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69 5 Beten wie Jesus Die meisten Christen, mit denen ich mich unterhalte, erzählen mir, dass sie einfach nicht genügend Zeit dafür haben, täglich zu beten. Aber es ist immer faszi- nierend, wofür sie sich dann doch Zeit nehmen. Egal, auf welchem Gebiet wir uns weiterentwickeln wollen – Klavierspiel, Basketball, körperliche Fitness –, wir müs- sen regelmäßig trainieren. Menschen, denen etwas wichtig ist, schaffen für diese Sache immer Raum in ihren Terminplänen. Wenn Ih- nen das Gebet wichtig ist, dann finden Sie auch Zeit dafür. Wenn wir in Gottes Gegenwart leben wollen, müssen wir hin und wieder die Welt ausschalten und uns ganz auf Gott einstellen, damit wir seine Stimme – und zwar nur seine Stimme – hören können.

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Allzu oft finden wir in der Hektik des Alltags nicht die Ruhe, um Gott in der Stille zu suchen. Auch Bill Hybels erging es so. Offen und ehrlich erzählt er, wie Gott ihm seinen Mangel an Glauben und seine Unbeständigkeit vor Augen führte und ihn dann beten lehrte. Wenn auch Sie sich nach der Gegenwart Gottes in Ihrem Leben sehnen und lernen möchten, zur Ruhe zu kommen, um zu beten und ihm nah zu sein, dann wird Ihnen dieses lebensnahe Buch eine große Hilfe sein. Die aktualisierte und erweiterte Neuauflage des Klassikers zum Jahr der Stille.

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Beten wie Jesus

Die meisten Christen, mit denen ich mich unterhalte, erzählen mir, dass sie einfach nicht genügend Zeit dafür haben, täglich zu beten. Aber es ist immer faszi-nierend, wofür sie sich dann doch Zeit nehmen. Egal, auf welchem Gebiet wir uns weiterentwickeln wollen –Klavierspiel, Basketball, körperliche Fitness –, wir müs-sen regelmäßig trainieren.

Menschen, denen etwas wichtig ist, schaffen für diese Sache immer Raum in ihren Terminplänen. Wenn Ih-nen das Gebet wichtig ist, dann finden Sie auch Zeit dafür. Wenn wir in Gottes Gegenwart leben wollen, müssen wir hin und wieder die Welt ausschalten und uns ganz auf Gott einstellen, damit wir seine Stimme – und zwar nur seine Stimme – hören können.

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Ablenkungen ausschalten

Es ist nicht nur wichtig, eine regelmäßige Gebetszeit festzulegen, sondern auch einen regelmäßigen Gebets-ort. Manche Menschen beten an öffentlichen Plätzen, in Versammlungen und zur Essenszeit, nur damit sie gesehen und gehört und für besonders „fromm“ ge-halten werden. Aber Jesus sagt, dass man beim Beten keine Zuschauer braucht. Wir sollen nicht beten, um zu zeigen, wie geistlich wir sind. „Vergiss es“, sagt Je-sus. „Wenn du betest, dann geh in dein Zimmer und mach die Tür zu.“ Suchen Sie sich ein Kämmerchen, ein leeres Büro, die Werkstatt draußen in der Garage, irgendeinen stillen Ort, an dem keine anderen Perso-nen sind und Sie mit Gott allein sein können. Hier können Sie am effektivsten beten.

Ein Bekannter von mir betet morgens im Zug. Er steigt fünfmal in der Woche an der Haltestelle Palatine ein und fährt in die Chicagoer Innenstadt. „Der Sitz-platz in diesem Zug ist der Ort, an dem ich jeden Tag bete“, erzählte er mir. „Mein gesamtes geistliches Le-ben habe ich jeden Tag zur selben Zeit auf diesem Sitz-platz aufgebaut.“

Ein anderer Freund von mir geht vor der Arbeit im-mer in die Ecknische eines Restaurants und betet dort. Eine andere Bekannte von mir hat einen Stuhl neben eine Glasschiebetür gestellt, von dem aus sie auf ih-ren Garten hinausschauen kann. Hier betet sie jeden Nachmittag. Eine weitere sitzt am Computertisch in ih-

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rem Büro und betet, bevor sie jeden Abend von der Ar-beit nach Hause geht.

Der Platz, den Sie auswählen, kann wichtiger sein, als Sie denken. Wenn Sie eine Zeit und einen Ort fest-legen, setzt sich das in Ihrem Lebensrhythmus fest. Ich bin beispielsweise ein Morgenmensch. Ich bin al-so meistens vor allen anderen im Büro. Jeden Tag set-ze ich mich auf meinen Stuhl, drehe mich herum, lege meine Füße auf die Anrichte und nehme mein Notiz-buch, eine Bibel und eine Tasse mit nicht allzu starkem, schwarzem Kaffee mit.

Diese Gewohnheit ist so tief in meinem Leben ver-wurzelt, dass sie sogar vor logischeren Überlegungen Vorrang hat – wie etwa der Frage, ob ich an einem be-stimmten Tag überhaupt ins Büro muss. Auch wenn ich an diesem Wochenende nicht predige oder es mein freier Tag ist, tauche ich meistens trotzdem auf, nur um ein paar ruhige Momente mit Gott zu verbringen.

Warum ist Alleinsein so wichtig? Warum sollte man die Tür schließen? Dafür gibt es zuerst einen offensicht-lich praktischen Grund: Ein Ort, an dem Sie allein sind, garantiert Ihnen ein Minimum an Ablenkung. Für die meisten Leute ist Ablenkung geradezu tödlich, wenn es darum geht, Gott zu begegnen. Fast jede Art von Lärm – Stimmen, Musik, ein klingelndes Telefon, Kinder, Hun-de, Vögel – raubt mir die Konzentration beim Beten. So-gar eine tickende Uhr kann mich mit ihrem Rhythmus so einnehmen, dass ich am Ende mit dem Fuß klopfe und in ihrem Takt einen Countrysong singe.

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Jesus weiß, wie unser Geist funktioniert, und er rät: „Bemühe dich nicht, gegen Ablenkungen anzukämp-fen, weil du verlieren wirst. Vermeide sie. Such dir ei-nen ruhigen Ort, an dem du ohne Unterbrechung be-ten kannst.“

Diese praktischen Gründe für das Alleinsein sind durchaus wichtig, aber ich denke, in Jesu Rat, an ei-nem stillen Ort zu beten, liegt noch eine viel tiefere Weisheit. Wenn Sie einen solchen Ort gefunden haben und anfangen, ihn regelmäßig zu nutzen, dann umgibt ihn eine besondere „Atmosphäre“. Ihr Gebetsraum –selbst wenn das eine Waschküche im Keller ist – wird für Sie das, was der Garten Gethsemane für Jesus war –ein heiliger Ort, der Ort, an dem Gott Ihnen begegnet.

Schaffen Sie eine besondere Atmosphäre

Einige Ehepaare haben ein Lieblingsrestaurant, in das sie an bestimmten Abenden gehen, weil ihnen bei-spielsweise die Atmosphäre besonders gut gefällt. Es fällt ihnen leicht, in dieser Umgebung zu reden, und sie freuen sich immer darauf, dort hinzugehen. Es ist ein besonderer Ort in ihrer Beziehung.

Manche Familien haben einen Ort, an dem sie im-mer die Ferien verbringen und der für sie fast wie einzweites Zuhause ist. Sie erleben dort wunderbare Din-ge, besondere Erinnerungen werden geprägt, und alle freuen sich auf ihre Ferien.

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Wenn Sie einen stillen Ort zum Gebet schaffen, wer-den Sie sich mit der Zeit ebenfalls darauf freuen, dort hinzugehen. Sie werden anfangen, die vertraute Um-gebung, das Blickfeld und die Gerüche zu schätzen. Sie werden die besondere Atmosphäre an dem Ort, an dem Sie sich zwanglos mit Gott unterhalten, lieb ge-winnen.

Wenn Sie beten lernen wollen, dann suchen Sie sich ei-nen ruhigen Ort, der frei von Ablenkungen ist. Es muss keine Kapelle sein; es kann der Abstellraum, die Vorrats-kammer, der Stall, Ihr Büro oder der Vordersitz Ihres Wagens sein, solange die Umgebung nur vertraut und ru-hig ist. Gehen Sie dort zu einer Tageszeit hin, zu der Sie besonders „wach“ sind – am Morgen, wenn Sie ein Früh-aufsteher, am späten Abend, wenn Sie ein Nachtschwär-mer sind –, eben dann, wenn Sie sich am muntersten füh-len. Wichtig ist, dass Sie sich dort regelmäßig und voll Erwartung auf das, was er als Folge Ihrer Treue in Ihnen und durch Sie tun wird, mit Gott treffen.

Meinen Sie wirklich, was Sie beten

Jesus hat seinen Jüngern nicht nur gesagt, dass sie al-lein beten sollen, sondern auch, dass sie ehrlich beten sollen. „Ihr sollt nicht plappern“, erklärte er. Seien Sie vorsichtig mit abgedroschenen Phrasen. Passen Sie auf, dass Sie es sich nicht angewöhnen, diese gedankenlos wieder und wieder aufzusagen.

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Es ist unglaublich einfach, beim Beten einen from-men Jargon zu benutzen! Manche Phrasen klingen so angemessen, so geistlich, so fromm, dass viele Chris-ten schnell lernen, diese aneinanderzureihen, und das dann „Gebet“ nennen. Sie haben wahrscheinlich gar keine Ahnung, was das bedeutet, was sie sagen.

Manchmal höre ich zum Beispiel einen reifen Chris-ten ernsthaft beten: „Lieber Herr, bitte sei mit mir, wenn ich jetzt zu diesem Einstellungsgespräch gehe“, oder: „Bitte sei mit mir, wenn ich jetzt diese Reise ma-che.“ Wenn man diese Bitte hört, klingt sie zunächst einmal heilig. Doch leider ergibt sie keinen Sinn. Ich bin dann oft versucht, diesen Beter zu fragen: „Warum bittest du Gott um etwas, das er doch eh schon tut?“

Denn Jesus macht deutlich: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Matthäus 28,20), und: „Ich werde euch nicht als Waisen zurück-lassen, sondern ich komme wieder zu euch“ (Johannes 14,8). Auch im Hebräerbrief, 13. Kapitel, Vers 5, heißt es: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“ Einer der Namen Jesu, Immanuel, bedeutet „Gott mit uns“. Wenn wir zu seiner Familie gehören, brauchen wir Gott nicht darum zu bitten, bei uns zu sein. Wir sollten vielmehr darum bitten, dass wir uns seiner Ge-genwart bewusst werden und dass wir deshalb zuver-sichtlich sind. Gott zu bitten, bei uns zu sein, wenn er schon lange da ist, ist eine Art des „Plapperns“.

Eine andere Art sinnlosen Nachredens hört man oft am Esstisch. Ein Christ setzt sich hin, um eine Mahl-

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zeit zu sich zu nehmen, deren Nährwert ein wahrer Albtraum ist. Das Fett sammelt sich im Teller, das Salz glitzert, die gezuckerten Getränke stehen bereit, damit man das Zeug hinunterspülen kann. „Lieber Herr“, be-tet der Betreffende, „möge dieses Essen unserem Kör-per wohltun und mögest du uns dadurch stärken und nähren, damit wir deinen Willen tun können.“

Wahrscheinlich ist Gottes Wille, dass der Gläubige „Amen“ sagt, vom Tisch aufsteht und das Essen dem Hund gibt – abgesehen davon, dass Gott auch Hunde wichtig sind!

Wie Gottes Wille aussieht, beschreibt der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief, Kapitel 6, Vers 20: „Ver-herrlicht also Gott in eurem Leib.“ Das heißt, wir sol-len unserem Körper die richtigen Dinge zuführen. Bit-ten Sie Gott nicht darum, ungesundes Essen zu segnen und es auf wundersame Weise so umzuwandeln, dass es Nährwert bekommt. Wenn Sie das tun, dann han-deln Sie wie der Fünftklässler, der nach der Erdkunde-arbeit betete: „Lieber Gott, bitte mach, dass London die Hauptstadt von Frankreich ist.“

Nein, das ist nicht Gottes Art.

Reden Sie mit einem liebenden Vater

Gott möchte nicht, dass wir imponierende Phrasen sammeln. Er möchte nicht, dass wir Worte verwenden, ohne uns über deren Bedeutung im Klaren zu sein. Er

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möchte, dass wir einfach so mit ihm reden, wie wir auch mit einem Freund oder unserem Vater reden: ehrlich, mit der richtigen Einstellung, persönlich, auf-richtig und ernsthaft.

Ich habe mal einen Mann so beten gehört, als ich es am wenigsten erwartet hätte. Ich nahm damals an ei-ner Konferenz teil, bei der viele Führungspersonen an-wesend waren. Das Gespräch war intensiv; ich musste mich anstrengen, damit ich bei den theologischen und philosophischen Fragen, die diskutiert wurden, über-haupt mitkam. Es wurde Mittag und wir versammelten uns alle in einem nahe gelegenen Restaurant. Ein Theo-logieprofessor wurde gebeten, das Tischgebet zu spre-chen. Als wir unsere Köpfe neigten, dachte ich: Dieses Gebet wird bestimmt wie eine Theologievorlesung klin-gen.

Der Theologe begann zu beten: „Vater, ich bin so froh, dass ich heute leben darf. Und es macht mir so viel Freude, mit den Brüdern hier in diesem Restaurant zu sitzen, gutes Essen zu essen und über die Dinge zu re-den, die dein Reich betreffen. Ich weiß, dass du an die-sem Tisch bist, und ich freue mich darüber. Ich möchte dir vor all diesen Brüdern sagen, dass ich dich lieb habe und alles für dich tun werde, worum du mich bittest.“

Er redete noch ein oder zwei Minuten so weiter. Als er „Amen“ sagte, dachte ich: Ich muss wohl noch ein bisschen geistlich wachsen.

Sein ehrliches Gebet zeigte mir, wie oft ich noch mit dem „Autopilot“ bete. Gott interessiert sich nicht für

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abgedroschene Phrasen. In Psalm 62, Vers 9, heißt es: „Schüttet euer Herz vor ihm aus!“ Reden Sie mit ihm. Sagen Sie: „Herr, so geht es mir heute. Darüber habe ich erst kürzlich nachgedacht. Das bereitet mir Sorgen. Das bedrückt mich. Darüber bin ich froh.“ Sprechen Sie ehrlich mit Ihrem Vater.

Beten Sie konkret

Jesus riet seinen Jüngern, dass sie alleine, ehrlich und als Drittes konkret beten sollen. Um ihnen zu zeigen, was er damit meinte, gab er ihnen ein Gebet als Vor-lage, das Gebet, das wir heute Vaterunser nennen.

Das Gebet von Jesus beginnt mit den Worten Unser Vater. Vergessen Sie nie: Wenn Sie durch Jesus Christus Gottes Kind sind, dann beten Sie zu einem Vater, der Sie unendlich liebt.

Die nächsten Worte lauten: im Himmel. Sie erinnern uns daran, dass Gott souverän, allmächtig und voller Majestät ist. Nichts ist für ihn zu schwierig. Er lässt uns Berge versetzen; er ist größer als jedes Problem, das Sie vor ihn bringen könnten. Schauen Sie auf seine Kraft, nicht darauf, ob Sie würdig sind.

Geheiligt werde dein Name. Lassen Sie Ihre Gebe-te nicht zu einer Wunschliste für den Weihnachtsmann werden. Beten Sie Gott an, und preisen Sie ihn, wenn Sie in seine Gegenwart treten.

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

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Ordnen Sie Ihren Willen dem Willen Gottes unter. Las-sen Sie seinen Willen oberste Priorität in Ihrem Leben haben – in Ihrer Ehe, Ihrer Familie, Ihrem Beruf, Ih-rem Dienst, Ihrem Geld, Ihrem Körper, Ihren Bezie-hungen und Ihrer Gemeinde.

Unser tägliches Brot gib uns heute. Der Apostel Pau-lus schrieb: „Bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott“ (Philipper 4,6). Brin-gen Sie ihm all Ihre Belange, seien sie groß oder klein. Wenn Sie ein Wunder brauchen, dann bitten Sie dar-um, ohne zurückzuschrecken.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Versichern Sie sich, dass nicht Sie das Hindernis sind: Bekennen Sie Ihre Sünden, emp-fangen Sie Vergebung, und fangen Sie an, sich (geist-lich) weiterzuentwickeln. Seien Sie immer bereit, ande-ren zu vergeben.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern rette uns von dem Bösen. Beten Sie um Schutz vor dem Bösen und um Standhaftigkeit, wenn Sie auf die Probe ge-stellt werden.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herr-lichkeit in Ewigkeit. Beenden Sie Ihr Gebet mit Lob-preis. Bekennen Sie, dass alles, was im Himmel und auf der Erde ist, Gott gehört. Danken Sie ihm dafür, dass er sich um Sie kümmert, dass er es möglich macht, dass Sie im Gebet mit ihm reden können.

Amen. So soll es sein.

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Gebete, die Gott die Ehre geben, sind nicht einfach Einkaufszettel. Sie sind mehr als dumpfe Schreie nachHilfe, Kraft, Erbarmen und Wunder. Wahrhaftes Gebetsollte Lobpreis enthalten: „Unser Vater im Himmel, geheiligt werde dein Name“ (Matthäus 6,9). Es sollte Einordnung enthalten: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“ (Vers 10). Natürlich haben Bit-ten ihren Platz: „Unser tägliches Brot gib uns heute“ (Vers 11), genauso wie auch Sündenbekenntnis: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unse-ren Schuldigern“ (Vers 12).

Reflektieren Sie über die Zeit mit Gott

Das Problem mit magischen Formeln ist, dass sie ge-dankenlos sind. Viel zu oft gehen wir durchs Leben,

Das Vaterunser ist eine ausgezeichnete Vorlage, aber es sollte niemals als magischer Zauberspruch dienen, der uns dabei hilft, Gottes Aufmerksamkeit zu erlan-gen. Jesus hat uns dieses Gebet nicht gegeben, damit wir einen Textabschnitt zum Aufsagen haben – im Ge-genteil. Er hat uns gerade davor gewarnt, immer die gleichen Phrasen zu wiederholen. Nein, er gab es uns als eine Vorlage, um uns eine Auswahl der Elemente vorzuschlagen, die in unserem Gebet enthalten sein sollen.

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ohne darüber nachzudenken, was wir tun und was das alles zu bedeuten hat. Wenn wir ans Gebet herange-hen, ohne groß darüber nachzudenken, können wir keine „großen“ Ergebnisse erwarten.

Jedes Jahr lädt die Willow Creek Association über hunderttausend Leiter von verschiedenen Diensten zu einer Konferenz ein, dem Leadership Summit. Ich stau-ne immer wieder darüber, wie viel Anstrengungen es kostet, Redner einzuladen, Programmelemente zu pla-nen, Einführungsvideos zu drehen, Werbematerialien zu gestalten und so weiter. Aber genauso aufwendig ist die Beurteilung der Veranstaltung nach der Konferenz. Wir laden über hundert Pastoren in ein Chicagoer Ho-tel ein und bombardieren sie anderthalb volle Tage mit Fragen darüber, warum bestimmte Veranstaltun-gen gut liefen und andere nicht und warum verschie-dene Lieder oder Tänze oder Theateraufführungen gut ankamen oder die Menschen nicht bewegten. Als Team beschlossen wir vor zehn Jahren, dass wir ohne eine konsequente Beurteilung unserer Arbeit nie bes-ser werden können.

Im Laufe der Jahre las ich mehrere Bücher von ver-schiedenen christlichen Autoren, die alle etwas Ähn-liches sagten: Wenn die Nachfolger Jesu sich in geist-licher Hinsicht nicht weiterentwickeln, dann liegt das daran, dass sie ihr Leben nicht regelmäßig beurtei-len. Sie treten nie einen Schritt zurück und fragen sich: „Was läuft gut und was läuft nicht gut?“ Ich merk-te: Diese Autoren beschrieben mich in verschiedenen

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Phasen meines Dienstes! Ich lebte sehr schnell, immer auf dem Sprung, aber nie bereit, in die Tiefe meines In-neren zu schauen, um zu sehen, was dort wuchs – oder eben nicht wuchs.

Ich nahm mir nie die Zeit für die Art von Reflektion, die zu innerem Wachstum führt. Und ich zahlte einen hohen Preis dafür: Ich beging dieselben dummen Feh-ler wieder und wieder und lebte ständig mit derselben schweren Last der Schuld.

Also traf ich eine schwierige Entscheidung: Ich be-schloss, von nun an jeden Tag ehrlich zu versuchen, die Befindlichkeit meiner Seele zu durchleuchten. Ichwürde in mich hineinschauen, und ich würde aufschrei-ben, was ich dort sah. Mit einem unbeholfenen und ein wenig peinlich berührten Gefühl nahm ich mir ein No-tizheft und begann zu schreiben: „Gott, hier sind eini-ge Dinge in meinem Leben, über die ich wirklich frus-triert bin. Sie gehen nicht weg, also kann ich sie mir genauso gut näher anschauen.“ Oder: „Um diese Be-ziehung mache ich mir Sorgen. Sie ist nicht gut, und ich weiß nicht, wie ich sie verbessern kann.“ Oder: „Hier sind einige Segnungen, die du in mein Leben ausgegos-sen hast.“ Und nachdem ich ein paar Zeilen geschrie-ben hatte, dachte ich über das nach, was da stand.

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Vor allem: Beten Sie!

Es ist jetzt fast fünfundzwanzig Jahre her, seit ich ange-fangen habe, meinen Tag schriftlich zu reflektieren. Bald begann ich sogar, ganze Gebete niederzuschreiben und sie Gott dann vorzulesen. Das hilft mir dabei, mich zu konzentrieren. Ich bin früher nicht weiter gekommen als bis „Lieber Gott …“, und schon dachte ich an die Person, die ich zum Mittagessen treffen würde, oder an das bevorstehende Gemeindevorstandstreffen oder an das, was meine Familie und ich nach dem Abendessen unternehmen würden.

Wenn ich einen Stift über das Papier bewege, ist es viel einfacher, bei der Sache zu bleiben. Das Schreiben zwingt mich auch, konkret zu sein; epische Verallge-meinerungen machen sich nicht gut auf Papier. Und es hilft mir dabei zu erkennen, wenn Gott auf meine Ge-bete antwortet. Ich bin dadurch in vielfacher Hinsicht gesegnet worden.

Auch heute noch lese ich am Ende jedes Monats mein Gebetstagebuch durch und sehe, wo Gott Wun-der gewirkt hat. Immer, wenn mein Glaube auf etwas schwachen Beinen steht, schaue ich in mein Tagebuch, und dort sehe ich klar und deutlich, dass Gott meine Gebete erhört. Wenn ich im Januar mehrere Gebets-erhörungen aufzählen kann, bin ich motiviert, Gott im Februar erst recht zu vertrauen.

Probieren Sie es aus, und schauen Sie, was bei Ihnen am besten funktioniert. Versuchen Sie zu Beginn, Ih-

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re Gebete einmal in der Woche aufzuschreiben. Wenn Sie merken, dass es Ihnen hilft, dann tun Sie es öfters. Wenn es Ihnen hinderlich ist und Sie sich dabei nicht wohlfühlen, dann suchen Sie sich eine andere Metho-de, die bei Ihnen besser funktioniert. Gleichgültig, wie Sie es tun: Beten Sie so wie Jesus: alleine, ehrlich und konkret.

Wenn Gott mir im Laufe der Jahre eine weise Er-kenntnis geschenkt hat, wie das Wunder „Gebet“ in unserem Leben wirksam wird, dann die Erkenntnis: Bete einfach!

Ich kann über Gebet schreiben, Sie können darüber lesen, und Sie können mein Buch sogar einem Freund ausleihen und damit zeigen, dass Sie andere zum Beten ermutigen. Aber früher oder später müssen Sie beten. Dann, und nur dann, wird für Sie das Abenteuer des Glaubens beginnen.