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"Aber heraus muss es bald" Streifzug durch den Briefwechsel von Marx und Engels und durch ihre Beiträge für die New York Tribune in Sachen "Kapital" und einiger anderer Themen Franz-Josef Land www.pol-oek.de Es wurde nur der Zeitraum bis etwa zur Übersiedlung Engels nach London im Oktober 1870 beach- tet. Die Zeitangaben geben die Datierung durch die Herausgeber der MEW für die Erstellung des Manuskripts wieder. Wenn unbekannt, erfolgt die Datierung anhand anderer Angaben. Bei unge- fähren Datierungen wird nach dem ersten möglichen Datum innerhalb der Themenbereiche sortiert. - Unterstreichungen von mir, Kursivschrift nach Vorlage. Fehlerfreiheit der Zitate wird nicht garan- tiert. Zur Arbeit von Marx und Engels für die New York Daily zwischen 1851 bis 1862 finden sich weite- re Informationen bei Neuhaus, 1978 Die andere Geschichte des "Kapital" s. auch: Akkumulation s. auch: Grundrente. Agrarwirtschaft s. auch: Krise s. auch: Politische Ökonomie s. auch: Produktivkraftentwicklung und Gesellschaft s. auch: Weltmarkt, Wachstumszwang, Ökologie 1845-01-20 "Aber heraus muß es bald." Die Vorgeschichte der K-Bücher reicht bis in die 1840er Jahre, in denen sich M. bereits mit der Kri- tik der Nationalökonomie befasste und ein größeres Werk plante. 1 E. spornt den zu dieser Zeit neu gewonnenen Freund an: "Was uns jetzt aber vor allem not tut, sind ein paar größere Werke, um den vielen Halbwissenden, die gern wollen, aber nicht allein fertig werden können, einen ge- hörigen Anhaltspunkt zu geben. Mach, daß Du mit Deinem nationalökonomischen Buch fertig wirst, wenn Du selbst auch mit vielem unzufrieden bleiben solltest, es ist einerlei, die Gemüter sind reif, und wir müssen das Eisen schmieden, weil es warm ist. Meine englischen Sachen werden zwar auch ihre Wirkung nicht verfehlen, die Tatsachen sind zu schlagend, aber trotzdem wollt' ich, daß ich die Hände freier hät- te, um manches auszuführen, was für den jetzigen Augenblick und die deutsche Bourgeoisie schlagender und wirksamer wäre. Wir theoretischen Deutschen - [es] ist lächerlich, aber ein Zeichen der Zeit und der Auflösung des deutschen National- drecks - können [noch] gar nicht zur Entwicklung unsrer Theorie kommen, wir ha- 1 Der Buchhändlervertrag war bereits geschlossen. In den Aufregungen der Zeit wurde das Projekt aber nicht verwirklicht. Die Arbeiten zu diesem Projekt gingen teilweise verloren. Was erhalten ist, wurde lange nach M.s Tod als "ökonomisch- philosophische Manuskripte" veröffentlicht (vgl. MEW 40 bzw. MEW Ergänzungsband 1. Teil). Marx und Engels trafen sich erstmals im November 1842 in Köln. Nach der ersten recht kühlen Begegnung näherten sich die beiden unterschiedlichen Persönlichkeiten durch regen Briefaustausch und gemeinsame Kampfschriften gegen (theo- retische) Widersacher immer mehr an. Die Freundschaft hielt über M.s Tod hinaus. 1

Aber Heraus Muss Es Bald

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  • "Aber heraus muss es bald" Streifzug durch den Briefwechsel von Marx und Engels und

    durch ihre Beitrge fr die New York Tribune in Sachen "Kapital" und einiger anderer Themen

    Franz-Josef Land www.pol-oek.de

    Es wurde nur der Zeitraum bis etwa zur bersiedlung Engels nach London im Oktober 1870 beach-tet. Die Zeitangaben geben die Datierung durch die Herausgeber der MEW fr die Erstellung des Manuskripts wieder. Wenn unbekannt, erfolgt die Datierung anhand anderer Angaben. Bei unge-fhren Datierungen wird nach dem ersten mglichen Datum innerhalb der Themenbereiche sortiert. - Unterstreichungen von mir, Kursivschrift nach Vorlage. Fehlerfreiheit der Zitate wird nicht garan-tiert.

    Zur Arbeit von Marx und Engels fr die New York Daily zwischen 1851 bis 1862 finden sich weite-re Informationen bei Neuhaus, 1978

    Die andere Geschichte des "Kapital" s. auch: Akkumulation s. auch: Grundrente. Agrarwirtschaft s. auch: Krise s. auch: Politische konomie s. auch: Produktivkraftentwicklung und Gesellschaft s. auch: Weltmarkt, Wachstumszwang, kologie

    1845-01-20 "Aber heraus mu es bald." Die Vorgeschichte der K-Bcher reicht bis in die 1840er Jahre, in denen sich M. bereits mit der Kri-tik der Nationalkonomie befasste und ein greres Werk plante.1 E. spornt den zu dieser Zeit neu gewonnenen Freund an:

    "Was uns jetzt aber vor allem not tut, sind ein paar grere Werke, um den vielen Halbwissenden, die gern wollen, aber nicht allein fertig werden knnen, einen ge-hrigen Anhaltspunkt zu geben. Mach, da Du mit Deinem nationalkonomischen Buch fertig wirst, wenn Du selbst auch mit vielem unzufrieden bleiben solltest, es ist einerlei, die Gemter sind reif, und wir mssen das Eisen schmieden, weil es warm ist. Meine englischen Sachen werden zwar auch ihre Wirkung nicht verfehlen, die Tatsachen sind zu schlagend, aber trotzdem wollt' ich, da ich die Hnde freier ht-te, um manches auszufhren, was fr den jetzigen Augenblick und die deutsche Bourgeoisie schlagender und wirksamer wre. Wir theoretischen Deutschen - [es] ist lcherlich, aber ein Zeichen der Zeit und der Auflsung des deutschen National-drecks - knnen [noch] gar nicht zur Entwicklung unsrer Theorie kommen, wir ha-

    1 Der Buchhndlervertrag war bereits geschlossen. In den Aufregungen der Zeit wurde das Projekt aber nicht verwirklicht. Die Arbeiten zu diesem Projekt gingen teilweise verloren. Was erhalten ist, wurde lange nach M.s Tod als "konomisch-philosophische Manuskripte" verffentlicht (vgl. MEW 40 bzw. MEW Ergnzungsband 1. Teil). Marx und Engels trafen sich erstmals im November 1842 in Kln. Nach der ersten recht khlen Begegnung nherten sich die beiden unterschiedlichen Persnlichkeiten durch regen Briefaustausch und gemeinsame Kampfschriften gegen (theo-retische) Widersacher immer mehr an. Die Freundschaft hielt ber M.s Tod hinaus.

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  • ben noch nicht einmal die Kritik des Unsinns publizieren knnen. Jetzt ist aber hohe Zeit. Darum mach, da Du vor April fertig wirst, mach's wie ich, setz Dir eine Zeit, bis wohin Du positiv fertig sein willst, und sorge fr einen baldigen Druck. Kannst Du es da nicht drucken lassen, so la in Mannheim, Darmstadt oder so drucken. Aber heraus mu es bald." (E. an M. v. 20.1.1845; MEW 27, S.16)

    Einige Formulierungen dieses Briefs, vor allem den letzten Satz, wird E. in den folgenden Jahren noch einige Male wiederholen, wenn es darum geht, den Freund endlich zur Fertigstellung des "Kapital" anzutreiben. Dabei zeigt sich Engels pragmatische Ausrichtung. Ihm geht es um die poli-tische Wirkung von M.s Arbeit. Dem geht es um wissenschaftliche Reife. Am Ende werden beide nicht zufrieden gestellt.

    Und halten wir diese Aufforderung Engels im Gedchtnis. So knnen wir vielleicht abschtzen, wie Engels gelitten haben muss, wenn ber mehr als 20 Jahre hinweg eine baldige Fertigstellung des Werks immer wieder von M. angekndigt und immer wieder verworfen wurde. Dabei wurde Engels ber den konkreten Stand der Arbeit, etwa in Form vorzeigbarer Manuskripte, stets im Unklaren gelassen.

    Aber wir knnen daran auch erkennen, welches schier unglaubliche Vertrauen Engels ber Jahr-zehnte hinweg in M.s Fhigkeiten setzte. (Ob Engels seinen zahlreichen Ausreden glaubte? Wohl kaum. Aber niemals ist es zu internen Vorwrfen grundlegender Art gekommen. Und schon gar nicht gegenber Dritten oder gar einer breiteren ffentlichkeit.)

    1846-08-01 "wegen anderweitigen Engagements ihres Kapitals" Die geplante Herausgabe der Schrift zur Nationalkonomie, so M. gegenber dem Darmstdter Verleger Leske, verzgere sich, weil er auf die Grndung eines neuen Verlags in Deutschland hoffe, der freier gegenber der Zensur agieren knne. So versucht er einerseits, sich aus dem bestehen-den Kontrakt mit Leske schadlos zu verabschieden, sich andererseits Leske als letzte Zuflucht of-fenzuhalten:

    "Einige Kapitalisten in Deutschland hatten den Verlag mehrerer Schriften von mir, Engels und He akzeptiert. Es war hier sogar Aussicht auf einen frmlichen ausge-dehnten Verlag gegeben, der von allen polizeilichen Rcksichten frei sein sollte. Durch einen Freund der Herren war mir auerdem der Verlag meiner Kritik der konomie" etc. so gut wie zugesichert. Derselbe Freund hielt sich in Brssel bis Mai auf, um das Manuskript des ersten Bandes der unter meiner Redaktion und unter der Mitarbeit von Engels etc. herausgegebnen Publikation sicher ber die Grenze zu bringen. Von Deutschland aus sollte er dann auch definitiv ber die Annahme oder Nichtannahme der 'Nationalkonomie' schreiben. Es kamen keine oder unbestimm-te Nachrichten, und nachdem schon der grte Teil des Manuskripts des zweiten Bandes jener Publikation nach Deutschland versandt war, schrieben jene Herren endlich vor sehr kurzer Zeit, da es wegen anderweitigen Engagements ihres Kapi-tals mit der ganzen Geschichte nichts sei." (M. an Leske v. 1.8.1845; MEW 27, S.448)

    Das bleibt auch kurios, wenn wir in diesem Brief das Wort "Kapitalist" nicht mit den heutigen Konnotationen lesen, fr die M. selbst mitverantwortlich ist, sondern einfach mit "Geldgeber" oder "Sponsor" bersetzen.

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  • 1846-08-01 (Forts.) "Aktienverlag fr kommunistische Schriften" M. versucht mit neuen Plnen, Leske unter Druck zu setzen und bemht im selben Brief vom 1.8.1846 sogar den (tatschlich wenig realistischen) Plan einer Aktiengesellschaft:

    "Aussicht auf den Verlag meines Buchs ist erffnet. Vorgestern erhielt ich einen Brief aus Deutschland, worin man mir ankndigt, da man einen Aktienverlag fr kommunistische Schriften grnden will, der mit meiner Schrift gern debtieren wird. Ich betrachte die Sache aber noch als so unbestimmt, da ich mich ntigenfalls noch an andre Buchhndler adressieren werde." (M. an Leske v. 1.8.1845; MEW 27, S.449)

    ber den Zustand seiner Arbeit, die er zu verffentlichen wnscht, schreibt M. in leichter (?) ber-treibung:

    "Die Umarbeitung des ersten Bandes wird zum Druck fertig sein Ende November. Der 2te Band, der mehr historisch ist, kann rasch folgen." (ebd., S.450)

    Man knnte diese auf Optimismus gestimmte Schwadronage als Leitthema ber alle Ausfhrungen setzen, in denen M. in den kommenden Jahren die Erscheinungstermine der verschiedenen "Kapi-tal"-Bnde verlautbart. Darin wird es allzu oft heien: Bald, demnchst, praktisch beendet, nur noch letzte Korrekturen, rasch... usw.

    1858-02-22 Arbeitsplan "Zur Kritik der politische konomie" 1 Mit der Krise von 1857, weltweit sprbar, verstrkt E. den Druck auf seinen Freund, doch endlich mit seinen Ergebnissen herauszukommen. M. lsst sich berreden, weil auch er, genau wie Engels, mit einem Aufflammen der revolutionren Bewegungen in Europa rechnet. M. sucht nach einer Publikationsform, die zu seinen eigenen Zweifeln ber die Reife seines Werks passt. Im Brief an Lassalle erlutert M. den Stand seiner Arbeit und beschreibt im Grunde denselben Aufbau aus 6 Bchern wie auch wenig spter gegenber Engels2:

    "Ich will Dir sagen, wie es mit der konomischen Arbeit steht. Ich habe in fact die finale Ausarbeitung seit einigen Monaten unter der Hand. Die Sache geht aber sehr langsam voran, weil Gegenstnde, die man seit vielen Jahren zum Hauptobjekt sei-ner Studien gemacht, sobald schlielich mit ihnen abgerechnet werden soll, immer wieder neue Seiten zeigen und neue Bedenken sollizitieren. Zudem bin ich nicht Herr meiner Zeit, sondern rather Knecht. Es bleibt mir nur die Nacht brig fr mich selbst, und sehr hufige An- und Rckflle einer Leberkrankheit stren wieder diese Nachtarbeiten. Es wre unter allen diesen Umstnden fr mich am bequemsten, wenn ich in zwangslosen Heften die ganze Arbeit herausgeben knnte. Es htte dies vielleicht auch den Vorzug, da sich eher ein Buchhndler findet, da wenig Betriebs-kapital so in das Unternehmen gesteckt wrde. Du wirst mich of course verpflichten, wenn Du siehst, ob in Berlin ein Unternehmer aufzutreiben. Unter den 'Heften' ver-steh' ich solche, etwa wie die, worin Vischers 'Aesthetik' nach und nach erschienen ist."

    2 Die diversen Aufbauplne zum 'Kapital', die gerade auch in M.s Briefwechsel mehrmals zum Thema werden, haben ei-ne eigene Literatur hervorgebracht. Wer sich darber informieren mchte, findet in folgenden Arbeiten weitere, nicht immer klrende Informationen: Grossmann (1929-a), Behrens (1952), Rosdolsky (1967), Braunsdorf (1976), Schwarz (1978)

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  • Die im o. Abschnitt selbstkritisch (?) angemerkte Bereitschaft, den Gegenstand immer weiter zu er-grnden, besttigt einmal, dass M. seine Arbeit keineswegs als fertig betrachtet. Das gilt generell. Das steht keineswegs im Widerspruch zum folgenden Abschnitt des Briefs. Wenn er mangelnde "Kondensation", also Straffung der Darstellung beklagt, geht es eben um die Darstellung, die "Manier", wie es am Anfang des dritten Absatzes heit. Wenn M. behauptet, "von jeher die Me-thode der Kondensation geliebt" zu haben, so erklrt das einerseits manche Geschwindritte. Ande-rerseits htte sich diese Liebe vielerorts in seinen Manuskripten zum "Kapital" durchaus strker beweisen drfen. M. fhrt fort:

    "Die Arbeit, um die es sich zunchst handelt, ist Kritik der konomischen Kategorien oder, if you like, das System der brgerlichen konomie kritisch dargestellt. Es ist zugleich Darstellung des Systems und durch die Darstellung Kritik desselben. Ich bin keineswegs klar, wieviel Druckbogen das Ganze machen wird. Htte ich Zeit, Ruhe und Mittel, das Ganze fertig auszuarbeiten, eh' ich es dem Publikum bergbe, so wrde ich es sehr kondensieren, da ich von jeher die Methode der Kondensation ge-liebt. So aber - vielleicht besser fr das Verstndnis des Publikums, sicher aber zum Schaden der Form - in aufeinanderfolgenden Heften gedruckt, zieht sich die Sache notwendig etwas in die Breite. Notabene: Sobald Du klar, ob oder ob nicht die Sa-che in Berlin zu unternehmen, sei so gut, mir zu schreiben, da ich, wenn es dort nicht geht, einen Versuch in Hamburg machen werde. Ein andrer Punkt ist, da ich bezahlt werden mu von dem Buchhndler, der die Sache unternimmt - eine Not-wendigkeit, an der die Sache in Berlin scheitern mag."

    Die zu Beginn des Absatzes beschriebene Zielsetzung ist nicht die des "Kapital". Da fhrt die Kritik der Kategorien direkt zur Kritik der Produktionsweise. Irgendwo zwischen 1858 und 1867 findet eine Neuorientierung der Kritik der politischen konomie statt, es ist nicht mehr nur Kritik an, son-dern ebenso Kritik durch die politische konomie. M. fhrt fort:

    "Die Darstellung, ich meine die Manier, ist ganz wissenschaftlich, also nicht polizei-widrig im gewhnlichen Sinn. Das Ganze ist eingeteilt in 6 Bcher, 1. Vom Kapital (enthlt einige Vorchapters). 2. Vom Grundeigentum. 3. Von der Lohnarbeit. 4. Vom Staat. 5. Internationaler Handel. 6. Weltmarkt. Ich kann natrlich nicht umhin, dann und wann kritische Rcksicht auf andre konomen zu nehmen, namentlich Polemik gegen Ricardo, soweit selbst er, qua Brger, gezwungen ist, Schnitzer zu begehn selbst vom strikt konomischen Gesichtspunkt. Im ganzen aber sollte die Kritik und Geschichte der politischen konomie und des Sozialismus Gegenstand einer andren Arbeit bilden. Endlich die kurze historische Skizze der Entwicklung der konomi-schen Kategorien und Verhltnisse eine dritte. After all, schwant es mir, da jetzt, wo ich nach 15jhrigen Studien so weit, Hand an die Sache legen zu knnen, str-mische Bewegungen von auen wahrscheinlich interfere werden. Never mind. Wenn ich zu spt fertig werde, um noch die Welt fr derartige Sachen aufmerksam zu finden, ist der Fehler offenbar my own." (M. an Lassalle v. 22.2.1858; MEW 29, S.550f)

    Die zuletzt von M. geuerte Befrchtung, uere Ereignisse, also revolutionre Bewegungen in-folge der Krise, knnten M.s Bemhungen berholen, erweist sich als gnzlich unbegrndet. Sehr bald berwindet M. die Vorstellung einer Art sozialen Mechanik, die per Krise immer auch einen Aufschwung der Arbeiterbewegung bewirken msse. Eine Kritik der politischen konomie als Be-

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  • gleitmusik zur baldigen Revolution steht nach 1859 nicht mehr zur Debatte (s. auch Revolution und Politik)

    1858-03-11 Unterschied zwischen geplanten Bchern 1 bis 3 und 4 bis 6 Whrend Lassalle in Berlin versucht, fr M.s "Zur Kritik..." einen Verleger zu finden, przisiert M. den zu erwartenden Umfang, ber den er sich selbst aber gar nicht klar ist, was jedem nur zeigt, dass von einem praktisch fertigen Manuskript berhaupt keine Rede sein kann:

    "Die erste Lieferung mte unter allen Umstnden ein relatives Ganzes3 sein, und da in ihr die Grundlage fr die ganze Entwicklung enthalten ist, wrde sie schwer-lich unter 5-6 Bogen zu machen sein. Doch werde ich das bei der finalen Ausarbei-tung sehen. Sie enthlt 1. Wert, 2. Geld, 3. das Kapital im allgemeinen (Produkti-onsproze des Kapitals, Zirkulationsproze des Kapitals, Einheit von beiden oder Kapital und Profit, Zins). Es bildet dies eine selbstndige Brochure. Du wirst selbst bei Deinen konomischen Studien gefunden haben, da Ricardo bei der Entwicklung des Profits in Widersprche mit seiner (richtigen) Wertbestimmung gert, die bei seiner Schule zu gnzlichem Aufgeben der Grundlage oder zu widerlichstem Eklekti-zismus gefhrt haben. Ich glaube, da ich die Sache ins reine gebracht habe. (Aller-dings werden die konomen bei nherer Besichtigung finden, da altogether it is a dirty business.4)

    Was nun die Gesamtzahl der Bogen angeht, so bin ich in der Tat sehr unklar dar-ber, da das Material des Buchs sich in meinen Heften nur in der Form von Monogra-phien findet, die oft sehr ins Detail gehn, was bei der Zusammenstellung verschwin-det. Es ist auch keineswegs meine Absicht, alle 6 Bcher, worin ich das Ganze teile, gleichmig auszuarbeiten, sondern in den 3 letzten mehr blo die Grundstriche zu geben, whrend in den 3 ersten, die die eigentliche konomische Grundentwick-lung enthalten, Ausfhrungen nicht berall zu vermeiden sind. Ich glaube kaum, da das Ganze unter 30-40 Bogen abzumachen ist." (M. an Lassalle v. 11.3.1858; MEW 29, S.554)

    Nicht nur die Stilblte zu Beginn, sondern der gesamte Text zeugen von einer Unbestimmtheit, die nicht nur M.s Zweifel ber die Reife seines Werks verdeutlichen. Es drfte ihm auch klar sein, dass er keineswegs schon fr all die genannten Punkte auch nur halbwegs fertige Manuskripte besitzt. Die Diskussion ber die Anzahl der Druckbogen (beliebt bei M.) tuscht nur einen Arbeitsstand kurz vor der Verffentlichung vor.

    1858-04-02 Arbeitsplan "Zur Kritik der politische konomie" 2 M. bermittelt Engels die von ihm geplante Gliederung seiner "Kritik" (MEW 29, S.312ff). Ange-legt auf 6 Bcher, sollte die Arbeit in Einzellieferungen bei Duncker in Berlin verffentlicht werden.

    "Die ganze Scheie soll zerfallen in 6 Bcher: 1. Vom Kapital. 2. Grundeigentum. 3. Lohnarbeit. 4. Staat. 5. Internationaler Handel. 6. Weltmarkt." (S.312)

    Das "Kapital im allgemeinen" war als erster von vier Abschnitten des 1. Buchs geplant.

    3 In der Eile produziert auch M. manche Stilblte. Was, bitte schn, soll ein "relatives Ganzes" sein? Erinnert mich an ei-ne Referentin, die auf einen Einwand aus dem Publikum versicherte, sie meine das "relativ absolut". 4 Es ist kein "schmutziges Geschft", sondern alles in allem eine vertrackte Angelegenheit.

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  • Marx_1858_Arbeitsplan Kapital.pdf

    1858-11-12 Manuskript als "Future" Nachdem Lassalle in Berlin bei Duncker einen Abnehmer fr M.s Manuskript gefunden hat, muss der Autor bekennen, es erst noch erstellen zu mssen. Mal wieder ist Krankheit der erste Verzge-rungsgrund; dann folgt das Bekenntnis, bei dem auch das Leberleiden herhalten muss, dass es sich wohl eher um Schwierigkeiten handelt, die dem Stoff selbst innewohnen. M. schreibt jedenfalls an Lassalle:

    "Was die verzgerte Absendung des Manuskripts anbelangt, so hinderte mich die Krankheit erst, und spter hatte ich andre Erwerbsarbeiten nachzuholen. Der eigent-liche Grund ist aber der: Der Stoff lag vor mir; es handelte sich nur noch um die Form. In allem aber, was ich schrieb, schmeckte ich aus dem Stil das Leberleiden heraus. Und ich habe doppelte Ursache, dieser Schrift nicht zu erlauben, durch me-dizinische Grnde verdorben zu werden:

    1. Ist sie das Resultat 15jhriger Forschungen, also der besten Zeit meines Lebens.

    2. Vertritt sie zum erstenmal eine wichtige Ansicht der gesellschaftlichen Verhltnis-se wissenschaftlich. Ich schulde also der Partei, da die Sache nicht verunstaltet wird durch solche dumpfe, hlzerne Schreibmanier, wie sie einer kranken Leber eigen.

    Ich strebe nicht nach eleganter Darstellung, sondern nur danach, in meiner Durch-schnittsmanier zu schreiben, was mir whrend der Leidensmonate in diesem Thema wenigstens unmglich war, obgleich ich whrend der Zeit fr wenigstens 2 Druck-bnde englische Leitartikel de omnibus rebus et quibusdam aliis5 schreiben mute und daher geschrieben habe.

    Ich denke, wenn dieser Sachverhalt selbst von einem weniger Gewandten wie Dir Herrn Duncker vorgestellt wird, kann er mein Verfahren nur billigen, das mit Bezug auf ihn als Buchhndler sich einfach darauf reduziert, da ich ihm fr sein Geld die beste Ware zu liefern suche.

    Ich werde in ungefhr 4 Wochen fertig sein, da ich eigentlich mit dem Schreiben erst angefangen."

    Erst angefangen? Schrecken der Lektoren, halte ein. Aber das ist nicht alles. Nachdem er gestan-den hat, noch gar nichts geschrieben zu haben, muss er jetzt auch noch ankndigen, dass er dop-pelt so viel wie angekndigt liefern werde:

    "Ein andrer Umstand, den Du aber erst bei der Ankunft des Manuskripts zu vertre-ten hast: Es ist wahrscheinlich, da die erste Abteilung Das Kapital im Allgemei-nen" gleich 2 Hefte einnehmen wird, da ich bei der Ausarbeitung finde, da hier, wo grade der abstrakteste Teil der politischen konomie darzustellen, zu groe Kr-ze dem Publikum die Sache unverdaulich machen wrde. Andrerseits aber mu die-se 2te Abteilung gleichzeitig erscheinen. Der innere Zusammenhang erfordert das,

    5 ber alle Dinge und einige andere. Mit den "englischen Leitartikeln" sind natrlich M.s regelmige und fast immer auch bezahlte Beitrge fr die "New York Tribune" gemeint.

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  • und die ganze Wirkung hngt davon ab." (M. an Lassalle v. 12.11.1858; MEW 29, S.566f)

    1859-02-01 Hauptsache: Neue Gliederung M. schreibt an Joseph Weydemeyer. Nachdem Bett- und andere Skandalgeschichten abgehandelt sind, kommt er auf den Aufbau seiner in Heften geplanten "Kritik" zu sprechen:

    "Und nun zur Hauptsache. Meine 'Kritik der Politischen konomie' wird heftweise (die ersten Hefte in 8-10 Tagen von heute) bei Franz Duncker in Berlin (Bessersche Verlagsbuchhandlung) erscheinen. Nur dem auerordentlichen Eifer und berre-dungstalent von Lassalle ist es gelungen, Duncker zu diesem Schritt zu bewegen. In-des hat er sich eine Hintertre offen gelassen. Der definitive Kontrakt hngt vom Verkauf der ersten Hefte ab.

    Ich teile die ganze politische konomie in 6 Bcher:

    Kapital; Grundeigentum; Lohnarbeit; Staat; Auswrtiger Handel; Weltmarkt.

    Buch I vom Kapital zerfllt in 4 Abteilungen.

    Abteilung I: Das Kapital im allgemeinen zerfllt in 3 Kapitel: 1. Die Ware; 2. Das Geld oder die einfache Zirkulation; 3. Das Kapital. 1. und 2., about 10 Bogen, bilden den Inhalt der erst erscheinenden Hefte. Du begreifst die politischen Grnde, die mich bewogen, mit dem 3ten Kapitel ber 'das Kapital' zurckzuhalten, bis ich wie-der Fu gefat habe.

    Der Inhalt der erscheinenden Hefte ist folgender:

    Erstes Kapitel: Die Ware.

    A. Historisches zur Analyse der Ware. (William Petty (Englnder unter Karl II.); Boisguillebert (LouisXIV.); B. Franklin (erste Jugendschrift 1729); die Physiokraten; Sir James Steuart; Adam Smith; Ricardo und Sismondi.)

    Zweites Kapitel: Das Geld oder die einfache Zirkulation.

    1. Ma der Werte.

    B. Theorien ber die Maeinheit des Geldes. (Ende des 17ten Jahrhunderts Locke und Lowndes, Bischof Berkeley (1750); Sir James Steuart; Lord Castlereagh; Thomas Attwood; John Gray; Proudhonisten.)

    2. Zirkulationsmittel.

    a) Die Metamorphose der Waren,

    b) Der Umlauf des Geldes.

    c) Mnze. Wertzeichen.

    3. Geld.

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  • a) Schatzbildung.

    b) Zahlungsmittel.

    c) Weltgeld (money of the world).

    4. Die edlen Metalle.

    C. Theorien ber Zirkulationsmittel und Geld. (Monetarsystem; 'Spectator', Montes-quieu, David Hume; Sir James Steuart; A. Smith, J.-B. Say; Bullion Committee, Ricar-do, James Mill; Lord Overstone und Schule; Thomas Tooke (James Wilson, John Fullarton).)

    In diesen 2 Kapiteln wird zugleich der Proudhonsche, jetzt in Frankreich fashionable Sozialismus, der die Privatproduktion bestehn lassen, aber den Austausch der Privat-produkte organisieren, der die Ware will, aber das Geld nicht will, in der Grundlage kaputtgemacht. Der Kommunismus mu sich vor allem dieses 'falschen Bruders' entledigen. Aber abgesehn von allem polemischen Zweck weit Du, da die Analyse der einfachen Geldformen der schwierigste, weil abstrakteste Teil der politischen konomie ist.

    Ich hoffe, unsrer Partei einen wissenschaftlichen Sieg zu erringen. Sie mu aber jetzt selbst zeigen, ob sie zahlreich genug ist, genug Exemplare zu kaufen, um den Buch-hndler ber seine 'Gewissensskrupel' zu beruhigen. Von dem Verkauf der ersten Hefte hngt der Fortgang des Unternehmens ab. Habe ich erst definitiven Kontrakt, so ist alles all right." (M. an Weydemeyer v. 1.2.1859; MEW 29, S.572f)

    1862-08-20 Fixes Kapital und Akkumulationsfonds Immer wieder muss Engels als Geschftspraktiker Informationen beisteuern. Hier geht es um die Wertbertragung des konstanten Kapitals im Wertbildungsprozess. Der Freund wird als Fachmann fr Einzelfragen konsultiert (oder herbeizitiert?), aber nur wenig in die Diskussion des Gesamtpro-jekts einbezogen. Da behlt M. die volle Kontrolle:

    "Kannst Du nicht auf einige Tage herkommen? Ich habe in meiner Kritik so viel Al-tes umgestoen, da ich doch ber einige Punkte vorher mich mit Dir konsultieren mchte. Das Schreiben ber das Zeug ist Dir und mir langweilig.

    Ein Punkt, ber den Du als Praktikus Bescheid wissen mut, ist der. Nimm an, die Maschinerie, womit ein Geschft erffnet, = 12000 . Sie nutze, on an average, ab in 12 Jahren. Wird dann jedes Jahr auf die Waren 1000 Wert zugeschlagen, so ist der Preis der Maschine in 12 Jahren bezahlt. Soweit A.Smith und alle seine Nachfol-ger. Aber in fact ist dies nur average calculation. Es verhlt sich mit der Maschinerie, die 12 Jahre zu leben hat, wie etwa mit einem Pferde, das 10 Jahre zu leben htte oder dienstfhig wre. Obgleich es nach 10 Jahren durch ein neues Pferd ersetzt werden mu, wre es in der Wirklichkeit falsch, zu sagen, da es jedes Jahr 1/10 ab-stirbt. Herr Nasmyth bemerkt vielmehr in einem Brief an die factory inspectors, da die Maschinerie (wenigstens gewisse Maschinerie) im zweiten Jahr better runs than in the first. At all events ist whrend der 12 Jahre nicht jedes Jahr 1/12 in natura der

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  • Maschinerie zu ersetzen? Was wird nun aus diesem fonds, der jhrlich x/12 der Ma-schinerie ersetzt? Ist er in der Tat nicht ein Akkumulationsfonds zur Erweiterung der Reproduktion, abgesehn von aller conversion of revenue into capital? Erklrt das Da-sein dieses fonds nicht teilweise, die sehr verschiedene Rate, womit Kapital akkumu-liert bei Nationen, wo die kapitalistische Produktion entwickelt, daher viel capital fixe existiert, im Gegensatz zu Nationen wo dies nicht der Fall?" (M. an E. v. 20.8.1862; MEW 30, S.280f)

    M. hat noch nicht den festen Zugriff auf die Kategorie des fixen Kapitals. Das ist noch zu konkret. Natrlich mssen regelmig Teile erneuert, Reparaturen ausgefhrt, vielleicht sogar Verbesserun-gen eingebaut werden. Dennoch aber hat die Maschinerie und andere Ausrstung eine bestimmte physische oder moralische Lebensdauer. Danach muss die Ausrstung auf einen Schlag vollstndig erneuert werden. Dafr wird Kapital in Geldform angespart, das dann zu einer Quelle des Kredit-systems wird.

    Frage: Gibt es tatschlich Dinge der politischen konomie, ber die ein Praktikus besser Bescheid wei? Wenn ja, kndigt E. im Brief v. 9.9.1862 erst einmal Widerspruch gegen M.s "unrechte Fhrte" an (MEW 30, S.284).

    1862-12-28 Pltzlich "Das Kapital" In einem Brief an Ludwig Kugelmann kommt es zu erstaunlicher Wende. Trotz oder wegen des Misserfolgs des ersten Hefts "Zur Kritik..." behauptet er, den zweiten Teil bereits fertig zu haben, der aber nicht als zweites Heft, sondern als eigenstndiges Buch erscheinen soll:

    "Es hat mich sehr gefreut, aus Ihrem Briefe zu ersehn, da Sie und Ihre Freunde ein so warmes Interesse an meiner 'Kritik der Politischen konomie' nehmen. Der zwei-te Teil ist nun endlich fertig, d.h. bis zum Reinschreiben und der letzten Feilung fr den Druck. Es werden ungefhr 30 Druckbogen sein. Es ist die Fortsetzung von Heft I, erscheint aber selbstndig unter dem Titel: 'Das Kapital' und 'Zur Kritik der Politi-schen konomie' nur als Untertitel. Es umfat in der Tat nur, was das dritte Kapitel der ersten Abteilung bilden sollte, nmlich 'Das Kapital im allgemeinen'. Es ist also nicht darin eingeschlossen die Konkurrenz der Kapitalien und das Kreditwesen. Was der Englnder 'the principles of political economy' nennt, ist in diesem Band enthal-ten. Es ist die Quintessenz (zusammen mit dem ersten Teil), und die Entwicklung des Folgenden (mit Ausnahme etwa des Verhltnisses der verschiedenen Staatsformen zu den verschiednen konomischen Strukturen der Gesellschaft) wrde auch von andern auf Grundlage des Gelieferten leicht auszufhren sein." (M. an Kugelmann v. 28.12.1862; MEW 30, S.639)

    M. stellt die Sache als eine Frage von wenigen Wochen dar, weil lediglich noch die Reinschrift zu erfolgen habe, und fhrt fort:

    "Ich habe alle Aussicht, da, sobald die deutsche Schrift heraus, eine franzsische Bearbeitung in Paris besorgt wird. Selbst zu franzsieren habe ich absolut keine Zeit, so weniger, da ich entweder die Fortsetzung, d. h. den Schlu der Darstellung des Kapitals, Konkurrenz und Kredit, deutsch schreiben oder die zwei ersten Arbeiten fr das englische Publikum in einer Schrift zusammenfassen will." (ebd., S.640)

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  • Die genannten Bcher zum Kreditwesen und zur Konkurrenz, von der auch in den Manuskripten des K2 und K3 hufiger die Rede ist, wurden niemals ernsthaft begonnen. Entweder schreibt M. ber ungelegte Eier und mchte mit seinem Gegacker nur Eindruck machen, oder er ist sich voll-stndig unschlssig ber sein weiteres Vorgehen. Wahrscheinlich finden wir in den Briefen von beidem ein bisschen.

    1862-12-28 Ignoranz statt Resonanz M. schreibt im Brief an Kugelmann auch ber den geringen Erfolg des ersten Heftes seiner Schrift "Zur Kritik der politischen konomie". Er macht dafr einerseits die Art der abstrakten Darstellung, andererseits die fehlende Besttigung durch das Ausland verantwortlich. Er hofft, fr den zweiten Teil der Schrift, jetzt als eigenstndiges Buch geplant, auf eine franzsische und englische Fassung. Dann werde der Erfolg in diesen Lndern dafr sorgen, dass man ihn auch in Deutschland zur Kenntnis nimmt.

    "Ich glaube nicht, da auf Wirkung in Deutschland zu rechnen, bevor ein Zertifikat vom Ausland erhalten ist. Im ersten Heft war allerdings die Darstellungsweise sehr unpopulr. Es lag dies teils an der abstrakten Natur des Gegenstands, dem be-schrnkten Raum, der mir vorgeschrieben war, und dem Zweck der Arbeit. Dieser Teil (= der in Arbeit befindliche zweite Teil) ist leichter verstndlich, weil er konkre-tere Verhltnisse behandelt. Wirklich populr knnen wissenschaftliche Versuche zur Revolutionierung einer Wissenschaft niemals sein. Ist aber einmal die wissenschaftli-che Grundlage gelegt, so ist das Popularisieren leicht. Werden die Zeiten etwas strmischer, so kann man auch die Farben und Tinten wieder whlen, die eine po-pulre Darstellung dieser Gegenstnde gebieten wrde. Dagegen htte ich aller-dings erwartet, da die deutschen Fachgelehrten schon des Anstands halber meine Arbeit nicht so vllig ignoriert htten." (M. an Kugelmann v. 28.12.1862; MEW 30, S.640)

    1863-07-06 Reproduktionsprozess s. auch: Marx_1863_Reproduktion.pdf

    M. legt E. einen frhen Entwurf seines Reproduktionsschemas vor; unverkennbar sein Ehrgeiz, da-mit Quesnays Tableau auf modernen Stand zu bringen.6 Darin ist bereits die sptere Aufteilung der gesellschaftlichen Reproduktion in zwei Abteilungen enthalten (M. an E. v. 6.7.1863; MEW 30, S.362ff).

    1863-08-15 Geschichte der politischen konomie als eigener Band des Ka-pital Nach dem Misserfolg der "Kritik" in Heftform ist M. offenbar unsicher und macht sich zunehmend Gedanken ber die "Popularitt" seiner Darstellung, ohne jedoch zu wirklich sprbaren Vernde-rungen zu kommen:

    "Die Sachen nehmen bei der letzten Ausarbeitung, wie es mir scheint, eine ertrg-lich populre Form an, einige unvermeidliche G - W und W - G abgerechnet. An-drerseits, obgleich ich den ganzen Tag schreibe, geht's nicht so rasch vom Fleck, wie meine eigne lngst auf die Geduldprobe gestellte Ungeduld wnscht. Jedenfalls

    6 M. kndigt in diesem Brief auch an, das Tableau im nchsten Brief erlutern zu wollen; dieser Brief ist aber nicht aufge-funden worden.

    10

  • wird es 100 p. c. leichter verstndlich als Nr. 1, brigens, wenn ich jetzt das Mach-werk ansehe und sehe, wie ich alles habe umschmeien mssen und auch den his-torischen Teil erst aus zum Teil ganz unbekanntem Material machen mute, so ist mir Itzig7 in der Tat komisch, der seine" konomie bereits in der Mache hat, durch smtliches Zeug aber, das er bisher losgehkert, sich als einen Sextaner beweist, der mit der widerlichsten, spreitspurigsten Waschweiberei Stze in die Welt posaunt - als seine neuste Entdeckung..." (M. an E. v. 15.8.1863)

    Erste (?) Andeutung des genderten Plans, die Theorien ber den Mehrwert nicht mehr als Materi-al innerhalb des ersten Teils, sondern als Geschichte der Politischen konomie zu einem eigenen Band (damals als Band 3) zusammenzufassen.

    Nicht untypisch ist M.s Versuch, die eigenen Schwierigkeiten und Frustrationen durch Beschimp-fung anderer abzubauen. (M. und E. htten sich niemals trumen lassen, dass ihre Briefe einmal wissenschaftliches und ffentliches Interesse wecken wrden! Dann htten sie sich vermutlich strker zurckgehalten.) Hier muss Ferdinand Lassalle ("Itzig") als Watschenmann herhalten, der selbst ein konomisches Werk verfasste, das tatschlich schlecht war, aber viel gelesen wurde.

    Die zweifellos vorhandenen Eigenarten Lassalles, vor allem seine demonstrativ-preuische Ehrpusseligkeit, wurden von M. und E. nicht einfach nur karikiert. Man mischte sie mit Lassalles polnisch-jdischer Herkunft zusammen und machte sie im privaten Austausch zum Gegenstand ge-hssigen Spotts. Ein wenig feiner Zug, zumal gleichzeitig Lassalle von beiden hofiert wurde, um dessen Beziehungen zu nutzen.

    s. auch: 1867-04-30 M. will kein Ochse sein

    1865-05-01 Nach zwei Jahren wieder "Das Kapital" Am 1.5.1865 berichtet M. an E. vom "Fertigmachen meines Buchs" (MEW 31, S.110). So taucht recht unvermittelt das Kapital-Projekt in den Briefen an E. auf, in denen bislang nichts darber zu lesen war8, nachdem das Projekt der Hefte "Zur Kritik..." recht still begraben worden und das Ku-gelmann im Dezember 1862 gegenber angekndigte Buch an Stelle des zweiten Heftes, obwohl angeblich fertig, auch sang und klanglos abgetaucht war.

    Ab diesem Zeitpunkt fragt Engels immer mal wieder, mehr oder weniger beilufig, nach dem Stand des "Kapital"-Projekts, dessen zurckhaltender Code-Name "das Buch" lautet.

    1865-05-09 Bald fertig "Mein Buch wird hoffentlich (trotz vieler Unterbrechungen) bis 1. September fix und fertig sein. Es geht gut voran, obgleich ich immer noch nicht ganz ausgeheilt." (M. an E. v. 9.5.1865; MEW 31, S.117)

    7 Gemeint ist Ferdinand Lassalle. "Itzig" war im 19. Jahrhundert sowohl als Bezeichnung fr einen Schlauberger, aber auch als abfllige Bezeichnung fr Juden gebruchlich. 8 Vielleicht hab ich solche uerungen zum neuen "Kapital"-Projekt vor 1863 auch berlesen. Es steht so schrecklich viel berflssiges Zeugs in den Briefen und die Volltextsuche ermittelt solche Bezge nicht eben zuverlssig. Aber auch eine spezielle Zusammenstellung von Marx-Engels-Briefen zum "Kapital" bietet nicht mehr.

    11

  • 1865-05-20 "But we shall do our best": Lohn, Preis und Profit Man knnte das folgende Zitat aus einem Brief von M. an E. ber die spannenden Vorkommnisse im Generalrat der IAA9 auch als Trostspruch fr Veranstalter und Teilnehmer an Schulungen zur po-litischen konomie aufbereiten:

    "Heut abend Extrasitzung der 'International'. Ein alter guter Schluch, old Owenist10, Weston (carpenter), hat die beiden Stze aufgestellt, die er fortwhrend im 'Bee-Hive'11 verteidigt:

    1. da a general rate in the rise of the rate of wages den Arbeitern nichts ntzen wrde;

    2. da deswegen etc. die Trades-Unions schdlich wirken.

    Wrden diese beiden Stze, an die er allein in unsrer society glaubt, angenommen, so wren wir Kladderadatsch, sowohl wegen der hiesigen Trades-Unions, als wegen der Infection of Strikes, die jetzt auf dem Kontinent herrscht.

    Bei dieser Gelegenheit wird er - da fr diese Sitzung auch Nichtmitglieder zulabar - von einem brtigen Englnder untersttzt werden, der eine Broschre im selben Sinn geschrieben. Man erwartet natrlich von mir die Widerlegung. Ich htte also eigentlich meine Replique fr heut abend ausarbeiten sollen, hielt es aber wichtiger, an meinem Buch fortzuschreiben, und mu mich so auf die Improvisation verlassen. Ich wei natrlich im voraus, was die beiden Hauptpoints:

    1. da der Arbeitslohn den Wert der Waren bestimmt;

    2. da, wenn die Kapitalisten heute 5 sh. statt 4 zahlen, sie morgen (enabled dazu durch die gestiegne Nachfrage) ihre Waren fr 5 sh. statt fr 4 verkaufen werden.

    So fad nun das und sich nur an der uerlichsten Oberflche der Erscheinung hlt, so doch nicht leicht, alle die konomischen Fragen, die dabei konkurrieren, Ignoran-ten auseinanderzusetzen. You can't compress a course of Political Economy into 1 hour. But we shall do our best." (M. an E. v. 20.5.1865; MEW 31, S.122f)

    1865-06-24 Lohn, Preis und Profit M. hlt seinen Vortrag vor dem Generalrat, der will den Vortrag drucken lassen. M. fragt E., ob das sinnvoll sei und gibt zu bedenken:

    9 Die im September 1864 von Sozialisten aus 13 Lndern gegrndete Internationale Arbeiterassoziation (IAA) gab der jungen Arbeiterbewegung wichtige Impulse. Marx und Engels gehrten zu den Grndern und waren Mitglieder im Zent-ralrat, der seinen Sitz in London hatte. Die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag, nach Wahlrecht und Gewerkschaftsfrei-heit gehen auf die IAA zurck. Schwere Auseinandersetzungen mit den Anarchisten um die Staatsfrage spalteten die IAA 1872, die nach der Grndung erster nationaler Arbeiterparteien an Bedeutung verlor und sich 1876 formell auflste. Die IAA wird oft auch als 1.Internationale bezeichnet. 10 Ein "old Owenist" ist natrlich ein berzeugter Anhnger von Robert Owen, der experimentellen Sozialismus betrieb. Ein "carpenter" ist ein Zimmermann. Aber was ist ein "alter guter Schluch"? Auch das Internet lsst uns im Stich. 11 Das "Bee-Hive" war die offizielle Zeitung der Trade-Unions. Weil der Chefredakteur Potter gegen die IAA Position machte, versuchten M. und die anderen Mitglieder des Zentralrats, durch Aktienkauf Einfluss auf das Blatt zu gewinnen. Die Sache scheiterte nicht nur am Geldmangel, sondern auch an der Zgerlichkeit der englischen Mitglieder (vgl. Eintrag zum 2.12.1864).

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  • "Nun wollen die Leute das drucken lassen. Einerseits wre mir das vielleicht ntzlich, da sie in Verbindung mit J.St.Mill, Professor Beesly, Harrison usw. Andrerseits habe ich Bedenken:

    1. da 'Mr.Weston' als Gegner nicht grade shr schmeuchelhaft;

    2. das Ding enthlt im zweiten Teil, in auerordentlich gedrngter, but relatively popular form, viel Neues, das aus meinem Buch vorweggenommen ist, whrend es zugleich doch notwendigerweise ber allerlei wegschlpfen mu. Frage, ob es rtlich, dergleichen in solcher Weise vorwegzunehmen? Ich denke, Du kannst hier besser entscheiden als ich, weil Du Dir die Sache mehr aus ruhiger Ferne ansiehst." (M. an E. v. 24.6.1865; MEW 31, S.125)

    Zeigt, wie begierig M. nach akademischer Reputation war und wie abgeschlossen er von der engli-schen Londoner Intelligenz lebte.

    Man beachte auch das distanzierte "die Leute". Das sind nicht seine Kampfgenossen, sondern Fi-guren im M-E-Schach. Diese Redeweise findet man allenthalben in den Briefen. Nur selten Wir-Bezge, hchsten mal "unsere Partei" o.., die dann aber auch nur auf einen kleinen Personen-kreis beschrnkt wird. Meist distanzierte, Herablassung gegenber Mr. Weston, abweisende Be-schreibung vieler Gefhrten. Herzliche Bezeichnungen werden praktisch nur fr die persnlichen und ergebenen Freunde verwendet.

    1865-07-31 "pushing on" und saurer Wein M. behauptet gegenber dem Generalrat der IAA12, verreist zu sein, "um wenigstens einmal fr 14 Tage ganz frei und ungestrt zum pushing on der Arbeit zu haben." (M. an E.; MEW 31, S.131) Dann muss das Kapital ja bald fertig sein. Und tatschlich schreibt M:

    "Was nun meine Arbeit betrifft, so will ich Dir darber reinen Wein einschenken. Es sind noch 3 Kapitel zu schreiben, um den theoretischen Teil (die 3 ersten Bcher) fertigzumachen. Dann ist noch das 4.Buch, das historisch-literarische, zu schreiben, was mir relativ der leichteste Teil ist, da alle Fragen in den 3 ersten Bchern gelst sind, dies letzte also mehr Repetition in historischer Form ist. Ich kann mich aber nicht entschlieen, irgend etwas wegzuschicken, bevor das Ganze vor mir liegt. Whatever shortcomings they may have, das ist der Vorzug meiner Schriften, da sie ein artistisches Ganzes sind, und das ist nur erreichbar mit meiner Weise, sie nie drucken zu lassen, bevor sie ganz vor mir liegen. Mit der Jacob Grimmschen Metho-de ist dies unmglich und geht berhaupt besser fr Schriften, die kein dialektisch Gegliedertes sind.

    Dagegen wird es sich anders mit der englischen Bearbeitung machen13. Fox hat kei-nen Zweifel, da er mir einen Buchhndler verschaffen kann, sobald ich die ersten Druckbogen zurck habe. Ich wrde dann mit Meiner abmachen, da er auer den Korrekturbogen mir von jedem Bogen den Reinabzug schickt, so da die Korrektur des Deutschen und die bersetzung ins Englische Hand in Hand gingen. Bei dem

    12 s. Anmerkung 9 13 Die englische bersetzung erschien tatschlich erst 1886, nach M.s Tod.

    13

  • letztern mu ich allerdings auf Deine Mitwirkung rechnen. Ich erwarte von der eng-lischen Ausgabe die eigentliche Zahlung dieser Arbeit." (ebd., S.132)

    Klipp und klar: Alles gelogen. Der eingeschenkte reine Wein ist sauer. Das Ganze ist aber, wenn man den zweiten Abschnitt nimmt, wohl eher Selbsttuschung als Betrug.

    Daher sind auch M.s Hinweise auf das "artistische Ganze" und das "dialektisch gegliederte" mit Vorsicht zu genieen. Was immer er fr Vorstellungen ber die Endfassung hatte, so sind sie nie ber das Stadium der Vorstellung hinausgelangt. Das gilt auch fr den 1. Band, der, wollte man M.s "reinen Wein" schlucken, niemals htte gedruckt werden sollen, so lange nicht auch die ande-ren fix und fertig vorliegen.

    1865-08-05 "Das Kapital" als Alp Auch E. hat sich ber M.s Bezeichnung seines Werks als eines "artistischen Ganzen" (s.o.) offen-sichtlich lustig gemacht14, wie wir aus M.s Feststellung wenige Tage spter schlieen knnen. Er schreibt:

    "Ich habe mich sehr amsiert ber den Teil Deines Briefs, der von dem 'Kunstwerk' to be (= knftiges Kunstwerk) handelt. Du hast mich aber doch miverstanden. Der einzige point in question ist, ob einen Teil des Manuskripts rein schreiben und an den Buchhndler schicken oder erst das Ganze fertig schreiben? Ich habe das letzte-re vorgezogen aus vielen Grnden. Es ist damit keine Zeit verlorengegangen, as far als die Arbeit selbst in Betracht kommt, wohl aber einige Zeit fr den Druck, der andrerseits aber auch, einmal begonnen, jetzt in keiner Weise unterbrochen werden kann. Im brigen ist, den Thermometerstand betrachtet, die Sache so rasch gefr-dert worden, als es irgend jemand, selbst ohne alle artistischen Rcksichten, mglich gewesen wre. Da ich, besides, ein Maximumlimit von 60 Druckbogen habe, ist es absolut ntig, das Ganze vor mir zu haben, um zu wissen, wieviel zu kondensieren und streichen ist, um innerhalb der vorgeschriebnen Grenzen die einzelnen Teile gleichmig und proportionell zu haben. Sonst kannst Du Dich darauf verlassen, da alles geschieht, um mglichst bald zu Ende zu kommen, denn das Zeug lastet auf mir wie ein Alp." (M. an E. v. 5.8.1865; MEW 31, S.134)

    E. hat M. wohl nicht missverstanden. M. rudert zurck. Und er macht sich und seinem Freund, wie wir wissen, eine Menge vor. Ein praktisch druckfertiges Manuskript, so dass man sich bereits Ge-danken um die Zahl der Druckbogen macht? Vermutlich drfte glaubwrdig allein die Sache mit dem Alpdruck sein.

    1865-08-07 "Das Kapital" unter Verdacht "Da es mit dem Buch rasch vorangeht, freut mich sehr, ich hatte aus einigen Re-densarten in Deinem vorigen Brief wirklich den Verdacht geschpft, als wrst Du wieder bei einem unerwarteten Wendepunkt angekommen, der alles ins Unbe-stimmte verzgern knnte. An dem Tage, wo das Manuskript abgeht, bekneip' ich mich ohne alle Gnade, es sei denn, da Du den folgenden Tag herkommst und wir das zusammen abmachen knnen." (E. an M. v. 7.8.1865; MEW 31, S.137)

    14 E.s Brief ist leider nicht erhalten.

    14

  • Engels lang und sehnsuchtsvoll erhoffte Sauftour muss noch gut 2 Jahre warten und auch das nur wegen des Verzichts auf 5 Bnde.

    1866-02-10 ausgeweiteter "Arbeitstag" In einem Brief an E. v. 10.2.1866 schreibt M., dass ihn die Erkrankung hindere, sich mit "dem ei-gentlich theoretischen Teil" zu befassen:

    "Ich habe daher den Abschnitt ber den 'Arbeitstag' historisch ausgeweitet, was auer meinem ursprnglichen Plan lag." (M. an E. v. 10.2.1866; MEW 31, S.174)

    Man sieht, dass es mit dem exakt geplanten Aufbau des "Kapital" nicht gar so weit her ist. Hier ist es der Gesundheitszustand, der M. zur Einfgung eines Kapitels veranlasst. E. macht sich ber diesen Einfluss des "Karbunkelkram" auf Fortgang und Umfang von K1 seine eigenen Gedanken:

    1866-02-10 Kapital und Karbunkelkram Es war offenbar E., der als erster das Gesamtprojekt "Kapital" zeitlich auseinander reit. Allerdings sollten in seiner Vorstellung zwischen den einzelnen Bnden nur wenige Monate liegen. Er schlgt M. eine Teilung der Publikation vor:

    "Du mut wirklich endlich etwas Vernnftiges tun, um aus diesem Karbunkelkram herauszukommen, selbst wenn das Buch dadurch noch 3 Monate verzgert wrde. Die Sache wird wahrhaftig zu ernsthaft, und wenn Dein Gehirn, wie Du selbst sagst, nicht fr die theoretischen Sachen up to the mark ist, so la es doch etwas ausruhen von der hheren Theorie. La das Nachtsarbeiten einige Zeit sein und fhre eine et-was regelmigere Lebensweise. Wenn Du wieder auf dem Damm bist, komm auf 14 Tage oder so hierher, damit Du etwas Vernderung hast, und bring Dir so viel Hefte mit, da Du meinetwegen hier etwas arbeiten kannst. brigens geben die 60 Bogen ja 2 dicke Bnde. Kannst Du es nicht so einrichten, da wenigstens der erste Band zuerst zum Druck geschickt wird und der zweite ein paar Monate spter? So ist der Verleger und das Publikum befriedigt und doch keine Zeit realiter verloren." (E. an M. v. 10.2.1866; MEW 31, S.176)

    1866-02-13 "dem Besten der 'Politischen konomie'" Um dem Karbunkelkram zu entkommen, ordert M. eine Fernbehandlung fr sich mit typischer Be-grndung:

    "Sage oder schreibe dem Gumpert15, er solle mir das Rezept mit Gebrauchsanwei-sung schicken. Da ich das Vertrauen in ihn habe, schuldet er schon dem Besten der 'Politischen konomie', professionelle Etikette zu bersehn und mich von Manches-ter aus zu behandeln." (M. an E.; MEW 31, S.178)

    Ob er sich als Besten sieht oder nur das Beste fr die P fordert, luft wohl auf dasselbe hinaus. M. fhrt fort:

    "Was dies 'verdammte' Buch betrifft, so steht es so: Es wurde fertig Ende Dezem-ber. Die Abhandlung ber die Grundrente allein, das vorletzte Kapitel, bildet beina-he, in der jetzigen Fassung, ein Buch. Ich ging bei Tag aufs Museum und schrieb nachts. Die neue Agrikulturchemie in Deutschland, speziell Liebig und Schnbein,

    15 Arzt in Manchester, mit M. und E. befreundet.

    15

  • die wichtiger fr diese Sache als alle konomen zusammengenommen, andrerseits das enorme Material, das die Franzosen seit meiner letzten Beschftigung mit die-sem Punkt darber geliefert hatten, mute durchgeochst werden. Ich schlo meine theoretischen Untersuchungen ber die Grundrente vor 2 Jahren. Und grade in der Zwischenzeit war vieles, brigens ganz meine Theorie besttigend, geleistet worden. Auch der Aufschlu von Japan (ich lese sonst im Durchschnitt, wenn nicht professi-onell gentigt, niemals Reisebeschreibungen) war hier wichtig. Daher das 'shifting system' (= Schichtarbeit), wie es die englischen Fabrikhunde von 1848-50 an den-selben Personen anwandten, auf mich von mir selbst angewandt.

    Obgleich fertig, ist das Manuskript, riesig in seiner jetzigen Form, nicht heraus-gebbar fr irgend jemand auer mir, selbst nicht fr Dich.16

    Ich begann die Abschreiberei und Stilisierung Punkt ersten Januar, und die Sache ging sehr flott voran, da es mir natrlich Spa macht, das Kind glattzulecken nach so vielen Geburtswehn. Aber dann kam wieder der Karbunkel dazwischen, so da ich bis jetzt nicht weitergehn, sondern nur tatschlich ausfllen konnte, was nach dem Plan schon fertig war.

    Im brigen stimme ich mit Deiner Ansicht berein und bringe den ersten Band, so-bald er fertig, zu Meiner. Doch mu ich zum Fertigmachen wenigstens sitzen kn-nen." (M. an E.; MEW 31, S.178f)

    Ob M. und E. in dieser Frage der zeitlichen Streckung der Publikation wirklich dasselbe gemeint haben? Wohl kaum, dazu war E. zu schlecht ber den tatschlichen Inhalt der "Kapital"-Bnde und den tatschlichen Arbeitsstand informiert. M. gnnt selbst seinen engsten Freund nur wenig Einblicke.

    1866-02-20 Zusammenhang "Du verstehst, my dear fellow, da in einem Werke wie meinem, manche short-comings (= Unzulnglichkeiten) im Detail existieren mssen. Aber die Komposition, der Zusammenhang, ist ein Triumph der deutschen Wissenschaft, den ein einzelner Deutscher eingestehn kann, da es in no way sein Verdienst ist, vielmehr der Nation gehrt. Dies um so erfreulicher, da es sonst die silliest nation unter dem Sonnen-licht!" (M. an E., MEW 31, S.183)

    1866-10-13 Aufbauplan K1 Erstmals wird der tatschliche Aufbau des "Kapital" von M. umrissen; wieder ist es Kugelmann, der als erster von den genderten Plnen erfhrt. Jetzt wird das Kapital auf vier Bcher angelegt, wobei sich die Absicht, diese vier Bcher in drei Druckbnde zu pressen, spter als illusorisch er-weist:

    "Meine Umstnde (krperliche und brgerliche Unterbrechungen ohne Unterla) veranlassen, da der Erste Band zuerst erscheinen mu, nicht beide auf einmal, wie ich zuerst beabsichtigte. Auch werden es jetzt wahrscheinlich 3 Bnde.

    16 Darin irrt M., auch wenn es E. einige Lebensjahre kostete, die Bnde 2 und 3 des "Kapital" herauszugeben.

    16

  • Das ganze Werk zerfllt nmlich in folgende Teile:

    Buch I. Produktionsproze des Kapitals.

    Buch II. Zirkulationsproze des Kapitals.

    Buch III. Gestaltung des Gesamtprozesses.

    Buch IV. Zur Geschichte der Theorie.

    Der erste Band enthlt die 2 ersten Bcher.

    Das 3te Buch, denke ich, wird den zweiten Band fllen, das 4te den 3.

    Ich habe es fr ntig erachtet, in dem ersten Buch wieder ab ovo zu beginnen, d.h. meine bei Duncker erschienene Schrift in einem Kapitel ber Ware und Geld zu re-smieren. Ich hielt das fr ntig, nicht nur der Vollstndigkeit wegen, sondern weil selbst gute Kpfe die Sache nicht ganz richtig begriffen, also etwas Mangelhaftes an der ersten Darstellung sein mute, speziell der Analyse der Ware. Lassalle z.B. in sei-nem 'Kapital und Arbeit', wo er angeblich die 'geistige Quintessenz' meiner Ent-wicklung gibt, macht groe Schnitzer, was ihm brigens bestndig bei seiner sehr ungenierten Aneignung meiner Arbeiten passiert. Es ist komisch, wie er mir sogar li-terarisch-historische 'Versehen', da ich nmlich manchmal aus dem Kopf zitiere, oh-ne die Sachen nachzusehn, abschreibt. Ich bin noch nicht mit mir selbst im reinen darber, ob ich in der Vorrede einige Worte ber Lassalles Plagiarismus fallenlasse. Das schamlose Auftreten seiner Nachbeter gegen mich wrde das jedenfalls recht-fertigen." (M. an Kugelmann v. 13.10.1866; MEW 31, S.534)

    1866-11-10 Manuskript geht auf die Post In einem Brief an E. kndigt M. den baldigen Versand des ersten Teils vom Manuskript des 1. Bands an. Fr die Verzgerung dienen die "krperlichen und brgerlichen Verhltnisse" mal wie-der zur Begrndung (MEW 31, S.263).

    Ohne Frage war die Infektion mit Karbunkeln zu M.s Zeit eine nicht nur peinliche, sondern auch uerst schmerzhafte Angelegenheit. Dennoch: Wieweit seine Klagen und Leidensgeschichten rea-listisch, wieweit sie der Bewltigung einer nahezu unertrglichen Lebenssituation dienen, steht auf einem ganz anderen, uns allerdings berhaupt nicht zugnglichen Blatt. - E. ist voreilig und schreibt zur Antwort:

    "Die Anzeige, da Manuskript abgegangen, wlzt mir einen Stein von der Seele... Das Buch hat hat sehr viel dazu beigetragen, Dich kaputtzumachen, ist es erst abge-schttelt, so wirst Du auch wieder ein ganz andrer Kerl werden." (E. an M. v. 11.11.1866; MEW 31, S.264)

    Hat E. den vorigen Brief nicht richtig gelesen? M. spricht davon, das Manuskript nchste Woche abzusenden. E. geht aber bereitwillig von vollzogener Tat aus. Ob er damit nachdrcklich sein will? Oder ist er von der Freude bermannt?

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  • 1867-01-29 Der Drucker meldet sich...und E. glaubt immer noch daran Meiner, der Verleger, will das Kapital komplett in 2 (!) Bnden herausgeben. M. taktiert und will mit fadenscheinigen Argumenten zunchst nur den 1. Band gedruckt haben. E. untersttzt ihn:

    "Meiner wird sich wohl in Deine Ansicht gefgt haben. Jedenfalls ist es klar, da Du nach dem ersten Bande eine 6 Wochen Ruhe haben mut..." (E. an M. v. 29.1.1867; MEW 31, S.275)

    Tatschlich hat M. zu diesem Zeitpunkt nicht einmal den 1. Band des "Kapital" fertig. Er teilt E. am 21.2.1867 mit, die Arbeit werde bald fertig sein (MEW 31, S.277) und vergisst nur hinzuzufgen, dass es sich dabei allein um den 1. Band handelt. Aus der 6 Wochen Ruhe nach Drucklegung des 1.Bands wurden fast 20 Jahre bis zur Drucklegung des 2. Bands. - E. hlt sich rund drei Wochen zurck. Erst dann schreibt er vorsichtig an M.:

    "Ich habe Dir teilweise durch allerlei Verhinderung, teilweise aber auch halb absicht-lich nicht geschrieben, da ich den Termin vorbergehn lassen wollte, in welchem 'das Buch' fertig werden sollte, und hoffe nun, da dasselbe fertig ist. Wann wirst Du also zu Herrn Meiner hingehn? Ich gebe Dir dann auch eine Anweisung mit, um das Honorar meiner vorigen Broschre zu erheben." (E. an M. v. 13.3.1867; MEW 31, S.279)

    1867-04-02 Fertig, aber... M. antwortet dem Freund im selben Ton, durchaus einer gewissen Schuld bewusst, aber im Groen und Ganzen von Karbunkeln entlastet:

    "Ich hatte mir vorgenommen, Dir nicht zu schreiben, bis ich Dir das Fertigsein des Buches anzeigen knnte, was jetzt der Fall ist. Ich wollte Dich auch nicht ennuyieren mit den Ursachen des abermaligen Aufschubs, nmlich Karbunkeln am Hintern und in der Nhe des penis, deren letzte Reste jetzt verblhn und die mir nur unter gro-en Schmerzen sitzende Position (also schreibende) erlaubten. Arsenik nehm ich nicht, weil es mich zu dumm macht und ich wenigstens fr die Zeit, wo das Schrei-ben mglich war, den Kopf beisammen haben mute.

    Ich mu nchste Woche selbst mit dem Manuskript nach Hamburg. Der Ton des letzten Briefs des Herrn Meiner gefiel mir nicht. Ich wittere ... eine Intrige und mu dem Meiner das Messer persnlich auf die Brust setzen. Sonst wre der Kerl im-stand, mein Manuskript (ungefhr 25 starke Druckbogen, wie ich rechne) zurckzu-halten und zugleich nicht drucken zu lassen unter dem Vorwand, den zweiten Band 'abwarten' zu wollen." (M. an E. v. 2.4.1867; MEW 31, S.281)

    Das ist schon witzig. M., einer der unzuverlssigsten Autoren der jngeren Literaturgeschichte, wit-tert Intrigen fr den Fall, dass der Verleger mit den willkrlichen Plannderungen seines Autors nicht einverstanden sein sollte.

    E. jedenfalls jubelt ber den endlichen Abschluss des Buches, wenn ihm auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar ist, dass wirklich nur das 1. von den geplanten vier Bchern einigermaen fertig ist:

    "Hurra! Dieser Ausruf war irrepressibel, als ich endlich schwarz auf wei las, da der I. Band fertig ist und Du gleich damit mach Hamburg willst." (E. an M. v. 4.4.1867; MEW 31, S.283)

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  • Das kursive ist macht klar, dass sich E. ber einige der Tuschungen von M. durchaus klar gewor-den war. Wie auch nicht? Aber die ganze Tragweite kennt er nicht. Denn E. beschliet seinen Brief mit der Feststellung:

    "Diesen Sommer mut Du mit diesem Kram fertig werden." (ebd. S.284)

    1867-04-13 M. in Hamburg und Hannover Tatschlich... M. fhrt nach Hamburg und dann weiter nach Hannover. Meiner hatte nmlich den Druckauftrag nach Leipzig weitergereicht, wo hinreichend gebildete Setzer mit M.s Manuskript fer-tig zu werden hofften. M. musste fr die sofortige 1. Korrektur erreichbar bleiben und zog sich deshalb zu Kugelmann zurck, der ihn auerordentlich zuvorkommend aufnahm (vgl. M. an E. v. 13.4.1867, MEW 31, S.288; M. an E. v. 24.4.1867; MEW 31, S.289f u.a.).

    1867-04-17 "furchtbarste missile" M. sendet Triumphmeldungen an alle Freunde und Feinde, immer noch mit unrealistischen Anga-ben ber die Fertigstellung des Gesamtwerks:

    "Der Druck hat bereits Anfang dieser Woche begonnen, soda der erste Band Ende Mai erscheinen wird. Das ganze Werk erscheint in 3 Bnden. Der Titel ist: Das Ka-pital. Kritik der Politischen Oekonomie". Der erste Band umfat das Erste Buch: Der Produktionsproze des Kapitals". Es ist sicher das furchtbarste Missile, das den Brgern (Grundeigentmer eingeschlossen) noch an den Kopf geschleudert worden ist. Es ist nun wichtig, da Ihr in der Presse, d. h. den Blttern, die Euch zu Gebot stehn, aufmerksam macht auf das baldige Erscheinen." (M. an J.P.Becker in Genf v. 17.4.1867; MEW 31, S.541).

    1867-04-30 M. will kein Ochse sein In seinem Brief an S. Meyer gibt M. nicht nur eine Menge Weihrauch von sich, sondern auch einen gewissen Einblick in seinen inneren Zustand

    "Warum ich Ihnen also nicht antwortete? Weil ich fortwhrend am Rande des Gra-bes schwebte. Ich mute also jeden arbeitsfhigen Moment benutzen, um mein Werk fertigzumachen, dem ich Gesundheit, Lebensglck und Familie geopfert habe. Ich hoffe, da diese Erklrung keines weiteren Zusatzes bedarf. Ich lache ber die sog. 'praktischen' Mnner und ihre Weisheit. Wenn man ein Ochse sein wollte, knnte man natrlich den Menschheitsqualen den Rcken kehren und fr seine eig-ne Haut sorgen. Aber ich htte mich wirklich fr unpraktisch gehalten, wenn ich krepiert wre, ohne mein Buch, wenigstens im Manuskript, ganz fertigzumachen.

    Der erste Band des Werks wird in einigen Wochen bei Otto Meiner in Hamburg er-scheinen. Der Titel der Schrift ist: 'Das Kapital. Kritik der Politischen Oekonomie'. Um das Manuskript berzubringen, bin ich nach Deutschland gereist, wo ich, auf meiner Rckreise nach London, bei einem Freund in Hannover fr einige Tage ver-weile.

    Der Band I umfat den 'Produktionsproze des Kapitals'. Auer der allgemeinen wissenschaftlichen Entwicklung gebe ich sehr im Detail, nach bisher noch nicht be-nutzten amtlichen Quellen, die Zustnde des englischen - agrikolen und industriellen

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  • - Proletariats whrend der letzten 20 Jahre, ditto des irischen Zustandes. Sie verstehn von vornherein, da alles dies mir nur als argumentum ad hominem dient.

    Ich hoffe, da heut bers Jahr das ganze Werk erschienen ist.17 Band II gibt Fortset-zung und Schlu der Theorie, Band III die Geschichte der Politischen konomie seit Mitte des 17. Jahrhunderts." (M. an S. Meyer v. 30.4.1867; MEW 31, S.542f)

    Ist aber das historische Material, auf dessen Prsentation M. so stolz ist, wirklich "argumentum ad hominem"? Das ist nmlich ideengeschichtlich keineswegs ein anschaulicher Beweis, wie die Her-ausgeber der MEW kommentieren. Es gilt als polemische Attacke auf die Person anstelle der Sa-che. Hier wre das: Polemik gegen die konkreten Verhltnisse an Stelle der theoretischen Kritik. Ist M. hier einfach ein Lapsus unterlaufen? Oder soll das als Understatement oder als fishing for compliments verstanden werden? Oder glaubt er wirklich, seine historischen "Illustrationen" auf polemische Strkung seiner theoretischen Argumente reduzieren zu knnen?

    1867-05-07 Im nchsten Frhjahr ist alles vorbei Entgegen E.s Empfehlung will M. aus verschiedenen Grnden schnell nach London zurck, u.a. weil "Meiner den 2. Band fr sptestens Ende Herbst" verlange:

    "Die Schanzerei mu also sobald als mglich beginnen, indem namentlich fr die Kapitel ber Kredit- und Grundeigentum viel neues Material seit der Abfassung des Manuskripts geliefert worden ist. Im Winter soll der dritte Band fertig gemacht wer-den, so da bis nchstes Frhjahr das ganze opus abgeschttelt. Es schreibt sich na-trlich ganz anders, sobald die Druckbogen des bereits Abgeschttelten fur et mesure (= entsprechend) eintreffen und unter der Pressure des Buchhndlers." (M. an E. v. 7.5.1867; MEW 31, S.296)

    "Ich hoffe und glaube zuversichtlich, nach Jahresfrist soweit ein gemachter Mann zu sein, da ich von Grund aus meine konomischen Verhltnisse reformieren und endlich wieder auf eignen Fen stehn kann. Ohne Dich htte ich das Werk nie zu Ende bringen knnen, und ich versichre Dir, es hat mir immer wie ein Alp auf dem Gewissen gelastet, da Du Deine famose Kraft hauptschlich meinetwenig kommer-ziell vergeuden und verrosten lieest und, into the bargain noch alle meine petites miseres mitdurchleben mutest. Ich kann mir andrerseits nicht verheimlichen, da ich noch ein Jahr of trial vor mir habe. Ich habe einen Schritt getan, von dem viel abhngt, wovon es nmlich abhngt, ob mir von der einzigen Seite, wovon es mg-lich ist, einige 100 zur Disposition gestellt werden. Es ist ertrgliche Aussicht auf positives Resultat vorhanden, doch bleibe ich fr about 6 Wochen in der Schwebe. Frher erhalte ich nicht definitiven Bescheid." (ebd. S.296f)

    M.s Dank an E. mehr als berechtigt. Ob seine angedeutete Lsung des Problems einen materiellen Hintergrund hat? Oder ist es M.s Reaktion auf E.s Ankndigung Tage zuvor, er werde in zwei Jah-ren aus dem Geschft aussteigen mssen und wollen und dann ber wesentlich weniger Mittel ver-fgen (vgl. Brief E. an M. v. 27.4.1867; MEW 31, S.293)? Wir werden sehen.

    17 Dabei legt M. noch die alten Plne zugrunde, wonach die heutigen Bnde 2 und 3 des "Kapital" als 2. Band und die Theorien ber den Mehrwert als 3. Band erscheinen sollten. Das htte jedoch eine durchaus wnschenswerte "Konden-sation" der Texte erforderlich gemacht. M. hat das nur ansatzweise fr den 2. Band, aber gar nicht fr die Manuskripttei-le des 3. Bands geleistet. So kommt es, dass uns heute ein "Kapital" vorliegt, das viel mehr Text als ursprnglich geplant enthlt.

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  • 1867-06-16 Wertform und "Karbunkeldruck" Obwohl sich M. und E. ber nahezu alles austauschen, vollzog sich die Debatte ber den Inhalt des "Kapital" erstaunlicherweise auf Sparflamme. Erst als die Probeabzge des 1. Bands vorliegen, be-zieht M. den Freund in die Debatte des Gesamttextes ein. E.s Vorschlge sind durchaus weitrei-chend:

    "Bogen 2 namentlich trgt ein etwas gedrcktes Karbunkelgeprge, das ist aber nun nicht mehr zu ndern, und ich meine, Du machst im Nachtrag weiter nichts da-rber, denn der Philister ist doch an diese Art abstrakten Denkens nicht gewhnt und wird sie sich der Wertform zu Gefallen sicher nicht anqulen. Hchstens wrde das hier dialektisch Gewonnene etwas weitlufiger historisch nachzuweisen, sozu-sagen aus der Geschichte die Probe darauf zu machen sein, obgleich dafr das N-tigste auch schon gesagt ist; Du hast aber soviel Material darber, da Du gewi noch einen ganz guten Exkurs darber machen kannst, der dem Philister auf histori-schem Wege die Notwendigkeit der Geldbildung und den dabei stattfindenden Pro-ze nachweist.

    Du hast den groen Fehler begangen, den Gedankengang dieser abstrakteren Ent-wicklungen nicht durch mehr kleine Unterabteilungen und Separatberschriften an-schaulich zu machen. Diesen Teil httest Du behandeln sollen in der Art, wie die Hegelsche Enzyklopdie, mit kurzen Paragraphen, jeden dialektischen bergang durch besondre berschrift hervorgehoben und womglich alle Exkurse und bloen Illustrationen mit besondrer Schrift gedruckt. Das Ding wrde etwas schulmeisterlich ausgesehen haben, das Verstndnis fr eine sehr groe Klasse Leser aber wesentlich erleichtert worden sein. Der populus, selbst der gelehrte, ist eben an diese Art zu denken gar nicht mehr gewhnt, und man mu ihnen da jede mgliche Erleichte-rung zukommen lassen.

    Im Vergleich mit der frheren Darstellung (Duncker) ist der Fortschritt in der Schrfe der dialektischen Entwicklung sehr bedeutend, in der Darstellung selbst gefllt mir manches in der ersten Gestalt besser. Es ist sehr schade, da grade der wichtige zweite Bogen unter dem Karbunkeldruck leidet. Daran ist aber nichts mehr zu n-dern, und wer kapabel ist, dialektisch zu denken, versteht es doch." (E. an M. v. 16.6.1867; MEW 31, S.303f)

    1867-06-22 Fr Dialektiker und Nicht-Dialektiker Auf E.s Kritik zur Wertform-Darstellung antwortet M. wenige Tage spter:

    "Was die Entwicklung der Wertform betrifft, so habe ich Deinen Rat befolgt und nicht befolgt, um mich auch in dieser Hinsicht dialektisch zu verhalten. D.h., ich ha-be 1. einen Anhang geschrieben, worin ich dieselbe Sache so einfach als mglich und so schulmeisterlich als mglich darstelle, und 2. nach Deinem Rat jeden Fort-schrittssatz in etc., mit eignen berschriften eingeteilt. In der Vorrede sage ich dann dem 'nichtdialektischen' Leser, da er Seite x-y berschlagen und statt dessen den Anhang lesen soll. Es handelt sich hier nicht nur um Philister, sondern um die wissenslustige Jugend usw. Auerdem ist die Sache zu entscheidend fr das ganze Buch. Die Herrn konomen haben bisher das hchst Einfache bersehn, da die

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  • Form: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, nur die unentwickelte Basis von 20 Ellen Lein-wand = 2 Pfd. St., da also die einfachste Warenform, worin ihr Wert noch nicht als Verhltnis zu allen ndern Waren, sondern nur als Unterschiednes von ihrer eignen Naturalform ausgedrckt ist, das ganze Geheimnis der Geldform und damit, in nuce (= im Keim), aller brgerlichen Formen des Arbeitsprodukts enthlt. Die Schwierig-keit der Entwicklung habe ich in der ersten Darstellung (Duncker) dadurch vermie-den, da ich die eigentliche Analyse des Wertausdrucks erst gebe, sobald er entwi-ckelt, als Geldausdruck, erscheint.

    ... Du wirst brigens aus dem Schlu meines Kapitels III, wo die Verwandlung des Handwerksmeisters in Kapitalist - infolge blo quantitativer nderungen - angedeu-tet wird, ersehn, da ich dort im Text Hegels Entdeckung ber das Gesetz des Um-schlags der blo quantitativen nderung in qualitative zitiere als gleich bewhrt in Geschichte und Naturwissenschaft." (M. an E. v. 22.6.1867; MEW 31, S.306)

    Auf die von E. angeregte erweiterte historische Darstellung geht M. nicht ein.

    1867-06-24 "die Sache ist sonnenklar" E. an M. ber die politische Sprengkraft, die er sich von dem Buch erwartet:

    "Die Kapitel ber die Verwandlung in Kapital und das Entstehen des Mehrwerts bil-den, was Darstellung und Inhalt angeht, soweit den Glanzpunkt. (...)

    Ich freue mich auf die Verlegenheit der Herren konomen, wenn sie an die beiden oben erwhnten Passus kommen. Die Entwicklung der Wertform ist allerdings das An-sich der ganzen brgerlichen Schmiere, die revolutionre Konsequenz tritt aber noch nicht so hervor, und die Leute knnen sich an diesen abstrakten Sachen leich-ter vorbeidrcken und Phrasen machen. Hier hrt's aber auf, die Sache ist so son-nenklar, da ich nicht sehe, was sie drauf sagen knnen." (MEW 31, S.308)

    1867-06-26 Wortmeldung eines Fabrikanten in Sachen Mehrwert... "ber die Entstehung des Mehrwerts noch folgendes: Der Fabrikant und mit ihm der Vulgrkonom werden Dir sofort einwerfen: Wenn der Kapitalist dem Arbeiter fr seine 12 Stunden Arbeitszeit nur den Preis fr 6 Stunden bezahlt, so kann daraus kein Mehrwert entstehn, indem dann jede Arbeitsstunde des Fabrikarbeiters nur = Arbeitsstunde zhlt, = dem, wofr sie bezahlt wird, nur fr diesen Wert in den Wert des Arbeitsprodukts eingeht. Worauf dann als Exempel die gewhnliche Kal-kulationsformel folgt: soviel fr Rohprodukte, soviel fr Verschlei, soviel fr Lohn (wirklich ausgegebnen pro wirkliches Stundenprodukt) usw. So greulich seicht dies Argument auch ist, so sehr es Tauschwert und Preis, Wert der Arbeit und Arbeits-lohn identifiziert, so absurd seine Voraussetzung, da 1 Arbeitsstunde nur fr Stunde in den Wert eintrete, wenn sie nur fr Stunde bezahlt wird, so wundre ich mich doch, da Du nicht schon darauf Rcksicht genommen, denn es wird Dir ganz sicher sofort vorgehalten und es wird besser im voraus erledigt. Vielleicht kommst Du auf den nchsten Bogen darauf zurck." (E. an M. v. 26.6.1867; MEW 31, S.310)

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  • 1867-06-27 ...und M.s Antwort zu den Bedenken eines Spieers "Was das von Dir erwhnte, unausbleibliche Bedenken des Spieers und Vulgr-konomen angeht (die natrlich vergessen, da, wenn sie die bezahlte Arbeit unter dem Namen Arbeitslohn, sie die unbezahlte unter dem Namen Profit etc. berech-nen), so kmmt es, wissenschaftlich ausgedrckt, auf die Frage hinaus:

    Wie verwandelt sich der Wert der Ware in ihren Produktionspreis, worin

    1. die ganze Arbeit als bezahlt erscheint unter der Form des Arbeitslohns;

    2. die Mehrarbeit aber, oder der Mehrwert, die Form eines Preisaufschlags annimmt unter dem Namen Zins, Profit etc., ber den Kostenpreis (= Preis des konstanten Kapitalteils + Arbeitslohn).

    Die Beantwortung dieser Frage setzt voraus:

    I. Da die Verwandlung von z.B. Tageswert der Arbeitskraft in Lohn oder Preis der Tagesarbeit dargestellt ist. Dies geschieht Kapitel V dieses Bandes.

    II. Da die Verwandlung des Mehrwerts in Profit, des Profits in Durchschnittsprofit usw. dargestellt ist. Dies unterstellt vorherige Darstellung des Zirkulationsprozesses des Kapitals, da der Umschlag des Kapitals usw. Rolle dabei spielt. Diese Sache kann daher erst im 3.Buch dargestellt werden (Band II enthlt 2. und 3.Buch). Hier wird sich zeigen, woher die Vorstellungsweise von Spieer und Vulgrkonom stammt, nmlich daher, da in ihrem Hirn sich immer nur die unmittelbare Erscheinungsform der Verhltnisse reflektiert, nicht deren innerer Zusammenhang. Wre letztres bri-gens der Fall, wozu wre dann berhaupt eine Wissenschaft ntig?

    Wollte ich nun alle derartigen Bedenken vorweg abschneiden, so wrde ich die gan-ze dialektische Entwicklungsmethode verderben. Umgekehrt. Diese Methode hat das Gute, da sie den Kerls bestndig Fallen stellt, die sie zur unzeitigen Manifesta-tion ihrer Eselei provozieren.

    brigens folgt unmittelbar auf den, Dir zuletzt in Hand befindlichen 3: 'Die Rate des Mehrwerts' der : 'Arbeitstag' (Kampf um die Lnge der Arbeitszeit), dessen Behandlung ad oculos (= anschaulich) demonstriert, wie sehr der Herr Bourgeois praktisch ber die Quelle und Substanz seines Profits im klaren ist. Auch zeigt sich dies in dem case Senior, wo der Bourgeois versichert, sein ganzer Profit und Zins rhre von der letzten unbezahlten Arbeitsstunde her18." (M. an E. v. 27.6.1867; MEW 31, S.312f)

    Warum allerdings das Eingehen auf Bedenklichkeiten des Lesers eine "dialektische Entwicklungs-methode" verderben sollten, bleibt M.s Geheimnis. Methode ist nichts, was man prsentiert, son-dern etwas, das man anwendet. Die mit der Methode zu Tage gebrachten Ergebnisse werden pr-

    18 Unter dem vieldeutigen Titel "Seniors 'Letzte Stunde' setzt M. sich im 1. Band des "Kapital" mit Thesen des kono-men Senior auseinander, der gegen die im 'Factory Act' geplante Arbeitszeitverkrzung mit dem Argument auftrat, damit wrden dem Fabrikanten alle Profite vernichtet, da diese allein aus der letzten Arbeitsstunde erzeugt wrden. Das ist ei-nerseits blhender Bldsinn, andererseits eine ungewollte Anerkennung der Tatsache, dass der Profit auf unbezahlter Ar-beit beruht.

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  • sentiert. Im vielen Gerede ber die Dialektik spiegelt sich M.s Stolz, weniger die Dialektik. Nach dem Ausbleiben der Begeisterung ist M. brigens sehr schnell bereit, den 1. Band des "Kapital" umzuarbeiten und dabei strker E.s Vorschlge zu beachten.

    1867-06-27 Gegliederte Wertform E.s Kritik hat M. wohl nicht ruhen lassen. Whrend er darber rsoniert, dass Meiner so langsam arbeite (ausgerechnet M. macht diesen Vorwurf), schickt M. die Gliederung seines Anhang, mit dem er in der 1. Ausgabe des 1. Bands die Entwicklung der Wertform aus dem eigentlichen Text herausnimmt und nach hinten stellt. Das ist die von M. bermittelte Gliederung:

    Anhang zu Kapitel I, l.

    Die Wertform.

    I. Einfache Wertform.

    l. Die beiden Pole des Wertausdrucks: Relative Wertform und quivalent'

    a. Unzertrennlichkeit der beiden Formen.

    b. Polaritt der beiden Formen.

    c. Relativer Wert und quivalent, beides nur Formen des Werts.

    2. Die relative Wertform,

    a. Gleichheitsverhltnis,

    b. Wertverhltnis.

    c. Qualitativer Gehalt der im Wertverhltnis enthaltnen relativen Wertform.

    d. Quantitative Bestimmtheit der im Wertverhltnis enthaltenen relativen Wert-form.

    e. Das Ganze der relativen Wertform.

    3. Die quivalentform.

    a. Die Form der unmittelbaren Austauschbarkeit.

    b. Quantitative Bestimmtheit nicht enthalten in der quivalentform.

    c. Die Eigentmlichkeiten der quivalentform.

    . Erste Eigentmlichkeit: Gebrauchswert wird zur Erscheinungsform seines Gegenteils, des Werts.

    . Zweite Eigentmlichkeit: Konkrete Arbeit wird zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher Arbeit.

    . Dritte Eigentmlichkeit: Privatarbeit wird zur Form ihres Gegenteils, zu Ar-beit in unmittelbar gesellschaftlicher Form,

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  • . Vierte Eigentmlichkeit: Der Fetischismus der Warenform frappanter in der quivalentform als in der relativen Wertform.

    4. Wertform oder selbstndige Erscheinungsform des Werts = Tauschwert.

    5. Die einfache Wertform der Ware = einfache Erscheinung der in ihr enthaltenen Gegenstze von Gebrauchswert und Wert.

    6. Einfache Wertform der Ware = einfache Warenform eines Dings.

    7. Verhltnis von Warenform und Geldform.

    8. Einfache relative Wertform und Einzelne quivalentform.

    9. bergang der einfachen in die entfaltete Wertform.

    II. Totale oder entfaltete Wertform.

    1. Endlosigkeit der Reihe der relativen Wertausdrcke.

    2. Fortbestimmung, enthalten in der entfalteten relativen Wertform.

    3. Mngel der entfalteten relativen Wertform.

    4. Entfaltete relative Wertform und besondre quivalentform.

    5. bergang zur allgemeinen Wertform.

    III. Allgemeine Wertform.

    1. Vernderte Gestalt der relativen Wertform.

    2. Vernderte Gestalt der quivalentform.

    3. Gleichmiges Entwicklungsverhltnis von relativer Wertform und quivalent-form.

    4. Entwicklung der Polaritt von relativer Wertform und quivalentform.

    5. bergang aus der allgemeinen Wertform zur Geldform.

    IV. Die Geldform.

    (Dies ber Geldform nur des Zusammenhangs wegen, - vielleicht kaum halbe Seite.)

    1. Verschiedenheit des bergangs der allgemeinen Wertform zur Geldform von den frheren Entwicklungsbergngen.

    2. Verwandlung von relativer Wertform in Preisform.

    3. Die einfache Warenform ist das Geheimnis der Geldform.

    Streu Sand druff!" (M. an E. v. 27.6.1867; MEW 31, S.314ff)

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  • Die Verweisung der Wertformentwicklung in den Anhang, die wir in der 1. Ausgabe finden, wird mit der 2. Ausgabe aufgegeben. Warum?

    1867-08-16 Schner Dank... aber nicht ganz korrekt "Dear Fred, eben den letzten Bogen (49.) des Buchs fertig korrigiert... Also dieser Band ist fertig. Blo Dir verdankie ich es, da dies mglich war! Ohne Deine Aufop-ferung fr mich konnte ich unmglich die ungeheuren Arbeiten zu den 3 Bnden machen. I embrace you, full of thanks." (M. an E. v. 16.8.1867; MEW 31, S.323)

    Wird von den Bearbeitern der MEW als ein bewegendes Dokument der Freundschaft gefeiert. Das kann man durchaus akzeptieren. Und dennoch ist M. auch hier nicht ehrlich und tuscht seinen Freund weiterhin ber den tatschlichen Stand der Arbeiten. (Immer unter der Annahme, Engels wisse wirklich nicht mehr, als er seine Briefe offenbaren.)

    1867-08-23 Engels lobt und ist "entschieden" entsetzt ber die Bleiwsten E. ist zufrieden und erwartet einen vollstndigen Sieg ber die Konkurrenz der "Herren kono-men". Er staunt sogar ber M.s technologische Kenntnisse. Er gesteht, in diesem Punkt einige Be-frchtungen gehabt zu haben, kndigt aber nur zum Kapitel ber Kooperation und Manufaktur ei-nige kritische Fragen an. Doch dann kommt der berechtigte Rffel:

    "Aber wie hast Du die uere Einteilung des Buchs so lassen knnen, wie sie ist! Das 4. Kapitel ist fast 200 Seiten lang und hat nur 4 durch dnngedruckte, kaum wiederzufindende berschriften bezeichnete Abschnitte. Dabei der Gedankengang fortwhrend durch Illustration unterbrochen und der zu illustrierende Punkt nie am Schlu der Illustration resmiert, so da man stets von der Illustration eines Punkts direkt in die Aufstellung eines andren Punkts hineinplumpst. Das ist scheulich er-mdend und bei nicht ganz scharfer Aufmerksamkeit auch verwirrend. Hier wren hufigere Unterabteilung und strkere Hervorhebung der Hauptabschnitte entschie-den am Platz gewesen und mssen fr die englische Bearbeitung entschieden ge-macht werden." (E. an M. v. 23.8.1867; MEW 31, S.324)

    Abgesehen vom Inhalt der Kritik dokumentiert Engels Brief auch seine tatschliche Unkenntnis des Manuskripts bis zu diesem Zeitpunkt, als es bereits um die Korrektur der Druckfahnen geht.

    1867-08-24 Das Beste und die Schwche des Manufaktur-Kapitels Im Brief v. 24.8.1867 geht M. auf die tatschlichen Schwchen des Kapitals ber Kooperation und Manufaktur in der ersten Ausgabe ein und fhrt sie auf "Carbuncles und tglichen Glubigertritt" zurck, verteidigt aber alle von ihm entdeckten Zusammenhnge und sieht sich durch die Daten in den Blue-Books besttigt:

    "Das Beste an meinem Buch ist 1. (darauf beruht alles Verstndnis der facts) der gleich im Ersten Kapitel hervorgehobne Doppelcharakter der Arbeit, je nachdem sie sich in Gebrauchswert oder Tauschwert ausdrckt; 2. die Behandlung des Mehr-werts unabhngig von seinen besondren Formen als Profit, Zins, Grundrente etc. Namentlich im zweiten Band wird sich dies zeigen. Die Behandlung der besondren

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  • Formen in der klassischen konomie, die sie bestndig mit der allgemeinen Form zusammenwirft, ist eine Olla Potrida19." (M. an E. v. 24.8.1867; MEW 31, 326)

    1867-08-24 Wo bleibt das fixe Kapital, whrend es sich verwertet? s. auch: 1862-08-20 Fixes Kapital und Akkumulationsfonds

    Eine schon 1862 von M. aufgeworfene Frage wird wieder aktuell, weil M. sich inzwischen tatsch-lich ans K2 macht. Es geht um das fixe Kapital, dass sich verwertet und kontinuierlich in Geldform zurckfliet. "Was passiert damit?" fragt M. in einem Brief v. 24.8.1867 an E. Da M. in der Zwi-schenzeit bei MacCulloch, einem verabscheuten Vulgren, die Theorie vom Akkumulationsfonds findet, hlt er sie praktisch fr erledigt, weil der "nie was richtiges denken kann" (MEW 31, S.327). M.s Forderung an E. brigens auch eine Illustration zur Frage nach der Stellung von Empirie in M.s Methode. er schreibt:

    "Du, als Fabrikant, mut nun wissen, was Ihr mit den returns fr capital fixe vor der Zeit, wo es in natura zu ersetzen ist, macht. Und Du mut mir diesen Punkt (ohne Theorie, rein praktisch) beantworten." (M. an E.; ebd. S.327)

    E. antwortet mit ersten Hinweisen und macht auf die beschleunigte Abschreibung aufmerksam. Je-der Fabrikant hat den Ersatzfonds bereits durch Abschreibung geschaffen, um auch gegen den mo-ralischen Verschlei und unvorhersehbare Umstnde gewappnet zu sein. Es ist brigens auffllig, dass E. tatschlich nicht ahnt, worauf M. hinauswill (vgl. E. an M. v. 26.8.1867; MEW 31, S.328).

    Nachdem E. auch andere Fabrikanten befragt hat, bersendet er M. am 27.8.1867 ein Abschrei-bungsschema (MEW 31, S.329; S.330ff). Obwohl es die Besonderheiten einer sich ausdehnenden Textilindustrie reflektiert, wird der fr M. wichtige Punkt sichtbar. Es werden stoweise Mittel frei, die der Fabrikant "auf Zinsen legt", wie E. schreibt, ohne M.s eigentliche Gedanken zu ahnen (MEW 31, S.329). Auerdem zeigt E., wie sich der Rckfluss des fixen Kapitals eben doch in Ak-kumulationsfonds verwandelt, ob ber das Kreditsystem als Fonds fr andere oder direkt fr den abschreibenden Fabrikanten.

    1867-08-24 Streben nach Anerkennung Man kann M.s Bestreben nach Anerkennung durch die Fachkonomen berhaupt nicht Leugnen. Als Meiner einen Auszug aus M.s Vorwort zu K1 an die deutsche Presse versendet, ordert M. ei-nige Kopien, um sie an die 'Bee-Hive', die Trade-Union-Zeitung zu senden, "den Mill, Beesley, Har-rison etc." halten, also namhafte Vertreter der akademischen Wissenschaft. Um deren Anerken-nung geht es M. in erster Linie.

    Wird auch deutlich in seiner versuchten Intrige, ber einen Artikel in einer fhrenden englischen Zeitschrift, nmlich "Fortnightley Review", Zugang zur Welt der englischen Intellektuellen zu erhal-ten. Aber die erhoffte Untersttzung dazu bleibt genauso aus wie die intellektuelle Resonanz auf K1 (vgl. MEW 31, S.370).

    1867-09 Werbung von verschiedenen Standpunkten Ab September 1867, nachdem K1 endlich fertig, beginnt die Werbung. Die Reaktionen sind ber-schaubar. Der Buchhndler verlangt vom Autor, aktiv zu werben. Der Autor tritt an E. ab und schreibt:

    19 Olla potrida bezeichnet hier ein undefiniertes Durcheinander oder kaum durchschaubaren Mischmasch. Ursprnglich ist es der Name fr ein Eintopfgericht spanischer Herkunft, das in Europa ab dem 16. Jahrhundert zwar Karriere machte, aber den meisten eben doch recht spanisch vorkam, weshalb er sich in verschiedene regional adaptierte Eintpfe spalte-te. Besonderer Vorteil des Gerichts: Es konnte lange vor sich hin kcheln, whrend man in die Kirche ging oder sonst was trieb.

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  • "Dein Plan, das Buch vom brgerlichen Standpunkt zu attackieren, ist das beste Kriegsmittel." (M. an E. v.12.9.1867; MEW 31, S.346)

    E. geht ans Werk und meldet Vollzug:

    "Lieber Mohr, Ich habe dem K[ugelmann] zwei Artikel von verschiednen Standpunk-ten ber das Buch geschrieben und zugeschickt; ich denke, sie sind so, da fast jede Zeitung sie nehmen kann, und danach kann er dann andre machen. Das wird ihm schon etwas helfen." (E. an M. v. 13.10.1867; MEW 31, S.362)

    "Die Hauptsache ist nicht, was und wie, sondern da das Buch besprochen und die Fauchers, Michaelis, Roschers und Raus gezwungen werden, sich darber zu u-ern." (E. an Kugelmann v. 12.10.1867; MEW 31, S.563)

    Aber ein Problem tut sich fr E. auf: "Ich kann noch 4-5 Artikel ber Dein Buch von verschiednen Standpunkten schreiben, wei aber nicht, wohin damit." (E. an M. v. 18.10.1867; MEW 31, S.367)

    Darauf M.: "Schicke Deine Rezepte fr die deutschen Zeitungen her. Ich lasse sie kopieren und finde die passenden placements." (M. an E. v. 19.10.1867; MEW 31, S.370).

    1867-11-02 Unruhe und Geduld Anfnge von Karbunkeln und Schlaflosigkeit plagen M. erneut. ber die Ursachen kein Zweifel:

    "Das Stillschweigen ber mein Buch macht mich fidgety (= unruhig). Ich hre und sehe nichts. ... Indes mu man's machen wie die Russen warten. Die Geduld ist der Kern der russischen Diplomatie und Erfolge. Aber unsereiner, der nur einmal lebt, kann darber verrecken." (M. an E. v. 2.11.1867; MEW 31, S.374)

    Wegen M.s Niedergeschlagenheit steigert E. im Novermber 1867 noch einmal die Anstrengungen, Rezensionen in die deutschen Bltter zu bekommen. Niederschmetternd vor allem, dass es nicht einmal zu Verrissen, zu "Denunziationen" des Buchs gekommen sei (vgl. MEW 31, S.377f; S.381; S.385; S.388). E. war sogar bereit, solche Denunziationen, selbst verfat, ber Dritte zu platzieren (vgl. MEW 31, S.569).

    1867-11-08"...geniert wie eine Jungfer..." "Die deutsche Presse ist noch immer stumm ber das 'Kapital', und es ist doch von der hchsten Wichtigkeit, da was geschieht. Den einen der Ihnen gesandten Arti-kel habe ich in der 'Zukunft' gefunden; es tut mir leid, nicht gewut zu haben, da er eventuell fr dies Blatt bestimmt war, dort htte man wohl frecher auftreten knnen. Indes daran liegt nichts. Die Hauptsache ist, da das Buch berhaupt wie-der und immer wieder besprochen wird. Und da M[arx] sich in der Sache nicht frei bewegen kann und sich auch geniert wie eine Jungfer, so mssen wir andern es eben tun. Sein Sie also so freundlich und lassen Sie mich wissen, welchen Erfolg Sie in dieser Sache bisher gefunden haben und welche Bltter Sie glauben noch benut-zen zu knnen. Wir mssen hier, um mit unserm alten Freunde Jesus Christus zu sprechen, unschuldig tun wie die Tauben und klug sein wie die Schlangen. Die bra-

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  • ven Vulgrkonomen haben immer soviel Verstand, da sie sich vor diesem Buch in acht nehmen und beileibe nicht davon sprechen, wenn sie nicht mssen. Und dazu mssen wir sie zwingen. Wenn das Buch gleichzeitig in 15-20 Zeitungen besprochen wird - gleichgltig, ob gnstig oder ungnstig, ob in Artikeln, Korrespondenzen oder hinter dem Strich in Eingesandtes - blo als eine bedeutende Erscheinung, die Beachtung verdient, so heult nachher die ganze Bande von selbst nach, und die Fauchers, Michaelis, Roschers und Max Wirths werden dann eben mssen. Es ist unsre verdammte Schuldigkeit, diese Artikel, und zwar mglichst gleichzeitig, in die Bltter zu bringen, namentlich in die europischen und auch in die reaktionren. In letzteren knnte man darauf aufmerksam machen, da die Herren Vulgren in Par-lamenten und volkswirtschaftlichen Versammlungen das Maul sehr voll nehmen, hier aber, wo die Konsequenzen ihrer eignen Wissenschaft herausgekehrt werden, geflligst das Maul halten. Und so weiter. Halten Sie meine Beihlfe fr wn-schenswert, so lassen Sie mich wissen, fr welches Blatt Sie etwas wnschen - ich bin wie immer im Dienst der Partei bei der Hand. In dem Brief an L[iebknecht] han-delt es sich um dieselbe Geschichte, und Sie werden mich durch sichre Befrderung daher ganz ungemein verbinden." (E. an Kugelmann v. 8.11.1867; MEW 31, S.567f)

    1867-11-30 Es geht nicht ohne Wert Als He eine Besprechung schreiben will, schreibt M. dazu in einem Brief an V. Schily:

    "Auch scheint mir das von ihm ins Auge gefate Thema ber die englische Fabrik-gesetzgebung das passendste zur Einfhrung. Jedoch kann selbst das nicht geschehn, ohne ein paar einleitende Worte ber die Werttheorie, da Proudhon hie-rber die Kpfe ganz verwirrt hat. Sie glauben, eine Ware werde zu ihrem Wert ver-kauft, wenn sie zu ihrem prix de revient = Preis der Produktionsmittel, die in ihr ver-zehrt sind, + Arbeitslohn (resp. Preis der den Produktionsmitteln zugefgten Arbeit) verkauft werde. Sie sehn nicht, da die unbezahlte Arbeit, die in der Ware steckt, ein ebenso wesentliches wertbildendes Element ist, wie die bezahlte, und da dies Wertelement jetzt die Form des Profits etc. annimmt. Sie wissen berhaupt nicht, was Arbeitslohn ist. Ohne Einsicht in die Natur des Werts haben die Entwicklungen ber Arbeitstag etc., kurz die Fabrikgesetze, keine Basis. Ein paar Worte hierber mten also einleitend gesagt werden." (M. An V. Schily v. 30.11.1867; MEW 31, S.573)

    1867-12-24 "...wohl selten ein Buch..." Jenny Marx lsst in einem Brief an Kugelmann vom Weihnachten 1867 durchblicken, welche Belas-tung "Das Kapital" nicht nur fr M., sondern gerade auch fr seine Familie gewesen ist:

    "Sie knnen mir glauben, lieber Herr Kugelmann, da wohl selten ein Buch unter schwierigeren Umstnden geschrieben worden ist, und ich knnte wohl eine ge-heime Geschichte dazu schreiben, die viel, unendlich viel stille Sorgen und Angst und Qualen aufdecken wrde. Wenn die Arbeiter eine Ahnung von der Aufopfe-rung htten, die ntig war, dies Werk, das nur fr sie und in ihrem Interesse ge-schrieben ist, zu vollenden, so wrden sie vielleicht etwas mehr Interesse zeigen. Die

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  • Lassallianer scheinen sich am schnellsten des Buchs akkapariert (= bemchtigt) zu haben, um es gehrig zu verballhornen. Schadet aber nichts." (Jenny Marx an L. Kugelmann v. 24.12.1867; MEW 31, S.596)

    1868-01-08 Kampagne geht weiter. Dhring hat eine der wenigen Besprechungen von K1 auerhalb der Parteiblttchen besorgt (was er noch bereuen wird). M. kommentiert die Besprechung und betont dabei aus seiner Sicht die wichtigen Punkte, die Dhring bersehen hat:

    "Ich glaube, da Dhring mit aus Malice gegen Roscher das Buch berhaupt be-sprochen hat. Seine Angst, auch verroschert zu werden, ist allerdings sehr riechbar. Sonderbar ist's, da der Kerl die drei grundneuen Elemente des Buchs nicht heraus-fhlt, 1. da im Gegensatz zu aller frheren konomie, die von vornherein die besondren Fragmente des Mehrwerts mit ihren fixen Formen von Rente, Profit, Zins als gegeben behandelt, von mir zunchst die allgemeine Form des Mehrwerts, worin all das sich noch ungeschieden, sozusagen in Lsung befindet, behandelt wird;

    Mag sein, aber M. selbst bleibt eigentlich die Begrndung schuldig, warum erst die Untersuchung der Mehrwertproduktion zulssig und dann auch noch analytisch ergiebiger ist als eine Untersu-chung der konkreten Erscheinungsformen. Das ist eben mit Hinweis auf die Dialektik nicht erledigt. Auch E. hatte in diesem Punkt seine Bedenken (vgl. seinen Brief v. 26.4.1868; MEW 32, S.68)

    s. auch: 1868-04-26 Wieso Profit vor Zins und Rente?

    2. da den konomen ohne Ausnahme das Einfache entging, da, wenn die Ware das Doppelte von Gebrauchswert und Tauschwert, auch die in der Ware dargestellte Arbeit Doppelcharakter besitzen mu, whrend die bloe Analyse auf Arbeit sans phrase (= schlechthin) wie bei Smith, Ricardo etc. berall auf Unerklrliches stoen mu. Es ist dies in der Tat das ganze Geheimnis der kritischen Auffassung;

    3. da zum erstenmal der Arbeitslohn als irrationelle Erscheinungsform eines dahin-ter versteckten Verhltnisses dargestellt und dies genau an den beiden Formen des Arbeitslohns: Zeitlohn und Stcklohn dargestellt wird. (Da in der hheren Mathe-matik sich fter solche Formeln finden, war mir behlflich.)

    Der Hinweis auf die hhere Mathematik ist vielleicht nur pure Angeberei. M. hat sich ein wenig mit Differentialrechnung beschftigt (statt am Kapital zu arbeiten), aber warum sollte ihn das zur Lohn-theorie angeregt haben?

    Was die von Herrn Dhring gemachten bescheidenen Einwendungen gegen die Wertbestimmung betrifft, so wird er sich in Band II20 wundern, wie wenig die Wert-bestimmung 'unmittelbar' in der brgerlichen Gesellschaft gilt. In der Tat, keine Ge-sellschaftsform kann verhindern, da one way or another (= auf die eine oder ande-re Weise) die disponible Arbeitszeit der Gesellschaft die Produktion regelt. Aber, so-lange sich diese Reglung nicht durch direkte bewute Kontrolle der Gesellschaft ber ihre Arbeitszeit - was nur mglich bei Gemeineigentum - vollzieht, sondern durch die Bewegung der Preise der Waren, bleibt es bei dem, was Du bereits in den

    20 Damit ist wohl der heutige Band 3 gemeint.

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  • Deutsch-Franzsischen Jahrbchern" ganz zutreffend gesagt hast." (M. an E. v, 8.1.1868; MEW 32, S.12)

    Das ist wichtig: Die Wertbestimmung spielt berhaupt keine praktische Rolle im Leben der Akteure. Die Regulation erfolgt ber den Preis, das Streben nach Profit und die g