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Chemieparks Alternative Rohstoffversorgung Infraleuna im mitteldeutschen Chemiedreieck möchte chemische Produkte, die auf lokaler Biotechnik und lokaler Braunkohle basieren, in die existierenden Wertschöpfungsketten einschleusen. Daraus soll eine Produktion entstehen, die unabhängiger von Erdöl und Erdgas über die Zeit des globalen Ölförder- maximums hinausreicht. Die mitteldeutsche Chemie- industrie ist von Rohstoff- und Energieimporten abhängig: In Schkopau werden aus Crackerpro- dukten Polymere, Piesteritz braucht Erdgas zur Harnstoff- und Salpeter- säureproduktion und Leuna raf- finiert von fern angeliefertes Erdöl. Die chemische Industrie benö- tigt Alternativen zu Öl und Gas. Braunkohle ist die einzig großvolu- mig regional verfügbare fossile Kohlenstoffquelle. Dass sie in den nächsten Jahrzehnten verfügbar ist, bezweifelt niemand. Der Standort- betreiber Infraleuna setzt zudem auf nachwachsende Rohstoffe und Biotechnik. Biotechnik im großen Maßstab In den letzten Jahren stiegen die Preise für Erdöl und -gas, die für nachwachsende Rohstoffe blieben im Vergleich etwa stabil. „An die- sem klassischen Chemiestandort sind unsere produzierenden Unter- nehmen bisher weitgehend von fos- silen Rohstoffen abhängig“, sagt Andreas Hiltermann, Geschäftsfüh- rer des Standortbetreibers Infraleu- na. „Mit regenerativen Rohstoffen können wir sowohl diese Abhängig- keit als auch CO 2 -Emmissionen re- duzieren.“ Unternehmen im mitteldeut- schen Chemiedreieck wollen die Biomasse mehrfach nutzen. Neben Chemikalien sollen Düngemittel und Energierohstoffe entstehen. Die dabei erzeugte Energie nützt wiederum der Produktion. Die nachwachsenden Rohstoffe dafür lassen sich in Kaskaden mehrfach verwenden (Abbildung 1): Zunächst nutzt die chemische Industrie die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelindustrie ste- hende Biomasse. Hier entstehen Öle, Fette, Cellulose, stärke- oder zuckerhaltige Rohstoffe. Was übrig bleibt, dient der Energieerzeugung. Die entstehenden Reststoffe lassen sich dann beispielsweise als Dünger in die Natur zurückführen. Martin Naundorf, der Leiter der Standortentwicklung Infraleuna ist überzeugt, „nur so eine Kosten- äquivalenz zu den derzeitigen klas- sischen Rohstoffen erreichen zu können“. Dafür muss die Biomasse in ausreichender Menge und Quali- tät, vorbehandelt und zur richtigen Zeit verfügbar sein. Es gibt am Standort Leuna be- reits Unternehmen, die sich mit biobasierten Produkten auseinan- dersetzen, wie Linde Gas, Leuna- Tenside und Actilor, ein Unterneh- men, das Sicherheitsdruckfarben und -pigmente produziert. Eine besonders wichtige Auf- gabe sieht Naundorf in der Prozess- skalierung, also darin, Technikums- ergebnisse in einen Maßstab zu überführen, der Daten für den Be- trieb einer großtechnischen Anlage liefert. Hier ist die Fraunhofer-Ge- sellschaft als Partner auf den Plan getreten und baut ein chemisch- biotechnisches Prozesszentrum (CBP) am Chemiestandort Leuna. „Das CBP schließt die Lücke zwi- schen Labor und industrieller Um- setzung“, bestätigt Marion Schick, Vorstandsmitglied der Fraunhofer- Gesellschaft. Wissenschaftler der Fraunhofer- Institute für Grenzflächen und Bio- verfahrenstechnik IGB sowie für Chemische Technologie ICT planen das CBP gemeinsam mit Infraleuna. In dieses Projekt investieren die Fraunhofer-Gesellschaft, das Land Sachsen-Anhalt und Bundesminis- terien über Projektmittel insgesamt etwa 50 Mio. Euro. Der erste Spa- tenstich für das Zentrum soll noch dieses Jahr erfolgen und die For- schung und Entwicklung dann En- de des Jahres 2011 beginnen. Braunkohle statt Erdöl Nur mit Biomasse lässt sich keine Zwölf-Millionen-Tonnen-Raffinerie ersetzen. „Das werden wir auch si- cherlich mit der Braunkohle nicht Bio- masse Nahrung & Futtermittel Chemie Energie Dünger Abb. 1. Eine kaskadenartige und mehrfache Nutzung von Biomasse maximiert die Wertschöpfung. (Quellen: JSW Consulting, VCI) Nachrichten aus der Chemie | 58 | Februar 2010 | www.gdch.de/nachrichten 146

Alternative Rohstoffversorgung

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�Chemieparks�

Alternative Rohstoffversorgung

Infraleuna im mitteldeutschen Chemiedreieck möchte chemische Produkte, die auf lokaler Biotechnik

und lokaler Braunkohle basieren, in die existierenden Wertschöpfungsketten einschleusen. Daraus soll

eine Produktion entstehen, die unabhängiger von Erdöl und Erdgas über die Zeit des globalen Ölförder-

maximums hinausreicht.

� Die mitteldeutsche Chemie-industrie ist von Rohstoff- und Energieimporten abhängig: In Schkopau werden aus Crackerpro-dukten Polymere, Piesteritz braucht Erdgas zur Harnstoff- und Salpeter-säureproduktion und Leuna raf-finiert von fern angeliefertes Erdöl.

Die chemische Industrie benö-tigt Alternativen zu Öl und Gas. Braunkohle ist die einzig großvolu-mig regional verfügbare fossile Kohlenstoffquelle. Dass sie in den nächsten Jahrzehnten verfügbar ist, bezweifelt niemand. Der Standort-betreiber Infraleuna setzt zudem auf nachwachsende Rohstoffe und Biotechnik.

Biotechnik im großen Maßstab

� In den letzten Jahren stiegen die Preise für Erdöl und -gas, die für nachwachsende Rohstoffe blieben im Vergleich etwa stabil. „An die-sem klassischen Chemiestandort

sind unsere produzierenden Unter-nehmen bisher weitgehend von fos-silen Rohstoffen abhängig“, sagt Andreas Hiltermann, Geschäftsfüh-rer des Standortbetreibers Infraleu-na. „Mit regenerativen Rohstoffen können wir sowohl diese Abhängig-keit als auch CO2-Emmissionen re-duzieren.“

Unternehmen im mitteldeut-schen Chemiedreieck wollen die Biomasse mehrfach nutzen. Neben Chemikalien sollen Düngemittel und Energierohstoffe entstehen. Die dabei erzeugte Energie nützt wiederum der Produktion. Die nachwachsenden Rohstoffe dafür lassen sich in Kaskaden mehrfach verwenden (Abbildung 1):

Zunächst nutzt die chemische Industrie die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelindustrie ste-hende Biomasse. Hier entstehen Öle, Fette, Cellulose, stärke- oder zuckerhaltige Rohstoffe. Was übrig bleibt, dient der Energieerzeugung. Die entstehenden Reststoffe lassen sich dann beispielsweise als Dünger in die Natur zurückführen.

Martin Naundorf, der Leiter der Standortentwicklung Infraleuna ist überzeugt, „nur so eine Kosten -äquivalenz zu den derzeitigen klas-sischen Rohstoffen erreichen zu können“. Dafür muss die Biomasse in ausreichender Menge und Quali-tät, vorbehandelt und zur richtigen Zeit verfügbar sein.

Es gibt am Standort Leuna be-reits Unternehmen, die sich mit biobasierten Produkten auseinan-

dersetzen, wie Linde Gas, Leuna-Tenside und Actilor, ein Unterneh-men, das Sicherheitsdruckfarben und -pigmente produziert.

Eine besonders wichtige Auf-gabe sieht Naundorf in der Prozess-skalierung, also darin, Technikums-ergebnisse in einen Maßstab zu überführen, der Daten für den Be-trieb einer großtechnischen Anlage liefert. Hier ist die Fraunhofer-Ge-sellschaft als Partner auf den Plan getreten und baut ein chemisch-biotechnisches Prozesszentrum (CBP) am Chemiestandort Leuna. „Das CBP schließt die Lücke zwi-schen Labor und industrieller Um-setzung“, bestätigt Marion Schick, Vorstandsmitglied der Fraunhofer-Gesellschaft.

Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute für Grenzflächen und Bio-verfahrenstechnik IGB sowie für Chemische Technologie ICT planen das CBP gemeinsam mit Infraleuna. In dieses Projekt investieren die Fraunhofer-Gesellschaft, das Land Sachsen-Anhalt und Bundesminis-terien über Projektmittel insgesamt etwa 50 Mio. Euro. Der erste Spa-tenstich für das Zentrum soll noch dieses Jahr erfolgen und die For-schung und Entwicklung dann En-de des Jahres 2011 beginnen.

Braunkohle statt Erdöl

� Nur mit Biomasse lässt sich keine Zwölf-Millionen-Tonnen-Raffinerie ersetzen. „Das werden wir auch si-cherlich mit der Braunkohle nicht

Bio-masse

Nahrung &Futtermittel

Chemie Energie Dünger

Abb. 1. Eine kaskadenartige und mehrfache Nutzung von Biomasse

maximiert die Wertschöpfung. (Quellen: JSW Consulting, VCI)

Nachrichten aus der Chemie | 58 | Februar 2010 | www.gdch.de/nachrichten

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schaffen“, sagt Naundorf. „Aber wir haben die Braunkohle hier vor der Tür.“ In Mitteldeutschland – vom Rheinischen bis zum Lausitzer Re-vier – sind etwa 10 Mrd. t Braun-kohle geologisch verfügbar. Zurzeit werden etwa 19 Mio. t pro Jahr ab-gebaut. Bauen die bisher erschlosse-nen und genehmigten Tagebaue für Chemieprojekte zusätzlich etwa 3 Mio. t pro Jahr ab, reicht die Braunkohle noch etwa 28 Jahre. Be-zieht man noch nicht erschlossene, aber wirtschaftlich abbaubare Lager-stätten ein, reicht die Braunkohle wohl noch 100 Jahre.

Unter umwelttechnischen Ge-sichtspunkten und unter dem Ge-sichtspunkt der Wertschöpfung will Infraleuna die Braunkohle nicht nur im Kraftwerk verbrennen, um Strom oder Dampf zu erzeugen, sondern primär kaskadenartig nut-zen (Abbildung 2). Beispielsweise sind einzelne Bestandteile der Braunkohle extrahierbar und da-raus Wachse zu gewinnen. Über ei-ne katalytische Spaltung lassen sich zudem Aromaten aus der Kohle ab-trennen.

Anschließend werden die übri-gen Kohlebestandteile zu tech-nischen Gasen und Methanol ge-wandelt. An letzter Stelle in der Kaskade steht dann die Verbren-nung, die Strom und Wärme er-

zeugt. Nach all den Vorbehand-lungsschritten wäre das allerdings ineffizient. „Wir wollen schon aus Gründen der Wertschöpfung Che-mieprodukte erzeugen“, sagt Naun-dorf. „Sie erreichen, wenn die Braunkohleprozessschritte an ei-nem Chemiestandort wärmetech-nisch und energetisch integriert sind, eine höhere lokale Wertschöp-fung als mit Erdöl und Erdgas.“

Analog zur Verbrennung fällt auch bei der Umsetzung zu Che-mikalien CO2 an. Aber bezogen auf die Produkteinheit, auf den Um-satz, fällt weniger CO2 an. Zudem ist das entstehende CO2 sehr rein. Es lässt sich deswegen ohne Wasch-prozesse lagern oder aufarbeiten.

Mit dem Projekt „Innovative Braunkohleintegration“ beschäfti-gen sich regional einige For-schungsinstitutionen und Unter-nehmen. Die Kompetenz dazu, ein umfangreiches Kohle-Know-how, haben Menschen, die sich seit 30 oder 40 Jahren in der Region mit der Braunkohle befassen. Für Naundorf ist deshalb entscheidend, „dass man schnell handelt, um das existierende Know-how nicht zu verlieren“.

Maren Bulmahn, Ernst Guggolz

Vergasung

CTLCoal to liquid

Flüssigprodukte

CTCCoal to chemicals

Chemikalien

CTGCoal to gases

Technische Gase

SNGSynthetic natural gasSynthetisches Erdgas

IGCCKraftwerksnutzung

• Diesel• Naphta• Olefine

• Methanol• Olefine• Ammoniak• Essigsäure

• Wasserstoff• Kohlenmonoxid

• Einspeisung in überregionale Netze, Energie- erzeugung

• Strom• Dampf

Extraktion

bspw. Wachse

MitteldeutscheBraunkohle

StromVerbrennung(Kraftwerk)

Dampf

Abb. 2. Braunkohle ist vielseitig nutzbar: Neben die herkömmliche Verbrennung tritt die kaskadenartige Nutzung mit

Extraktion, Vergasung und weiteren Reaktionen. IGCC = Integrated Combined Cycle power plant (Grafik: Infraleuna)

� Infraleuna

Seit dem Jahr 1990 entscheiden

sich Unternehmen wie Total,

Hexion und Linde für den Stand-

ort Leuna in der Region Leipzig-

Halle und haben bis jetzt

5,5 Mrd. Euro investiert. Seit

Ende des Jahres 1995 ist mit

Infraleuna die Infrastruktur dort

privatisiert. Mit einer Fläche von

13 Quadratkilometern ist Leuna

der größte Chemiestandort der

Bundesrepublik. Straßen mit

insgesamt 25 Kilometern Länge,

75 Kilometer interne Gleisanla-

gen und 600 Kilometer verlegte

Rohrleitungen verbinden die

mehr als 100 Unternehmen.

Kurz notiert

BASF schließt Feluy

� BASF stoppte die Maleinsäure-anhydridproduktion (MSA) im bel-gischen Feluy Ende letzten Jahres wegen Überkapazitäten und schließt den Standort. Die Anlage hatte eine Kapazität von 115 000 ja-to und beschäftigte etwa 130 Mit-arbeiter. Aus MSA entstehen unge-sättigte Polyesterharze für den Schiffsbau, die Bau- und Auto-mobilindustrie.

Wo die Technik wächst

� Das Wachstumspotenzial der deutschen Chemieindustrie liegt in Bio-, Nano-, Umwelttechnik und in Polytronik. So lautet das Fazit von A. T. Kearney in der Studie „Nach-haltige Restrukturierung des Wirt-schaftsstandortes Deutschland – Chemie“. Knapper werdende Res-sourcen und zunehmende Umwelt-probleme bereiten demnach Um-welttechniken den Weg. Zudem seien Innovationen notwendig, um sich von den Niedrigpreisanbietern aus den Schwellenländern abzuset-zen.

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Chemiewirtschaft �Blickpunkt� 147