurden. Vor allem die Ordenskirchenund Kathedralen folgten kontinentalen Vorbildern. Von den Bettelorden und ihrenKonventen wurde die Backsteinarchitektur in Schweden gefördert. Aus vielen schwe-dischen Kirchen blieben romanische Holzplastiken, meist Mariendarstellungen undKruzifixe, erhalten. An der Gestaltung der Kruzifixe ist der Wandel in der Darstel-lung des Christus – vom König und Herrscher im 12. und 13. – hin zur Darstellungdes leidenden Christus im 14. und 15. Jahrhundert abzulesen. Ab dem 14. Jahrhun-dert verbreiteten sich Darstellungen des leidenden Christus und Pietá-Darstellungenin Plastik und Malerei. Die überwiegende Zahl der erhaltenen Wandmalereien stammtaus den Jahren 1425 bis 1520 und weist künstlerisch und thematisch ein breites Spek-trum auf. Hier dominieren Darstellungen des Jüngsten Gerichtes, Christus-, Apostel-und Heiligendarstellungen. Aposteldarstellungen stehen hierbei für die Kirche. Insge-samt folgte Schweden in der Kunst, wenn auch teilweise mit zeitlicher Verschiebung,den Kunstströmungen des Kontinents, auch in Schweden wurde versucht, durch alleKunstgattungen den Gläubigen anzusprechen und zentrale Glaubensinhalte zu vermit-teln.81

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die mittelalterliche Hagiographie Schwe-dens eng mit der Kirchengeschichte verbunden ist. Heilige und ihre Kulte wurdenauch in Schweden mit kirchlichen und politischen Entwicklungen verknüpft; die Kul-te legitimierten die Ausbreitung des Christentums, die politische Macht einzelner Dy-nastien und transportierten religiöse Ideale. Dabei fällt auf, dass im Schweden des 13.und 14. Jahrhunderts kaum Heilige dem Bettelordensmilieu entstammten, sieht manvon Ingrid einmal ab. Der bereits erwähnte Brynolf Algotsson, Bischof von Skaraschien eher den schwedischen Heiligentyp des 13. Jahrhunderts zu verkörpern. Seinnach 1317 vermutlich auf Skara beschränkter Kult rivalisierte mit dem Kult um Kö-nig Magnus Ladulås, der in der Riddarholmskirche in Stockholm sein Grab gefundenhatte. Während die Dominikaner in Schweden den Kult von Brynolf zu fördern ver-suchten, unterstützten die Franziskaner den Kult um Magnus. Der offizielle Kanoni-sationsprozeß für Brynolf wurde erst 1417 in Skara eingeleitet, in Konstanz und Romaber aus Geldmangel nicht fortgeführt. Erst Ende des 15. Jahrhunderts wurde die Er-hebung der Gebeine von Brynolf vollzogen.82 Damit kam es erst mit Birgitta zu einer

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81 Allgemein zu Skandinavien: NILSÉN, Art and architecture, S. 521–540; PERNLER, kyrkohistoria 2,S. 31, 70–74; NILSÉN, Painting, S. 464f. Siehe auch ULLÉN, Marian: Kyrkobygge i trä och sten,in: Tegborg, kyrkohistoria 1, S. 199–207 (Fördjupningsartikel); RASMUSSEN, Franciscans, S. 14;SCHENKLUHN, Architektur, S. 158f.; LINDBERG, Missalien, S. 373, 384–386; KARŁOWSKA-KAMZOWA, Bildprogramme, S. 111–113.

82 Brynolf wurde nach 1240 geboren, hat in Paris studiert und wurde 1278 zum Bischof von Skaragewählt. In seiner Amtszeit erneuerte er die Diözesanstatuten seines Bistums und regte den goti-schen Neubau der Kathedrale in Skara an. Überdies gelangte 1304, wie geglaubt wurde, ein echterTeil der Dornenkrone Christi nach Skara. Brynolf verfasste aus diesem Anlass das Offizium Infesto spinee corone Domini (ediert in LUNDÉN, Sveriges kristande, S. 97–100). Nach seinem Tod

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Schweden im 14. und 15. Jahrhundert 75

grundlegenden Wende in der schwedischen Hagiographie; erst Birgittas Kult wurdevom Papst kanonisiert, war ein ausgesprochen weiblicher und gesamtschwedischerKult.

2.3. Schweden im 14. und 15. Jahrhundert

Entscheidend f r das Verständnis von Birgittas Leben und die Geschichte des fr henbirgittinischen Kultes ist die Situation des schwedischen Reiches und der schwedi-schen Gesellschaft unter den Folkungern. Unter diesem Herrschergeschlecht solltebesonders König Magnus II. Eriksson eine große Rolle im Leben von Birgitta spie-len.83 Seinen Vorgängern war es gelungen, in Schweden ein zentrales, erbliches Kö-nigtum nach kontinentalem Vorbild mit neuen administrativen Verwaltungseinheiten,den Landschaften (län), einer umfangreichen Gesetzgebung und der Schaffung ei-nes neuen ritterlichen Dienstadels (frälse) durchzusetzen. Nach 1280 etablierte sichder aus dem Kronrat hervorgegangene Reichstag. Häufig im Reichsrat vertreten wa-ren neben hohen Geistlichen die lagmannen als oberste Gerichtsherren und Vertreterder län.84 Der Onkel von Magnus, Birger Magnusson, seit 1290 König, erstrebte eineUnion mit Dänemark, weshalb er 1306 von seinen Br dern Erik undWaldemar gefan-gengenommen wurde. 1310 wurde die Königsmacht geteilt; Erik als dominierender

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1317 fand Brynolf sein Grab in der Kathedrale zu Skara, das Zentrum eines Kultes um Brynolfwurde. LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 74f., 90, 96–98, 364f.; GALLÉN, causes de Sainte Ingrid,S. 17–24; ROELVINK, Franciscans, S. 33.

83 Magnus II. Eriksson, geboren 1316/17, gest. 1374, schwed. König 1319–1364, norweg. König1319–55, 1371–1374. Die Mutter von Magnus, Ingeborg Håkonsdotter (geb. 1301, gest. 1361)war Tochter von König Håkon V. Magnusson von Norwegen aus dem Geschlecht der Sverre. Un-ter seiner Regierungszeit erreichte die staatliche Entwicklung Norwegens einen Höhepunkt. Zu-gleich erstrebte Håkon eine norwegisch-schwedische Personalunion, worin er vom schwedischenKönig Birger Magnusson (geb. 1280, gest. 1321) unterst tzt wurde. Der Vater von Magnus Eriks-son, Erik Magnusson (geboren 1303, ermordet 1318) und dessen Br der König Birger und HerzogWaldemar von Österland/Finnland waren Söhne des schwedischen Königs Magnus (I.) Birgers-son „Ladulås“ („Scheunenschloss“, König 1275 bis zum Tode 1290) und Enkel von Birger Jarl(gest. 1266). Seit dem 16. Jahrhundert wurden diese Personen als Folkunger bezeichnet. Dabeibenennt der Begriff Folkunger eigentlich das Geschlecht, welches sich auf Folke Jarl „den tjocke“(den Dicken) zur ckf hrt. LA FARGE, Beatrice: Magnus Eriksson, LMA VI, Sp. 99f.; STRAUCH,Dieter: Birger Jarl, LMA II, Sp. 214; HELLE, Norwegian kingdom, S. 379–385; SCHÜCK, sys-tem, S. 679–681; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 32–34; EHRHARDT, Harald: Folkunger, LMA IV,Sp. 613f.

84 Neben den genannten Maßnahmen ersetzten Magnus Vorgänger das herkömmliche Volksaufge-bot, das Leding/Ledung durch ein modernes Ritterheer, verpflichteten daf r die bäuerliche Be-völkerung zu einer jährlichen Natural- und Geldsteuer an die Krone. Desweiteren schufen sie einBurgensystem, erweiterten sie die Regalrechte, vergrößerten das Königsgut und betrieben eine ak-tive Heiratspolitik. SCHÜCK, Folkungs, S. 399f.; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 36; DAHLBÄCK,Göran: Schweden, LMA VII, Sp. 1629.

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76 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Part orientierte sich nach Norwegen. Daraufhin setzte Birger seine beiden Brüder inder Christnacht 1317 in Nyköping Hus gefangen. Dessen Anhänger formierten einenWiderstand unter der Leitung des Ritters Mats Ketilmundsson und des lagman (legi-fer) von Uppland Birger Persson. Für die gefangenen Herzöge kam die Hilfe zu spät,im Juni 1318 wurden sie verhungert im Kerker von Nyköping aufgefunden.85 Birgerwurde 1318 des Landes verwiesen; am 8. Juli 1319 wurde in Mora bei Uppsala derdreijährige Magnus Eriksson, Sohn des verhungerten Erik, und der Ingeborg, Tochterdes norwegischen Königs Håkon V., zum schwedischen König erhoben. Da Magnusbereits am 8. Mai 1319 zum norwegischen König ernannt worden war, vereinte erin Personalunion den schwedischen und norwegischen Thron. In den jeweiligen Rei-chen wurde eine Vormundschaftsregierung eingesetzt, der König sollte sich fortan fürje ein halbes Jahr abwechselnd in den Reichen aufhalten, die Königsmutter Ingeborgnur in Finanzangelegenheiten einbezogen werden. Ebenfalls am 8. Juli 1319 wurdeein „Freiheitsbrief“ (Frihetsbrev), die „Magna Charta von Schweden“ verabschiedet;darin verpflichteten sich die Bischöfe von Linköping, Skara, Strängnäs, Västerås undVäxjö, der Drost86 Mats Ketilmundsson, sieben lagmän und elf Ritter schriftlich, diePrivilegien und Freiheiten der homines et ecclesiae dicti regni Swecie gegen königli-che Willkür zu schützen und zukünftige höhere Steuern zu verhindern.87

Als neuer Drost übernahm 1322 Knut Jonsson in Schweden die Regierung, die aberin den folgenden Jahren im starken Maße von Ingeborg beherrscht wurde, welche anden Repräsentanten von Norwegen und Schweden vorbei eine eigenständige Politikim Namen ihres Sohnes betrieb. Dabei wurde sie von ihrem Geliebten, dem däni-schen Knut Porse unterstützt. Ingeborg und Knut erstrebten erfolglos eine Eroberungdes dänischen Schonen und suchten Kontakt zu den Herzögen vonMecklenburg Hein-rich II. (gest. 1329) und Albrecht II. (gest. 1379). Diese Politik wurde von Schwedenabgelehnt, von Norwegen aber unterstützt. Knut Porse wurde vom dänischen Thron-prätendenden Waldemar (III., dem späteren König von Dänemark und Herzog vonSchleswig) 1327 zum Herzog von Halland und Samsø ernannt und heiratete Inge-borg. Drei Jahre später verstarb Knut Porse, ebenso 1350 seine Söhne Håkon undKnut, Halbbrüder von Magnus Eriksson. Dänische Thronstreitigkeiten ermöglichtenes Magnus Eriksson, der vermutlich 1331 mündig geworden war, 1332 Schonen, Ble-kinge, Lister und Hyen für 34000 Silbermark zu erwerben. Um die gewaltige Summeaufzubringen, erhöhte Magnus die Steuern, erhielt vom Papst die Erlaubnis, Teile desKirchenzehnt zu leihen, verpfändete Besitzungen und stellte Geiseln zur Auslösungder Summe. Für weitere 8000 Silbermark erwarb er 1343 Halland.88 Vermutlich erst

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85 NILSSON, Schweden, S. 647; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 37f.; ULSIG, nobility, S. 635, 637f.;EHRHARDT, Harald: Erich (Erik) Magnusson, LMA III, Sp. 2144.

86 Der Drost (Truchseß) war im skandinavischen Raum ein Beamter am königlichen Hof, der alsStellvertreter des Königs handeln konnte. WÜLFING, Inge Maren: Drost, LMA III, Sp. 1412.

87 DS 2199; Gilkær, Political Ideas, S. 177–180; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 39–41.88 GILKÆR, Political Ideas, S. 181–183, 194–197; KLOCKARS, Birgittas svenska värld, S. 70; HER-

GEMÖLLER, Magnus, S. 41–51. In den folgenden Jahren war Magnus auch um die Vereinheitli-

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Schweden im 14. und 15. Jahrhundert 77

im Jahr 1336, sicher vor 1338, erstrebte Magnus seine Kr nung in der Franziska-nerkirche zu Stockholm, in der sein Großvater Magnus I. Ladulås begraben war undverehrt wurde. Der dominikanische Erzbischof Peter Filipsson protestierte dagegenund wollte eine Kr nung in Uppsala durchsetzen. Als Kompromiss fand die Kr nungin der Pfarrkirche von Stockholm, der „Storkyrkan“ statt. Magnus unterstützte aberauch weiterhin – zusammen mit den Franziskanern – den Kult um Magnus I. Ladulås,dem als rivalisierender Kult der von den Dominikanern – und später auch von Birgitta– unterstützte Kult um Bischof Brynolf von Skara entgegenstand.89

Im November 1335 heiratete Magnus Blanche von Namur, wohl, weil in den skan-dinavischen K nigshäusern keine geeignete Erbtochter zur Verfügung stand und weileine Verbindung mit einer schwedischen Adeligen aufgrund der Spannungen von In-geborg mit dem schwedischen Adel nicht ratsam war.90 In den Nachfolgeregelungenvon 1343/44 versprach Magnus Eriksson, die norwegisch-schwedische Union wiederzu l sen, indem sein jüngerer Sohn Håkon norwegischer K nig, der ältere Sohn Erikschwedischer K nig werden sollte. Um 1346/47 scheint sich Magnus in einer Krisebefunden zu haben, gemeinsam mit Blanche verfasste er sein Testament, vermachteSchenkungen an Kl ster und Bistümer und erhielt von Papst Klemens VI. die Erlaub-nis, den Beichtvater frei zu wählen, zwanzig Hofgeistliche einzusetzen und Falken indie Länder des Sultans von Babylon zu entsenden. M glicherweise plante er auch einePilgerreise ins Heilige Land.91 Seine Kreuzzüge gegen die russisch-orthodoxen „Ket-zer“ von 1347/48 und 1350 gegen Karelien und Novgorod scheiterten.92 Um 1349erreichte die Pest Schweden und Norwegen.93 Zum Bruch mit seinem älteren SohnErik kam es, als 1355 Magnus’ jüngerer Sohn Håkon (als Håkon VI.) den norwe-gischen Thron erlangte, Erik in Schweden jedoch keine vergleichbaren Machtbefug-nisse erhielt. Die schwedische Adellsopposition und Albrecht II. von Mecklenburgunterstützten daraufhin Erik. Magnus wurde überdies von 1358 bis 1362 vom Papstexkommuniziert, weil er den entliehenen Kirchenzehnt nicht zurückzahlen konnte.94

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chung des schwedischen Rechts bemüht, das neue landlag sollte einzelne Landschaftsrechte zu-sammenfassen. Dabei traten Spannungen zwischen dem kanonischen und dem weltlichen Rechtauf. Auch wenn das landlag erst 1442 offiziell anerkannt wurde, fand es noch zu Regierungszeitenvon Magnus weite Verbreitung. Ergänzt wurde es mit dem stadtlag, welches, um 1356 verabschie-det, wie das landlag bis 1734 in Schweden galt. SCHÜCK, Folkungs, S. 405f.; DAHLBÄCK, towns,S. 625f.; NILSSON, Schweden, S. 647; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 53f.

89 DS 3380; ROELVINK, Franciscans, S. 33.90 HERGEMÖLLER, Magnus, S. 54–56.91 DS 4227–4235.92 Bereits Innozenz III. hatte die schwedischen und dänischen Herrscher zu Kreuzzügen nach Osten

ermutigt. KŁOCZOWSKI, Konsolidierung, S. 699.93 VAHTOLA, Population, S. 561–568; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 57–60.94 Der schnelle Aufstieg von Bengt wird schon darin deutlich, dass er, 1350 erstmals in den Quel-

len greifbar, bereits 1352 Reichsrat gewesen ist. DS 4629, 4836; KLOCKARS, Birgittas svenskavärld, S. 130; GILKÆR, Political Ideas, S. 197; LA FARGE, Beatrice: Magnus Eriksson, LMA VI,Sp. 99f., Sp. 100.

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78 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Er musste Bengt Algotsson, einen engen Freund und Berater, entmachten und dieHerrschaft über Schweden mit Erik teilen. Nach dessen Tod 1359 konnte Magnusseine Macht in Schweden mit Hilfe des dänischen Königs Waldemar IV. von Däne-mark (Atterdag) und Håkon zurückzugewinnen. Dafür eroberte Waldemar bis 1361Schonen, Blekkinge, Südhalland und Gotland. Zugleich suchte Magnus einen Aus-gleich mit Albrecht II., der sich aber Waldemar annäherte.95 Magnus wurde isoliert,der schwedische Reichstag suchte Unterstützung bei der Hanse gegen Waldemar. Hå-kon VI. von Norwegen unterstützte das Bündnis mit der Hanse und nahm im Novem-ber 1361 seinen Vater Magnus gefangen; Anfang 1362 versöhnten sich beide wiederund teilten die Herrschaft in Schweden.96 Sie erstrebten einen Ausgleich mit Däne-mark, doch schlug im Juli 1362 Waldemar die Hanseflotte bei Helsingborg, worauf-hin der schwedische Reichstag Herzog Albrecht III. von Mecklenburg, einen Neffenvon Magnus II., zum schwedischen König nominierte, der Magnus 1364 vom Thronverdrängte und gefangennahm. Magnus zog sich nach seinem Freikauf durch Håkon1371 nach Norwegen zurück und teilte sich dort mit Håkon den norwegischen Thron,bevor er 1374 ertrank. 97

Håkon VI. war 1363 mit Margarete, der 1353 geborenen Tochter des Waldemar,vermählt worden. In Dänemark erbte 1376 der sechsjährige Sohn von Håkon undMargarete, Olav, den Thron, doch wirkte Margarete als Regentin für ihren Sohn überdessen Volljährigkeit 1385 hinaus. Es gelang Margarete, sich in Schonen gegen dieHanse durchzusetzen; in Schleswig musste sie aber die Interessen des Grafen vonHolstein anerkennen. Nach dem Tode Olavs 1387 wurde Margarete Reichsverweserinin Dänemark, 1388 in Norwegen.98

In Schweden war es Albrecht III. nicht gelungen, sich als König durchzusetzen;seine Spannungen mit dem Adel führten zum Konflikt mit der Adelspartei unter derFührung des Drost Bo Jonsson (Grip) als Gegenspieler Albrechts. Aufgrund dieserschwedischen Adelsopposition gegen Albrecht III. konnte Margarete 1388 in Dala-borg die Huldigung der schwedischen Großen empfangen und in deren Interesse nachder Schlacht von Falköping, in der Albrecht gefangen genommen worden war, denMecklenburger vom schwedischen Thron verdrängen. Auch der von den mecklenbur-gischen Verwandten Albrechts unterstützte Kaperkrieg der Vitalienbrüder konnte anden neuenMachtverhältnissen in Schweden nichts ändern. Im Jahre 1389 erreichte der1382 geborene Bogislav, Sohn des Herzog Wartislav VII. von Pommern, und Groß-

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95 GILKÆR, Political Ideas, S. 197–206 zu Schonen; RIIS, Thomas: Waldemar IV., LMA VIII,Sp. 1949f.

96 HERGEMÖLLER, Magnus, S. 60–71.97 OLESEN, relations, S. 713–718; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 81–86; RIIS, Vormachtstellung,

S. 68; DAHLBÄCK, Schweden, Sp. 1631; MOHRMANN, Wolf-Dieter: Albrecht III., LMA I,Sp. 314f.; RIIS, Thomas: Margarete, LMA VI, Sp. 234f.; LA FARGE, Magnus Eriksson, Sp. 100;Sp. 234; SCHÜCK, Folkungs, S. 404.

98 OLESEN, relations, S. 719–724; RIIS, Vormachtstellung, S. 68; DAHLBÄCK, Schweden, Sp. 1631;RIIS, Margarete, Sp. 234; RIIS, Thomas, Olav, LMA VI, Sp. 1388.

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Das Leben Birgittas bis Alvastra; die ersten Offenbarungen 79

neffe der Margarete, D nemark. Er wurde von Margarete empfangen, auf den NamenErich (Erik) adoptiert, von norwegischen Großen zum König ausgerufen und als sol-cher 1392 gekrönt. Vier Jahre darauf wurde Erich auch in D nemark und Schwedengehuldigt; am 17. Juni 1397 wurde er in Kalmar gekrönt. Damit war die KalmarerUnion vollendet, welche für die skandinavische Geschichte von großer Bedeutungsein sollte.99 Erich, der 1406 Philippa, die Tochter des englischen Königs Heinrich IV.geheiratet hatte, geriet ab 1412 in einen Dauerkonflikt mit dem weltlichen und geistli-chen Adel Schwedens, mit Bergleuten und Bauern, die 1434 in einen Aufstand unterder Führung des Bergmanns Engelbrekt Engelbrektsson und demAdligen Karl Knuts-son (Bonde) gipfelte. Ein Ergebnis dieser Erhebung war eine St rkung der Positiondes schwedischen Reichsrates.100

Die schwedische Kirche wurde neben den Thronwirren Anfang des 14. Jahrhun-derts durch innere Auseinandersetzungen belastet, bei denen es unter anderem umdas Verh ltnis des Erzbischofs von Uppsala zum Erzbischof von Nidaros ging. Nach1350 konnte die kirchenpolitische Stellung der Synoden gegenüber dem oft instabi-len Königtum gest rkt werden. Im Großen Schisma hielt Schweden zur römischenObödienz. Die Synode von 1396 in Arboga betonte unter Androhung des Banns dieKirchenfreiheit; doch war jener Anspruch in den 1430er Jahren stark umk mpft, als es1432–1435 zu einer tiefen Auseinandersetzung mit dem König wegen der Besetzungdes Erzbistums von Uppsala kam. Insgesamt st rkte die kirchliche Auseinanderset-zung gegen den König und auch gegen die Kalmarer Union die schwedische Kirche,es entstand die Idee einer freien Nationalkirche. Diese pr gte zusammen mit konzilia-ristischen Gedanken vom Kontinent die erzbischöfliche Amtszeit des Nils Ragvalds-son von 1438 bis 1448.101

2.4. Das Leben Birgittas bis Alvastra; die erstenOffenbarungen

Der Vater Birgittas, Birger Pe(te)rsson, wurde um 1265 geboren. Seine Familie führ-te sich auf Folke den tjocke, den Begründer der „richtigen“ Folkunger, zurück. Bir-ger war Ritter und Mitglied des schwedischen Reichsrates sowie von etwa 1300 biszu seinem Tode 1327 lagman in Uppland. Im Jahre 1317 war Birger am Kampf ge-

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99 Von der Gründung der Union blieben zwei Urkunden erhalten. Einmal handelt es sich um ei-ne formal korrekte Krönungsurkunde auf Pergament, zum anderen um einen „Unionsbrief“ aufPapier, der die Thronfolge regelte. Jener Unionsbrief scheint ein gescheiterter Versuch zu einerUnionsverfassung zu sein, wurde zwar 1425 beglaubigt, im 15. Jahrhundert aber nicht berücksich-tigt. OLESEN, relations, S. 723–726; DAHLBÄCK, Schweden, Sp. 1631; MOHRMANN, AlbrechtIII., Sp. 314; RIIS, Margarete, Sp. 234f.; RIIS, Thomas: Kalmarer Union, LMA V, Sp. 875–877,Sp. 876; JEXLEV, Thelma: Erich VII., LMA III, Sp. 2141f.

100 DAHLBÄCK, Schweden, Sp. 1631.101 NILSSON, Schweden, S. 647f.; HÖJER, Studier, S. 160f.

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80 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

gen König Birger Magnusson beteiligt; 1319 nahm er an der Wahl des dreijährigenMagnus Eriksson zum König teil. Die erste Frau von Birger war Kristina Johansdot-ter, welche 1293 kinderlos verstarb. Eine Tante von Kristina war Ingrid Elofsdotter,die später als heilig verehrte Begründerin des Dominikannerinnenkonvents in Skän-nige.102 In zweiter Ehe heiratete Birger 1301 Ingeborg Bengtsdotter, die Tochter deslagmans von Östergötland Bengt Magnusson. Ihre Familie stammte aus Östergötlandund war ein Zweig der „Folkunger“ oder Birger-Dynastie. Falsch ist die Aussageaus Margareta Clausdotters krönika, dem Chronicon de genere, nach der der Vatervon Ingeborg ein Bruder des Königs Birger Magnusson gewesen sei.103 Birgitta wur-de um Neujahr 1303 geboren, der Tradition nach in Finsta in der Pfarrei Skederidin Uppland, was aber unsicher ist.104 Der Name wurde nach der irländischen Heili-gen Brigid von Kildare gewählt, deren Kult sich, wahrscheinlich über Norwegen, imfrühen 13. Jahrhundert auch in Schweden verbreitet hatte. Von sechs GeschwisternBirgittas erreichten nur ihre Schwester Katharina und ihr Bruder Israel das Erwachse-nenalter.105 Birgittas Mutter Ingeborg starb am 21. September 1314 und wurde in derNikolauskappelle im Dom zu Uppsala beigesetzt. Das von Birger unmittelbar nachihrem Tod für sie verfasste Testament bestimmte Stiftungen für wohltätige Zweckesowie für Zisterzienser, Dominikaner, Franziskaner, Klarissen und Johanniter in ver-schiedenen schwedischen Städten.106 Nach dem Tod der Mutter wurden Birgitta undKatharina der Obhut der Tante Katharina Bengtsdotter in Aspenäs am Sommenseeübergeben. Katharina war die Schwester von Birgittas Mutter Ingeborg und verheira-tet mit Knut Jonsson, einem Magnaten in Östergötland mit Einfluss am königlichenHof. Die ältere Auffassung, dass Birgitta in Aspenäs Kontakt zu den Dominikanern in

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102 Birgers Vater Pe[te[r Israelsson, gestorben 1280, war Bruder des Erzbischof Jakob Israelsson vonUppsala. Ein Cousin Birgers war Andreas And, Domprobst in Uppsala. Die Cousins Karl und IsraelErlandssöner waren Kanoniker in Uppsala, Israel Erlandsson wurde später Dominikaner, Prior inSigtuna und schließlich Bischof in Västerås. Der Name Israel, der in der Familie öfter vorkommt,kann ein Hinweis auf Pilgerreisen von Familienmitgliedern sein. AP, S. 472 zur Frömmigkeit desVaters kann im Kontext von Birgittas Kanonisation stehen: [. . . ] quod pater ipsius domine Brigidefuit vir deuotus et justus et vocabatur dominus Birgerus de superiori Suecia, quem et nouit presenstestis, ut dixit, qui ita solitus erat dicere: „Sic me die veneris preparare volo ad Deum, vt quicquidalijs diebus michi Deus dederit, hoc ferre sum paratus.“. KLOCKARS, svenska värld, S. 15–18,27; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 71f. Hergemöller bringt Ingrid fälschlicherweise mit der Familievon Birgers zweiter Frau Ingeborg in Verbindung; tatsächlich war Kristina die Tochter von IngridsBruder, dem Deutschordensritter Johan Elovsson. MORRIS, Birgitta, S. 32; GALLÉN, causes deSainte Ingrid, S. 12f.

103 MARGARETA CLAUSDOTTER, CHRONICON DE GENERE, S. 207. DS 1336 nennt Ingeborg alsFrau Birgers. Zu Ingeborg und ihrer Familie KLOCKARS, svenska värld, S. 18–23; MORRIS, Bir-gitta, S. 32f.

104 Der in den Kanonisationsakten genannte Ort Frastad kann auch Fresta in Uppland bezeichnen.AP, S. 11; KLOCKARS, svenska värld, S. 24–27, 33; MORRIS, Birgitta, S. 33f.

105 MORRIS, Birgitta, S. 35; KLOCKARS, svenska värld, S. 18. Siehe auch HERGEMÖLLER, Magnus,S. 35 und 73 zu den Verwandschaftsverhältnissen um Birgitta.

106 DS 1980; KLOCKARS, svenska värld, S. 39.

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Das Leben Birgittas bis Alvastra; die ersten Offenbarungen 81

Sk nnige oder zu Bischof Brynolf von Skara gehabt h tte, ist durch Quellen nicht zubelegen.107

Wahrscheinlich im Jahr 1316 wurde eine Doppelhochzeit vollzogen. Birgitta undKatharina heirateten Ulf und Magnus, die Söhne von Gudmar Magnusson. Dieserwar Ritter und Mitglied des Reichsrates sowie lagman in V stergötland. In mehrerenQuellen treten Birger Persson und Gudmar Magnusson gemeinsam auf; offensicht-lich sollte die Doppelehe der Kinder die beiden Familien aneinander binden.108 1327starb Birgittas Vater Birger.109 Ulf Gudmarsson war etwa fünf Jahre lter als seineFrau Birgitta. Ab 1327 wurde er wirtschaftlich und politisch aktiv; um 1330 wurdeer lagman von N rke und Mitglied im Reichsrat.110 Nach der Hochzeit zog das Paarnach Ulvåsa am Borensee nahe dem heutigen Motala in Östergötland. Unsicher ist,wie oft sich Ulf hier aufgehalten hat; seine Frau Birgitta scheint hier mit den Kindernihren „Hauptwohnsitz“ gehabt zu haben.111 Aus ihrer Ehe gingen acht Kinder hervor.

Die lteste Tochter, Margarete (M rta) Ulfsdotter, wurde um 1319 geboren. DasGeburtsdatum wird oft auf die in den Kanonisationsakten angesprochene, angeblichvon Birgitta durchgesetzte sexuelle Abstinenz nach der Trauung bezogen. Es sollteaber berücksichtigt werden, dass Birgitta bei der Eheschließung erst etwa dreizehn,bei der Geburt Margaretes sechzehn war.112 Margarete wurde zwischen 1334 und1341 mit dem Ritter Sigvid Ribbing verheiratet, obwohl Birgitta sich dagegen ge-wehrt hatte. Es handelte sich um eine politische Ehe, da Sigvid mit Knut Porse, demStiefvater von König Magnus, verwandt war. In zweiter Ehe heiratete Margarete 1345

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107 KLOCKARS, svenska v rld, S. 35f.; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 72; TANZ, Birgitta, S. 91f.;MORRIS, Birgitta, S. 35.

108 KLOCKARS, svenska v rld, S. 43–45, 68f., 72; MORRIS, Birgitta, S. 40f.109 Birger hatte mehrere Testamente verfasst. Im Testament Birgers vom 14. M rz 1315 werden Israel,

Birgitta und Birger als Erben eingesetzt. Am 14. September 1320 nahm Birger unter Anwesenheitvon zwölf Priestern und zwölf Laien eine Erbteilung des Besitzes seiner 1314 verstorbenen Frauzugunsten Israels, Birgittas und Katharinas vor. Der Sohn erhielt die H lfte, die Töchter, deren An-teile von Ulf und Magnus für die Frauen ausgew hlt wurden, erhielten jeweils ein Viertel. Birgittaerhielt sieben Güter in Småland. Das letzte Testament Birgers ist auf den 21. Oktober 1326 datiert.Darin wünschte er sein Grab im Dom zu Uppsala, die Priester sollten dreimal wöchentlich Messenlesen: für Gott, für Maria und für die Seelen seiner Familie. Darüber hinaus stiftete er größere Be-tr ge für zahlreiche Kirchen und die Zisterzienser, Dominikaner, Franziskaner, Klarissen und Jo-hanniter und Hospit ler in verschiedenen schwedischen St dten sowie für das Heilig-Geist-Hausin Uppsala. Nach Birgers Tod am 3. April 1327 wurde am 25. M rz 1328 Birgers Erbe verteilt.Birgitta erhielt Goldmark und mehrere Güter in N rke und Uppland. DS 2008, 2260, 2586, 2658;KLOCKARS, svenska v rld, S. 39, 53f., 56, 58f.

110 DS 2773, 2838, 2858, 3134, 3140, 3156; KLOCKARS, svenska v rld, S. 68f.; MORRIS, Birgitta,S. 41.

111 Nur eine Urkunde wurde von Ulf in Ulvåsa ausgestellt: DS 3519 (20. September 1340);KLOCKARS, svenska v rld, S. 45f. Zu Ulvåsa KLOCKARS, svenska v rld, S. 61–66; HEDVALL,Östergötland, S. 69f.

112 AP, S. 77:

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Interea domina Brigida desponsatur viro juueni diuiti, militi nobili et prudenti, quidominus Wlfo de Wlfason, princeps Nericie, vocabatur, qui inter se coniugium honestissimum adeohabuerunt, quod ambo coniuges per vnum annum in virginitate vixerunt [. . . ].

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82 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

den Ritter Knut Algotsson, den Bruder des Königsfreundes Bengt Algotsson; um 1357starb Margarete. Karl Ulfsson, geboren wohl 1321, wurde 1348 in Quellen als Ritterund lagman von Närke bezeichnet. In den 1350er und 1360er Jahren war Karl poli-tisch aktiv, musste 1362 ins deutsche Exil und besuchte später seine Mutter in Rom. InSchweden war er dreimal verheiratet. 1372 starb er in Neapel. Gudmar Ulfsson, gebo-ren um 1321, starb als Scholar 1338 in Stockholm. Birger Ulfsson, 1323 geboren, sollzweimal verheiratet und Vater gewesen sein. Er begleitete seine Mutter ins HeiligeLand; 1391 verstarb er in Schweden.113 Bengt Ulfsson, 1326–1346, lebte vermutlichab etwa 1344 mit Birgitta bei Alvastra,114 wo er auch beigesetzt wurde. KatharinaUlfsdotter, geboren um 1331, heiratete um 1344 den Ritter Edgar Lydersson (Eg-gard von Kyren). 1350 besuchte Katharina ihre Mutter in Rom und blieb nach demTod ihres Mannes dort.115 Ingeborg Ulfsdotter, geboren um 1332, wurde 1341 in dasZisterzienserinnenkloster Riseberga gegeben; hier verstarb sie 1350.116 Cecilia Ulfs-dotter, geboren um 1334, wurde früh zu den Dominikanerinnen in Skännige gegeben.Offenbar sagte ihr das Klosterleben nicht zu; sie wurde auf eigenenWunsch von ihremBruder Karl aus dem Kloster „befreit“ und heiratete den Magnaten Bengt Filipsson;in zweiter Ehe war sie mit einem Lars Johansson verheiratet und starb 1399.117

Engere Kontakte Birgittas von Ulvåsa aus zu den Dominikanern in Skännige sindunsicher.118 Der Hauslehrer119 von Birgittas jüngeren Kindern, Nikolaus (Nils) Her-mansson (Nicolaus Hermanni), wurde 1325 oder 1326 in Skännige geboren, kam auseiner Familie mit zahlreichen Geistlichen als Verwandte, besuchte wohl bei den Domi-nikanern in Skännige die Schule und ging dann an die Kathedralschule in Linköping.

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113 KLOCKARS, svenska värld, S. 93 zu Margarete, zu Sigvid Ribbing S. 76–84, zu Karl S. 134–149,zu Gudmar S. 150–155; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 74f.; MORRIS, Birgitta, S. 46f., 49–51.

114 Über Bengts Anwesenheit in Alvastra könnte DS 8628 Aufschluss geben. Es handelt sich umden Kaufvertrag einer Ramborg Knutsdotter vom 29. Juli 1374, der u.a. ein Haus erwähnt, vondem es heißt: [. . . ] quod in parte aquilonari ab ecclesia dicti cenobii habeam curiam, in quaquondam residebat domina Byrgheta pie recordacionis, ad dies meos cum vna tantum ancilla eteciam liberum aditum habeam in dictam ecclesiam introeundi.

115 KLOCKARS, svenska värld, S. 96–98; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 75; MORRIS, Birgitta, S. 48f.116 DS 3558. Anlässlich des Klostereintritts von Ingeborg stifteten Ulf und Birgitta Riseberga Güter

unter der Bedingung, dass Ingeborg Zeit ihres Lebens jährlich 7 Mark zu ihrer Verfügung erhält.KLOCKARS, svenska värld, S. 93–95; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 75; MORRIS, Birgitta, S. 48.

117 HERGEMÖLLER, Magnus, S. 75; MORRIS, Birgitta, S. 48f.118 TANZ, Birgitta, S. 92.119 In einundvierzig Artikeln bezüglich des Lebens von Nikolaus, die 1417 für seinen Kanonisations-

prozess verfasst wurden, heißt es unter anderem: Item super iiij° articulo, qui incipit: Item famabona, vita laudabili etc, interrogatus testificando dixit contenta in dicto articulo fore vera, causamreddens sciencie sui dicti quia sic pluries audivit a domino Birgero filio beate Birgitte cuius idemvenerabilis pater Nicolaus fuerat pedagogues quem pluries dicere audivit, quod idem venerabilispater, cum in puerili erat etate constitutus, aliquocies sequebatur eosdem filios beate Birgitte descolis Skeningensibus ad domum habitacionis matris eorum in Wlfaas parochie Ekbyborne Lin-copensis dyocesis a civitate Skeningensi per spacium vnius miliaris almannici distantem., nach:LUNDÉN, Kanonisationsprocess, S. 184.

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Das Leben Birgittas bis Alvastra; die ersten Offenbarungen 83

Wenn dort keine Lehre stattfand, arbeitete er als Hauslehrer in Ulv sa. In dieser Zeitentwickelte sich eine lebenslange Freundschaft mit Birgitta und Katharina. Nach derPriesterweihe studierte Nikolaus in Paris Philosophie und in Orléans Recht. Nach sei-ner Rückkehr nach Schweden wurde er 1350 Kanoniker in Linköping und Uppsala,1361 Archidiakon, 1375 Bischof in Linköping.120

Um 1335 wurde Birgitta zur magistra, zur Hofmeisterin der schwedischen Köni-gin Blanche von Namur und 1339 zur Erzieherin des Prinzen Erik Magnusson, ihresPatensohnes, ernannt. In dieser Position muss Birgitta durchaus Einfluss am Hof be-sessen haben. Zunehmend wurde das Verhältnis von Birgitta zum königlichen Ehepaarspannungsreicher, vielleicht wegen der andauernden Kritik Birgittas am Lebenswan-del des Königspaares. Um 1340 wurde Birgitta aus dem Hofdienst entlassen.121 Offenist die Pilgeraktivität von Birgitta und Ulf. In den Kanonisationsakten wird nur einePilgerreise zum Grab des heiligen Olaf in Drontheim genannt.122 Mit großer Wahr-scheinlichkeit anzunehmen ist aber auch, dass Birgitta die Gräber und Pilgerstättendes Erik in Uppsala, des Holmger in Sko, des Sigfrid in Växjö, des Brynolf in Skaraund des Botvid in Botkyrka besucht hat. In Sigfrid sah Birgitta den Überbringer desChristentums nach Schweden, auch Botvid soll ihr in einer Vision erschienen sein.123

Ein weiteres sehr bekanntes schwedisches Wallfahrtsziel, zu dem Birgitta gepilgertsein wird, war eine als wundertätig geltende Darstellung der Kreuzabnahme Christiin der Dominikanerkirche von Stockholm.124 Eventuell im Zusammenhang mit denSpannungen am Hof unternahmen Birgitta und Ulf wohl im Sommer 1341 eine Pil-gerfahrt nach Santiago de Compostela. Die Route der Pilger ist unsicher.125 Auf die-ser Pilgerfahrt erkrankte Ulf schwer; nach der Rückkehr in Schweden wurde 1343 erMönch in Alvastra, wo er am 12. Februar 1344 verstarb.126 Wenige Tage nach dem

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120 LUNDÉN, Nikolaus Hermansson, S. 7–10, 13, 20, 27; LUNDÉN, Kanonisationsprocess, S. 30–33; MORRIS, Birgitta, S. 56; NORDAHL, Syv birgittinere, S. 224–237, 255–259; NYBERG, Tore:Nicolaus Hermanni, LThK 7, Sp. 852.

121 HERGEMÖLLER, Magnus, S. 35, 75f., 92f. zu den Sodomievorwürfen Birgittas dem König gegen-über; MORRIS, Birgitta, S. 57–59.

122 AP, S. 14.123 REV VIII, 46, S. 137f. zu Brynolf; EXTRAV 72, S. 194 zu Botvid.124 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 48; LINDGREN, Birgitta- pilgrim, S. 173; ANDERSSON, Birgit-

tinsk Vallfart, S. 379f.125 Als zentraleWegpunkte werden Lübeck oder Stralsund, Köln, Arras und Fontevrault angenommen.

In Köln wird Birgitta den Dreikönigsschrein besucht haben; in Arras erhielt sie eine Vision vonDionysios. REV IV, 103, S. 295; NORDAHL, Birgitta, S. 81f., 84; MORRIS, Birgitta, S. 59f.; HER-GEMÖLLER, Magnus, S. 76; KLOCKARS, hennes värld, S. 63, 163; KLOCKARS, svenska värld,S. 87–91.

126 Die AP berichten über Ulfs Tod: Quando sepeliui virum meum, sepeliui cum eo omnem amoremcarnalem, et licet dilexerim eum sicud cor meum, nollem tamen cum vno denario contra velle Deiredimere vitam eius, sed quando habui anulum in manu mea, erat michi quasi onus, [. . . ], in:AP, S. 479; KLOCKARS, svenska värld, S. 86, 92; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 76; SUNDÉN,Mathias, S. 15; MORRIS, Birgitta, S. 60–63. Morris hält als Todesjahr auch 1346 für möglich.In einer Vision will Birgitta ihren verstorbenen Mann im Fegefeuer gesehen haben, was sie auf

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84 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Tod von Ulf hatte Birgitta, die bereits vor dem Tod von Ulf in unmittelbarer Nähe desKlosters gelebt haben wird, ihre „Berufungsvision“ zur sponsa et canale Christi.127

Kurz darauf scheint Birgitta den Großteil ihres Besitzes ihren Kindern und den Armenvermacht zu haben, nur einen kleinen Teil behielt sie für sich zurück.128 Bis zu ihremAufbruch nach Rom 1349 lebte sie – nach den Kanonisationsakten von Christus dazuaufgefordert129 – bei Alvastra. Ein nach Birgittas Tod ausgestellter Kaufvertrag be-legt, dass sie mit einem Kind, vermutlich Bengt, und einer Dienerin ein Haus nördlichder Klosterkirche Alvastra bewohnt hatte.130 Zumindest in die Klosterkirche scheintsie dieser Quelle nach ohne größere Schwierigkeiten gelangt zu sein, wann immer siewollte.131

Kurz nach der „Berufungsvision“ hatte Birgitta in Alvastra weitere Offenbarun-gen. Es scheint sich überwiegend um auditive Visionen gehandelt zu haben; Birgitta„hörte“ Gottvater,132 Christus,133 Maria,134 Engel und Heilige135 oder einen „himm-

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seine Eitelkeit in weltlichen Dingen und Geiz zurückführt. Für ihn sprachen jedoch regelmäßigeBeichten, Pilgerreisen und Almosen. EXTRAV 56, S. 178f.

127 AP, S. 80f.: Post aliquos dies cum sponsa Christi solicita esset de mutacione status sui ad seruien-dum Deo et super hoc stabat orando in capella sua, tunc rapta fuit in spiritu, et cum esset in extasividit nubem lucidam et de nube audiuit vocem dicentem sibi: „Mulier, audi me.“ Et ipsa perterritatimens, quod esset illusio, auffigit ad cameram suam, et statim confessa accepit postmodum cor-pus Christi. Demum cum post aliquos dies staret in oracione in eadem capella, iterum apparuit eiilla nubes lucida, et de nube audiuit iterum vocem, similia verba proferentem sicut prius, scilicet:„Mulier, audi me.“ Et tunc ipsa domina perterrita iterum fugit ad cameram et confessa et com-municata fuit sicut prius timens illam vocem esse illusionem, deinde cum post aliquos dies iterumoraret, et rapta est in spiritu et iterum vidit nubem lucidam et in ea similitudinem hominis sic di-centem: „Mulier, audi me, ego sum Deus tuus, qui tecum loqui volo.“ Conterrita igitur illa putansillusionem, audiuit iterum: „Noli“ inquit, „timere, quia ego sum omnium conditor, non deceptor,non enim loquor tecum propter te solam, sed propter salutem aliorum. Audi loquor et vade ad ma-gistrum Mathiam, confessorem tuum, qui expertus est duorum spirituum secundum discrecionem,dic ei ex parte mea, que dico tibi, quia tu eris sponsa mea et canale meum et audies et videbisspiritualia, et spiritus meus permanebit tecum vsque ad mortem.; MORRIS, Birgitta, S. 64–67;RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 16.

128 Birgitta trat als eigenständige „juristische Person“ in Finanzangelegenheiten auf, wie etwaDS 3822 vom 22. August 1344 belegt.

129 AP, S. 82: [. . . ] sic ego Deus omnium, qui sum super omnes regulas, permitto tibi residere ad tem-pus presens prope monasterium, non ut dissoluam regulam nec vt consuetudinem nouam adducam,sed magis ut opus meum mirabile in sancto loco ostendatur.

130 Dazu veranlasst wurde sie möglicherweise durch den Zisterzienser Svenung, der Ulf und Birgittanach Santiago begleitet hatte und später Abt in Varnhem wurde. DS 8628, zitiert oben; RYCH-TEROVÁ, Offenbarungen, S. 11f.; MORRIS, Birgitta, S. 59; KLOCKARS, svenska värld, S. 108.

131 DS 8628, zitiert oben; AP, S. 65; MORRIS, Birgittines and Beguines, S. 166; MORRIS, Birgitta,S. 73.

132 Eingleitet werden derartige Offenbarungen häufig mit Verba dei patris/ Verba creatoris ad spon-sam, Vgl. etwa REV I, S. 307f., 358, 360, 372, 382.

133 Eingeleitet mit Verba Filii/ Domini Iesu Christi ad suam sponsam; etwa. REV I, S. 241, 247, 250,252, 271, 276, 278, 287, 289, 292, 297, 302, 320, 326, 336, 338, 370, 396, 429, 434, 439; REV II,S. 27, 46, 50, 53, 56, 59, 61, 65, 75, 78, 80, 86, 106.

134 Eingeleitet etwa mit Verba Virginis ad filiam, Vgl. REV I, S. 257, 259, 260, 263, 300, 317, 324,343, 347, 368, 431; REV II, S. 34, 95, 98, 101, 104, 109.

135 Etwa REV I, S. 414 (Verba angeli ad sponsam); REV II, S. 120 (Iohannis Baptiste ad sponsam).

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Das Leben Birgittas bis Alvastra; die ersten Offenbarungen 85

lischen Dialog“.136 Teilweise „sah“ sie die Gespr chspartner auch, was besonders fürden Liber Questionum zutrifft.137 W hrend der schwedischen Zeit trug Birgitta ih-re Offenbarungen unmittelbar nach deren „Empfang“ ihrem Beichtvater und Sekret rPeter Olafsson von Alvastra zu, der diese auf Lateinisch niederschrieb. Wenn Petervon Alvstra nicht anwesend war, wurde er nach 1348 von Peter Olafsson von Sk nni-ge vertreten. In Rom wirkte in den letzten Lebensjahren Birgittas auch Alphonso vonJaén als Sekret r. Einen Teil ihrer Offenbarungen hat Birgitta selbst auf Altschwedischniedergeschrieben, diese wurden erst sp ter ins Lateinische übersetzt. Es ist zumin-dest für die italienische Zeit sicher anzunehmen, dass Birgitta die lateinischen Über-setzungen überprüft hat, soweit es ihre Lateinkenntnisse erlaubten.138 Diese lateini-schen Fassungen der etwa sechshundert Offenbarungen wurden nach Birgittas Tod alsRevelationes in acht Büchern zusammengefasst.139 Die Revelationes sind offensicht-lich Frucht intensiver Bibelmeditationen. Viele Motive sind dem Alten Testament ent-nommen; Birgitta tritt gewissermaßen als Prophetin im alttestamentlichen Sinne auf.Zentrales Thema der ersten Offenbarungen ist die vision re Berufung Birgittas, ihreErw hlung als Braut und Sprachrohr Christi mit den damit verbundenen Pflichten derAbstinenz, M ßigung, Geduld und Demut. Theologische Aussagen besonders zu Be-ginn der einzelnen Offenbarungen sollen Birgitta und dem Leser versichern, dass essich nicht um teuflische Eingebungen handelt. Jene Einleitungen können durchaus alslegitimatorische Erg nzungen von den Beichtv tern aufgefasst werden. Es geht in denRevelationes nicht darum, eine kontemplative Lebensweise oder mystische Erfahrungzu überliefern. Zwar gibt Birgitta an, die Offenbarungen „in Ekstase“ empfangen zuhaben, doch wird keine mystische Begegnung mit Gott im raptus beschrieben, dieGotteserfahrung wird vielmehr auf typologische und allegorische Aussagen reduziert,die stark an die biblische Exegese angelehnt ist. Die Revelationes sind kein sich kau-sal und linear entwickelnder Text, sondern bestehen aus vielen Einzeloffenbarungen,die als „Bausteine“ aneinander gereiht werden.140

Birgitta hat ihre Offenbarungen als echt empfunden. Bei der Entstehung der Reve-lationes Birgittas trafen überdies mehrere günstige Faktoren für einen möglichst au-

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136 Etwa REV I, S. 402, 409; Rev II, S. 30, 39, 40, 43. Vgl. ROSSING, Spiritualitet, S. 36f.137 Etwa REV I, S. 281, 329. Zum Liber Questionum siehe weiter unten. Nach Rossing handelte

es sich dagegen nicht um körperliche, auditive oder intellektuelle Offenbarungen, sondern umimaginative Erfahrungen. ROSSING, Spiritualitet, S. 35–46; DINZELBACHER, Revelationes, S. 75;LANCZKOWSKI, Audition, S. 35.

138 Ein schwedischer Autograph ist etwa vom Liber Questionum erhalten geblieben. Gerade jene Of-fenbarungen, von denen ein Autograph auf Altschwedisch vorliegt, belegen, dass die lateinischeÜbersetzung oft straffer, weniger bildreich, teilweise aber auch schwammiger ist als die schwedi-sche Ursprungsfassung. Diese wiederum wurde von Birgitta selbst mehrmals korrigiert. ÖBERG,Authentischer Text, S. 67–70.

139 Auf die Redaktion der Offenbarungen gehe ich sp ter ein. LUNDÉN, religiösa litteratur, S. 155f.;DINZELBACHER, Wirken, S. 273.

140 MORRIS, Birgitta, S. 74–76; PILTZ, Uppenbarelserna, S. 447f.; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen,S. 16, 18, 20f., 33, 38.

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86 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

thentischen Offenbarungstext zusammen. Die verschiedenen Schreiber der Revelatio-nes kannten Birgitta persönlich, haben die Offenbarungen direkt von Birgitta, teilwei-se mündlich, teilweise über – fragmentarisch erhalten gebliebene – Niederschriften inAltschwedisch vermittelt bekommen und waren bemüht, diese sinngetreu ins Latei-nische zu übertragen, wobei die Offenbarungen oft theologisch ausgedeutet wurden.Birgitta hat die Revelationes zumindest teilweise selbst überprüft und dafür – wennauch erst in Rom – Latein gelernt und verstanden. Unabhängig davon ist der Einflussder Beichtväter Birgittas auf den Offenbarungstext, vor allem auf seine literarischeGestaltung, groß gewesen. Die Aussageabsicht, die Intention der Offenbarungen istaber bei Birgitta zu verorten; ihr kann eine geistige und religiöse Selbstständigkeitin Bezug auf die Revelationes nicht abgesprochen werden. Deshalb ist der BegriffOffenbarungen für die religiösen Erlebnisse der Birgitta, den Begriff Revelationesfür den von den Beichtvätern beeinflussten Offenbarungstext verwenden. Eine solcheAuffassung vertritt auch Rychterová, indem sie in den Revelationes das Ergebnis voneinem „Zusammenfließen der Gedanken und des Bildungsguts eines Theologen mitden spirituellen Erlebnissen einer Trägerin göttlicher Gnade [. . . ]“ sieht.141

Anfangs wurden die Offenbarungen Birgittas kritisch aufgenommen. Der domini-kanische Prior Kettilmund von Skännige predigte kurz nach den ersten OffenbarungenBirgittas, dass diese auf Träumerei, Täuschung und Einbildung beruhten.142 Birgitta

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141 Zugleich widerspricht sich Rychterová dahingehend, dass ihrer Meinung nach der Beichtvater vonBirgitta in den frühen Jahren ihres visionären Lebens, Mathias von Linköping, sein Leben undWerk, der Schlüssel zum Verständnis von Birgittas „geistlichem Horizont wie auch zu Form undInhalt ihrer Visionen, vor allem derer [. . . ] in den ersten zwei Büchern [. . . ]“ sei. Rychterováfolgt hierbei der berechtigten Auffassung, dass Birgitta dem Typus hoch- und spätmittelalterlicherVisionärinnen zuzuordnen ist, die durch ihre Beichtväter, oft gelehrte Theologen, geleitet wordensind. In Anlehnung an die Literaturwissenschaft will Rychterová aber mit der Feststellung derprimär pastoralen Zielsetzung des Textes wesentlich die Frage der Authentizät und Autorschaftder Revelationes klären. Entsprechend sieht Rychterová in den Revelationes zwar keine „reine,beabsichtigte Fälschung“, spricht Birgitta aber eine „wirkliche geistige Selbstständigkeit“ und ein„großes schöpferisches Vermögen“ ab. Diese Auffassung kann ich unter der Voraussetzung, dassdamit die Genese des Textes erklärt und gedeutet wird, teilen. In Bezug auf die Aussageabsichtder in den Revelationes verarbeiteten Offenbarungen gehe ich jedoch davon aus, dass diese aufspirituellen Erfahrungen Birgittas beruhen. Der große Einfluss des Mathias auf Birgitta in denJahren 1342 bis 1348 darf nicht auf die Zeit bis 1372 ausgeweitet werden, besonders deshalb, weilnach dem wohl radikalen Bruch mit Mathias Birgitta stark von anderen Geistlichen beeinflusstworden ist. RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 5, 15–17; PETERS, Religiöse Erfahrung, S. 189–194; RUHRBERG, Körper, bes. S. 5, 448; RÖCKELEIN, Psychohistorie, S. 296f., PETERS, NeueWege, S. 382–384; LANGER, Erfahrung Gottes, S. 445. RÖCKELEIN, Visionsmuster, S. 126f.;LUNDÉN, religiösa litteratur, S. 156; DINZELBACHER, Revelationes, S. 65f.

142 AP, S. 503, wiederholend auf S. 628: Item dixit iste testis, quod audiuit a quodam priore nomineKethilmundo Scenungensi ordinis predicatorum Lincopensis diocesis, quod, cum ei difficile essetad credendum graciam istam diuinarum reuelacionum datam domine Brigide, vidit tunc dormiensignem de celo descendentem in eam. Cumque ipse miraretur et putaret illusionem, expergefactusjterum dormiuit et vidit, quod quasi ignis ille exiuit de ore domine Brigide et inflammabat multoscircumstantes. Et tunc audiuit vocem sic dicentem: „Quis“, inquit, „prohibere potest istum ignem,

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Birgitta und Mathias, weitere Beichtv ter Birgittas

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wurde geraten, ordentlich zu trinken und zu schlafen, statt t richt zu träumen.143 Gottoffenbare sich Priestern und M nchen, nicht aber Frauen, erst recht keinen verheira-teten Hoffrauen.144 Ein M nch aus Alvastra meinte, dass Birgitta nicht ganz richtigim Kopf sei.145 Trotz dieser Anfeindungen verteidigten Birgittas Anhänger ihre Of-fenbarungen.

Um Birgitta entwickelte sich ein religi ser Kreis; die Kanonisationsakten berich-ten von einem Gnadenerlebnis eines Laienbruders.146 Der weitere Erfolg der birgit-tinischen Offenbarungen ist in besonderer Weise auf Birgittas Beichtvater Mathiaszurückzuführen.

2.5. Birgitta und Mathias, weitere Beichtväter Birgittas

Ebenso wie viele andere biographische Daten sind das Geburtsdatum von MathiasÖvidsson und seine Herkunft unsicher. Während die ältere Forschung seine Geburtvor 1298 ansetzt, wird in der neueren Forschung das frühe 14. Jahrhundert bevorzugt.Sehr wahrscheinlich hat Mathias – wohl vom Bischof von Link ping gesandt – inParis studiert; 1333 wird er als magister in artibus in Link ping als Kanoniker ge-nannt. Kurz darauf scheint er sich erneut nach Paris begeben zu haben, wo er bis 1342Theologie studierte. Er wurde später als magister theologia oder als magister in sacrapagina bezeichnet, in Schweden der h chste akademische Grad, den er in jenen Pa-riser Jahren erworben haben muss. Mathias hinterließ etwa eintausendsechshundert,zum großen Teil noch unedierte handschriftliche Seiten in folio.147

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vt non egrediatur? Ego enim ipsa potencia diuina ab oriente et occidente emisi illum.“ Post hecautem dictus prior factus est credulus reuelacionem et gracie et confirmator et defensor verborumsanctorum diuinitus datorum domine Brigide.

143 Ein Ritter, nach Peter Olafssons Aussage in den Kanonisationsakten der Ritter Nikolaus Igevalds-son, veranlasste einen anderen Mann zur Äußerung O domina, nimis sompnias, nimis vigilas, ex-pedit tibi plus bibere et plus dormire, numquit Deus relinquit religiosas personas et cum superbispersonis mundi loquitur? Vanum enim est verbis tuis dare fidem.; die letztgenannter Mann späteraber bereut haben soll. AP, S. 493; REV IV, 113, S. 315–317.

144 REV VI, 90, S. 249: Magistro Mathia loquente cum quodam religioso magne auctoritatis et fami-liaritatis de ista gracia visionum celestium diuinitus data sponse respondit ille religiosus: „Non estcredibile nec concordat Scripture, quod Deus recesserit a continentibus et abdicantibus mundum etostendat secreta sua magnificis feminis.“ [. . . ] Et tunc [Birgitta] rapta in spiritu audiuit Christumdicentem sic: [. . . ] dabo ei vnam alapam cum manu mea, et audietur ab omnibus, quod ego sumDeus non loquax sed efficax et metuendus.“ Hic idem religiosus post hec tribulacione humiliatusest et paracliticus mortuus est.

145 AP, S. 488: [. . . ] eam non habere cerebrum sanum sed esse fantasticam [. . . ]; DINZELBACHER,Wirken, S. 269f.

146 AP, S. 522 über den Konversen Asgotus; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 12.147 MORRIS, Birgitta, S. 69; ULFGARD, bibelstudier, S. 142; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 13;

PILTZ, Magister Mathias, S. 137, 149; STRÖMBERG, Mathias, S. 7–10; SUNDÉN, Mathias, S. 15–17; PILTZ, Mathias, S. 248. Siehe auch VERGER, Jacques: Magister universitatis, LMA VI, Sp. 91.

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Vermutlich wurde Mathias zwischen Sommer 1342 und Februar 1344 BirgittasBeichtvater; in der „Berufungsvision“ ist er als solcher genannt. Mathias beeinfluss-te Birgitta nach Ulfs Tod als Theologe, Seelsorger, Prediger und als hochgebildetePerson. Deutlich wird dies bei einer Untersuchung der Werke von Mathias, bei derzahlreiche Parallelen zu Einstellungen von Birgitta aufscheinen, wie sie etwa in ihrenRevelationes aber auch ihrem Verhalten nachzuweisen sind. Auch zeitlich entsprichtder Beginn von Birgittas „visionärer Karriere“ der intensiven schriftstellerischen Pha-se von Mathias.148

Magister Mathias hat zwei Bücher zur Poesie und Rhetorik, die Poetria und Tes-ta nucis,149 verfasst. Eventuell ist Mathias der Autor einer altschwedischen Penta-teuchauslegung sowie eines Königsspiegels.150 In Fragmenten blieb ein alphabeti-scher Bibelkommentar erhalten, das Alphabetum distinccionum. In diesemWerk legteMathias biblische Verben, Nomen, Adverbien und res naturales literarisch, allegorischund moralisch aus.151 Daneben hat Mathias ein „Predigerhandbuch“, den Homo Con-ditus152 verfasst, der einen einfachen, direkten Stil aufweist. Inhaltlich und formalist der Homo Conditus von der Dieta Salutis des Franziskaners Guilelmus de Lani-cia beeinflusst.153 Der Homo Conditus ist in elf Kapitel gegliedert, welche teilwei-se nach den Tugenden und Lastern unterschieden werden; an die elf Kapitel schlie-ßen sich Predigten für Festtage und Predigten für Heiligenfeste an.154 Interessant ist,dass bei den von Mathias behandelten Heiligenfesten neben mehreren Christus- undMarienfesten mit Ausnahme von Olaf und Sigfrid nur Heilige der alten Kirche ge-

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148 AP, S. 80f. wie oben; VITA BRIGIDE, S. 617 zum Beichtvater Mathias; STRÖMBERG, Mathias,S. 13–15; SUNDÉN, Mathias, S. 17; MORRIS, Birgitta, S. 71f.; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 76;NORDAHL, Birgitta, S. 66; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 15.

149 MAGISTER MATHIAS LINCOPENSIS TESTA NUCIS ET POETRIA, ed. Birger Bergh (SSFS Ser.2. Latinska Skrifter, Band IX:2), Arlöv 1996.

150 PILTZ, Mathias, S. 248.151 MORRIS, Birgitta, S. 69f.; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 13; STRÖMBERG, Mathias, S. 3;

PILTZ, Mathias, S. 249; PILTZ, Magister Mathias, S. 139–143.152 MATHIAS HOMO CONDITUS.153 Vergleiche etwa mit der Dieta salutis opusculum ex aureis S. Bonaventurae Ordinis Minorum,

Romae 1724.; MORRIS, Birgitta, S. 70; PILTZ, Magister Mathias, S. 146f.154 MATHIAS HOMO CONDITUS, Primum capitulum. Quod peccatum naturam ledit ed dona gracia-

rum consumit (S. 1–6); Secundum capitulum. Quod triplex malum emendatur per fidem, spem etkaritatem (S. 7–14); Tercium capitulum. Exposicio brevis simboli apostolici (S. 15–21); Quartumcapitulum. Quod in Deum credendum est quia omnipotens et summe bonus (S. 22–44); Quintumcapitulum. De decem preceptis, que non nisi ex karitate seruanur (S. 45–55); Sextum capitulum.Quod Deus super omnia diligendus sit vt Pater, benefactor, magister et defensor (S. 56–72); Septi-mum capitulum. De superbia et eius malicia (S. 73–88); Octauum capitulum. Quem bona est sapi-encia et prudencia, et quam mala ignorancia et stulticia (S. 89–108); Nonum capitulum. De hiis,que hominem inducere possunt ad contricionem (S. 109–139); Decimum capitulum. De quinqueper ordinem, que speranda sunt a Deo (S. 140–152); Vndecimum capitulum. De hiis, que timen-da sunt homini, que sunt quinque per ordinem (S. 153–165); Sermones de tempore (S. 166–191);Sermones de Sanctis (S. 191–202).

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nannt werden.155 Außerdem schrieb Mathias vermutlich 1344 oder 1345 – eventuellerg nzend zum Homo Conditus – die Copia exemplorum,156 eine Sammlung von et-wa sechshundert homiletischen Exempla, die wohl zur seelsorgerlichen Begleitungvon Laien gedacht war. Die Schrift steht in der französischen Mendikantentraditionund basiert auf dem Alphabetum narracionum des Dominikaners Arnold von Liège,auch wenn dominikanische Elemente vom Weltpriester Mathias vernachl ssigt wor-den sind. Daneben hat Mathias für sein Werk die franziskanische Tabula exemplo-rum, eine Sammlung von Marienwundern französischer Herkunft, Heiligenlegendendes Caesarius von Heisterbach, des Jakob von Vitry und die Legenda aurea herange-zogen. Interessanterweise zitierte Mathias in seiner Copia exemplorum relativ wenigaus der Bibel, dafür umso intensiver die Kirchenv ter und die Vitae patrum.157 Beein-flusst von der mendikantischen Predigttradition stellt auch die Copia exemplorum dieVerkündigung der Buße in den Mittelpunkt; nach dem Kapitel zu Maria mit sieben-undsechzig Artikeln, meistens Exempla, dem Kapitel zu den D monen mit sechsund-zwanzig Artikeln sind die Kapitel zu Buße und Beichte mit siebzehn beziehungsweiseelf Artikeln sehr umfangreich. Dem Schlagwort Iesus Christus wird demgegenübernur ein Exempel gewidmet, dem Schlagwort Spes nur einige Worte.158 Ein weitererzentraler Aspekt ist die Propagierung der eucharistischen Frömmigkeit. Unter demStichwort Eucaristia führte Mathias in seiner Copia exemplorum zwölf Artikel, davonelf Exempla, Hostienwunder betreffend, an.159 Hierfür griff Mathias – über Arnoldvon Liège – auf Caesarius von Heisterbachs Mirakelsammlung Dialogus miraculo-rum zurück.160 Daneben enth lt die Copia exemplorum auch mystische Themen, wiedie Nennung der Maria von Oignies belegt.161

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155 Genannt sind die Feste der Heiligen Andreas, Nikolaus, Thomas, Paulus (dessen Bekehrung), Sig-frid, Petrus in Cathedra, Gregor, Philippus und Iacobus, Johannes der T ufer, Petrus und Paulus,Maria Magdalena, Jacob, Olaf, Laurentius, Bartholom us, Ägidius, Matth us und aller Evangelis-ten und Lehrer, Symeon und Juda, Martin und Katharina. An Marienfesten werden Mariae Ver-kündigung, Mariens Aufnahme in den Himmel, Mariae Geburt genannt; daneben die Feste derReinigung, des heiligen Kreuzes, der Auffindung des Kreuzes, der Engel und aller Heiligen. MA-THIAS HOMO CONDITUS

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, Sermones 76–103, S. 191–202.156 MATHIAS COPIA EXEMPLORUM.157 Strömberg belegt detailliert den Einfluss der einzelnen Werke auf die Copia exemplorum und re-

konstruiert die Herkunft der Werke aus oder über Paris. STRÖMBERG, Mathias, S. 6, 45–55, 57,75–91, 105–109, 112f., 163; MORRIS, Birgitta, S. 70; PILTZ, Mathias, S. 249; MATHIAS COPIA

EXEMPLORUM, S. ix–xvii.158 MATHIAS COPIA EXEMPLORUM, 111 Maria, S. 65–75; 52 Demon, S. 28–33; 138 Penitencia,

S. 90–94; 31 Confessio, S. 17–19; 86 Iesus Christus, S. 53; 171 Spes, S. 109. STRÖMBERG, Ma-thias, S. 139–141, 144, 147.

159 MATHIAS COPIA EXEMPLORUM, 66 Eucaristia, S. 41–43.160 STRÖMBERG, Mathias, S. 157–160.161 Mathias Copia exemplorum, 35 Consolacio, 3,4, S. 21: Iacobus de Vitriaco uidit deuotas mulie-

res, que per integrum diem extra se rapte nullo clamore uel motu excitari potuerunt, nec erat eissensus ad aliqua exterioria, et licet pungerentur, tamen nullam senserunt lesionem [. . . ] QuedamMaria nomine in lecto suo quandoque per 3 dies cum sponso celesti quiescebat et uix uno mo-

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Theologisch war Mathias ein ausgesprochener Traditionalist, nach Morris steht ereher in einer Reihe mit den Theologen und Bibelkommentatoren des 13. Jahrhundertsals in der Theologie des 14. Jahrhunderts. Zugleich war Mathias durchaus mit derzeitgenössischen internationalen theologischen und spirituellen Situation vertraut. Inseiner Exposicio kritisierte er auf Avoerroes und Aristoteles zurückgehende „Irrleh-ren“, einmal die 1277 von Bischof Étienne Tempier von Paris verurteilte Auffassung,dass die Erde ewig sowie die Vorstellung, dass die menschliche Seele sterblich wiedie Tiere sei.162 In Bezug auf die umstrittene Frage der visio beatifica folgte Mathiasder von Papst Benedikt XII. 1336 veröffentlichten Erklärung.163 Die Betonung derEucharistie und Realpräsenz kann durchaus eine Reaktion auf die von Bischof Tem-pier verdammten aristotelischen Deutungen des Begriffs der Akzidentien sein, die dieLehre der Realpräsenz angreifen würden. In Schweden scheint die Diskussion um dieTranssubstantation unter Laien aber nicht sehr intensiv gewesen zu sein, es ist nur für1310 ein Fall belegt, in der ein Botulph aus Østby in der Pfarrei Gottröra im BistumUppsala zu Ostern die Eucharistie verweigerte, weil diese nicht der Leib Christi seinkönne, und wenn, habe der Priester diesen selbst schon vor langer Zeit aufgegessen.164

Die Bibel war für Mathias Grundlage der Theologie. Darin wird ein starker franzis-kanischer Einfluss deutlich; beeinflusst von Bonaventura, den Mathias häufig zitiert,sollte die Bibel für Mathias im Zentrum religiöser Studien stehen und die Theolo-gie vor allem pastoralen und nicht akademischen Zwecken dienen. Die scholastischeMethode lehnte Mathias entschieden ab, er bekämpfte entschlossen den Averroismus,die dialektische Methode an den theologischen Fakultäten wie alle Versuche, Ver-nunft und Philosophie über Glauben und Erfahrung zu stellen.165 Das Gesamtwerkvon Mathias ist stark marianisch geprägt; Mathias verteidigte entschlossen die Lehrevon der unbefleckten Empfängnis Mariens. Diese war für ihn eine „Mediatrix allerGnaden“.166

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mento quieuisse uidebatur; aliquando ut puerum amplectebatur et cum eo ludebat, unde et iuxtadiuersitatem festorum in diuersis se figuris ei ostendebat, ut natali se eis quasi puer ostendebat etsimiliter in aliis.; STRÖMBERG, Mathias, S. 160–162.

162 MATHIAS EXPOSICIO, cap. 13, 194, S. 408: [. . . ] quod mundus eternus est et homo mortalis sicutiumentum [. . . ]; VAUCHEZ, Kirche und Bildung, S. 475f.

163 MATHIAS EXPOSICIO, cap. 1, 42, S. 43: Qui enim Christum diligunt, morti eius compaciuntur etidcirco per mortem, cuius participes sunt, deitatis ipsius visione consolabuntur [. . . ] und cap. 5,83, S. 165: Ex hoc, quod hic dicitur, apparet falsitas illius erroris, quo quidam minus eruditi invera theologia dialectice negociantes de materiis theologicis asserere voluerunt neminem anteperactum iudicium finale peruenire posse ad facialem visionem Dei.

164 PILTZ, Magister Mathias, S. 148, nach DS 1789.165 Bezeichnend etwa in MATHIAS EXPOSICIO, cap. 8, 88, S. 242f.: Et ideo dyabolus hodie sacre

theologie studium in clero per philosophicam doctrinam corruperat non solum in eo, quod non Deigloriam sed proprias dignitates per eam inquirunt, sed eciam in hoc, quod theologicam veritatemnon theologice sed dialectice querunt. MORRIS, Birgitta, S. 70f.; STRÖMBERG, Mathias, S. 11;PILTZ, Mathias, S. 249; PILTZ, Magister Mathias, S. 137, 142, 145, 150; ULFGARD, bibelstudier,S. 149–152.

166 So etwa in MATHIAS HOMO CONDITUS, Nonum capitulum, lettera r, 174, S. 130: An quomodo

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Das wohl bedeutendste Werk von Mathias war seine Exposicio super apocalyp-sim, eine literarische und spirituelle Deutung des Buches der Offenbarung des Johan-nes.167 Die Exposicio wurde von Bernhardin von Siena kopiert und war Grundlageseiner Predigten;168 auch Nikolaus von Kues hat das Werk gesch tzt. In der Exposi-cio behandelte MathiasWahrheiten und Tugenden und bezog diese auf Vergangenheit,Gegenwart und Zukunft. Zugleich sind in der Exposicio keine explizit joachimitischenÄußerungen enthalten. Lediglich die Auffassung von Mathias, in einer entscheiden-den Zeit zu leben, der sehr bald das Weltende folge, ist in dem Werk spürbar. 169 Inder Deutung der Offenbarung bezeichnen nach Mathias die sieben Gemeinden, an diesich Johannes wendet, die sieben Tugenden eines aktiven Lebens,170 die sieben Siegeldie sieben Arten des göttlichen Gerichts171 und die sieben Trompeten die siebenfa-che Verdorbenheit der gegenw rtigen Kirche.172 Die Bestrafung hierfür, so Mathias,werde von bösen weltlichen Herren, symbolisiert von Heuschrecken und Skorpionen,vorgenommen.173 Die Zahl der guten Menschen und deren Einfluss gehe best ndigzurück; der Antichrist werde die Welt auf vielfache Weise t uschen. Noch aber wacheChristus über seine Kirche und bewahre sie vor dem Untergang, noch erhelle er dieKirche durch sein Wort und gebe ihr gute Hirten.174

Sicher haben Birgitta und Mathias ihre Sicht in Bezug auf die Kirche, Maria, dieBedeutung der Bibel für den Glauben sowie die Wichtigkeit der Predigt geteilt. Dasin der Exposicio entworfene düstere Bild der Christenheit in den Augen von Mathiaswurde durch Birgittas Offenbarungen „best tigt“. Die Ermahnungen in den Revelatio-nes zur Bedeutung der Predigt und der Bibel h ngen sicher mit dem Zusammenwirkenvon Beichtvater und Beichttochter zusammen. Diese Zusammenarbeit sollte wesent-lich dem Heil und der Erbauung der Menschen dienen, die die Werke von Mathias,vor allem aber die Offenbarungen Birgittas vermittelt bekamen. Birgittas Offenbarun-

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mater aliena esse potest a plenitude sapiencie, que est in Filio? Profecto sicut vna anima matriset Filii, sic et vna sapiencia. Habet quidem et vitam eternam resuscitata iam in anima et corpore,vivens cum Filio, vt, quorum erat pro merito vna in corpore et anima peccati inmunitas et iusticieincorrupcio, eorum sit et pro premio eadem corporis et anime resuscitate in eternum glorificacio.Und in lettera s, 176, S. 130 schließlich: Ergo in Maria vitam inuenies, quia in ea Christum inue-nies [. . . ] In die hnliche Richtung geht ein Exempel in Mathias Copia exemplorum, 111 Maria, 6,S. 66: Clerico, qui ei hos uersus in uita sua continue decantabat: „gaude, Maria uirgo die geni-trix immaculata“ etc., in estrema sui negritudine apparuit et eum ad gaudium, quod sibi tam sepeannunciauerat, secum perduxit.; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 13.

167 Nach Schmitt ist die Exposicio vergleichbar den Schriften Olivis oder dem Arbor Vitae des Casale.SCHMITT, Matthias de Linköping, S. 125.

168 PACETTI, fonte dottrinale, S. 273–282.169 MATHIAS EXPOSICIO, cap. 11, 83, S. 307.170 MATHIAS EXPOSICIO, cap. 3, 171–177, S. 126f.171 MATHIAS EXPOSICIO, cap. 5, 13, S. 154.172 MATHIAS EXPOSICIO, cap. 8, 11, S. 231.173 MATHIAS EXPOSICIO, cap 9, 26, S. 250.174 MATHIAS EXPOSICIO, cap. 12 und 13 zum Kommen des Antichrist, cap. 14 und 15 zu Christus.

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gen waren für Magister Mathias’ homiletische Vorstellungen in hoher Weise nützlich,schließlich waren sie für eine breite Pastoral geeigneter als seine eigenen Werke.175

Die bereits angesprochene Berufungsvision und eine damit verbundene visionäreKritik an den schwedischen Hofleuten und Rittern hatte Mathias, zwar unter Verweisauf ein anonymes Beichtkind, anfangs in der Volkssprache noch unter seinem eigenenNamen veröffentlicht.176 Kurz darauf muss er mit Birgitta die Lehren des Joachimvon Fiore diskutiert haben, die er sicher in Paris aufgenommen, wenn auch nicht ge-teilt hatte. Einige schwedische Historiker gehen davon aus, dass Mathias in Birgitta,in ihrer Berufungsvision und in der Aufforderung Christi an sie, einen neuen Ordenzu gründen – obwohl dies das Vierte Lateranum und das Konzil von Lyon verbotenhatten – das entscheidende Zeichen, den Kairos zum Anbruch des neuen Zeitaltersdes Geistes gesehen hat. Ob und inwieweit er dies aber mit den Lehren des Joachimverband, ist unsicher.177 Im „Prolog“ zu den Offenbarungen bemühte sich Mathiasvon Linköping, die Rechtmäßigkeit von Birgittas Offenbarungen zu verteidigen. Ernannte sich selbst als Zeuge der Authentizität der Offenbarungen und stellte Birgittain die Tradition der alttestamentlichen Propheten. Mit Jeremia 5,30 äußerte er sich:

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175 EXTRAV 47, S. 162f., S. 162: Scias, quia non loquor propter te solam sed propter salutem omniumChristianorum [. . . ]. Vgl. die Berufungsvision oben; MORRIS, Birgitta, S. 71f.; RYCHTEROV ,Offenbarungen, S. 14–17; STRÖMBERG, Mathias, S. 21; DINZELBACHER, Wirken, S. 288. Soermahnt beispielsweise Gott in Vision REV VI, 75, S. 236f. durch Birgitta Mathias, ein guterPrediger zu sein. Dabei werden zwei „Irrlehren“ angedeutet, welche zu Mathias’ und BirgittasZeit in Schweden existiert haben können – zum einen der Glauben, dass keiner vor dem JüngstenGericht die selig machende Schau Gottes erfahren könne; zum anderen die Auffassung, dass dieQualen der Hölle nicht ewig seien:

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Tunc sponsa in excessu mentis vidit celum apertum et infernumardentem, et audiuit vocem dicentem sibi: „Vide“ inquit, „celum, vide animas, quali gloria vestitesunt! Dic ergo isti magistro tuo: Hec dicit non alius nisi Deus tuus, creator et redemptor tuus.Predica secure! Predica constanter! Predica oportune et importune! Predica, quod anime beate etpurgate vident faciem Dei! [. . . ] Ergo, quia homo non corrigit malum suum, cum vivit et potest,quid mirum, si puniatur, vbi nichil potest? Überdies kann auch die Religiosität von Birgitta wie dievon Mathias eschatologisch und von der Naherwartung des Todes geprägt worden sein. ROSSING,Spiritualitet, S. 11–13.

176 Jak mathias kanunker aff lin[køpunge kwn]nughar allum mannum mæÞ Þ[ænna skript wiÞ] guzsanninÞ Þæt jak a skriptama[le hørÞe af] Enne guÞleko mænniskio, nach LIEDGREN, svenskakungörelse, S. 111. Die Kritik an der schwedischen Oberschicht in MATHIAS PROLOGUS, S. 237f.:Sed nunc homines regni Suecie, specialiter illud hominum genus, quod curiale seu militare dicitur,peccant, sicut ante diabolus peccauit. Superbiunt enim de pulchris corporibus, que eis dedi. Diui-cias ambiunt, quas eis dare nolui. Abhominabili concupiscencia sic defluunt, ut, si eis possibileesset, magis me occiderent quam voluptatibus suis carere vellent, aut iudicium meum horribile,quod eis pro peccatis suis imminet, sustinerunt. Ed ideo corpora illa, de quibus superbiunt, oc-cidentur gladio, lancea et securi. Membra illa speciosa, de quibus gloriantur, bestie et volucreslacerabunt. Bona, que contra voluntatem meam congregant, alieni diripient et ipsi egebunt. SUN-DÉN, Mathias, S. 19; DINZELBACHER, Wirken, S. 282.

177 Dieses „neue Zeitalter“, das für Mathias ein anderes gewesen sein muss, als es einige Franziskanererwartet haben, scheint für Mathias keine Gefahr für die Kirchenhierarchie oder -lehre gewesensein. MORRIS, Birgitta, S. 75. Fußnote 44; SUNDÉN, Mathias, S. 17–22; SUNDÉN, Birgitta, S. 12f.;PILTZ, Mathias, S. 149, 152, Fußnote 6; NORDAHL, Birgitta, S. 112–114.

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Birgitta und Mathias, weitere Beichtv ter Birgittas

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Stupor et mirabilia audita sunt in terra nostra.178 Seine Verteidigung von Birgittas Of-fenbarungen f hrte er so weit, dass er behauptete, die Tatsache, dass Christus eineFrau als Braut und Sprachrohr erwählt habe, sei bemerkenswerter als die InkarnationChristi selbst. Jene sei das fleischliche Äußere f r irdische Augen, die Vision Birgittasaber zeige Gott und den Menschen (Christus) f r geistige Augen.179

Bis zu einem gewissen Grad kann Birgitta diese Rolle, in der sie Mathias sah, ver-innerlicht haben. Bezeichnend sind zwei vermutlich in dieser Zeit entstandene Offen-barungen, in der sie sich einmal von Maria als „Mitglied der Heiligen Familie“ be-zeichnen lässt, weil sie Christus in ihrem Herzen „empfangen“ habe;180 zum anderenbeansprucht Birgitta f r sich, f r Mathias von Christus den Zeitpunkt des Kommensdes Antichrist zu erfahren.181 Glaubt man den Offenbarungen Birgittas, war auch dieEntstehung des Apokalypsenkommentars ein „Gemeinschaftswerk“ von Mathias undBirgitta. Wiederholt nämlich habe der Beichtvater die Beichttochter um „himmlischeAusk nfte oder Bestätigungen“ gebeten.182

Wahrscheinlich 1346 wurde in Uppsala eine Kommission einberufen, die die bisdahin entstandenen Offenbarungen Birgittas gepr ft und als rechtgläubig anerkannthat.183 Es handelte sich dabei vor allem um jene Offenbarungen, die an den Papst ge-richtet waren und die, welche sich auf den Hundertjährigen Krieg bezogen.184 Bereits

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178 MATHIAS PROLOGUS, S. 229; VULGATA, S. 1174.179 MATHIAS PROLOGUS, S. 234f.: Quis enim, nisi eiusdem spiritus gracia preuentus, credere poterit,

quod Christus, residens in celo, loquatur femine, in hac mortalitate adhuc degenti? [. . . ] Sanestupendior est hec apparicio illa, qua se per carnem monstrauit. Illa carnis superficiem carnalibusoculis ingessit, hec Deum et hominem spiritualibus oculis ingerit. Per illam moriturus mortalibusloquebatur, per hanc semper victurus morituris, ut immortales fiant, loquitur. Per illam ambulansin terra in huminis diuina monstrabat, per hanc regnans in celo humana diuinis reconciliat. In illadebitum iusticie moriendo pro nobis soluit, in hac indebite nobis peccatoribus misericordie munuslargiri promittit.; MORRIS, Birgitta, S. 75.

180 REV VI, 88, S. 247f., S. 248: Ideo filia, non timeas sed gratulare, quia motus iste, quem tu sentis,signum aduentus filii mei est in cor tuum. Ideo, sicut filius meus imposuit tibi nomen noue sponsesue, sic ego voco te nunc nurum filii mei.

181 REV VI, 89, S. 248f., S. 249: Sed quomodo et quando veniet ille maledictus Antichristus, ostendamsibi per te.

182 So entstand etwa die bereits genannte Vision in Kapitel 89 im Sechsten Buch der Revelationes,oder auch in Vision REV VI, 110, in der Mathias von Christus ber Birgitta die sieben Donner-schläge der Offenbarung als sieben St rme, die der Kirche zusetzen, gedeutet bekommt. MATHIAS

EXPOSICIO, cap. 10, 72–75, S. 283; REV VI, 110, S. 271; MORRIS, Birgitta, S. 71f.; HERGEMÖL-LER, Magnus, S. 76; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 15; ULFGARD, bibelstudier, S. 153–157;PILTZ, Magister Mathias, S. 143–145.

183 Dieser Kommission gehörten Erzbischof Hemming Nilsson, Bischof Peter Tygilsson von Lin-köping, Bischof Thomas von Växjö, Bischof Hemming von Åbo, Magister Mathias von Lin-köping und vielleicht Subprior Peter von Alvastra an. RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 34–37;KLOCKARS, svenska värld, S. 106; MORRIS, Birgitta, S. 79.

184 So etwa die Offenbarungen REV IV, 103, S. 295; REV IV, 104, S. 296–298; und REV IV, 105,S. 299, in denen der heilige Dionysius bei Maria um Hilfe f r Frankreich bittet (REV IV, 103);Maria sich daraufhin bei Christus ber die streitenden Könige von England und Frankreich beklagt

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94 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

vor 1350 sollen nach den Kanonisationsakten in schwedischen Kirchen die Offenba-rungen Birgittas dem Volk verkündet worden sein, vor allem jene, in denen bevor-stehende Heimsuchungen angekündigt wurden.185 Zwischen Ostern und September1347 wurde eine Delegation zu Papst Klemens VI. nach Avignon entsandt. Sie warvon König Magnus sanktioniert und eventuell finanziert worden. Geleitet wurde sievon Bischof Hemming von Åbo, ihr gehörte auch Subprior Peter von Alvastra an.Die Delegation überbrachte eine Auswahl von Offenbarungen Birgittas, die den Papstbewegen sollten, im Heiligen Jahr 1350 nach Rom zurückzukehren und im Konfliktzwischen dem englischen und französischen König zu vermitteln.186 Mit diesen For-derungen scheiterte die Delegation, trotz der „himmlischen Offenbarungen“ an denPapst, vollständig.187

Am 1. Mai 1346 hat der König, möglicherweise im Zusammenhang mit seiner be-reits angesprochenen persönlichen Krise, Birgitta einen Palast in Vadstena zum Um-bau in ein Kloster und weitere Güter für die wirtschaftliche Sicherung desselben zurVerfügung gestellt.188 Dies belegt, dass Birgitta bereits in dieser Zeit Pläne für eineKlostergründung hatte. Im möglicherweise in dieser Zeit entstandenen Kapitel acht-zehn des ersten Buches der Revelationes189 findet sich die erste Vision eines zu er-richtenden Doppelklosters. Doch trotz eines Besuchs von Magnus in Alvastra im Mai1348 verschlechterte sich das Verhältnis vom König zur ehemaligen Hofmeisterinseiner Frau Blanche weiter. Die Kritik an der Kirche und am Adel in den Offenbarun-gen Birgittas geschah in Form allgemeiner Belehrungen an die Christenheit, mit der

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(REV IV, 104) und Christus die genannten Könige schließlich auffordert, durch eine HochzeitFrieden zu stiften, sich zu versöhnen und die Untertanen von den Steuern und Lasten des Kriegeszu befreien (REV IV, 105).

185 AP, S. 460: predicabatur coram populo in multis parrochialibus ecclesijs ante annum jubileum[. . . ], quod beata Brigida prophetauerat et predixerat magnas tribulaciones, [. . . ].

186 So etwa REV VI, 63, S. 208f.; REV IV, 103, S. 295; REV IV, 104, S. 296–298; und REV IV, 105,S. 299.

187 KLOCKARS, hennes värld, S. 121–123; MORRIS, S. 79–82; NORDAHL, Syv birgittinere, S. 157–161.

188 SiÞæn giwum wi klostren. Þer vi oc vare ærwyngiæ skulum byggyæ, oc altzÞinges fulcomæ medguÞz naÞom i vazstenom. i. guÞz oc varræ. fru marie heÞer. Þer vi baÞin vælyom varn læghurstaÞ.æ hwar vi kunnom dø i varum rikum æller hærrædømom. forbyÞande harÞlicæ vndi guÞz ban ocvarræ fru. hwaryom manni. Þer nu ær æller varÞa kan. i hwariæhandæ staÞ han se. vær liik annarsæller bæggiæ. dyrwes til at yorÞa nokarstaÞ i. iorÞriki. æller nipersætyæ. til langæ visu, vtan isoknækyrkyiuni i vatzstenom. vm guÞ will oss baÞin. æller annat varræ kallæ. hær af værældynne.før æn kirkiæn æller koren af førmæfndu klostre varÞer fullbygder, all. var goÞz. oc hwart Þerræsærdelis, swa som vatzstenæ i. dalshæret. swæm i øthishøgh sokn, med byælbo. i østergøtlande, eeÞi. skærÞisstaÞa sokn i wist, Haxnæs, sææm Nyobek oc frølundæ, i kind i vestergøtlande, Lundbyi riÞwægh. een landboæ i Hagnaløsu, oc Þre i vestru uplandom i kindahæret i væstergøtlande,med alla goÞzænnæ landboum. qwærnum oc qwærnæstaÞum, scoghum oc fiskewatnom. oc allom.tillaghum, fyærræn æller nær lyggiandum, ængom vndantaknom med swa skyælum. som annurvar breff Þer vm giorÞ lyuslicæ sighiæ., in: DS 4069, S. 562. KLOCKARS, svenska värld, S. 113;NORDAHL, Birgitta, S. 117.

189 REV I, 18, S. 289–292.

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Birgitta und Mathias, weitere Beichtv ter Birgittas

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vor allem die traditionalistisch-konservative adelige Gesellschaft gemeint war. Diesersozialen Elite – und weniger den Massen – predigte Birgitta Umkehr. Entsprechendwurde auch K nig Magnus zu einem frommeren Lebenswandel ermahnt.190 Auchscheint Magnus Birgittas Hinweisen in Bezug auf seine „Kreuzzugs“pläne nach Ka-relien und Novgorod nicht gefolgt zu sein. Birgitta unterstützte diese anfangs, da siesie durch mehrere Offenbarungen gerechtfertigt sah.191 Vor dem Beginn der Feldzügemuss aber auch hierüber Dissens zwischen Magnus und Birgitta entstanden sein;192

nach ihrem Scheitern spiegelt sich in den Offenbarungen Birgittas die Kritik führen-der schwedischer Schichten am Unternehmen.193 Wohl aufgrund dieser Differenzenentzog Magnus Birgitta die weitere Unterstützung für ihr Klosterprojekt.194

Mathias k nnte in dieser Zeit der zunehmenden Spannungen zwischen Birgitta unddem K nig weitere Zeichen zur Bestätigung von Birgittas besonderer Rolle in der(Heils)geschichte gefordert haben. Eventuell weil diese ausblieben, wandte sich Ma-thias spätestens 1348 von Birgitta ab und orientierte sich zum K nig hin. JüngerenQuellen aus dem 15. Jahrhundert zufolge hat Mathias K nig Magnus sogar auf des-sen Feldzug nach Finnland begleitet. Jene Abkehr von Mathias k nnte bei Birgittaeine Krise verursacht haben. Nach Sundén ist der Liber Questionum, das Fünfte Buchder Revelationes, eine Reaktion auf diese Krise. In einer stark psychologischen Argu-mentation vertritt Sundén die Auffassung, dass der Liber Questionum einWendepunkteiner „Mathias-Besessenheit“ von Birgitta mit erotischen Zügen war. Durch die Vi-sion habe sich Birgitta von der heilsgeschichtlichen Rolle, die Mathias ihr zugedachthatte, emanzipiert und fortan als „einfache Pilgerin“ einen neuen Weg eingeschla-gen.195 Im Jahre 1350 oder kurz danach ist Mathias vermutlich an der Pest gestorben.

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190 REV IV, 1, S. 59–61. In der in dieser Zeit entstandenen Vision REV IV, 4 ermahnt Christus – überBirgitta – K nigin Blanche, ihr Leben zu ändern, asketisch zu leben und nach Rom zu pilgern.Dabei wird als Vorbild Elisabeth von Thüringen genannt. REV IV, 4, S. 69–74.

191 MORRIS, Birgitta, S. 83–86; KLOCKARS, hennes värld, S. 78–87, 128; RYCHTEROVÁ, Offen-barungen, S. 37. Die Offenbarungen Birgittas in Bezug auf die Kreuzzüge und Heidenmission –etwa REV I, 57, S. 429f.; REV IV, 2, S. 61–65; REV IV, 129, S. 359–368; REV VI, 83, S. 244;REV VIII, 39, S. 163; REV VIII, 40, S. 163f.; REV VIII, 43, S. 170f.; REV VIII, 44, S. 171–173; REV VIII, 45, S. 173; REV VIII, 46, S. 173f.; REV VIII, 47, S. 174–179 – stammen bis aufREV IV, 129 sicher aus der schwedischen Zeit Birgittas.

192 Entsprechend etwa die Vision REV VI, 41, S. 161f. in der Christus Magnus tadelt, weil er aus demKreuzzug einen weltlichen Kriegszug machen wolle.

193 Etwa REV VIII, 56, S. 211–222; diese Vision ist wohl nach 1350 entstanden; RYCHTEROVÁ, Of-fenbarungen, S. 38. Nach Eimer ist der Misserfolg der Kreuzzüge auch ein Grund für die Ableh-nung des Deutschen Ordens durch Birgitta, was Eimer leider nicht näher ausführt. Meiner Meinungnach hat Birgitta den Kreuzzugsmisserfolg nicht mit dem Deutschen Orden verknüpft. EIMER,Gotland, S. 177.

194 SUNDÉN, Mathias, S. 24f.195 Gemäß dem Prolog des Buches V empfing Birgitta die Offenbarungen des

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Liber Questionum aufdem Pferderücken bei einem Ritt von Alvastra nach Vadstena. Sie „sah“ einen M nch auf einerHimmelsleiter, der kritische Fragen stellte, die Christus beantwortete. Insgesamt handelt es sichsechzehn interrogaciones, je in questiones und responsiones unterteilt und dreizehn revelaciones.

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96 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Die spätere Tradition besagt, dass er in Stockholm gestorben sei und in der dortigenDominikanerkirche sein Grab fand. Besonders in birgittinischen, aber auch in domi-nikanischen Kreisen entstand ein Kult um Mathias, eine Mirakelsammlung aus dem18. Jahrhundert schrieb ihm drei postmortale Wunder zu.196

Mit Mathias befreundet war der Zisterzienser Peter Olafsson (Petrus Olavi) vonAlvastra, der auch beim Tod von Ulf anwesend gewesen und wohl schon seit 1345Beichtvater von Birgitta war.197 Geboren um 1307, war er Subprior in Alvastra, alsBirgitta bei dem Kloster lebte. Peter war mit Bischof Hemming von Åbo befreundet,mit dem er zwischen 1346 und 1349 mehrere Reisen nach England und Frankreichsowie zum Papst unternahm. Anfangs stand auch er den Offenbarungen ablehnendgegenüber, bis, so zumindest die Kanonisationsakten von Birgitta, ein Schlaganfall –ein „Backenstreich Gottes“ – und die Heilung nach dem Gelübde, ihre Offenbarungenniederzuschreiben, ihn eines Besseren belehrt haben sollen. Zu einem unbekanntenZeitpunkt nach 1350 folgte er Birgitta nach Rom, wo er, unterbrochen von mehrerenReisen nach Schweden, bis zum Tode Birgittas blieb. Im Jahre 1374 wurde er Prior inAlvastra, hier starb er am 9. April 1390.198

Der bereits mehrfach genannte Bischof Hemming von Åbo, geboren um 1290 inBälinge, Uppland, hatte in Paris als Schüler von Pierre Roger, dem späteren PapstClemens VI., Theologie und Kirchenrecht studiert, wurde 1329 Kanoniker in Åbo und1339 Bischof. Bereits angesprochen wurden seine Reisen zum Papst nach Avignonsowie zum englischen und französischen König in den Jahren 1346 bis 1349. Bis zuseinem Tod 1366 war Hemming in der schwedischen Kirchen- und Innenpolitik aktiv.Mit Birgitta muss er in den 1340er Jahren befreundet gewesen sein; Birgitta schätzteihn als frommen und asketischen Mann.199

Um 1348, eventuell nach dem Bruch mit Mathias, lernte Birgitta ihren späterenBeichtvater Magister Peter Olafsson aus Skännige kennen. Nordahl vermutet, mei-ner Meinung nach zu Recht, dass – bezogen auf das Leben Birgittas nach Ulfs Tod

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Berührt wurden Aspekte des FreienWillens, der menschlichen Erkenntnisfähigkeit, der Theodizee,der Menschwerdung Christi und der Mariologie, also aktuelle theologische und philosophischeFragen des 14. Jahrhunderts. Im Aufbau folgt der Liber Questionum der scholastischen Traditi-on der Disputatio. Unklar ist, inwieweit der Liber Questionum Birgittas eigene theologischen undphilosophischen Kenntnisse widerspiegelt. Zugleich wird in diesem Buch der Revelationes dereventuell zisterziensisch beeinflusste antischolastische Charakter – trotz der scholastischen Struk-tur des Gesamtwerkes – besonders gut deutlich. Wie Birgitta Mathias in jener Zeit gesehen hat,ob er mit dem Mönch identifiziert werden kann, muss offen bleiben. SUNDÉN, Mathias, S. 25–36;PILTZ, Mathias, S. 248; MORRIS, Birgitta, S. 87–90; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 31, 38.

196 RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 13; STRÖMBERG, Mathias, S. 25–27, 33–35; PILTZ, Mathias,S. 248, 250.

197 AP, 260, 675; KLOCKARS, svenska värld, S. 104f.; MORRIS, Birgitta, S. 72f.; STRÖMBERG, Ma-thias, S. 18.

198 AP, S. 286, 675; DIARIUM, 50:2; EXTRAV 48, S. 163–165; AILI, Petrus von Alvastra, S. 224f.;NORDAHL, Syv birgittinere, S. 101–103; DINZELBACHER, Wirken, S. 271.

199 KLOCKARS, Hemming, S. 627f.

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Birgitta in Italien und im Heiligen Land 97

– weniger Magister Mathias als Magister Peter Olafsson die entscheidende geistlicheGestalt in ihrem Leben gewesen ist. Leider ist es bei ihm kaumm glich, seine Religio-sität etwa anhand schriftlicher Quellen zu rekonstruieren. Er wurde vermutlich 1298in Skännige geboren und erhielt m glicherweise 1322 die Priesterweihe. Als Magis-ter wird er bezeichnet, weil er der Lehrer von Birgitta gewesen ist. Ein Studium istfür Peter nicht nachzuweisen. Um 1340 wurde er Vorsteher des Heilig-Geist-Hausesin Skännige. Sicher reiste er 1349 mit Birgitta nach Italien. Dort stand er – selberstreng asketisch lebend – Birgittas Haushalt vor, war ihr Beichtvater, geistlicher Lei-ter und Lateinlehrer.200 Zu Katharina hatte er seit der r mischen Zeit guten Kontakt;gemeinsam überführten sie Birgittas Reliquien nach Vadstena. Zugleich stand Peter inKontakt mit Bischof Nikolaus; mit Peter von Alvastra verfasste er die Beichtvätervita.Bis zu seinem Tod am 16. September 1378 sollte er überdies erster Generalkonfessorim – noch nicht offiziell geweihten – Kloster Vadstena werden.201

2.6. Birgitta in Italien und im Heiligen Land

Im Jahre 1349 folgte Birgitta einer Offenbarung, die sie aufgefordert hatte, nach Romzu gehen.202 Nachweislich hat Birgitta diese Reise schon seit 1348 vorbereitet undetwa Güter verkauft, um Bargeld zu erhalten; die Reise trat sie Anfang 1349 an.203

Anlass waren m glicherweise das Heilige Jahr 1350, eine politische und wirtschaftli-che Krise und das Auftreten der Pest in Schweden; in Rom blieb Birgitta bis zu ihremLebensende. Weniger die Reise nach Rom an sich ist bemerkenswert – diese stehtim Kontext anderer Pilgerfahrten etwa nach Drontheim oder Santiago – sondern derlange Aufenthalt Birgittas in Italien.204

Geprägt war die in Fürstentümer und den Kirchenstaat zerfallene italienische Halb-insel in der Mitte des 14. Jahrhunderts von dem Exil der Päpste in Avignon, der Aus-einandersetzung zwischen Guelfen und Ghibellinen, welche durch das franz sischeStreben nach Einfluss besonders in Norditalien überlagert wurde sowie durch Natur-

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200 DS 2888; AP, S. 191, 251, 675; VITA BRIGIDE, S. 633; KLOCKARS, svenska värld, S. 126; LUN-DÉN, Birgitta och Petrus, S. XIV–XX; MORRIS, Birgitta, S. 102; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen,S. 41f.; NORDAHL, Syv birgittinere, S. 57–72; NORDAHL, Birgitta, S. 104f., 142f.; AILI, Petrusvon Skännige, S. 221f.

201 DIARIUM, 35; AP, S. 675; LUNDÉN, Birgitta och Petrus, S. XXV–XXVIII.202 AP, S. 94: Vade Romam, vbi platee strate sunt auro et sanguine sanctorum rubricate, vbi compen-

dium, id est brevior via, est ad celum propter indulgencias, quas promeruerunt sancti pontificesoracionibus suis. Stabis autem ibi in Roma, donec summum pontificem et imperatorem videbis ibi-dem insimul in Roma et eis verba mea nunciabis.; EXTRAV 41, S. 158: Filius Dei loquitur: „Iamregula descripta est, iam flores ei appositi et colores ordinati. Vade nunc ad locum, vbi visura espapam et imperatorem [. . . ]“.

203 DS 4350, Birgitta verkaufte für 50 Mark ein Grundstück; KLOCKARS, svenska värld, S. 104, 126;RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 38f.; NORDAHL, Birgitta, S. 131.

204 STOLPE, Birgitta i Rom, S. 11; MORRIS, Birgitta, S. 93, 97; BORNSTEIN, Birgitta in Roma, S. 58.

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98 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

katastrophen wie die Pest und Erdbeben, die 1346 und 1349 auch in Rom schwereSchäden anrichteten.205 Auf ihrer Reise wurde Birgitta unter anderem von MagisterPeter und dem Ritter Magnus Peterson zu Eka (Magnus Petri) begleitet. Letzterer, ausadeligen Kreisen Schwedens stammend und verheiratet, empfing nach Birgittas Toddie Priesterweihe und wurde nach dem Tode von Magister Peter 1378 Generalkonfes-sor in Vadstena.206 Die Route der Reisenden nach Rom ist unsicher, Maihingen imRies ist als Station trotz der jüngeren Legende unsicher; die Alpen wurden vermutlichüber den Bernhard-Pass überquert.207 Sicher ist Mailand als Zwischenstation, hierwurde Birgitta mit ihren Begleitern vom Erzbischof Giovanni Visconti empfangen. InMailand hatte Birgitta auch eine Vision des hl. Ambrosius, der den Erzbischof undPolitiker kritisierte.208 In Rom kamen die schwedischen Pilger im Kardinalspalast beiSan Lorenzo in Damaso209 unter. Diese Unterkunft wurde ihnen vom Kardinal Hu-go von Beaufort, einem Bruder von Papst Klemens VI., gewährt. Einige Jahre spätermusste Birgitta mit ihren Begleitern den Palast verlassen und bezog 1353 das HausderWitwe Francesca Papazzura am Campo dei Fiori, genannt PalatiumMagnum, heu-te an der Piazza Farnese gelegen.210 Bereits im August 1350 besuchte Katharina ihreMutter in Rom und blieb dort bis zum Tod ihrer Mutter. Die Entscheidung Katharinas,in Rom zu bleiben, obwohl sie ja in Schweden noch mit Edgar Lydersson verheiratetwar, der aber während ihres Aufenthaltes in Rom starb, scheint ihr nicht leicht gefal-len zu sein. In den folgenden Jahren musste sie sich ihrer Mutter in vielerlei Hinsichtunterwerfen und durfte etwa das Haus nur selten verlassen.211

Hinweise in den Revelationes, Katharinas Angaben in den Kanonisationsakten Bir-gittas und die Vita Katerinæ filiæ Birgittæ erhellen das Leben von Birgitta, ihrer Toch-ter und ihrer Begleiter in Rom. Unterbrochen nur von Pilgerreisen und einem länge-rem Aufenthalt in Neapel führte die Gemeinschaft ein quasi-monastisches Leben.212

Der Tagesablauf soll nach Aussagen im Kanonisationsprozess einem festen Rhyth-mus gefolgt zu sein. Nach dem Morgengebet soll Birgitta, die zu einem unbekanntenZeitpunkt einen Altar in ihrem Zimmer errichten ließ, gebeichtet, dann die Titularkir-chen Roms besucht haben. Während des Mittagessens soll Birgitta häufig im Gedan-ken an die Passion Christi entrückt worden sein. Es folgten Gebete in der Kammeroder in einer Kapelle, anschließend Handarbeiten oder fromme Beschäftigungen bis

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205 STOLPE, Birgitta i Rom, S. 13–21; MORRIS, Birgitta, S. 95.206 DIARIUM, 88; NORDAHL, Birgitta, S. 132.207 DIARIUM, 88:2; STOLPE, Birgitta i Rom, S. 10–12; MORRIS, Birgitta, S. 10.208 REV III, 5, S. 100f.; REV III, 6, S. 102–105; REV III, 7, S. 105f.; MORRIS, Birgitta, S. 94;

STOLPE, Birgitta i Rom, S. 24–28; VAGLIENTI, Francesca M.: Visconti, Famiglie, LMA VIII, Sp.1717f., 1718.

209 Heute liegt an dieser Stelle der Palazzo della Cancelleria. ALFANO, santa della Roma, S. 528.210 AP, S. 529; STOLPE, Birgitta i Rom, S. 28, 57; BORNSTEIN, Birgitta in Roma, S. 53; ANDERS-

SON, Casa di Brigida, S. 3; MORRIS, Birgitta, S. 99.211 VITA KATERINÆ, S. 248–250; AP, S. 666f.; MORRIS, Birgitta, S. 109–113; STOLPE, Birgitta i

Rom, S. 68–77.212 Allgemein KLOCKARS, hennes värld, S. 147–159; MORRIS, Birgitta, S. 93.

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zum Abend. Anschließend besuchte Birgitta St. Peter oder andere Kirchen. Nach demAbendessen mit Katharina, den Beichtv tern und anderen wurde der Tag in Stille be-schlossen.213 Birgitta war, zumindest in ihren letzten Lebensjahren, in der Lage, sichauf Lateinisch etwa mit Alphonso von Jaén zu verst ndigen und die lateinischen Über-setzungen ihrer Offenbarungen zu lesen und zu überprüfen.214 Sie pilgerte regelm ßigzu den Titelkirchen und Heiligenschreinen Roms, und darüber hinaus zu Heiligengr -bern in ganz Italien.215 Viele dieser Pilgerreisen sind nicht genau zu datieren. Zu be-legen ist jedoch durch Zeugenaussagen im Kanonisationsprozess, dass Birgitta bis zuihrem Tod 1373 in wechselnder Begleitung die Reliquien des Ambrosius in Mailand,das Grab des Franziskus in Assisi,216 die Reliquien des Andreas in Amalfi,217 dieReliquien des Apostels Matth us in Salerno,218 die Reliquien des Apostels Thomasin Ortona219 und das Grab des hl. Nikolaus in Bari220 besucht hat. Darüber hinaushat Birgitta das Grab des Bartholom us in Benevent, sowie Monte Gargano, wo sich495 der Erzengel Michael offenbart haben soll, das Benediktinerkloster Farfa, Monte-fiascone und Siracusa, eventuell auch das Augustinusgrab in Pavia sowie Genua unddas wundert tige Kruzifix in Piacenza besucht.221 In der Regel hatte Birgitta an denentsprechenden Orten Offenbarungen der Heiligen. In Rom scheint Birgitta eine ge-wisse Vorliebe für die heilige Agnes gehabt zu haben, die M rtyrerin erschien ihr inmehreren Offenbarungen.222 Die Kanonisationsakten nennen als weitere Pilgerzieledie Gr ber von Maria Magdalena, Martha, Gregor und Hieronymus.223 Nach einerQuelle aus dem 18. Jahrhundert hat Birgitta auch das Grab des Dominikus in Bolognabesucht, was aber nicht durch zeitgenössische Quellen zu belegen und eher unwahr-

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213 AP, Art. 15, S. 15f, vgl. Katharinas Aussage in AP, S. 309–311; die Aussage der Golizia S. 451;die Aussage des Alphonso S. 367; des Laurentius S. 417 oder des Elziarius S. 248. Andersson,Casa di Brigida, S. 3; Bergh, Birgittabilden, S. 293. In einer Vision soll Christus Birgitta detailliertden Tagesablauf vorgegeben haben, der, etwas abweichend von dem in den Kanonisationsaktenbeschriebenen Tagesablauf unter anderem vier Stunden Schlaf vor und vier Stunden Schlaf nachMitternacht sowie mehrere Stunden Gebet vorschrieb: EXTRAV 65, S. 187–189; MORRIS, Birgitta,S. 102–105; STOLPE, Birgitta i Rom, S. 57f.

214 LUNDÉN, religiösa litteratur, S. 156.215 AP, S. 248, 450; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 76f.; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 42f.; MOR-

RIS, Birgitta, S. 100; ALFANO, santa della Roma, S. 528f.216 EXTRAV 90, S. 215f.; vermutlich 1351 oder 1352 nach einer „Einladung“ des Franziskus in einer

Vision des Heiligen in Rom in der Kirche S. Francesco a Ripa (REV VII, 3, S. 116f.). CESARINI,Birgittas fotspår, S. 135; ALFANO, santa della Roma, S. 529.

217 AP, S. 14; CESARINI, Birgittas fotspår, S. 147.218 AP, S. 14; REV IV, 129, addicio, S. 367f.; CESARINI, Birgittas fotspår, S. 147f.219 AP, S. 14; REV VII, 4, S. 118–120; CESARINI, Birgittas fotspår, S. 141f.220 AP, S. 14; CESARINI, Birgittas fotspår, S. 143f. Hierbei ist zu beachten, dass die Eltern von Birgitta

in Uppsala in einer Nikolauskapelle begraben worden sind.221 AP, S. 227, 309, 491; Cesarini, Birgittas fotspår, S. 134, 136f., 144, 148f.; BUTKOVICH, Icono-

graphy, S. 17.222 REV IV, 17, S. 107–111; REV IV, 20, S. 116–118; REV IV, 124, S. 332f.223 AP, S. 14.

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100 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

scheinlich ist.224 Mittels einer Vision äußerte sich Birgitta auch zum Schweißtuch derVeronika, dem sudario, und „bestätigte“ dessen Echtheit.225

Recht schnell baute Birgitta Kontakte zu Kirchenhierarchie und römischen Adels-familien auf, die sie auch finanziell unterstützten. Überhaupt bewegte sich Birgitta inRom in hohen und exklusiven sozialen Schichten und hatte zahlreiche Kontakte zurhöchsten römischen Aristokratie – zu den Orsini, Colonna, Savelli, Conti, Papazzu-ri und anderen.226 Dabei muss sie von den Spannungen der eher papsttreuen Orsiniund den eher prokaiserlichen Colonna etwas mitbekommen haben, ohne direkt Par-tei zu ergreifen. Nach der Heilung des Gentile Orsini227 stand sie aber in engererfreundschaftlicher Beziehung zu dessen Familie. Niccolo Orsini soll Birgitta späterdie Audienzen bei Papst Urban V. in Montefiascone vermittelt haben; bis in die früheNeuzeit hinein galt Birgitta außerdem als „Familienheilige“ der Orsini, welche langeZeit auch von Generation zu Generation einen Ring der Birgitta weitergegeben ha-ben sollen. Auch später in Neapel hatte Birgitta Kontakte zu einflussreichen Familien,namentlich zu den Acciaiuoli, Caraffa, Caracciolo, Sabran.228 Birgitta verkehrte inRom zwar in hohen gesellschaftlichen Kreisen, wurde aber von den Römern nicht im-mer freundlich aufgenommen. Dies mag an dem vermutlich sehr selbstbewussten, oftauch herrischen Verhalten Birgittas229 sowie an der teilweise scharfen Kritik Birgit-tas an den Römern, Laien und Klerikern, und deren moralischem Verhalten gelegenhaben.230 Es entstanden Spannungen; Birgitta soll sogar verfolgt worden sein.231 DieKanonisationsakten berichten freilich, dass Birgitta mit anderen armen Frauen vorSan Lorenzo gebettelt habe.232

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224 BURLAMACCHI, VITA DELLA BRIGIDIA, S. 180; BUTKOVICH, Iconography, S. 17; CESARINI,Birgittas fotspår, S. 134.

225 REV IV, 81 declaratio, S. 261.226 Unter anderem AP, S. 38, 73, 102, 212, 225–236, 271, 388f., 434f. zu Birgitta und den Orsini; AP,

S. 31, 283f. zu Birgitta und den Savelli, AP, S. 31, 395f. zu Birgitta und den Conti; AP, S. 39,436–447 zu den Papazzuri; AP, S. 31, 37, 73, 402f., 423f. zu Birgitta und den Colonna.

227 AP, S. 271.228 AP, S. 245–255, 322f. zu den Sabran, 233, 271, 329–331, 387 zu den Acciaiuoli, S. 289, 348, 411

zu den Caraffa und Caracciolo; BUTKOVICH, Iconography, S. 18; MORRIS, S. 122f.229 In dieser Hinsicht kommt der Vita Brigide ein großer Quellenwert zu, die wohl von Augenzeugen-

berichten geprägt ist. Vgl hierzu VITA BRIGIDE, S. 633–640; HEß, Heilige, S. 141f.230 Etwa REV IV, 10, S. 89–92; REV IV, 33, S. 138–144; REV IV, 57, S. 180; REV VI, 15, S. 81–

83; REV VI, 18, S. 87f.; REV VI, 19, S. 89–93; REV VI, 73, S. 234f. – es handelt sich umKritiken am römischen Klerus und am römischen Volk, welche Christus oder Maria zugeschriebenwurden. Auch kritisierte Birgitta, dass die Römer kommunizieren würden, ohne vorher gebeichtetzu haben, worin sie eine Gefahr für den gesamten katholischen Glauben sah. REV II, 23, S. 100–103; BROWE, Eucharistie, S. 80.

231 Bezeichnend die evtl. erst nach Birgittas Tod entstandene Vision in EXTRAV 8, S. 120–122, S. 121:Que reuelaciones, ad noticiam inhabitancium Romanam vrbem deducte, feralis odii contra beatamBirgittam fomentum ministrabant. Vnde quidam eorum minabantur eam viuem incendere, alii eamerroneam et phitonissam blasphemabant., in: BURLAMACCHI, VITA DELLA BRIGIDIA, S. 175;STOLPE, Birgitta i Rom, S. 187; MORRIS, Birgitta, S. 101.

232 Art. 17 in AP, S. 17; 312; BORNSTEIN, Birgitta in Roma, S. 53; MORRIS, Birgitta, S. 100; BERGH,

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Birgitta in Italien und im Heiligen Land 101

In Italien hatte Birgitta intensiveren Kontakt zu Franziskanern als in Schweden.Mehrere namentlich bekannte Franziskanerm nche und -priester, etwa Arnaldo Ca-prarii, Peter von Trastevere, Angelus von Spoleto,233 standen in teilweise engem Kon-takt zu Birgitta und begleiteten sie mehrfach auf ihren Pilgerreisen in Italien. Sieempfing mehrere Franziskus und die Franziskaner betreffende Offenbarungen. Da-bei wurde auch das Thema des franziskanischen Armutsstreites berührt und – nachBirgitta – von Maria eindeutig geklärt.234 Zugleich kritisierte Birgitta die Laxheit ei-niger Brüder im Orden, welche vomArmutsideal des Franziskus abgewichen seien.235

Große Bedeutung für ihre italienische Zeit erlangten die Klarissinen von San Loren-zo in Panisperna, einem Kloster, in dem viele Angeh rige einflussreicher r mischerFamilien lebten. 236 In diesem Kloster ist sie 1373 nach ihrem Tod auch aufgebahrtworden, bevor ihr Leichnam nach Schweden überführt wurde. Dass sie dabei nichtim franziskanischen Habit aufgebahrt wurde, belegt ebenfalls, dass sie keine Tertia-rin gewesen ist.237 In der Literatur finden sich auch Hinweise, dass Birgitta in RomKontakt zu den Dominikanern gehabt haben soll. In den Quellen konnte ich dies abernicht verifizieren.238

Eine zentrale Rolle im Leben und in der Religiosität Birgittas sollte die Forderungnach der Rückkehr des Papstes nach Rom einnehmen. Diese suchte Birgitta durchvisionär begründete Kritik an Päpsten und Vertrauten des Papstes sowie durch expli-zit an den Papst gerichtete und Christus oder Maria zugeschriebene Offenbarungendurchzusetzen.239 Bei Innozenz VI. scheiterte sie mit ihren Forderungen. Erst UrbanV. kehrte im Oktober 1367 nach Italien zurück, hielt sich zunächst in Montefiasco-ne auf und betrat am 21. Oktober 1368 feierlich Rom. Bereits im April 1370 zog ersich nach Viterbo, anschließend nach Montefiascone zurück, erst hier traf ihn Birgittaim Sommer 1370 pers nlich; am 5. August 1370 genehmigte er die Gründung eines

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Birgittabilden, S. 293.233 AP, S. 206 zum Bischof von Palermo Arnaldo Caprarii. Peter von Trastevere und Angelus von

Spoleto sagten im Kanonisationsprozess sogar für Birgitta aus: AP, S. 211–213 und S. 219–223.234 REV VII, 20, S. 182–187 zu Franziskus; REV VII, 8, S. 134f. zu den Spiritualen, S. 134: Ego

quidem, que ipsum verum Deum genui, testimonium perhibeo, quod vnum proprium habebat idemIhesus Christus filius meus, et illud ipse solus possidebat. Es soll sich um die Tunika Christi ge-handelt haben, die Maria gewebt haben soll: Hoc enim fuit illa tunica, quam ego propriis manibusmeis feci. REV VII, 8, S. 134f., S. 134. Außerdem REV VII, 3, S. 116f. zum franziskanischenGehorsam. ROELVINK, Franciscans, S. 39–42; STOLPE, Birgitta i Rom, S. 24–28.

235 REV VII, 20, S. 182–187.236 AP, S. 31, 283f.; STOLPE, Birgitta i Rom, S. 189–195; ESCH, Tre sante, S. 39–45; ALFANO, santa

della Roma, S. 529; MORRIS, Birgitta, S. 99f.; BUTKOVICH, Iconography, S. 15f.237 ROELVINK, Franciscans, S. 28, 39.238 Alfano verweist auf Kontakte zu dem Dominikanerprovinzial Pietro Strozzi (Provinzial 1348–

1359) vom Konvent bei Sta. Maria sopra Minerva. Leider nennt er keine Quellen. ALFANO, santadella Roma, S. 529.

239 TRACTATUS DE SUMMIS PONTIFICIBUS, S. 45–48, 51f., 55, 58f. Vgl. REV IV, 78, S. 245–248;REV IV, 136, S. 383f.; REV IV, 138, S. 386–388; REV IV, 140, S. 391–394; REV IV, 142, S. 395–398; REV IV, 143, S. 398–400.

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102 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Nonnen- und Männerklosters in Vadstena nach der Regula Salvatoris, wenn auch nurals Konstitution der Augustinusregel.240

Auch von Italien aus nahm Birgitta regen Anteil an der schwedischen und inter-nationalen Politik.241 Besonders der schwedische König Magnus war ein Ziel vonBirgittas Kritik; sie war ihm den Verlust Schonens 1361, Häresie und homosexuelleKontakte vor. Von Rom aus versuchte Birgitta einen Aufstand gegen KönigMagnus zuorganisieren, an deren Spitze sie möglicherweise ihren Sohn Karl oder ihren Schwie-gersohn Bengt Filipsson sehen wollte. Das Umsturzprogramm, von Birgitta um 1361persönlich verfasst, angeblich vonMaria offenbart, ist erhalten und diente wahrschein-lich als Vorbild für schwedische Adelige in ihrer Opposition gegen den König.242 DieZeit von 1365 bis 1367 verbrachte Birgitta am Hof der Königin Johanna I. von An-jou in Neapel, „der sie später statt eines Dankeschön besonders grässliche Höllen-visionen dedizierte“.243 Zwischen 1368 und 1370 schloss Birgitta Bekanntschaft mitAlphonso Pecha, Bischof von Jaén, der Birgittas Beichtvater und – nach ihrem Tod– Redaktor ihrer Revelationes wurde. Der Kontakt zwischen Birgitta und Alphonsowurde vermutlich vom spanischen Kardinal und Soldaten Aegidius Albornoz vermit-telt, der zuvor im Auftrag von Papst Klemens VI. Italien „befriedet“ hatte. Mit dessenNeffen Gomez Garcias de Albornoz stand Birgitta ebenfalls in freundschaftlichemKontakt.244

Im November 1371 verwirklichte Birgitta, durch Christus in einer Vision dazu auf-gefordert,245 ihren langgehegten Plan einer Pilgerfahrt ins Heilige Land. Begleitetwurde sie von ihrer Tochter Katharina, ihren Söhnen Karl und Birger, ihren geist-lichen Begleitern Subprior Peter, Magister Peter und Alphonso, den schwedischenKaplanen Gudmar Frederiksson (Gudhmarus Frædherici),246 Magnus Petri und den

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240 MORRIS, Birgitta, S. 113–117; STOLPE, Birgitta i Rom, S. 111–125; HERGEMÖLLER, Magnus,S. 77, 79; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 58; KLOCKARS, hennes värld, S. 126–130; ÖBERG,Authentischer Text, S. 71.

241 Dies belegen die zahlreichen und oft hasserfüllten Offenbarungen etwa gegen Albrecht III. vonMecklenburg oder Waldemar Atterdag. Weitere Ziele ihrer Kritiken und Ermahnungen waren Kai-ser Karl IV., König Edward III. von England, König Philipp VI. von Frankreich, Erzbischof Gio-vanni Visconti von Mailand sowie die Königinnen Johanna von Neapel und Eleonore von Zypern.KLOCKARS, svenska värld, S. 163–170; LIEBHART, Politics, S. 38; HERGEMÖLLER, Magnus,S. 77.

242 Neben der religiösen Legitimation durch die Zuschreibung des Aufruhrprogramms an Maria istbemerkenswert, dass das Programm juristisch auf dem Birgitta bekannten schwedischen landlagbasierte, dass unter bestimmten Bedingungen die Absetzung des Königs erlaubte. FERM, program,S. 125–138; GILKÆR, Political Ideas, S. 212–215; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 110–134; DIN-ZELBACHER, Wirken, S. 285; das Programm auf Altschwedisch ist ediert in HÖGMANN, Bertil(ed.): Heliga Birgittas originaltexter, Uppsala 1951, S. 73–83.

243 HERGEMÖLLER, Magnus, S. 77; CESARINI, Birgittas fotspår, S. 146f.; FODALE, Salvatore: Jo-hanna I. v. Anjou, LMA V, Sp. 524f.

244 AP, S. 72f., 193, 523f., 659; MORRIS, Birgitta, S. 118f.; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 77;NORDAHL, Syv birgittinere, S. 267; BUTKOVICH, Iconography, S. 16.

245 REV VII, 9, S. 136.246 DIARIUM, 48:1–2.

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Birgitta in Italien und im Heiligen Land 103

beiden spanischen adeligen Damen Elvira und Praxedis.247 Die Pilgergruppe reistezun chst nach Neapel, hier trafen sie den Erzbischof von Neapel Bernard und erneutdie neapolitanische Königin Johanna I.248 Trotz der scharfen Kritik Birgittas am Le-bensstil der Königin249 scheinen die beiden Frauen gegenseitigen Respekt empfundenzu haben.250 Belastet wurde das Verh ltnis von Birgitta und Johanna eventuell durcheine Aff re der Königin mit Birgittas Sohn Karl, der zu diesem Zeitpunkt noch verhei-ratet war. Birgitta soll daraufhin die Hilfe Gottes erfleht haben, kurz darauf starb KarlimM rz 1372.251 Die Reise ging anschließend nach Zypern, hier trafen die Pilger Kö-nigin Eleonore, zu der Birgitta ebenfalls Offenbarungen hatte.252 Die Aufnahme derProphetin am zypriotischen Hof scheint nicht unproblematisch gewesen zu sein, derzypriotisch-königliche Hofbeichtiger, ein Dominikaner, bezeichnete Birgitta als „Irr-sinnige“.253 Vor Jaffa erlitten die weitergereisten Pilger Schiffbruch, erreichten aberdas Heilige Land und besuchten die Orte des Lebens Christi. Dabei entstanden diebedeutenden Offenbarungen Birgittas das Leben und Leiden Christi betreffend, so dieGeburtsvision in Betlehem254 oder die Kreuzesvision in Jerusalem.255 Die Pilgerfahrtführte noch zum Jordan, anschließend wurde, wiederum aufgrund einer Offenbarung,der Rückweg angetreten. Im Januar 1373 erreichte Birgitta mit ihren Begleitern Nea-pel, von da aus Rom.256 Etwa ein halbes Jahr sp ter verstarb Birgitta – nachdem ihrChristus den Todeszeitpunkt offenbart haben soll257 – am 23. Juli 1373 in Rom undwurde – bis zu ihrer von Christus angekündigten Überführung nach Schweden – inSan Lorenzo in Panisperna aufgebahrt.258

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247 AP, S. 204f., 208–211.248 MORRIS, Birgitta, S. 120–122.249 REV VII, 11 addicio, S. 141–144, bes. S. 143 wurde auf Johanna bezogen gedeutet.250 Sicher ist, dass Johanna nach dem Tod Birgittas deren Kanonisation förderte. Vgl. auch den Kom-

mentar in MARGARETA CLAUSDOTTER, CHRONICON DE GENERE, S. 212: Oc war sancta Bir-gitta enkanneligen godher wen oc ælskadhe hona mycket [. . . ]. MORRIS, Birgitta, S. 123f.

251 AP, S. 370; MARGARETA CLAUSDOTTER, CHRONICON DE GENERE, S. 211f.; MORRIS, Birgitta,S. 124f.

252 Zu Königin Eleonore, ihrem Nachfolger und zu Zypern allgemein vgl. REV VII, 16 addicio,S. 169–172; REV VII, 18, S. 173–176; REV VII, 19, S. 176–182; REV VIII, 16, S. 110–112;MORRIS, Birgitta, S. 126–128.

253 AP, S. 430: Ista est vna mente capta, nam numquam fuit auditum a seculo, quod Christus, exquo apparuit et locutus fuit Moysi facie ad faciem, alicui viuenti visibiliter appareret, et ista dicit,quod Christus fuit sibi locutus.; STRÖMBERG, Mathias, S. 24; DINZELBACHER, Wirken, S. 270;STOLPE, Birgitta i Rom, S. 228–234.

254 REV VII, 21, S. 187–190 zur Geburt; REV VII, 23, S. 191 zu den Hirten; REV VII, 24, S. 192 zuden tres reges magi.

255 REV VII, 15, S. 164–168.256 Über diese Pilgerreise berichtet vor allem Buch VII der Revelationes. MORRIS, Birgitta, S. 122–

140; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 77; KLOCKARS, hennes v rld, S. 168–175; RYCHTEROVÁ, Of-fenbarungen, S. 58–63; STOLPE, Birgitta i Rom, S. 235–242. Zur Pilgerfahrt auch JÖNSSON, Bir-gittas pilgrimsf rd, S. 151–165.

257 REV VII, 31, S. 213–215.258 AP, S. 101, 342f.; MORRIS, Birgitta, S. 139–141; HERGEMÖLLER, Magnus, S. 77.

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104 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Im Folgenden soll versucht werden, anhand ausgewählter Aspekte die Religiosi-tät von Birgitta zu rekonstruieren. Dabei kann ich auf zahlreiche Einzelstudien zu-rückgreifen, die aber oft keine übergreifende Bewertung ihrer Ergebnisse versuchen.Eine solche Wertung werde ich im abschließenden Kapitel vornehmen. In den folgen-den Unterkapiteln dienen die Revelationes und die Kanonisationsakten von Birgittaals wesentliche Quellen. Auf ihren Quellenwert bin ich in Kapitel I eingegangen.Am Ende der jeweiligen Unterkapitel soll dennoch die Aussageabsicht der genanntenQuellen das jeweils behandelte Thema betreffend eingeschätzt werden.

2.7. Birgittas religiöses und asketisches Leben

Die verschiedenen Viten259 betonen Birgittas praktische Frömmigkeit, wobei sie häu-fig verbreiteten hagiographischen Topoi folgen, aber auch Informationen mit biogra-phisch-historischer Relevanz liefern. Demnach hat Birgitta oft und intensiv gebetetet,häufig gebeichtet, gefastet und sich vieler Speisen enthalten. Außerdem habe sie dieHeiligenlegenden und die Bibel gelesen, die sie sich in ihre eigene Sprache übersetzenließ. Auch ging Birgitta häufig zu den Predigten guter Priester. Schließlich habe Bir-gitta Almosen gegeben, in Schweden ein Haus für Arme gehabt und dort persönlichmitgeholfen, sowie Prostituierte bekehrt.260 Viele der genannten Aussagen werden inden Kanonisationsakten von Zeugen bekräftigt.261 Ihnen zufolge hat Birgitta außer-dem lange nächtliche Gebete cum magna deuocione et lacrimis verrichtet,262 auf demFussboden geschlafen263 und bei Wasser und Brot gefastet,264 obwohl sie um die Ge-

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259 Am ursprünglichsten die BEICHTVÄTERVITA, PROZESSVITA und VITA BRIGIDE.260 BEICHTVÄTERVITA, S. 13f.; PROZESSVITA, S. 78, 91; VITA BRIGIDE, S. 617, 625.261 Etwa AP, S. 18f., 310–316; ROSSING, Spiritualitet, S. 54f.262 AP (Art. 6), S. 12, 14 und hierzu Katharina S. 306f. sowie hierzu Juliana Nilsdotter S. 65, oder

Cristina S. 66.263 AP (Art. 8), S. 13, und Katharinas Aussage dazu: S. 307.264 AP (Art. 16), S. 16f., und hierzu das „Fazit“ der Zeugenaussagen S. 581: Ieiunabat vero certis

diebus et temporibus, videlicet tempore, quo maritus suus viuebat, ieiunabat totam quadragesi-mam et aduentum Domini et sextis ferijs tam per .xl.am quam per totum annum in pane et aqua.Et ieiunabat eciam in cibis quadragesimalibus a die ascensionis Dominj usque ad pentecosten etferia .iiij.ta et sabbato per totum annum et vigilijs beate Marie virginis et omnium apostolorum inpane et aqua. Post mortem autem mariti sui ieiunabat eciam omnia supradicta ieiunia et ultra hocsecundam feriam et a prima die mensis augusti usque ad assumpcionem beate Marie ieiunauit.Eciam ieiunabat in pane et aqua vigilias sanctorum Johannis Baptiste et vigilias sancti Johan-nis ante Portam Latinam, sancti Laurencij, sancti Dyonisij, sancti Michaelis archangeli, vigiliamcorporis Christi et sancte trinitatis et vigiliam sancti Olaui, regis Norwegie et martyris, et sanc-ti Erici, regis Swecie et martiris, et sancte Marie Magdalene et sancte Agnetis, vigiliam omniumsanctorum et omnia ieiunia ordinata per sanctam ecclesiam et multa alia ieiunia, ita quod factacomputacione quasi per totum circulum annj ipsa ieiunabat [. . . ]; BERGH, Birgittabilden, S. 293.

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Birgittas religi ses und asketisches Leben

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fahren zu strengen Fastens gewusst zu haben scheint.265 Unabh ngig vom Kanonisa-tionsprozess ist belegt, dass Birgitta selbst Gebete und Meditationen verfasst hat, dieteilweise auf Altschwedisch erhalten geblieben und auf den leidenden Christus oderMaria bezogen sind.266 Wohl ein Demutstopos ist, dass Birgitta in Rom so demütiggewesen sei, dass sie die Wohnung nicht ohne Erlaubnis ihrer geistlichen Führer ver-lassen habe, ja ohne deren Erlaubnis nicht die Augen vom Boden erhoben habe.267

Schließlich berichten die Kanonisationsakten über „asketische Praktiken“ Birgittas.So habe sie einen geknoteten Strick so eng um den Leib getragen, dass Blut floss268

und sich regelm ßig gegeißelt.269 Jeden Freitag soll Birgitta bittere Kr uter in denMund genommen haben, um an den bitteren Gallentrunk Christi am Kreuz erinnertzu werden. Außerdem habe sie heißes Wachs auf ihr Fleisch tropfen lassen und dieWunden offen gehalten.270 Wann Birgitta mit diesen „asketischen Übungen“ begon-nen hat, ist unsicher.271

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265 Darauf könnte die Vision in EXTRAV 60 und 61, S. 183f. hindeuten.266 Min herra gudh jak bidhir thik for thz at thit hofwodh kronadhis mz thorne riiff vt then thornin som

star j mino hiärta som är k tlikin kärlekir til bonda älla til barna vini älla frändir ok sät ther atir jf re gudhethina signadha händir oc f tir rifnadho sundir for naglomen riff vt aff mino hiärta thänthornin som är världina giri ok sät ther j fore astundan oc giri til thina thiänist ok til thit äuärdheli-ca rike. (eigene Übersetzung: Gott, mein Herr, ich bete zu dir, weil dein Haupt mit Dornen gekröntwurde, reiße aus mir den Dorn heraus, der in meinem Herzen ist, der ist die körperliche Liebezu meinem Ehemann oder zu meinen Kindern oder Verwandten ist und gib stattdessen göttlicheLiebe für die Seelen meiner Mitchristen. Ich bitte dich, mein Herr, weil deine gesegneten H ndeund Füße mit N geln auseinander gezwungen wurden. Reiße aus meinem Herzen den Stachel derfleischlichen Lust und ersetze sie mit Verlangen und Lust dir und deinem ewigen Reich zu dienen.),zitiert altschwedisch nach MORRIS, Birgitta, S. 54. Die berühmten vier Gebete: BIRGITTA, QUAT-TUOR ORACIONES, S. 66–73 (Oracio I, altschwedisch S. 93–96), 74–81 (Oracio II, altschwedischS. 100–103), 82–87 (Oracio III, altschwedisch S. 97–99 und S. 88–92 (Oracio IV, S. 104–107).Oracio I behandelt Mariens Geburt und Leben, ihren Tod und ihre Himmelfahrt; Oracio II dieInkarnation, das Leben, die Passion und die Auferstehung Christi; Oracio III eine Meditation überdie Glieder Christi; Oracio IV über die Glieder Mariens. Wann die Gebete entstanden sind, ist of-fen, eine altschwedische Quelle betont aber einleitend, dass Birgitta die Gebete regelm ßig gebetethabe: Thæsse bøne varo sancte birgitto af thæm hælgha anda kænde oc bewiste Oc æ sidhen hwandagh plæghade hon thæm [hwar dagh] læse mz myklom gudhelich. EKLUND, Quattuor Oraciones,S. 15–18.

267 [. . . ] quia raro aut numquam de domo habitacionis sue exibat vel personam aliquam corporalibusoculis respiciebat, nisi prius obtenta licencia a confessore suo spirituali patre., in: AP (Art. 18),S. 17, hierzu Prior Peter S. 489, Katharina S. 312f. Vgl. hierzu das Birgittenbild in der VITA

BRIGIDE, S. 633–640.268 AP (Art. 10), S. 13 und Katharinas und Alphonsos Aussagen hierzu S. 308, 366.269 AP (Art. 12), S. 14, best tigt etwa von Hartlevus S. 295 oder Alphonso S. 366.270 AP (Art. 11), S. 13f. und Katharinas Aussage hierzu S. 308; VITA BRIGIDE, S. 639.271 AP, S. 99: Consueuit eciam in die veneris de ardenti cereo stillas flammigeras super nudam carnem

suam fundere, jta quod ex ipsis wlnera remanebant, que si aliquando per se ante alium diem venerisaliquantulum sanarentur, tunc statim inmissis vnguibus suis ita in eis arauit, vt corpus suum nonesset sine wlnerum passione, et hoc faciebat propter memoriam passionis Christi [. . . ] Solebatenim die veneris propter passionem Christi et amaritudinem fellei potus sibi ante mortem propinati

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106 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Auch in den Revelationes finden sich zahlreiche Hinweise auf die Praxis christli-cher Frömmigkeit, so, wie Birgitta sie verstanden haben wird und sich von Christusund Maria offenbaren ließ.272 Dabei fällt die Betonung der Sünden auf, die ein Christmeiden soll. Genannt werden Hochmut, Gewinnsucht, Eitelkeit, oberflächliche Liebezu weltlichen Dingen, eitle, leichtfertige und spaßhafte Rede, Unmäßigkeit – allge-mein sowie im Essen und Schlafen – und Völlerei. Besonders betont wird die unbe-dingt zu meidende Sünde der fleischlichen Wollust.273 Zugleich fordert Gott von denChristen Tugenden und gute Taten – Gottesfurcht, Gottesliebe, Nächstenliebe, Barm-herzigkeit, Demut, Geduld, Enthaltsamkeit, Aufgabe der Reichtümer, das Vorziehengeistlicher Weisheit vor weltlicher Weisheit, Fasten und Armenfürsorge.274

Zentral ist Birgittas großeWertschätzung der Messe und des Altarsakraments. Nachden Kanonisationsakten kommunizierte Birgitta jeden Sonntag und an Feiertagen.275

Diese Verehrung der Eucharistie und der feste Glaube an die Realpräsenz spiegelnsich – wie auch Birgittas Überzeugung, dass für die Wandlung ein ordinierter und imZölibat lebender Priester notwendig sei – in zahlreichen Offenbarungen Birgittas.276

Dass auch der Aspekt der Buße und Beichte für Birgitta zentral gewesen sein muss,belegen Hinweise in den Kanonisationsakten, in der Vite Brigide277 und Äußerun-gen in ihren Offenbarungen.278 Das Gebet spielte für Birgitta eine große Rolle, wobei

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amarissimam quandam herbam, que genciana vocatur, in ore suo tenere.; MORRIS, Birgitta, S. 53.272 Etwa REV VI, 65, S. 210–221, S. 212: Ergo, ut Maria larga sit et pia, necessaria sunt et quinque.

Primo domus, in qua dormiant hospites. Secundo vestes ad vestiendum nudos. Tercio cibus adcibandum esurientes. Quarto ignis ad calefaciendum frigidos. Quinto medicina pro infirmis, idestverba consolatoria cum caritate Dei.

273 Erwähnt werden die genannten Sünden und Laster etwa in den REV I, 1, S. 241–244; REV I, 26,S. 310–317; REV I, 32, S. 331–336; REV I, 36, S. 345–347; REV I, 40, S. 358f.; REV I, 54, S. 414–419; REV II, 1, S. 27–30; REV II, 14, S. 69–75; REV II, 16, S. 78–80; REV II, 25, S. 106–109.

274 Vergleiche in Buch REV I die Offenbarungen 3, S. 247–249; 4, S. 250–252; 6, S. 257–259; 34,S. 338–343; in Buch REV II die Offenbarungen 14, S. 69–75; 16, S. 78–80; 22, S. 98–101; 25,S. 106–109; 26, S. 109–112; 27, S. 113–118; in Buch REV V die Offenbarungen int. 7, S. 110–112und reu. 1, S. 103f.; in Buch REV VI die Offenbarungen 30 (aus schwed. Zeit), S. 116–121 und65, S. 210–221 zu den fünf Werken der Barmherzigkeit.

275 AP (Art. 17), S. 17: [. . . ] diebus autem dominicis et alijs singulis magnis festis seu festiuitatibuscommuniter recipiebat sanctam eucaristiam. Bestätigend hierzu S. 259, 487.

276 So etwa in den REV I, 14, S. 276f.; REV II, 7, S. 46–50, S. 49; REV II, 25, 106–109. ZumBeispiel REV I, 47, S. 382–390, S. 382, 384: Ego sum Deus [. . . ] Ego vere sum ille panis. In paneillo videntur tria: figura, sapor et rotunditas.; REV II, 25, 1, 5, S. 106: Numquid noto panem, quiin altari est? Hic utique ante verba illa, scilicet “Hoc est corpus meum”, panis est, sed dicto verboillo non panis est sed corpus meum, quod de Virgine sumpsi et in cruce veraciter crucifixum est.Vgl. hierzu SEGELBERG, Mässan, bes. S. 267–272.

277 VITA BRIGIDE, S. 617.278 AP (Art. 17), S. 17: et quod dicta domina Brigida communiter omni die semel aut bis confitebatur

peccata sua competenti sacerdoti, diebus autem dominicis et alijs singulis magnis festis seu fes-tiuitatibus communiter recipiebat sanctam eucaristiam. Bestätigend hierzu S. 259, 312, 487, Vgl.auch S. 99f.: Omni die veneris ab infancia sua confiteri solebat, sed tamen de hoc non fuit conten-ta, ymo eciam omni die anni pluries confitebatur de leuibus verbis et cogitacionibus. Jnerat enim

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sie in Maria ein Vorbild sah. Mit dem liturgischen Stundengebet kam Birgitta sp tes-tens in Alvastra in Berührung. Nach den Kanonisationsakten las sie in ihrer Zeit inRom t glich den gesamten Psalter, Stundengebete, Marien- und Heiligenoffizien. Esist wohl davon auszugehen, dass es sich jeweils nur um die Tageslesung gehandelthat. Sicher hat Birgitta bereits in Schweden die zentralen christlichen Gebete – dasKreuzzeichen, das Credo, die Zehn Gebote, das Vater unser, das Ave Maria, das Sal-ve Regina und die Litanei zum leidenden Christus – gekannt und praktiziert. DieseGebete haben auch in den Revelationes Spuren hinterlassen.279

Zusammenfassend nennen sowohl die Revelationes als auch die Kanonisationsak-ten Caritas, Askese, Buße, Kommunion und Gebet als wesentliche Elemente der Reli-giosit t Birgittas. Auch wenn einzelne Informationen, etwa zur H ufigkeit der Beichtein Rom, zu bezweifeln sind, ordnen sich die genannten Elemente durchaus in die reli-giöse Praxis von Frauen höherer gesellschaftlicher Schichten des 14. Jahrhunderts einund können somit insgesamt als authentisch gewertet werden.

Es wurde bereits angedeutet, dass die Bibel für Birgitta von zentraler Bedeutungwar. Nach der Beichtv ter- und Prozessvita ließ sich Birgitta die Bibel in ihre eige-ne Sprache übersetzen.280 Vermutlich hat es sich hierbei nur um einen Teil der Bi-bel gehandelt; nach Klockars handelte es sich um den Anfang des 14. Jahrhundertsentstandenen Fornsvenska Pentateukparafrasen, eine eventuell von Magister Mathi-as verfasste Paraphrase der ersten fünf Bücher Mose, erg nzt um eine „historischeEinführung“ und die Diskussion ausgew hlter biblisch-theologischer Aspekte basie-rend auf der Summa theologiae des Thomas von Aquin. Aus den Revelationes ist zurekonstruieren, dass Birgitta – wenn man die Revelationes nicht allein den Beichtv -tern und Sekret ren zuschreiben will – neben dem Pentateuch den Psaltar, die Bücherder Könige, die Bücher der Chronik, die Bücher Samuel, Josua, Jeremias und andereProphetenbücher gekannt hat. Sie kannte auch die allegorische Deutung von Moseals Christus, vom Pharao als Teufel und die Deutung des brennenden Dornbuschs alsSymbol Mariens. Aus dem Neuen Testament haben besonders die Evangelien Birgitta

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ei timor Dei cum magno eius amore. [. . . ] Jn confessione facienda fuit humilima et ad quecumquesibi jniuncta complenda promtissima. In ihrer italienischen Zeit soll Birgita nach AP, S. 312, 484t glich, manchmal sogar mehrmals t glich gebeichtet haben. Klockars, böckerna, S. 106. In denOffenbarungen wird das Thema der Buße und Umkehr oft angesprochen; so etwa in den REV I, 36,S. 345–347; REV I, 54, S. 414–419; REV II, 27, S. 113–118.

279 AP, S. 13: Item quod dicta domina Brigida a tempore, quo Romam applicuit, et ante vsque adtempus mortis sue ad laudem et gloriam omnipotentis Dei interdum totum psalterium deuote omnidie legebat et continue singulis diebus legebat horas et officium beate Marie virginis, sanctissimetrinitatis et spiritus sancti et mortuorum et multas alias sanctas oraciones.; VITA BRIGIDE, S. 617.In REV IV, 80, S. 251–255, 254f. ermahnte Birgitta einen römischen Priester zu intensivem Gebet.GREFBÄCK, Birgitta och bönen, S. 277, 281, 284; KLOCKARS, böckerna, S. 109–124.

280 PROZESSVITA, S. 78: De lectura. Cum vero vacabat a labore manuum, continue relegebat vitassanctorum et bibliam, quam sibi in lingua sua scribi fecit, et vbi poterat audire sermones proborumvirorum, labori suo non parcebat in eundo ad eosdem sermones audiendos. Ähnlich BEICHTVÄ-TERVITA, S. 14. KLOCKARS, böckerna, S. 105.

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108 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

beeinflusst, zentrale Themen wie die Passion Christi und Maria wurden von Birgitta inihren Offenbarungen verarbeitet.281 Auch das Modell des aktiven und kontemplativenLebens, dargestellt im Gegensatzpaar der Schwestern Maria und Martha, hat Birgittagekannt.282 In den Kanonisationsakten wird erwähnt, dass Birgitta Lateinisch lernte,um die Bibel zu verstehen.283 Dies bestätigt, dass sie – eventuell nach Bibelstudien inAltschwedisch – sich tiefer mit der Bibel auseinandersetzen wollte.

Sehr wahrscheinlich in Ulvåsa kam Birgitta mit dem altschwedischen Forn-SvensktLegendarium in Berührung, das ihr Denken beeinflusst hat. Deutlich wird dies aus ei-nem Vergleich von Details aus dem Marienleben im Forn-Svenskt Legendarium undin Birgittas Offenbarungen. Auch Elisabeth von Thüringen kann für Birgitta ein Vor-bild gewesen sein, war doch auch diese Ehefrau, Mutter und Witwe.284 Ebenfalls fürdie schwedische Zeit sind – vermutlich indirekte – Kentnisse der Vitae Patrum beiBirgitta anzunehmen.285 Des Weiteren lässt sich vor allem anhand von Bezügen inden Revelationes annehmen, dass Birgitta die lateinischen Kirchenväter zumindestnamentlich gekannt hat, deren Gräber sie in Italien besuchte. Nach den Kanonisati-onsakten lernte Birgitta in Alvastra den Speculum virginum des Peregrinus von Hirsaukennen, der, stark marianisch geprägt, den noch zu behandelnden birgittinischen Ser-mo angelicus beeinflusste.286

In der Universitätsbibliothek Uppsala befindet sich eine Handschrift mit dem Li-ber de modo bene vivendi.287 Nach einer Notiz auf der inneren Umschlagsseite derHandschrift wurde das Werk von Bernhard verfasst und von Birgitta ständig bei sich

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281 KLOCKARS, böckerna, S. 85–98.282 Diese werden im entsprechenden Kontext in REV VI, 65, S. 210–221 behandelt.283 AP, S. 24: Item quod dicta domina Brigida, dum esset totaliter rudis in sciencia gramaticali et iam

esset seu attigisset xlmum annum etatis sue, vt melius intelligere posset sacram scripturam, cepitstudere ex precepto Christi in gramaticalibus et infra non longum tempus ita profecit, quod in dictasciencia et arte predicta bene erat instructa, ita quod bene intelligeret gramaticaliter loquentes, etipsa eciam cum bonis latinitatibus longos eciam sermones gramaticaliter loqueretur. KLOCKARS,böckerna, S. 58f., 72–76, 82f.; MORRIS, Birgitta, S. 57; NORDAHL, Syv birgittinere, S. 38–41.

284 FORN-SVENSKT LEGENDARIUM, S. 3–46 Jungfru-Maria Sagan nach der Legenda aurea mit er-gänzten Maria zugeschriebenen Wunderberichten. Ebd. S. 803–826 Den heliga Elizabeth af Un-gern. Vgl. LEGENDA AUREA, S. 752–771 (De sancta Elizabeth). In einer Offenbarung erschienElisabeth der Birgitta: REV IV, 4, S. 69–74.

285 AP, S. 66: [. . . ] et assumpsit librum in lingua materna conscriptum de vita sanctorum et eorumpassionibus et legit coram puellis et ancillis eas informando de sequendo vitam sanctorum et sanc-tarum. KLOCKARS, böckerna, S. 165–173, 176.

286 AP, S. 491: Item dixit idem testis, quod, cum ipse quadam die legeret in dicto monasterio coramdicta domina Brigida in libro, qui vocatur Speculum virginum, in quo Peregrinus monachus dis-putat de omnibus virtutibus cum Theodora virgine [. . . ]; KLOCKARS, böckerna, S. 209–213, 218;MORRIS, Birgitta, S. 57.

287 Es handelt sich um die Handschrift UUB C240, nach dem Handschriftenkatalog der Universitäts-bibliothek Uppsala von Thomas de Frigido Monte verfasst. ANDERSSON-SCHMITT, Handschrif-ten 3, S. 150. Eine Bernhard von Clairvaux zugeschriebene Edition des Titels: LIBER DE MODO

BENE VIVENDI.

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getragen.288 Die ltere Forschung ging davon aus, dass Birgitta die Schrift w hrendihrer Pilgerfahrt nach Santiago erhalten habe. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass essich um ein Geschenk von Alphonso von Jaén an Birgitta von frühestens 1370 gehan-delt hat. Das früher Bernhard von Clairvaux zugeschriebene Werk selbst ist im frühen14. Jahrhundert in Spanien entstanden und wurde von einem unbekannten Benedikti-ner für eine benediktinische Schwester verfasst. Spezifisch zisterziensische Elementesind im Werk nicht zu belegen, dagegen sind benediktinische Bezüge etwa zur Or-denstracht oder Benediktregel nachweisbar. In dreiundsiebzig Kapiteln werden dieTugenden, die Bekehrung zu einem monastischen Leben, spezifische Aspekte dieserLebensform, verschiedene Sünden und Ratschl ge für ein religiöses Leben behandelt.Eventuell hat diese Schrift einzelne Offenbarungen der Revelationes beeinflusst.289

In Bezug auf mystische Schriften ist bei Birgitta die Lektüre oder Kenntnis der-selben nicht zu belegen. Weder in den in Schweden, noch in den in Italien entstan-denen birgittinischen Offenbarungen und Schriften finden sich Hinweise auf Eckhartoder Tauler. Lediglich Heinrich Seuses Buch der ewigen Weisheit, in der lateinischenund erweiterten Fassung das Horologium Sapientiae, könnte Birgitta bekannt gewesenund in einigen in Schweden entstandenen Offenbarungen verarbeitet worden sein.290

In Italien hat Birgitta wahrscheinlich die Bonaventura zugeschriebene Schrift Medi-tationes vitae Christi kennen gelernt, die mehrere Offenbarungen im Heiligen Landbeeinflusst haben kann.291

Die bereits von Klockars analysierte Kenntnis religiöser Schriften durch Birgittabasiert wesentlich auf den Quellen der Revelationes und der Kanonisationsakten. Un-ter Berücksichtigung der hohen gesellschaftlichen Stellung Birgittas und ihrer Kon-takte zu zahlreichen gelehrten Klerikern ist aber auch dieser Aspekt der Religiosit tBirgittas als realistisch einzusch tzen.

Die Revelationes, der Sermo angelicus sowie die Kanonisationsakten erlauben dieRekonstruktion der Einstellung Birgittas zu Ehe und Weiblichkeit. Aus diesen Quel-len geht hervor, dass Birgitta entsprechend der Lehre der Kirche zwischen Keuschheitund Enthaltsamkeit unterschieden hat. W hrend letztere für Birgitta nur ußerlich war,verstand sie Keuschheit innerlicher und spiritueller. Daraus leitete Birgitta, ebenfallsgem ß der Theologie, die Unterscheidung der drei St nde der Jungfr ulichkeit, desEhelebens und der Witwenschaft ab; die alle drei aber als Abstufungen der Keuschheit

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288 Hunc librum qui intytulatur doctrina Bernardi ad sororem portavit Beata mater nostra sanctaBirgitta continuo in sinu suo ideo inter reliquias suas asseruandus est.

289 MCGUIRE, source, S. 81f., 85–87, 91–98; ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 3, S. 150f.;KLOCKARS, böckerna, S. 217–219.

290 Dies würde aber bedeuten, dass Birgitta die Schrift wohl in Alvastra noch nicht auf Latein sondernauf Deutsch (?) oder in einer – verlorenen – schwedischen Übersetzung gelesen hat. Auch kannsie von einem Zisterzienser Alvastras oder von Mathias mit der Schrift bekannt gemacht wordensein. Zu dieser Annahme und den Parallelen zwischen dem Buch der ewigen Weisheit und einigenOffenbarungen siehe KLOCKARS, böckerna, S. 228–233; KÜNZLE, Horologium Sapientiae, S. 28–54.

291 KLOCKARS, böckerna, S. 225f. Ausführlicher hierzu ROELVINK, Franciscans, S. 42–44.

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110 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

verstanden wurden. Über viele Theologen ging Birgitta dahingehend hinaus, dass sieKeuschheit als verpflichtend für Frauen und Männer sah. Außerdem verstand sie denBegriff stark innerlich, so dass eine demütige und bescheidene Ehefrau nach Birgittadurchaus verdienstvoller als eine stolze Jungfrau sein konnte.292 Möglicherweise ent-nahm Birgitta derartige Gedanken der Legende der Elisabeth von Thüringen, in dereine ganz ähnliche Position vertreten wurde.293 Für Birgittas Eheverständnis wurdeaber das Vorbild Mariens entscheidend. Birgitta sah in der Gottesmutter eine Jung-frau, „Ehefrau“ und Witwe, obwohl Birgitta andererseits in der Verbindung Mariensmit Josef eine Verlobung und keine Ehe mit sexueller Aktivität sehen wollte.294

Die daraus resultierende Eheauffassung Birgittas wird exemplarisch in der Offenba-rung Rev I, 26 deutlich. Dort führt Christus sieben gute und sieben schlechte Gründean, aus denen heraus die Menschen heiraten. Als schlechte Gründe werden Schön-heit, Reichtum, sexuelle Lust, Feste mit Völlerei und Luxus, Hochmut in Kleidung,Speise und Scherz, das Zeugen von Kindern für Ehre und Reichtum und tierischeGenusssucht genannt.295 Diese Aufzählung zeigt, dass Birgitta besonders ihren ei-genen Stand und die Ehepraxis desselben im Blick hatte. Obwohl Birgitta auch die„profane“ Auffassung ihres Standes vertreten zu haben scheint, dass die Ehe Erbenhervorbringen sollte,296 hat Birgitta wohl versucht, ihre spirituellere Eheauffassungder „profanen“ entgegen zu stellen. Diese „gute Ehe“ erstrebe nach Birgitta einzig dieSchau und Liebe Gottes, meide überflüssigen Besitz und eitle Worte, suche nicht dieGesellschaft der Freunde oder Eltern sondern nur Gott, strebe nach innerer und äuße-rer Demut, fliehe jeden Luxus und zeuge Kinder und erziehe sie auf Gott hin.297 Die-ses Eheideal sei in der Ehe von Mariens Eltern Anna und Joachim realisiert worden,

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292 SJÖBERG, Hustru och man, S. 42–48, 62–75; SJÖBERG, bilder av hustru och man, S. 79; NIEUW-LAND, view of marriage, S. 84f.

293 FORN-SVENSKT LEGENDARIUM, S. 803–826: Den heliga Elizabeth af Ungern; Legenda aurea,S. 754f.

294 SJÖBERG, Hustru och man, S. 76.295 REV I, 26, S. 310–317, S. 314f.: Sed homines huius temporis septemplici racione coniunguntur.

Primo propter faciei pulchritudinem, secundo propter diuicias, tercio propter nimiam scurrilitatemet indecens gaudium, quod recipiunt in coitu, quarto, quia est ibi amicorum conuentus et immode-rata gula, quinto, quia est ibi superbia in vestibus, in cibis et in ioculacionibus et aliis vanitatibus,sexto causa suscitande prolis, non ut Deo nutriatur vel in bonis operibus, sed ad diuicias et hono-res; septimo conueniunt causa luxurie et in luxurie appetitu velut iumenta.

296 SJÖBERG, Hustru och man, S. 242f.; SJÖBERG, bilder av hustru och man, S. 79; NIEUWLAND,view of marriage, S. 85.

297 REV I, 26, S. 310–317, S. 316: Ibi enim alia septem bona inueniuntur, contraria prioribus predic-tis malis. Nam ibi non desideratur forma aliqua seu pulchritudo corporis nec delectabilium visiosed solummodo visio et amor Dei; secundo nichil possidere nisi unde viuant, solummodo ad neces-sitatem, nichil ad superfluitatem; tercio vitant verba ociosa et surrilia; quarto non curant videreamicos vel parentes, sed ego sum amor et desiderium eorum. Quinto humilitatem cupiunt seruareinterius in consciencia et exterius in habitu. Sexto habent voluntatem numquam velle luxuriari.Septimo generant Deo suo filios et filias per bonam conuersacionem et bonum exemplum et perspiritualium verborum predicacionem. SJÖBERG, Hustru och man, S. 77–95.

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auch daher, so Birgitta, sei Maria ohne S nde geboren.

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298 Als Negativbeispiel einerEhe diente Birgitta die Verbindung von K nig Magnus und Blanche. Nach zwei S h-nen versprach sich dieses Paar Keuschheit, was Birgitta scharf kritisierte. Die Gründedieses Versprechens schienen ihr unlauter: Magnus sei homosexuell interessiert, Blan-che scheue die Schwangerschaft und die Geburt.299 In Bezug auf weitere Aspekte desEhelebens scheinen Birgittas Vorstellungen der Tradition gefolgt zu sein: die Frausollte sich dem Mann unterordnen,300 dieser die Frau lieben, versorgen und gut be-handeln.301 In Bezug auf die Frage des Ehebruchs war Birgitta strenger als die Umge-bung. Während auch die schwedische Rechtsgebung, sicher Gewohnheiten, aber auchder kirchlichen Lehre folgend, Ehebruch bei der Frau strenger wertete als Ehebruchbeim Mann, verurteilte Birgitta den männlichen Ehebruch ebenso streng wie den derFrau.302 Abschließend sei noch angemerkt, dass in den Relevationes „Elternschaft“zwei Aspekte aufwies. Zum einen meinte der Begriff die „himmlische Elternschaft“Gottes und Mariens den Menschen gegenüber, zum anderen die irdische Elternschaft.In beiden Fällen hob die achtfache Mutter Birgitta die Bedeutung der Mutterliebe her-vor. Dabei betonte Birgitta nachdrücklich, dass der Mutter nicht nur die Erziehungder Kinder zu frommen Christen oblag, sondern dass die Frau auch bei der Zeugungmitwirke.303

Die in diesem Unterkapitel behandelten Aspekte k nnen trotz der bevorzugten Dis-kussion der Revelationes und der Kanonisationsakten als Quellen Birgittas Auffas-sung wiedergeben. Dafür spricht, dass viele Details konkret mit biographischen Er-fahrungen Birgittas verbunden werden k nnen. Dies gilt für die Wertung der Keusch-

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298 REV I, 9, S. 260–262, S. 261: Ipse coniugium patris mei et matris tanta castitate coniunxit, uttunc non inueniretur castis coniugium et numquam conuenire vellent nisi iuxta legem, solummodocausa suscitandi prolem.; REV VI, 49, S. 176: Per similem modum coniunccio parentum meorumfuit, quando ego concepta fui, et ideo veritas est, quod ego concepta fui sine peccato originali etnon in peccato. Ähnlich REV VI, 55, S. 196f. und REV VI, 104, S. 266. Vgl. De nativitate Mariæ,S. 342–350; Liber de ortu, S. 282–294; SJÖBERG, Hustru och man, S. 96–106.

299 SJÖBERG, Hustu och man, S. 107–110; NORDAHL, Birgitta, S. 73f.; MORRIS, Birgitta, S. 58f.300 Deutlich REV IV, 84, S. 265.301 NIEUWLAND, view of marriage, S. 86–88; SJÖBERG, Hustru och man, S. 110–120.302 SJÖBERG, Hustru och man, 190–194.303 Hier folgte Birgitta entschieden der Auffassung des Thomas von Aquin. Zwar sah Thomas in der

Frau den passiven Part bei der Zeugung – principium passivum ex parte matris (THOMAS, S.TH.3 q33a4, S. 285f., S. 286) – erkannte aber an, dass bei Zeugung auch die Frau notwendig mitwirkt– sed corpora aliorum hominum non formantur ex purissimo sanguine, sed ex semine, et sanguinemenstruo [. . . ]. (THOMAS, S.TH. 3 q31a5, S. 269f., S. 269).REV V, int. 3, S. 101f.: Questio quarta. „Item cur dedisti hominibus et mulieribus semen commix-tionis et naturam, si non secundum appetitum carnis effundatur? [. . . ] „Item dedi semen commix-tionis ea de causa, vt loco et modo germinaret debito et vt causa iusta et racionabili fructificaret.“;REV V, int 6, S. 107–110, S. 108: Omnis quippe fortitudo corporis pueri de patris et matris semitesumitur, sed quia, quod conceptum est, propter aliquam patris vel matris infirmitatem non habetdebitam fortitudinem, ideo cicius moritur. SJÖBERG, Hustru och man, S. 209–212, 226–240; EL-DERS, Leo J.: Zeugung I Philosophisch und theologisch, LMA IX, Sp. 590–592; KEIL, Gundolf:Zeugung II Medizinisch, LMA IX, Sp. 592–594.

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112 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

heit bei Jungfrauen, Ehefrauen und Witwen ebenso wie für die Wertung von Ehe inder Gesellschaft oder von Mutterschaft. Die Betonung von „Verstößen“ gegen die bir-gittinische Ehemoral besonders in höheren gesellschaftlichen Schichten verdeutlicht,dass sich Birgitta hier explizit an ihren eigenen Stand gewandt hat. Bemerkenswert istdie enge Verbindung der Eheauffassung mit der Mariologie Birgittas, die wie noch zuzeigen ist, trotz der Beeinflussung durch Mathias und die Zisterzienser ein selbststän-diger Aspekt der Religiosität Birgittas gewesen ist.

2.8. Birgitta, die Kirche und die bestehenden Orden

In den Revelationes wird Kirche als Communio Sanctorum, als Gemeinschaft allerChristen verstanden, die sich, strukturiert nach der traditionellen Ständeauffassung, inPrälaten, Ordensleute, Ordensritter und Adelige sowie einfache Laien gliedert. DiesesKirchenbild ist nicht originell, sondern stark der traditionellen Kirche verhaftet.304

Birgitta fühlte sich immer tief in die Kirche eingebunden, sie lebte für und wirkte –als Prophetin und Kritikerin – in ihr; der Glaube der Kirche war für Birgitta absoluteWahrheit; Respekt und Treue gegenüber der kirchlichen Hierarchie waren für Birgittaselbstverständlich.305

Dass dennoch Kirchenkritik in den Revelationes ein dominierendes Thema ist, re-sultiert aus Birgittas Auffassung, dass der idealen – von Christus begründeten – Kir-che die zeitgenössische Kirche gegenüber stehe, über die – teilweise in Form von„himmlischen Gerichtsprozessen“ – geurteilt wird.306 Der zeitgenössischen Kirchewerden Liebe zur Welt, sich zeigend in Hochmut, Habsucht, fleischlicher Lust vor-geworfen. Die Verachtung Christi als Herrscher und Erlöser zeige sich im Mangel anBußfertigkeit, Hoffnung, Ehrfurcht, Glaube, Liebe und Vernachlässigung des Seelen-heils. Beklagt werden weiterhin Simonie und (innerkirchliches) Unrecht. BesondereSchuld an diesen Lastern tragen den Revelationes zufolge die obersten kirchlichen307

und weltlichen Hierarchien sowie die Geistlichkeit auf allen Ebenen.308 An sie rich-

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304 REV II, 19, S. 86–92 verwendet für die Kirche die Allegorie des Bienenstocks. REV IV, 65, S. 200–202; REV IV, 92, S. 276f.; REV VI, 26, S. 107f. FOGELQVIST, kristna och kyrkan, S. 145–151;CERVERA, church, S. 248f.; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 29; TANZ, Birgitta, S. 102. Einegegenteilige Auffassung vertrat Söderblom Anfang des 20. Jahrhunderts, nach ihm stellte Birgittadie Kirchenhierarchie in Frage: SÖDERBLOM, Birgitta och Reformationen, S. 14f.

305 FOGELQVIST, kristna och kyrkan, S. 145; CERVERA, church, S. 244, 246f., 263f.306 Am neuesten hierzu RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 24–28.307 REV III, 1, S. 84–89; REV III, 2, S. 89–92; REV III, 3, S. 92–96; REV III, 4, S. 96–99 formulieren

einen „Bischofsspiegel“.308 Etwa die Offenbarungen REV I, 23, S. 302–307, in der ein habgieriger Kleriker verurteilt wird;

in REV I, 24, S. 307f. wird der Zustand der Kirche allgemein beklagt; in REV I, 33, S. 336–338werden jene Theologen kritisiert, welche nur aus weltlichem Antrieb Gelehrsamkeit suchen; inden Offenbarungen von REV I, 47, S. 382–390, REV I, 48, S. 391–396 und REV I, 49, S. 396–398werden schließlich die treulosen und habgierigen Priester verurteilt.

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Birgitta, die Kirche und die bestehenden Orden 113

tet sich die Kritik Birgittas, w hrend die Laien, in sich kaum differenziert dargestellt,eher pauschal verurteilt werden. Vor allem von den Eliten fordert Birgitta eine indivi-duelle Umkehr der Christen, basierend auf Liebe und Sehnsucht zu Gott, ausgedrücktin echter Buße, Hoffnung, Glaube, N chstenliebe. Dabei schienen ihr die Qualen desPurgatoriums als reale Bedrohung besonders geeignet zu sein, um die Menschen zurUmkehr zu bewegen. Der Ablass galt als geeignetes Mittel, den Sündenstrafen zu ent-gehen. Von den Priestern forderte Birgitta die gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten,vor allem in Bezug auf die Predigt. Wie alle Christen sollten die Kleriker die Weltfliehen, einfach und demütig leben, nur das Notwendigste gebrauchen, den eigenenWillen Gott überlassen.309 Besonders die Bischöfe schienen für Birgitta Mittelpunktder ecclesia militans gewesen zu sein. Möglicherweise nach dem Vorbild des Brynolfvon Skara und der Bekannten Birgittas und sp teren Bischöfe Nikolaus von Linköpingund Hemming von Åbo entwarfen die Revelationes das Ideal des guten, klugen undinspirierten Bischofs, welches dann etwa italienischen Bischöfen vorgehalten wur-de.310

Die engste Bindung von Birgitta an einen religiösen Orden bestand unzweifelhaftzu den Zisterziensern. Auch wenn sie in einigen Offenbarungen die Benediktiner undZisterzienser kritisierte, weil diese sich von der Regel ihrer Gründer entfernt h tten,311

so lebte sie in Alvastra bei den Zisterziensern und empfing hier ihre ersten Offenba-rungen. Der Subprior von Alvastra war bis zu ihrem Lebensende ihr geistlicher Be-gleiter, Beichtvater, Sekret r und Ratgeber. Elemente von Birgittas Spiritualit t, vorallem ihre ausgepr gte Marienverehrung, sind im Zisterzienserorden verwurzelt.312

Ambivalent scheint das Verh ltnis Birgittas dem Dominikanerorden gegenüber ge-wesen zu sein. Zwar sch tzte sie die Ziele der Predigerbrüder – die Predigt, kom-biniert mit einem armen, apostolischen Leben – doch kritisierte sie sehr scharf dengegenw rtigen Zustand des Ordens in Schweden.313 In den in Schweden entstande-nen Offenbarungen Rev III, 15, 16 und 18 kritisierte nach Birgitta die Gottesmutterden Dominikanerorden. Obwohl Dominikus ein Heiliger gewesen sei, h tten sich dieBrüder seines Ordens vom rechten Weg abgewandt. Dabei richtete sich Birgitta inihrer Kritik besonders an dominikanische Bischöfe in Schweden.314 In Rev III, 18beklagt Maria, dass, wenn Dominikus auf die Erde k me, um seinen Brüdern den

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309 FOGELQVIST, Apostasy, S. 79–81, 145f., 183f., 239f.; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 24–26,28f.

310 KŁOCZOWSKI, Entwicklung, S. 799.311 Kritisch den Benediktinern gegenüber etwa REV IV, 33, S. 138–144; REV IV, 127, S. 354–

357 sowie REV III, 20–22, S. 151–153/ 153–156/ 157f. Kritisch den Zisterziensern gegenüberREV IV, 93, S. 278–280 und REV IV, 121, S. 328f.

312 ROELVINK, Franciscans, S. 22, 37.313 Die dominikanische Regel wurde von Birgitta geachtet: REV III, 17, S. 137–140, etwa S. 139: Sed

quid credis tu, o filia mea, quod regula Dominici sit? Utique humilitas, continencia et contemptusmundi, nam omnes, qui hec tria asumunt et perseuerando diligunt, numquam dampnabuntur, et hiisunt, qui tenent regulam beati Dominici. KLOCKARS, böckerna, S. 197–202.

314 REV III, 15, S. 133f. und REV III, 16, S. 134–137.

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114 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Lohn für Tugenden zu versprechen, diese nicht folgen würden, sondern sich lieberden Versprechungen des Teufels zuwendeten.315

In Bezug auf das Verhältnis von Birgitta zu den Franziskanern muss die schwedi-sche Zeit streng von der italienischen Zeit unterschieden werden. In Schweden warBirgitta nicht, wie die ältere Forschung behauptet hat, Franziskanertertiarin. Franzis-kanische Tertiaren sind für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts in ganz Schwedennicht nachweisbar. Persönliche Kontakte von Birgitta zu Franziskanern sind nicht zubelegen, auch wenn sie in der Franziskanerkirche Linköping, auf Ulvåsa, auf demKönigsschloss Vadstena oder auch in Stockholm Franziskaner getroffen und gehörthaben kann. Erst Franziskaner der Neuzeit haben derartige Kontakte Birgittas zumOr-den konstruiert.316 Möglicherweise kam Birgitta bereits in Schweden mit – vielleichtdeutschen – Franziskuslegenden in Berührung, die über das Forn-Svenskt Legendari-um hinausgingen. Diese altschwedische Heiligensammlung widmete Franziskus nurdrei Seiten, betonte seine Konversion und seine Stigmata, die aussähen, „als ob ihmjemand mit der Armbrust durch die Hand geschossen hätte“.317 Franziskanisches Ge-dankengut wurde ihr eventuell auch von ihrem Beichtvater Mathias vermittelt.318 Inihrer Regula Salvatoris von vor 1349 sind zwar Elemente enthalten, die auf franzis-kanische Beeinflussungen hinweisen können – das strenge Armutsgebot der Gemein-

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315 REV III, 18, S. 141–145, S. 141f.: Si Dominicus descenderet de loco deliciarum, in quo felicitervere est, et clamaret taliter: „O fratres delicti, sequamini me, quia vobis reseruantur quatuorbona, scilicet honor pro humilitate, diuicie perpetue pro paupertate, sacietas sine fastidio procontinencia, vita eterna pro contemptu mundi“, vix audiretur. Sed sie contra statim ascenderetdyabolus de convalle clamaretque alia quatuor dissimilia „vobis Dominicus“, inquiens, „promisitquatuor. Videte me, ego enim vobis, que desideratis, ostendam manu. Nam ecce, honorem affero,diuicias habeo in manu, voluptas in promptu est, mundus erit delectabilis ad fruendum. Suscipiteigitur, que offero! Utamini hiis, que certa sunt! Viuite cum gaudio, ut post obitum simul gaudeatis!“Si iste due voces nunc sonarent in mundo, plures currerent ad vocem latronis diaboli quam advocem Dominici [. . . ].

316 Die Eltern von Birgitta haben dagegen in ihren Testamenten auch Franziskanerkonvente in Schwe-den bedacht. Bernhardin von Siena und Johannes Capestranus kannten zwar die Schriften des Ma-thias von Schweden, erwähnten aber nie Birgitta, evtl. weil deren Revelationes noch lange umstrit-ten waren. Erst im 16. Jh. finden sich Hinweise, nach denen Birgitta Franziskanertertiarin gewe-sen sei, etwa bei Mariano da Firenze. MATANIC, Brigida, S. 793f., 796; ROELVINK, Franciscans,S. 23f., 28, 34f.; MORRIS, Birgittines and Beguines, S. 164.

317 FORN-SVENSKT LEGENDARIUM, S. 800–802. Auf S. 802: [. . . ] till eet skot, kom som aff arm-byrste gynom hans hand [. . . ]. In Bezug auf die deutschen Franziskuslegenden in Frage kämenhier das 1238 verfasste und an der Franziskusvita des Thomas von Celano orientierte St. Fran-cisken leben des Lamprecht von Regensburg oder eine im Zweiten Weltkrieg verloren gegangeneanonyme Verslegende zu Franziskus aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Am Königshofund bei Händlern wurde Deutsch gesprochen, so dass die Existenz deutscher Franziskuslegendenund deren Lektüre durch Birgitta nicht ganz auszuschließen ist. Roelvink nennt keine möglichendeutschsprachigen Quellen. Die genannten Werke sind aber nach heutigem Wissensstand die ein-zigen vor 1350 entstandenen deutschsprachigen Franziskusviten. KUNZE, Hagiographie, S. 224,227; ROELVINK, Franciscans, S. 35.

318 ROELVINK, Franciscans, S. 37.

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Birgittas Verehrung Mariens und der Heiligen 115

schaft und der einzelnen Person, die Struktur einzelner Fasten- und Gebetsvorschrif-ten, das graue Gewand der Nonnen, welches an das urspr ngliche Gewand der Fran-ziskaner (englisch grey friars!) erinnert und möglicherweise die Bauvorschriften f rVadstena, die eine gotische Hallenkirche mit drei Schiffen und Beschränkungen inder Gestaltung der Mauergestaltung, der Skulpturen und der Fenster vorschreiben.319

Insgesamt ist aber davon auszugehen, dass Birgitta erst in ihrem zweiten Lebensab-schnitt in Italien den Franziskanerorden näher kennen gelernt und sich intensiver mitdessen Idealen auseinandergesetzt hat.320

Obwohl das Kirchen- und Ordensbild der Birgitta wesentlich anhand der Revela-tiones diskutiert wurde, kann es nicht als reine Konstruktion der Beichtväter Birgittasbewertet werden, das sie ihrem Beichtkind „untergeschoben“ hätten. Vielmehr han-delt es sich um eine Ergänzung der religiösen Erfahrungen Birgittas mit theologisch-ekklesiologischen Wertungen der Redakteure der Revelationes. Es zu betonen, dassBirgittas bemerkenswert scharfe Kirchen- und Ordenskritik auch ein Resultat ihreszunehmenden Selbstbewusstseins als „Sprachrohr Gottes“ war. Als solches f hlte siesich berechtigt und berufen, die Kirche, als deren treue Anhängerin sie sich verstand,zu kritisieren. Die Kirche wiederum konnte Birgittas Kritik akzeptieren, da sie – an-ders als die Reformatoren des 16. Jahrhunderts – nicht die Hierarchie oder Lehre ansich angriff und – nicht an das Kirchenvolk insgesamt gerichtet – keine breite Mas-senbewegung etablieren wollte.321

2.9. Birgittas Verehrung Mariens und der Heiligen

Wie f r ihren Beichtvater Mathias war f r Birgitta Maria eine zentrale Gestalt in ih-rem religiösen Denken, was vor dem Hintergrund des ausgeprägten Marienkultes inSchweden und der großen Bedeutung der Zisterzienser f r die schwedische Frömmig-keitsgeschichte gut erklärbar ist. Entsprechend weisen etwa ein Drittel der Revelatio-nes Maria eine zentrale Rolle als Lehrerin, Beraterin oder F rbitterin zu.322 Mariaberichtet in Offenbarungen von ihrem eigenen Leben, ihrer Geburt, ihrer Kindheit,dem Besuch des Engels323 und ihrem Leben mit Jesus, wie sie dessen Passion mitver-folgte und dabei von f nf Speeren durchbohrt wurde.324 Diese Aspekte werden auch

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319 Vgl. EXTRAV 28, S. 138–141 zu Kirche und Chor in Vadstena, EXTRAV 31, S. 145f. zu den dreiEingängen der Kirche; ROELVINK, Franciscans, S. 38.

320 ROELVINK, Franciscans, S. 29f.; KLOCKARS, böckerna, S. 202–208.321 FOGELQVIST, Apostasy, S. 145; TANZ, Birgitta, S. 102; SÖDERBLOM, Birgitta och Reformatio-

nen, S. 20–24; LOSMAN, Väckelspredikanten, S. 7–9.322 SAHLIN, Heart, S. 213.323 REV I, 10, S. 263–271, S. 263–265; DE NATIVITATE MARIÆ, S. 350–362; LIBER DE ORTU,

S. 294–312; LEGENDA AUREA, S. 585–595.324 REV I, 10, S. 263–271, S. 266–271; zu den f nf Speeren REV I, 27, S. 317–320.

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116 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

in den Quattuor Oraciones thematisiert.325 Hier wird der Einfluss apokrypher Erzäh-lungen zu Mariens Geburt und Kindheit, die über die Legenda aurea beziehungsweisedas Forn-Svenskt Legendarium vermittelt worden sind, deutlich. Maria ist stets dar-gestellt die demütige, gottesfürchtige, gehorsame, geduldige, standhafte und barm-herzige Gottesmutter und Himmelskönigin, auf die die Seelen im Purgatorium hoffenkönnen.

Im vermutlich 1354 von Birgitta verfassten Sermo angelicus, einer gewissen Zu-sammenfassung der Mariologie Birgittas, der für den zu gründenden Birgittenordeneinundzwanzig Lesungen, je drei Lesungen für jedenWochentag, vorsah und darin dasLeben Mariens behandelte,326 war Maria die magistra apostolorum, confortatrix mar-tyrum, doctrix confessorum, clarissimum speculum virginum, consolatrix viduarum,in coniugio viuencium saluberrima monitrix atque omnium in fide catholica perfectis-sima roboratrix.327 Maria steht für Birgitta entsprechend altkirchlicher Lehre typolo-gisch für die Kirche;328 Birgitta gelangt sogar zu der – metaphorisch aufzufassendenMeinung – dass Maria zwei Söhne habe – Christus und den Papst.329

Bereits vor der Schöpfung der Welt sei Maria als Muttergottes vorbestimmt ge-wesen.330 In den birgittinischen Offenbarungen wird ausdrücklich betont, dass Mariaunbefleckt, Jungfrau und Mutter gewesen sei.331 Die Jungfrau betont in den Offenba-rungen Birgitta gegenüber immer wieder, dass ihre Eltern sie ohne Lust zu empfindengezeugt hätten.332 Außerdem heben die birgittinischen Offenbarungen die leiblicheAufnahme Mariens in den Himmel hervor,333 eine Auffassung, die später heftig an-

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325 BIRGITTA, QUATTUOR ORACIONES, S. 66–73 und 88–92.326 Die Domenica, Leccio 1–3, S. 79–86, Kap. 1–3/ Feria Secunda, Leccio 1–3, S. 86–93, Kap. 4–6/

Feria tercia, Leccio 1–3, S. 94–101, Kap. 7–9/ Feria Quarta, Leccio 1–3, S. 102–109, Kap. 10–12/Feria quinta, Leccio 1–3, S. 110–118, Kap. 13–15/ Feria Sexta, Leccio 1–3, S. 119–127, Kap. 16–18/ Sabbato, Leccio 1–3, S. 128–137, Kap. 19–21; MORRIS, Birgitta, S. 105–107. Vgl. FORN-SVENSKT LEGENDARIUM, S. 3–46.

327 SERMO ANGELICUS, S. 129f. (Erste Lesung vom Samstag, Kap. 19).328 REV I, 16, S. 283–287; REV I, 23, S. 302–306; REV I, 29, S. 324–326; REV I, 31, S. 329–331;

REV V, reu. 4, S. 121–124; NYBERG, Studier, S. 15f.329 Audi tu et attende diligenter, quid ego volo dicere de duobus filiis meis, quas tibi volo nominare.

Primus quem dico est Filius meus Ihesus Christus, qui natus est de mea carne virginea ad hoc, utsuam caritatem manifestaret et animas redimeret. [. . . ] Secundus, quem reputo pro filio meo, estille qui residet in papali sede Dei in mundo, si obedierit preceptis suis et ipsum dilexerit perfectacaritate., in: REV IV, 138, S. 386–388, S. 387; NYBERG, Studier, S. 15f.

330 REV V, 9, resp. 1, S. 118f., S. 119: tamen ante principium mundi preuisa est.331 Etwa REV I, 31, S. 329–331, S. 329: [. . . ] quod regina et domina est et mater regis angelorum.

Capilli protensi, quod virgo est purisima et immaculata.; REV V, 12, Resp. 2, S. 137: Quod veromater mea vere ante partum et post erat virgo, sufficiebat testimonium Ioseph, qui custos et testisvirginitatis eius extitit.; REV VI, 49, S. 176; REV VI, 55, S. 196f.; ähnlich REV VI, 12, S. 77.

332 REV I, 9, S. 260–262, S. 261: Ipse coniugium patris mei et matris tanta castitate coniunxit, ut tuncnon inueniretur castius coniugium et numquam conuenire vellent nisi iuxta legem, solummodocausa suscitandi prolem.

333 [...] ita et corpus sue dignissime matris, quod numquam aliquod peccatum commisit, aliquan-tis diebus post eius tumulacionem Dei virtute et potencia fuit cum eiusdem sacratissima virginis

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Birgittas Verehrung Mariens und der Heiligen 117

gefochten wurde. berdies tritt Maria in den Revelationes als Miterlöserin, als core-demptrix auf. Zentral äußert sich dieser Aspekt Mariens in Vision Rev I, 35, in derMaria von sich selbst behauptet, dass ihr Sohn und sie die Welt gleichsam mit ei-nem Herzen Herzen erlöst hätten.334 Entsprechend erhört Christus etwa in der VisionRev I, 50 Marias Fürbitte für Menschen im Fegefeuer und auf Erden.335

Wie Sahlin zeigte, war für Birgitta das Bild des Herzens von Maria bedeutend.Das Herz Mariens galt als Symbol für Marias Zustimmung zu Gottes Willen, ihreLiebe zu Christus und als Symbol ihres aktiven Mitwirkens am Werk der Erlösung.Birgitta verehrte dieses Symbol und suchte über dieses die compassio und imitatioMariens.336 Die Revelationes verkünden die Einheit von Marias Herz mit dem HerzChristi von dessen Gebort bis zu seinem Tod. Diese Einheit bewirke, dass Maria litt,wenn Jesus litt. Das Mitleiden mit Maria wiederum, die compassio ihres Schmerzesüber die Passion des Sohnes, scheint für Birgitta ein Weg der Erlösung gewesen zusein. 337

Ein weiterer Aspekt der marianischen Frömmigkeit Birgittas ist die Verbindung vonMaria mit den Aposteln. Dieser Bezug der Gottesmutter zu den zwölf, mit Paulus zuden dreizehn Aposteln wird etwa in Rev VI, 57; VI, 60 und VI, 61 deutlich, in denenBirgitta den Schmerz Mariens über die mühsamen Missionsreisen der Apostel „er-fährt“. Die Würde Mariens, im Sermo angelicus als Königin mehrer Kategorien vonHeiligen, unter anderem auch der Apostel, bezeichnet, 338 folge aus ihrer Rolle, diesie nach dem Pfingsfest einnahm, als sie dem Kreis der Apostel Stärke und Glauben

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anima assumptum in celum omnique honore simul cum eadem extitit glorificatum., in: SERMO AN-GELICUS, S. 134. Vgl. auch REV I, 9, S. 260–262, S. 261: Deinde completo cursu vite mee, primoanimam meam, quia ipse domina erat corporis, ad deitatem excellencius ceteris eleuauit, inde cor-pus meum, ut nullius creature corpus sit tam propinquum Deo sicut meum. Weiter REV VII, 26,S. 195: Item scias, quod nullum corpus humanum in celo est nisi corpus gloriosum filii mei etcorpus meum. Ähnlich auch REV. VI, 6, 60 S. 204f.; REV VI, 62, S. 206f.

334 REV I, 35, S. 343f., S. 344: Sicut enim Adam et Eua vendiderunt mundum pro uno pomo, sic filiusmeus et ego redemimus mundum quasi cum uno corde.

335 REV I, 50, S. 398–402.336 Genannt wird das Herz Mariens in den REV II, 21, S. 95–98, S. 96; REV III, 30, S. 179–183,

S. 180; REV IV, 70, S. 208–212, S. 211; REV V reu. 13, S. 172–175, S. 173; REV VI, 57, S. 198–200, S. 199; REV VII, 15, S. 164–168, S. 166; EXTRAV 3, S. 116–118, S. 117; SAHLIN, Heart,S. 213f.

337 Vergleiche etwa REV I, 10, S. 263–271, in der Maria Birgitta von der Passion berichtet; REV I, 11,S. 271f., S. 271: Dilige me toto corde, quia ego dilexi te et ego spontanee tradidi me inimicis meis,et remanserunt amici mei et mater mea in amarissimo dolore et fletu. Entsprechend wäre auchREV II, 24, S. 104f., S. 105 zu deuten, in der Maria Birgitta zum Mitleiden auffordert: Ideo, filiamea, licet a multis oblita et neglecta sum, tu tamen non obliuscaris me! Vide laborem meum etimitare, quantum potes! Ebenso fand nach REV VI, 97, S. 257–259, S. 258f. ein Mann ein gutesEnde, weil er Mitleid mit Mariens Schmerz empfunden hat: Nam licet homo iste non dilexit eamcorde, tamen, quia consuetudo sua fuit compati dolori eius, quociens eam considerabat et audiebatnominari, ideo compendium salutis sue inuenit et saluatus erit. SAHLIN, Heart, S. 222.

338 REV VI, 57, S. 198–200; REV VI, 60, S. 204f. und REV VI, 61, S. 205f.; SERMO ANGELICUS,Kap. 19, S. 128–130, S. 129f.

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118 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

gab, als diese zweifelten und noch nicht alle Glaubenswahrheiten erkannt hätten.339

In der Regel für den Salvatororden sind für das Jahr neunzehn Tage vorgeschrieben,an denen die Ordensangehörigen bei Brot und Wasser fasten müssen. Dabei entfallenvier dieser Fastentage auf die Vortage der jährlichen Marienfeste und zehn Tage aufdie Vortage der Feste der dreizehn Apostel.340 Im achtundzwanzigsten Kapitel derRevelationes extravagantes formulierte Birgitta schließlich konkrete Bauvorschriftenfür die Klosterkirche. Unter anderem bestimmte sie hier die Anordnung der Altäre.Danach sollte im Osten der Kirche ein Marienaltar stehen, im Süden ein Altar desErzengels Michael, im Norden ein Altar von Johannes dem Täufer und im Westendreizehn Altäre für die Apostel, von denen der Hauptaltar Petrus geweiht sein sollte.Offensichtlich war die Heiligenlitanei der lateinischen Liturgie, in der nach der Trini-tät Maria, dann Michael, dann Johannes der Täufer und dann die Apostel, beginnendmit Peter angerufen wurden, die Quelle für Birgittas Vorschriften.341

In Bezug auf die Heiligenverehrung Birgittas ist auf ihre in der Beichtvätervita ge-nannte Lektüre der Vitae sanctorum342 sowie auf ihre Pilgeraktivitäten zu verweisen,die von zahlreichen Zeugen bestätigt wurde343 und auf die ich bereits eingegangenbin. Die Beweggründe für die Pilgerfahrten werden bei Birgitta im Wesentlichen dieihrer Zeitgenossen gewesen sein. Birgitta glaubte an eine besondere Wirkmächtigkeitvon Heiligen an deren Grab, wobei sie sich offensichtlich nicht daran störte, dass ei-nige der von ihr besuchten Heiligen noch nicht „offiziell“ heiliggesprochen waren.344

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Birgitta auch Reliquien gesammelt hat. NachZeugenaussagen in den Kanonisationsakten besaß sie einen Splitter vom Kreuz Chris-ti, eine Reliquie des Thomas, Haare der Jungfrau Maria und nach der Vita Brigideeinige Tropfen Milch von der Jungfrau Maria.345 In Rom soll sich nach Birgitta eineim Folgenden nicht unumstrittene besondere Reliquie befunden haben – die VorhautChristi. Maria soll Birgitta in einer Vision das Schicksal dieser Reliquie offenbarthaben, die die Römer bedauerlicherweise nicht verehrten.346

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339 NYBERG, Maria och apostlarna, S. 292f., 298f.340 RS, cap. 6–9, S. 108–111.341 LINDGREN, Altars, besonders S. 248f., 282.342 BEICHTVÄTERVITA, S. 14; PROZESSVITA, S. 78.343 Vgl. AP (Art. 13 und 14), S. 14f.; und die Zeugenaussagen hierzu von Katharina, S. 309, von

Magnus Petri, S. 295f., von Francesca Papazzura, S. 439, von Laurentius, S. 416.344 Vergleiche MARUK, Idea of Pilgrimage; TANZ, Birgitta, S. 94.345 AP, S. 527f., 561; VITA BRIGIDE, S. 634f.; HEß, Heilige, S. 136 (in Bezug auf die Milch Mariens

bezieht sich Heß auf einen unedierten Teil der VITA BRIGIDE).346 Cum filius meus circumcideretur, ego membranam illam in maximo honore seruabam, vbi ibam.

Quomodo enim ego illam traderem terre, que de me sine peccato fuerat generata? Cumque tempusvocacionis mee de hoc mundo instaret, ego ipsam commendaui sancto Iohanni, custodi meo, cumsanguine illo benedicto, qui remansit in vulneribus eius, quando deposuimus eum de cruce. Posthoc sancto Iohanne et successoribus eius sublatis de mundo, crescente malicia et perfidia, fideles,qui tunc erant, absconderunt illa in loco mundissimo sub terra, et diu fuerunt incognita, donecangelus Dei illa amicis Dei reuelauit. O Roma, O Roma, si scires, gauderes vtique, ymmo si sciresflere, fleres incessanter, quia habes thesaurum michi carissimum et non honoras illum., in: REV.

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Birgittas Verehrung Mariens und der Heiligen 119

Die Revelationes liefern ebenfalls Informationen zur Heiligenverehrung Birgittas.Genannt werden die Heiligen Johannes der T ufer sowie dessen Eltern Zacharias undElisabeth,347 Petrus,348 Paulus,349 Stephanus,350 Laurentius,351 Elisabeth von Thü-ringen,352 Dionysius,353 Dominikus,354 Ludwig von Frankreich,355 Agnes,356 Fran-ziskus,357 Nikolaus von Bari,358 Johannes der T ufer359 und Brynolf. In Bezug aufBrynolf ist auff llig, dass Birgitta im Streit um die Kulte von Brynolf beziehungs-weise von König Magnus Ladulås eindeutig Position bezogen hat. Bei einem Gebetin der Kathedrale von Skara 1349 vor ihrer Abreise nach Rom sollen ihr Maria undChristus erschienen sein, die erkl rten, dass Brynolf ein Heiliger sei, Magnus dagegennicht.360

Die in den Kanonisationsakten genannten persönlichen Fastentage Birgittas sindwohl in die italienische Zeit einzuordnen. Sie belegen – soweit den Angaben zu trauenist – dass Birgitta Johannes den T ufer, Laurentius, den Erzengel Michael, MariaMagdalena und Agnes verehrt hat, daneben die skandinavischen Heiligen Olaf undErik und Dionysius von Frankreich. Abschließend sei angemerkt, dass auch das Bilddes Teufels in den Revelationes weitgehend den hochmittelalterlichen Vorstellungendes Teufels entsprach.361

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VI, 112, S. 272.347 REV I, 20, S. 293–296, S. 296; REV I, 41, S. 360–368, 364; REV IV, 23, S. 124–128.348 REV I, 41, S. 360–368, S. 365; REV II, 7, S. 46–50.349 REV I, 36, S. 345–347; REV II, 7, S. 46–50.350 REV VI, 108, S. 269.351 REV I, 23, S. 302–306, S. 306.352 REV IV, 4, S. 69–74, S. 72.353 REV IV, 103, S. 295; REV IV, S. 296–298.354 REV III, 17, S. 137–140.355 EXTRAV 59, S. 182.356 REV IV, 17, S. 107–111; REV IV, 124, S. 332f.357 EXTRAV 90, S. 215f.358 REV VI, 103, S. 265.359 REV IV, 23, S. 124–128.360 REV II, 30, S. 122–124; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 96f. Zu Brynolf auch EXTRAV 108,

S. 227.361 DIETRICHSON, Satan, bes. S. 150.

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120 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

2.10. Der Orden Birgittas

Vielleicht aufgrund der Unzufriedenheit mit den bestehenden Orden glaubte sich Bir-gitta berufen, im Auftrag Christi einen neuen Orden, einen „neuen Weinberg“362 zugründen.363 Es handelte sich um den Ordo sancti Augustini sancti Salvatoris nuncu-patus (Ordo Sancti(ssimi) Salvatoris, OSSS, OBirg), den Salvator- oder Erlöserorden,der als Birgittenorden bekannt wurde.364 Die in einer Vision vor 1349, vermutlichAnfang 1345 in Vadstena empfangene Regel für diesen Orden, die Regula Salvato-ris, wurde nach Birgitta ihr von Christus selbst eingegeben. Diese dadurch besonderslegitimierte Regel ist in der

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Π-Fassung, welche nach heutigem Forschungsstand dieursprünglichste erhaltene Regel beinhaltet, eine wertvolle Quelle für die ReligiositätBirgittas. Diese älteste Fassung, in der Christus in der ersten Person von seiner Regel,seinem Kloster spricht (regula in prima persona), bestand aus einunddreißig Kapi-teln, wurde 1370 von Birgitta Papst Urban V. vorgelegt und vom Papst per modumconstitutionum in Verbindung mit der Augustinusregel angenommen. Katharina er-reichte 1378 die Approbation einer geänderten Fassung der Regel in vierundzwanzigKapiteln, in der Christus nicht mehr von seinem Orden spricht; stattdessen wird diedritte Person gebraucht (regula in tertia persona). Dieser geänderten Regel, neben derAugustinusregel grundlegend für den Orden, wurde der Charakter einer regula abge-sprochen, offiziell galt sie per modum constitutionis. Dennoch hielt der Orden internweiterhin daran fest, dass es sich um die Regula Salvatoris, versehen mit constitu-tiones, den Addiciones seu constituciones ad regulam sancti Salvatoris des Zisterzi-enserpriors Peter, handele.365 In den Kapiteln neunundzwanzig bis einunddreißig derΠ-Fassung berichtet Birgitta vom Empfang der Ordensvision und der AufforderungChristi, die Regula Salvatoris dem Papst vorzulegen. Dieser wiederum solle die Regelanerkennen; jeder der dann in den Orden eintrete, erhalte die Hilfe und Gnade Gottes.Die Reiche aber, in denen Klöster nach der Regula Salvatoris eingerichtet würden, er-

362 Im Kapitel 28 der Π – Fassung beklagt Christus, dass in den anderen Weinbergen die gegebe-nen Regeln gebrochen würden und sich die Ordensangehörigen vom rechten Weg entfernt hätten.Zugleich verspricht er jenen Unterstützung, die seine Gebote befolgen und sich um eine Reformbemühen. RS, cap. 28, S. 133f.

363 RS, S. 102–104.364 KŁOCZOWSKI, Entwicklung, S. 792.365 Diese Ergänzungen wurden von Birgitta ausdrücklich gefordert. Entsprechend kursierte eine so-

genannte adaptierte Fassung der Regel, in der Christus zwar wie in der Π – Fassung in der ers-ten Person spricht, aber 1378 von Urban VI. bestätigte sachliche Änderungen auftreten. EKLUND,Regvla Salvatoris, S. 22f.; NYBERG, Klostergründungen, S. 1f.; NYBERG, Birgittenorden, LThK 2,Sp. 479f.; NORDAHL, Birgitta, S. 113; MORRIS, Birgitta, S. 163; RAJAMAA, Foundation, S. 88;NYBERG, Danzig, S. 184f.; HÖJER, Studier, S. 72. Eine Edition der Ergänzungen nach einer Hand-schrift im Stockholmer Reichsarchiv in NYBERG, Dokumente, S. 42–110.

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Der Orden Birgittas 121

hielten Frieden und Eintracht.366 Diese abschließenden Kapitel wurden in der Fassungvon 1378 nicht mit aufgenommen.367

Zahlreiche Untersuchungen haben die Beeinflussung der Π-Fassung der RegulaSalvatoris durch die benediktinische und zisterziensische Regel nachgewiesen; desWeiteren gibt es offensichtliche Parallelen zu den Constitutiones Sororum OrdinisPraedicatorum (im Weiteren CSOP), der Regel der Dominikanerinnen von 1259.368

Die ursprüngliche Ordensvision Birgittas wurde von Peter von Alvastra, wohl oh-ne altschwedische Vorlage, ins Lateinische übersetzt. Der genannte zisterziensischeEinfluss ist daher sicher mit der Übersetzung der Offenbarung Bigittas und gleich-zeitigen Angleichung an das Kirchenrecht durch Subprior Peter zu erklären, obwohlauch Birgitta die Benediktiner- und Zisterzienserregel gekannt haben kann.369 Häu-fig wurde das Doppelkloster von Fontevrault als Vorbild für Birgittas Ordensvisionvorgeschlagen, dass Birgitta möglicherweise auf der Reise nach Santiago passiert hat.Wie Nyberg zeigen konnte, liegt ein Vergleich mit Zisterzienserinnenklöstern näher,denen eine aus Zisterziensern bestehende Männersiedlung angegliedert war, was etwain Sko realisiert worden war.370 Probleme dieser zisterziensischen Lösung waren zumeinen der Mangel von eigenen, zisterziensischen Ordenspriestern in den den Zister-zienserinnenklöstern angeschlossenen Männersiedlungen und die damit verbundeneBestellung von Weltpriestern oder Priestern aus anderen Orden. Des Weiteren warendie Zisterzienserpriester oft mit wirtschaftlichen Aspekten der Zisterzienserinnenk-löster betraut und daher nicht uneingeschränkt für die Seelsorge verfügbar.371 Genaudieses Problem wurde in der Regula Salvatoris auf neuartige Weise gelöst. Die Brüderwurden von wirtschaftlichen Aufgaben befreit, um, klausuriert, sich ganz der Seelsor-ge widmen zu können.

Es handelt sich daher bei der Regula Salvatoris nicht um den Versuch, eine „ma-triarchalische Einrichtung“ zu schaffen, wie gelegentlich behauptet worden ist. DieDisziplinargewalt der Äbtissin erstreckte sich nur auf die Schwestern und wurde nach

366 RS, cap. 29, S. 134f.; RS, cap. 30, S. 135–137; RS, cap. 31, S. 138f., S. 139: Et in omni regno seuterra aut ciuitate, in quibus monasteria huius regule cum vicarii mei licencia constructa fuerint,postquam consumatum est monasterium, quod primum constitui, augebitur ibi pax et concordia.

367 NYBERG, Klostergründungen, S. 3.368 FOGELQVIST, New Vineyard, S. 203–205.369 NYBERG, Klostergründungen, S. 1; NORDAHL, Syv birgittinere, S. 113–122; KLOCKARS, böcker-

na, S. 181–196; FOGELQVIST, New Vineyard, S. 204.370 In derartigen Zisterzienserinnenklöstern legten alle Angehörigen des Konvents – auch die Män-

ner – ihre Gelübde in die Hände der Äbtissin ab. Unter den Ordensmännern gab es einen vonden Nonnen bestellten und vom – über der Äbtissin stehenden – Vaterabt eingesetzten Prokurator,der an der hausherrlichen Gewalt der Äbtissin teilhatte. Der vom Vaterabt bestellte Beichtvaterwiederum teilte die Jurisdiktionsgewalt des Vaterabtes. Rechtliche Details im Verhältnis von Äb-tissin, Beichtvater und Prokuratur waren besonders in der Zeit, in der Birgitta in Alvastra gelebthatte, aktuell und zumindest Peter von Alvastra wird um diese Fragen gewusst haben. NYBERG,Klostergründungen, S. 11–25.

371 NYBERG, Klostergründungen, S. 23.

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122 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

der Regel zugleich vom Generalkonfessor und Bischof mit beeinflusst. Zugleich wur-de die hervorgehobene Stellung des Priesteramtes durch die Regel betont und ge-schützt.372 Dennoch waren die Klöster des Birgittenordens keine Doppelklöster. Eshandelte sich zuerst um Klöster für Frauen; ein Nonnenkonvent konnte ohne ange-gliederten Männerkonvent existieren, auch wenn sich idealerweise eher kontempla-tives Wirken der Schwestern und eher aktives Wirken der Brüder ergänzen sollten.Es gab aber keine reinen birgittinischen Brüderkonvente, weil solche überhaupt nichtintendiert waren.373

Die ursprüngliche Regula Salvatoris besteht wesentlich aus drei Teilen: die Kapitelzwei bis neun der

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Π-Fassung behandeln das äußere monastische Leben der Schwes-tern, die Kapitel 10 und 11 die Aufnahme, Weihe und Einkleidung der Schwestern,die Kapitel 12 bis 27 die ganze Gemeinschaft, die Brüder, die Wahl und Aufgaben derÄbtissin und des Generalkonfessors, das Leben der Priester und weitere Details. Die-se Struktur der Regula Salvatoris ist eindeutig an der Struktur der dominikanischenCSOP orientiert.374

In Anlehnung an die Benediktregel und möglicherweise in Anlehnung an franziska-nische Ideale verbietet die Regula Salvatoris im zweiten Kapitel jeden Privatbesitz.375

Interessant in Bezug auf die marianische Frömmigkeit Birgittas und ihres Ordens ist,dass der Orden Maria als Ideal stets gegenwärtig halten sollte. Entsprechend wurdeMaria Patronin des zu gründenden Ordens.376 Während bei den Zisterziensern undDominikanern, die ebenfalls Maria zur Patronin wählten, das Marienoffizium den ka-nonischen Stundengebeten folgte, verzichtet die Regula salvatoris auf das kanonischeGebet der Nonnen – diese sollen es nur hören – und stellt das Marienoffizium in denMittelpunkt. Dabei werden neben Mariengebeten wie dem Ave Maria oder Salve Re-gina drei tägliche Lesungen vorgeschrieben, die aber nicht, wie in anderen Orden, derBibel oder den Texten der Kirchenväter entnommen sind. Birgitta verfasste für dieSchwestern mit Hilfe ihres Beichtvaters Magister Peter Olafsson von Skännige denCantus Sororum, der von den 21 Lesungen des Sermo Angelicus geprägt ist.377

372 RS, cap. 14, S. 120f.; NYBERG, Klostergründungen, S. 23–25, 27; NYBERG, ordensmännens upp-gift, S. 28–30, 33f.

373 Diesen Sachverhalt – dass Birgittenklöster vorwiegend für Frauen gegründet wurden, formulier-te Papst Eugen IV. 1435 auch in seiner Bulle Licet Suscepti: [. . . ] ipsa monasteria principaliter[. . . ] pro mulieribus fundari et nullatenus duplicia esse debere[. . . ] zitiert nach NYBERG, Kloster-gründungen, S. 25f.; NYBERG, ordensmännens uppgift, S. 30–36. Wenn aber ein Brüderkonventan ein Nonnenkonvent angegliedert worden war, dann konnte auch kirchenrechtlich von einemDoppelkloster gesprochen werden.

374 FOGELQVIST, New Vineyard, S. 205f.375 RS, cap. 2, S. 105: Ideo nulli licitum est habere aliquod proprium, nullam omnino rem quamuis

minimam, sed nec obulum quidem possidere vel attrectare manibus; NYBERG, Klostergründungen,S. 29.

376 Hanc igitur religionem ad honorem amantissime Matris mee per mulieres primum et principaliterstatuere volo. RS, cap. 1, S. 105; FOGELQVIST, New Vineyard, S. 206.

377 RS, cap. 5, S. 107f.; FOGELQVIST, New Vineyard, S. 210–212; KLOCKARS, böckerna, S. 109;

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Der Orden Birgittas 123

Im zw lften Kapitel der Regula Salvatoris wird die zahlenmäßige Zusammenset-zung der Gemeinschaft festgelegt: 60 Schwestern, vier Diakone und acht Laienbrüderergeben zusammen 72 Personen, was der Jüngerzahl aus Lukas 10 entspricht. Diesesollen von 13 Priestern, stellvertretend für die 12 Apostel und Paulus, seelsorgerlichbetreut werden.378 Den Priestern wird vorgeschrieben, ein rotes Kreuz zur Erinne-rung an die Passion Christi auf der linken Seite ihres Mantels zu tragen.379 In VisionRev III, 17 erwähnte Birgitta, das Dominikus seine Mitbrüder mit einem roten Kreuzunter deren linken Arm bezeichnet habe.380 Fogelqvist vermutet, dass diese Paral-lele darauf hinweisen k nnte, dass Birgitta den Orden der Prediger erneuern wollte.Dies würde auch das Kapitel 15 der Regula Salvatoris bestätigen, in dem das Lebender Priester genauer geregelt wird. Sie sollen die Messe feiern, das kanonische Stun-dengebet, das den Schwestern erlassen wurde, beten, studieren und predigen. DieseMischung aus kontemplativen Elementen und apostolischem Dienst erinnert durchausan das Ordensideal der Dominikaner.381 Wie bei den Dominikanern wurde die ffent-liche Predigt, an den Sonntagen und an Festtagen mit Vigilien in der Muttersprachezu halten,382 zunehmend in den Vordergrund des Ordens, besonders in Vadstena ge-stellt.383 Das erwähnte rote Kreuz soll einen weißen Punkt in der Mitte, m glicher-weise zur Erinnerung an die Eucharistie aufweisen, ein eventuell weiterer Beleg für

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PILTZ, mariaofficiet, S. 255–258, 277f.378 RS, cap. 12, S. 118: Sorores erunt sexaginta [. . . ] Ipsi quidem sacerdotes debent esse tredecim

iuxta numerum tredecim apostolorum, quorum Paulus, tercius decimus, non minimum laboremsustinuit; deinde quatuor dyaconi, qui eciam sacerdotes possunt esse, si volunt, et ipsi figuram ha-bent quatuor precipuorum doctorum, Ambrosii, Augustini, Gregorii et Ieronimi; deinde octo laici,qui laboribus suis clericis necessaria ministrabunt. Computatis igitur [. . . ] erit numerus, quantuserat tredecim apostolorum et septuaginta duorum discipulorum.; VULGATA, S. 1627 (Lc 10,1);FOGELQVIST, New Vineyard, S. 226f.; NYBERG, Maria och apostlarna, S. 289–292, 298.

379 RS, cap. 13, S. 119: Ipsi quidem sacerdotes tredecim ob reuerenciam mee passionis portabunt inmantellis suis ad sinistram partem crucem rubeam de panno assutam et in medio crucis modicumalbi panni propter misterium mei corporis, quod cottidie immolant.

380 REV III, 17, S. 137–140, S. 138: Deinde volens quoddam spirituale signum dare fratribus suisimpressit quasi unam spiritualem crucem et rubeam in sinistro brachio eorum iuxta cor, hec perdoctrinam et exempli sui efficaciam, quando docuit et monuit eos continue recordari passionemDei, predicare feruenter verba Dei non propter mundum sed propter amorem Dei et animarum.

381 RS, cap. 15, S. 121: Sacerdotes vero isti tredecim tantummodo diuino officio, studio quoque etoracioni vacare debent nullisque aliis se implicare negociis vel officiis. KLOCKARS, b ckerna,S. 109; FOGELQVIST, New Vineyard, S. 227f., 230f.; NYBERG, Klostergründungen, S. 29.

382 RS, cap. 15, S. 121: Qui quidem omni die dominico euangelium illius diei in ipsa missa omnibusaudientibus in materna lingua exponere tenentur cunctisque solempnitatibus, quarum vigilias seuprofesta ieiunant in pane et aqua, atque aliis quibuscumque festis vigiliam habentibus publicepredicare.; HEDLUND, Vadstenapredikanter, S. 311; NYBERG, ordensmännens uppgift, S. 24–28;FOGELQVIST, New Vineyard, S. 230.

383 In C-Sammlung der Universitätsbibliothek Uppsala (UUB) umfassen 150 Handschriften fast aus-schließlich Predigten, es handelt sich um die Handschriften C 258–C415, die etwa 75000 Seitenumfassen. Die „goldene Zeit“ Vadstenas als Pilgerzentrum war 1416–1464. BERGLUND, ideal,S. 105; HEDLUND, Vadstenapredikanter, S. 312.

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124 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

die Wertschätzung dieses Sakraments durch Birgitta. Die Fastenregeln nach der Sal-vatorregel sind strenger als in anderen Orden.384

In Kapitel 14 der Regel wird dieWahl der Äbtissin geregelt; diese soll vomKonventgewählt und vom Bischof bestätigt werden. Dies ähnelt der Praxis der Dominikane-rinnen, die nach den CSOP ebenfalls die Priorin vom Konvent wählen und vom Pro-vinzial bestätigen ließ. Die Äbtissin hat nach der Regel Marias Platz auf Erden inne.Ihr zur Seite soll der Generalkonfessor stehen, der von der Äbtissin mit Zustimmungdes Konvents zu wählen und vom Bischof im Amt zu bestätigen und einzusetzen ist.Er steht über den Brüdern und Priestern, wie die Äbtissin über den Schwestern steht,wirkt aber auch an der Disziplinargewalt der Äbtissin über die Nonnen mit.385 An-ders als bei den Zisterziensern legten die Brüder ihre Gelübde nicht in die Hände derÄbtissin, sondern vor dem Generalkonfessor ab. Erst später wurde das Amt des Pro-kuratoren geschaffen, der, von der Äbtissin mit Beratung durch den Generalkonfessorgewählt, als „Außenbruder“ wirtschaftliche Aufgaben für das Kloster übernahm.

Nach der Regula Salvatoris musste ein Birgittenkloster dem Diözesanbischof un-terstellt werden,386 der die Profess der Novizinnen und der Brüder entgegenzunehmenhatte und Visitator des Gesamtklosters sein sollte.387

2.11. Die Kanonisation Birgittas

Der Kanonisationsprozess Birgittas ist anhand der Kanonisationsakten388 gut rekon-struierbar, zugleich aber nur vor dem Hintergrund der kirchenpolitischen Ereignisseder 1370er und 1380er Jahre verständlich. Nicht die kurze Zeit zwischen dem Tod Bir-gittas und ihrer Kanonisation ist bemerkenswert, sondern, dass es sich um die erste

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384 RS, cap. 6–9, S. 108–111; FOGELQVIST, New Vineyard, S. 212–216.385 RS, cap. 14, S. 120; FOGELQVIST, New Vineyard, S. 228f.; NYBERG, ordensmännens uppgift,

S. 30.386 Episcopus, in cuius dyocesi monasterium est, erit tam sororum quam fratrum pater et visitator

necnon et iudex in omnibus causis seu casibus sorores aut fratres tangentibus. RS, cap. 26, S. 131.Der Liber usuum, eine um 1450 vermutlich in Vadstena entstandene Sammlung von Vorschrif-ten für die Birgittinermönche, belegt ebenfalls die von Papst Bonifatius IX. den Bischöfen auf-getragene Verpflichtung, in den in ihren Bistümern befindlichen Birgittenklöstern strengstens dieEinhaltung der Regel und Konstitutionen zu überwachen. LIBER USUUM, Cap. 44, S. 192f.

387 RS, cap. 10, 11, 13, 26, S. 111–117, 119f., 131; NYBERG, ordensmännens uppgift, S. 33–35.388 Der Kanonisationsprozess Birgittas ist anhand der etwa 600 Folioseiten umfassenden Kanonisati-

onsakten sehr gut rekonstruierbar. Im ersten Teil (AP, S. 1–244) befinden sich die Vollmachten,Petitionen, Kommissionen, Suppliken, der Fragenkatalog des Ludovicus und die Prozessvita. Derzweite Teil (AP, S. 245–570) beinhaltet die attestaciones der Zeugen; der dritte Teil schließlicheine Zusammenfassung, die Rubricacio seu summa tocius processus canonizacionis beate Brigidede Swecia, die den Verlauf der Verhandlungen nachzeichnete, die Vita Brigide und Angaben zumkorrekten Verlauf eines Kanonisationsverfahrens, basierend auf einer Schrift eines Johannes An-dreae. (AP, S. 571–641). REBER, Kulte, S. 57. Zusammenfassend zum päpstlichen Verfahren undmit Blick auf den Forschungsstand NYBERG, Canonization Process.

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Die Kanonisation Birgittas 125

Heiligsprechung in der Zeit des Großen Schismas gehandelt hat. Birgittas Anh ngerund Befürworter ihrer Heiligsprechung waren überwiegend Parteig nger der P psteUrban VI. und Bonifatius IX., so dass die Kanonisation eine Instrumentalisierung derBirgitta im Kontext des Schismas bedeutet hat.389

Bereits Ende 1373 wurde in Montefalco eine erste Sammlung von Birgitta zuge-schriebenen Wundern angefertigt.390 Zeitgleich verfassten Peter von Alvastra und Pe-ter von Sk nnige eine Vita Birgittas,391 die wie die Mirakelsammlung im Dezember1373 durch Bischof Galhardus von Spoleto approbiert wurde.392 Die Gebeine Birgit-tas wurden noch Ende 1373 von Katharina und weiteren Begleitern nach Schwedenüberführt und erreichten im Juli 1374 Vadstena. Im Mai 1375 wurde in Vadstena einBericht über die Wunder auf der Reise der Reliquien aufgenommen;393 zugleich be-mühten sich die Anh nger Birgittas um eine Unterstützung der Kanonisationsbemü-hungen durch den schwedischen Hof und den schwedischen Episkopat. Im November1375 erhielt der Erzbischof von Lund aus Avignon die Aufforderung, eine Kommissi-on zur Prüfung des Lebens und der Wunder Birgittas in Schweden einzusetzen, womitWaldemar, der Bischof von Odense, beauftragt wurde. Dieser traf im M rz 1377 inSchweden ein und begann, unterstützt von Bischof Nikolaus von Linköping, mit denUntersuchungen. Die drei schwedischen Geistlichen Gudmarus de Encopia (GudmarFrederiksson, Gudhmarus Frædherici), Johannes dicto Prest (Johannes Pr st) und derPriester Katilmundus von Vadstena verfassten 1376 im Auftrag des Bischofs von Lin-köping die Commissio Lincopensis, einen 64 F lle umfassenden Wunderbericht.394

Der Erzbischof von Uppsala und die Bischöfe von Linköping und V sterås richtetenim Oktober 1376 eine Supplik mit der Bitte um Birgittas Kanonisation an den Papst;auch der schwedische König Albrecht und schwedische Ritter unterstützten diese Be-mühungen mit Bittschreiben an die Kurie.395

Katharina kehrte 1375 mit in Schweden gesammelten Wunderberichten, der Rela-cio Vpsaliensis,396 nach Rom zurück.397 Ein Jahr darauf reiste sie in das Königreichvon Neapel weiter; hier ordnete Erzbischof Bernard eine Untersuchung der Wunder

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389 MORRIS, Birgitta, S. 143; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 76; BERGH, Birgittabilden, S. 289f.390 AP, S. 67–71.391 Es handelt sich um die Beichtvätervita. Diese wurde als Prozessvita in überarbeiteter Form in die

AP, S. 73–101 aufgenommen. REBER, Kulte, S. 57.392 AP, S. 72f., 413; MORRIS, Birgitta, S. 145; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 63f.393 De miraculis in via translacionis reliquiarum versus Sweciam, in: AP, 145–164; REBER, Kulte,

S. 57.394 SD 9305a (Nikolaus beauftragt die drei Geistlichen mit der Wundersammlung); AP, S. 105–145

(Commissio Lincopensis). Gudmar hatte Birgitta nach Jerusalem begleitet. NYBERG, CanonizationProcess, S. 74–77.

395 AP, S. 47–49; MORRIS, Birgitta, S. 145; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 64; REBER, Kulte,S. 57.

396 AP, S. 145–164 (Relacio Vpsaliensis), 393f.; MORRIS, Birgitta, S. 145; ELLIS, swedish woman,S. 115; HEß, Heilige, S. 105.

397 DIARIUM, 32.

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126 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Birgittas im Königreich Neapel an, die zu einem im November 1376 verfassten Be-richt führte.398 Die Königin von Neapel und Sizilien, Johanna I., richtete im Okto-ber 1376 eine Supplik Birgittas Kanonisation betreffend an den Papst.399 Kaiser KarlIV. bat nach Bitten der schwedischen Adligen den Papst im September 1377 um dieKanonisation Birgittas.400 Im September 1377 verfasste Nikolaus Hermansson, derBischof von Linköping, einen weiteren Wunderbericht mit vier Wundern, dem imAugust 1378 ein weiterer mit drei Wundern folgen sollte.401 Eine erneute Supplikvon Johanna I. wurde im September 1378 an den Papst gesandt.402 Im Januar 1379baten König Albrecht von Schweden und die schwedische Geistlichkeit erneut umeine Heiligsprechung Birgittas. 403

Nach seiner Rückkehr nach Rom stellte Papst Gregor XI. 1377 eine Kommissionvon Theologen und Kardinälen zusammen, die die Regel und die Revelationes prü-fen sollten. Diese befürwortete nach Prüfung der Revelationes Birgittas Kanonisationund richtete eine entsprechende propositio an den Papst, doch brachen mit dessenTod am 27. März 1378 die Kanonisationsbemühungen ab.404 Nach der umstrittenenWahl des neuen Papstes Urban VI. am 7./8. April 1378 war Katharina eine der 145Zeugen, welche die Legitimität der Wahl des Bartolomeo Prignano zum Papst bestä-tigten; Schweden verblieb nach dem Ausbruch des Großen Schismas auf der SeiteUrbans VI. Dieser autorisierte im Dezember 1378, nachdem ihm von Katharina, Pe-ter von Alvastra, Nicolaus Andreae aus Vadstena und Magnus Petri die Revelationespersönlich überreicht worden sind,405 die erneute Prüfung der birgittinischen causaund die Untersuchung der Revelationes durch eine Kardinalskommission. Im Januar1379 wurden die Prokuratoren, im März die Kommissare für ein erneutes Kanonisati-onsverfahren ernannt.406 Geleitet wurde es von Thomas von Frignano, dem Kardinalvon Grado, Kardinal Agapitus von Colonna, Johannes von Amalia, dem Erzbischofvon Korfu und Kardinal Gentilis von Sangro; die beiden letztgenannten sollten, nach-dem sie sich gegen Urban gestellt hatten, 1386 hingerichtet werden. Auch Matthäus

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398 Zu den Wundern äußerte sich Erzbischof Bernhard auch in einem Brief vom 25. August 1376 aneinen Richter Karl von Neapel. Darin schrieb er: Sed post eius mortem, sicut in vita, ad eius precesDominus noster in nostra ciuitate multa miracula fecit que non debent silencio tradi sed pocius adlaudem Dei diuulgari et publicari [. . . ], in: SD 9303; AP, S. 164f. (-174 die Wunder); MORRIS,Birgitta, S. 145f.; REBER, Kulte, S. 57; NYBERG, Canonization Process, S. 77f.

399 SD 9333, 9334; AP, S. 54f. (hier auf 1377 datiert).400 AP, S. 53f.401 AP, S. 175–180 und 180–184; HEß, Heilige, S. 150.402 AP, S. 54.403 AP, S. 55–59; REBER, Kulte, S. 57.404 Das genaue Datum der Einsetzung der Kommission ist unbekannt. AP, S. 664; MORRIS, Birgit-

ta, S. 146; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 69f.; MAGNUS PETRI, EPISTOLA, S. 221f.; ZurEpistola Magni Petri siehe weiter unten. Zur ersten propositio vgl. KATHARINA, BREV, S. 126f.Besonders die Wunder werden in diesem Brief als Argument hervorgehoben.

405 MAGNUS PETRI, EPISTOLA, S. 223.406 AP, S. 5–7.

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Die Kanonisation Birgittas 127

von Krakau war, obwohl noch nicht zum Theologen promoviert, wohl als Vertreterder Universit t Prag Kommissionsmitglied.407 In Matth us einen Promotor der Hei-ligsprechung der Birgitta von Schweden zu sehen, wie Wünsch, sich auf Nuding beru-fend vorschlug, ist meines Erachtens aber unsicher.408 Fest steht lediglich seine Mit-gliedschaft in der genannten Kommission, die wiederum für die sp tere Verbreitungdes Birgittenkultes in Ostmitteleuropa bedeutsam wurde. Andererseits ist es möglich,Matth us ein persönliches Interesse an Birgitta und ihren Schriften nachzuweisen. Da-bei wird weniger ein Heiligenideal im Vordergrund gestanden haben, das Matth us inBirgitta verwirklicht sah. Die stark pastorale Ausrichtung des Wirkens und besondersder Revelationes von Birgitta werden für Matth us als an praktischen Fragen der Seel-sorger interessierten Theologen aber von zentraler Bedeutung gewesen sein. Deutlichwird dies an der Schrift De passione Cristi ex Revelacionibus sancte Brigitte. Es han-delt sich um eine „literarische Anthologie“,409 in der Matth us die letzten StundenChristi nacherz hlt und dabei den sehr anschaulichen Stil der birgittinischen Reve-laciones nachahmt. Es ist deutlich, dass die pastorale Sinnrichtung der Revelacionesauch von Matth us übernommen wird.410 In der „lebendigen praktischen Frömmig-keit“411 ist also die Schnittmenge der geistigen Ausrichtung von Birgitta undMatth uszu suchen und jene Frömmigkeit erkl rt meines Erachtens das Engagement des Mat-th us für Birgittas Kanonisation besser als ebenfalls mögliche politische Gedankendes urbanistischen Theologen.412

Die Kommission benannte Zeugen für das Leben und Wirken Birgittas und Vertre-ter für ihre Befragung.413 Im Juli 1379 legte Ludovicus Alphonsi, Katharinas procura-tor im Kanonisationsprozess Birgittas, 51 Artikel414 vor, zu denen die Zeugen befragtwerden sollten. Die Artikel eins bis 39 betrafen Ereignisse Birgittas in vita – davondie Artikel eins bis 28 Familie, Kindheit, Ehe, Pilgerreisen, Lebenswandel im weite-ren Sinne und ihr Begr bnis. Die Keuschheit Birgittas wurde in einem eigenen Artikelbehandelt, die Sexualit t als „notwendiges Übel“ zur Zeugung innerhalb der Ehe ge-wertet.415 Auch die Gabe, den eigenen Tod auf die Stunde genau vorherzusagen, ein

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407 AP, S. 5, 10f.; zu Matth us: MAGNUS PETRI, EPISTOLA, S. 223. Vgl. NUDING, Matth us, S. 80f;UNDHAGEN, General Introduction, S. 32 Anm. 149; MORRIS, Birgitta, S. 146f.; KRAFFT, Papstur-kunde, S. 865f.; SAHLIN, Matthew, S. 70. Zu Matth us von Krakau vgl. Kap. 3.6.

408 WÜNSCH, Nuding, S. 851. Nuding ist in jenem Punkt wesentlich vorsichtiger, vermeidet es, Mat-th us eine zentrale Funktion bei den Kanonisationsverhandlungen an der Kurie zuzuschreiben.Jener Ansicht folge ich; die Auffassung von Wünsch ist meines Erachtens zu überspitzt.

409 BREEDVELD-BARÁNKOVÁ, Matthaeus, S. CXLII.410 MATTHAEUS, DE PASSIONE CRISTI; BREEDVELD-BARÁNKOVÁ, Matthaeus, S. CXLII–CXLVI,

CL–CLVI.411 So Nuding, der Franz Josef Worstbrock folgt. NUDING, Matth us, S. 88f.412 NUDING, Matth us, S. 87f.413 AP, S. 28–46.414 Nicht 50, wie von Reber vermerkt. REBER, Kulte, S. 57.415

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[. . . ] et postea consummata copula carnali omni vice, antequam commiscerentur, semper premit-tebant oracionem ad Deum, supplicantes, quod non permitteret eos peccare in illo actu carnali, et

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128 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

alter hagiographischer Topos, wurde Birgitta zugeschrieben.416 In den Artikeln 29 bis39 wurden Birgittas übernatürlichen und prophetischen Begabungen behandelt: etwadie Fähigkeit, Kranke zu heilen und die Fähigkeit, schnell Latein zu lernen.417 DieArtikel 40 bis 51 betrafen Birgittas miracula post mortem. 418 Das „Birgittabild“ derKanonisationsakten wurde wesentlich von diesen 51 Fragen geprägt. Die Fragen ga-ben den Kontext der Antworten der Zeugen schon vor und weisen die Sinnrichtungder Ergebnisse der Zeugenbefragung auf – das Ziel, Birgitta zur Heiligen zu erklä-ren.419 Die Nähe von Ludovicus zu Katharina und zu Alphonso Pecha ist daher nichtverwunderlich.420

In der Zeit von Juli 1379 bis Februar 1380 fand in Rom die Befragung von 26Zeugen zu den genannten Artikeln statt. Dabei wurden nicht alle Zeugen zu allen Ar-tikeln befragt. Unter den Zeugen gab es etwa 10 „Hauptzeugen“, von denen vier ausSchweden kamen – Katharina, die Tochter Birgittas, Magnus Petri, ein Begleiter Bir-gittas in Rom, Prior Peter von Alvastra und Hartlevus, der Bischof von Västerås. Diesechs wichtigsten Zeugen aus Italien waren Alphonso von Jaen, Kardinal Elziariusvon Sabran, Latino Orsini und dessen Frau, Laurentius, der Prior von San Giovanniim Lateran und Francisca Papazzura.421 Bei dem Zeugen Elziarius handelte es sichum ein Familienmitglied zweier italienischer Laienheiliger – der Visionärin Delphi-na von Sabran und deren Mann Elzear. Zugleich soll Birgitta eine Vision Elziariusbetreffend gehabt haben.422

Bestätigt wurden von den Zeugen die Herkunft Birgittas aus einer vornehmen undfrommen Familie sowie ihr frommer und asketischer Lebenswandel.423 Außerdem

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quod Deus daret eis fructum, qui semper seruieret ei., in: Art. 23 in AP, S. 19f.; BERGH, Birgitta-bilden, S. 293.

416 Art. 25 in AP, S. 21f. Vgl. die Zeugenaussage der Katharina S. 318; VAUCHEZ, sainteté, S. 599.417 AP, S. 10–28 zu den 51 Artikeln, Art. 1–2, S. 11 zur Herkunft, Art. 3, S. 12 zur Kindheit, Art. 4–

12, S. 12–14 zur Frömmigkeit allgemein, Art. 13–14, S. 14–16 zu den Pilgerreisen, Art. 16, S. 16f.zur asketischen Praxis, Art. 17–25, S. 17–21 zu den Tugenden, Art. 23, S. 19f. zur Ehe, Art. 29,S. 22 zur prophet. Gabe, Art. 38, S. 24 zum Lateinstudium.

418 AP, S. 25–28; MORRIS, Birgitta, S. 147; BERGH, Birgittabilden, S. 292–294.419 Hierzu ausführlich HEß, Heilige, S. 42f.420 AP, S. 7–9.421 AP, S. 245–255 die Zeugenaussage des Elziarius, S. 255–292 die Zeugenaussage des Magnus

Petri, S. 292–302 die Zeugenaussage des Hartlevus, S. 303–352 die Zeugenaussage der Katharina,S. 352–363 die Zeugenaussage des Latinus Orsini, S. 363–414 die Zeugenaussage des Alphon-so, S. 414–422 die Zeugenaussage des Laurentius, S. 436–447 die Zeugenaussage der FranciscaPapazzura, S. 448–459 die Zeugenaussage der Golizia Orsini, S. 472–562 (sic) die Zeugenaus-sage des Prior Peter. MORRIS, Birgitta, S. 147f.; KRAFFT, Papsturkunde, S. 866; RYCHTEROVÁ,Offenbarungen, S. 70f.; NYBERG, Canonization Process, S. 81f.

422 Interessant ist, wie schon Rychterová betont hat, die hier vorliegende Vernetzung von „heiligenPersonen“ in Familien – bzw. spirituellen Kreisen. Deren Beteiligte waren Subjekte oder Objektejener „transzendenten Kommunikation“ (Rychterová) und auch im vorliegenden Fall führte diesesPhänomen der sainteté de linéage (Vauchez) zu durchaus weltlichen Vorteilen für die Beteilig-ten. VAUCHEZ, sainteté, S. 209–215; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 71; REV VII, 5 addicio,S. 130.

423 Vgl. die Artikel 1–25, AP, S. 10–21. Vgl. z.B. die Zeugenaussagen des Elziarius S. 247f.; des

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Die Kanonisation Birgittas 129

best tigten die Zeugen, dass Birgitta bereits zu Lebzeiten Menschen geheilt424 undD monen ausgetrieben425 habe und in der Lage gewesen sei, bei Menschen den Standder Todsünde zu erkennen.426 Den Wahrheitsgehalt der Artikel 40 bis 48 best tig-ten die Zeugen ebenfalls, auch wenn vieles „nur gehört“ worden ist. Auf BirgittasFürsprache hin sollen Tote auferweckt, Stumme redend, Blinde sehend gemacht, Fall-süchtige, Gel hmte und Verwundete geheilt, D monen ausgetrieben, Seefahrer in Notund geb rende Frauen in Lebensgefahr beschützt worden sein.427 Es f llt auf, dasshier biblische Wunder als Topoi wiederkehren, aber auch „spezifische“ Wunder Bir-gittas genannt werden – wie das „Patronat“ für geb rende Frauen und Seefahrer inNot – Situationen, die Birgitta ja selbst erlebt hat. Die Vision der Geburt und Passi-on Christi, der ein eigener Artikel im Fragenkatalog des Ludovicus gewidmet wurde,wurde von den Zeugen ebenfalls als wahr erachtet.428 In mehreren Punkten nahmendie Zeugenaussagen Themen der Prozessvita auf und best tigen diese.429 Dass diein die Kanonisationsakten aufgenommenen Zeugenaussagen Wunder best tigten, dieüberwiegend in Italien geschahen, kann mit der N he dieser Zeugen zu Rom erkl rtwerden kann, aber auch die frühe Verehrung Birgittas besonders in Rom und Neapelbelegen.

Parallel zu den Zeugenbefragungen in Rom gingen ausw rtige Zeugenverhöre undein Bericht über das Leben und die Wunder Birgittas aus Spoleto ein.430 Nach derBefragung wurden die Ergebnisse in einem Liber attestationum festgehalten.431 MitAbschluss der p pstlichen Untersuchung des Lebens und (Wunder)wirkens Birgittasund dem Verhör der Zeugen war der Weg für die Heiligsprechung prinzipiell geebnet.Dennoch kam es aufgrund der kirchenpolitischen Lage in Italien nicht zum offiziellenKanonisationsakt. Im Jahre 1380 kehrte Katharina deshalb mit p pstlichen Privilegienfür den Orden nach Schweden zurück, schien aber weiterhin auf eine Kanonisationihrer Mutter fest zu vertrauen.432

Parallel zur kurialen Verfahren zur Feststellung von Birgittas Heiligkeit wurdennach Birgittas Tod zahlreiche befürwortende und ablehnende Schriften verfasst. Al-

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Magnus Petri S. 256, 262; der Katharina S. 303–320; des Alphonso S. 363–377, des LaurentiusS. 417 oder der Golizia S. 450–452. BERGH, Birgittabilden, S. 292.

424 Art. 34 in AP, S. 23. Vgl. etwa die Zeugenaussage des Magnus Petri hierzu S. 272 oder des LatinusS. 359.

425 Art. 35 in AP, S. 23f. Vgl. etwa die Zeugenaussage des Magnus Petri hierzu S. 273f.426 Art. 36 in AP, S. 24. Vgl. die Zeugenaussage des Magnus Petri hierzu S. 274.427 Art. 40 bis 48 in dieser Reihenfolge, AP, S. 25f. (Art. 47 zu den Seefahrern, Art. 48 zu den geb -

renden Frauen, beides S. 26). Vgl. die Zeugenaussagen zu jenen Artikeln etwa von Magnus PetriAP, S. 277–280, 282, Hartlevus, S. 301f., Latinus 361f., Alphonso S. 394–412.

428 Art. 32 in AP, S. 23. Vgl. etwa Magnus Petri, S. 270.429 PROZESSVITA, bes. S. 78, 86, 95f.; BERGH, Birgittabilden, S. 290.430 AP, S. 184–197, 198–216, 216–223, 223–241; REBER, Kulte, S. 58.431 AP, S. 4f.; UNDHAGEN, General Introduction, S. 33; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 71.432 In einem Brief an Erzbischof Birger Gregersson schrieb sie am 18. Juli 1380 von Urban

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[. . . ]dicens, quod sanctificauerat eam in corde suo [. . . ] nach MORRIS, Birgitta, S. 148. Der ReisepassUrban VI. für Katharina: URBAN VI:S PASS, S. 131f.

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130 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

phonso Pecha schrieb um 1375 die Epistola solitarii ad reges, eine Verteidigung derbirgittinischen Offenbarungen, die später als Prolog an das Achte Buch der Revela-tiones angefügt wurde.433 Adressaten der Schrift waren vor allem die Herrscherhäu-ser Europas.434 Inhaltlich diskutierte Alphonso erst allgemein die discretio spirituumanhand biblischer und patristischer Autoritäten,435 schließlich explizit bezogen aufBirgitta,436 und kam zum Schluss, dass die Offenbarungen Birgittas göttlich inspiriertseien. Alphonso war davon überzeugt, dass Gott auch Frauen erwähle, um Männer„zuschanden“ zu machen. Entsprechend sah er Birgitta in der Tradition einer Maria,einer Judith oder Hester.437 Es ist gut möglich, dass die Epistola Alphonsos die Pe-titionen von König Albrecht von Schweden, Johanna von Neapel oder Karl IV. mitangeregt hat.438

Magnus Petri schrieb zwischen 1384 und 1391 die Epistola contra calumpniantessanctissimas reuelaciones beate Birgitte439 in denen er aus seiner Sicht bisher „unter-drückte“ Beweise für die Orthodoxie der Revelationes anführte – so die Anerkennungder Rechtgläubigkeit derselben durch circumspectissimis et peritissimis viris, darun-ter Theologen und Kardinäle, die Erfüllung einiger Prophezeiungen, die Verbreitungder Offenbarungen bei den europäischen Herrschern und der positive (religiöse) Ein-fluss der Revelationes auf die Leser.440

Matthäus von Krakau, der sich 1385/86 an der päpstlichen Kurie in Genua auf-gehalten hat, trug in dieser Zeit seine Proposicio facta pro canonizacione Birgitte deSwecia dem Papst vor.441 Mit dieser Proposicio sollte der Papst von der Heiligkeit

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433 ALFONSUS PECHA, EPISTOLA, S. 48–81.434 ALFONSUS PECHA, EPISTOLA, S. 48: O serenissimi reges et vtinam veri reges in Christo, domini

mei precarissimi, supplici et humilima recommendacione premissa ante pedes vestre maiestatisregalis!

435 ALFONSUS PECHA, EPISTOLA, S. 48–54.436 ALFONSUS PECHA, EPISTOLA, S. 54–79.437 ALFONSUS PECHA, EPISTOLA, S. 50.438 Theologisch weniger tiefgehend waren spätere Aussagen des Alphonso bei seiner Vernehmung als

Zeuge, bei der er als Beleg für die Heiligkeit Birgittas auf einen Zweifler aus Subiaco hinwies, demnach der Verhöhnung Birgittas und ihrer Offenbarungen die Genitalien grauissime cum doloribusangeschwollen sein sollen. AP, S. 412; MORRIS, Birgitta, S. 152f.

439 MAGNUS PETRI, EPISTOLA. Der Brief des Magnus Petri, neben den Kanonisationsakten einewichtige Quelle zu den Anfängen des Heiligsprechungsverfahrens, ist in drei Handschriften ausLincoln und Leipzig überliefert und wird von Undhagen auf 1384–1391, von Nuding bereits aufum 1380 datiert. Er diente Turrecremata als Argumentationsvorlage. UBL Ms. 563, f. 274va–275va (Grundlage für die Edition von Undhagen, aber da mit falscher Folioangabe (275v–276v))sowie UBL Ms. 580, f. 175ra–177rb (vermutlich eine Abschrift von UBL Ms. 563, inhaltlichkonnte ich keine Abweichungen feststellen. Von Undhagen wurde UBL MS. 563 nicht berück-sichtigt). UNDHAGEN, Une source, S. 217–219; NUDING, Matthäus, S. 80; BURKHART, Hand-schriften 2.1, S. 134f., 168, 170f.

440 MAGNUS PETRI, EPISTOLA, S. 221–226; Morris, Birgitta, S. 153.441 MATHEUS, PROPOSICIO. Im Folgenden werde ich die Edition von Nuding verwenden; eine

weitere Edition liegt von Breedveld-Baránková, Matthaeus, S. 2–44 vor. Vgl. auch Breedveld-Baránková, Matthaeus, S. CXXXVI–CXLI. Die Epistola Magni Petri belegt, dass Matthäus die

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Die Kanonisation Birgittas 131

Birgittas berzeugt werden.442 Die Rede lässt außerdem die persönliche Wertschät-zung des Matthäus f r Birgitta erkennen;443 breiten Raum widmet er der Schilde-rung ihrer Tugendhaftigkeit, ihrer Demut, ihrer Unterordnung unter die geistlichenF hrer,444 ihrem Fasten, Beten, Sakramentenempfang445 und dem Pilgern Birgittas.Weiterhin betont Matthäus Birgittas Verehrung des Kreuzes Christi und ihre compas-sio.446 F r ihn nimmt Birgitta, obwohl er sie als „traditionelle“ Heilige darstellt, alsowenig auf ihre prophetische Begabung eingeht, eine Sonderstellung unter den Heili-gen ein, weil ihr Christus einen so vertrauten Umgang mit ihm gewährt habe.447 Alsweiteren Grund f r ihre Heiligsprechung f hrt er die ihr offenbarte Ordensregel unddas von ihr gegr ndete Kloster an.448 In Bezug auf die birgittinischen Offenbarungenbetont er, dass diese durch Theologen und Bischöfe gepr ft worden seien.449 Schließ-lich nennt er auch zwei Birgitta zugeschriebene Wunder – einmal, wie Birgitta aufwundersame Weise eine Reliquie vom hl. Thomas erhielt und wie sich zweitens sechsWochen nach Birgittas Tod „wundersam“ das Fleisch von ihren Knochen löste“.450

Die Kirchenkritik Birgittas, die Matthäus sicher geteilt hat, auch wenn er nicht aufBirgittas Argumentation zur ckgriff, wird in der Proposicio nicht angesprochen.451

Eine der ersten bekannten Kritiken an einer Heiligsprechung Birgittas formulierteHeinrich von Langenstein (gest. 1397), der als Theologe der Pariser Universität vorallem durch Schriften zur Konzilsfrage hervortrat. In Bezug auf Birgitta erklärte er,eine Heiligsprechung derselben wie auch von Urban V. und Karl von Blois sei schondeshalb abzulehnen, weil der Heiligenkalender bereits bervoll sei.452

Indirekt erhalten blieb die Kritik eines dominus et magister aus Perugia, der be-sonders am Sermo angelicus, der Regula Salvatoris und an der Mariologie Birgittas,vor allem in den Quattuor Oraciones, Anstoß nahm. Sein nicht erhaltener Traktat istaus der Widerlegung des Adam Easton, dem Defensorium Sanctae Birgittae, indirektzu rekonstruieren. Adam, ein Benediktiner von Easton bei Norwich, der nach Studien

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Proposicio vor dem Papst gehalten hat: MAGNUS PETRI, EPISTOLA, S. 223; MATHEUS, PROPO-SICIO. Abschriftlich findet sich die Proposicio auch in UUB C15, f. 107–111.

442 MATHEUS, PROPOSICIO, S. 314.443 Vgl. die Schlussworte der Proposicio: MATHEUS, PROPOSICIO, S. 328f.444 MATHEUS, PROPOSICIO, S. 317, 320f.445 MATHEUS, PROPOSICIO, S. 321.446 MATHEUS, PROPOSICIO, S. 317.447 MATHEUS, PROPOSICIO, S. 319.448 MATHEUS, PROPOSICIO, S. 322.449 MATHEUS, PROPOSICIO, S. 321.450 MATHEUS, PROPOSICIO, S. 325. Vgl. AP, S. 343, 495.451 Höchstens, wie Nuding meint, verklausuliert, als Matthäus von den schismatischen Griechen

spricht. MATHEUS, PROPOSICIO, S. 323; SAHLIN, Matthew, S. 73; NUDING, Matthäus, S. 88f.;RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 92f.

452 Si conveniat, Urbanum V. Brigidam de Svecia, Ducem Britanniae Carolum, non obstante nimiasanctorum multitudine, canonizari? Si deceat, quorumdam novorum Sanctorum festa solenniusperagi, quam præcipuorum Apostolorum?, in: HARDT II, 56; MORRIS, Birgitta, S. 153f.

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132 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

in Oxford ab 1367 in Rom eine steile Karriere beschritten hatte, fiel als Kardinal beiPapst Urban VI. in Ungnade und wurde 1385 mit anderen Bischöfen inhaftiert. Ver-mutlich blieb ihm Dank englischer Fürsprache die Hinrichtung erspart, doch schrieber in einem späteren Brief an Vadstena Birgitta seine Rettung zu.453 Diese wird erzwar nicht persönlich kennengelernt haben, vermutlich aber deren Tochter Katharinasowie Alphonso. Auch prüfte er vermutlich 1382/83 in päpstlichen Auftrag die Ergeb-nisse der Zeugenbefragungen zu Birgitta. Unter Bonifatius IX. rehabilitiert, spielte erentsprechend eine bedeutende Rolle im Kanonisationsprozess der Birgitta.454 Seinvermutlich in der Zeit als Gefangener von 1385 bis 1389 verfasstes Defensorium waran Bonifatius IX. gerichtet und widerlegte mehrere Kritikpunkte des unbekannten Pe-rugianers.455 Dieser hatte beanstandet, dass sich Christus einer Frau geoffenbart habensoll, was Adam mit dem Verweis auf Maria Magdalena beantwortete, der Christus jaals erster als Auferstandener erschienen sei. Zudem habe nach Adam Birgitta ihreprophetische Gabe damit unter Beweis gestellt, dass sie das Kirchenschisma vorher-gesagt habe.456 Der Kritik des Perugianers am „barbarischen Stil“ der Regula Salva-toris, die niemals göttlich inspiriert sein könne, begegnete Adam mit dem Verweis aufden Stil des Apostels Paulus in Hebräer 5,12–14 und 2. Korinther 10. Zugleich seiauch die Regel des Pachomius kein Beispiel von sprachlicher Eleganz, aber dennochvom Papst approbiert worden. Dem Verweis des Perugianers am Predigtverbot fürFrauen und am Verbot von Frauen in Kirchenämtern entgegnete Adam mit Thomasvon Aquin, dass Frauen im privaten Bereich durchaus ermahnen und Verantwortungübernehmen könnten, was bei Birgitta der Fall gewesen sei.457 Zudem habe es ne-ben Birgitta weitere große, vom Geist inspirierte Frauen gegeben. Weiterhin suchteAdam mit einem Vergleich der Regula Salvatoris mit der Augustinusregel, auf der sie

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453 Carissime domine et sorores, ad devocionem devotissime domine Brigitte vos exhortor, quoniamnuper tempore Urbani olim pape vi in tribulacione magna positus fueram sine causa, et eius furo-rem senciens et periculum grande nimis, quod mortem evadere non speravi sine canctorum mira-culo et sanctarum; inter alias sanctas veni ad devotem Brigittam antedictam et ipsa intercederetpro me liberaret, et ad eius canonizacionem ponerem diligenciam meam totam, et hoc continuatisvicibus diu feci., in: EASTON, EPISTOLA.

454 HOGG, Defensorium, S. 213–228, 231f.; MORRIS, Birgitta, S. 148f.455 Über seine Schrift und deren Entstehung schrieb Easton nach Vadstena: Nam vidi quendam li-

bellum in Perusio compositum per articulos contra regulam suam sancta. Et videbatur michi quodlibellus fuit valde difficilis ad solvendum, sed ad ipsam dominam Brigittam perrepi continue precesmeas intercedens, quod ipsa pro me apud beatam virginem exoraret, ut in declaracione et dubiisfactis contra eam iuxta veritatem scripture sacre lucide me informare et ab imminentibus peri-culis liberaret. Et statim perlegi libellum compositum contra eam, et videbatur michi quod habuisolucionem et veritatem omnium dubiorum; et quanto magis legi, tanto fueram clarius super totamateris informatus; et libellu, contrarium composui iuxta notata per sacrarum testimonis et docto-res alios approbatos, et incipit liber: Respondebo exprobantibus michi verbum [. . . ], in: EASTON,EPISTOLA. HOGG, Defensorium, S. 232f.

456 REV VI, 63, S. 208f.457 Vgl. THOMAS, S.th.3 q55a1ad3, S. 462: [. . . ] mulieri non permittitur publice docere in Ecclesia:

permittitur autem ei privatim aliquos domestica admonitione instruere [. . . ].

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Die Kanonisation Birgittas 133

ja beruhte, sowie mit der Benedikt-, Dominikus- und Franziskusregel die Rechtgl u-bigkeit der Birgittenregel zu begründen. Auf die Angriffe des Perugianers gegenüberder Mariologie Birgittas, die h retisch sei und auf apokryphen, nichtbiblischen Tex-ten beruhe, reagierte Adam mit einer Diskussion der Mariologie Birgittas anhand derKirchenv ter und ausgew hlter Bibelstellen, die die Orthodoxie von Birgittas Positi-on, etwa in Bezug auf die leibliche assumptio belegen sollten. Deshalb kam Adamzu dem Schluss, dass Birgitta eine exzeptionelle Frau gewesen sei, die nicht die ge-wöhnlichen Eigenschaften ihres Geschlechts geteilt habe und deshalb würdig, in denKanon der Heiligen aufgenommen zu werden.458

Auch andere neben den hier exemplarisch vorgestellten Kritikern störten sich anBirgittas Geschlecht, was aber nicht auf die Pole eines mittelalterlichen Feminismusoder Antifeminismus zu reduzieren ist,459 sondern mit der Frage verbunden war, obFrauen f hig sind, authentische Gotteserfahrungen zu haben und diese mit einer ge-wissen Autorit t weiterzugeben. Die hier ebenfalls nur exemplarisch genannten Ver-teidiger Birgittas erkannten das Problem und erarbeiteten verschiedene Strategien, umBirgitta und ihre Offenbarungen zu verteidigen. So vertraten Alphonso und nach ihmBirger Gregersson oder Nikolaus Hermansson in ihren Offizien die Auffassung, dassGott gerade das schwache Geschlecht – die Frauen – w hle, um das starke – die M n-ner – zu besch men.460 Eine andere Argumentation sollte sp ter etwa Papst BonifatiusIX. w hlen – für ihn war im weiblichen Körper Birgittas ein „m nnlicher“ Geist, derdamit wiederum Birgitta unter den Frauen hervorhob.461

Ein weiterer Kritikpunkt war die Herkunft Birgittas. Ein sonst unbekannter Franzis-kaner verteidigte in einem unvollst ndig überlieferten Brief, auf die Zeit von 1391 bis1409 datiert, die Schwedin, in der er ein Instrument Gottes sah, gegen die Kritik, „vomEnde der Welt“ zu kommen und führte hierzu andere „nordische Frauen“ an, die zupaganen Zeiten das Christentum „an das Ende der Welt“ gebracht h tten. Damit kri-tisiert er auch die p pstliche Sicht, die schon in der bloßen Tatsache einer nordischenProphetin etwas Bemerkenswertes sah.462 Zugleich betont der Franziskaner, dass dieKirche dringend reformbedürftig und dass Birgitta die göttliche Mahnerin ebenjenerReform gewesen sei.463

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458 HOGG, Defensorium, S. 235–239; MORRIS, Birgitta, S. 154; JOHNSTON, english cult, S. 82f.;SCHMIDTKE, antifeminism, S. 157.

459 So etwa SCHMIDTKE, antifeminism. Vgl. RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 76.460 ALFONSUS PECHA, EPISTOLA, S. 50; BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, S. 179, 199f.; NI-

COLAUS ROSA RORANS, S. 36–38, 52.461 [. . . ] femineo sexui masculinum animum in fervore mentis inuenit [. . . ], in: RA A 20, f. 253½ r.

SAHLIN, Birgitta, S. 173–192.462 Vgl. die Bemerkung von Bonifatius IX., dass es bemerkenswert sei, [. . . ] ut etiam ab Aquilone

aliquid boni esset. in: AASS Oct. IV (Kanonisationsbulle), S. 469.463 Der unvollst ndige Brief Incipit epistola cuiusdam religiosi ordinis fratrum minorum contra im-

pugnantes sanctissimas reuelaciones beate birgitte befindet sich in der Lincoln Cathedral ChapterLibrary unter der Signatur Ms 114, f. 18vb–24va. Sahlin hat diese unedierte Quelle diskutiert.MORRIS, Birgitta, S. 154f.; SAHLIN, Birgitta, S. 194–196, 202–207.

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134 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Nach Johannes Messenius, einem Historiker des 17. Jahrhunderts, der einer Über-lieferung aus dem 16. Jahrhundert folgt, hat Urban VI. schon 1380 die Elevationder Gebeine Birgittas genehmigt, die in Vadstena möglicherweise 1381 erfolgt ist.464

Ebenfalls 1381 brachte Papst Bischof Nikolaus Hermansson gegenüber sein Interes-se zum Ausdruck, die Kanonisation Birgittas zu beenden.465 Daraufhin bereitete sicheine neue schwedische Gesandtschaft für die Reise nach Rom vor. In den Jahren von1383 bis 1388 war Urban VI. aber nicht in Rom und sein 1389 erneut formulierterWunsch, Birgitta zu kanonisieren,466 wurde vor seinem Tod am 15. Oktober 1389nicht erfüllt.467 Sein Nachfolger, Bonifatius IX. setzte erneut eine Kommission, be-stehend aus Philipp von Alenöon, Landulf von Bari und Adam Easton ein, welche dieKanonisation Birgittas zu einem Ende führen sollte.468 Der Kommission wurden –vermutlich vom schwedischen Episkopat und Vadstena angeregt – als Entscheidungs-hilfe 17 prächtig geschmückte Codizes übergeben, welche für den Papst und 16 Kar-dinäle bestimmt waren. 469 Sie enthielten eine frühe Redaktion der Revelationes undnach Undhagen den Liber attestationum, gingen aber später verloren. Bis zum 10. Au-gust 1391 beendete diese Kommission ihre Arbeit und empfahl dem Papst BirgittasKanonisation.470 Dabei soll auch Philipp von Alenöon, Kardinal von Ostia und Vel-letri, vor dem Papst entschieden für Birgitta eingetreten sein.471 Es scheint aber, dasBonifatius IX. unabhängig von der Kommission und den Fürsprechern dem Kanonisa-tionsvorhaben positiv gegenüberstand, immerhin entstammte er dem neapolitanischenAdel, zu dem Birgitta gute Kontakte gehabt hatte. Dazu kam der stadtrömische Ein-

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464 JÖNSSON, Birgittas skrinläggning, S. 37–40, 48f.465 Caeterum super facto canonizationis reverendæ memoriæ Brigidæ de Swecia & aliorum, super

quibus Tua Fraternitas nobis scripsit, erimus favorabiles, quantum natura negotii patietur., in:Urbanus Papa VI Nicolai Episcopi Lincopensis constantiam laudat, & in canonizanda Birgitta fa-vorem suum pollicetur. Roma 1381, 4 kal. Maii. Ex autographo, ed. in: DIARIUM VAZSTENENSE,S. 191f., S. 192.

466 ROMARE, PROCESSUS, S. 3.467 KRAFFT, Papsturkunde, S. 86–868; MORRIS, Birgitta, S. 148.468 ROMARE, PROCESSUS, S. 4; JOHNSTON, english cult, S. 78; KRAFFT, Papsturkunde, S. 867; NY-

BERG, Canonization Process, S. 83. Nach Nyberg besaß die Kanonisation Birgittas für BonifatiusIX. hohe Priorität.

469 ROMARE, PROCESSUS, S. 5; AP, S. II (Inledning); MORRIS, Birgitta, S. 149; RYCHTEROVÁ, Of-fenbarungen, S. 74f.; KRAFFT, Papsturkunde, S. 868; UNDHAGEN, General Introduction, S. 33.

470 Vgl. die Relatio Philipps im März 1391 in RA A 20, f. 261r–v. Auf f. 261r wird Birgittas Heilig-keit mit ihr zugeschriebenen Wundern begründet: Kranke sollten geheilt, Stumme redend, Taubehörend, Blinde sehend, Lahme gehend, Schiffbrüchige gerettet und Dämonen ausgetrieben wordensein. KRAFFT, Papsturkunde, S. 869f.

471 Einen Theologen, der theologische Bedenken vor dem Papst äußerte, warf Alenöon aus dem Raum,nachdem er meinte, dieser solle lieber Stroh wie ein Ochse oder Esel fressen, statt über Dinge zusprechen, die über seinen Intellekt und seine Kenntnis gehen: [. . . ] melius et utilius sibi fuisse [. . . ]et comedisse stramina instar bouis et asini, quam tractasse et disputasse de rebus super intellec-tum et scientiam suam constitutis., in: ROMARE, PROCESSUS, S. 7; MORRIS, Birgitta, S. 152;GOURHAND, Jean: Alenöon, Philipp v., LMA I, Sp. 351.

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Die Kanonisation Birgittas 135

fluss; in der Endphase des Prozesses soll Gentile Orsini, nach Lars Romare Patenkindder Birgitta,472 in der Angelegenheit vor dem Papst aufgetreten sein.473

Schließlich legte Bonifatius den Termin der offiziellen Kanonisation, den 7. Ok-tober 1391 fest; Magnus Petri wurde mit der Ausschm ckung und Illumination derZeremonie beauftragt.474 Die Zeremonie, ausf hrlich beschrieben vom AugenzeugenLars Romare,475 fand in der großen Kapelle des Papstpalastes, der Präsixtina, statt.476

In seiner Predigt zum Thema Viduam eius benedicens benedicam et florebit super eamsanctificatio mea (nach Psalm 131,15–18)477 stellte Bonifatius IX. nach einleitendenWorten Birgitta als außergewöhnliches Vorbild einer frommen Witwe vor. Birgitta alsvere vidua zeichnete sich demnach durch Frömmigkeit, Demut, Nächsten- und Got-tesliebe aus, sowie durch ihr Talent, Haus und Vermögen gut zu verwalten.478 Birgittawurde mit der Prophetin Anna verglichen, die als Witwe fastend und betend im Tem-pel diente.479 Dem Ideal der vere vidua stellte Bonifatius anschließend das Ideal dermulier fortis zur Seite. Der Papst nannte die beiden alttestamentlichen Frauen Judithund Jaël, welche f r Israel durch ihr mutiges Auftreten zu Retterinnen wurden.480

Ebenso, so Bonifatius IX., habe sich Birgitta, als fromme Witwe urspr nglich sexusfragilis, schließlich masculinum animum481 Gott gegen ber gehorsam gezeigt undsich mutig f r die Kirche und gegen Häresie und Schisma eingesetzt.482 Die Predigtbetont weiterhin die Pilgerreisen Birgittas, die sie ins Heilige Land, nach Italien, nachRom483 zu den Apostelgräbern f hrten. Birgitta, so wird angedeutet, habe also dieOrte des irdischen Wirkens Christi, die Orte des Wirkens der ersten Apostel – unddes legitimen Nachfolgers Petri – besucht. Die Predigt diente somit auch dem Ziel,Bonifatius’ eigene Position als rechtmäßiger Papst abzusichern, was schon durch dasBestreben des Papstes, mit der Heiligsprechung „Gottes Willen“ „auszuf hren“, sicht-bar werden sollte. Die päpstliche Predigt verschwieg demgegen ber Aspekte wie diescharfe Kirchenkritik Birgittas sowie die Tatsache, dass Birgitta als Witwe nicht ganz

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472 ROMARE, PROCESSUS, S. 4f.473 ESCH, Tre sante, S. 111; KRAFFT, Papsturkunde, S. 870.474 ROMARE, PROCESSUS, S. 7f. Die Ausschm ckung und Illumination soll j ngeren Quellen zufolge

5000 Dukaten gekostet haben. KRAFFT, Papsturkunde, S. 871f.475 ROMARE, PROCESSUS, S. 8–15.476 AASS OCT. IV, S. 472–474. Der Augenzeugenbericht des Petrus Amelius, niedergeschrieben

kurz nach dem Ereignis, ist Grundlage f r die Beschreibung des Ereignisses im DIARIUM, 59.477 Abschriftlich erhalten in RA A 20, f. 252r–255r.; Vgl. VULGATA, S. 936 (Ps 131, 15–18);

KRAFFT, Papsturkunde, S. 872.478 RA A 20, f. 252r-v, zusammengefasst auf f. 254r:

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[. . . ] terrenorum bonorum fidelis dispensa-trix, castrorum et domorum ammirabilis gubernatrix, pauperum et egenorum amabilis susceptrix,leprosorum et infirmorum humilis pedum lotrix [. . . ]. HEDLUND, Vadstenapredikanter, S. 314f.

479 RA A 20, f. 253r. Vgl. VULGATA, S. 1609f. (Lc 2,36–38).480 RA A 20, f. 253½r–254v; VULGATA, S. 328 (Idc), 706 (Idt).481 RA A 20, f. 253v und 253½ r.482 RA A 20, f. 254v; SAHLIN, Birgitta, S. 171.483 RA A 20, f. 254r-v.

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136 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

so arm und verlassen war, wie die Predigt glaubhaft machen wollte.484 An die Pre-digt schloss Bonifatius IX. – anders als bei früheren päpstlichen Heiligsprechungen– eine Protestatio an, in der er erklärte, durch die Heiligsprechung Birgittas nichtsunternehmen zu wollen, was sich gegen die Kirche richte.485

Für die Anwesenden bei der Zeremonie sowie die Klöster Panisperna und Vadstenawurden am 7. Oktober 1391 Ablassbullen ausgestellt; ebenso die päpstliche Bulle Aborigine mundi über die Heiligsprechung Birgittas.486

Diese Bulle konstruierte ein eigenes Heiligenideal. Nach einer Einleitung nenntsie verschiedene Gattungen von Heiligen – in der Reihenfolge der Apostel, Märty-rer, Kirchenlehrer, Bekenner, Anachoreten und Jungfrauen.487 Daran schließt sich dieNennung Birgittas an. Erwähnt werden ihre Herkunft und ihre Geburt mit damit ver-bundenen Wundern, die aus der Prozessvita entnommen sind. Bei der Nennung derEhe Birgittas werden die freiwillige Keuschheit nach der Trauung sowie der ehelicheVerkehr nur zum Ziel der Zeugung von Nachkommen hervorgehoben. Neben demFamilienleben werden Birgittas Fasten und Gebete in der Ehe betont.488 Es folgenAussagen zu den Pilgerfahrten Birgittas, anschließend zu ihrer asketischen Praxis undzu ihrem Betteln vor San Lorenzo.489 Außerdem wird der wöchentliche Kommunion-empfang Birgittas betont;490 ebenso die Gründung eines Ordens und weitere Tugen-den wie Geduld, Demut, Glaube, Hoffnung, Liebe und Gerechtigkeit erwähnt. Erstabschließend werden auch die Offenbarungen Birgittas angesprochen.491 Abschlie-ßend erwähnt die Bulle postmortale Wunder und den Beschluss, Birgitta in den Hei-ligenkatalog aufzunehmen.492 Das Heiligenbild der Kanonisationsbulle betont somitdie fromme Witwenschaft Birgittas, der Aspekt der Visionärin wird größtenteils, derAspekt der sponsa Christi ganz ausgeblendet.493

Der Hauptfesttag Birgittas wurde nach der Kanonisation der 7. Oktober; aufgrundeiner Erkrankung las der Papst die erste Messe zu Ehren der Heiligen Birgitta aber erstam 8. Oktober und integrierte neue Elemente in die Liturgie.494 Parallel zu den ge-

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484 ELLIS, swedish woman, S. 95–101, 103–106, 109f.; MORRIS, Birgitta, S. 151f.; NUDING, Mat-thäus, S. 80f.; HEDLUND, Vadstenapredikanter, S. 316; KRAFFT, Papsturkunde, S. 873–875.

485 Jene „Rückversicherung“ fand fortan Eingang in das päpstliche Kanonisationszeremoniell.KRAFFT, Papsturkunde, S. 875.

486 AASS OCT. IV, S. 474 zu den Ablässen; AASS OCT. IV (Kanonisationsbulle), S. 468–472;AASS OCT. IV, S. 473; DIARIUM, 60; REBER, Kulte, S. 58; SCHMIDTKE, antifeminism, S. 149.

487 AASS OCT. IV (Kanonisationsbulle), S. 468f.488 AASS OCT. IV (Kanonisationsbulle), S. 469. Vgl. PROZESSVITA, S. 74f., 77.489 AASS OCT. IV (Kanonisationsbulle), S. 469f. Hier waren die Zeugenaussagen aus AP Vorbild.490 Singulis quoque diebus Dominicis & solemnibus cum devotione & lacrymis sumpsit venerabile

Christi corporis Sacramentum, in: AASS OCT. IV (Kanonisationsbulle), S. 470.491 AASS OCT. IV (Kanonisationsbulle), S. 470f.492 AASS OCT. IV (Kanonisationsbulle), S. 471f.493 Vgl. KRAFFT, Papsturkunde, S. 876–898, 906.494 Verwendet wurde hierbei wohl die Missa antiqua. AASS OCT. IV, S. 478; REBER, Kulte, S. 58;

KRAFFT, Papsturkunde, S. 903f.

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Die Redaktion und Verbreitung der Revelationes 137

schilderten Kanonisationsbem hungen erfolgte die Redaktion der Revelationes, wel-che die Heiligsprechung unterst tzen und Birgitta „international“ bekannt machensollten.

2.12. Die Redaktion und Verbreitung der Revelationes

Den Auftrag, die B cher mit den Offenbarungen zusammenzustellen, soll die Jung-frau Maria ber Birgitta dem Alphonso Pecha, Bischof von Jaén, aufgetragen ha-ben.495 Bestätigt wurde dieses von Alphonso zu verwirklichende officium evangelisteebenfalls durch Birgitta dann von Christus selbst, der zugleich verlangte, dass jeneVision mit dem Redaktionsauftrag propter arroganciam vitandam et causa humilitatisnicht in das Textcorpus der Revelationes aufgenommen werden sollte.496 Es ist sehrwahrscheinlich, dass es sich bei jener Vision ebenso wie bei der Notiz in der Pro-zessvita um eine legitimatorische Interpolation Alphonsos gehandelt hat. Alphonsowurde im Folgenden f r die Redaktion der Revelationes verantwortlich und prägtedie Struktur und inhaltliche Schwerpunktsetzung des Gesamtcorpus. Strukturell gingAlphonso chronologisch vor, nur Buch V war thematisch gebunden. Dabei waren dieB cher I und II wie der Liber questionum bereits in der schwedischen Zeit weitest-gehend abgeschlossen und in Schweden bekannt gemacht worden; sie bildeten denAusgangspunkt f r die weiteren sechs B cher.497 Deren Chronologie ist nicht konse-quent, Offenbarungen, die in Buch III, IV und VI Eingang fanden, stammen ebenfallsaus der schwedischen Zeit Birgittas bei Alvastra, sind aber erst im Zeitraum von 1373bis 1377 redaktionell fertiggestellt worden.498

Die ersten sieben B cher wurden mit dem Prologus des Mathias von Linköpingversehen und als Liber celestis, als „erste Alphonso-Redaktion“ Papst Gregor XI. undspäter auch Papst Urban VI. vorgelegt.499 Um 1380 hatte Alphonso weitere Texte,die Birgitta zugeschrieben wurden, zusammengetragen. Er kompilierte sie zum Li-ber celestis imperatoris ad reges, der vor allem politische Offenbarungen beinhaltete

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495 PROZESSVITA, S. 98.496 Istam reuelacionem idem episcopus non inscripsit in libris reuelacionum propter arroganciam

vitandam et causa humilitatis, sed post mortem eius reperta est in breuario suo., in: EXTRAV 49,S. 165; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 65f.

497 AILI, Birgitta and Text, zusammenfassend S. 88; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, bes. S. 3f., 63–84.

498 Es handelt sich um die Einzeloffenbarungen 1–4, 8, 9, 13–19 in Buch III, JÖNSSON, Introduction,S. 26; die Offenbarungen 1,2, 4, 23, 76, 77, 93, 103–105, 113–115, 121–123, 125, 126 in BuchIV, AILI, INTRODUCTION, S. 18; die Offenbarungen 1–4, 9, 10, 20, 21, 23–28, 30–36, 41, 44,52, 63, 66, 75–78, 82–92, 97–99, 110, 113 in Buch VI, KANUS-CREDÉ, Offenbarungen, S. 1–17.Genannte Autoren folgen bei der Datierung Lundén, Tryggve: Den heliga Birgitta. Himmelskauppenbarelser, Till svenska av Tryggve LUNDÉN, I–IV, Malmö 1956–59.

499 UNDHAGEN, General Introduction, S. 14–22; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 68, 70; NUDING,Matthäus, S. 77f.

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138 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

und bald zu einer Art „Fürstenspiegel“500 wurde; zum Celeste Viridarium beate Bir-gitte, welches Offenbarungen das Leben Marias und Christi betreffend beinhaltete,zum Tractatus de summis pontificibus,501 zum Sermo angelicus und zu den Quatuororaciones. Um 1380 entstand die „zweite Alphonso-Redaktion“ mit dem Prologus,den ersten sieben Büchern, dem Buch VIII, dem Liber celestis imperatoris ad reges,welchem die Epistola solitarii ad reges als Prolog vorangestellt wurde. An diese achtBücher schloss Alphonso den Sermo angelicus und die Quatuor oraciones an. Das Ce-leste Viridiarum existierte weiterhin als Einzelwerk; der Tractatus de summis pontifi-cibus wurde in veränderter Form an das Buch IV der Revelationes angeschlossen.502

Ab der Mitte der 1380er Jahre wurden weitere Offenbarungen in Abschriften derbisher bekannten Revelationes ergänzt oder als Revelationes extravagantes zusam-mengefasst.503 Nach einem – sicher legitimatorischen – Prolog im Buch der Revela-tiones extravagantes von Peter Olafsson von Alvastra soll es sich dabei um Offenba-rungen gehandelt haben, die nach dem Aufbruch Birgittas nach Rom in Schweden,Alvastra, verblieben und später nach Vadstena gelangt sein sollen.504 Bei einigen die-ser Offenbarungen ist aus dem Inhalt eine Entstehung vor 1349 zu folgern, viele sindaber nicht sicher zu datieren.505 Da es sich überwiegend um prophetische Offenbarun-gen handelt, die erst nach Birgittas Tod in Erfüllung gegangen sind, ist mit Rychtero-vá zu vermuten, dass jene prophetischen Offenbarungen erst im Zusammenhang mitden Kanonisationsbemühungen entstanden sind. Die älteste Handschrift mit derarti-gen Additiones und Declarationes, aus dem Zusatzmaterial stammende Offenbarun-gen, entstanden vermutlich 1386, befindet sich in Krakau, die Zusatzoffenbarungenwurden möglicherweise in Vadstena „wiederentdeckt“.506

Mit der zweiten Alphonso-Redaktion, wenn auch mit Unterschieden in den einzel-nen Überlieferungen, war die Entstehung der Revelationes als Gesamtcorpus abge-

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500 Dieser orientiert sich am Königsspiegel Alfons X., Las siete Partidas und gibt eine konservativeStaatsauffassung wider, in der augustinische Ideale wie pax, ordo und iustitia eine entscheidendeRolle spielen. GILKÆR, Political Ideas, S. 98, 124, 241f.; AILI, Birgitta and Text, S. 83–88.

501 TRACTATUS DE SUMMIS PONTIFICIBUS. Die Epistola Magni Petri nennt sowohl den Liber adsummos pontifices als auch das Libro ad reges. MAGNUS PETRI, EPISTOLA, S. 224.

502 Im Folgenden folge ich der Edition von Jönsson, verweise aber auf die Parallelstelle im viertenBuch der Revelationes. Es handelt sich in diesem Tractatus de summis pontificibus um die Offen-barungen REV IV, 132–144, S. 373–401. Nach Undhagen wurden der von Bonifatius IX. einge-setzten Untersuchungskommission in den Codizes die „Kanonisations-Redaktion“, bestehend ausden Revelationes und dem Liber attestationum, überreicht. Dies ist aber nicht sicher zu belegen.UNDHAGEN, General Introduction, S. 22–25, 28f., 33–37; JÖNSSON, Tractatus, S. 14; RYCH-TEROVÁ, Offenbarungen, S. 72, 75.

503 UNDHAGEN, General Introduction, S. 28f. Undhagen geht davon aus, dass die ergänzenden Of-fenbarungen, entstanden vor 1349 und deponiert in Alvastra, sukzessive nach Vadstena gelangtsind und nach und nach in die vorhandenen Bücher eingearbeitet wurden. Die Offenbarungen ausden Revelationes extravagantes wurden seiner Meinung nach 1384 dem Kloster überreicht.

504 EXTRAV, S. 114f.: Prologus in librum celestium reuelacionum extrauagancium.505 Sehr wahrscheinlich vor 1349 entstanden die Offenbarungen EXTRAV 10, 11, 13–16, 20–23, 25,

28, 29, 33, 35, 36, 38, 41, 45 und 46. HOLLMAN, Texthistorik, S. 37.506 UNDHAGEN, General Introduction, S. 204–209; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 72–74.

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Die Redaktion und Verbreitung der Revelationes 139

schlossen. Bereits seit den 1380er Jahren erfuhr das Werk eine rasche Verbreitung inganz Europa. So haben nach Magnus Petri bereits um 1380 der Kaiser, mehrere Ver-treter europ ischer Herrscherh user, die Prager Universit t und der Deutsche Ordenin Rom Abschriften der Revelationes angefordert.507 Zugleich waren die Befürwortereiner Kanonisation Birgittas bemüht, die Revelationes unter Herrscherh usern, römi-schen Adelsfamilien und ausgew hlten Klerikern zu verbreiten.508 Auch die volkss-prachliche Verbreitung der birgittinischen Offenbarungen setzte bald nach BirgittasTod ein. Die schon in den 1380ern in Vadstena angefertigte vollst ndige altschwedi-sche Übersetzung der Revelationes wurde grundlegend für die Ausformung des Alt-schwedischen. In anderen Gebieten wurden die birgittinischen Konvente ebenfalls zuZentren der volkssprachlichen Verbreitungen der Revelationes.509 Ein Zeugnis früherdeutscher Rezeption ist die anonym überlieferte Schrift Onus mundi, deutsch Bür-de der Welt des Leipziger Theologen, Universit tsprofessors und -rektors JohannesTortsch, welche den Ruf Birgittas als apokalyptische Prophetin wesentlich mitbegrün-dete. Die lateinische Fassung entstand um 1430 und wurde 1485 in Rom gedruckt; dieunvollst ndige deutsche Übersetzung wurde sp testens 1434 angefertigt. Diese Schriftbestand zu über einem Drittel aus Auszügen birgittinischer Offenbarungen und hattedie Warnung vor dem kommenden, von Birgitta prophezeiten Unheil zum Inhalt.510

Um 1450 ist die Rezeption birgittinischer Texte auch in Niederdeutschland und denNiederlanden – ebenfalls mit birgittinischen Konventen als Zentren – belegt. Wie inOberdeutschland wurden besonders zwei Themenbereiche der Offenbarungen rezi-piert – bekehrende Offenbarungen und drastische Visionen göttlicher Strafgerichte.511

Auf die Rezeption in Ostmitteleuropa ist noch einzugehen.

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507 MAGNUS PETRI, EPISTOLA, S. 225. In Spanien kursierten nach ALFONS/ KATARINA, BREV,S. 128f. bereits 1378 Fassungen der Revelationes. Vgl. auch BURLAMACCHI, VITA DELLA BRI-GIDIA, S. 104f.

508 NUDING, Matth us, S. 78; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 78.509 In Italien galt dies für Sta. Maria in Paradiso bei Florenz (gegr. 1394) und Scala Coeli bei Ge-

nua (1406). Die erste vollst ndige italienische Übersetzung fertigte Cristofano di Gano Guidini,der Sekret r der Katharina von Siena, an. In England ist zumindest die jüngere der beiden ers-ten Übersetzungen der Revelationes in höfischen Kreisen zu verorten, noch vor der Gründung desBirgittinenkonvents Syon Abbey in Isleworth (1415). Zentral für die deutsche Rezeption wurdendie Tochtergründungen des d nischen Konvents Maribo Gnadenberg (Mons Gratiae) bei Nürn-berg (1420), Maria Maihingen bei Nördlingen (1437) und Maria auf dem Wasser in Altomünster(1497). Nach 1400 sind erste oberdeutsche Auszüge der Revelationes belegt, die erste vollst ndi-ge Übersetzung entstand erst nach 1450. MONTAG, Überlieferung, S. 151–196, bes. S. 151–164;JOHNSTON, english cult, S. 79; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 83.

510 Zentral: Significavit dominus noster Iesus Christus que oporteat fieri cito (loquens) sponse suenove scilicet sancte Birgitte (serenissime quondam) principisse Nericie de regno Suecie ex nobiliprosapia regum Gothorum progenite, que transiens ex precepto Christi de Suetia ad Romam claruitibi xxv annis tempore summorum pontificum infra scriptorum, ad quos et de quibus habuit specialesrevelationes divinitus a Christo super ecclesie reformatione, qui eam in honore ex reverentia, quadecuit, habuerunt et (ipsius immo) dei consilium per eam requisierunt, ut etiam testatur magisterMatheus de Cracovia, sacre theologie professor, in propositione sua, quam fecit coram dominopapa Urbano vi in Ianua; [. . . ], in: ONUS MUNDI, S. 252. (oberdeutsch auf S. 253).

511 MONTAG, Überlieferung, S. 93–95; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 79–82.

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140 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

2.13. Die Anfänge des Birgittenordens

Grundlage des Birgittenordens war die 1346 erfolgte Schenkung eines Königspalastesin Vadstena von König Magnus und Königin Blanche an Birgitta, welche 1362 vonderen Sohn Håkon bestätigt wurde.512 Daneben unterstützte Birgitta persönlich mitihrem Mann Ulf das geplante Kloster finanziell.513

Auch wandte sich Birgitta, die vermutlich selbst in das Nonnenkloster von Vadste-na eintreten wollte, mit der Bitte um Bestätigung des Klosters an den Papst. In seinerBulle Hiis quae divini vom 5. August 1370514 genehmigte Papst Urban V. die Errich-tung zweier Augustinerklöster in Vadstena, eines für Nonnen, eines für Brüder. Dreischwedische Bischöfe wurden bevollmächtigt, zur Vollendung des Nonnenklosters,das sich also schon im Bau befand, und zur Gründung und zum Bau des Brüderklos-ters volle Freiheiten zu gewähren. Dabei war darauf zu achten, dass die Gebäude derKlöster voneinander getrennt seien. Für die erstmalige Bestellung der Äbtissin sollteeine Nonne aus einem anderen Orden gewählt werden.515 Die dem Augustinerordengewährten Privilegien waren auf diese zwei Klöster zu übertragen, ebenso sollten inihnen die Konstitutionen der Augustiner, ergänzt mit Vorschriften, die teilweise überdie von Birgitta vorgesehene Regel hinausgingen, gelten. Diese Konstitutionen mitden Ergänzungen sollten nach Urban V. auch in jenen Niederlassungen Gültigkeit be-sitzen, welche den beiden Klöstern in Vadstena unterworfen sind. Dies kann als derBeginn eines Ordens angesehen werden.516

Nach ihrem Tod am 23. Juli 1373 bezeichnete Papst Gregor XI. in einer Bulle vom10. August 1373 Birgitta als Gründerin des Klosters – sie habe ein Kloster der Got-tesmutter in Vadstena kanonisch gründen und bauen lassen und für eine Äbtissin undAnzahl von Nonnen ausreichend fundiert.517 Bereits am 13. November 1375 erteilteGregor XI. den Besuchern des Grabes von Birgitta Ablässe;518 Katharina und andereSchwestern, die aber noch nicht als moniales bezeichnet wurden, erwirkten einen anden Bischof von Linköping gerichteten päpstlichen Schutzauftrag für ihre Gemein-schaft in Vadstena.519 Somit hat 1377 noch kein Nonnenkloster in Vadstena existiert,aber eine religiöse Frauengemeinschaft, wohl unter der Leitung von Katharina.520 DieBulle Dudum Gregors XI. vom 1. Oktober 1377 setzte an die Stelle des Bischofs vonVäxjö den Bischof von Linköping, zu jener Zeit Nikolaus Hermansson, als einen von

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512 DS 4069, S. 562; DS 6574. Die genauen Umstände der Gründung von Vadstena wurden vonNyberg in umfassender Weise dargelegt. NYBERG, Klostergründungen, S. 43–69.

513 NORBORG, Storföretaget, S. 27–32; BERGLUND, ideal, S. 12.514 LP, f. 20r–23r (= Abschrift der Bulle).515 NYBERG, Klostergründungen, S. 43, 53.516 NYBERG, Klostergründungen, S. 44f.517 LP, f. 23v–24r.518 LP, f. 41r.519 LP, f. 24r-v.520 NYBERG, Klostergründungen, S. 46f.

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drei f r das Kloster zuständigen Bischöfen ein. Zugleich reagierte der Papst in die-ser Bulle auf die Weigerung Katharinas und anderer Schwestern, eine fremde Nonneals Äbtissin anzunehmen und bestimmte, dass die zuständigen Bischöfe den bei An-kunft der Bulle in Vadstena lebenden Br dern und Schwestern die Profess abnehmensollten.521

Dies war beim Amtsantritt von Papst Urban VI. noch nicht geschehen, so dass je-ner am 3. Dezember 1378 die Approbationsbulle Hiis quae pro divini522 herausgab.Darin erklärte er, dass Birgitta ein monasterium [. . . ] fundavit et construi fecit et suf-ficienter dotavit,523 f r das Kloster Konstitutionen geschrieben und angeordnet undPapst Gregor XI. um die Bestätigung der Gr ndung, des Baus, der Dotation und derKonstitutionen gebeten habe. Gregor XI. wiederum habe Prälaten mit der Pr fung be-auftragt, sei aber vor Abschluss der der Untersuchung gestorben. Daher habe UrbanVI. nun Kardinal Elziarius mit der Pr fung von Klostergr ndung, Dotierung und derKonstitutionen betraut. Dieser sollte nach positiver Bewertung in apostolischem Auf-trag die Gr ndung, den Bau und die Dotation genehmigen und die Konstitutionen f rrechtmäßig und zweckentsprechend erklären. Obwohl dies Elziarius tat, bat Katharinaden Papst um eine, kirchenrechtlich nicht notwenige, Bestätigung der Erklärung desKardinals, was Urban VI. gewährte. Somit ist in Vadstena die Stiftung und der Baudes Nonnenklosters vor der päpstlichen Erlaubnis erfolgt, die Einsetzung und Weihedesselben wurde aber erst danach vorgenommen.524

Letztere war die Aufgabe des Bischofs von Linköping, Nikolaus Hermansson, derspäter die Ereignisse in einem Bericht festhielt.525 Danach vollzog der Bischof denpäpstlichen Auftrag von 1370 bzw. 1378: im August 1380526 hielt sich der Bischof inVadstena auf, bekam von Katharina zwei päpstliche Schreiben vorgelegt – Hiis quaedivini und Dudum – und erlaubte die Errichtung der beiden Klöster mit ihren Kirchen,Glockent rmen, Glocken und Friedhöfen.527 Ferner fand der Bischof mehrere Perso-nen vor, die ein ordensähnliches Leben f hrten und auf den Klostereintritt warteten.Als ihre Leiterin setzte er Katharina ein, sie sollte ihnen die Grundlagen des Klos-terlebens vermitteln, bis alle Gebäude fertig gestellt worden seien.528 Damit werteteBischof Nikolaus die Position von Katharina auf, die ja zuvor nie in einem Klostergelebt hatte. Beide Klostergebäude, so der Bischof weiter, seien 1384 mehr oder we-niger fertig gestellt gewesen, so dass er am 23. Oktober 1384 erneut nach Vadstena

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521 LP, f. 60v–61r. (= Dudum).522 LP, f. 42r–51v.523 LP, f. 42r.524 NYBERG, Klostergr ndungen, S. 47, 49f., 54, 56; MORRIS, Birgitta, S. 161.525 Von diesem Schreiben eine Abschrift, zu datieren nach Nyberg auf 1388 in UUB C 74, f. 7r–9r;

NYBERG, Klostergr ndungen, S. 59; ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 2, S. 66f.526 Auf den 1. August fiel das Fest Petrus in Ketten, welches f r den Orden aufgrund einer Vision

Birgittas eine besondere Bedeutung hatte, wie noch zu zeigen ist. NYBERG, Klostergr ndungen,S. 59.

527 UUB C 74, f. 7r–8v.528 UUB C 74, f. 8v.

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142 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

gereist und nun alle Brüder und Schwestern, je für sich, eingeführt, geweiht und indie Klausur eingeschlossen und zur Einhaltung der Konstitutionen verpflichtet hat.529

Die Brüder wurden verpflichtet die örtlichen Sitten und Gebräuche, also die Liturgiedes Bistums Linköping zu achten.530

Bemerkenswert ist, dass die Bulle Hiis quae divini von 1370 noch zwei voneinan-der getrennte Klöster vorgesehen hat.531 Der Bischof von Linköping weihte 1384 einNonnenkloster mit Klosterkirche und angegliederter Priestergemeinschaft in eigenenGebäuden, was durch die Approbation der Regula Salvatoris 1378, die eine gemeinsa-me Klosterkirche vorsah, legitimiert wurde. Es ist offen, ob und inwieweit die Brüderden Widerspruch zu den Regelungen von 1370 zum Anlass genommen haben, ein ei-genes Kloster mit eigener Kirche anzustreben, auch wenn dies imWiderspruch zu denVorstellungen Birgittas gestanden hätte.532 Zwischen der Äbtissin Ingegerd Knutsdot-ter, einer Enkelin der Birgitta,533 und den Brüdern scheint es jedenfalls zu Spannun-gen gekommen sein. Ingegerd hat erkannt, dass ihre „monarchische“ Führungsrolleüber das Gesamtkloster dadurch gefährdet war, dass nach der vom Papst 1378 appro-bierten Fassung zwar Ordenspriester in Ordensangelegenheiten die Klausur verlassenund reisen durften, dies den Nonnen, auch der Äbtissin, aber untersagt war. Daherversuchte Ingegerd, die dienende Funktion der Brüdergemeinschaft gegenüber demNonnenkloster zu betonen. Hierbei wurde sie, sicher nicht uneigennützig, vom Spa-nier Lucas Jacobi534 unterstützt. Diese Auseinandersetzung war verbunden mit derFrage der Exemtion von Vadstena. Papst Bonifatius IX. unterstellte 1399 das Klosterdirekt dem Heiligen Stuhl und schuf gleichzeitig das Amt eines Prioren, der über den

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529 UUB C 74, f. 8v–9r. Vgl. NYBERG, Klostergründungen, S. 59f.530 Vgl. LIBER USUUM, Prologus 4, S. 78. Der Liber usuum ist eine um 1450 vermutlich in Vadstena

entstandene Sammlung von Vorschriften für die Birgittinermönche. In Vadstena wurde entspre-chend der Festkalender des Bistums Linköping verwendet. BERGLUND, ideal, S. 54; COLLIJN,Kalendarium, S. 89.

531 Neun Jahre später wurden dem Brüderkloster zehn Privilegien, ausgestellt am 4. Januar 1379 er-teilt. LP, fol. 25r–31v = APS 1.2, Nr. 851. Darunter findet sich die Befreiung vom Zehnt (LP,f. 25r) und von Abgaben an Bischöfe, Legaten und Nuntien (LP, f. 25r–26r=APS 1.2, Nr. 851)der Schutz gegen Gewalt jeglicher Autorität bei Strafe der Exkommunikation (LP, f. 26r–27r) so-wie das Privileg eines vollkommenen Ablasses in der Todesstunde für die ersten 60 Schwestern und25 Brüder abbatisse et conventus monasterii [. . . ] in quo fratres et sorores fore noscuntur. (LP, f.31r–v; Zitat auf f. 31r). Damit war die Idee von zwei Klöstern offensichtlich aufgegeben worden,was wohl auf die Forderung Birgittas zurückgeführt werden kann, dass Brüder und Schwesterneine gemeinsame Klosterkirche haben sollten. NYBERG, Klostergründungen, S. 32.

532 Nach Nyberg sahen die Brüder in der Lösung von 1384 ein Provisorium. Diese Auffassung belegter aber nicht an Quellen. NYBERG, Klostergründungen, S. 63–69.

533 Ingegerd Knutsdottir war die Enkelin Birgittas, Tochter von Margarete. Sie trat 1374 in Vadstenaein, wurde 1388 nach Katharina Äbtissin, zog sich aus diesem Amt 1403 zurück und starb am14/15. September 1412 als Schwester in Vadstena (DIARIUM, 47:1, 118:2, 215).

534 DIARIUM 76, 82, 119:2, 399:1; NYBERG, Klostergründungen, S. 83f.; KAMINSKA, Klasztory,S. 86.

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Br dern stehen und unabhängig von der Äbtissin sein sollte;535 doch wurde die Ex-emtion von Vadstena abgelehnt, da die Ordensregeln die bischöfliche Aufsicht berdas Gesamtkloster verlangten. Daher nahm der Papst seine Entschl sse am 24. Januar1401 zur ck.536

Zwar lehnte auch Jacobi ein Priorenamt ab, erstrebte f r sich aber das Amt ei-nes Generalvisitators, der im Auftrag der Äbtissin die Tochterklöster visitieren sollte.Papst Bonifatius IX. ernannte Jacobi 1401 im Zusammenhang mit der R cknahme derExemtion tatsächlich zum visitator generalis, betonte aber, dass dieser wie der Gene-ralkonfessor an die Regel gebunden sei.537 Jacobi legte das Amt 1403 nieder, ohnedass sich ein Nachfolger fand. Noch in seiner Amtszeit konnte Jacobi aber neben derÄbtissin und dem Generalkonfessor von Vadstena großen Einfluss gewinnen, wur-de 1403 Vorsteher des Birgittenklosters in Florenz und trat erneut, wenn auch nichtunumstritten, bis 1429 als Generalkonservator des Ordens auf.538

Die Kanonisation Birgittas 1391, die Kanonisation also der Frau, die „Braut undSprachrohr“ Christi, und die erste vom Papst heilig gesprochene schwedische Personwar, verlieh Vadstena im Folgenden in Schweden eine nicht zu unterschätzende Au-torität.539 Nach der Kanonisation Birgittas dienten päpstliche Ablässe der Etablierungdes jungen Klosters. Papst Bonifatius IX. bestätigte 1392 die bis dahin erteilten Pri-vilegien von Vadstena.540 Bereits am 30. Juli 1378 wurden die Ablässe der Kirche St.Peter in Ketten in Rom, der sogenannte „Vincula-Ablass“, und alle Ablässe der Au-gustinereremiten den Besuchern der Klosterkirche Vadstena verliehen.541Besondersder Vincula-Ablass, der es den Vadstenapriestern erlaubte, am Fest Ad vincula PetriBesuchern der Klosterkirche nach der Beichte alle Bußstrafen zu erlassen, sollte f rdas Pilgerzentrum Vadstena große Bedeutung erlangen. Nach Auffassung Vadstenaswar dieser Ablass dem Kloster von Christus selbst versprochen worden, mehr noch,nach der diesbez glichen Vision im Tractatus de summus pontificibus sollte das Klos-ter den Ablass selbst dann erhalten, wenn kein entsprechendes päpstliches Dokument

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535 LP, f. 62r–63v (29.3.1399).536 SD 51 (24. 1. 1401). Zwar wurde Vadstena in der Bulle Mare magnum 1413 erneut dem Papst

unterstellt, doch wurde dem zuständigen Bischof 1419 das Visitationsrecht wieder zugesprochen(SD 2711), so dass es zu keiner ausdr cklichen Exemtion von Vadstena kam. HÖJER, Studier,S. 133–135; CNATTINGIUS, Studies, S. 48.

537 NYBERG, Deutscher Orden, S. 175f.; CNATTINGIUS, Studies, S. 48; Vgl. HÖJER, Studier, S. 150–154; NORBORG, Storföretaget, S. 272–283, bes. 275–277; NYBERG, Beziehungssystem, S. 242.

538 NYBERG, Beziehungssystem, S. 244f.539 BERGLUND, ideal, S. 11, 15, 57.540 RA A 19, f. 51v (9.1.1392).541 UUB C 74, f. 11v–12r: Papst Urban VI. verleiht Vadstena den Vincula-Ablass (30.7.1378); UUB

C 74, f. 17r-v: Papst Urban VI. verleiht Vadstena alle Privilegien, die von Papst Alexander IV. denAugustinern verliehen worden waren (30.7.1378); UUB C 77, f. 167v–171r die Beglaubigungs-urkunden die Privilegien des Augustinerordens betreffend, ausgestellt von einem Tutius de Ananiaaus Rom und einem Jacobus Landy, Florenz, 12.1.1398; NYBERG, Danzig, S. 196; ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 2, S. 94f.; HÖJER, Studier, S. 145.

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vorliegt.542 Ein großzügiger Jubiläumsablass wurde 1393 für Pilger und Besucher derKlosterkirche gewährt, weitere Jubiläumsablässe folgten 1394 und 1395; zumindestdas „Gnadenjahr“ von 1394 hatte die Unionskönigin Margarete angeregt.543

Am 2. Juni 1401 gestattete Papst Bonifatius IX. die Übernahme aller Privilegi-en von Vadstena und Danzig für alle Klöster des Birgittenordens und bestimmte fürdie schwedischen Reichsbewohner eine regelmäßige Abgabe für Vadstena.544 Einenschweren Rückschlag erlitt Vadstena im Dezember 1402, als Papst Bonifatius IX.dem Kloster in einer Revokationsbulle alle Privilegien aberkannte.545Möglicherweisewollte Bonifatius die Wiedervergabe jener Ablässe gegen Geld erzwingen. Die Privi-legien traten aber, unsicher ist, ob nach Zahlungen, rasch wieder in Kraft und 1403beziehungsweise 1405 wurden die Privilegien für Vadstena und Danzig bestätigt.546

Die Beziehungen zur Kurie verbesserten sich 1406 weiter, als der päpstliche LegatRobertus das Kloster besuchte, was nach dem Diarium in Vadstena großes Aufsehenerregt hat. Papst Innozenz VII. setzte schließlich die alten Privilegien wieder ein.547

1408 erfolgte eine weitere Privilegienbestätigung, bei der Vadstena per participacio-nem auch den Laetare- und Portincula- Ablass erhielt.548 Die Päpste Alexander V.und Johannes XXIII. bestätigten 1409 und 1410 ebenfalls alle birgittinischen Frei-

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542 Filius Dei loquitur ad sponsam: [. . . ] Ideo vade et dic ei [papa Urbanus] ex parte mea: ‚Tempustuum breue est. Surge et attende, quomodo anime tibi commisse saluentur! Ego optuli tibi regulamreligionis, que fundari et incipi debet in loco Watzstenom in Suecia, que de ore meo processit. Nuncautem volo, ut non solum auctoritate tua confirmetur sed et benediccione tua, qui vicarius meus esin terris, roboretur. Ego dictaui eam et dotaui spirituali dote, scilicet concedendo indulgencias, quesunt in ecclesia Sancti Petri ad vincula in Roma. Tu ergo approba coram hominibus quod coramexercitu meo celesti est sancticum![201B?] [. . . ] Tu autem, sponsa mea, cui dictam graciam feci,si non poteris habere litteram et graciam pape et sigillum super concessione dicte indulgencienisi precedente pecunia, sufficit tibi benediccio mea., in: TRACTATUS DE SUMMIS PONTIFICIBUS,S. 44. Die Vision auch in REV IV, 137, S. 385f. RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 52.Vgl. dieausdrückliche Erwähnung des Ablasses im Liber usuum unter ausdrücklichem Bezug auf die BulleBonifatius IX., in: LIBER USUUM, Cap. 30, S. 163.

543 APS 1.2, Nr. 910, 22. Juli 1393: Bonifatius IX. erteilt einen Jubiläumsablass für Personen ausSchweden, Norwegen und Dänemark, die im Jubeljahr 1390 nicht nach Rom pilgern können, wennsie zum Dreifaltigkeitstag 1394 oder innerhalb eines Monats danach die Klosterkirche in Vadste-na und die Gebeine Birgittas in der rechten Gesinnung, verbunden mit einer Beichte, besuchen.Der Erlös sollte zur Hälfte dem Bau von St. Peter und der Kirche St. Maria Maggiore in Romzukommen. APS 1.2, Nr. 915, 25. März 1395, verspricht Ablass für die Besucher von Vadstena.APS 1.2, Nr. 916, 1. April 1395, Supplik einer Ablassurkunde für den Dreifaltigkeitstag 1394;DIARIUM, 83; NYBERG, Danzig, S. 190; HÖJER, Studier, S. 144.

544 SD 62.545 SD 260 vom 22. Dezember 1402.546 SD 329: Alle Privilegien von Vadstena und den anderen Birgittenklöstern werden in Kraft gesetzt;

UUB C 77, f. 181r: päpstliche Bestätigung der Privilegien des Danziger Klosters (2.4.1405); SD2521, S. 363: Der Laetareablass war 1418 voll gültig; NYBERG, Beziehungssystem, S. 243, 246.

547 DIARIUM, 137; BERGLUND, ideal, S. 136–137. HÖJER, Studier, S. 146–148; NYBERG, Studier,S. 262.

548 DIARIUM, 160; HÖJER, Studier, S. 148f.; FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 89, Fußnote 8.

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heiten, Rechte, Indulgenzen und Privilegien.549 Wirtschaftlich konnte sich das Klos-ter Vadstena sehr rasch etablieren und stieg zu einem der gr ßten Grundbesitzer imschwedischen Reich auf.550

Auf Vadstena folgten in verschiedenen europäischen Reichen weitere Klostergrün-dungen.551 Die Stiftung des englischen Birgittenklosters Syon Abbey beruhte auf In-itiativen des englischen Adeligen Heinrich FitzHugh von 1406; die aber hinter derk niglichen Stiftung Heinrichs V. von 1415 zurücktraten, der ein Bruder von Philip-pa, der Frau des nordischen Unionsk nigs Erich von Pommern war.552 Hinter derStiftung von Maribo in Skæminge, Lolland in Dänemark stand K nigin Margare-ta, was K nig Erich von Pommern nach ihrem Tod 1413 in Vadstena bestätigte.553

Das Birgittenkloster Marienwohlde bei Lübeck, entstanden und rechtlich abgesichert1413 bis 1415, wurde in dieser Zeit von Below nach Petzke verlegt und von Sigis-mund mittels einer Urkunde vom 27. März 1415 in den Schutz des K nigs und desReiches genommen. Die Stadt Lübeck sollte diesen Schutz garantieren.554 Mariental(Mariendael) in Pirita nahe Reval/Talinn geht auf das Jahr 1405 zurück; 1407 sandte

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549 SD 1199 die Bestätigung von Alexander V. vom 14. Oktober 1409; HÖJER, Studier, S. 149.550 Das Gutsverzeichnis des Klosters verzeichnete um 1450 ca. 1000 schwedische Orte, in denen das

Kloster über Besitz verfügte. LARSSON, Jordeb cker, S. 125, 253–288. In wirtschaftlicher Hin-sicht war die Organisation des Klosters Vadstena eng mit den im 12. Jh. in Schweden gegründetenZisterzienserkl stern verwandt – die gutswirtschaftlichen Verhältnisse waren sehr ähnlich, bei denFunktionsgütern handelte es sich in beiden Fällen um Schenkungen des K nigshauses, des Hoch-adels, später auch von Geistlichen und Bürgern. Der wesentliche Unterschied war, dass die Zis-terzienserkl ster oft lokal geprägt waren, Vadstena dagegen als Reichskloster über Besitz in ganzMittelschweden verfügte. NORBORG, Storf retaget, S. 81–85.

551 Dabei ist zu berücksichtigen, dass die internationale Popularität von Birgitta die Ansiedlung desOrdens außerhalb von Schweden begünstigt hat. BERGLUND, ideal, S. 91. NYBERG, Birgittenor-den, Sp. 479f., Sp. 480. Aus der zweiten Hälfte des 15. Jh. blieb eine

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Enumeratio monasteriumordinis s. Birgittæ erhalten, die einundzwanzig Kl ster in folgender Reihenfolge aufzählt: Watzste-na, Nadhendal, Mariebo, MarieAker, Munkaliff, Syon, Marieuallis, Fons Marie, Marie Triumphus,Marienkrona, Marienwold, Monsgracie, Paradisus, in alma Vrbe Roma hospitale sancte Birgit-te, Thronus Marie, Aquas marie, Mariencamp, Marienborgh, Marienstella, Marienforst, Marien-boom., in: ENUMERATIO MONASTERIUM, S. 297f.

552 In diesem Zusammenhang ist relevant, dass im Jahr der k niglichen Gründung von Syon Abbey1415 Heinrich V. mit Frankreich über einen Waffenstillstand verhandelte, wofür er birgittinischeOffenbarungen zu England und Frankreich heranzog. Vgl. REV IV, 103, S. 295; REV IV, 104,S. 296–298; und REV IV, 105, S. 299. NYBERG, Klostergründungen, S. 69–77 zu Syon, bes.70–74.

553 Insuper eciam [Ericus] promisit, quod edificaret unum monasterium de novo in Lalandia de ordi-ne sancte Birgitte; cuius tamen primam fundacionem fecerat domina regina Margareta ante suumobitum., in: Diarium, 221; Item, eodem anno, in die Severini obiit dominus Petrus episcopus Ros-kildensis, qui habuit in proposito edificare monasterium nostri ordinis in Lalandia, in loco Mari-enbo, tunc vocato Skemynge. Hic honorifice suscepit sorores et fratres euntes ad locum eiusdemmonasterii., in: DIARIUM, 272; NYBERG, Klostergründungen, S. 77–80.

554 CDL V, Nr. 522, S. 566f.; RI XI, 1521a, 1533; NYBERG, Klostergründungen, S. 89–95. Nacheiner Abschrift in der UUB (damals cod. MS Bibl. Upsal. n. 62) auch zitiert in: DIARIUM VAZ-STENENSE, S. 198f.

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Vadstena zwei Ordensmänner zur „förmlichen Besiedlung“ aus; die Weihe erfolgte1431/1436. Das Kloster wurde vom Bischof von Reval und vom Deutschen Orden,aber auch hanseatischen Kaufleuten, lokalen Eliten und Vadstena gefördert.555 Mari-enkron bei Stralsund war eine städtische Stiftung, welche von Herzog Wartislaw IX.vom Pommern unterstützt wurde. Munkaliv in Bergen in Norwegen war ursprüng-lich ein Birgittenkloster (St. Michael), welches, nicht ohne Widerstände seitens derStadt und anderer Orden, ab 1420 in ein Birgittenkloster umgewandelt, 1422–1426umgebaut, 1426 durch den Papst bestätigt und ab 1427 durch Birgittininnen besiedeltwurde.556 Das Birgittenkloster Gnadenberg bei Nürnberg ging 1426 aus einer Initia-tive der Pfalzgräfin Katharina von Pommern-Stolp hervor.557

2.14. Die birgittinische Frage auf den Konzilienvon Konstanz und Basel

Auch nach der Kanonisation Birgittas und der rechtlichen Absicherung der Birgitten-klöster waren die Person und Heilige Birgitta, ihre Revelationes und die reich privi-legierten Birgittenklöster umstritten. Die besonders zu Anfang des 15. Jahrhundertsintensiv geführte Diskussion, ob visionäre Frauen „heilig“ sein können, verband denFall Birgittas mit dem anderer Visionärinnen, wie dem der Katharina von Siena. JeneFrauen und ihr prophetisches Wirken wurden wesentlich auf dem Konzil von Kon-stanz diskutiert. Schon vor 1414 wurde Birgitta als „Galionsfigur“ der Papsttreueninstrumentalisiert, die im Vorsitz des Papstes die Voraussetzung für ein erfolgreichesund legitimes Konzil sahen. Der Birgittenorden hatte sich, nachdem er im Schismawie Schweden zur römischen Obödienz stand, 1409 auf die Seite von Alexander V.,dem Johannes XXIII. folgte und gegen Gregor XII. gestellt; diese Position behielt derOrden auf dem Konzil bei.558

In Konstanz erstrebte der Birgittenorden die Bestätigung der Kanonisation Birgit-tas,559 die Anerkennung der constitutiones Birgittas als Ordensregel, auch wenn diese

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555 DIARIUM, 151; NYBERG, Klostergründungen, S. 96f. Nyberg betont bei dieser Klostergründungstark den Einfluss des Deutschen Ordens, vernachlässigt aber den hanseatischen Einfluss und dieRolle Vadstenas. KREEM, Pirita Convent, S. 72–74; MARKUS, Pirita Convent, S. 12; RAJAMAA,Foundation, S. 88–92.

556 NYBERG, Klostergründungen, S. 99–102 (zu Marienkron), 123–126 (zu Munkaliv).557 Die Schwester des Erich von Pommern war im Vadstenakloster erzogen worden, bevor sie den

Pfalzgrafen Johann von Neumarkt heiratete. Obwohl ihr päpstlicherseits bereits 1420 eine Klos-tergründung erlaubt worden war, entstand das Kloster erst nach 1435, nachdem Kaiser Sigismunddas Kloster in seinen Schutz gestellt und die Stadt Nürnberg mit der Ausübung dieses Schutzesbeauftragt hatte. RI XI, Nr. 10393; NYBERG, Klostergründungen, S. 138, 143f.

558 Vergleiche die Stellungnahme des Lucas Jacobi zuungunsten Gregors XII. in den ACTA CONCILII

PISANI, S. 165, 244, 248f., 253f., 272. NYBERG, Klostergründungen, S. 82; HÖJER, Studier, S.160f.

559 Es scheint, dass auf dem Konzil nicht alle Teilnehmer gewusst haben, dass Birgitta bereits kano-

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bereits am 5. August 1370 und am 3. Dezember 1378 als Erg nzung zur Augusti-nusregel best tigt worden war, und die Best tigung der Privilegien. Zwar hatte dieBulle Mare magnum vom 1. Mai 1413 von Papst Johannes XXIII. alle vorherigenp pstlichen Privilegien und die Idee eines Doppelklosters best tigt,560 doch suchteder Orden angesichts der kirchenpolitischen Situation auch eine Best tigung durchdas Konzil. Dem Diarium Vadstenense zufolge reiste der Birgittinerpriester Tore An-dersson (Thorirus Andrae) am 20. Dezember 1414 aus Vadstena ab und erreichte wohlEnde Januar 1415 Konstanz.561 Dort unterstützte Papst Johannes XXIII. von Anfangan die birgittinische Sache; weshalb sich die schwedische Delegation unter der Füh-rung des Lucas Jacobi, welcher sehr vertrauten Umgang mit Johannes XXIII. hatte, anihn mit der Bitte um Best tigung der Kanonisation Birgittas wandte.562 Einen erstenErfolg errangen die birgittinischen Anh nger mit der Best tigung der Kanonisationin einer Hochmesse am 2. Februar 1415. Dabei handelte es sich nicht, wie selbst inder aktuellen Birgittaforschung immer wieder behauptet wird, um eine erneute Hei-ligsprechung.563 Es ist gut möglich, dass Johannes XXIII. in diesen Tagen versuchthat, mit einer Best tigung der Heiligkeit Birgittas – wie schon Bonifatius IX. – seineeigene Position zu st rken.

Nach Johannes Flucht am 20./21. M rz, auf der er von Lucas Jacobi begleitet wor-den war, seiner Verhaftung und Absetzung am 29. Mai 1415 wurde die birgittinische

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nisiert worden war. So schreibt der Konstanzer Sohn eines Stadtschreibers und Augenzeuge desKonzils Ulrich von Richental um 1420 in seiner Chronik zum Jahr 1415, dass schwedische, d -nische und norwegische Gesandte versucht h tten, erst auf dem Konzil eine Heiligsprechung zuerreichen:

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Und begertond da von gantzem concilium, das man sy zu ainer hailigen erhub und sycanonisierti. Richental Chronik, S. 53. MATTHIESSEN, Wilhelm: Ulrich von Richental, LMAVIII,Sp. 1201f.

560 Mare magnum in SD 1714, S. 618–644 (sic); SD 1714, S. 641f.: Best tigung der Regel und derPrivilegien und Indulgenzen; SD, S. 620f.: (indirekte) Best tigung des Doppelklostercharakters.FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 89f.; MORRIS, Birgitta, S. 155, 161; RYCHTEROVÁ, Offenbarun-gen, S. 52, 77.

561 Item, in vigilia beati Thome apostoli exiit frater Thorirus Andree pro arduo negocio monasteriiversus Romanam curiam, vel ad concilium generale protunc in civitate Constanciensi futurum.Diarium, 236; NYBERG, Klostergründungen, S. 82f. Nur angemerkt sei, dass Marientalbei Tallinnbereits zur Zeit des Konstanzer Konzils sehr unabh ngig von Vadstena war und aufgrund vonSpannungen mit der Stadt Tallinn mit Heinrich Swalbart einen eigenen Interessenvertreter nachKonstanz gesandt hatte. MARKUS, Pirita Convent, S. 13; RAJAMAA, Foundation, S. 90, 92.

562 Zugleich versuchte die schwedische Delegation auf dem Konzil, auch die Kanonisation der Toch-ter Birgittas Katharina Ulfdotter (gest. 1381), des Hauslehrers der Kinder Birgittas in Schwe-den, Nikolaus Hermansson (gest. 1391) und der in Schweden ebenfalls immer popul reren Ingridvon Sk nnige voranzubringen, wofür Bezüge beziehungsweise Parallelen zu Birgitta konstruiertwurden. LITTERE DE CANONIZATIONE; EIMER, Gotland, S. 186; NYBERG, Klostergründungen,S. 83f.

563 Am 2. Februar 1415 wurde Mariae Lichtmeß gefeiert. HARDT IV, 20: 2. Fest. Purificat. Mariæ.Congregatio Generalis, in templo Cathedrali, in qua, præsente Cæsare, per Iohannem XXIII. ca-nonisata Brigitta.; NYBERG, Klostergründungen, S. 84; KRAFFT, Papsturkunde, S. 907–914 (hierwird der 1. Februar genannt); CNATTINGIUS, Studies, S. 47–68. HEß, Heilige, S. 107 sprichtf lschlicherweise von einer erneuten Heiligsprechung.

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148 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Frage aber Thema des Konzils selbst.564 Der Kanzler der Pariser Universität, JeanGerson, wurde um eine Stellungnahme gebeten und verfasste in wenigen Tagen sei-nen Traktat De probatione spirituum. Darin bezog er in einer scholastisch geführtenArgumentation Stellung zum Problem der Heiligkeit Birgittas und zur Frage der gött-lichen Inspiration ihrer Offenbarungen.565 Der Traktat des Kanzlers lehnt beides ent-schieden ab. Einleitend betonte Gerson die Notwendigkeit der discretio spirituum, fürdie er drei wesentliche Kriterien benennt: die Autorität der Schrift, eine spirituelle Er-fahrung und die vom Heiligen Geist gegebene Fähigkeit der Unterscheidung, die fürihn im Kirchenamt verwurzelt war.566 Visionär Begabte hätten ihre Erfahrungen daherzur Prüfung der Schrift Erfahrenen – also kirchlichen Autoritäten – zur kritischen Prü-fung mitteilen.567 Darüber hinaus legte Gerson großen Wert auf die Unterscheidungdes aktiven und kontemplativen Lebens, was für ihn der Frage gleichkam, ob der Vi-sionär seine Erfahrungen in secreto vel publico behandelt und mitteilt. Der wahrhaftHeilige aber, so Gerson, würde mit Petrus sagen: Exi a me Domine, quia peccatorsum, quia vilis sum, quia visionibus tuis indignus sum, was indirekt seine Beurteilungder Heiligkeit Birgittas deutlich werden lässt.568 In Bezug auf die göttliche Inspiriert-heit der birgittinischen Offenbarungen wurde er direkter, indem er fragte, ob falsaset illusorias aut frivolas visiones pro veris et solidis revelationibus gehalten werdenkönnen. Dennoch konnte er sich nicht zu dem Urteil durchringen, dem Konzil end-gültig die Verurteilung der – von der römischen Obödienz als approbiert geltenden– birgittinischen Offenbarungen zu empfehlen, da dies seiner Meinung nach – undwohl zu Recht – eine große Verunsicherung der Christenheit hervorrufen würde.569

Diese ablehnende Position des Gerson Birgitta und ihren Anhängern gegenüber wirdeinmal aus seiner anfänglichen Parteinahme für die avignonesische Seite in der Fragedes Schismas verständlich.570 Aber auch in einem späteren Traktat von 1423 lehnteGerson die Lehrautorität von Frauen ab; es handelte sich also um eine persönlicheÜberzeugung des Theologen.571

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564 FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 91; NYBERG, Klostergründungen, S. 83f.565 GERSON, DE PROBATIONE SPIRITUUM; auch ediert in HARDT III, S. 27–37; MORRIS, Birgitta,

S. 155, 157; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 77.566 GERSON, DE PROBATIONE SPIRITUUM, S. 178–180.567 GERSON, DE PROBATIONE SPIRITUUM, S. 181f. Hier argumentierte Gerson wie bereits Alphonso

Pecha in seiner Epistola: ALFONSUS PECHA, EPISTOLA, S. 49.568 GERSON, DE PROBATIONE SPIRITUUM, S. 182f.569 Reprobare vero nunc eas quae multifarie multisque modis quaquaversum per diversas nationes

probatae dicuntur, non parva est inde scandalorum in christiane religione et devotione populorumformidatio. GERSON, DE PROBATIONE SPIRITUUM, S. 179; RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 78.

570 Im Schisma hat Gerson zunächst das avignonesische Papsttum verteidigt. Als Benedikt XIII. aberalle Verhandlungen zu einer Beendigung des Schismas ablehnte, trat Gerson für ein Konzil ein. Erentwickelte eine Ekklesiologie, wonach die Kirche sich zwar nicht vom Bräutigam Christi, wohlaber vom zweiten Haupt, einem Papst, trennen könne; das Konzil wiederum sei berechtigt, einenPapst abzusetzen. BURGER, Gerson, S. 534.

571 Postremo sexus muliebris ab apostolica prohibetur auctoritate ne palam doceat [...] maxime si

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Sp testens jetzt erkannten die birgittinischen Vertreter, dass die enge Zusammen-arbeit von Jacobi mit Johannes XXIII. ihrer Sache geschadet hatte, dass es vielenKonzilsvertretern mehr um die – instrumentalisierte – Ordensgründerin und wenigerum den Birgittenorden ging. Entsprechend wandte sich der Orden nach der FluchtJohannes XXIII. an König Sigismund und bat diesen um Schutz. Dieser erkanntedie Vorteile, die sich für ihn als Beschützer des Birgittenordens ergeben würden –schließlich galt Birgitta als Mahnerin für eine Reform der Kirche, was seinen eigenenAmbitionen als Beschützer des Reformkonzils entgegenkam.572

Weiterhin riet Tore Andersson Vadstena in einem Schreiben aus Konstanz vom4. Mai 1415 von Bittschriften, die birgittinische Sache betreffend, zu diesem Zeit-punkt ab.573 Daraufhin wandten sich die Äbtissin von Vadstena und die Konventeder Brüder und Schwestern jede für sich an Erik, den Generalkonfessor des Ordens,welcher sich gerade in D nemark aufhielt und baten ihn, den Unionskönig Erich vonPommern zu veranlassen, litteras supplicatorias ad futurum papam et concilium gene-rale zu richten.574 Von April bis Juni 1416 wurden von König Erich, vom Erzbischofvon Uppsala, von den schwedischen Bischöfen und von Vadstena Bittschriften an denzukünftigen Papst, das Konzil in toto, das Kardinalskollegium in toto und an KaiserSigismund mit der Bitte um Best tigung der Regel, der Kanonisation und der Privile-gien gerichtet.575

Dieser großangelegte Vorstoß seitens des Birgittenordens und seiner Gönner führ-te aber nicht zum Erfolg. Begründet mit formalen Kriterien der Bittschriften, wurdedie Anerkennung der Regel des Birgittenordens und die Best tigung der KanonisationBirgittas vom Konzil abgelehnt. Im Januar 1417 richtete Vadstena mehrere Schreibenan die Bischöfe von Linköping, V sterås und Åbo sowie an Johannes, den Erzbischofvon Uppsala mit der Bitte um Abfassung neuer Suppliken, diesmal an jede einzelne

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fuerit ad viros, nec qualescumque, sed sapientes, sed eruditos, sed status in devotione et religionepraecellentis. [. . . ] Neque tamen ista dicentes, derogamus gratiae Dei, neque mulierum quas ele-gerit privilegiatae sanctitati; sed nobis vigilandum est adversus astutias diaboli jam ab initio pereasdem coeptas; et cautela duplex inter alia hic sumenda est., in: GERSON, DE EXAMINATIONE

DOCTRINARUM, S. 467f.; NYBERG, Birgitta/Birgittenorden, S. 650.572 So hatte dieser ja am 27. M rz 1415 alle Birgittenklöster im Heiligen Römischen Reich, besonders

Marienwohlde, und die Angehörigen des Ordens beiderlei Geschlechts in seinen Schutz genom-men. NYBERG, KLOSTERGRÜNDUNGEN, S. 85.

573 SD 2073; FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 91.574 SD 2211 vom 11. April 1416; FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 91.575 Erhalten sind diese Suppliken in Abschriften: RA A 20, f. 107r Supplik von König Erich an das

Konzil; RA A 20, f. 107v Supplik von König Erich an den zukünftigen Papst; RA A 20, f. 150rSupplik von König Erich; RA A 20 f. 150v zwei Suppliken von Vadstena an den zukünftigenPapst; RA A 20, f. 151r-v zwei Suppliken Erichs an den zukünftigen Papst; RA A 20, f. 151veine Supplik Erichs an Sigismund; UUB C 43, f. 2v–4r eine Supplik von Vadstena an den zukünf-tigen Papst; UUB C 43, f. 4r–v eine Supplik Vadstenas; APD, Nr. 5171 die Supplik des KönigErich vom 30.5.1416 an den zukünftigen Papst. Vgl. zur nicht immer sicheren Datierung der Sup-pliken FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 91–97. SD 2223, 2231, 2250, 2251, 2252, 2253, 2254, 2257.FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 91–104; REBER, Kulte, S. 59.

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der fünf Konzilsnationen nach dem Schreiben beigelegten Kriterien.576 Daraufhin ba-ten der Erzbischof und seine Suffragane die Kardinäle und das Konzil in Konstanzerneut um die Anerkennung der Regel, die Unterstützung von Vadstena und um dieBestätigung der Kanonisation Birgittas.577 Ergänzt wurden diese neuen Suppliken andie einzelnen Konzilsnationen von einer Bittschrift des Peter Kruse, des Erzbischofsvon Lund, an den künftigen Papst vom 3. Februar 1417578 und schließlich von meh-reren Suppliken König Erichs an die Nationen und Kardinäle in Konstanz.579

Erfolg hatten diese Initiativen aber erst nach der Wahl Oddo Colonnas zum Papstam 11. November 1417, der sich Martin V. nannte. Anfang 1418 richtete König Erichzwei weitere Bittschriften, nun explizit an Papst Martin V. und wiederholte die birgit-tinischen Anliegen. Neben der Bitte um Bestätigung von Birgittas Kanonisation, derBestätigung der Regel und der Privilegien bat Erich darum, allen Birgittenklösterndie Verkündung des Vincula-Ablasses zu gewähren. Seine Anliegen begründete Erichdamit, dass die Birgittenklöster in seinen drei Reichen am Ende der christlichen Weltgelegen und deshalb vom Heidentum bedroht seien.580

Am 3. April 1418 gewährte Papst Martin V. eine Schutzbulle für Vadstena.581 Erichhatte in Suppliken aber auch um die Bestätigung der Bullen Hiis quae pro divini von1378 und der Kanonisationsbulle von 1391 gebeten.582 Zwar zeichnete am 7. Aprilund am 5. Mai Martin V. die beiden als Rotuli abgefasste Suppliken Erichs tatsächlichmit Fiat beziehungsweise mit Fiat in forma de omnibus, doch durften nach der vonMartin V. am 12. November 1417 festgelegten Kanzleiordnung nur solche Bullen vomPapst bestätigt werden, welche ihm als Original vorlagen. Da dies nicht der Fall war,blieben auch die mit Fiat unterzeichneten Suppliken anfechtbar.583

Deshalb wurden von Herbst 1418 bis Juli 1419 von den Königen Erich und Hein-rich V. von England, Erichs Gemahlin und Heinrichs Schwester Philippa sowie von

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576 FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 104f.; REBER, Kulte, S. 59.577 SD 2331, 1. März 1417.578 APD, Nr. 5172.579 UUB C 63, f. 4v: Supplik Erichs an die im Konzil versammelten Kardinäle (3.6. 1417); UUB

C 63, f. 5r: Supplik Erichs an Kardinal Colonna (3. 6. 1417); UUB C 63, f. 5v–6r: König Erichan Kaiser Sigismund betreffs Regelbestätigung (3. 6. 1417); UUB C 63, f. 6r–7r Erich an denPapst (vermutlich falsch datiert auf den 2. 6. 1416, richtig wohl Mitte 1417, da Martin V. erst abdem 11. 11. 1416 Papst); SD 2307 an die gallische Nation, SD 2249; FRIEDLAENDER, Suppliker,S. 104–111.

580 Parallel zu den an Martin V. gerichteten Bittschriften richtete Erich ein Schreiben mit Bitte um Un-terstützung der drei Gesandten Vadstenas an Sigismund. SD 1862, hier f lschlicherweise auf 1414datiert. FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 111f. Die Privilegien von Vadstena waren in dieser Zeitbesonders gef hrdet, da Anfang 1418 auf dem Konzil diskutiert wurde, alle in der Zeit des Schis-mas erteilten Privilegien außer Kraft zu setzen. HARDT I:22, 1010; GROHE, Johannes: Martin V.,LMA VI, Sp. 342f.

581 SD 2458; FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 113f582 Beide sind als Konzeptexemplare erhalten: ERIKS SUPPLIK 1418, 7/4; S. 135–137; ERIKS SUP-

PLIK 1418, 7/5, S. 138f.583 FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 116f.

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Vadstena erneut Bittschriften an den Papst, r mische Kardinäle und Sigismund gerich-tet.584 Diese führten zum Erfolg, am 7. April 1419 wurden die Bulle Mare magnumdes Johannes XXIII. sowie die Klosterregel bestätigt, wenn auch nur per modum con-stitucionum.585 In weiteren Bullen folgten einige Monate später die endgültigen Be-stätigungen einmal der Kanonisationsbulle von Bonifatius IX. am 1. Juli 1419586 so-wie am 1. Juli 1419 die Erlaubnis, Reliquien zu empfangen und zu zeigen587 und am4. Dezember 1419 die Erlaubnis, Bestimmungen in der Bulle Mare magnum zu än-dern.588 Es sollte sich aber zeigen, dass die Position des Birgittenordens damit immernoch nicht endgültig gesichert war.

Im Jahre 1422 erstrebte Papst Martin V. die Aufhebung des Doppelklostercharak-ters der Birgittenkl ster. Bereits 1419 hatte er ein Verbot von Doppelkl stern erlassen,das 1421 aber teilweise zurückgenommen wurde. Sein Vorgehen gegen den Birgitten-orden stieß jedoch auf entschiedenen Widerstand. Einmal berief sich der Orden auffrühere Regelungen, zudem wurde er von Erich und Philippa unterstützt. Dennocherhielten die birgittinischen Doppelkl ster erst 1423 einen Dispens von der Regelungvon 1419. Dieser wurde 1435 durch das Papstprivileg Licet Suscepti bestätigt. Darinwurde erklärt, dass birgittinische Kl ster nicht grundsätzlich Doppelkl ster seien, sodass der Birgittenorden auch weiterhin Kl ster mit Nonnenkonventen, gegebenenfallserweitert durch Brüderkonvente, bewohnen und neu gründen konnte.589

Brisanter war, dass auf dem Konzil von Basel die Revelationes erneut Gegenstandkontroverser Diskussionen wurden. Mehrere Theologen legten 1434 nach einer de-taillierten Prüfung der Revelationes 123 Artikel mit Auszügen der Offenbarungen vor,die unter Häresieverdacht gestellt wurden.590 Anstoß erregten vor allem die AussagenBirgittas zur Mariologie – etwa zum Begräbnis Mariens, ihrer leiblichen assumptiound herausgehobenen Stellung im Himmel. Kritisiert wurde auch die Auffassung vonVadstenabrüdern, dass Birgittas Texte dem Evangelium gleichzusetzen seien.591 Dem

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584 Beantragt wurde auch, die zu bestätigenden Bullen in vidimierten Abschriften, statt in Originaleneinreichen zu dürfen. SD 2553, 2554, 2555, 2556, 2557, 2558, 2562, 2597, 2606, 2658, 2659,UUB C 43, f. 5v–9r. (Entwurf); FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 122–130.

585 SD 2616 bestätigt Mare magnum; SD 2615 die Konstitutionen nach Hiis quae divini.586 SD 2656.587 SD 2655.588 SD 2711; FRIEDLAENDER, Suppliker, S. 129; HÖJER, Studier, S. 176–179; OLESEN, kongemagt,

S. 180f. Die Frage der Ablässe, besonders des Vincula-Ablasses und seiner Gültigkeit für alleBirgittenkl ster wurde nicht definitiv geklärt, wie die Diskussionen um das Thema auf dem Konzilvon Basel zeigen sollten. RYCHTEROVÁ, Offenbarungen, S. 52, Fußnote 196.

589 BERGLUND, ideal, S. 114, 140–144; OLESEN, Unionsk nigtum, S. 15; NYBERG, Klostergründun-gen, S. 25; NYBERG, Birgitta/Birgittenorden, S. 650. Vgl. auch DENKSCHRIFT DES BISCHOFS

VON LÜBECK, S. 126, Fußnote 4 (Erklärung Dannenberger).590 UNDHAGEN, Une source, S. 214; ADMAN, Dyalogus, S. 19, 23; WEIGEL, Ordensreform, S. 86,

96, 329–331 zum Anteil des Franziskanerprovinzials Matthias D ring an der Zusammenstellungder 123 Artikel.

591 SENTENTIA CONTRA ORDINEM NOSTRUM, S. 49f. zur Ablehnung der Behauptung der Brüder,dass die Revelationes dem Evangelium gleichwertig wären. REV II, 17, S. 80–84 zur Gleichset-

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Orden sollten deshalb Privilegien, vor allem der Vincula- und der Portinculaablassentzogen werden.592 Daraufhin wurden die Theologen Jean de Turrecremata (Juan deTorquemada OP), Heymericus de Campo,593 Johannes Roberti und Ludovicus de Pi-rano als Vertreter der verschiedenen Konzilsnationen mit der Prüfung der fraglichenArtikel beauftragt.594 Parallel dazu gingen Bittschriften der skandinavischen Bischö-fe und König Erichs beim Konzil ein,595 englische Theologen verfassten Verteidi-gungsschriften und bejahten die göttliche Inspiration der Offenbarungen Birgittas.596

Heymericus de Campo verfasste 1434/35 einen eigenen Dyalogus super Revelacioni-bus Beate Birgittae, der keinen Zweifel an der Orthodoxie der Offenbarungen ließ.597

Turrecremata wies Anfang 1436 nach einer Prüfung aller 123 Artikel in seiner Ver-teidigung der Revelationes, dem Defensorium, den Vorwurf der Häresie entschiedenzurück, worin ihm auch die anderen mit der Prüfung beauftragten Theologen folg-ten.598 Daraufhin verkündete Ludovicus Arelatensis am 1. März 1436 das Urteil,599

welches in Bezug auf die Revelationes die Notwendigkeit erklärender Kommentare zu

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zung der birgittinischen Offenbarungen mit dem Wort Gottes und dem Evangelium. Ähnlich auchREV II, 28, S. 118f.

592 SENTENTIA CONTRA ORDINEM NOSTRUM, S. 48.593 Zu seinem Leben und Werk ADMAN, Dyalogus, S. 69–78.594 SILFVERSTOLPE, Om kyrkans angrepp, S. 30. Vgl. die Protokolleintragungen vom Basler Konzil

für den 11. Mai 1434 und den 14. August 1434: PROTOKOLLE DES CONCILS, S. 95, 175 sowiedie DENKSCHRIFT DES BISCHOFS VON LÜBECK, S. 126, worin ebenfalls eine Überprüfung derRevelationes nebst einer strikten Einhaltung der Trennung von Brüdern und Schwestern in denBirgittenklöstern verlangt wird; UNDHAGEN, Une source, S. 214f.; BÄUMER, Remigius: Johannesde Turrecremata, LMA V, Sp. 609; LADNER, Pascal: Heymericus de Campo, LMA IV, Sp. 2205.

595 Die Bittschriften von Juli 1434 in AASS OCT. IV, S. 410f.596 JOHNSTON, english cult, S. 84.597 So die Schlussworte: Felix regnicola paradisi, sancta Birgitta,/ sponsa Dei grata, mistica discipu-

la!/ Hec sunt que potui solerter presto rimari/ circa premissos, vt patet, articulos./ Que si sint vera,si iustaque si bene sensa/ aut hiis contraria, tu proba vel reproba/ hoc satagens pro me, quod velisipsa precari,/ vt detur hiis dictis gracia cum venia,/ quam merear per te diuinitus hic reperire,/qua valeam cum te viuere perpetue., in: HEYMERICUS DE CAMPO, DYALOGUS, S. 224. Dem Or-den wurden die älteren Privilegien bestätigt, das Recht der Birgittenpriester zum Beichthören abereingeschränkt. ADMAN, Dyalogus, S. 28f., 97.

598 Das Defensorium des Turrecremata ist ediert in: Prologus D. Ioannis cardinalis de Turrecrematain defensorium eiusdem super Revelationes caelestes S. Birgittae de Watzsteno (= Edition der De-clarationes, Kap. I–V), ed. S. HÖRMANN, in: Revelationes caelestes seraphicae Matris S. Birgit-tae, Monachii 1680, S. a2r–c1v. und Defensiones quorundam articulorum rubrorum RevelationumS. Birgittae factae (. . . ) (= Edition der Declarationes, Kap. VI, darin die Verteidigung der 123 Ar-tikel), ed. J. MANSI, in: Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, Tom. XXX. Venetiis1792, Coll. 699–814. Die Stellungnahme des Heymericus de Campo: HEYMERICUS DE CAMPO,ARBITROR ENIM, S. 65. ADMAN, Dyalogus, S. 34. Interessanterweise lehnte Turrecremata alsDominikaner die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariens anders als Birgitta ab, dennochverteidigte er Birgittas Rechtgläubigkeit. BÄUMER, Turrecremata, Sp. 609.

599 Erhalten in SENTENTIA CONTRA ORDINEM NOSTRUM, auszugsweise in der neueren Edition SEN-TENCIA CONTRA ORDINEM.

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Die birgittinische Frage auf den Konzilien von Konstanz und Basel 153

besonders umstrittenen Passagen verlangte, die Heiligkeit Birgittas und die insgesamtf r den Orden positiven Beschl sse aber bestätigte.600

Papst Eugen IV. bestätigte im Dezember 1436 das Urteil von Turrecremata undden anderen Bischöfen. Das Konzil lehnte die Revelationes dagegen als weiterhinunter Häresieverdacht stehend ab.601 Erst 1446 erhielten der Generalkonfessor vonVadstena, Magnus Unnonis, und der Birgittenmönch Olavus Petri aus Maribo in Romeine Bestätigung des Defensorium durch Kardinal Turrecremata selbst, ein Jahr daraufbestätigte auch die päpstliche Kurie die G ltigkeit des Defensorium Turecrematas unddamit die Rechtgläubigkeit der birgittinischen Revelationes.602

In Vadstena schien man damit nicht zufrieden zu sein. Bezugnehmend auf ein Avi-samentum, welches die Theologen um Turrecremata und Heymericus de Campo ver-fasst hatten, das aber nicht erhalten blieb, wurde in Vadstena nach 1446 ein Avisa-mentum verfasst und 1490 den vier Theologen zugeschrieben. Damit wurde wohlauch versucht, die 1436 geforderten Erklärungen zu kritischen Passagen der Revela-tiones „nachzuliefern“.603 Diese Theologen haben nach dem Avisamentum aus Vad-stena ausdr cklich die Orthodoxie der Revelationes anerkannt, und die Lesung derRevelationes in den Kirchen gebilligt.604 Weiterhin wurden im Avisamentum die 38

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600 Nos nec prefatum titulum nec materiam librorum huiusmodi continencie approbantes decernimuset declaramus quamplura in prefatis libris contenta modificacionibus, declaracionibus et addicio-nibus prudencium et sapiencium doctorum ac in sacris litteris exercitatorum indigere. Quapropterinhibemus, ne quis talia, ut in praefatis libris iacent, sine modificacione catholica dogmatizare autpublicare presumat, illas vero asserciones et dogmatizaciones per aliquos ex dictis fratribus acte-nus factas, quod reuelacionibus in dictis libris contentis tanta fides est adhibenda sicud euange-liis, fuisse et esse presumptas et tenerarias minimeque fratribus predictis aut aliis quibuscumquelicuisse aut ulterius licere dicimus, pronunciamus et declaramus; per hanc tamen nostram sen-tenciam diffinitiuam sanctitati aut veneracioni beate Birgitte eiusue canonizacioni vel ordini nonintendimus in aliquo derogare., in: SENTENCIA CONTRA ORDINEM NOSTRUM, S. 64; ADMAN,Dyalogus, S. 29.

601 Belegt wird dieses Beharren auf häretischen Vorw rfen durch eine Notiz in anonymen Tage-buchaufzeichnungen vom 14./15. März 1438, die die Diskussion der [. . . ] errorum in libris sancteBrigitte de Swezia [. . . ] erwähnt. TAGEBUCHAUFZEICHNUNGEN, S. 149; UNDHAGEN, Une sour-ce, S. 215; ADMAN, Dyalogus, S. 34.

602 Die Bestätigung von Turrecremata hatte die Form eines Briefes: Epistola domini Johannis cardi-nalis de Turrecremata ad omnes cristifideles, der fortan dem eigentlichen Defensorium vorange-stellt wurde. Als Prologus domini Johannis cardinalis de Turrecremata in Defensorium eiusdemsuper Reuelationes celestes sancte Birgitte de Watzsteno fand der Brief in Ausz gen Eingang indie ersten lateinischen Drucke der Offenbarungen Birgittas ab 1492 (editio princeps des Ghotan),so 1500 beim Druck von Koberger oder 1680 beim Druck von Hörmann. REBER, Kulte, S. 59;UNDHAGEN, Une source, S. 215f.; MORRIS, Birgitta, S. 158; ADMAN, Dyalogus, S. 36–38. DIA-RIUM, 554, 566.

603 ADMAN, Dyalogus, S. 47–49.604 Von 1490 stammt der Epilog zum Avisamentum. In diesem heißt es: Simili modo confirmauit discer-

nendo et declarando, quod omnia et singula in eisdem contenta sunt cattolica et vera atque nonab illusore Diabolo sed a Deo pro emendacione omnium statuum, tam clericorum quam laicorum,

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154 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

umstrittensten Artikel aus den 123 diskutierten vorgestellt und einzeln widerlegt.605

Die Kritik an Birgitta und ihrem Werk wurde letztendlich erst mit der Bulle Deservorum Dei beatificatione et beatorum canonizatione, die sich auch auf Hildegardvon Bingen und Katharina von Siena bezog, verfasst von Papst Benedikt XIV. (1740–1758), endgültig zum Verstummen gebracht.606 Auch nach dem Konzil von Baselentstanden Traktate, die die Rechtgläubigkeit der Revelationes und ihre Übereinstim-mung mit der Bibel behandelten, also belegen, dass ihre Orthodoxie weiter diskutiertwurde.607

Im Folgenden soll, unter Berücksichtigung der bereits dargestellten innenpoliti-schen Situation in Schweden Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts, die Ent-wicklung der Birgittaverehrung bei Königtum, Adel, Klerus und Laien in Schwedendiskutiert werden.608

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reuelata et ostensa, quodque huiusmodi Reuelaciones deberent in ecclesia sancta Dei populo pre-dicari [. . . ]., in: ITAQUE NUNC, VT CUNCTIS PATEAT EUIDENTER, S. 68. Nach dem Avisamentumwurde in Basel auch die Behauptung der Birgitta beanstandet, dass die Römer Christus nicht lieb-ten. Die Römer wurden gemäß dem Avisamentum aber insoweit beruhigt, dass nach Turrecrematamit der Kritik Birgittas nur perversis habitatoribus (S. 44) gemeint gewesen seien. Vgl. AVISA-MENTUM, S. 43f.: XVIII articulus (lib IV, cap X), qui dicit habitatores Romæ non habere majoremcaritatem [. . . ] nach REV IV, 10, S. 89–92, S. 91: Filius Dei loquitur [. . . ] Illi quidem non viuuntiuxta consuetudinem Christianorum, sicut sancta Ecclesia precipit, quia maiorem caritatem nonhabent ad me quam demones. ADMAN, Dyalogus, S. 41f., 49f.

605 Auch wenn es sich nicht um eine originale Stellungnahme der in Basel wirkenden Theologen han-delt, können anhand des Avisamentum die Kritikpunkte aus der Basler Zeit und die Verteidigungderselben rekonstruiert werden. AVISAMENTUM, bes. S. 45, 47 zur Kritik an den Aussagen zuMaria. Vgl. REV I, 9, S. 260–262, bes. 261f. zum Sterben Mariens und zur leiblichen assumptioMariens; REV I, 35; REV I, 51, S. 402–406, S. 403 zur herausgehobenen Stellung Mariens imHimmel. REV V, int. 9, S. 118–121 zur herausgehobenen Stellung Mariens.

606 MORRIS, Birgitta, S. 158.607 So etwa die Traktate des Heymericus de Campo: >Defensio libri Revelationum sanctae Birgittae<

Sequuntur resoluciones IX articulorum [. . . ], in: UBL MS. 580, f. 54r–57v; De consonantia libriRevelationum cum sacra scriptura< Quoniam sicut perfecta [. . . ], in: UBL MS. 580, f. 58r–74r;Recapitolatio articulorum contra librum celestium revelacionum sancte Birgitte obiectorum [. . . ],in: UBL Ms. 580, f. 130r–144v. Die Rezeptionsgeschichte der Revelationes in Mitteleuropa istaber nicht Thema dieser Arbeit, so dass hier nur auf diese unedierten Texte verwiesen sei.

608 Zur theologischen Bedeutung von Vadstena vgl. ANDRÉN, Carl-Gustaf: De septem sacramentis:en sakramentsutläggning från Vadstena kloster ca 1400, Lund 1963.

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Das schwedische K nigtum, Vadstena und der Birgittenkult

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2.15. Das schwedische K nigtum, Vadstena undder Birgittenkult

Die weltlichen Eliten Schwedens f rderten Vadstena entschieden, so dass das Klosternicht nur ein religi ses, sondern auch politisches Zentrum Schwedens wurde. Mehr-fach angesprochen wurde die Schenkung eines Palastes von Magnus und seiner FrauBlanca.609 Der Sohn von Magnus, Håkon unterstützte die Errichtung des Klosters inden 1360er Jahren; Albrecht III. erhob als Unterstützung für den Klosterbau den de-narius beate virginis, den so genannten „Jungfrauenpfennig“.610

Im Folgenden war besonders K nigin Margarete um das Kloster bemüht. M g-lich ist, dass dies auch auf einer pers nlichen Verehrung Birgittas durch die K niginberuhte. Birgittas Tochter Margarete war Hofdame bei Margarete; die Tochter vonMargarete, Birgittas Enkelin Ingegerd, wurde Äbtissin in Vadstena.611 Zugleich hatdie K nigin früh erkannt, das Vadstena ein wichtiges Symbol für die schwedischenEliten war, was sie politisch aufgreifen konnte. Bezeichnend ist, dass sie am 1. Ad-vent 1389, kurz nach ihrem Sieg über Albrecht III. in der Schlacht von Falk ping,nach Vadstena zu einem Treffen mit vielen weltlichen und geistlichen Großen Schwe-dens reiste.612 Auch 1393, als Birgittas Schreinlegung erfolgte, welche ein alle ge-sellschaftliche Gruppen Schwedens bewegendes Großereignis war, hielt sich Marga-rete in Vadstena auf.613 Bei diesem Ereignis waren neben schwedischen Besuchernaller Schichten Besucher aus Norwegen und Dänemark anwesend, so dass in der For-schung wohl zu Recht vermutet worden ist, dass Vadstena schon in jener Zeit als überSchweden hinausgehendes geistiges Symbol für die nordische Union verstanden wur-de. Zugleich k nnte Vadstena diese Auffassung geteilt haben, welche in jener Zeit jaauch in breiten Schichten des Adels präsent war – aus dem sich in dieser Zeit wieder-

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609 Es ist gut m glich, dass bereits das K nigspaar beabsichtigt hat, das zu errichtende Kloster andie eigene Dynastie zu binden. Eventuell hat Magnus über seine Frau St. Denis als k niglicheGrablege, verbunden mit dem Aspekt auch der politischen Memoria, gekannt und die Idee einessolchen Ortes auf Vadstena übertragen wollen. Sicherer als bei Magnus ist aber, dass seine Nach-folger im K nigsamt in dieser Richtung handelten. BERGLUND, ideal, S. 12, 16, 116; OLESEN,Unionsk nigtum, S. 22; FRITZ, Magnus Erikssons planer, S. 115–121.

610 Der Vårfrupenningen –

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decimæ decimarum och denarius b. Petri som denarius b. Virginis wurdeim Bistum Link ping vermutlich schon Ende der 1340er Jahre zum Bau des Vadstenaklosterserhoben. Die K nige Magnus, Håkon und v.a. Albrecht forderten die Abgabe wiederholt von denKlerikern und Adeligen ein. Nach der Fertigstellung von Vadstena erklärte die päpstliche Bulle SD62 von 1401 den Jungfrauenpfenning zur regelmäßigen Abgabe für die Unterhaltung des Klosters.HÖJER, studier, S. 99, 349–354; NORBORG, Storf retaget, S. 23f., 240–245; BERGLUND, ideal,S. 91.

611 OLESEN, kongemagt, S. 173f.612 Anwesend waren neben Margarete die Bisch fe von Link ping, Strängnäs, Växj , Västerås und

der maxima parte nobilium regni. DIARIUM, 49:3; BERGLUND, ideal, S. 91; OLESEN, kongemagt,S. 173.

613 DIARIUM, 77; Berglund, ideal, S. 93, 114.

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156 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

um nicht wenige Klosterbewohner rekrutierten. Entsprechend berichtet das Diarium1393 – durchaus mit Stolz – von Besuchern dreier Länder, die in diesem Gebiet nochnie gewesen seien.614 Obwohl ein Eintrag von 1365 im Diarium die Herrschaft vonAlbrecht III. in Schweden sehr kritisch sah,615 stand Vadstena der Herrschaft von Al-brechts Nachfolgerin Margareta aber distanziert gegenüber.

Im Rahmen ihrer Güterreduktionspolitik versuchte die Königin nach 1396, alleKrongüter und steuerpflichtigen Ländereien, welche vor 1388 in den Besitz des Adelsoder der Kirche gelangt waren, wieder einzuziehen. So beanspruchte sie auch denGrund, auf dem sich das Kloster Vadstena befand, für die Krone. Dies wurde 1399von einem hochadelig dominierten Reduktionsgericht unter der Leitung des Reichs-marschalls Sten Bengtsson und des Erzbischofs Henrik Karlsson zurückgewiesen.616

Daraufhin verlieh Margarete der Siedlung Vadstena bei dem Kloster im Dezember1400 das Stadtrecht. Zugleich war die Königin persönlich an Ingegerds Absetzunginteressiert, obwohl beide Frauen ursprünglich wohl befreundet waren. Die Äbtissinwurde aus verschiedenen, nicht sicher rekonstruierbaren Gründen vom Brüder- undSchwesternkonvent abgelehnt, was die Königin zu nutzen verstand. Außerdem hatteIngegerd versucht – über Thorn, das Finanzzentrum des Deutschen Ordens – Klos-terbesitz und Geld vor dem Zugriff der schwedischen Krone etwa nach Florenz zuretten. Als sich Ingegerd im Kloster nicht durchsetzen konnte und 1403 als Äbtissinzurücktrat, versuchte sie noch, Teile des Klosterarchivs zu vernichten, was zu Tu-multen führte.617 Margarete suchte im Folgenden den Ausgleich mit Vadstena. DieKönigin spendete dem Kloster noch 1403 eintausend Mark und hielt sich in der Zeitvon Weihnachten 1403 bis Mitte Januar 1404 in Vadstena auf. Hier bat sie um einenBruderschaftsbrief, der sie in das klosterinterne Fürbittgebet aufnehmen sollte. Diesenerhielt sie und wurde so als „externe Ordensangehörige“ in die Gemeinschaft aufge-nommen, was anfangs zu einigen Unsicherheiten im Umgang der Klosterbewohnermit der Königin führte.618

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614 DIARIUM, 77:3; FRÖJMARK, Mirakler, S. 171; BERGLUND, ideal, S. 115; OLESEN, kongemagt,S. 174f.

615 Nam Theutunici tyrannizaverunt in terra multis annis. DIARIUM, 22; BERGLUND, ideal, S. 94.616 DIARIUM, 103. Möglicherweise war das Vorgehen gegen Vadstena auch durch Margaretes Got-

landpläne beeinflusst. Nach Eimer war der Vorstoß von 1399 auch gegen den Deutschen Ordengerichtet, der der Königin die erhoffte Unterstützung gegen innere Feinde der Nordischen Unionverweigert hatte. EIMER, Gotland, S. 183–185; OLESEN, kongemagt, S. 176.

617 DIARIUM, 110:5; NORBORG, Storföretaget, S. 50–53; HÖJER, Studier, S. 50–56, 272–283; EI-MER, Gotland, S. 185–187.

618 Item, in vigilia nativitatis Domini domina Margareta regina, de qua superius tactum est, venitWatzstena. Ubi cum familia sua morabatur usque post octavas Epyphanie ob devocionem et indul-gencias conquirendas. In fine autem horum dierum peciit humiliter a conventu litteram fraterni-tatis, et ut soror fieret et particeps bonorum spiritualium monasterii; et accepit. Die vero ultimorecessionis sue, convocatis primo sororibus coram se in loqutorio postea fratribus, in firmitatemsororitatis sue omnium manus devote osculata est. Quidam autem frater laycus more suo tetigitmanum eius manu sua involuta pallio. Sed illa noluit dicens: ’ „Nullo modo faciam! Sed prebemichi manum nudam, non velatam, quia iam soror tua facta sum!“, in: DIARIUM, 123; OLESEN,

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Das schwedische K nigtum, Vadstena und der Birgittenkult

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Im Jahre 1404 verlieh die K nigin dem Kloster Vadstena alle k niglichen Rechteüber die Stadt Vadstena. Dies führte trotz der Bestätigung durch K nig Erich 1414 inder ersten Hälfte zu Spannungen zwischen dem Kloster und der Stadt; erst 1435 wur-de im Zuge des Engelbrekt-Aufstandes die Position des Klosters der Stadt Vadstenagegenüber normalisiert.619 Die Einstellung des Klosters K nigin Margarete gegen-über blieb aber auch nach 1404 trotz Margaretas Bemühungen und mehrmaliger Be-suche620 distanziert; selbst zum Tode von Margarete vermerkten die Klosterannalenrecht zweideutig, dass Margarete in weltlichen Dingen „sehr vom Glück begünstigt“gewesen sei.621

Margaretas Nachfolger Erich, dem die k nigliche Macht im Jahr 1400 bei einemTreffen von Margareta, Erich, Bisch fen und dem k niglichen Rat im Kloster Vadste-na offiziell übergeben wurde,622 bemühte sich ebenfalls früh um gute Beziehungen mitVadstena. Birgitta bezeichnete er gegenüber Martin V. als sanctissima patrona mea.623

Wenige Monate nach Margaretas Tod besuchte Erich im Mai 1413 Vadstena, wobei erals Zeichen der Demut – welches als solches vomKloster wahrgenommen wurde – dieStrecke von Skännige bis zum Kloster zu Fuß zurücklegte. In Vadstena versprach eraußerdem, den Bau des Birgittenklosters in Lolland, Dänemark, das spätere Maribo,voranzutreiben,624 und das Birgittenklosters Munkaliv zu unterstützen.625 Früh be-mühte sich der K nig um ein vertrautes Verhältnis zu den Klosterbewohnern; im Mai1413 und im März 1415 besichtigte er – auch klausurierte – Teile des Klosters.626

Erichs Frau Philippa besuchte im Januar 1415 das Kloster, bekam Birgittareliquien zusehen und bat um Aufnahme in den Orden als „externes Mitglied“, was ihr auch ge-währt wurde.627 Die folgende Unterstützung des Ordens durch das K nigspaar wirdaus deren bereits geschilderter diplomatischer Aktivität 1414 bis 1418 und danachetwa in der Frage der Doppelkl ster deutlich.

Im März 1422 schenkte der K nig dem Kloster Vadstena einen Arm des heili-gen Knut von Dänemark; die K nigin überbrachte die wertvolle Reliquie.628 Ein Jahr

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kongemagt, S. 176.619 HÖJER, Studier, S. 158; NYBERG, Birgittinerstädte, S. 37–42; BERGLUND, Politiska ideal, S. 118;

OLESEN, Unionsk nigtum, S. 10; EIMER, Gotland, S. 187. Mentalitätshistorisch ist interessant,dass 1402 ein Komet über Vadstena beobachtet und als b ses Omen gedeutet wurde: UUB C 181,f. 18vb.

620 Weitere Besuche Margaretes in Vadstena sind für 1406 und 1408 belegt: DIARIUM, 147, 169.621

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[. . . ] in nocte apostolorum Simonis et Iude [. . . ] obiit domina Margareta, princepissa et reginaistorum trium regnorum, scilicet Suecie, Dacie et Norvegie. Hec in vita sua, quantum ad mundum,fortunatissima fuit., in: DIARIUM, 218; OLESEN, Unionsk nigtum, S. 12.

622 DIARIUM, 110; BERGLUND, ideal, S. 117.623 SD 2597, S. 424 von März 1419. Sehr umfassend zu Erich, dem Birgittenorden und Vadstena:

OLESEN, kongemagt, S. 178–187.624 DIARIUM, 221:3.625 OLESEN, Unionsk nigtum, S. 15–17.626 DIARIUM, 221:4–5, 249; OLESEN, Unionsk nigtum, S. 13.627 In dominica vero sequenti, hoc est in octava Epiphanie, rediit postulans se recipi in sororem tam

apud sorores quam apud fratres. Et suscepta est omni reverencia more prioris regine., in: DIARI-UM, 238. OLESEN, Unionsk nigtum, S. 11; OLESEN, kongemagt, S. 183; HÖJER, Studier, S. 158.

628 DIARIUM, 330; OLESEN, Unionsk nigtum, S. 17.

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158 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

zuvor konnte Philippa bei einem Besuch in Vadstena die Zusage erwirken, dass imKloster täglich eine Messe für sie und Erich und ihre Eltern gelesen wird. Im Jahre1425 stiftete die Königin eine St. Annen-Kapelle in der Klosterkirche in Vadstena,welche im Dezember 1426 in Anwesenheit Philippas eingeweiht wurde.629 Die Köni-gin, welche nach ihrem Tod im Januar 1430 in Vadstena beigesetzt wurde, war also fürdie Brüder und Schwestern von Vadstena eine hoch verehrte Gönnerin des Klostersund des Ordens.630

Ihr Mann, König Erich, unterstrich auf demHöhepunkt seiner Macht durch eine po-litische Entscheidung die herausragende Stellung, die das Kloster Vadstena für ihn be-saß. Nachdem in Folge eines Streites zwischen dem Erzbischof von Uppsala JohannesGerekesson und seinem Domkapitel der Erzbischof zurücktreten musste, unterstütz-te Erich die Wahl des Vadstenabruders Johannes Håkonsson zum neuen Erzbischof.Nach dessen Weihe durch die Bischöfe von Linköping, Skara und Strängnäs im Ju-ni 1422 in Vadstena stand somit ein Vertreter des Birgittenordens dem Reichsrat vorund nahm eine politische und religiöse Schlüsselposition ein.631 Auch bei der Wei-he der 1430 fertig gestellten Klosterkirche war Erich neben Erzbischof Håkonsson inVadstena anwesend.632

Nicht nur der Reichsrat tagte wiederholt in Vadstena. Auch über schwedische Be-lange hinausgehende Ereignisse von religiöser und politischer Relevanz fanden inVadstena statt, wie etwa die Weihe des Bischofs von Stavanger im Mai 1427 durchdie Bischöfe von Linköping, Skara und Växjö.633 Schließlich wurden auch die Kronenvon Erich und Philippa seit den frühen 1430er Jahren in Vadstena, in der St. Annen-Kapelle, aufbewahrt, von wo sie nur zu Krönungen entliehen werden sollten.634

Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass Erich, aufbauend auf Initiativen sei-ner Vorgänger, unterstützt von seiner Frau Philippa, in Birgitta eine Reichspatronin635

und in Vadstena ein geistiges und politisches Zentrum der nordischen Union sah.Möglicherweise beabsichtigte er, Vadstena, welches ja unbelastet von alten Beziehun-gen zu nur einem der skandinavischen Königstümer war, zu einem „Dynastiekloster“aufzubauen. Zwar scheiterten die Erbfolgepläne Erichs, der kinderlos starb und sei-nem Vetter Bogislaw IX. von Pommern die Nachfolge sichern wollte. Dennoch setztesein Nachfolger Christoph von Bayern das enge Verhältnis zu Vadstena fort.636 Dieenge Bindung von Vadstena an das Königtum bewirkte jedoch einen gewissen politi-

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629 DIARIUM, 374; OLESEN, Unionskönigtum, S. 18f.630 Hec fuit mater et fidelissima protectrix monasterii huius et tocius ordinis nostri., in: DIARIUM, 406.631 DIARIUM, 327, 334; OLESEN, Unionskönigtum, 19f.632 DIARIUM, 412; BERGLUND, ideal, S. 146; WALLIN, stiftelser, S. 68.633 DIARIUM, 379; OLESEN, Unionskönigtum, S. 20.634 DIARIUM, 641; BERGLUND, ideal, S. 144; OLESEN, Unionskönigtum, S. 24f.635 [. . . ] bte. Birgitte patrone sue [. . . ], in: KONUNG ERICHS SUPPLIKER, S. 139.636 Umfassend OLESEN, kongemagt, S. 187–197. Außerdem OLESEN, Unionskönigtum, S. 25f. Nur

verwiesen sei hier auf die auch politisch motivierten Bemühungen von Christoph um den Birgit-tenorden auch in Dänemark. Hierzu WALLIN, altarstiftelser, S. 33.

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Der schwedische Adel, das B rgertum, Vadstena und der Birgittenkult

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schen Bedeutungsverlust von Vadstena infolge des Niedergangs der K nigsmacht inden 1430er Jahren. Dieser, verursacht durch den Engelbrekt-Aufstand, wurde durchadeliges Engagement für Vadstena nur teilweise ausgeglichen und zeigte auch im re-ligi sen Bereich Konsequenzen.637

2.16. Der schwedische Adel, das Bürgertum, Vadstena undder Birgittenkult

Nicht nur dass schwedische K nigtum, sondern auch der weltliche und geistliche Adeldes Reiches war an Vadstena als Zentrum des Birgittenkultes interessiert. Schließlichhandelte es sich um den Kult um jene Frau, welche scharfe Kritik am K nig nichtscheute und selbst aus dem schwedischen Hochadel stammte.638 Diese hohe sozialeStellung Birgittas f rderte noch zu ihren Lebzeiten die Entstehung einer „Birgitta-partei“639, welche nach 1373 ihren Kult unter den Eliten Schwedens zu verbreitensuchte.640

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637 BERGLUND, ideal, bes. S. 150–153.638 Andererseits nahm Vadstena Anteil an der politischen Situation; Einträge im Diarium lassen darauf

schließen, dass die Klosterbewohner sehr gut über die politische Situation des Reiches informiertwaren. Die Schwäche der schwedischen K nigsmacht spiegelt sich so in den Klosterannalen wider.Vgl. den Eintrag vom 13. Oktober 1406: Item, eodem anno, die uno infra octavas canonizacionisbeate Birgitte obiit nobilis vir Knwt Boosson. Cuius pater, videlicet Boo Ioansson bone memorie,dapifer regni Swecie, fuit prepotens valde in diebus suis. Et quasi ad nutum eius omnia regebanturin regno. Nec rex, videlicet dominus Albertus, contra eum in aliquo prevaluit, quamvis aliquandoattemptavit., in: DIARIUM, 144.

639 Unter den nächsten Familienmitgliedern ist neben Katharina die bereits genannte Ingegerd zu nen-nen. Der Sohn Birgittas, Birger, welcher seine Mutter in Rom besucht und ins Heilige Land beglei-tet hatte, trat dem Kloster zwar nicht bei, wurde aber nach seinem Tod 1391 in Vadstena bestattet(DIARIUM, 57). Nach der Vita Katerinæ soll sich Karl bei Katharina beklagt haben, dass die-se Karls Ehefrau zu einem Leben als „Begine“ angestiftet habe: [. . . ] non es contenta, quod tebegwinam feceras, quin eciam vxorem meam tecum begwinam faceres et fabulam populorum., in:VITA KATARINÆ, S. 247 Wenn dies stimmt, muss das vor 1350 stattgefunden haben, da Katharinadanach ja in Rom lebte. Insofern bezeichnet „Begine“ sicher noch keine Lebensform bei Vadstenaoder einem anderen Kloster, sondern eher allgemein ein Leben in Bußgesinnung. Magister PeterOlafsson wurde kurz nach seiner Rückkehr nach Schweden nach Birgittas Tod Generalkonfessorin Vadstena, auch wenn dort die Brüder und Schwestern erst 1384 geweiht werden sollten; diesesAmt bekleidete er bis zu seinem Tode am 16. September 1378 (DIARIUM, 35. Peter wird bereits1378 als primus confessor generalis in Vastenom bezeichnet). Gudmar Frederiksson, der KaplanBirgittas, begleitete Birgittas Reliquien von Rom nach Vadstena und wurde Bruder von Vadstena,bis er 1389 im Kloster starb (DIARIUM, 48) Magnus Petri wurde schon mehrfach genannt. Am21. März 1396 starb er in Florenz im Ruf der Heiligkeit (DIARIUM, 35, 88; AP, S. 669; NYBERG,Danzig, S. 189–191. Der Bruder von Magnus, Johannes Peterson (Pætharson) und dessen FrauKaterina Brynnulfsdottir traten in Vadstena ein. Johannes stand ab 1369 den Bauarbeiten in Vad-stena vor, er starb 1405 in Vadstena. Seine Frau Katerina starb 1401 als Schwester in Vadstena.DIARIUM, 132:1, 135. BERGLUND, ideal, S. 89f.; MORRIS, Birgittines and Beguines, S. 168.

640 FRÖJMARK, Mirakler, S. 170f.; BERGLUND, ideal, bes. S. 15, 89, 91; WALLIN, proveniens,S. 291–297.

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160 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Besonders unter der Regierungszeit des Königs Albrecht III. wurde Vadstena zueiner Art ideellem Zentrum der hochadeligen Partei unter Bo Jonsson.641 Dies führ-te dazu, dass zahlreiche weibliche und männliche schwedische Adelige in Vadste-na eintraten642 oder sich hier bestatten ließen.643 Eine materielle Unterstützung vonVadstena durch Güterdonationen und Schenkungen durch die dem Kloster verbun-denen Adelsfamilien konnte von Norborg an mehreren hundert Einzelfällen belegtwerden.644 Auffallend ist somit, dass Vadstena also sowohl von einem starken schwe-dischen Königtum, gerade in Zeiten königlicher Schwäche aber vom Adel profitierthat.

Auch bürgerliche Familien Schwedens suchten Mitglieder in Vadstena unterzu-bringen.645 Während sich in den ersten Jahrzehnten nach 1384 die Schwestern vor

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641 Bo Jonsson war im Kloster hoch angesehen: vgl. DIARIUM, 144.642 Genannt seien für den Zeitraum von der Klostergründung bis 1450 etwa die Adeligen Anna Sna-

kanborgh (DIARIUM, 229), Birgitta Karlsdottir, die Tochter des Karl Knutsson (Birgitta Karlsdottirwurde am 1. Januar 1453 von ihrem Vater ins Kloster gegeben. DIARIUM, 640, 658), Knut Bosson(DIARIUM, 144) und Ingeborgh Gerdzdotthir, die Tochter des Herzogs Gerhard von Schleswig(Diarium, 169). Die Zahl der in jenem Zeitraum dem Kloster beigetretenen Adligen ist größer;aber nur die genannten Personen sind eindeutig im Diarium als Adlige identifizieren. Wallin iden-tifizierte für die Zeit von 1384–1399 sechzehn, für 1400–1449 vierzehn schwedische Adelige unterden Vadstenaschwestern. WALLIN, proveniens, S. 315.

643 Bengta Glysingsdotter (DIARIUM, 505, S. 327), Benedictus Poghwisch (DIARIUM, 431),Birgitta Bænctzdottir (DIARIUM, 314), Cecilia Nilsdotter (DIARIUM, 252), Cecilia Iohan-nis Hafthorson (DIARIUM, 200), Cristina Erikxdottir (DIARIUM, 321), Helga Bengtsdotter(DIARIUM, 74), Karolus Ulfsson von Tofta (DIARIUM, 183), Koort Nypriz (DIARIUM, 213),Gøzstavus Leekson (DIARIUM, 193), Gøzstafus Sturesson (DIARIUM, 543), Ingeborgh Magnus-dotter (DIARIUM, 50:4), Ingeburghis Stangaberxdottir (DIARIUM, 241), Ingegerdis Nilsdotter(DIARIUM, 243), Ingridis Siggesdotter (DIARIUM, 227), Kanutus Benctzson (DIARIUM, 316),Kanutus Stensson (DIARIUM, 623), Karolus de Thoptus (DIARIUM, 219), Margareta Bosdotter(DIARIUM, 232) und Sighridis Karlsdotter (DIARIUM, 414). Auch diese Aufzählung ist nicht voll-ständig und nennt nur die im Diarium als Adlige genannten Personen.

644 Der Höhepunkt der Schenkungsaktivität lag in den Jahren 1374 bis 1380, also in der Zeit, in wel-cher die Adelsopposition gegen Albrecht III. stärker wurde; bis 1400 gingen die Schenkungen dannzurück, stiegen aber im Zeitraum von 1410 bis 1420 – in welchem Erich von Pommern gegen einevon breiten gesellschaftlichen Schichten getragene Opposition an politischer Macht verlor – noch-mals an, um dann bis in das 16. Jahrhundert hinein kontinuierlich zurück zu gehen. Norborg konnteauch zeigen, dass der überwiegende Teil der Stifter aus Östergötland, teilweise aus Småland, alsodem Bistum Linköping; weniger aber aus Uppland oderWestergötland stammte. Die Kinder Birgit-tas, allem voran Birger, traten ebenfalls als wirtschaftlicher Förderer des Klosters hervor. Norborgtrug für seine Arbeit umfangreiches Quellenmaterial zur wirtschaftlichen Entwicklung von Vadste-na zusammen. Dieses Material befindet sich heute hauptsächlich im Königlichen Reichsarchiv vonStockholm. Ausdrücklich als Gönner genannt werden im Diarium aber nur etwa die in Vadstenaauch bestatteten Adligen Thyrkillus Haralzson und Ericus Nichlasson, DIARIUM, 112; NORBORG,Storföretaget, S. 32–44; BERGLUND, ideal, S. 90; WALLIN, stiftelser, S. 67f.

645 Nach Wallin traten von 1384–1399 drei, von 1400 bis 1449 achtzehn aus bürgerlichen Familienstammende Frauen in Vadstena ein. Die Zahl der nicht sicher als bürgerliche Personen identifizier-baren Frauen wird größer sein. WALLIN, proveniens, S. 315.

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Der schwedische Klerus, Vadstena und der Birgittenkult 161

allem aus dem Adel, aber auch dem Großb rgertum rekrutiert hatten, nahm der An-teil der Nonnen adeliger Herkunft im 15. Jahrhundert ab, während der Anteil derSchwestern b rgerlicher Herkunft nach 1400 langsam, nach 1450 stark anstieg. An-fangs traten B rgerstöchter und -witwen aus entfernteren Städten, etwa Skännige oderSöderköping, aber auch aus Dänemark, Norwegen, Kalmar oder J tland in das Vad-stenakloster ein; erst nach 1450 kamen vermehrt B rgerinnen aus der Stadt Vadstenahinzu.646 Die Mönche rekrutierten sich aus einem größeren Gebiet (Öster- und Väs-tergötland, Småland, die Bist mer Strängnäs und Skara) und waren bereits vor demOrdenseintritt häufig Priester.647

2.17. Der schwedische Klerus, Vadstena und derBirgittenkult

Der Klerus Schwedens sah spätestens nach 1391 in Birgitta eine Patronin Schwe-dens. Die Synode von Arboga beschloss 1396, den 7. Oktober als ihren Gedenktag zufeiern.648 Die Bem hungen des schwedischen Klerus um den Kult Birgittas setztenjedoch schon mit deren Tod ein. Da vor kurzem Heß ausf hrlich das Birgittabild inden fr hen Viten und deren Genese analysiert hat,649 werde ich ihre Ergebnisse hiernur zusammenfassen und dann andere Aspekte stärker betonen.

Bereits genannt wurde die 1373 verfasste Beichtvätervita, die Vita beate matris no-stre B., die von Peter Olafsson von Alvastra und von Peter Olafsson von Skännigeverfasst worden ist.650 Im Jahre 1378 entstand in San Lorenzo in Panisperna die Vi-ta Brigide, die sich von der Beichtvätervita in Teilen unterscheidet. Sie wurde voneinem brandenburgischen Geistlichen namens Nicolaus Misner, alias dictus Vogeler,vermutlich einem Kaplan von San Lorenzo, verfasst, der Birgitta persönlich gekannt

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646 SILFVERSTOLPE, Klosterfolket, S. 23–60 zu den Nonnen (Aufzählung); SILFVERSTOLPE, Klost-ret i Vadstena, S. 65–72; NYBERG, Birgittinerstädte, S. 41f.; WALLIN, proveniens, S. 315.

647 Exemplarisch f r die Anfangszeit des Klosters ist die b rgerliche Familie Bolk aus Skännige,welche mit Bischof Nikolaus Hermansson verwandtschaftlich verbunden war und deren Beziehungzu Vadstena rekonstruiert werden kann. Hartlev Bolk hat Birgitta in Rom besucht; seine TochterGerdeka war Schwester, ab 1403 Äbtissin in Vadstena. Hartlevs Frau wiederum trat als Witwein das Kloster ein. Auch Gerdekas Cousine Birgitta wurde Schwester in Vadstena, ihr Bruder,Kanoniker in Linköping, wurde in Vadstena begraben. DIARIUM, 57:2, 118:3, 210:1; BERGLUND,ideal, S. 92; SILFVERSTOLPE, Klosterfolket, S. 103–161 (Aufzählung).

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Item festum sanctæ Birgittæ patronæ nostræ, septima die mensis Octobris solemniter celebratur.in: DIARIUM VAZSTENENSE, S. 190. Die Wertung Birgittas als Patronin wird auch in mehrerenSuppliken deutlich, die die Bischöfe betreffs der Kanonisation Birgittas verfassten: [. . . ] beatebyrgitte patrone dicti regni swecie [. . . ], in: SUPPLIK TILL KONCILIET, S. 132; [. . . ] bte. brigidepatrone regni swecie [. . . ], in: SUPPLIK TILL NATIONEN, S. 133.

649 HESS, Heilige, S. 114–154.650 BEICHTVÄTERVITA; HEß, Heilige, S. 114f.

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162 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

hatte.651 Basierend auf der Beichtvätervita, aber unter teils wörtlicher Berücksichti-gung der Vita Brigide aus San Lorenzo entstand um 1380 die Prozessvita, die Eingangin die 1380 bis 1384 redigierten Kanonisationsakten fand.652

Heß, die die Beichtvätervita und eine dazugehörige Wundersammlung eingehendanalysiert hat, konnte nachweisen, dass der Schwerpunkt der Texte auf der schwedi-schen Zeit Birgittas liegt. Im Vordergrund steht Birgittas Leben und (Wunder)wirkenals Witwe. Jene Witwenschaft wird als eigentlicher Beginn ihres religiösen Lebensverstanden, die Tugenden des vorherigen Lebensabschnittes lediglich als „Hinfüh-rung“. In den Birgitta postmortal zugeschriebenen Wundern wird wiederum ein Hei-ligenbild gezeichnet, dass Birgitta als adelige, aber volksnahe Heilige charakterisiert.Viele dieser Wunder sind jedoch personell, strukturell und inhaltlich zu zweifelhaftoder ungenau, so dass sie im Kanonisationsprozess keine Berücksichtigung fanden.Es ging vielmehr darum, eine fama sanctitatis der Birgitta speziell für Schweden zuentwerfen.653 Die Vita Brigide legt ihren Schwerpunkt ebenfalls auf die schwedischeZeit Birgittas und berichtet ganz überwiegend von dort geschehenen Wundern in vitaund post mortem. Heß begründet das damit, dass diese an ein italienisches Publikumgerichtete Vita die Kenntnis des 1376 entstandenen Wunderberichtes aus dem BistumNeapel und die Kenntnis der italienischen Wunder in der Beichtvätervita vorausge-setzt hat. Dagegen sollte das den Italienern fremde Schweden als Heimat Birgittasvorgeführt werden. Entsprechend werden „aufregende“ Begebenheiten berichtet: ver-hexte und deshalb unsterblich verliebte Priester, ungetaufte Kinder, heimliche Hei-den, von Dämonen besessene Menschen, Teufelserscheinungen.654 Das Birgittabildder Vita Brigide zeichnet ein Bild von einer Frau, die sich überall einmischte, vonihrer göttlichen Legitimation dazu fest überzeugt war und in ihren männlichen Be-gleitern eher „Befehlsempfänger“ als Kontrollinstanzen sah. Es ist gut möglich, dassdieses Bild auf persönlichen Erfahrungen des Autors der Vita mit oder auf Augenzeu-genberichten von Birgitta in Rom basiert.655

Die Prozessvita verbindet die beiden genannten Viten. In ihr wird die Ehe undMutterschaft der Birgitta nur nebenbei erwähnt;656 im Tod von Ulf wird dann derentscheidende (Wende)Punkt des „wirklichen Lebens“ Birgittas gesehen, das durchständige Kommunikation mit Gott und Maria, mit Pilgerfahrten und Offenbarungengeprägt ist. Wie in der Beichtvätervita wird der Zeit von Ulfs Tod bis zur Abreise nachRom wesentlicher Platz eingeräumt.657 Neben den genannten Viten entstanden weite-re lateinische Birgittaviten bzw. -legenden. Anlässlich der Überführung der GebeineBirgittas nach Schweden verfasste Bischof Nikolaus Hermansson von Linköping, der

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651 VITA BRIGIDE; HESS, Heilige, S. 130f.652 PROZESSVITA; HESS, Heilige, S. 142.653 HEß, Heilige, S. 114–130, bes. 129f.654 VITA BRIGIDE, S. 627–633.655 HESS, Heilige, S. 130–142.656 PROZESSVITA, S. 77.657 BEICHTVÄTERVITA, S. 16–23; PROZESSVITA, S. 81–94.

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Der schwedische Klerus, Vadstena und der Birgittenkult 163

ehemalige Lehrer der Kinder Birgittas, das Reimoffizium Rosa rorans,658 in welchemeine Vita Birgittas enthalten ist. Dieses Offizium mit der auf der Beichtv tervita ba-sierenden Vita war in Schweden weit verbreitet. Weniger bekannt war die vermutlichin den sp ten 1370er Jahren entstandene Legenda Sancte Birgitte des Erzbischofs vonUppsala Birger Gregersson. Seine Birgittavita orientiert sich an der Beichtv tervi-ta und dem Offizium des Nikolaus und blieb nur in drei Handschriften aus dem 15.Jahrhundert erhalten.659 Das ursprünglich wohl mit der Birgittavita verbundene, ver-mutlich 1376 verfasste Offizium Birgitta, matris inclitiae660 des Birger fand dagegenweitere Verbreitung. Vermutlich auf der Beichtv tervita basierte eine um 1400 von ei-nem anonymen Autor verfasste Vita abbreviata. Diese war wiederum Grundlage einervon Ragwald Anundi in Versform übertragenen Vita metrice.661

Bedeutender als diese lateinischen Bearbeitungen wurde zumindest für Vadstenaund das dortige Birgittabild eine altschwedische Vita abbreviata.662 Sie war den Be-wohnern von Vadstena sicher bekannt, denn sie steht in unmittelbarem Zusammen-hang zu den vorgeschriebenen Lesungen des Sermo angelicus.663 Die Vita entstandwohl vor 1391, da sie den erfolgreichen Abschluss der Kanonisation nicht erw hnt.Vorlage war wohl auch hier die Beichtv tervita, doch weist sie bemerkenswerte Ei-genheiten auf. So wird als zentrales Konversionsereignis weniger die Berufungsvisionin den Vordergrund gestellt, sondern eine besonders gr ssliche Teufelsvision mit demanschließenden Versprechen Christi, dass Birgitta in Zukunft nur noch himmlische Vi-sionen erhalte. Das Leben Birgittas in Schweden steht ganz eindeutig im Vordergrund,der Romaufenthalt wird als zwar notwendiger, aber „exotischer“ Teil der VerdiensteBirgittas gewertet. Entsprechend fehlt auch nicht die Bemerkung für Romunkundige,dass in Rom viele Kirchen sehr weit voneinander entfernt l gen, so dass der t glicheKirchgang Birgittas als großes Verdienst zu werten sei.664 Lediglich in dieser Vitawerden das politische Wirken und der Plan Birgittas, an einem Sturz von König Ma-gnus mitzuwirken, beziehungsweise diesen zu veranlassen, betont. So wertet die VitaBirgittas Kritik an unrechten Königen und sündhaften Adeligen als Verdienst; Johan-nes der T ufer versichert Birgitta, dass ihr Sohn himmlischen Beistand erhalte, sollteer den schwedischen Thron erstreben. Letzteres habe Birgitta dann aber aus Demut

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658 NICOLAUS ROSA RORANS, S. 36–53; HEß, Heilige, S. 110.659 BIRGERUS GREGORIUS, LEGENDA; REBER, Kulte, S. 59f.; EKWALL, Birgittavita, S. 11. Die

Abh ngigkeit der Vita Gregerssons von der Beichtv tervita wird besonders in den Kindheitserz h-lungen deutlich. Vgl. BIRGERUS GREGORIUS, LEGENDA, S. 12–15 und PROZESSVITA, S. 74–77.NYBERG, Tore: Birger Gregersson, LThK 2, Sp. 478.

660 BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, S. 177–243. Auszüge aus dem Officium sind auch in denANALECTA HYMNICA MEDII AEVI Bde. 25 (1897), 42 (1903), 43 (1903) und 52 (1909) ediert.Vgl. auch HEß, Heilige, S. 110.

661 VITA METRICE; REBER, Kulte, S. 60; KRUSE, Vita metrica, S. 4–9, 27.662 Diese ist unediert und wurde von Heß anhand der Überlieferung in der Handschrift A33 der Kö-

niglichen Bibliothek Stockholm ausgewertet.663 HEß, Heilige, S. 174.664

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Thy at langir wægir ær ther mællan somlika kirkionar [. . . ], nach HESS, Heilige, S. 178.

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164 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

abgelehnt. Insgesamt ist diese altschwedische Vita deutlich an „klassischen“ Heili-genviten orientiert, verwendet also übliche Demutstopoi wie Birgittas entschiedeneWeigerung, die Ehe einzugehen. Zugleich entwirft die Vita ein eigenes, von den la-teinischen Viten verschiedenes Birgittabild, das politisch den ersten Bewohnern vonVadstena sicher nahestand, ist es doch königskritisch und betont das „innenpolitisch-schwedische“ Engagement Birgittas.665

In allen schwedischen Bistümern sowie in den Bistümern Aarhus, Kopenhagen,Roskilde, Trondheim und Köln wurde im ausgehenden 15. Jahrhundert, sicher äl-teren Traditionen folgend, Birgittas Kanonisationstag, die canonizatio, am 7. Okto-ber; im Bistum Linköping auch ihr Festtag natalis, der 23. Juli, und ihre translatio,der 28. Mai, gefeiert. An diesen Festtagen wurden in den Kathedralen und Pfarr-kirchen des Erzbistums Uppsala, nicht jedoch in Vadstena selbst, die Offizien desBirger Gregersson und des Nikolaus Hermansson verwendet. Dabei gab es sehr wahr-scheinlich regionale Unterschiede; das Offizium von Nikolaus wurde vermutlich inden Bistümern Linköping, Skara und Åbo verwendet, das von Birger dagegen in denBistümern Uppsala, Strängnäs, Västerås. 666

Die Darstellung Birgittas in diesen liturgischen Offizien, welche an diesen Festta-gen gelesen worden sind, hatte also Einfluss auf das Bild, welches weite Teile derschwedischen Geistlichkeit und über sie wohl auch die Bevölkerung von Birgitta be-kamen. Dabei ist anzunehmen, dass die Offizien nur auszugsweise gelesen wurden, dader Gesamttext recht lang und teilweise sehr theologisch formuliert ist.667 Interessantist Birgers Offizium Birgitta, matris inclitiae im Hinblick auf die darin Birgitta zu-geschriebenen Tugenden. Neben den Tugenden der Keuschheit, Demut, Askese, demFasten, der Armensorge und freiwilligen Armut668 sowie übernatürlichen Fähigkei-ten669 feiert das Offizium Birgitta als Prophetin und Braut Christi,670 aber auch alsmater ecclesiae,671 consolatrix patrie,672 pax et decus Osgocie,673 decor regni Sue-cie.674 Birger sieht in seinem Offizium Birgitta nicht nur als Heilige der Kirche undSchwedens, sondern auch eine Heilige für alle Frauen, da sie selber Jungfrau, Ehefrauund Witwe gewesen war.675 Nikolaus thematisiert im Offizium Rosa rorans Birgittas

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665 HESS, Heilige, S. 173–181.666 PIRA, helgonkulten, S. 106; BORGEHAMMAR, Birgittabilden, S. 308; NILSSON, Rosa rorans,

S. 12, 14; BERGLUND, ideal, S. 106. Vgl. HELANDER, Ordinarius Lincopensis, S. 45; SACH-ETNIK, Ołtarz z krucyfiksem, S. 345.

667 NILSSON, Rosa rorans, S. 170.668 Etwa BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, S. 201f., 212, 216, 234.669 Etwa die Gabe, den eigenen Tod vorherzusehen: BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, S. 221.670 Etwa BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, S. 214, 233.671 BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, S. 177, 187.672 BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, S. 178.673 BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, S. 183.674 BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, S. 180.675 BIRGERUS GREGORIUS, OFFICIUM, Die Lesungen II (S. 188–191), III (S. 191–193), IV (S. 196–

198) zu Birgitta als Jungfrau; die Lesungen V (S. 199–202), VI (S. 203–206) zu Birgitta als Ehe-

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Der schwedische Klerus, Vadstena und der Birgittenkult 165

adelige Herkunft, ihre Kindheit mit den bereits in der Beichtv tervita überliefertenOffenbarungen, ihr Eheleben und ihre caritas.676 Großen Wert legt Nikolaus auf dieOffenbarungen Birgittas von Christus, Maria und Heiligen sowie auf ihre Revelatio-nes. 677 Neben der asketischen Praxis werden Birgittas Aufenthalt in Rom und ihrePilgerfahrt nach Jerusalem, abschließend außerdem die postmortal gewirkten Wundergenannt. Auffallend ist im Offizium die Bedeutung der marianischen Bezüge Birgittas– ihre Verkündigung der Jungfrau und Gottesmutter in Leben und Werk, die Verkün-digung der unbefleckten Empf ngnis Mariens.678

Die Verehrung Birgittas in der Liturgie fand ihr Zentrum notwendigerweise in Vad-stena, war doch Birgitta die Patronin des Klosters und des Ordens.679 Auch hier wa-ren die birgittinischen Festtage von zentraler Bedeutung für die Kultgestaltung. DasKalendarium Munkalivense, das lteste erhaltene Kalendarium des Birgittenordens,wurde vor 1455 höchstwahrscheinlich in Munkaliv, Norwegen, aber nach Vorlagenaus Vadstena verfasst. Darin sind vier birgittinische Festtage belegt: Translacio BeateBirgitte am 28. Mai, Natalis Beate Birgitte am 23. Juli, Canonizacio Beate Birgitteam 7. Oktober und Octaua s. Birgitte am 14. Oktober. Die drei erstgenannten Festta-ge waren mit dem höchsten Festgrad totum duplex ausgezeichnet; der letztgenannteFesttag besaß den Festgrad simplex. Am 16. Oktober wurde nach dem Kalendariumüberdies das Festum dedicacionis monasterij Watztenensis totum duplex gefeiert.680

An diesen sicher in Vadstena gefeierten Festtagen wurden die bereits diskutiertenOffizien nicht verwendet, auch wenn sie wohl bekannt waren.681 Die Liturgie die-ser Festtage ordnete sich der Liturgie des Klosters unter, die wiederum Birgitta ehermarginal thematisiert hat. Es ist wesentlich, dass sich in der Klosterkirche nach derKonzeption Birgittas die Liturgien der Brüder und Schwestern erg nzen sollten. Da-bei folgten die Brüder der Liturgie des Bistums, also der von Linköping, w hrend dieLiturgie der Schwestern stark marianisch gepr gt war. Beide Liturgien waren zeitlichversetzt. W hrend in anderen Stifts- und Ordenskirchen vor dem eigentlichen Offizi-um das Officium parvum Beate Marie virginis gesungen wurde, war es in Vadstenaumgekehrt: auf das Stiftsoffizium der Brüder folgte der Cantus Sororum.682 Letztererbasierte auf dem Officium parvum Beate Marie virginis, das Birgitta sehr wahrschein-

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frau; die Lesungen VII (S. 209–212), VIII (S. 213–217), IX (S. 218–224) zu Birgitta als Witwe;BORGEHAMMAR, Birgittabilden, S. 304f.

676 NICOLAUS ROSA RORANS, S. 38 zu adeligen Herkunft, S. 39f. zur Kindheit, S. 40 zu Ehe undcaritas. Vgl. BEICHTVÄTERVITA, S. 11–14.

677 NICOLAUS ROSA RORANS, S. 40f. zu den Offenbarungen, S. 43–49 zu den Revelationes.678 NICOLAUS ROSA RORANS, S. 45; BORGEHAMMAR, Birgittabilden, S. 306f.; NILSSON, Rosa

rorans, S. 35.679 [. . . ] huius ordinis specialis patrona [. . . ], in: SUPPLIK TILL KONCILIET, S. 132. Ebenso APS

1.2, Nr. 1029 (ein Begehren der Äbtissin von Vadstena in einer Finanzsache an einen Bischof von1413). Darin: [. . . ] sanctissima patrona nostra Birgitta [. . . ].

680 KALENDARIUM MUNKALIVENSE, S. 86f.; COLLIJN, Kalendarium, S. 89–92.681 NILSSON, Rosa rorans, S. 12, 14.682 SERVATIUS, Cantus Sororum, S. 19–21; PATRICIA, Cantus Sororum, S. 165f.

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166 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

lich gekannt und gebetet hat und war von Birgitta und Magister Peter in Rom für dieLiturgie des zu gründenden Klosters in Vadstena zusammengestellt worden, wo erseit Gründung des Schwesternkonventes Verwendung fand. Angelegt auf eine Woche,basiert der Cantus Sororum auf sieben Tagesoffizien, gerichtet an die Jungfrau Ma-ria. Dabei ist jedes Tagesthema dem Sermo angelicus entnommen.683 Ergänzt wurdedie Liturgie der Schwestern durch den Psalter, der jede Woche vollständig gesungenwurde. Damit war die Struktur der Schwesternliturgie vorgegeben, die kaum Platz fürdas Gedächtnis an Birgitta ließ.684 In Bezug auf dieses ist lediglich das tägliche Suf-fragium de sancta Birgitta relevant, welches sowohl in der Laudes685 als auch in derVesper686 eingefügt worden war. Darin wurde Birgitta als sponsa Christi prædilec-

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683 Die Themen der 21 Lesungen nach dem Sermo angelicus verteilen sich wie folgt: Domenica: Drei-einigkeit, Freude Gottes auf die zukünftige Geburt und das Wirken Mariens. Feria II: Schöpfung,Freude der Engel über die zukünftige Geburt und das Wirken Mariens. Feria III: Die Patriarchenund Propheten freuen sich auf die zukünftige Geburt Mariens. Feria IV: Maria Verkündigung, Ge-burt Jesu. Feria V: Leiden Mariens bei dem Leiden und Kreuz Jesu. Sabbato: Maria Leben undWerk, Tod und Auferstehung ihres Sohnes, Tod und Himmelfahrt Mariens. SERVATIUS, CantusSororum, S. 11, 21.

684 Ad Matutinam: Invitatorium, Hymnus, Antiphona 1–3 (Psalmi), Lectio 1–3 (Sermo angelicus)mit Responsorium, Te Deum. Ad Laudes: Antiphona, Psalmi, Hymnus, Antiphona, Benedic-tus, Suffragium de sancta Birgitta, Benedicamus cum tropis, Antiphona Ave Maria. Ad Pri-mam/Tertiam/Sextam/Nonam: Hymnus, Antiphona, Psalmi, Responsorium breve, Antiphona AveMaria. Ad Vesperas: Hymnus Ave maris stella, Antiphona, Psalmi, Hymnus, Antiphona, Magnifi-cat, Suffragium de sancta Birgitta, Benedicamus cum tropis, Antiphona Ave Maria. Ad Comple-torium: Antiphona, Psalmi, Responsorium breve, Hymnus, Antiphona, Nunc dimittis, Laus BeateMarie Virginis. Nach SERVATIUS, Cantus Sororum, S. 22, 24.

685 >Suffragium de B. Birgitta festivis diebus dicendum< Sponsa regis, doctrix legis,/ exempla sequensfortium,/ o Birgitta, rubra vitta/ tuum ligasti labium,/ dum loquendo vel tacendo/ amasti Dei filium./Ora Regem, ut nos gregem/ ducat ad celi gaudium. >De eadem diebus simplicibus< Gaude Birgittacanticum/ tibi debetur gloria/ deduc in refrigerium/ de lacu nos miserie./ >Versiculus< Ora pronobis beata Mater Birgitta sponsa Christi predilecta (alleluia), >Responsorium< ut ad celestempatriam sit ipse nobis via recta (alleluia). /Oratio/ Domine Jesu Christe, qui beatam Birgittampropter multorum secretorum inspirationem, et singularem virtutum adornationem, sponsam tuamvocari decrevisti, presta quesumus, ut eidem in vita et moribus conformemur, et cum ea de mundiillecebris ad visionem celestium transferamur. Qui vivis et regnas cum Deo Patre in unitate SpiritusSancti Deus. Per omnia secula secularum. Amen., in: BIRGITTA/ PETRUS, OFFICIUM PARVUM (I),S. 22, darauf verweisend S. 76, 116; BIRGITTA/ PETRUS, OFFICIUM PARVUM (II), S. 22, 60, 100,142, 144. Vgl. auch BREVIARIUM ORDINIS SS. SALVATORIS, S. 35f.

686 >De S. Birgitta Antiphona ad Vesperas, Festis diebus post primam collectam dicenda< O Birgittamyrrhae gutta,/ exemplar continentie,/ confecisti plebi tristi/ emplastrum penitentie,/ dum scrip-sisti verba Christi/ tu nova lux Ecclesie,/ esto nutrix, esto tutrix/ tibi prone familie. >De eademferialibus diebus< Rosa rorans bonitatem,/ Stella stillans clariatem,/ Birgitta, vas gratie,/ Roraceli pietatem,/ Stilla vite puritatem/ In vallem miserie. >Versiculus< Ora pro nobis beata Ma-ter Birgitta sponsa Christi predilecta (alleluja), >Responsorium< ut ad celestem patriam sit ipsenobis via recta (alleluja). >Oremus< Deus qui Ecclesiam tuam per beatam Birgittam sacris illu-minare dignatus es consilijs et exemplis, concede propitius ejus intercessione, ut que pro nostrispurgandis excessibus clementer ei revelasti, devotis mentibus exequamur. Per Dominum nostrumJesum Christum, etc. Amen., in: BIRGITTA/ PETRUS, OFFICIUM PARVUM (I), S. 50, 52, darauf

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Der schwedische Klerus, Vadstena und der Birgittenkult 167

ta, als myrrhae gutta, exemplar continentiae, doctrix legis, exempla sequens fortium,nova lux Ecclesiae esto nutrix, esto tutrix gefeiert.687

Neben dem Ged chtnis an Birgitta in der Liturgie sind die Predigten von Interesse,die in Vadstena an den birgittinischen Festtagen Translacio, Natalis und CanonizacioBeate Birgitte gehalten worden sind. Von den heute in Uppsala in der C-Sammlungerhalten gebliebenen 5000 Predigten aus Vadstena688 konnte ich 59 Predigten identi-fizieren, die sicher in Vadstena in der Zeit von 1400 bis 1460 entstanden sind und sichauf Birgitta beziehen.689 Leider sind von diesen Predigten nur zwei ediert,690 vielesind außerdem nur teilweise oder stark besch digt erhalten, so dass die frühe Dar-stellung Birgittas durch die Birgittinermönche in den Predigten bisher noch nicht ein-gehend untersucht worden ist. Lediglich Hedlund hat allgemein in der C-Sammlungerhaltene Birgittapredigten ausgewertet, dabei aber innerhalb und außerhalb Vadsten-as entstandene Predigten aus dem gesamten 15. Jahrhundert berücksichtigt.691

Bemerkenswert ist, dass bei drei birgittinischen Festtagen im Jahr für den Zeitraumvon 1400 bis 1460 der Umfang von 59 Predigten recht gering ist, umso mehr, als dassmehrere Predigten voeinander kopiert wurden.692 Ich gehe davon aus, dass die la-teinisch überlieferten Predigten Vorlagen für volkssprachliche Predigten in der Klos-terkirche von Vadstena gewesen sind. Schließlich war ja bereits von Birgitta in ihrerregula ausdrücklich gefordert worden, an Sonn- und Feiertagen in der Klosterkirchevon Vadstena für alle Klosterbewohner, aber auch für die Besucher in der Volkss-prache zu predigen. Außerdem war es im Sp tmittelalter üblich, Predigtvorlagen aufLateinisch zu verschriftlichen, aber in der Volkssprache zu halten.693

Ein Großteil der von mir herangezogenen Quellen l sst sich anhand von eindeu-tigen Hinweisen, meist in Form von Angaben des Predigtanlasses,694 einem der bir-

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verweisend S. 90, 92, 132; Birgitta/ Petrus, Officium parvum (II), S. 36, 74, 76, 114, 116, 160. Vgl.auch BREVIARIUM ORDINIS SS. SALVATORIS, S. 79.

687 BREVIARIUM ORDINIS SS. SALVATORIS, S. 35f., S. 79.688 BERGLUND, ideal, S. 49. Bei weitem nicht alle Predigten ußern sich aber zu Birgitta.689 Auf Grundlage des Kataloges der C-Sammlung von Andersson-Schmitt u.a., der jedoch teilweise

fehlerhaft und unvollst ndig ist. Bei der Datierung der Handschriften bin ich den Angaben vonAndersson-Schmitt u.a. gefolgt. Vgl. ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 1, S. 91, 108, 124,151, 168, 322; ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 2, S. 79, 186; ANDERSSON-SCHMITT,Handschriften 3, S. 186, 248, 313; ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 4, S. 18, 23, 33, 52, 72,91, 127, 129, 186, 244, 271, 303, 315, 328, 378, 395, 405, 410, 541, 566, 601, 630; ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 5, S. 7, 12; ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 8, S. 25.

690 CORONA AUREA SUPER CAPUT EIUS ediert nach UUB C 312, f. 161r–163r, und UUB C 48,f. 246v–249v, (vermutlich nach 1450) von Frederiksson – vgl. CORONA AUREA SUPER CAPUT

EIUS. Auch in C 335, f. 284vb–287vb, enthalten. Fragmentarisch (nur der Anfang mit Initium) inUUB C 392, f. 166r–v. IN CANONIZACIONE BIRGITTE nach UUB C 335, f. 237v–241r. JüngereAbschriften davon, u.a. in UUB C 306, f. 275v–278v, (vor 1450). VITALIS, In canonizacione,S. 15–19.

691 HEDLUND, Vadstenapredikanter.692 Etwa UUB C 259, f. 59r–61r, abgesehen vom Titel identisch mit UUB C 311, f. 95r–98r; ebenso

sind UUB C 396, f. 246r–251v und UUB C 326, f. 138ra–141ra, sehr hnlich.693 RS, cap. 15, S. 121; HEDLUND, Vadstenapredikanter, S. 311; RONCIÈRE, Glaubensunterweisung,

S. 373.694 Meist in der Form Jn canonizacione beate birgitte; Jn translacione beate birgitte oder Natale beate

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168 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

gittinischen Festtage zuordnen. Demnach entfallen auf die Canonizacio 23 der 59herangezogenen Predigten,695 auf Natalis elf696; auf Translatio sieben697. ZwanzigPredigten lassen sich nicht eindeutig zuordnen oder sind Birgitta allgemein gewid-met.698 Wie bereits Hedlund zeigen konnte, sind die Predigten Birgitta betreffendsehr konservativ. Birgitta als Prophetin wird nur marginal thematisiert; auch wenn ih-re Revelationes für die Birgittenpriester von großer Autorität, göttlich inspiriert, denKirchenvätern oder gar dem Evangelium vergleichbar, waren.699 Die von Birgitta ge-wirkten Wunder und ihre Revelationes werden sehr unkritisch von den Vadstenapries-tern verwendet.700 Häufiger ist die Bezeichnung Birgittas als sponsa Christi,701 wobei

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birgitte.695 Es handelt sich um die Predigten der UUB C 9, f. 192r–195r; UUB C 9, f. 199v–204v; UUB

C 9, f. 224r–227r; UUB C 16, f. 175v–180v; UUB C 306, f. 275v–278v; UUB C 318, f. 14r–19r; UUB C 318, f. 106v–113v; UUB C 318, f. 162r–166r; UUB C 326, f. 138ra–141ra (sehrwahrscheinlich, da die Predigt zwar nicht eindeutig bestimmt, aber UUB C 396, f. 246r–251v starkähnelt, die für Canonizacio bestimmt war); UUB C 331, f. 97v–103r; UUB C 331, f. 138v–143r;UUB C 331, f. 172v–178r; UUB C 331, f. 281v–288v; UUB C 335, f. 284vb–287vb; UUB C343, f. 191r–198r; UUB C 392, f. 166r–v; UUB C 392, f. 178r–v; UUB C 392, f. 283r–287r;UUB C 396, f. 93r–96r; UUB C 396, f. 238r–245v; UUB C 396, f. 246r–251v; CORONA AUREA

SUPER CAPUT EIUS; IN CANONIZACIONE BIRGITTE.696 Die Predigten der UUB C 9, f. 37r–39r; UUB C 9, f. 192r–195r (mit De canonizacione sancta

birgitte uel natali überschrieben); UUB C 9, f. 205r–207v; UUB C 311, f. 212r–214v; UUB C312, f. 267r–271v; UUB C 326, f. 273vb–276rb (sehr wahrscheinlich, da der Tod von Birgittabehandelt wird); UUB C 331, f. 12r–16v; UUB C 349, f. 356r–358r; UUB C 349, f. 432r–435v;UUB C 392, f. 164r–v und UUB C 396, f. 221r–224r.

697 Die Predigten der UUB C 9, f. 205r–207v (mit De sancta Birgitta in eius translacione uel nataliüberschrieben); UUB C 331, f. 211v–214r; UUB C 335, f. 225va–228rb; UUB C 349, f. 424r–427v; UUB C 386, f. 302r–304v; UUB C 392, f. 163r-v und UUB C 396, f. 232r–237v.

698 Die Predigten der UUB C 9, f. 215r–218r; UUB C 9, f. 301r–304v; UUB C 16, f. 143r–148v;UUB C 16, f. 161v–163v; UUB C 259, f. 59r–61r; UUB C 306, f. 20r–26r; UUB C 306, f.98r–101v; UUB C 306, f. 211v–214v; UUB C 306, f. 215v–219v; UUB C 306, f. 247v–251v;UUB C 311, f. 95r–98r; UUB C 312, f. 295v–298r; UUB C 326, f. 83rb–86rb; UUB C 335, f.156va–159vb; UUB C 349, f. 428r–431r; UUB C 386, f. 353r–356v; UUB C 386, f. 443r–446v;UUB C 386, f. 477v–481v; UUB C 401, f. 84v–86v, und UUB C 401, f. 86v–88v.

699 HEDLUND, Vadstenapredikanter, S. 311, 319–321, 326f.; SAHLIN, Birgitta, S. 212f. Eine genaueAnalyse der den Revelationes entnommenen Texte in den in Vadstena entstandenen Predigten sollund kann nicht Aufgabe dieser Arbeit sein. Zu erwähnen ist aber, dass in knapp 100 Handschriftender C-Sammlung der UUB mehr als 300 Zitate aus den Revelationes belegt sind. ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 7, S. 23f.

700 Besonders deutlich in UUB C 9, f. 37r–39r; UUB C 9, f. 199v–204v; UUB C 9, f 224r–227r;UUB C 259, f. 59r–61r; UUB C 306, f. 247v–251v; UUB C 311, f. 95r–98r; UUB C 311, f.212r–214r; UUB C 312, f. 267r–271v; UUB C 312, f. 295v–298r; UUB C 326, f. 83rb–86rb;UUB C 335, f. 156va–159vb; UUB C 349, f. 356r–358r (bes. f. 357r–v); UUB C 386, f. 443r–446v; UUB C 386, f. 443r–446v; UUB C 386, f. 477v–481v; UUB C 396, f. 232v–237v, f. 236r;UUB C 401, f. 86v–88v; CORONA AUREA SUPER CAPUT EIUS.

701 Sehr ausgeprägt in UUB C 9, f. 224r–227r; aber auch UUB C 9, f. 37r–39r; UUB C 259, f. 59r–61r; UUB C 326, f. 138ra–141ra; UUB C 335, f. 156va–159vb; UUB C 396, f. 93r–96r; UUBC 396, f. 232v–237v, f. 235r; UUB C 396, f. 246r–251v.

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Der schwedische Klerus, Vadstena und der Birgittenkult 169

hier zu betonen ist, dass der Begriff immonastischen Kontext h ufiger verwendet wur-de und nicht Birgittas Stellung als Prophetin ad quat wiedergibt. In die traditionelleGestaltung der Predigten Birgitta betreffend passt deren wiederholter Verweis auf dieJungfrau Maria.702 So stellt etwa die Predigt C 9, f. 199v–204v anl sslich der Cano-nisacio Eva als die Frau, die die Sünde in die Welt brachte und Maria, die den Erlösergebar, gegenüber. Neben den Revelationes werden dabei mehrfach die Schriften vonBirgittas Beichtvater Mathias von Linköping als Beleg angeführt.703 Eine Predigt zuBirgitta mit dem Initium Corona aurea super caput eius wurde vor 1450 vermutlich fürden Kanonisationstag verfasst. Die Frau mit der goldenen Krone, in der Predigt zu-n chst mit der Gottesmutter Maria identifiziert, wird darin zu einem Bild für Birgitta,die Krone ein Symbol für Christus und sein Reich. Birgitta, so die Predigt, habe sichdiese Krone bewahrt, indem sie die von Maria vorgelebten Gebote – Demut, Armut,Keuschheit, Caritas, Barmherzigkeit und Best ndigkeit – gelebt habe.704

Inhaltlich und strukturell folgte ein großer Teil der Vadstenapredigten zu Birgittazwei entscheidenden Vorbildern. Zum einen hatte die Kanonisationspredigt von PapstBonifatius IX. mit der Gegenüberstellung von Birgitta und Judith, der Gedanke dermulier fortis, großen Einfluss auf die Predigtproduktion in Vadstena.705 Für die Zeitvor 1450 sind 16 Predigten zu identifizieren, die von einem Initium aus dem Iudith-buch ausgehen beziehungsweise in der Predigt das Iudithbuch – auf Birgitta bezogen– zitieren.706 Dabei ist die Bezeichnung mulier fortis nicht nur in diesen Predigten fürBirgitta h ufig anzutreffen.707

Neben diesem eher inhaltlichen Vorbild orientierten sich die Priester Vadstenasbeim Verfassen von Predigten zu Birgitta an kontinentalen Vorbildern. Konkret han-delt es sich in mehreren F llen um das Vorbild einer im frühen 15. Jahrhundert mehr-fach überlieferten Predigt zu Elisabeth von Thüringen mit einem eher klassischen Hei-

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702 Besonders in UUB C 9, f. 199v–204v; UUB C 312, f. 161r–163r; UUB C 331, f. 172v–178r;UUB C 349, f. 428r–431r; UUB C 386, f. 302r–304v; UUB C 386, f. 353r–356v.

703 UUB C 9, f. 199v–204v.704 CORONA AUREA SUPER CAPUT EIUS, S. 19–24; FREDERIKSSON, Corona, S. 9, 11; HEDLUND,

Vadstenapredikanter, S. 319.705 Sehr deutlich wird der Vorbildcharakter der Papstpredigt in UUB C 16, f. 175v–180v; UUB C

331, f. 138v–143r, bes. f. 140r; C 349, f. 356r–358r (bes. f. 357r-v.); C 392, f. 178r-v. Über drei-ßig Predigten des 15. Jahrhunderts zu Birgitta zitieren nach Hedlund das Juditbuch. HEDLUND,Vadstenapredikanter, S. 316f., 322.

706 UUB C 9, f. 199v–204v; UUB C 16, f. 161v–163v; UUB C 16, f. 175v–180v; UUB C 295, f.59r–61r; UUB C 306, f. 98r–101r; UUB C 311, f. 95r–98r; UUB C 311, f. 212r–214v; UUB C312, f. 267r–271v; UUB C 331, f. 211v–214r; UUB C 331, f. 138v–143r, bes. f. 140r; UUB C349, f. 356r–358r (f. 357r. zu Judith und Holofernes, Vergleich Judith und Birgitta); UUB C 386,f. 353r–356v; UUB C 392, f. 166r–v; UUB C 396, f. 238r–245v; UUB C 401, f. 84v–86v; INCANONIZACIONE BIRGITTE.

707 Etwa UUB C 16, f. 161v–163v; UUB C 259, f. 59r–61r, bes. f. 59v; UUB C 311, f. 138v–143r,bes. f. 141r; UUB C 349, f. 356r–358r. Die Predigt In canonizacione Birgitte ist unter dieser Grup-pe insofern originell, als dass sie über die einzelnen Buchstaben des Namens Birgitta meditiert. INCANONIZACIONE BIRGITTE, S. 33–38.

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170 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

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ligenideal auf christlichen Tugenden beruhend. In dieser sowohl in Vadstena, heuteUppsala, als auch in Wolfenb ttel berlieferten Predigt zu Elisabeth ist das markanteInitium Ora pro nobis quoniam mulier sancta es aus Judith 8,29 belegt,708 welches inVadstena mehrfach, vor allem in Predigten anlässlich ihrer Canonizacio, auf Birgittabezogen wurde.709 Die Predigt Jn canonizacione beate birgitte in primis vesperis ausUUB C 331, f. 172v–178r schließlich folgt nach einem Eintrag am Ende der Predigteiner franziskanischen Predigt zu Elisabeth.710

Besonders die nach dem Vorbild der päpstlichen Kanonisationspredigt und der Eli-sabethpredigt verfassten Vadstenapredigten legen großen Wert auf die DarstellungBirgittas als fromme, dem tige, tugendhafte, weise Frau, als vera vidua, welche dasGebet und asketische Praktiken pflegte.711

Wiederholt behandelt werden die drei Stände Jungfräulichkeit, Ehe und Witwen-schaft.712 Dabei ist unter den Vadstenapredigten besonders die Predigt De sancta byr-

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708 UUB C 203, f. 35v–36v >De sancta elizabet<. ORa pro nobis quoniam mulier sancta es judituiij [,29] Verba ista possunt sumi ad commendacionem sancte elizabet et secundum hec sunt verbafidelium degencium in hoc mundo [. . . ]; vgl. Hs. S 82 aus Wolfenb ttel: Ora pro nobis, quoniammulier sancta es (Judith 8,29) – Verba ista possunt sumi ad commendationem sanctae Elizabeth.Secundum hoc sunt verba fidelium degentium in hoc mundo [. . . ] nach SCHNEYER, Repertorium9, S. 897, Nr. 158. Nach Schneyer ist der Verfasser unbekannt; nach Andersson-Schmitt handelt essich bei dem Verfasser der Predigt um einen Johannes contractus. ANDERSSON-SCHMITT, Hand-schriften 3, S. 8, 10. VULGATA, S. 701 (Idt 8,29).

709 HEDLUND, Vadstenapredikanter, S. 322. F r die Zeit vor 1450 lässt sich das Initium bei denPredigten UUB C 259, f. 59r–61r; UUB C 311, f. 95r–98r; UUB C 318, f. 162r–166r; UUB C331, f. 172v–178r; UUB C 343, f. 191r–198r; UUB C 349, f. 356r–358r; UUB C 392, f. 283r–287r. Hedlund hat nicht alle diese Predigten ber cksichtigt; nennt aber f r die Zeit nach 1450weitere Predigten mit diesem Initium.

710 UUB C 331, f. 178r.711 Besonders deutlich in UUB C 9, f. 37r–39r (zu Tugenden und Gebetsleben); UUB C 259, f. 59r–

61r (zur mulier sapiens, zum Gebetsleben, zur caritas und Demut) Die Federzeichnung auf UUBC 259 f. 66v zeigt nicht, wie ANDERSSON-SCHMITT, Handschriften 3, S. 187 meint, Birgitta,sondern Christus! Heilige wurden auch in Zeichnungen nicht mit Kreuznimbus dargestellt! UUBC 306, f. 20r–26r (besondere Betonung Birgittas als vera vidua und ihrer Tugenden, vor allem dercaritas); UUB C 311, f. 95r–98r (zur mulier sapiens); UUB C 312, f. 267r–271r; UUB C 312, f.295r–298r, f. 297r (zu den Tugenden); UUB C 318, f. 106v–113v; UUB C 326, f. 83rb–86rb (zurGebetspraxis von Birgitta besonders f. 83va); UUB C 259, f. 59r–61r; UUB C 331, f. 12r–16v;UUB C 331, f. 138v–143r (f. 140r zur Demut und caritas, f. 141r zu Fasten und Beten); UUBC 331, f. 172v–178r; UUB C 335, f. 156va–159vb; UUB C 349, f. 356r–358r (f. 356r. muliersapiens; f. 356v. caritas; f. 358r. Gottesfurcht); UUB C 349, f. 432r–435v; UUB C 386, f. 477v–481v; UUB C 392, f. 283r–287r (mulier sancta); Die Predigten UUB C 9, f. 215r–218r und UUBC 9, f. 301r–304v behandeln eher allgemein das fromme Leben bzw. die Gottesnachfolge, ohneexplizit auf Birgitta einzugehen; ebenso UUB C 9, f. 205r–207v, welche das Leben in der Weltund den R ckzug aus derselben behandelt.

712 UUB C 318, f. 14r–19r; UUB C 331, f. 97v–103r; UUB C 335, f. 156va–159vb. UUB C 259, f.59r–61r erwähnt die Ehe und die Kinder Birgittas. Die Diskussion dieser Stände kann auch an demKapitel Elisabeth betreffend aus der Legenda aurea beeinflusst sein. LEGENDA AUREA, S. 752f.

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Der schwedische Klerus, Vadstena und der Birgittenkult 171

gitta sermo713 zu erw hnen, die wie drei andere Predigten zu Birgitta714 in eine Pre-digtsammlung des Peregrinus von Oppeln eingefügt wurde.715 Die Predigt beginntmit einer Betrachtung der weltlichen (ehelichen) und der himmlischen Liebe716 undbetont, dass Birgitta beides erfahren habe – die eheliche Liebe von Ulf in Ulvasa717

als auch die himmlische von Christus als Br utigam.718 Anschließend werden diedrei St nde der Jungfr ulichkeit, des Ehelebens und der Witwenschaft vorgestellt, dieBirgitta ebenfalls alle geteilt hat,719 in allen aber die Keuschheit bewahrt habe. DiePredigt unterscheidet hierbei zwischen virginitas, die als Stand aufgefasst wird, undcastitas als Tugend.720 Von Interesse ist schließlich auch die Predigt aus UUB C349,f. 432r–435v mit dem Initium Modicum laboraui, welche die Notwendigkeit der Ar-beit nach dem Sündenfall, aber auch die Erleichterung derselben und ihrer Mühendurch Christus behandelt. Daraus werden im Folgenden Normen für ein rechtes Le-ben abgeleitet, wobei Arbeit durchaus positiv gewertet wird. Dieses Thema wird inzwei weiteren Predigten ebenfalls aufgegriffen; alle drei Predigten mit dem InitiumModicum laboraui sollten dabei zu Natalis Birgittae gehalten werden.721 In diesenPredigten wird somit die Spannung von actio und contemplatio in Bezug auf Birgittathematisiert.

Weniger aber die Predigten zu Birgitta, als ihre Reliquien bewogen die Menschen,nach Vadstena zu pilgern. Diese befanden sich nach Birgittas Tod aber noch in Rom.

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713 UUB C 335, f. 156va–159vb.714 UUB C 335, f. 237vb–241ra; UUB C 335, f. 284vb–287vb; UUB C 335, f. 225va–228rb.715 MARSCHALL, Werner: Peregrinus v. Oppeln, LThK 8, Sp. 27; SZCZUR, Historia, S. 467.716 UUB C 335, f. 156va-b.717 UUB C 335, f. 158rb.718 UUB C 335, f. 156va.719 UUB C 335, f. 158rb-va. Die drei St nde thematisiert auch UUB C 331, f. 97v–103v.720 Schließlich behandelt die Predigt die vier Kardinal- und die drei geistlichen Tugenden, die Birgitta

ebenfalls verwirklicht habe und dadurch von Christus in besonderer Weise geliebt worden sei.UUB C 335, f. 158va–159va. Ähnlich auch in UUB C 312, f. 267r–271v.

721 UUB C 396, f. 221r–224v; UUB C 9, f. 192r–195r, und UUB C 349, f. 432r–435v.

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172 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

2.18. Die translatio der Gebeine Birgittas und ihreVerehrung in Italien

Nach ihrem Tod am 23. Juli 1373 wurde Birgitta in San Lorenzo in Panisperna auf-gebahrt. Ihr Grab wurde rasch Ziel zahlreicher Pilger aus dem Volk, dem Klerus unddem Adel722 und angeblich Ort zahlreicher Wunder.723

Möglicherweise auf Wunsch Birgittas724 wurden ihre Gebeine, die sich auf „wun-dersame“ Weise vom Fleisch lösen ließen,725 bereits Ende 1373 nach Schweden über-führt. Diese Aufgabe übernahmen Katharina, Prior Peter, Magister Peter, Magnus Pe-tri, ein bewaffneter Diener Petrus Frijs, der Kaplan Gudmar Frederiksson (GudhmarusFrædherici)726 und eine Maria. Begleitet wurde die Gruppe vermutlich von einer ehe-maligen türkischen Sklavin, die von Königin Johanna der Birgitta geschenkt, in Romals Katharina Magnusdottir von Magnus Petri adoptiert worden war. Später wurdesie Schwester in Vadstena.727 Auf der Etappe Rom-Danzig scheinen auch zwei vor-nehme Herren aus Danzig Birgittas Reliquien begleitet zu haben.728 Für Katharinaund ihre Begleiter wurde ein Reisepass ausgestellt;729 am 2. Dezember 1373 verließdie Gruppe Rom und reiste zunächst nach Montefalco. Der Weg von dort durch Itali-en und über die Alpen ist unsicher, möglich ist der Landweg über Rimini, Ravenna,Padua, Treviso, Gemona, den Semmerings-Pass und Wien oder der Seeweg über An-cona-Triest, die Alpen und Wien.730 Der weitere Reiseweg ist anhand der Wunder,die bei der Überführung geschehen sein sollen,731 zu rekonstruieren. Danach passier-te die Gruppe Brünn,732 Clara Vallis in Polen,733 was von Lindblom überzeugend mitKrone (Koronowo) nördlich von Bromberg (Bydgoszcz) identifiziert worden ist, underreichte schließlich Danzig.734

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722 VITA KATERINÆ, S. 257.723 Der Kirche des Klosters S. Lorenzo in Panisperna wurde vermutlich 1390 ein Ablass gewährt, der

sich ausdrücklich auch auf Birgitta und von ihr postmortal gewirkte Wunder bezog: BonifaciusEpiscopus etc. [. . . ] Cupientes igitur, ut ecclesia Monasterii Monialium S. Laurentii Panispernade Urbe Ordinis Sanctae Claraem in quo Beata Brigitta aliquibus diebus dum vitam ageret inhumanis devote permanserit, ac debitum naturae persolverit, et ipsius corpus sepultum extitit, etin quo postmodum plurimis miraculis claruit. Diese Quelle wird bei Rocca di Papa zitiert, es fehlenaber genauere Quellenangaben, so dass ich die Quelle nicht verifizieren konnte. ROCCA DI PAPA,S. Lorenzo, S. 13.

724 Vgl. VITA KATERINÆ, S. 256.725 AP, S. 343, 495; VITA KATERINÆ, S. 256.726 Er verfasste später die Commissio Lincopensis mit. DIARIUM, 48:2.727 DIARIUM, 235; AP, S. 550f.; LINDBLOM, Birgittas sista färd, S. 33, 35; SILFVERSTOLPE, Klos-

terfolket, S. 29.728 VITA KATERINÆ, S. 256; LINDBLOM, Birgittas sista färd, S. 35.729 PASS, S. 122–125.730 LINDBLOM, Birgittas sista färd, S. 35f.731 Der Wunderbericht in AP, S. 145–164.732 AP, S. 145; 286.733 AP, S. 145; LINDBLOM, Birgittas sista färd, S. 37f.734 Zu dem Aufenthalt in Danzig die VITA KATERINÆ, S. 256.

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Die translatio der Gebeine Birgittas und ihre Verehrung in Italien 173

Nach einem l ngeren Aufenthalt in Danzig erfolgte vermutlich Ende Juni die Über-fahrt nach Schweden.735 Über Sikavarp auf Öland gelangte die Reisegruppe mit denReliquien am 29. Juni nach Söderköping, wo es zu Wunderereignissen gekommensein soll,736 von dort nach Linköping,737 vermutlich nach Sk nnige und schließlicham 4. Juli 1374 nach Vadstena. Hier wurde die Truhe mit den Gebeinen Birgittasfestlich empfangen.738 Der in der Literatur immer wieder genannte 28. Mai als Trans-lationstag basiert wahrscheinlich auf der bereits 1381, also zehn Jahre vor der Kanoni-sation, nach p pstlicher Erlaubnis erfolgten elevatio der Gebeine Birgittas und wurdeerst im 15. Jahrhundert als das Datum gedeutet, an dem die Gebeine schwedischenBoden erreicht h tten.739

Die Verehrung Birgittas war, zumindest unmittelbar nach ihrem Tod, st rker in Ita-lien, besonders Rom und Neapel, als in Schweden ausgepr gt. Das von Birgitta undihren Begleitern seit 1353 bewohnte Haus in Rom verblieb nach 1373 inoffiziell beider birgitinischen Gemeinschaft und diente als Unterkunft und Hospital740 für schwe-dische Pilger. Erst am 8. Januar 1383 übergab die Besitzerin, Francesca Papazzurra,das Haus an Vadstena in Person der Katharina und des Magnus Petri.741 Infolge vonUmbaumaßnahmen entstand 1433–1435 im ersten Stock des Hauses eine Kapelle, fürdie ein Beichtprivileg ausgestellt wurde; der Hauseingang wurde verlegt, ein kleinerGlockenturm errichtet. Weitere Umbauten erfolgten in der frühen Neuzeit.742

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735 Demum [in die commemoracionis sancti Pauli] exiuit ciuitatem Gdanzchik, intrans nauem cumsacris reliquiis et famiglia ad Sweciam navigando., in: VITA KATERINÆ, S. 256. Die Passage in[. . . ] ist nur in manchen Handschriften überliefert.

736 AP, S. 109f.737 VITA KATERINÆ, S. 257.738 DIARIUM, 31 zur Ankunft der Reliquien in Vadstena; VITA KATERINÆ, S. 257. Zu den anthro-

pologischen Untersuchungen der Gebeine Birgittas in Vadstena siehe BYGDÉN, A./ GEJVALL,N.-G./ HJORTSÖ, C.-H.: Les reliques de Sainte Brigitte de Suède. Examen médico-anthropoliqueet historique, Lund 1954.

739 Nach Lindblom erreichten die Gebeine Birgittas bei Sikavarp auf Öland schwedisches Territorium,als Datum vermutet Lindblom den 28. Mai 1374 und beruft sich hierbei auf die Legenda SancteBirgitte des Birgerus Gregorii, in der es heißt: [. . . ] eius festum est translacionis, quando scilicettranslata est de Roma ad partes Suecie, quod cadit xxviij die mensis May [. . . ], in: BIRGERUS

GREGORIUS, LEGENDA, S. 27. Von dort, so Lindblom, wurden die Reliquien über Bröms – demsüdlichsten Punkt des Bistums Linköping nahe der d nischen Grenze – an der Küste nordw rts –der Legende nach von einem Stern geleitet (VITA KATERINÆ, S. 256.) – über Ålem nach Söder-köping verbracht. Vgl. Lindblom, Birgittas sista f rd, S. 38f., 43–47. Zu 1381 gibt Messenius, einChronist des 16. Jahrhunderts Auskunft. Die Legenda Sancte Birgitte des Birgerus Gregorii ist nuraus dem 15. Jahrhundert überliefert und erg nzte die Information zum 28. Mai. Überzeugend zuder Datierung JÖNSSON, Birgittas skrinl ggning, S. 37–40, 48f.

740 [. . . ] hospitale S. Brigittæ de regno Svetiæ. HILDEBRAND, svenska kolonien, S. 218.741 Der Donationsbrief in italienischer Übersetzung: DE ANGELIS, Santa Brigida, S. 20–23; HILDE-

BRAND, svenska kolonien, S. 214–216.742 Das Interesse am Birgittenhospital in Rom ist noch für Johannes und Olaus Magnus, die letzten

katholischen Erzbischöfe Uppsalas anhand von Briefen aus den Jahren 1547–49 an italienischeGeistliche nachzuweisen: JOHANNES UND OLAUS MAGNUS, BRIEFE, Nr. 20, 22, 24, 25, 27, 33,

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174 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

In Bologna gab es in der San Petronio-Kirche vermutlich ab 1400 eine Birgitta-Kapelle, in der der Schwedin ab 1438 auch liturgisch gedacht wurde.743 Die Kanoni-sationsakten belegen die Existenz von italienischen Abbildungen von Birgitta, welchejedoch nicht erhalten geblieben sind. Das vermutlich älteste Birgittabild befand sichin der neapolitanischen Kirche Sta. Maria de Carmelo (heute Sta. Maria del Carmine).Vor diesem Bild sollen sich sieben der 17 Wunder ereignet haben, die von ErzbischofBernard 1376 zusammengestellt worden sind. In zwei anderen Kirchen Neapels, inS. Eligio und in S. Giorgio Maggiore, gab es nach den Kanonisationsakten ebenfallsBilder von Birgitta; ebenso in S. Lorenzo in Panisperna in Rom.744 Nach dem 1378von Katharina und Alphonso verfassten Brief an Birger Gregersson haben sich auchin neapolitanischen und römischen Privathäusern Bilder von Birgitta befunden; außer-dem soll in der Kammer von Papst Gregor XI. ein Wandgemälde von Birgitta existierthaben. Katharina beklagte sich deshalb darüber, dass nach dem Zeugnis schwedischerRompilger in Schweden, dem Mutterland Birgittas, Bilder von Birgitta kaum verbrei-tet seien.745

Dies zeigt, dass für die Anhänger Birgittas offensichtlich Handlungsbedarf bestand,um den Kult auch in Schweden zu etablieren. Dabei sollte Vadstena das entscheidendeKultzentrum werden.

2.19. Vadstena als Pilgerziel und spirituelles Zentrum

Nach der Überführung der Reliquien Birgittas wurde Vadstena ein bedeutender An-ziehungsort für Pilger. Die geographische, aber auch soziale Herkunft der Pilger lässtsich aus den Wunderberichten und der Verteilung der Pilgerzeichen zumindest für die1370er Jahre rekonstruieren.746

Umfassend zu den Birgitta zugeschriebenen Wundern der 1370er Jahre anhand derschriftlichen Quellen hat aktuell Heß gearbeitet. Sie berücksichtigte die 64 Wunderder Commissio Lincopensis, weiterhin 59 Wunder der Relacio Vpsaliensis, sieben inden Briefen des Bischofs von Linköping 1377 und 1378 überlieferte Wunder, Ergän-zungen der Relacio Vpsaliensis durch Bischof Podebusk von Odense und ErzbischofBild von Lund und nur in einer Handschrift der Kanonisationsakten überlieferte wei-tere acht Wunder. Somit kommt sie abzüglich der doppelt berichteten Wunder auf138 Einzelberichte von an 134 Personen gewirkten Wundern. Es handelt sich dabei

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36, 38, 41, 42, 43, 47, 51, 52, 55, 56, 60. DE ANGELIS, Santa Brigida, S. 27, 29; ANDERSSON,Casa di Brigida, S. 3f. zu den Umbauten bis 1450, S. 5–13 zu jüngeren Um- und Ausbauten.

743 FILIPPINI, cappella, S. 1.744 AP, S. 164–174 die Wunder aus Neapel, S. 166, 168, 170f., 173 zu Sa. Maria de Carmelo, S. 167

zu S. Eligio, S. 169 zu S. Giorgio Maggiore; KLOCKARS, Birgittabilderna, S. 40–42.745 ALFONS/ KATARINA, BREV, S. 130; KLOCKARS, Birgittabilderna, S. 40.746 ANDERSSON, Birgittinsk Vallfart, S. 380f.

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Vadstena als Pilgerziel und spirituelles Zentrum 175

um 80 an M nnern und Jungen und 54 an Frauen und M dchen gewirkten Wundern.Dabei stellen die Kinder und Jugendlichen etwa ein Drittel aller Personen. Von die-sen lassen sich 66 nicht sicher einer sozialen Schicht zuordnen, von den übrigen 68stammten 10–15% aus dem Adel, 7–9% waren Geistliche und Nonnen, 12–15% Bür-ger oder Handwerker aus St dten und 64–66% Bauern, Unfreie oder Arme. In 87%der F lle handelte es sich um Distanzwunder, denen eine Dankwallfahrt folgte. ZweiDrittel aller Wunder waren „therapeutischer“ Art; geheilt wurden Verletzungen in-folge von Unf llen oder Krieg, Augenkrankheiten und Geschwüre sowie psychischeKrankheiten wie Fallsucht, „Epilepsie“ (was bedeutete: „von Sinnen sein“) und D -monenaustreibungen. Unter den „nicht-therapeutischen Wundern“ sind Gefangenen-befreiuungen bemerkenswert, etwa die von drei M nnern, die in Estland von Hei-den gefangen gewesen sein sollen. Bemerkenswert ist auch, dass 17% aller Wunder„Strafwunder“ waren: auf eine L sterung meist gegen Gott folgte Krankheit, dannnach Birgittas „Eingreifen“ etwa als Erscheinung Buße und Reue und dann schließ-lich die Heilung.747 In einem auf nach 1374 datiertem Wunder wird die von Birgittaund der Kirche betonte Achtung vor der Kommunion thematisiert. Eine Frau soll beider Osterkommunion eine konsekrierte Hostie entwendet und zu einem Liebestrankverarbeitet haben. Als dies fehlschlug, und sie erneut eine Hostie stahl, soll dieseverschwunden sein; die Frau konnte daraufhin zehn Jahre lang keine Hostie mehr se-hen und kein Vaterunser in der Kirche beten. Erst eine Pilgerreise zu Birgittas Grabnach 1374, die Berührung ihres Mantels und die folgende Beichte sollen die Frau „er-löst“ haben.748 Problematisch an den beschriebenen Pilgerzahlen ist jedoch, dass vieleder „Wunder“ mit dem Ziel aufgeschrieben wurden, die Kanonisation voranzutreiben,was die Zahl der Wunder in die Höhe getrieben haben wird. Zugleich vernachl ssigtdie Analyse der Personen, denen Wunder zuteil wurden, die sicher weitaus größereZahl der Pilger, die – wegen fehlender Wunder – nicht erfasst worden sind. Für dieZeit nach 1380 sind leider keine sicheren Wunderberichte überliefert.749

Eine Betrachtung der Verteilung der von Vadstena ausgegebenen Pilgermarken fürden Zeitraum bis 1450 belegt, dass Vadstena im zunehmenden Maße ein Pilgerziel

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747 AP, S. 63–71, 105–164, 175–184; HEß, Heilige, S. 150–153; FLAVIGNY, Sainte Brigitte, S. 511.Andersson analysierte nur die 64 Wunderberichte der Commissio Lincopensis aus der Zeit von1374 bis 1376. Vgl. AP, S. 105–145. In jenem Zeitraum pilgerten vor allem Personen aus demmittelalterlichen Schweden nach Vadstena; nur etwa ein Zehntel der Pilger kam in jener Zeit ausnichtschwedischen, dann vor allem skandinavischen Gebieten. Sie stammten ganz überwiegendaus l ndlichen Regionen (etwa 80%); außerdem waren etwas mehr M nner als Frauen unter denPilgern vertreten (57% zu 43%). Die 64 Wunderberichte beschreiben überwiegend Heilungswun-der (69%), daneben Rettungswunder (19%) und Bekehrungswunder (11%). Oft scheinen sich dieseWunder nicht in Vadstena selbst ereignet zu haben, die meisten Pilger sind aus Dankbarkeit überdas bereits erfolgte Wunder nach Vadstena gepilgert. ANDERSSON, Birgittinsk Vallfart, S. 380–383, 389–391.

748 AASS OCT. IV, S. 532; BROWE, Eucharistie, S. 230.749 Allgemein zum hoch- und sp tmittelalterlichen Pilgerwesen in Skandinavien KRÖTZL, Pilger.

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176 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

auch für Norweger, Dänen und (schwedische) Finnen geworden ist.750 Trotz der wei-terhin großen Popularität von Olaf in Norwegen und Schweden, trotz des Erikskultesin Uppsala wurde Vadstena, sicher auch aufgrund der großzügigen Ablässe, die dorterworben werden konnten, eines der beliebtesten, vielleicht sogar das Wallfahrtszieldes skandinavischen Spätmittelalters.751 Da Wunderberichte aus der ersten Hälfte des15. Jahrhunderts fehlen, ist es jedoch schwierig, die soziale Zusammensetzung dieserweiter gereisten Pilger zu rekonstruieren.

Eine ebenfalls dem liturgischen, aber auch politischen Bereich des Birgittenkulteszuzuordnende Verwendung der Reliquien Birgittas betraf die Verwendung derselbenbeim Empfang von neuen Königen oder Bischöfen. Der Liber usuum legte in derMitte des 15. Jahrhunderts, sicher älteren Traditionen folgend, fest, dass einem neu-en König oder einer neuen Königin bei deren Antrittsbesuch der Kopf Birgittas mitanderen birgittinischen Reliquien entgegen getragen werden sollte.752 Beim Antritts-besuch eines Bischofs oder Erzbischofs sollte diesen lediglich eine Hand Birgittasnebst anderen Reliquien entgegen getragen werden.753 Dies belegt die große Bedeu-tung der Reliquien einerseits und die politische Bedeutung von Vadstena andererseits,zugleich aber auch die bemerkenswerte Bedeutung des Königs für Vadstena.

Auf die Verehrung Birgittas außerhalb Schwedens kann in dieser Arbeit nicht ein-gegangen werden. Erwähnt sei aber, dass auch außerhalb von Vadstena der Kult umBirgitta als wesentliches Element die Verehrung ihrer Reliquien aufwies,754 wie ent-

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750 Vgl. Anhang 5, Nr. 16–26. Pilgermarken aus Vadstena aus der Zeit bis 1450 wurden in Aalborg,Dänemark, Gjerde, Norwegen, Oslo Gamleby, Norwegen, Lund, Dänemark und Tjaereby, Däne-mark gefunden. Krötzl nennt, sich auf Andersson beziehend, für ganz Skandinavien 57 Pilger-zeichen, 38 in Schweden, 10 in Norwegen, 8 in Dänemark und 1 in Finnland. KRÖTZL, Pilger,S. 87, Fußnote 126. Für eine statistische Analyse müsste aber systematischer nach Pilgerzeichenaus Vadstena gesucht werden. Das Diarium berichtet außerdem für Juni 1408 von einem großenMenschenauflauf anlässlich der erstmaligen Vergabe des Portinculaablasses. DIARIUM, 160; NY-BERG, Beziehungssystem, S. 252.

751 FRÖJMARK, Mirakler, S. 171f.752 Quod si novus rex aut nova regina ad monasterium accesserit, reverenter suscipiatur, ita quod

caput beate Birgitte et quedam alie reliquie sed pauce per clericos extra clausuram monasteriiconstitutos usque ad septa monasterii et non ultra cum debita devocione sibi obviam deferantur.(Cap. 8 De nove rege seu nove regina), in: LIBER USUUM, S. 105; RISBERG, Introduction, S.14–18.

753 Ad novum archiepiscopum vel episcopum dyocesanum suscipiendum dirigantur sibi obvia manussancte Birgitte et quedam alie pauce reliquie per clericos extra clausuram commorantes. (Cap. 9De novo archiepiscopo seu episcopo dyocesano suscipendo), in: LIBER USUUM, S. 106.

754 In Rom wird die Tischplatte aufbewahrt, auf der Birgitta der Legende nach gestorben ist. Diesbezeugt aber keine Quelle aus dem 14. Jahrhundert, weder die Beichtv tervita (S. 75), noch dieZeugenaussage Katharinas zum Tod ihrer Mutter (AP, S. 319). Die Tischplatte wurde im 17. Jahr-hundert in der Birgittenkirche an der Piazza Farnese mit einer lateinischen Inschrift aufgehängt,welche, falsch interpretiert, möglicherweise Grundlage für die Legende wurde. Die Tischplattewurde mit einem verglasten Rahmen umgeben und links neben dem Eingang der Kirche aufge-hängt. Heute befindet sich sich im Sterbezimmer Birgittas. Auf dem Rahmen steht, wohl nach derInschrift: Hæc est mensa S. Brigidæ in qua cum sua familia manducavit in Urbe Roma, et Dns

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Vadstena als Pilgerziel und spirituelles Zentrum 177

sprechende Bittbriefe des Erzbischofs Adalbert von Magdeburg, des Bischofs Hen-drik von Brandenburg und des Kurf rsten Rudolf III. von Sachsen zeigen.755 Auchdie Stadt Florenz bat 1405 um Reliquien Birgittas.756 Außerhalb des Birgittenordensförderten in der Fr hen Neuzeit vor allem die Franziskaner den Kult Birgittas. Dies re-sultiert aus der im 15. und 16. Jahrhundert entstandenen Tradition im Franziskaneror-den, in Birgitta eine Franziskanertertiarin zu sehen. Die Verehrung Birgittas etabliertesich im Folgenden besonders bei den Klarissen.757

Nachdem vor der Profess von 1384 Katharina und ihre Begleiterinnen „ein reli-giöses Leben“ bei dem noch zu bestätigenden Kloster gelebt hatten, siedelten nach1384 weitere Frauen mit einer religiösen Lebensform, also Beginen, in unmittelba-rer Nähe von Vadstena. Dies kann einmal mit der – auch spirituellen – Bedeutungdes Ortes, welche in Schweden nach dem Tod Birgittas bekannt gewesen sein muss,erklärt werden. Zugleich f gt sich Vadstena in die Tradition anderer schwedischerKlöster ein, welche religiöse Frauen angezogen haben. Am 18. Mai 1388 forderte derBischof von Linköping, Nikolaus Hermansson, das Kloster noch auf, diese Frauen zudulden, bis eine Synode ber ihr Schicksal entschieden habe. Die Br der des Birgit-tenordens durften den Frauen einmal wöchentlich die Beichte abnehmen, f r die an-deren Sakramente sollte aber der zuständige Pfarrer verantwortlich sein.758 In einemSchreiben des Erzbischofs von Uppsala vom 16. September 1412 verbot dieser aberjede Unterst tzung der Beginen und verurteilte deren Stand scharf.759 Dieser Positi-

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Jesus Christus, cum miracula ei revelaret, multoties apparuit in eadem. Fuit at eius obitus anno1373 die 23 julij. Der letzte Satz wurde möglicherweise fehlinterpretiert. ANDERSSON, Birgitta-reliker, S. 33–35. Unbekannt ist die Herkunft einer heute in Altom nster aufbewahrten hölzernenTrinkschale, die nach einer Aufschrift Birgitta gehört haben soll. (Außen auf der Schale mit etwa10,7 cm Durchmesser, wohl vor 1450 mit schwarzer Tinte: Huius erat ligni sat´x birgitta beata –Hoc vase sunt digni vnante ea pec grata). Im Inneren der Trinkschale befindet sich eine Inschriftin kyrillischen Buchstaben (estj jesus nazarenus rex iudeorum und SXYS.), so dass von einer sla-wischen Entstehung auszugehen ist. Unklar bleibt, wie sie in Birgittas Besitz kam. ANDERSSON,Birgittareliker, S. 45–48. Ebenso ist die Herkunft und Verbindung des Birgitta zugeschriebenenund in Altom nster aufbewahrten Wanderstabes unbekannt. ANDERSSON, Birgittareliker, S. 50f.Im Klarissenkloster S. Lucia in Selci in Rom wird der Birgitta zugeschriebene Mantel aufbewahrt,der urspr nglich eine Reliquie des Klarissenklosters San Lorenzo in Panisperna gewesen ist. Diesbelegt eine Verehrung Birgittas auch bei den römischen Klarissen. ANDERSSON, Birgittareliker,S. 18f.

755 LP, 69v (Bittbrief von Erzbischof Adalbert von Magdeburg, 29. Juni 1402), 69v–70r (Bittbrief vonBischof Hendrik von Brandenburg, 1. Juli 1407), 70r (=SD 202, 1.6.1402: Bitte von Rudolf III.von Sachsen).

756 NYBERG, Beziehungssystem, S. 250.757 ROELVINK, Franciscans, S. 30f.758 HÖJER, Studier, S. 91f., 156; MORRIS, Birgittines and Beguines, S. 169.759 Ebf. Johan von Uppsala verbietet Vadstena jede Unterst tzung der Beginen, die sich in großer Zahl

um das Kloster versammelt haben: [. . . ] quod apud monasterium beate Marie virginis in Watz-stenom magna multitudo mulierum, iuuenum et antiquarum, in habitu Begginarum conuersatur,quarum plurime sub deuocionis habitu per dampnabilem ypocrisim ocio, potacionibus nocturnis,ymmo quod detestabilius est luxurie inseruiunt, vt opinio communis et fama publica attestantur, in-

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178 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

on scheinen sich schließlich auch die Birgittinermönche angeschlossen zu haben.760

Noch im 16. Jahrhundert waren die Beginen, welche in Gebäuden am Klostergartenwohnten, Gegenstand von Streitigkeiten, wobei die Birgittaschwestern die Begineneher unterstützt, die Birgittinermönche sie verurteilt haben.761

Vielleicht auch aufgrund des Bedeutungsverlustes von Vadstena infolge der Schwä-chung der Königsmacht wurde in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wiederholtversucht, weitere Kulte in Vadstena zu etablieren, eventuell, um den religiösen Stel-lenwert“ des Klosters weiter zu erhöhen. Dass hierbei auch der Gedanke eines „An-teils an der Heiligkeit“ Birgittas wirksam wurde, ist offensichtlich. So wurde versucht,Katharina Ulfsdotter, Birgittas Tochter und bis zu ihrem Tod 1381 Äbtissin in Vadste-na,762 Peter Olafsson von Skännige sowie Nikolaus Hermansson heilig zu sprechen.Nach 1410 begannen diesbezügliche Bemühungen für Katharina, um 1415 erfolgtedie elevatio ihrer Gebeine, ein liturgisches Offizium und eine Vita wurde verfasst,die nach und nach mit Wunderberichten ergänzt wurde.763 Die Auseinandersetzungenauf dem Basler Konzil um Birgittas Heiligkeit verstärkten die Bemühungen, Kathari-na heilig zu sprechen weiter.764 Dennoch gestattete Papst Innozenz VIII. erst 1488 inden nordischen Ländern den Kult um Katharina; die Gebeine wurden 1489 in Vadste-na feierlich erhoben.765 Peters Verhältnis zu Birgitta wurde bereits besprochen, überseinen Tod am 16. September 1378 berichtet das Diarium.766 An seinem heute nichtmehr erhaltenen Grab in Vadstena sollen sich ab 1408 Wunder ereignet haben; 1427

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ter quas plurime robuste et iuuenes ac laboribus apte reperiuntur et tamen omni labore contemptoex sola mendicitate et elemosina monasterii victum querere non verentur, contra Deum et publicamiustitiam veris Christi pauperibus debitas elemosinas subtrahentes, que iuxta leges imperatoremessent in seruitutem principis redigende, et quia beginarum status, cum nullius sit approbate reli-gionis aut ordinis a canonibus sub excommvnicationis pena districcius prohibetur, idcirco nos Jo-hannes archiepiscopus predictus de consilio et consensu fratrum nostrorum prouincie Vpsalensishuiusmodi Beginarum statum a iure canonico reprobatum hoc sacro approbante concilio deceteroprohibemus et specialiter illarum mulierum Beginarum, que criminibus sunt resperse, mandantesfirmiter auctoritate sacri concilii abbatisse, confessori et conuentui, quod tales mulieres in habituBeginarum incedentes nullatenus foueant, sustineant uel defendant [. . . ], in: SD 1620, S. 547f.

760 1429 werden die „ausschweifenden Frauen“ bei dem Kloster in Danzig verurteilt, was zwar ande-re Gründe hatte, aber sicher Auswirkungen auf die Beginen bei Vadstena besaß. Nach MORRIS,Birgittines and Beguines, S. 170, die aus RA A 20, f. 121r-v, zitiert.

761 DIARIUM, 978; MORRIS, Birgittines and Beguines, S. 170f.762 DIARIUM, 38; NORDAHL, Syv birgittinere, S. 203f.; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 391.763 Möglicherweise verfasste der 1433 verstorbene Ulf Birgersson, Generalkonfessor von Vadstena,

die Vita Katerinæ. VITA KATERINÆ; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 399; FRÖJMARK,Mirakler,S. 172.

764 FRÖJMARK, Mirakler, S. 173.765 DIARIUM, 884; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 392f.; NYBERG, Tore: Katharina von Schweden,

LMA V, Sp. 1071f., Sp. 1072; zum Kult um Katharina auch ANDERSSON, Drömmen, S. 17f.766 In crastino octavarum nativitatis beate Marie virginis obiit magister Petrus, primus confessor ge-

neralis in Vastenom. hic magister et confessor fuit sancte Byrgitte permanens in virginitate peromne tempus vite sue; hic dictavit Cantum sororum. De quo multa bona alibi inveniuntur., in:DIARIUM, 35.

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Vadstena als Pilgerziel und spirituelles Zentrum 179

verfasste Ulf Birgersson, Generalkonfessor in Vadstena, die Schrift De vita dominiPetri Olavi. Ein M nch aus Vadstena, Mattias Larsson, verfasste um 1450 das Frag-mentum de vita et miraculis Petri Olavi, confessoris beate Birgitte. Peters Verehrunghielt sich lange im Birgittenorden, wurde aber nie offiziell bestätigt. M glicherweisesuchten die Brüder in Vadstena in seinem Kult ein männliches Pendant zum Kult umBirgitta und Katharina. Doch trotz der Verehrung Peters im Kloster und bei den Laienwurde er nie offiziell selig oder heilig gesprochen.767

Ein weiteres Beispiel dafür, dass nach mittelalterlichem Verständnis Heiligkeit„übertragen“ werden konnte, ist Nikolaus Hermansson, der Lehrer von Birgittas Kin-dern. Gerade seine Nähe zu Birgitta wird im Kanonisationsbegehren von 1414 betont,um ihn selbst heilig zu sprechen. Der Kult um Nikolaus wurde aber erst 1497 geneh-migt; 1515 erfolgte die Translation seiner Gebeine.768

Bei den Versuchen, Ingrid von Skännige zu kanonisieren, waren dagegen keinepers nlichen Kontakte zu Birgitta zu konstruieren. Dafür versuchten die Befürwortereiner Heiligsprechung Ingrids, welche zugleich aus „birgittinischen Kreisen“ kamen,jene Elemente in ihrem Leben undWirken zu betonen, die bereits Birgitta ausgezeich-net hatten. Das Kanonisationsbegehren vom 16. März 1414 für Nikolaus Hermansonund Ingrid769 sowie spätere Historiographen konstruierten Parallelen im Leben Birgit-tas und Ingrids. Beide sollen eine fromme Kindheit verbracht, als Ehefrau und Witwein tätiger Nächstenliebe gelebt haben, beide sollten nach Santiago, Rom und Jerusa-lem gepilgert sein, beide sollen ein Kloster gegründet und hierfür in Rom die Bestäti-gung erwirkt haben. Auch werden für beide postmortaleWunder genannt.770 Währendfür Birgitta all diese Punkte zu belegen sind, sind besonders die Pilgerfahrten bei In-grid stark anzuzweifeln und durch keine Quellen zu belegen. Dennoch übernahm dieältere schwedische Forschung die Angaben der Bio- oder Hagiographen Ingrids undsah in ihr ein Vorbild für Birgitta. Vauchez und neuere schwedische Autoren weisenzu Recht auf die viel wahrscheinlichere Beeinflussung in die andere Richtung hin –was bei Birgitta zu einer erfolgreichen Kanonisation führte, wurde im 15. Jahrhundertauch Ingrid zugeschrieben – die aber nie heiliggesprochen wurde.771

In Florenz gewann schließlich auch Magnus Petri großes Ansehen, er galt als hei-ligmäßiger Mann, seine Überreste wurden nach seinem Tod am 21. März 1396 ver-ehrt, Heilungen sollen an seinem Grab geschehen sein. Es ist zu vermuten, dass hinterdieser Magnus-Verehrung der Obere des Birgittenklosters in Florenz, Lukas stand.Magnus hatte den Spanier zum Priesteramt zugelassen, nachdem dieser sich nach

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767 NORDAHL, Syv birgittinere, S. 77–82; LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 399f., 405f.; LUNDÉN,Birgitta och Petrus, S. XXVIII–XXXI.

768 LUNDÉN, Sveriges kristnande, S. 428f.; LITTERE DE CANONIZATIONE, S. 28; NYBERG, Tore:Nicolaus Hermanni, LThK 7, Sp. 852.

769 LITTERE DE CANONIZATIONE.770 Vgl. für Ingrid LITTERE DE CANONIZATIONE, S. 30f.; GALLÉN, causes de Sainte Ingrid, S. 6f.771 FISCHER, Olaus Magnus Historia, S. 308; VAUCHEZ, sainteté, S. 437, Fußnote 477; GALLÉN,

causes de Sainte Ingrid, S. 8f.

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180 Birgitta; ihre Herkunft, Biographie, Religiosit t und Kult

Versuchungen und einer buchstäblichen Befolgung des Schriftwortes zur Selbstver-stümmelung bei Anfechtungen einem geistlichen Leben zuwenden wollte. Auf ihnist vermutlich die aus dem 18. Jahrhundert überlieferte Magnus-Vita Vita del beatoManno dell´ordine di Santa Brigida di Svezia zurückzuführen.772

2.20. Der frühe Birgittenkult in der Kunst

Abschließend sei auf die frühe Entstehung einer birgittinischen Ikonographie in derschwedischen Sakralkunst hingewiesen. Die Verehrung Birgittas fand ihr schwedi-sches Zentrum zwar in Vadstena, doch ist auch die rasche Ausbreitung des Kultesin Schweden bemerkenswert. Für die Zeit bis 1448 konnte Wallin zahlreiche Birgittageweihte Altarstiftungen identifizieren. Diese wurden sowohl in Domkirchen,773 alsauch in Klosterkirchen774 und Pfarrkirchen in Städten775 und ländlichen Regionen776

errichtet.777

Bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden Holzskulpturen undWandmalereien von Birgitta für sakrale Räume, die als zentrales ikonographischesElement das Buch – Hinweis auf die Revelationes – und den Schleier aufweisen.778

Die in Vadstena entstandenen Pilgermarken betonen noch stärker den Aspekt derRevelationes, indem sie Birgitta als Schreibende beziehungsweise mit Buch darstel-len.779 Der Schleier als Zeichen für die monastische oder kontemplative Lebensweise,das Buch beziehungsweise der Schreibpult als Zeichen für die birgittinischen Offen-barungen und – zumindest auf dem Klostersiegel – Maria als zentrale Figur in derReligiosität Birgittas kennzeichnen somit die frühe, von Vadstena geprägte schwedi-sche Ikonographie der Birgitta.780

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772 NYBERG, Danzig, S. 190f.773 So 1401 eine Birgittakapelle im Dom von Linköping, 1413 ein Altar für Maria Magdalena und

Birgitta im Dom von Västerås, 1413 ein Heiligkreuz- und Birgittenaltar im Dom von Strängnäs,1426 ein Birgittenaltar im Dom von Uppsala, 1440 ein Annenaltar mit Birgittendarstellung imDom von Uppsala. WALLIN, stiftelser, S. 61–64, 67, 71.

774 Ein Birgittenaltar 1416 in der Klosterkirche der Zisterzienser in Nydala. WALLIN, stiftelser, S. 66.775 So 1421 ein Birgittenaltar in Lödöse (Västergötland) in der Olafkirche; 1425 eine Birgittenkapelle

nördlich von Skövde (Västergötland); ein Birgittenaltar in der Stadtkirche St. Nikolai in Jönköping(Småland); 1444 eine Birgitta geweihte Kirche in Kalmar (Småland). WALLIN, stiftelser, S. 66f.,71f.

776 So 1404 eine Birgitta geweihte Pfarrkirche von Vada (Uppland); nach 1415 eine Birgittenkapellein Lemland (Åland); 1437 eine Birgitta geweihte Glocke und eine Birgittenkapelle in Tensta (Up-pland), 1443 eine Birgittenkapelle in Grellsbo (Uppland), 1445 ein Olaf- und Birgittenaltar in Vist(Östergötland). WALLIN, stiftelser, S. 62f., 64f., 70–72.

777 Die betreffenden Quellen hat Wallin sehr ausführlich dargestellt, so dass ich hier darauf verzichte.Wallin setzt seine Untersuchung der birgittinischen Stiftungen bis in das 16. Jahrhundert fort, wasaber nicht zu meinem Thema gehört. WALLIN, stiftelser, S. 72–78.

778 Vgl. Anhang 4, Nr. 27–64.779 Vgl. Anhang 4, Nr. 16–26. Vgl. hierzu ANDERSSON, pilgrimsmärken, S. 103 (Abbildungen).780 Vgl. Anhang 4, Nr. 1–15 die Klostersiegel aus Vadstena. Auch zwei Klostersiegel aus Nådendal

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Der fr he Birgittenkult in der Kunst

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Diese Ikonographie Birgittas ist aber nicht die lteste. Zwar blieben die in Neapelund Rom belegten Birgittabilder von nach 1373 nicht erhalten, doch können dieseEinfluss auf Abbildungen Birgittas in Handschriften gehabt haben. In italienischenHandschriften aus der zweiten H lfte des 14. Jahrhunderts wiederum ist Birgitta ste-hend oder sitzend abgebildet, der Blick ist nach oben gerichtet, dort befindet sich Je-sus, teils mit Maria, der Birgitta eine Schriftrolle oder ein Buch überreicht. Klockarswies auf die Ähnlichkeit dieser Abbildungen zu Evangelistendarstellungen hin. Aufdie schwedische Sakralkunst scheint dieser Typus aber keine Auswirkungen gehabtzu haben.781

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sind zum Vergleich mit aufgenommen.781 Vgl. AILI, Imagines 2: Darstellungen Birgittas sitzend, von der Seite, Offenbarungen empfangend:

Plate 1, 3–12, 16–18, 30, 35, 36. Birgitta stehend, Offenbarungen empfangend, von der Seite:Plate 13–15, 29, 37. KLOCKARS, Birgittabilderna, S. 42; vgl. Anhang 4, Nr. 64–71.

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