A. SUBJEKTIVISMUS BEI FRANZ BRENTANO

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    Georg Wolfgang Cernoch

    DER SUBJEKTIVISMUS BEI FRANZ BRENTANO IN DEN GRENZEN VONPSYCHOLOGIE UND LOGIK

    (BER DEN URSPRUNG DER SITTLICHEN ERKENNTNIS )

    I. DIE AUSGANGSLAGE FR BRENTANO

    Man hat die Lehre des Thomas von Aquin oft so dargestellt, als ob sie reinerSubjektivismus wre. Es ist wahr, da vieles bei ihm ganz subjektivistisch klingt. (Manvgl. z. B. Summ. theol. 1a q. 80, art. 1, insbesondere die Objektionen und Lsungen,

    sowie die Stellen, wo er bei jedem die eigene Glckseligkeit fr das letzte und hchsteZiel erklrt und selbst von den Heiligen im Himmel behauptet, da jeder, und mit Recht,mehr seine eigene als die Seligkeit aller anderen verlange.) Aber daneben findet manAusprche, worin er ber den Subjektivismus sich erhaben zeigt, wie z. B., wenn er (wievor ihm Platon und Aristoteles, und nach ihm Descartes und Leibniz) erklrt, da jedesSeiende als solches gut sei, und zwar nicht blo gut als Mittel, sondern, was die reinenSubjektivisten (wie jngst erst Sigwart, Vorfr. d. Eth., S. 6) ausdrcklich leugnen, gut insich selbst. Und wieder, wenn er erklrt, da, falls einer was freilich ein Fall derUnmglichkeit sei - einmal zu whlen habe zwischen seinem eigenen ewigen Verderbenund einer Verletzung gttlicher Liebe, es das Richtige sein wrde, die eigene ewige

    Unseligkeit vorzuziehen.

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    Brentanos Argumentation hat in etwa folgende Struktur: Denke ich einen Wertallgemein als hchsten Wert und setze in dadurch absolut, werde ich ausGrnden theoretischer berlegungen zu meinen Wertsetzungen einSubjektivist, setze ich einen Wert aber aus Leidenschaft und Hingabe absolut(wie im Heilsegoismus) habe ich den Zustand des Subjektivisten nie verlassen.

    Brentano nennt hier zwei Argumente gegen den Subjektivismus; zunchst eineBemerkung dazu, da das Seiende als solches gut ist. Zwar ist vorzuziehen, sich dafr zuentscheiden, da das Seiende gut in sich selbst ist (was voraussetzt, da man das Dasein

    in sich als gut befindet), aber offensichtlich kann dieses Gute nicht das Ideal derSittlichkeit aus sich selbst symbolisieren. Es ist wohl auch deshalb gut, weil es Mittel zueinem Zweck des Kosmos ist, der nicht in ihm selbst liegt, sondern die Handlungen undden Wert der menschlichen Individuen betrifft (vgl. Aristoteles verschiedeneWertschtzung der Disposition und dem aktuellen Handeln, aber auch, da auch einSystem von Handlungen nicht unbedingt den Wert eines Charakters vllig darstellenkann). Es wre erst nachzuprfen, ob Sigwarts Beschrnkung des Guten eines Seiendenauf seine Mittelhaftigkeit von eben dieser Unterscheidung der Grnde, einem Seienden

    1 In: Vom Ursprung der sittlichen Erkenntnis, Anmk. 28, Vom ethischen Skeptizismus, p. 76, aus: Alfred

    Klastil, Die Frage nach der Erkenntnis des Guten bei Aristoteles und Thomas von Aquino. Sitz.ber. d.k. u. k. Ak. d. W., Wien 1900

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    das Gutsein zuzusprechen, motiviert ist. Im Gegenzug ist aber Brentano zu fragen, ob ihm

    das sittlich Gute soviel sei wie das Gute des Seienden (oder gleich des Daseins), oder ober das transzendentale Ideal nicht nur dem Ganzen der Schpfung metaphysischvoraussetzt sondern schon fr jedes einzelne Seiende und dies so ideal als pulchrum undbonum anspricht. Wenn das letztere der Fall ist, verwechselt Brentano den sthetisch-teleologischen Grund des von ihm selbst artikulierten Optimismus mit dem Seinsgrunddes Seienden, der auch im gttlichen Diskursus nicht mit der eigentlichen Absicht ident,sondern zuerst blo fr die Konsequenzen als quipollent gesetzt werden knnen sollte,insofern die gttliche Allwissenheit alle Folgen bereits kennt.

    Brentano setzt mit einer Errterung des zweiten Arguments gegen den Subjektivismusfort:

    Es trifft sich hier das sittliche Gefhl des christlichen Abendlnders mit dem desheidnischen Hindu zusammen, wie es sich in einer etwas seltsamen Erzhlung von einemMdchen kundgibt, das fr das Heil der brigen Welt seiner eigenen ewigen Seeligkeitentsagt; und wieder mit dem eines positivistischen Denkers wie Mill, wenn er erklrt:lieber als vor einem nicht wahrhaft guten Wesen anbetend mich beugen "to hell I will go".Ich kannte einen katholischen Geistlichen, der Mill um dieses Auspruches willen bei derWahl ins Parlament seine Stimme gab.Wie gesagt, ist, wer einmal die Meinung angenommen hat, nichts knne gefallen, auerinsofern es wirklich in sich gut, nichts mifallen, auer insofern es wirklich schlecht sei,

    auf einen Weg, der konsequent zum Subjektivismus fhrt.2

    Im ersten Argument der auf S. 76 sich befindlichen Darstellung von Thomas von Aquinosollte nun gerade das wirkliche Gute im Seienden bezeugen, da Thomas nicht nursubjektivistisch (das eigene Seelenheil als hchsten Wert ansehend) argumentiert. DaBrentano den Anspruch, lieber auf das eigene Seelenheil zu verzichten, als die gttlicheLiebe zu verletzen, in der Fortsetzung des Gedankenganges des zweiten Argumentszuletzt wieder ins Argument des konsequenten Subjektivismus herein nimmt, bleibt nurverstndlich, wenn das erste Argument dahingehend aufgefat werden kann, da dieBeziehung zu Gott das Bewutsein erst realisiere und alle weiteren Bestimmungen desSeienden determiniere, und deshalb auch alles Seiende als solches gut sei. Gerade die

    Haltung, die im zweiten Argument ausgesprochen wird, setzt demgegenber aber einenobjektiven Mastab voraus, der nicht nur der eigenen Subjektivitt, sondern sogar derWillkr Gottes vorausgesetzt zu denken ist.3 Dieser Widerspruch zwischen erstem undzweitem Argument hebt nun entweder das erste oder das zweite Argument gegen denSubjektivismus, das Brentano bei Thomas gefunden hat, auf.

    Abgesehen von dieser offenbleibenden Frage scheint Brentano zu bersehen, da er dochauch schon dann, wenn er vom Seienden, das als solches gut sei (erstes Argument gegen

    2 cit. op., Anmk. 28, p. 76 f.3

    Vgl. Bayles Einflu auf Leibniz in der Theodizee. Gottfried Wilhelm Leibniz, Die Theozidee, (1710),bersetzt von A. Buchenau (1925), II., bep. 183-189.

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    den Subjektivismus), implizite auch schon vom in sich Guten und vom in sich Schlechten

    spricht (Schlu der Rckwendung des zweiten Arguments gegen den Subjektivismus inein freilich als falsch apostrophiertes Argument des Subjektivismus), was nur dienchste Frage aufwirft, ob denn, wenn es das in sich Gute gibt, es berhaupt ein in sichSchlechtes im vergleichbaren Sinn geben knne.

    Der eigentlich systematisch interessante Grund, weshalb Brentano sagt, da, wer einmaldie Meinung angenommen hat, nichts knne gefallen, auer insofern es wirklich in sichgut, nichts mifallen, auer insofern es wirklich schlecht sei, auf einen Weg, derkonsequent zum Subjektivismus fhrt, ist aber folgender: Das Gute braucht nicht immerzu gefallen (mit Lust notwendigerweise begleitet sein), das Gefallende mu nicht immergut sein. So bleibt kein Zweifel darber, da wirklich ein entgegengesetztes Verhalten

    des Gemts auf die selbe Erscheinung sich richten kann. Auch wo Vorstellungen unsinstinktiv abstoen und doch zugleich ein hhergeartetes Gefallen in uns erregen [...],zeigt sich dasselbe unverhllt.4 Brentano beginnt die genetische Entwicklung einesindividuellen Geschmacks mit dem Schema der Idee der Erhabenheit in Verbindung zubringen. Das entspricht nur dem von ihm selbst andernorts begrndeten objektivenOptimismus.5

    Offensichtlich will Brentano damit keineswegs das an sich Gute eines Seienden leugnen,sondern nur eben das Zusammenfallen des Guten des Seienden mit dem Guten desSittlichen kritisieren. Der Subjektivismus Brentanos ist als notwendige Basis des

    Objektiven in der Tradition des Cartesianismus nicht dem reinen Subjektivismus einesSigwart, der kritisch das Gutsein eines Seienden nur in seiner Mittelhaftigkeit zu einemguten Zweck erkennen kann, schlicht entgegenzusetzten, sondern dieser umfatinzwischen wesentlich mehr: nmlich a) eben das Gutsein des Seienden, b) die Negationdes konsequenten Subjektivismus, der nach Brentano entgegen Bayles undabgeschwcht auch Leibnizens6 Vorausgesetztheit der ewigen Wahrheiten fr Gottselbst anscheinend dann doch wieder in der bloen Denkmglichkeit der Abwendungvom hchsten Wesen und in der damit vorausgesetzten Freiheit, auch vom individuellenHeilsegoismus absehen zu knnen,7 liegt, und schlielich c) die relative Gutheit der Mittelfr einen (guten) Zweck. Das wirklich in sich Gute besitzt also mehrere Kriterien undnicht nur das Gutsein eines Seienden (Vgl. etwa die Termini felicitatis und

    beatitudine als Grenzen der Bedeutung von Glckseligkeit bei Leibniz).

    4 Brentano, Vom Ursprung ..., p. 775 Wir erschlieen mit Sicherheit eine erste, in sich selbst notwendige, unfehlbare Ursache als

    determinierendes Prinzip der Weltentwicklung, und sie verbrgt uns einen unendlichen Aufstieg dergesamten Schpfung zu immer hherer Vollkommenheit als einzige jener Ursache angemesseneWirkung. (aus der Einleitung zu Vom Ursprung der Sittlichkeit, 1955, von O. Kraus. Krausverweist auf F. Brentano, Vom Dasein Gottes). Diese berhhte und zugleich vllig abstrakte Artdes Optimismus hat mich gleich zuerst an die Schwierigkeit erinnert, die ich mit der Bedeutung dersthetik (vgl. die letzen zehn der 24. Stze Leibnizens, Gerhardt, Bd. VII, p. 289, Kap. VIII,Vierundzwanzig Stze) fr das quantitas perfectionis hatte.

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    Ebenso entgegen Bolzanos Auffassung7 Vgl. die Prsupposition bei Thomas, da eine solche Wahl unmglich sei.

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    II. ZUM SKEPTIZISMUS IN DER ETHIK

    Aristoteles erkennt an, da es ein richtiges und ein unrichtiges Begehren [...] gebe, undda das Begehrte [...] nicht immer das Gute [...] sei (De Anim. III., 10.) Ebenso erklrt erbezglich der Lust [...] in der Nikomachischen Ethik, nicht jede sei gut; es gebe eine Lustam Schlechten, welche selbst schlecht sei (Eth. Nikom. X, 2). In der Metaphysikunterscheidet er eine niedere und hhere Art des Begehrens [...]; was die hhere umseiner selbst willen begehre, sei in Wahrheit gut (Metaph., D, 7 p. 1072 a 28). Einegewisse Annherung an die richtige Anschauung drfte hier bereits erreicht sein.Interessant ist es insbesondere, da (was ich erst nachtrglich bemerkte) schon er denethischen Subjektivismus mit dem logischen des Protagoras zusammenstellt und beide

    gleichmig verwirft (Metaph. K. 6 p. 1062 b 16) und 1063 a 5). Dagegen scheint esnach den nchstfolgenden Zeilen, als ob Aristoteles der allerdings begreiflichenVersuchung erlegen sei, zu glauben, wir erknnten das Gute als gut, unabhngig von derErregung der Gemtsthtigkeit (ebend. 29; vgl. De Anim. III., 9 u. 10). Damit hngt eswohl auch zusammen, wenn er Eth. Nikom. I, 4 leugnet, da es einen einheitlichen Begriffdes Guten (und zwar, wohlverstanden, des in sich selbst Guten) gebe [...], vielmehr meint,es bestehe fr das Gute des vernnftigen Denkens, des Sehens, der Freude usw. nur eineEinheit der Analogie; und wenn er an einem anderen Orte (Metaph. E, 4 p. 1027 b 25)sagt, das Wahre und das Falsche seien nicht in den Dingen, wohl aber das Gute und dasSchlechte; d. h. wohl, jene Prdikate (z. B. wahrer Gott, falscher Freund) wrden den

    Dingen nur in bezug auf gewissen psychische Akte, die wahren und falschen Urteile,beigelegt [...].8

    Brentano kommt nach der Erkenntnis, da Aristoteles den ethischen Subjektivismus wieden logischen des Protagoras verwerfe, zu einer nicht eindeutig erkennbaren Zsur. Daanschlieend Aristoteles der Versuchung erlegen sei, wir erknnten das Gute als gut,unabhngig von der Erregung der Gemtsttigkeit zeigt das fr Brentano entscheidendeArgument. Brentano greift die Leugnung eines einheitlichen Begriffes des Guten durchAristoteles an, der nur Analogien gelten lt. Brentano ordnet aber spter das Ideal desSchnen dem Vorstellungsvermgen, das Ideal des Wahren dem Urteilsvermgen zu,whrend die durch Rcksicht auf eigene Lust und eigenen Gewinn ungehemmte freie

    Erhebung zu hheren Gtern das Ideal der Liebe sein soll.9 Derart gibt Brentano selbsteine Darstellung, welche nur analog zum Ideal der Liebe die Ideale der anderen beidenSeelenvermgen zu denken erlaubt. Die Polemik der Verteidtigung des einheitlichenBegriff des Guten gegen Aristoteles (des an sich selbst Guten) fhrt hier aber dazu, daBrentano nicht nur wie Aristoteles anheim stellt, da das Gute wie das Schlechte in denDingen sei (obwohl er andernorts vom Guten des Seienden, sogar jeder Vorstellung in

    8 Brentano, Vom Ursprung ..., p. 789

    Brentano,F r a n z :Psychologiev o mempirischenStandpunkt,2 .B d . :V o nd e rKlassifikation derpsychischen Phnomene, Hrsg. Oskar Kraus, Hamburg 1959 (Nachdruck von 1925), p. 121

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    der sthetik spricht10 wie kann im vergleichbaren Sinn vom Schlechten des Seienden

    die Rede sein?), sondern auch das Wahre und das Falsche. Damit aber kann Brentanowegen seiner berzogenen Polemik berfhrt werden, da er in seinem Beispiel wahrerGott und falscher Freund wissentlich die Prdikate des Urteilens im uneigentlichenSinne und nur im sittlichen Gebrauch verwendet und dann anheimstellt, als gbe es eineIdentitt in der Bedeutung dieser zweierlei Verwendung, also Identitt von Wahrem undGutem, whrend doch das Wahre vom Guten einseitig ablsbar ist. Damit schietBrentano ber sein eigenes Ziel, dem einheitlichen Begriff des an sich Guten, welchesnoch der weiter oben von mir vorgestellten mehrteiligen Darstellung entsprechen knnte,gleich in verschiedenster Hinsicht, also nicht nur hinsichtlich der Hereinnahme desWahren in die Gutheit, hinaus.11

    Nun ist es nur allzu wahr, da die Einheit der Analogien des Gutseins sptestens in denKonsequenzen auch das Wahre und das Falsche beinhalten sollten, doch steht der obigenBehauptung eines einheitlichen Begriffes des Guten nicht nur die Auffassung vonThomas gegenber, da zwar das Gute und das Schlechte in den Dingen sei, aber nichtdie Wahrheit und die Falschheit, sondern es bleibt auch weiterhin noch zu bedenken, dadas Gute nicht immer zu gefallen (mit Lust notwendigerweise begleitet sein), dasGefallende nicht immer gut sein mu.

    10 Franz Brentano, Grundzge der sthetik. Aus dem Nachla herausgegeben von Franziska Mayer-Hillebrand, Hamburg 21988 (erste Auflage Bern 1959), Kap. IV., A, p. 142. Vgl. auch das Vorwort derHerausgeberin, p. VI.

    11 Brentano, Vom Ursprung ..., p. 62, Anmk. 26. Der Begriff des (in sich selbst) Guten ist hiernach eineinheitlicher im strengen Sinne und nicht, wie Aristoteles (infolge einer Verirrung, auf die wir nochzu sprechen kommen werden) lehrte, blo in analoger Weise einer. Auch deutsche Philosophenverkannten die Einheit des Begriffep. So Kant und jngst wieder Windelband. Verfhrerisch mochtefr Deutsche ein Mangel unserer gewhnlichen Sprache werden, die dem "Guten" keinen berallgleichmig blichen Ausdruck entgegengestellt, sondern seinen Gegensatz bald als schlimm, bald al sbel, bald als bse, bald als arg, bald als abscheulich,bald als schlecht bezeichnet usw. Da konnte esdenn, wie gar oft in hnlichen Fllen, geschehen, da man mit dem gemeinsamen Namen auch einesgemeinsamen Begriffes zu entbehren glaubte. und fehlte ein solcher auf der einen Seite, so mute erauch auf der anderen fehlen, und der Ausdruck "gut" ein quivoker Name sein.Von allen erwhnten scheint mir (und auch Philologen, die ich zu Rate zog, waren derselben Ansicht)der Ausdruck "schlecht" noch am meisten, wie das lateinische "malum", in voller Allgemeinheit demGuten gegenber verwendbar, und so werde ich ihn im Folgenden mir zu gebrauchen erlauben.Anmk. des Herausgebers (Oskar Kraus): Da die Termini "Gutes", "Wertvolles", "Gut", "Wert" undwiederum "Schlechtes", "bel", "Unwert" usw. berhaupt nicht selbstbedeutend sind, d.h. fr sichgenommen nichts bedeuten, so knnen sie [...] auch keinen einheitlichen Begriff bedeuten. Trotzdem behlt, was Brentano hinsichtlich der Einheitlichkeit der Bedeutung bemerkt, seinen Sinn und seineBerechtigung, sobald man statt von einem einheitlichen Begriffe des "in sich Guten" von einereinheitlichen Funktion dieser Termini in der Rede spricht. Mit anderen Worten: diese Termini knnenden Sinn der Stze, in denen sie verwendet werden, in gleicher Weise ergnzen. Ob ich sage:Erkenntnis ist gut (wertvoll) - der Betrag, den dieses Wort (wertvoll) zu dem Sinne der Stze leistet,ist beidemal der gleiche: es ist ja beidemal blo gesagt, da eine als richtig charakterisierte emotionaleBewertung von Erkenntnis oder Freude keine andere als eine positiv wertende, d.h. liebende sein

    knne. Dazu stimmt es, wenn Brentano in der Anmerkung sagt, da er an einem gewissen gemeinsamenCharakter der intentionalen Beziehung von Liebe und Ha festhalte.

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    Ich sagte, die Versuchung, der Aristoteles erlegen, erscheine begreiflich. Sie entspringt

    daraus, da mit der Erfahrung der als richtig erkannten Gemtsttigkeit auch dieErkenntnis der Gte des Objekts immer zugleich gegeben sei. Da kann es denn leichtgeschehen, da man das Verhltnis verkehrt und meint, man liebe hier infolge derErkenntnis und erkenne die Liebe als richtig an der bereinstimmung mit dieser ihrerRegel.12

    Die hhere Art des Begehrens mag nun der Richtigkeit der Liebe erst ihre Regel gebenund nicht umgekehrt, aber dennoch bleiben wohl diejenigen Regeln vorgeordnet, die dasniedrigere vom hheren Begehren verllich zu unterscheiden vermgen. Da im Sinneder reinen Subjektivisten an der Erfahrung vom Objekt sich immer berhaupt nur dieRichtigkeit der Erkenntnis bzw. des Urteilsaktes, nicht aber irgend eine Richtigkeit des

    Objektes an sich selbst oder auch blo als sittliche Bewertung der Mglichkeiten, alsMittel zu Zwecken zu dienen, erkannt werden kann, hat in der Folge nun den Mangel, dagar kein Grund der Richtigkeit der Gemtsttigkeit (als Richtigkeit des Liebens) erkanntwerden kann. Die Gutheit des Seienden schlechthin sei davon gar nicht berhrt: Da dieMglichkeit, einen Teil der Schpfung fr einen unsittlichen Zweck zu gebrauchen, nichtdem Schpfer, sondern nur dem Geschpf angelastet werden kann, ist schon Bestandteilder sptscholastischen Lehre zwischen Suarez und Descartes.

    Inzwischen steht man vor der Schwierigkeit, da die Unterscheidung der Richtigkeit einesUrteilsaktes und der Richtigkeit eines Aktes des Liebens (Gemtsttigkeit) auf eine

    vorgngige Einteilung der Seelenvermgen aufruht, und so beide Ttigkeiten schlechthinals Ttigkeiten der Seele zu betrachten sind. Beide Ttigkeiten knnen nun als richtig oderals falsch charakterisiert werden der jeweilige Grund bleibt allerdings mit derAblehnung von Grundstzen im Dunklen: vielmehr soll offenbar die Analogie zwischenden Seelenvermgen den jeweiligen Grund vertreten knnen. Brentano distanziert sichalso aus verschiedenen Grnden sowohl von der realistischen Seite von Thomas wie vomreinen Subjektivismus Sigwarts und stellt, gleichsam aus dem Negativ herausspringend,im Versuch philosophisch das Gewissen zu fundieren, seinen Subjektivismus abermalsals wirkliche Grundlage objektiver Realitt heraus. Es ist im Sinne derUntersuchungsgnge Brentanos darauf zu achten, da Brentano hier von der Analogie derrichtigen Form des Begehrens (der Gemtsttigkeit im engeren Sinne) zur richtigen Form

    des Urteilens ausgeht, und hier nicht von demjenigen Subjektivismus ausgeht, der zwardas Gute und Schlechte, aber nicht die Wahrheit und Falschheit in die Dingen selbstverlegt, sondern gleich von der Richtigkeit der Liebe spricht, die auch das Wahre zurFolge hat, ohne auf eine allgemeine Regel bezug nehmen zu mssen. 13

    12 cit. op., p. 79; hierin hnlich wie Herbart, der den Erfahrungskreis, der in der Pdagogik zur

    Ausbildung des Willens entlang formaler Sachstufen des Unterrichts dient unterscheidet von dersthetisch vorgehenden Einbung der Sittlichkeit, die praktisch nicht eine Sache des Willens, sonderndes bildsamen Charakters ist.

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    cit. op., Einleitung von O. Kraus, p. VII: Max Schelers Hauptwerk Formalismus in der Ethik und diemateriale Wertethik wird hier als abhngig von den Untersuchungen Brentanos vorgestellt.

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    Methodisch wird aber die Auffassung von der Richtigkeit im Urteil (Wahrheit und

    Falschheit lagen nie im Seienden, nur das Gute und das Schlechte) zum Vorbild derAuffassung von der Richtigkeit einer Gemtsttigkeit, welche der Erkenntnis der richtigenLiebe vorhergeht. Brentano stellt also zunchst den Terminus Richtigkeit abstrakt ganzauf die Lehre der Ttigkeit von Seelenvermgen berhaupt ab (im Urteilen wie im Lieben)und lehnt auch die Ersetzung des Objekts als Nachweis der Wahrheit oder der Gutheitdurch ein Regelwerk des richtigen Erkenntnisaktes ab:

    Es ist nicht ohne Interesse, den Fehler, den hier Aristoteles in betreff der als richtigcharakterisierten Gemtsttigkeit begeht, mit jenem zu vergleichen, dem wir bei Descarteshinsichtlich des als richtig charakterisierten Urteils begegnet sind [...]. Der eine ist demanderen wesentlich analog; in beiden Fllen wird der auszeichnende Charakter, statt in

    dem als richtig charakterisierten Akte selbst, vielmehr in der Besonderheit der ihmzugrunde liegenden Vorstellung gesucht.14

    Die Ablehnung der Besonderheit der der Evidenz im Sinne von impliziter Wahrheitzugrundeliegenden Vorstellung macht nicht nur die Mglichkeit der Widerlegung dessubjektiven Idealismus anhand der Untersuchung der Relationen in denAnschauungsformen von Kant sondern letztlich auch die phnomenologische ReduktionHusserls zunichte.

    Dem Irrtum Descartes' bezglich des Charakteristischen der Evidenz kommen

    heutzutage viele nahe [...], wenn sie die Sache sich so vorstellen, als halte man sich beijedem evidenten Urteil an ein Kriterium. Dies mte dann irgendwie vorher gegeben sein;entweder als erkannt - das wrde aber ins Unendliche fhren - oder (und das bleibteigentlich allein brig) als in der Vorstellung gegeben. Auch hier kann man sagen, da dieVersuchung zu solchem Migriff naheliege, und sie mag auch auf Descartes beirrendeingewirkt haben. In den Irrtum des Aristoteles fllt man weniger; aber wohl nur darum,weil man berhaupt das Phnomen der als richtig charakterisierten Gemtsttigkeitweniger als das des als richtig charakterisierten Urteils in Betracht gezogen hat. 15

    Um ein Miverstndnis und die daran notwendig sich knpfenden Bedenkenauszuschlieen, bemerke ich zu dem, was ich im Texte mit wenigen Strichen angedeutet,

    noch folgendes. Damit ein Akt der Gemtsttigkeit in sich selbst rein gut zu nennen sei,dazu gehrt: 1. da er richtig sei, 2. da er ein Akt des Gefallens, nicht ein Akt desMifallens sei.16

    Es knnte nun ein Akt des Mifallens durchaus richtig sein, oder es knnte ein Akt derGemtsttigkeit durchaus gefallen; erst beide Bedingungen zusammen machen die reineGutheit aus. Vergleiche dazu die Beschftigung Brentanos mit Aristoteles:

    14 cit. op, p. 7915

    l. c.16 cit. op., p. 81

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    Besser stimmt es mit der wahren Lehre vom Ursprung unseres Begriffes und unserer

    Erkenntnis des Guten [berein], wenn er [Aristoteles] [in] Eth. Nikom. X, 2 gegen dieAnnahme, da die Freude nicht zu dem Guten gehre, als Argument gelten lt, da allesnach ihr begehre, und beifgt: denn wenn nur die unvernnftigen Wesen danachbegehrten, so enthielte die Verwerfung dieser Begrndung wohl eine gewisseBerechtigung, wenn nun aber auch die vernnftigen es tun, wie sollte sich noch etwasdagegen sagen lassen? Doch lt sich auch dieser Ausspruch mit seiner falschenAnsicht vereinigen. Von dieser Seite betrachtet erscheint der Gefhlsmoralist Hume ihmgegenber im Vorteil, welcher mit Recht betont: wie soll man erkennen, da etwas zulieben ist, ohne die Erfahrung der Liebe?17

    Brentano will also sagen, da die richtige Gemtsttigkeit mit Freude verbunden ist und

    ein Akt des Gefallens ist, auch wenn es eine Art des Gefallens gibt, die nicht richtig ist.Anstatt auf einen Grundsatz verweist Brentano hier allerdings auf die Erfahrung.

    III. ZUR ANALOGIE DER GESETZE DER GEMTSTTIGKEIT ZU DENEN DER LOGIK

    Diese innere Erfahrung soll, so Brentano in einem Brief an den Herausgeber O. Kraus(1904), von diesem unter den Titel ber den apriorischen Charakter der ethischenPrinzipien aufgenommen, hnlich wie anhand der ueren Erfahrung die Mathematik,mit analytischen Begriffen die Ethik a priori notwendig gemacht werden knnen. In der

    Antwort wird die fehlende Regelhaftigkeit dann doch thematisiert. Brentano distanziertsich auch gleich zu Beginn davon, in der Ethik einen empirischen Standpunkteinzunehmen:

    ... ein Wort ber die Frage, ob unser ethischer Standpunkt ein empirischer sei. DieAntwort wird davon abhngen, wie man den Begriff fat. Da die Vorstellungen desGuten und Bessern aus der Erfahrung geschpft sind, ist auer Zweifel. Doch Siebemerken treffend, da hnliches auch bei den mathematischen Wissenschaften gelte, diewir darum doch nicht empirische Wissenschaften nennen.18

    Der erste wesentliche Unterschied zwischen einer als richtig charakterisierten

    Gemtsttigkeit und eines als richtig charakterisierten Urteils wird negativ zur Logikformuliert: Der Gegensatz von gute und nicht gute Erkenntnis gibt nicht so wie derGegensatz von wahrer und falscher Vorstellung zu einem apodiktisch verwerfenden UrteilAnla.

    17

    cit. op., p. 78 f.18 cit. op., p. 109 f.

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    Und so ist denn noch eine andere Erfahrung notwendig, nmlich die, da aus dem

    Begriffe der Erkenntnis eine Liebe zu ihr entspringt,19

    die eben indem sie so entspringt,als richtig charakterisierte Liebe auftritt.20

    Hier geht aber doch die Erkenntnis (der Begriff) der Liebe wieder voran.

    Ein rein intellektuelles psychisches Wesen wrde wohl aus "2+1 ist nicht 3" zurapodiktischen Verwerfung dieses Satzes, nicht aber aus "Erkenntnis ist nicht gut" (wobeiwir den Begriff des Guten a priori gegeben denken mten) zur apodiktischenVerwerfung dieses Satzes gefhrt werden. Allein andererseits vollzieht sich die Erfahrung,deren wir bentigen, ganz analog der Erfahrung des apodiktischen Urteils "3 welchesnicht 2+1 ist, ist unmglich". Denn auch jene als richtig charakterisierte Liebe entspringt

    aus dem Begriffe,und das eben charakterisiert sie als richtig. [...] Und so dnkt es michvollkommen gerechtfertigt, dagegen zu protestieren, da die Erkenntnis hier, wie auchimmer eine Liebe erlebt und erfahren werden mu, eine empirische genannt wird. Sie istvielmehr apriorisch mit einer wesentlich hnlichen Ablehnung des Gedankens, da dieverwendeten Begriffe ohne Perzeption und Apperzeption gegeben seien, wie sie immerstattfinden mu.21

    O. Kraus gibt zur Schlubemerkung eine Funote: Da heit: Abgelehnt werden muder Gedanke, da bei apriorischen Urteilen die zugrunde liegenden Begriffe nicht aus derErfahrung stammen.

    Der Grund der anscheinend letzlich doch apodiktischen Verwerfung des Satzes Es gibtnicht-gute Erkenntnis ist also kein rein logischer Grund, dennoch hat Brentano zuvorerst das Urteil, in welchem die apodiktische Verwerfung eines falschen Satzes derArithmetik zum Ausdruck kommen soll, zum Vorbild zu der aus dem Begriffeentspringenden, also richtigen Liebe genommen. Eine Analogiebildung, die er weiter obenals dem einheitlichen Begriff des Guten an sich entgegenstehend, schon einmal als zuschwach verworfen hat. Der zu verwerfende Satz: "2+1 ist nicht 3" wrde damit nur alsideales Beispiel der empirischen Liebe zu verstehen sein, in der analog zur empirischenErkenntnis auch nicht richtiges Gefallen also analog zur mglichen subkontrrenNegation empirischer Erfahrung mglich wre.

    Brentano bindet aber nicht nur das Verhltnis von Gefallen und Mifallen an die logischeAnalogie, sondern er spricht eigentlich in seinem Beispiel immer nur von der Liebe zueinem arithmetischen Satz. D. h. wohl, Brentano spricht nur von der Liebe zur Wahrheit;das schliet mit ein, da es ein nicht richtiges Gefallen gibt, aber nicht auch, da es eineErscheinung der Wahrheit gibt, die notwendigerweise zugleich gefllt.22 Brentano hat

    19 Das lt Kant nur fr sthetische Urteile gelten: Die Lust, oder subjektive Zweckmigkeit der

    Vorstellung fr das Verhltnis der Erkenntnisvermgen in der Beurteilung eines sinnlichenGegenstandes berhaupt, wird jedermann mit Recht angesonnen werden knnen. (K. d. U., B151)

    20 Brentano, Vom Ursprung ..., p. 11121

    l. c.22 cit. op., Vgl. Anmk. 22 weiter unten

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    aber bekanntlich die Vorstellung eines sich whrend des Lebenslaufes ausbildenden

    Geschmacks mit dem Erhabenen des Dynamischen verbunden:

    So bleibt kein Zweifel darber, da wirklich ein entgegengesetztes Verhalten desGemts auf die selbe Erscheinung sich richten kann. Auch wo Vorstellungen unsinstinktiv abstoen und doch zugleich ein hhergeartetes Gefallen in uns erregen [...],zeigt sich dasselbe unverhllt.23

    Zwischen der Darstellung des ethischen Skeptizismus (1889) und der Darstellung indem Brief ber den apriorischen Charakter der ethischen Prinzipien (1904)widerspricht sich Brentano klar und deutlich in der Frage, ob die richtige Liebe derErkenntnis der Gutheit dem Begriffe nach vorangehe oder ob die richtige Liebe aus der

    Erkenntnis erst entspringe. Schliet nun die logische Argumentation im Brief das Schemader Erhabenheit, das in der Darstellung des ethischen Skeptizismus vorgestellt wird, aus?Gerade die Ambivalenz in dieser Frage macht auf die eigentmliche Schwierigkeit imBrief aufmerksam, das als richtig charakterisierte Urteil von der als richtigcharakterisierten Gemtsttigkeit der Darstellung zu unterscheiden. Denn sollte nicht dieAnalogie der aus einem Begriff entspringenden richtigen Liebe, die eben zugleich alsrichtige Liebe gewut wird, mit der apodiktischen Verwerfung eines falschenarithmetischen Satzes gerade auf dieses Schema hinfhren? Soll unter denVorstellungen, die uns instinktiv abstoen, auch falsche arithmetische Stze zuverstehen sein, und das hhergeartete Gefallen in der Gewiheit der apodiktischen

    Verwerfung desselben bestehen knnen? Brentano hat sich dazu andernorts mit deutlicherAblehnung geuert:

    Manche - wie Z.B. Windelband - geben es auf, das Urteil mit der Vorstellung in einerGrundklasse zu begreifen, glauben es dagegen der Gemtsttigkeit subsumieren zuknnen. Sie fallen so in in den Fehler, den einst Hume bei seiner Untersuchung ber dieNatur des Glaubens (belief) begangen hatte, zurck. Das Bejahen soll nach ihnen einBilligen, ein Wertschtzen im Gefhle, das Verneinen ein Mibilligen, ein Sich-abgestoen-fhlen sein.Trotz einer gewissen Analogie ist die Verwechslung schwer begreiflich. Es gibt Leute,welche die Gte Gottes und die Bosheit des Teufels, das Wesen des Ormuzd und das

    Wesen des Ahriman mit gleicher berzeugung anerkennen, whrend sie doch das Wesendes einen ber alles schtzen, von dem anderen sich nicht anders als abgestoen fhlen.24

    Da wir die Erkenntnis lieben und den Irrtum hassen, so ist es allerdings richtig, da unsUrteile, die wir fr richtig halten (und dies gilt von allen denen, welche wir selber fllen)aus diesem Grunde lieb sind (da wir sie also im Gefhle irgendwie wertschtzen). Aberwer mchte sich dadurch verleiten lassen, die geliebten Urteile selbst fr Bettigungen derLiebe zu nehmen? Die Verwechslung wre schier ebenso grob, als wenn einer Weib und

    23 cit. op., p. 7724 Hier wird die Analogie auf eine Weise gebraucht, die das Motiv erkennen lt, weshalb Brentano

    frher bestritten hat, da die Einheit des Begriffes des Gutseins blo die einer Einheit der Analogiesein knne.

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    Kind und Geld und Gut deshalb, weil sie Gegenstnde seiner Liebe sind, von dieser

    seiner darauf bezglichen Ttigkeit nicht unterschiede.25

    Damit will Brentano die Verwechslung der Liebe zu Weib und Kind mit der Liebe zuGeld und Gut mit der Betrachtung der Unterschiede in der Ttigkeit, und so analogauch allgemein die Verwechslung der Liebe zur Wahrheit mit dem Urteilsakt selbstauschlieen. Diese Analogie ist entscheidend, fhrt aber insofern zu Irrtmern undUnklarheiten, weil nun nach der Erklrung des Gegensatzes zwischen der als richtigcharakterisierten Gemtsttigkeit mit der als nicht richtig charakterisierten Gemtsttigkeitzum apodiktischen Gegensatz der eingangs zwischen dem Gegensatz in derGemtsttigkeit und dem Gegensatz im Urteilsakt gezeigte Unterschied26 zuverschwinden droht, wenn sowohl die Gemtsttigkeit wie der Urteilsakt blo durch die

    Charakterisierung der Richtigkeit gefllt, und keinerlei spezifischen Grundstze zurBeurteilung der Richtigkeit herangezogen werden drfen. Man sieht sich also mit zweiStrategien konfrontiert, die einmal von der Gemtsttigkeit (als Liebesvermgen) undeinmal vom Urteilsvermgen ausgehen. Beide scheinen fr sich allein bei allendeskriptiven Verschiedenheiten aber nicht geeignet zu sein, die Richtigkeit der jeweiligenTtigkeit eines Seelenvermgens einsichtig zu machen; Brentano verbietet eine weitereBegrndung nach Grundstzen, sondern rechnet mit einer Evidenz der jeweiligenRichtigkeit: Das Erlebnis der als richtig charakterisierten Gemtsttigkeit wie desrichtigen Vorstellens kann ebensowenig eine begriffliche Erkenntnis sein wie das Erlebnisdes als richtig charakterisierten Urteilsaktes selbst. Somit soll sowohl das Fhlen und

    Wollen, das Urteilen wie auch das bloe Vorstellen jeweils an der Wahrheit Anteil habenund der (uneigentliche) Begriff der Wahrheit im Urteil auf die unmittelbare, aber obliqueEvidenz des (hier freilich subjektiv bleibenden) Daseins zurckzufhren sein.

    Die Gegenberstellung der beiden Untersuchungen Brentanos zeichnet die Entwicklungdes Gedankenganges von 1889 bis 1908 nach; der schlielich von mir vorgestellteFortgang hat die Untersuchungen der Evidenz im Urteil und dem Substanzbegriff,ausgehend von den Kategorienlehren, in dem darauf folgenden Dezennium in den Blickgenommen. Wie nun Brentano der logischen Analogie schon ein Jahr vor derausdrcklichen Entwicklung derselben (1908) eine Brcke zur Auffassung derUrsprnglichkeit der Evidenz in der Richtigkeit der Gemtsttigkeit (1889) gebaut hat, ist

    nun Gegenstand des nchsten Kapitels.

    IV. DIE FUNKTION DER EVIDENZ IM LIEBEN UND HASSEN27

    Das Ntzliche mu wie die Wahrheit nicht unbedingt gefallen, trotzdem liefert es einenGrund, es zu lieben. Der Grund dieses Liebesgebotes ist aber nicht in jedem Falle

    25 Wahrheit und Evidenz, 1930, Hrsg. O. Kraus, p. 38 f.26 Der Gegensatz von guter Erkenntnis und nicht-guter Erkenntnis ist kein apodiktischer

    Gegensatz.27 Vom Ursprung der sittlichen Erkenntnis,, 41955, p 149 ff.

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    unmittelbar gegeben und unterscheidet sich so von der als richtig charakterisierten

    Gemtsttigkeit, die nur im Falle des in sich Guten unmittelbar einleuchten soll. An einemsthetischen, voluntativen und an einem abstrakten Beispiel beginnt Brentano dieDifferenzen der Evidenz zwischen Unmittelbarkeit der Lust und des Gefallens, derUnmittelbarkeit des Einleuchtens der Richtigkeit einer Gemtsttigkeit und dieUnmittelbarkeit der Richtigkeit im Urteilen zu entwickeln. Folgende Ausschnitte sollendie wesentlichen Partien der berlegung Brentanos einmal vorstellen:

    14Der Weise, wie wir das Ntzliche lieben, verwandt ist auch die, in welcher wir dasuntrennbar Zugehrige lieben, selbst, wenn es an und fr sich genommen nicht blo nichtgeliebt, sondern gehat ist; z.B. mchte einer am liebsten beides, sowohl das

    Schauspielhaus als die Oper besuchen. Er whlt, nicht in die Oper zu gehen, und dasSchauspielhaus zu besuchen, dabei aber ist das erste nur implicite gehat, an und fr sichgeliebt und gehat als Hindernis des anderen Genusses. Ein Martyrer whlt, dieSchmerzen zu ertragen und bei seinem Bekenntnis zu beharren; an und fr sich hat ersie, implicite liebt er sie, hnlich wie ein Mittel, welches den Fortbestand seinerBeharrlichkeit bewirkt, der, wie die Umstnde liegen, nur bei Fortbestand der Leidenmglich ist. Ein Ganzes kann nicht ohne seine Teile sein; wird das Ganze geliebt, undenthlt das Ganze Teile, die als Ganze nicht geliebt, ja gehat werden, so werden sieimplicite mitgeliebt und -gewnscht werden. Sie werden dabei nie das Ganze als eingreres Gut erscheinen lassen, wie in dem Fall, wo sie in sich selbst geliebte Teilgter

    werden.

    15Eine andere Analogie, welche aber nicht mit Gleichheit verwechselt werden darf, zeigtsich insofern, als die Richtigkeit der Liebe und des Hasses, des einfachen wie desrelativen, bald einleuchtet, bald nicht. Handelt es sich um ein mittelbares Einleuchten, sowird vorausgesetzt, da ein anderes unmittelbar einleuchtend ist. Der logischeZusammenhang ist dann nach den gewhnlichen Regeln der Urteile zu begreifen. Handeltes sich aber um ein unmittelbares Einleuchten, so mu die Gemtsbeziehung nicht blo insich richtig, sondern auch als richtig charakterisiert sein. Und dies ist bei dem, was in sichselbst geliebt und gehat wird, manchmal, aber keineswegs immer der Fall.

    Die Charakterisierung der Gemtsttigkeit (-beziehung, weil intentional) ist eine Folge derEvidenz ihrer Richtigkeit aus der Richtigkeit derselben folgt aber nicht allein undnotwendigerweise die Evidenz der Richtigkeit; also aus der Richtigkeit derGemtsttigkeit folgt nicht notwendigerweise die Charakterisierung derselben als einesolche. Der logische Zusammenhang hingegen soll nur die Verhltnisse von mittelbarenund unmittelbaren Einleuchten in einer Ableitung der ersteren aus den letzterenbestimmen. Hier stellt sich diese Frage folgendermaen: Ist im Falle des unmittelbarenEinleuchtens der Richtigkeit einer Gemtsbeziehung auch die Charakterisierung alsRichtiges im Bewutsein immer gegeben? Nach dem was zunchst in 15 gesagt wordenist, durchaus. Trotzdem wird dies zuletzt eingeschrnkt. Denn das wrde bedeuten, daalles, was gefllt auch gut sein mu oder das uns das Gute immer gefllt. Brentano gibt

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    aber zuvor im 14 gewissermaen eine Illustration, wie das Gute im Bereich des

    Ntzlichen wie das Schne im sthetischen niemals das in sich Gute sein kann. Sobertrgt Brentano seine Analyse des Gefallens aus dem Jahre 1889 auf die Analyse derUnterscheidung des an sich und des fr jemand Gute bei Aristoteles.28

    16In entgegengesetzter Weise hat man hier geirrt. Manche behaupten, da alles, was einerin sich liebe, fr ihn liebwert und gut, und was einer in sich hasse, fr ihn hassenswertund schlecht sei, und hnlich urteilen sie ber Flle, wo etwas unmittelbar in sichvorgezogen oder nachgesetzt sei. Fr diese also ist alle unmittelbare Liebe richtig und alsrichtig charakterisiert. Andere wieder leugneten, da es berhaupt in bezug auf das, wasman unmittelbar liebe, hasse usw., etwas gebe, was man richtig nennen knne. Aber es

    bestnden unterschiede von Maen der Liebe, und so knne man allerdings von einemrichtigen und unrichtigen Streben sprechen, wenn einer durch sein Streben seinegeringeren Interessen greren opfere, oder umgekehrt in dem Verfolgen der ersten soweit gehe, da die letzteren zu Schaden kmen. Hier sei offenbar das Erste lobenswert,das Zweite tadelnswert, nicht aber treffe es irgendwie Lob oder Tadel, wenn einer so oderanders sich fr oder gegen verschiedene Dinge in unmittelbarem Interesse verhalte.Sieht man recht zu, so luft aber die Meinung der Ersten auch wesentlich auf das gleichehinaus. Wer ein Richtig anerkennt, das nur subjektiv ist, der hat geradeso den Begriff derRichtigkeit geflscht, wie wenn einer von blo subjektiven Wahrheiten redet. KeinWunder darum auch, da wie bei Protagoras das Falsche, hier das Unrichtige in Liebe

    und Ha, wo es sich um etwas in sich selbst zu Liebendes und Hassendes handelt,schlechterdings nicht vorkommen kann. Alles ist einfach Geschmackssache.

    Brentano sucht hier die strenge Alternative zwischen Gefallendem, welches auch schlechtsein knne und dem Guten, da nicht gefallen msse ohne bergnge gegen dieWertneutralitt des alltglichen Vorziehens oder Ablehnens verschiedener Dinge in

    28 cit. op., 20 (p. 155): Wie aber haben wir den aristotelischen Unterschied von an sich und fr

    jemanden Gutem [aus der Nikomachischen Ethik] zu begreifen? Um einen Unterschied von Gutem imSinn des Ntzlichen handelt es sich wohl nicht, sondern um einen Unterschied von Gutem in sich.Sollen wir sagen, es handele sich um Unterschiede, wie ob ein grerers Ma von Begehrenswertenberhaupt und in einem Einzelnen verwirklicht sei, wie zum Beispiel, wenn beim Letzten Gerichtdem, der es weniger verdient, ein grerer Anteil an der himmlischen Seligkeit gegeben wrde, in ihmmehr des Guten, an und fr sich aber und in der ganzen Weltordnung ein geringeres Ma des Gutenverwirklicht sein wrde? Ich glaube nicht, da es sich um diesen Unterschied handelt, vielmehr denkeich mir die Sache so: von zwei Dingen, von denen nach der richtigen Bevorzugung das erste zubevorzugen wre, bevorzugt einer anormalerweise das zweite. Ist nun das zweite gegeben, nicht daserste, so fhlt er sich mehr befriedigt als im umgekehrten Falle, und das Sich-befriedigt-fhlen ist einGut. Dieses Gut wenigstens wrde ihm nicht im gleichen Mae gegeben sein, wenn er das anderebese, solange er es nicht auch entsprechend mehr liebte. Und so ist denn der Besitz desselben zwaran und fr sich in normaler Weise das grere Gut, wrde es doch auch normaler Weise mehr befriedigen. Fr ihn aber bei seiner abnormalen Disposition ist das Gterverhltnis irgendwieverschoben.So etwa sind diese Flle auszudeuten, wenn man nicht geradezu sagen will, da Aristoteles den

    Ausdruck "gut" einfach im Sinne von lieb oder liebbar gebraucht, den Sinn von richtig geliebt undrichtig liebbar aber dem, was er "an sich gut" nennt, reserviert.

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    unmittelbaren Interesse durchzusetzen.29 Entscheidend ist aber, da wir in der Lage sein

    sollen, inmitten des zwar insgesamt vorzuziehenden Ganzen, dessen Teile aber fr sichnicht alle gefallen oder gut sein mssen, dennoch das in sich Gute unmittelbar zuerkennen. Brentano geht hier noch in anderer Hinsicht einen entscheidenden Schrittweiter, indem er nicht allein die Richtigkeit der Gemtsbeziehung beobachtet, sondernsogar einen Gegenstand des Liebens und Hassens (etwas in sich zu Liebendes undHassendes) miteinschliet. Im unmittelbaren Anschlu wird deutlicher als bisherkomplementr die Evidenz vom unmittelbaren Einleuchten der Richtigkeit einerGemtsttigkeit abgesondert und fr das Anerkennen im Urteil reserviert, welches erstExistenz und Wahrheit behaupten kann.

    17Die Erfahrung erweist also, da wir Regungen von Liebe und Ha haben, in welchen wiretwas in sich selbst lieben und hassen und bei welchen sich Liebe und Ha als richtigverraten, whrend dies bei anderen nicht der Fall ist, soda es ganz hnlich ist, wie aufdem Gebiet des Urteils, wo gewisse unmittelbar gefllte Urteile selbst evident sind, anderenicht.

    Nicht als richtig charakterisiert sind instinktive Triebe wie Hunger, Durst usw., wie dereiner durch die Gewohnheit geschaffenen Habsucht [...].

    Deren subjektive Evidenz in der nachtrglichen Beobachtung ist verschieden von dem

    aktualen Einleuchten der Richtigkeit der hheren Gemtsttigkeit, gleichwohl kann auchdiese Gemtsttigkeit gefallen, soda wir einen Grund haben, diese anderenBeschftigungen vorzuziehen. Weder die Unmittelbarkeit des Angenehmen oder dessthetischen Vorziehens des Schnen unter den Vorstellungen, noch auch das Urteilenkann ohne unmittelbares Einleuchten der Richtigkeit der Gemtsttigkeit, womit sie auchals richtige im Bewutsein charakterisiert (apperzipiert) werden soll,30 evident genanntwerden.

    18Untersucht man die Flle genauer, so wird man finden, da sie nicht blo im allgemeinenmit unmittelbar evidenten Urteilen hnlichkeit haben, sondern insbesondere mit solchen,

    wo, wie man sagt, das Urteil aus den Begriffen einleuchtet. Es sind dies Flle, wo dasVorstellen die evidente Leugnung bewirkt, wie z.B. die Vorstellung eines runden Viereckszur evidenten Leugnung fhrt. Ganz hnlich, sage ich, entspringt z.B. die Liebe desErkennens als richtig charakterisiert aus der Vorstellung des Erkennens, der Ha desSchmerzes als solchen als richtig charakterisiert aus der Vorstellung des Schmerzes,welcher selbst ein innerer Ha seiner selbst ist. Die Erkenntnis, da die betreffende Liebe

    29 Nicht nur in der Ablehnung der Indifferenz der Entscheidungsgrnde des freien Willens sondern auch

    in der Beurteilung der minder geliebten oder sogar gehaten Teile des geliebten Ganzen folgt Brentanoganz dem zentralen Konzept der Theozidee Leibnizens.

    30 Brentano, Vom Ursprung ..., p 111: Gegenber manchen anderen Fllen ist nur das eine hier

    eigentmlich, da auch Liebesakte perzipiert und apperzipiert werden mssen; nicht blo Akte vonErkenntnis.

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    und der betreffende Ha richtig sei, ist in Folge davon eine apodiktische; wir erkennen,

    da sie nicht anders als richtig sein kann, und die Liebe und der Ha selbst haben einendem apodiktischen Urteil verwandten Charakter, da das apodiktische Urteil gerade das ist,welches aus der Vorstellung entspringt, wie es hier von der Gemtsttigkeit gesagt wird.

    Damit vergleicht Brentano die Funktion der Vorstellung fr die Klasse von evidentenUrteilen gegenber Anschauungen31 mit der Funktion des Fhlens und Wollens fr dieKlasse evidenter Urteile gegenber der Lust und der Liebe. Davon unterscheidet Brentanoandernorts nochmals die Klasse evidenter Urteile gegenber der Anerkenntnis vonExistenz im Dasein, so etwa in der Behandlung des Satzes vom Widerspruch. WasBrentano hier im Diktat Vom Lieben und Hassen (1907) anhand geometrischerBegriffe und den anschaulichen Vorstellungen aus diesen Begriffen demonstriert, wird

    fr die als richtig charakterisierte Liebe ebenso in Anspruch genommen. hnlich gehtBrentano 1908 anhand arithmetischer Beispiele vor.

    Fr den Fortgang der hier angestrengten Untersuchung des BrentanoischenGedankenganges ist aber entscheidend, da er in 18 gesteht, da die Liebe desErkennens (die Liebe zur Wahrheit im Sinne evidenter Anerkenntnis als Fundament eines

    jeden Urteils) das Vorbild fr die Richtigkeit der Gemtsttigkeit ist, die nicht nurentweder unmittelbar gefllt oder unmittelbar mifllt, sondern unmittelbar als richtigeinleuchtet.

    V. DIE ABHNGIGKEIT DER CHARAKTERISIERUNG DER RICHTIGKEITVON DER APPERZEPTION

    Fgt man die Teile der Untersuchungen Brentanos zur Richtigkeit der Gemtsttigkeitund ihrer Analogie zum Urteilen, von denen ich einige in dieser Arbeit behandelt habe, zueinem Ganzen zusammen, so kann man den Grund Brentanos fr die Ablehnung deraristotelischen Auffassung, die Einheit des in sich selbst Guten sei blo eine der Analogie,wohl erkennen.32 Die Einheit in der Analogie liegt in dem Einteilungsgrund derSeelenvermgen nach Vorstellungsvermgen, Urteilsvermgen und Liebesvermgen. M.a. W., der Unterschied zwischen Aristoteteles und Brentano liegt im Begriff der Seele und

    dessen Mglichkeit der Einteilung.

    Doch bleibt von Brentano und seinem Schler ein Problem unbeantwortet: In beidenBeispielen, der Geometrie und der Arithmetik, mu doch auch Brentano von denBegriffen ausgehen. Deshalb sei die Erkenntnis auch a priori. In der Geometrie wirddeutlich, da berhaupt der Begriff der Anschauung vorhergeht; das hier verwendeteBeispiel des runden Vierecks ist dazu selbst klar nur ein widersprchlicher Begriff und

    31 Bei nherer Betrachtung dieser berlegung bleibt es unverstndlich, weshalb Brentano das

    synthetische Urteil a priori in der Geometrie (zu unterscheiden von der Synthesis, die allererst

    Vorstellungen von Raum und zeit erzeugt) bersehen hat.32 Brentano, Vom Ursprung ..., Anmk. 26, p. 62

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    fr anschauliche Vorstellungen unmglich. Gerade die Evidenz der Unmglichkeit der

    Vorstellbarkeit bietet Brentano den Ausgangspunkt, die Evidenz des Urteils von derbloen sthetischen Richtigkeit der Vorstellungsttigkeit zu unterscheiden. Weil er dieErkenntnis liebt, und die richtige Liebe Wahrheit miteinschliet, lt er 1907 wie 1908 dierichtige Liebe aus dem Begriff entspringen. Trotzdem behauptet Brentano, da solcheBegriffe, aus denen z.B. die geometrische Erkenntnis entspringt, obgleich a priori, dochder Erfahrung entstammen.

    Diese Schwierigkeit wird nun von Brentano nur berhrt, whrend Kant derselbenhchstes Augenmerk zuteil werden lt. Es macht in diesem Rahmen aber wenig Sinn,eine Diskussion des Verhltnisses von Sinnlichkeit und Verstand von Kant ausgehendanzustrengen. So liee sich nur auf dem Umweg der temporalen und rumlichen

    (flchigen) Differenzen verstndlich machen, weshalb Brentano einen anderen Weg alsKant verfolgt hat.33 Kant geht in der K.r.V. zwar so weit, sogar die geometrischeErkenntnis nur in Bezug auf die objektive Mglichkeit in der empirischen Anschauung,also nur in Bezug auf objektive Realitt, Erkenntnis zu nennen, doch stammen nach ihmdie begrifflichen Grundlagen der reinen Anschauungsform nicht selbst aus derErfahrung. So allgemein, wie Brentano hier den Ausdruck Erfahrung verwendet, setztaber auch Kant die Erfahrung vor aller dynamischen Erklrung derselben als Zeitlichkeitder Anschauung voraus, aber die Geometrie der Anschauung bezieht ihre Gesetze nichtaus den Grnden der zeitlichen Sukzessivitt. Mit um so grerer Sicherheit als in derLage, in welcher Kant den transzendentalen Begriff der Geometrie der reinen Anschaung

    vorangestellt hat, kann nun gegenber Brentano behauptet werden, da der Begriff derGeometrie der Erfahrung vorhergehe. Da das Gegebensein solcher Begriffe ohneErfahrung nicht mglich ist, versteht sich von selbst, ist aber gar nicht der Zielpunkt derFrage: der Zielpunkt der Frage ist nmlich der Ursprung der Begriffe.

    Wie schon weiter oben angefhrt, kommentiert Oskar Kraus seinem Lehrer nachfolgendeAussage auf eine Weise, die vermutlich den Auffassungen von Brentano sehr nahekommen wird, aber nur um so deutlicher zeigt, worin diese auch ihre Grenze finden:Und so dnkt es mich vollkommen gerechtfertigt, dagegen zu protestieren, da dieErkenntnis hier, wie auch immer eine Liebe erlebt und erfahren werden mu, eineempirische genannt wird. Sie ist vielmehr apriorisch mit einer wesentlich hnlichen

    Ablehnung des Gedankens, da die verwendeten Begriffe ohne Perzeption und ohneApperzeption gegeben seien, wie sie immer stattfinden mu.

    Darin spricht Brentano nur eine Selbstverstndlichkeit aus, auf die aufmerksam zumachen allerdings fr die Gewissenserforschung kein kleines Verdienst genannt werdenkann, jedoch bersieht er hiebei vllig den sachlich zur Entscheidung anstehendenFragepunkt: nicht die Umstnde des Gegebenseins, sondern der Ursprung der derErfahrung vorangehenden Begriffe, die nach Brentano aber doch erst mit der Erfahrung

    33 Hier gibt der Ansatz Brentanos eine m. E. gnstige Ausgangsposition, die Frage der Intensitt von der

    Antizipationskategorie bis zum Allerrealsten im transzendentalen Ideal und deren Beantwortung inder Widerlegung des Gottesbeweises neu zu verhandeln.

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    gegeben werden sollen, wird verhandelt. Kraus interpretiert Brentano aber genau darauf

    hin, da er Gegebensein (zu dem Perzeption u n d Apperzeption gehrt) undUrsprnglichkeit quipollent setzt: Das heit: Abgelehnt werden mu der Gedanke, dabei apriorischen Urteilen die zugrundeliegenden Begriffe nicht aus der Erfahrungstammen.34

    Brentano verkennt offenbar in der Geometrie das Verhltnis des geometrischen Begriffesin reiner Anschauung einerseits und in empirischer Anschauung andererseits, verkennt erdeshalb auch das Verhltnis von Erkenntnis und dem unmittelbaren, d.h. aber nichtunbedingt unmittelbar gefallenden, Einleuchten richtiger Gemtsttigkeit, was er als dierichtig charakterisierte Liebe bezeichnet? Mit dem Gebrauch des AusdruckesErkenntnis beansprucht Brentano fr das Einleuchten der Richtigkeit der als richtig

    charakterisierten, d.h. apperzipierten, Gemtsttigkeit, die Bedeutung der Evidenz, welcheer doch nur fr Urteile verwenden wollte, weil eben das derart charakterisierteunmittelbare Einleuchten eine Apperzeption ist. Nur deshalb kann Brentano letztlichdarauf bestehen, da die richtige Liebe aus dem Begriff entspringt. Ob die richtige Liebeder Erfahrung vollstndig vorhergeht, oder vollstndig aus ihr entspringt, kann hier nichtweiter diskutiert werden; sicherlich ist eine derart schroffe Alternative kein geeigneterAusgangspunkt. Wie Schelling gesagt hat, der Mensch sei das Wesen, das erst dieGeschichte mit sich bringe, so htte auch Brentano sagen knnen, der Mensch sei dasWesen, das die Liebe erst mit sich bringe.

    In den vorgestellten Analysen Brentanos zeigt sich aber ein Mangel, die Charakterisierungder Richtigkeit der Gemtsttigkeit, womit das unmittelbare Einleuchten der Richtigkeiterst apperzipiert wird, und so zurecht bereits als Erkenntnis evident genannt zu werdenverdiente, mit der immer mit vorauszusetztenden logischen Analogie anhand derarithmetischen Beispiele zu vermitteln instand zu sein. So bleibt die Logik doch auch frdas von der richtigen Liebe erst erzeugte Erkennen der Richtigkeit der Liebe insofernvorausgesetzt, ansonsten sie nicht als charakterisiertund somit als richtig oder falschapperzipiert werden knnte und Vorbild, nicht nur Analogie. Der Grenzgang Brentanoszwischen dem richtigen Urteilen, das ohne jede weitere Norm evident sein soll und derrichtigen Gemtsttigkeit, die ohne jedes weitere vorangehende Urteilen von selbst in derApperzeption als richtige Liebe evident und damit als richtig charakterisierbar werden

    soll, fhrt nicht zum Existentialurteil als nicht-psychologisches Fundament der Evidenz,

    34 Brentano, Vom Ursprung ..., p. 111. In der Anfrage an Brentano formuliert Oskar Kraus das Dilemma

    von empirischer Erfahrung und Begriffe a priori folgendermaen: Wir zhlen uns in der Ethik zuden Empiristen; das ist cum grano salis zu nehmen. Der Ursprung unserer Begriffe gut undvorzglich liegt in der psych. inneren Erfahrung, genau so, wie die Begriffe notwendig etc. undhnlich wie die von gro , grer in den sogen. ueren Erahrung. Allein: die Ethik grndetsich nicht auf Begriffe, sondern auf Erkenntnisse und diese Erkenntnisse (wie z.B. der Satz einehassenswerte Erkenntnis ist unmglich) sind aus der Betrachtung der zugrundeliegenden Begriffegewonnen, sind also genau im selben Sinne analytisch oder a priori,wie die mathematischen

    Axiome. Der Unterschied liegt nur darin, da die mathematischen, speziell geometrischen Begriffeselbst Idealbegriffe oder Fiktionen sind.

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    sondern zur Mathematik und Logik als Ideal zurck.35 Der Begriff der Wahrheit und die

    damit bestimmte Liebe zur Wahrheit beginnt den Begriff der Liebe berhaupt im Problemder Richtigkeit und deren Charakterisierbarkeit zu okkupieren, als wre das einAnzeichen, da doch der richtigen Liebe ein Begriff als Idee voranzugehen habe. Ob vondieser Idee der Liebe und des Wohlwollens in der Dialogphilosophie ein Aufri gegebenwerden knnte, in welchem der Abgrund zwischen den jeweils die Welt umfassendenIndividuen erst mit der in der Wahrhaftigkeit geschaffenen Wirklichkeit berbrcktwerden kann, mte an anderer Stelle entschieden werden.36

    35 Der Unmittelbarkeitsanspruch der Evidenz bei Brentano ist trotz seiner Vermgenslehre kein

    psychologischer; das schlichte Existentialurteil soll die Logik der Wahrheit grundlegen und selbstkein Reflexionsurteil sein. Brentano geht hier von berlegungen Herbarts aus: dieser unterscheidetdie Existentialstze als besondere Urteilsart von den kategorischen Urteilen, fhrt diese aber auf dashypothetische Urteil zurck, indem er die Existenz des Subjektes als vom kategorischen Urteilgetrennt zu behauptende Bedingung auffat, die erst hinzukommen mu.(Psychologie vom empirischenStandpunkt, 2. Bd.: Von der Klassifikation der psychischen Phnomene, Hrsg. Oskar Kraus, Hamburg1959, Nachdruck von 1925, p. 54 ff.) Hingegen hlt Brentano die Existenzbehauptung des Subjekts inder Geltungsbehauptung einer zweigliedrigen Aussage schon immer fr eingeschlossen. Vgl. dazuaber auch abweichend: Ursprung der sittlichen Erkenntnis, 1889, p. 57 und p. 120.

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    Robert Zimmermann hat solchen Hoffnungen trotz der sthetischen Verfatheit seiner Ideenlehrebereits eine klare Absage erteilt. Vgl. meinen Beitrag hier in Bd. 3, p. 761 ff. und in diesem Band.