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Herausgegeben von Oktober/November 2011 Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro P.b.b., Verlagspostamt 1040 02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558 Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB 10/11 DIE TELEKOM-SKANDALE FREIHEIT STATT VOLKSBELEHRUNG • AKTUELL: WACHSENDE UNGLEICHHEIT

Alternative Oktober - November

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Monatszeitschrift der Unabhängigen Gewerkschafter_innen im ÖGB

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Page 1: Alternative Oktober - November

Herausgegeben von

Oktober/November 2011

Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro

P.b.b., Verlagspostamt 1040

02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558

UnabhängigeGewerkschafterInnenim ÖGB

10/11

DIE TELEKOM-SKANDALE

FREIHEIT STATT VOLKSBELEHRUNG •AKTUELL: WACHSENDE UNGLEICHHEIT

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Vom 4. bis 5. November 2011 beherbergt der ÖGB wieder zahlreicheVerlage und Gewerkschaftsorganisationen sowie soziale Initiativen.Zum zweiten Mal finden hier die „Kritischen Literaturtage“ (KriLit’11)statt. BücherliebhaberInnen können nach Herzenslust schmökern, mitAutorInnen debattieren oder an einem der zahlreichen Infotische Dis-kussionen führen. Mittlerweile sind bereits über fünfzig Organisationen

und Verlage mit alternativen, gesellschafts- und sozialkritischen Büchern angemeldet. Auch das kulturelle Angebot kommt nichtzu kurz: Es reicht von Buchpräsentationen und Lesungen mit El Awadalla, Gerhard Ruiss, Susanne Scholl oder Richard Weihs biszum Konzert von Mieze Medusa. Nähere Informationen gibt es unter www.krilit.at. Die UG wird mit VertreterInnen ihrer Säulenzwei Tage lang von 10 bis 18 Uhr mit einem Infostand vertreten sein. Wir freuen uns auf euren Besuch.Freitag, 4., und Samstag, 5. November 2011, ÖGB, Johann Böhm Platz 1, 1020 Wien, (U2 Donaumarina).

Konventionen sprengen –von Alternativen lernen

Die Rufe nach dem Wandel unserer Wirt-schaftsweise werden immerlauter. Zu Recht. Denn selbstdem engagiertesten Unterneh-men gelingt es im derzeitigenSystem nicht, aus Profit- undWachstumszwängen auszubre-chen. Wie es anders gehenkann, zeigen Initiativen, dieaußerhalb der üblichen Struktu-ren angesiedelt sind. Sie funk-tionieren oft ohne nennenswer-ten finanziellen Einsatz undhaben andere Rechts- und Ent-scheidungsstrukturen als herkömmlicheUnternehmen. Von ihnen können wir vieldarüber lernen, wie echte Alternativengestrickt sein müssen. Wo sind diese Initia-tiven zu finden? Im Ressourcenpool der

Alternativenforen! Reinschauen, Anregun-gen finden, Beispiele eintragen. www.alter-nativenforen.at/ressourcenpool, eine Initia-tive von „Wege aus der Krise“.

Kontakt: Sabine Gruber, Wege aus der Krise– Alternativenforen c/o Global 2000, Neu-stiftgasse 36, 1070 Wien, (01) 812 57 30-91, (0699) 19 20 95 28, [email protected], www.alternativenforen.at.

Supergau der Rücksicht

Der Atommeiler ÖGB arbeitet seit Jahren undliefert kontinuierlich Verbesserungen für dieBeschäftigten in unserem Lande. Ganz Kollek-tiv und ganz nach dem Gießkannenprinzip.Die Effizienz der Ergebnisse und die Verhält-nismäßigkeit von Lautstärke des Gesagtenund der tatsächlichen Verbesserung lassenzu wünschen übrig. Die Gewerkschaftslob-byistInnen stellen es für uns als Erfolg dar,immer aus dem jeweiligen Blickwinkel derpolitischen Fraktion. Sicher ist es ein Erfolg,eine Erhöhung jeglicher Art zu erhalten. Oftsind einzelne Zuckerln mit bitterer Füllungdabei. Einmal wird auf die gute Konjunktur-lage Rücksicht genommen, um den Unter-nehmen die Chance zu geben, Rücklagen zubilden – für die jetzige Situation der „Wirt-schaftskrise“, das andere Mal wird Rücksichtgenommen auf das schwache Wirtschafts-wachstum. Wir bewegen uns auf den Super-gau der Rücksicht zu. Wer nur Rücksicht übt,verliert den Blick fürs Wesentliche. Wir erhal-ten keine tatsächlichen Verbesserungen, wirerhalten Almosen. Die politisch abhängigenÖGB-Fraktionen verkaufen uns Lohnerhöhun-gen um weniger als ein Prozent als Riesener-folg. Um den Supergau der Rücksicht abzu-wenden, bedarf es mehr Unabhängigkeit. Aufjeden Fall unabhängig von Fraktionspolitik.Es liegt die Zukunft in der Arbeit der Unab-hängigen GewerkschafterInnen, uns jenenÖGB zu gestalten, der seinen Aufgaben treubleibt. Nämlich Arbeiterinnen und Arbeiter,Angestellte, Beamte, Bedienstete und alleunselbstständig Erwerbstätigen zu vertretenund deren Interessen gegenüber den neuen,den modernen Ausbeutern zu wahren.Karl Mladek

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daten & taten

Otto Tausig verstorben

Betroffen hörten wir, dass der große Humanist undVolksschauspieler Otto Tausig 89-jährig gestorbenist. Er war einer der grossen Anständigen. Man hatihm, dem grossen Charakterschauspieler, in seinerHeimatstadt Wien wiederholt übel mitgespielt.

Er musste 1939 in die Emigration und wurde über-zeugter Marxist. Nach erfolgreicher Absolvierung desMax-Reinhardt-Seminars nach dem Krieg wurdenseine Versuche, eine linke, nicht-repräsentative,gleichwohl kulinarische Theaterkunst zu etablieren,entsorgt und erledigt.

Sein Leben gehörte in den letzten Jahren denUnterdrückten: Tausig erzählte dann von indischenKindern, die Teppiche knüpften und deren Fingerüber der skandalösen Fron zuschanden gingen. Erhinterlässt eine Lücke.

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Magazin

Telekom Austria: Ein einziger Skandal . . . . . . . . . . Seite 4Soziale Arbeit: Von Kosten und Nutzen . . . . . . . . . Seite 7Schweiz: Freiheit statt Volksbelehrung . . . . . . . . . . Seite 8Private Pension: Zweite und dritte Säule . . . . . . . . . Seite 10Einkommen: Wachsende Ungleichheit . . . . . . . . . . Seite 123. bis 10. November: Bildungsvolksbegehren . . . . . . Seite 14

Gewerkschaft & Betrieb

UG & Landesverteidigung: Es gibt sie doch . . . . . . . Seite 18GdG-KMSfB: KIV am Gewerkschaftstag . . . . . . . . . Seite 20Verkehrte Welt: Bildung in der Pflege . . . . . . . . . . Seite 23AKH: Keine neue Ausschreibung der Reinigung . . . . . Seite 24Gesundheitswesen: Ausgebrannt bis abgebrannt . . . . Seite 25Lohnverhandlungsrunde 2011 . . . . . . . . . . . . . . Seite 26

International

Ungarn: Autoritärer Kapitalismus . . . . . . . . . . . . Seite 29

. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 16

IM OK TOBER/NOVEMBER

DIE ARROGANZ DES CHEFREDAKTEURS

Anfang September wurde im ORF wieder einClub 2 gegeben, diesmal unter dem Titel„Klassenkampf: Wer bezahlt für die Krise?“.Einer der Teilnehmer war Michael Fleischha-cker, Chefredakteur der Tageszeitung „DiePresse“, der Zeitung mit dem angeblich gro-ßen Horizont. Unter vielen anderen löste eineWortmeldung Fleischhackers ganz besonderesKopfschütteln aus. Er argumentierte, dasseine Vermögenssteuer nur dann eingehobenwerden könne, wenn man den Vermögensbe-sitzern zuvor mitteile, wofür der Staat die ein-gehobenen Gelder der Vermögenssteuer zuverwenden gedenke. Wenn die Antwort desStaates befriedigend ausfällt, so die unausge-sprochene Logik Fleischhackers, erst dannwären die Vermögensbesitzer bereit, Vermö-genssteuern zu zahlen.

Zunächst ist man sprachlos ob dieserunfassbaren Arroganz des Herrn Fleischha-ckers. Wieso geriert er sich hier, obwohl erbehauptet, selbst über kein Vermögen zu ver-fügen, als Vertreter der Vermögensbesitzer?Aus vorauseilendem Gehorsam? Aus Profilie-rungssucht? Zudem: wieso sollen (nur) dieVermögensbesitzer darüber entscheiden kön-nen, ob ihnen die Ausgaben des Staatesgenehm sind? Haben dieses Recht andereBevölkerungsgruppen? Die ArbeitnehmerIn-nen zum Beispiel? Hat Herr Fleischhacker ver-gessen, dass wir in einer Demokratie lebenund jeder Mensch gleich zählt?

Schließlich: wieso sollen (nur) die Vermö-gensbesitzer entscheiden, ob eine Ausgabedes Staates sinnvoll ist oder nicht? Sind dieVermögensbesitzer die „gescheiteren“ Leute imVergleich zu „dummen“ Plebs?

Es ist noch immer das reaktionäre Klassen-denken, das hier Herr Fleischhacker demons-triert, das sich nach wie einbildet, intelligenter,cleverer und überlegener zu sein. Er ist ein Ver-treter jener Schicht, die glaubt, die (vermeintli-chen) Leistungsträger dieser Gesellschaft zusein und daraus Rechte beansprucht. Wir wer-den sie eines Besseren belehren.

EDITORIAL von Fritz Schiller

IMPRESSUM Medieninhaber, Verleger: Alternative und Grüne GewerkschafterInnen(AUGE/UG) Herausgeber: Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB (UG/ÖGB)Redaktion, Satz & Layout: Alfred Bastecky (Koordination), Lisa Langbein, Franz Wohl-könig (Layout) Alle: 1040 Wien, Belvederegasse 10/1, Telefon: (01) 505 19 52-0, Fax: -22,E-Mail: [email protected] (Abonnement), [email protected] (Redaktion), internet:www.ug-oegb.at, Bankverbindung: BAWAG Kto. Nr. 00110228775 Dass namentlich gezeichnete Beiträge nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oderdes Herausgebers entsprechen müssen, versteht sich von selbst. Titel und Zwischentitelfallen in die Verantwortung der Redaktion, Cartoons in die Freiheit der Kunst. Textnach-druck mit Quellenangabe gestattet, das Copyright der Much-Cartoons liegt beim Künstler.DVR 05 57 021. ISSN 1023-2702.

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Telekom Austria Skandal(e): Wir vergessen nicht. Von Markus Koza.

NICHT NUR EINEINZIGER SKANDAL

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Magazin

ie Telekom Austria beherrscht wiedereinmal die Schlagzeilen. Ein Kronzeugepackt aus – über Kursmanipulationund entsprechend hohe Bonizahlun-gen, über Spenden hier und dort.Management, BZÖ, Alt-FPÖler sollenebenso tief im Korruptionssumpf ste-cken, wie ÖVPler, ja selbst Christge-werkschafter sollen ordentlich mitge-schnitten haben. Wieder einmal tau-chen Namen auf, die uns aus anderenPrivatisierungs- und Bereicherungs-skandalen bestens bekannt sind. Eineparlamentarische Sondersitzung gab esschon, die Einsetzung eines parlamen-tarischen Untersuchungsausschussesist nur noch eine Frage der Zeit. Und:Wieder einmal gelten Unschuldsvermu-tungen sonder Zahl, für ehemaligeMinister ebenso wie für den ehemali-gen Bundeskanzler. Selbstverständlich.Ein Skandal. Aber nicht der einzige inder Telekom.

Wir erinnern:•Skandalös war der Umgang mit denTelekommitarbeiterInnen, insbesonderemit den Beamten, die im Zuge derschwarz-blauen Privatisierungswellenab 2000 möglichst rasch abgebaut

werden sollten. Um weiteren Privatisie-rungen nicht im Weg zu stehen. Mob-bing, Schikanen, Druck – bis hin zuSelbstmordfällen. Und ein Manager,der ganz offen darüber redete, wiedenn da in der Telekom „gemobbt“würde. Dieser Manager war übrigensein gewisser Gernot Schieszler, seinesZeichen „Kronzeuge“ im aktuellen Tele-kom-Skandal.•Skandalös war der Privatisierungsvor-gang an und für sich. Nicht nur, weil erzu einem massiven Beschäftigungsab-bau führte, sondern auch, weil er sichkeineswegs als gutes Geschäft für dieRepublik herausstellte, blieben die Ver-kaufserlöse doch deutlich unter denErwartungen. Verdient haben ganzandere.•Skandalös ist nicht zuletzt eine überJahre hindurch verfolgte Dividenden-politik, welche geradezu an die Sub-stanz des Unternehmens geht.

SKANDAL 1: PERSONALABBAU„Wo gehobelt wird, fallen Späne“,

erklärte Gerhard Ahrer, Personalchefder Telekom Austria, rund um die Teil-privatisierung im Jahr 2000 seinenBeschäftigten. 5000 Beschäftigte soll-ten – in einem ersten Schritt – abge-baut werden. Dem „Format“ erklärte erin einem Interview am 24. März 2001,dass es seit dem Beitritt zur Europäi-schen Union 1995 nicht gelungen sei,das „Unternehmen auf den Wettbe-werb“ vorzubereiten und dass dieses„Nichtstun“ nun eben eine radikaledreißigprozentige Reduktion des Perso-nals unabdingbar mache.

Auf die Frage des „Format“, was esdenn mit Vorwürfen auf sich habe,wonach Telekom-MitarbeiterInnen vonoben massiv gemobbt würden, dassdiese von heute auf morgen per E-Mailoder Brief freigestellt würden, anderevor plötzlich verschlossenen Bürotürenoder gesperrten EDV-Zugängen stün-den, reagierte Ahrer dahingehend,dass ihm „… solch extreme Fälle nichtbekannt“ seien. Und: Er verstünde dieganze Aufregung ohnehin nicht, weilGewerkschaft und Betriebsräte denSozialplan ja mitgetragen hätten undder Personalabbau bereits mehrere Mil-liarden Schilling gekostet hätte (tat-sächlich gab es in der Belegschaft hef-tige Kritik am Verhalten ihrer Gewerk-schaftsvertreterInnen).

Auf die Frage nach zwei bekanntgewordenen Selbstmordfällen in derTelekom, verwehrte sich Ahrens ent-schieden dagegen, diese in einenZusammenhang mit dem Personalab-bau in der Telekom zu bringen. DasProblem seien nun mal die „Beamten“.Schließlich sei die Telekom ein börse-notiertes Unternehmen, habe aller-dings immer noch 82 Prozent Beamte.Das vertrage sich nicht, „da brauchenwir jetzt eine neue Kultur.“ Dass die„neue Kultur“ unter anderem darinbestehe, dass plötzlich fünfundzwan-zigtausend Anschlüsse für ISDN undADSL nicht hergestellt werden könn-ten, weil MitarbeiterInnen fehlten,stritt der Personalchef entschieden ab.„Umbauphase“, so lautete die„Entschuldigung“.

Wenn auch Ahrens von „extremen“Mobbingfällen nichts wissen wollte, so

Markus Kozaist UG-Vertreter imÖGB-Bundesvorstandund Mitarbeiter derAUGE/UG in Wien.

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wussten andere von genau Gegenteili-gem zu berichten. So übertitelte derBörse-Kurier vom 19. März 2001 einenAPA-Beitrag mit „Frostiges Arbeits-klima bei Telekom Austria“. Ein Arbeits-mediziner berichtete in diesem Beitragvon „gezieltem Mobbing“, das sogar zuSelbstmorden geführt hätte: „DerDruck und der plötzliche Verlust desArbeitsplatzes habe bereits mehrereTA-Mitarbeiter in den Selbstmordgetrieben, sagte der Arzt. Die ‚unglaub-lichen’ Zustände gäben aus medizini-scher Sicht Anlass zu größter Sorge.“Sprach der Post-Gewerkschafter Wurmnoch von drei Selbstmorden, sprichtder Arzt von noch mehr. Der Medizinerberichtete von TA-MitarbeiterInnen,„… die binnen Stunden zum Verlassendes Arbeitsplatzes aufgefordert unddanach unter eine Art ‚Hausarrest’gestellt würden. Bei vollen Bezügenmüssten diese zur Vermittlung neuerPosten zwischen 8 und 12 Uhr zuHause sein, so der Arzt. Wurm bestä-tigte dies: Es müssten die BetroffenAbschläge von 40 Prozent hinnehmen,da sie um die Zuschläge umfallen“.

Und weiter: „Der Arbeitsmedizinerberichtete, dass junge dynamische Mit-arbeiter eigens zum Zweck des Mob-bings von Telekom-Beamten eingestelltwürden. Ihm seien Fälle bekannt, woauch diese Mitarbeiter selbst kurze Zeitspäter ihren Arbeitsplatz verlören, „umdie Spuren zu verwischen“. Aus diesemGrunde würden Kündigungen, Freistel-lungen, Entlassungen auch nicht mehrin schriftlicher Form übermittelt, son-dern nur noch mündlich. Diese Metho-den bestätigte auch der Gewerkschaf-ter Wurm.“ Die Unternehmensleitungstritt selbstredend jedes Mobbing ent-schieden ab. Es würde sich wohl nurum Einzelfälle handeln. Noch 2008drohte der Vorstand dem Betriebsrats-vorsitzenden Kolik mit Klage wegenRufschädigung, weil dieser von „Mob-bing-Methoden“ gesprochen hätte. Bis,tja, bis ein gewisser Herr Schieszler,anno dazumal stellvertretender CEOund Finanzvorstand des TA-Festnetz,zuständig unter anderem für dengeplanten Personalabbau, im Rahmeneiner Gesprächsrunde zum „CapitalMarket Day“ am 29. Jänner 2009erklärte, wie denn Mobbing, das es jalaut Vorstands-KollegInnen so nichtgäbe, in der TA tatsächlich funktio-niere. Und dummerweise irgendwer ein

Video mitdrehte, das über YouTube imInternet auftauchte.

„Unsere Aufgabe ist es, ein Telekom-unternehmen wertsteigernd zu führen,und nicht, in Gärten alter Damen zugraben,“ führte er zu Beginn gleich ein-mal aus, um dann weiter Klartext zureden. Wer nicht entsprechend umge-schult oder in andere Unternehmens-bereiche verleast werden könne, denwürde man einmal „daheim sitzen“lassen, also zur Passivität verdammen.Dieser Prozess dauere so rund vierMonate. In der „Krone“ vom 23. April2009 heißt es weiter: „In den erstenvier bis sechs Wochen könnten sich dieLeute, ‚offen gesagt noch wohl fühlen’,wie auch Erfahrungen in anderenUnternehmen weltweit zeigen würden.Danach werde man beginnen, die Mit-arbeiter anzurufen und sie für ein paarTage zur Arbeit rufen, ‚und wenn siedann am Telefon erklären, dass siekrank sind, werden wir ihnen den Arztschicken. Und wenn der feststellt, dasssie nicht krank sind, dann werden wirKlagen gegen diese Mitarbeiter folgenlassen’. Und dann wür-den schon ‚ein paar dieGolden Handshakesannehmen.’“ Die Folgedieses Videos warzumindest, dass Schisz-ler von den Personala-genden entbundenwurde und der Sozial-mediziner MichaelKunze mit der „… sozial-medizinischen Verträglichkeit aller mitdem Jobabbau in Zusammenhang ste-henden Maßnahmen“ betraut wurde.

Im Jahr 2009 wurde die France Tele-kom von einer regelrechten Selbst-mordserie erschüttert. 17 Telekommit-arbeiterInnen wählten den Freitod, weildie Arbeitsbedingungen für sie immerunerträglicher geworden waren. BisMärz 2010 folgten sieben weitere. Einähnlicher Fall erschütterte auch dieTelekom Austria. Erstmals konnte einSelbstmord in einen unmittelbarenZusammenhang mit den Arbeitsbedin-gungen bei der Telekom Austriagebracht werden. In einem Abschieds-brief schrieb der Mitarbeiter, dass erdie Arbeitssituation im Unternehmennicht mehr ertragen könne und dieHoffnung habe, „… dass damit ähnli-che Schicksale – und sei es nur ein ein-ziges – erspart bleiben.“ Der Artikel in

den „Salzburger Nachrichten“ (SN) vom2. März 2010 weiter: „Aus seinem Briefgeht hervor, dass der Mitarbeiter trotzhervorragender Qualifikation und stän-diger Weiterbildung immer wiederübersehen und übergangen worden ist.Zuletzt landete er als Einziger in einemGebäude: ‚Nach gut drei Jahren alsEinziger in einem Gebäude mit brö-ckelndem Putz von der Decke unddefekten Sanitäranlagen und mächti-gen Staubansätzen habe ich die Reali-tät wohl nicht mehr erkennen kön-nen.’“ Im Unternehmen zeigte mansich geschockt. Man habe sofort Pro-fessor Kunze mit der Untersuchung desFalls beauftragt. Fakt blieb allerdings,dass offensichtlich seit dem erstenBekanntwerden von Mobbingfällen,„Passivierung“ und Ähnlichem im Rah-men der Teilprivatisierung unterSchwarz-Blau, sich die Personalpolitikim Unternehmen nicht wesentlichgeändert hatte. Schließlich heißt es indem 2010 erschienenen Beitrag in denSN weiter: „Mitarbeiter der Telekomberichten österreichweit über schwie-

rige Arbeitsbedingun-gen, bedingt durchständige Struktur-änderungen. Vorallem jene, die‚passiviert’ wer-den, wie esbeschönigendheißt, wenn Mit-arbeiter zumNichtstun verur-

teilt werden, haben oft große Schwie-rigkeiten. In Salzburg sind darausSelbsthilfegruppen entstanden. ‚In derGesellschaft zählt doch nur die Leis-tung’, sagt ein Mitglied. Doch auchdie, die aktiv sind, litten unter einem‚großen Druck und einem sehr schlech-ten Arbeitsklima’, erzählt ein Mitarbei-ter im mittleren Management.“ DerUmgang mit den (nicht nur beamte-ten) MitarbeiterInnen: Ein Skandal, derneben dem aktuellen nicht in den Hin-tergrund treten darf.

SKANDAL 2: PRIVATISIERUNGAbgesehen davon, dass seit den ers-

ten (Teil-)Privatisierungsschritten 1998(damals noch unter Schwarz-Rot) bis2004 in der Festnetzbranche fünftau-

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sendfünfhundert Beschäftigungsver-hältnisse verloren gingen (bei zweitau-sendfünfhundert neu geschaffenen imInternet- und Mobilfunkbereich*), derBetriebsrat im November 2008 schonvon zehntausend vernichteten Arbeits-plätzen bei der Telekom Austria sprach,dem weitere zweitausendfünfhundertin den nächsten Jahren folgen solltenund sich somit die Teilprivatisierungschon als beschäftigungspolitischesDesaster herausstellte, entpuppte siesich auch hinsichtlich der Privatisie-rungserlöse als Flop.

Die Teilprivatisierung der Telekom imUmfang von 25 Prozent im Jahre 2000sollte (so Miron Passweg, AK-Expertein einem Beitrag in der Zeitschrift„Arbeit und Wirtschaft“ aus dem Jahr2001) einen Privatisierungserlös (1. Pri-vatisierungstranche 25 Prozent) von25,9 Milliarden Schilling (ca. 1,88 Mil-liarden Euro) bringen. Tatsächlichwurde die erste Tranche der Totalpriva-tisierung allerdings „(erwartungsge-mäß) ein Flop“, wurde sie doch unterZeitdruck und zu einem Zeitpunktdurchgeführt, zu dem weltweit „Tele-kommunikations-Werte … weniggefragt“ waren und an den Börsen nureine Richtung kannten – nämlich nachunten. Eine derartige Konstellationführt zwangsläufig zu einer „Verschleu-derung von Vermögenswerten“. Lagder zum Zeitpunkt des Börsengangserwartete Verkaufserlös (exklusive Son-

derrabatte für Privatanleger und Mitar-beiter) schon nur noch bei 15,9 Milliar-den Schilling (ca. 1,16 Milliarden Euro,Emissionsvolumen 25,8 Prozent), fieldas Endergebnis mit 13,8 MilliardenSchilling (ca. eine Milliarden Euro)noch schlechter aus, weil letztlich nur22,4 Prozent des Telekom-Anteils ver-kauft werden konnten.

In der Folge reduzierte sich derÖIAG-Anteil von 47,8 auf knapp über28 Prozent. In Summe beläuft sich derPrivatisierungserlös insgesamt laut„Format“ vom 26. Juli 2010 auf ledig-lich rund 2,45 Milliarden Euro (lautÖIAG von 2001 bis Dezember 2005auf 2,127 Milliarden Euro). Für knappüber 42 Prozent des Unternehmens.Wo ursprünglich alleine für 25 Prozent1,88 Milliarden Euro erhofft wurden …Reich sollen an dieser Privatisierungdafür ganz andere geworden sein: Eineganze Menge an Personen, für welchedie Unschuldsvermutung gilt …

SKANDAL 3: AUSSCHÜTTUNGEN Die Telekom Austria ist ein börseno-

tiertes Unternehmen. Als solches hatsie AktionärInnen, die Geld in Formausgeschütteter Dividenden sehen wol-len. Entsprechend schüttet die TelekomAustria auch aus. Beispielsweise von2009 bis 2011 Jahr für Jahr je 332 Mil-lionen Euro. Das ist viel. Sogar sehrviel. Die Telekom Austria ist jenes ATX-

Unternehmen in Österreich, das überdiesen Zeitraum hinweg – Ausnahme2010 – die in Summe höchsten Divi-denden ausgeschüttet hat. Das Pro-blem dabei, so die Studie „Vorstands-vergütung und Ausschüttungspolitikder ATX Konzerne“ der AK-Wien vomMai 2011: „Es ist zu beobachten, dassdie Telekom Austria bereits in den letz-ten Jahren hohe Ausschüttungen getä-tigt hat, ohne im Gegenzug die ent-sprechenden Gewinne lukrieren zu kön-nen. Während sich die Aktionäre überkonstant hohe Dividenden freuen dür-fen, geht diese großzügige Ausschüt-tungspolitik langsam aber sicher andie Substanz des Unternehmens. DerTelekom Konzern verfügt nicht einmalmehr über eine Eigenkapitalquote vonzwanzig Prozent.“ In „Ausschüttungs-quoten“ (Verhältnis von Ausschüttun-gen zum Gewinn) ausgedrückt, heißtdas nichts anderes, als dass „deutlichmehr als (der) erwirtschaftete Gewinnan die Aktionäre weitergereicht“ wird.Im Jahr 2011 sind das 170 Prozent desJahresüberschusses, im Jahr 2010348,9 Prozent, im Jahr 2009 wurdesogar trotz Verlustes ausgeschüttet.Und diese Ausschüttungspolitik wurdedabei offensichtlich nicht erst ab 2009verfolgt. So sprach etwa der Betriebs-ratsvorsitzende Kolek im Rahmen einerProtestversammlung der Telekombe-schäftigten davon, dass bereits dieJahre zuvor „die Gewinne gänzlich(etwa 1,6 Milliarden Euro) an dieAktionäre … ausgezahlt und nicht imUnternehmen – zum Beispiel für Netz-ausbau, Glasfaser – investiert“ wurden(UG-Telekom Betriebsrat Herbert Tisch-ler, Alternative 8-9/2008).

Ein Skandal. Eine Unternehmenspoli-tik, die regelrecht auf die Substanzgeht. Eine Unternehmenspolitik, dienicht lange gut gehen kann. Da bleibtkein Geld mehr für überfällige bezie-hungsweise notwendige Investitionen.Ausbaden dürfen diese Unternehmens-politik einmal mehr die Beschäftigten.Heute die beamteten. Morgen alleanderen. Ein einziger Skandal.

*), Quelle: Privatisierung und Liberalisierungöffentlicher Dienstleistungen in der EU-25,Dr. Andreas Höferl, Jänner 2005.

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„Import – Export“

1/2 Jahr Arbeitsmarktöffnung, Film & Diskussion.10. November 2011, 18 Uhr, Schikaneder-Kino, Margareten-straße 24, 1040 Wien.

Schlimme Auswirkungen wurden durch die Arbeitsmarktöff-nung am 1. Mai 2011 erwartet. Wir fragen nach: Was hat sichverändert hinsichtlich Arbeitsplätzen, für Beschäftigte (fürwelche)? Greift das Lohn- und Sozialdumpinggesetz? Für wen?Wer bleibt auf der Strecke?

Film: Import – Export, Regie: Ulrich Seidl, 2007. Olga ist Krankenschwester inder Ukraine. Sie sucht ihr Glück im Westen und landet als Putzfrau in der Geria-trie in Österreich. Paul ist arbeitsloser Wachmann aus Österreich. Auf der Suchenach Arbeit und Sinn stolpert er mit seinem Stiefvater in den Osten bis in dieUkraine. Zwei junge Menschen machen sich auf den Weg, um einen Neubeginnim Leben zu finden.

Anschließend Diskussion mit• Michaela Guglberger, Gewerkschaft vida, Bundesfachgruppe Soziale Dienste,• Albert Stranzl, Betriebsratsvorsitzender PorrAG,• Evelyn Probst, LEFOe – Beratung, Bildung und Begleitung für MigrantInnen,• Linda Sepulveda-Urrejola, AUGE/UG, GPA-djp-IG [email protected] frei! Eine Veranstaltung der AUGE/UG, www.auge.or.at.

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der 1933 erschienenen Erzäh-lung ‚Aufzeichnungen ausdem Lande Kuty’ des rumäni-

schen Schriftstellers Tudor Arg-hezi findet sich eine Satire auf Organi-sations- und Strukturplanung. DieStädte – Ausdruck der Neigung derMenschen zu Anarchie und Chaos –sollten zerlegt, nach ihren gleicharti-gen Bestandteilen neu zusammenge-setzt, und dadurch viel übersichtlicherangelegt werden: Ein Bezirk nur mitKirchen, ein Viertel mit nichts als Was-serleitungen, ein großer Stadtteil mitallen Straßen, die vorher beunruhigendkreuz und quer führten, und nun aufeinen Haufen geschlichtet sind, einDistrikt der Denkmäler, die, je nach-dem, ob Reiter mit Ross oder unifor-mierter Held auf zwei Beinen, ordent-lich aneinandergereiht werden … (vgl.Tudor Aghezi 1933, zitiert nach Karl-Markus Gauß, 2010).

Die Vorstellung, komplexes Leben,mehrdimensionales Denken und ver-netztes Handeln durch Umstrukturie-rungen „in den Griff“ bekommen zukönnen, ist also, wie diese über siebzig-jährige Satire zeigt, keineswegs neu,sondern scheint als Herrschafts-Merk-mal periodisch wiederzukehren. In denletzten Jahren hat sie zunehmend dieOrganisatoren Sozialer Arbeit erfasst:Komplexe Aufgaben wurden in immerkleinere Fragmente zerteilt und starren

Hierarchien unterstellt. Handlungslei-tend ist nun nicht mehr fachlich kom-petentes, flexibles Eingehen auf dieBedürfnisse und Bedarfslagen derKlientInnen, sondern Aufträge, dieSozialarbeiterInnen entweder erhaltenoder erteilen, je nachdem, in welcherOrganisationseinheit sie sich befinden.

Wesentliche Merkmale SozialerArbeit, wie Beratung und der Aufbautragfähiger Beziehungen zwischenKlientInnen und SozialarbeiterInnenals Arbeitsgrundlage, werden abgewer-tet oder zerstört (sind sie vielleichtebenso unübersichtlich und unkontrol-lierbar wie die bislang kreuz und querverlaufenden Straßen von Kuty?).Bedeutete ein Erstgespräch früher,durch empathische Gesprächsführungzu einem möglichst umfassenden Ver-ständnis der Problemlage einer Klient-In zu kommen, so werden deren – ver-mutete – Anliegen jetzt anhand vorfor-mulierter Fragen von Callcenter-Agentsvorsortiert. Wurde früher während desErstgesprächs eine Vertrauensgrund-lage für die künftige Zusammenarbeit

zwischen KlientIn und SozialarbeiterInaufgebaut, werden jetzt Rückrufe ver-sprochen, und die Zuständigkeit eineranderen Organisation oder Organisati-onseinheit angekündigt. Denn alle Mit-arbeiterInnen haben sich auf ihre mög-lichst eng gefassten Kernkompetenzenzu beschränken und möglichst schema-tisierte Arbeitsabläufe einzuhalten.Letzteres gilt als Qualität. Überhauptdürfte es nicht mehr um die Lösungsozialer Probleme von Menschengehen; Soziale Arbeit wurde zum „Ver-kauf“ von „Produkten und Dienstleis-tungen gemäß Leistungskatalog“umgedeutet. War wirtschaftliches Han-deln früher eine Maxime unter mehre-ren (zum Beispiel neben Empower-ment, Bewusstseinsbildung, Menschen-rechts-Fragen etc.), so scheint der Kos-ten-Nutzen-Aspekt jetzt alle anderenFaktoren zu überlagern.

Die Folgen: Sozialarbeiterinnen undSozialarbeiterkönnen ihre Fachkom-petenz und Kreativität immer wenigereinbringen. Statt einer Stärkung ihrerProfessionalität und Eigenverantwor-tung – auch das Berufsgesetz dürfte inimmer weitere Ferne rücken – entste-hen Entfremdung, innere oder tatsäch-liche Kündigung und der Verlust pro-fessioneller Identität. An dieser Stelleist es jedoch auch möglich, gegenzu-steuern: durch Vernetzung über Organi-sationsgrenzen hinweg, vertrauensvol-len Austausch unter KollegInnen undgemeinsame Aktionen.

VON KOSTEN UND NUTZEN

Soziale Arbeit wird in

immer kleinere Fragmente

zerteilt und starren

Hierarchien unterstellt.

IN

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Vor den Parlamentswahlen in der Schweiz hat die Schweizer Zeitung „WOZ“ sechs Autorinnen und Wissenschaftler gebeten, eine mögliche linke Politik zu beschreiben – frei in

der Frage und Form. Wo kommt die Energie für eine linke Politik her? In den kleinenArbeitskämpfen des Alltags staut sich eine Wut, die ins Utopische ausschlagen kann, schreibt die

Gewerkschaftssekretärin und Schriftstellerin Annette Hug.

FREIHEIT STATTVOLKSBELEHRUNG

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obald der Tisch „als Ware auftritt, ver-wandelt er sich in ein sinnlich über-sinnliches Ding. Er steht nicht nur mitseinen Füssen auf dem Boden, sonderner stellt sich allen andern Warengegenüber auf den Kopf und entwi-ckelt aus seinem Holzkopf Grillen, vielwunderlicher, als wenn er aus freienStücken zu tanzen begänne.“ Soschreibt Karl Marx am Anfang des„Kapitals“, weil er in der Geschichteder Wirtschaft noch nicht bis zur Erfin-dung des Geldes vorgestossen ist. DerTausch des Tisches gegen die Familien-bibel lässt sich auf keine Zahl und keinKonzept bringen, Marx ist zur Poesiegezwungen. In Arbeitskonfliktenscheint oft Wunderliches auf: Dabesteht die Hilfspflegerin Stoichkovdarauf, an der Beerdigung einer Alters-heimbewohnerin, die sie sehr gemochthat, teilzunehmen. Sie verlangt sogar,während der Arbeitszeit an dieser Beer-digung teilzunehmen. Aber FrauStoichkov hat keinen rechtlichenAnspruch, für diese Beerdigung frei zubekommen. Wenn es hoch kommt, wirdsie im Gespräch mit dem Heimleiter

emotional und beruft sich auf ihr Hei-matland, das die Alten ehre. Dasbringt nun auch den Heimleiter inRage, aber er will die Situation nichteskalieren lassen. Frau Stoichkov müsseihn verstehen, sagt er und erklärt, wel-che Leistungen den Krankenkassenund dem Staat verrechnet werden kön-nen und welche nicht.

DIE PFLEGE ALS WAREJedes Pflegeheim und jedes Spital

gehört heute zur „ungeheuren Waren-sammlung“, mit der Marx ins „Kapital“einsteigt. Mit der Zerstückelung derPflegetätigkeiten in einzelne Waren-gruppen, die codiert und mit einheitli-chen Preisen versehen werden, tretenneue Sektoren menschlicher Arbeit inden Bereich der Warenproduktion ein,in diese „gespenstische Gegenständ-lichkeit“ (Marx). Spätestens wenn FrauStoichkov darauf beharrt, dass sie sichvon der Verstorbenen richtig verab-schieden möchte, werden die Produkte„Mundpflege inkl. Schleimhautkon-trolle“ oder „Positionsveränderung imBett“ unheimlich. Alexander Klugebringt im Film „Nachrichten aus derideologischen Antike“ den Ursprungder Grillen und Gespenster der Waren-welt auf eine Formel: „Alle Dinge sindverzauberte Menschen.“ Hinter den

Leistungsabrechnungen jedes Pflege-heims stehen lebendige Mühen. Weilsie sich in Codes und Abrechnungenverlieren, erscheint das ganze Pflege-system irgendwann als unkontrollier-bare, nur noch durch höhere Mathema-tik zu begreifende Angelegenheit – alsZahlendschungel, der mit den Bezie-hungen im Pflegeheim nichts mehr zutun zu haben scheint.

Wenn eine Frau Stoichkov ihren Jobund vielleicht sogar ihre Aufenthalts-bewilligung riskiert, weil sie dieses eineMal nicht nachgeben will – sie wird ander Beerdigung teilnehmen –, dannerinnert das an die allerersten Arbeiter-proteste: als die Glarner ArbeiterInnender Textildruckerei Egidius Trümpy1837 wegen der Einführung einerFabrikglocke streikten. Sie fanden eseine Zumutung, dass sich da ein HerrTrümpy herausnahm, ihren Tagesab-lauf auf die Minute festzulegen, nurweil er Lohn zahlte. Noch immer erin-nern kleine Revolten daran, dass dieVorstellung, man könne seine Zeit ver-kaufen, einmal stossend gewesen ist.

DER JARGON DER QUALITÄTDie Leistungen einer Angestellten

werden zwar differenziert codiert undseparat verrechnet, aber sie darf sichnicht darauf beschränken, einzelne Pro-

Annette Hugarbeitet als Gewerkschaftssekretärinin Zürich. Ihre Romane „Lady Berta“und „In Zelenys Zimmer“ sind beimRotpunktverlag erschienen.

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dukte zu liefern. Ihr ganzes Wesen istgefragt. Marx beschrieb Arbeitskraftals „Verausgabung von Hirn, Muskel,Nerv, Hand usw.“. Diese Aufzählungmuss heute explizit verlängert werden.Von Angestellten wird erwartet, dasssie sich mit Herz und Seele in denBetrieb einbringen und das Betriebser-gebnis zu ihrer persönlichen Angele-genheit machen. Auch Herz und Seelewerden dann codiert, zuerst in Begrif-fen: „Unternehmerisches Denken“heisst das auf den Beurteilungsbögenfür die Mitarbeitergespräche, oder„Selbstverantwortung“. Es könnte einelange Liste von Anforderungen folgen.

Zusammenfassend wird verlangt,dass Untergebene für das Unterneh-men arbeiten, als gehöre es ihnenselbst – und dass sie gleichzeitigakzeptieren, dass ihnen nichts gehörtund die Befehlsgewalt eindeutig beiden Vorgesetzten liegt. Von den Pflege-helferinnen wird allenfalls – bei allerBereitschaft zum Mitdenken – die Ein-sicht erwartet, dass die grösserenZusammenhänge zu kompliziert für siesind und eine Meinungsäusserungihrerseits nicht kompetent sein kann.

Die Tatsache, dass die meisten Men-schen nicht absolut freiwillig ihrerErwerbsarbeit nachgehen, wird durcheinen Jargon verschleiert, der perver-serweise an ein sozialistisches Men-schenbild anknüpft: Der Mensch wirdzum Menschen, indem er sich durchseine Arbeit verwirklicht.

Wer sich nicht ständig verbessernwill, hat ein persönliches Problem. DerTramchauffeur muss mit seinem Vorge-setzten von Jahr zu Jahr neue Entwick-lungsziele formulieren. Er muss es sichgefallen lassen, dass er von Qualitäts-kontrolleuren, die inkognito in denTrams mitfahren, überprüft wird: Sindseine Ansagen freundlich? Haben seineSocken die richtige Farbe? Reagiert erauch bei Hektik überlegen? Wenndann noch darüber verhandelt wird,wie lang er dafür braucht, aufs Klo zugehen und wie oft ihn das Bedürfnisdurchschnittlich überkommen darf,dann ist das kein triviales Problem. Es

zielt ins Herz der Frage, was man dennmitverkauft, wenn man seine Arbeits-kraft zur Verfügung stellt: Die Blasen-funktionen? Die Frisur? Die Art, wieman spricht?

Nun ist nichts dagegen einzuwen-den, dass Angestellte öffentlicher oderhalböffentlicher Betriebe, die vom Volkbezahlt werden, freundlich sind zu denVertreterInnen dieses Volkes und dasssie ihre Arbeit gut machen. Auch alsKundin in einem privaten Geschäft istman froh, wenn man nicht ange-schnauzt wird.

DER SEELE GERECHT WERDENAls Gewerkschafterin kann man

nicht glaubhaft über den Begriff„Selbstverantwortung“ lästern, schliess-lich beruhen gewerkschaftliche Erfolgedarauf, dass Leute nicht die Faust imSack machen, sondern sich gemeinsamwehren – also Verantwortung für ihreSituation übernehmen.

Und man hat vielleicht AlexanderKluge im Ohr, der mit der ÜbersetzerinGalina Antoschewskaja entdeckt, dassin der russischen Marx-Übersetzungdas Wort „Seele“ in den ganzen Zauberder Verwandlung von Arbeitskraft ein-fliesst. Kluge dichtet dann vor sich hin:„Ökonomie hat eine Seele, weil sie ausvielen Menschen gebaut ist, die sichMühe geben. Sie bringt die Menschenzusammen. Ohne Seele könnten sie garnichts machen.“ Die Seele soll nichtaus der Ökonomie vertrieben werden.Im Gegenteil. Die Ökonomie muss denSeelen gerecht werden. Darüber lautnachzudenken, fällt schwer, denn imAlltag ist zwischen dem Newspeak derPersonalverantwortlichen und demGegrummel der Buschauffeure mit denfalschen Socken viel Sprache abhan-dengekommen. Nicht nur die Preise derWaren, auch die wechselnden Jargonsder Führungskräfte lassen dieGeschichten verschwinden, die in denWaren und Pseudoprodukten stecken –die Menschen, die sich Mühe geben,kommen nicht mehr vor.

Im Motivationsgesäusel für Mitarbei-terInnen geht auch vergessen, dassnach wie vor ein Verteilkampf um mehroder weniger gut bezahlte und geach-tete Tätigkeiten stattfindet. Allen wirdversprochen, sie könnten es weit brin-gen – aber die gut bezahlten Jobs sind

beschränkt, jemand muss für wenigGeld Büroräume putzen. Die Anforde-rungen an die Bildungsabschlüsse, dienötig sind, um in diesem Verteilkampfzu reüssieren, steigen. So wird dasBeherrschen eines technokratischenJargons betriebswirtschaftlicher, psy-chologischer, sozialarbeiterischer,künstlerischer Herkunft zur Trophäe. InKreisen, die einem anderen Bildungs-ideal folgen, mag er als Peinlichkeiterscheinen, aber für jene, denen einsolcher Jargon am Qualifikationsge-spräch lohnwirksam um die Ohrengeschlagen wird, ist er ein Zeichen dereigenen Niederlage.

DIE STIMMEN FREILASSENWenn dann auch ParlamentarierIn-

nen beweisen wollen, dass sie die rich-tigen Begriffe gelernt und das unter-nehmerische Denken verinnerlichthaben, verkommt ihre Politik zur Volks-belehrung. Dann wirken auch sie wieDamen und Herren, die von obenherab ein Gespräch mit dem Volk füh-ren und ihm erklären, wo das Gesund-heitsverhalten optimiert, wie die Kin-dererziehung verbessert und die Exis-tenzangst richtig kanalisiert, die Bezie-hung zum andern Geschlecht ausgewo-gener gestaltet werden kann – sie füh-ren ein Beurteilungsgespräch im Pro-zess der gesellschaftlichen Qualitäts-entwicklung. Jeder Unterschied vonLinks, Mitte, Rechts verschwimmt indiesen Posen.

So wie Marx gezwungen ist, poetischzu werden, wenn er eine Wirtschaftohne Geld beschreibt, so erhofft mansich von linken PolitikerInnen eineSprache, die nicht im Jargon der mittle-ren Führungsebenen festhockt. Es gehtdarum, die Stimmen und Geschichtenfreizulassen, die in der heutigenWarenwelt herumgeistern. Aus diesenGeschichten kann deutlich werden, wasFreiheit im Sinne der linken Traditionbedeutet – die Freiheit von Frau Stoich-kov zu wählen, unter welchen Bedin-gungen sie alte Leute pflegt und unterwelchen Bedingungen eben nicht.

Aus der Wochenzeitung (WOZ) vom 6. Oktober 2011.

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Private Pensionsvorsorge – kontraproduktiv, kompliziert, teuer, schlecht. Von Lukas Wurz.

ZWEITE UNDDRITTE SÄULE

D

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Magazin

as Gewirr an unterschiedlichen Formender „privaten Pensionsvorsorge“ ist inden letzten zwei Jahrzehnten fastunüberschaubar geworden. Jeweils ausunterschiedlichen Gründen und mithöchst unterschiedlichen Zielsetzungenwurden im Husch-Pfusch-Verfahren ver-schiedene Elemente der „zweiten unddritten Säule“ des Pensionssystemsgeschaffen, die alle miteinander nichtzusammenpassen, keine Sicherheit bie-ten und außerdem Individuum undGesellschaft viel Geld kosten. Kein ein-ziges dieser Elemente hat gehalten,was die Politik bei der Einführung ver-sprochen hat.

URSPRÜNGE Pensionskassen für die betriebliche

„Altersvorsorge“ sind eine Folge der„Verstaatlichtenkrise“ der späten Acht-ziger. Große Unternehmen wie Böhleroder die Voest bemühten sich, ihre inder Hochkonjunktur gegebenen Ver-sprechungen betreffend betrieblicherZusatzpensionen auszulagern. Warenbetriebliche Zusatzpensionen bis Mitteder Achtziger aus dem Unternehmenbezahlt (und damit zumindest im Gro-ßen und Ganzen sicher), so konnten sieab Beginn der Neunziger an betriebs-externe Kassen ausgelagert werden.Diese hatten die Aufgabe, Betriebspen-sionen nicht im Betrieb über Betriebs-gewinne zu „erarbeiten“, sondern überdie Veranlagung am Kapitalmarkt. DenBetroffenen wurde versprochen, dassihre Zusatzpensionen sicher seien, abereben nur an einem anderen „Ort“angespart“ würden.

FALSCHE VERSPRECHEN …Bereits Mitte der Neunziger war

absehbar, dass diese Versprechungennicht gehalten werden konnten. Den-noch wurde der kurze Konjunkturauf-schwung der Jahre 2000 bis Mitte2001 seitens der ÖVP-Regierung dazugenutzt, weitere Elemente der kapital-marktbasierten „Pensionsvorsorge“ zuetablieren. Die „Abfertigung neu“ unddie so genannte „Zukunftsvorsorge“.Versprochen wurden Renditen von biszu sieben Prozent pro Jahr. Diese Ver-sprechungen konnten – heute kannmensch sagen – logischerweise nie ein-gehalten werden. Es gibt seit dem Jahr2000 kein einziges Jahr, in dem mehrals die Hälfte aller Pensionsberechtig-ten den Wert ihrer privaten oderbetrieblichen Pensionen erhalten konn-ten. Und Menschen in der Anspar-phase mussten jedes Jahr feststellen,dass ihre Prognose einen niedrigerenWert angab, als im Jahr davor. Pech,quasi, dass der Kapitalmarkt in keinemeinzigen Jahr die Versprechen haltenkonnte, die Schüssel, Grasser und Co.gegeben haben. Für die Betroffenenjedoch kein Pech, sondern – je nachPosition – eine Katastrophe oder völligirrelevant. Während Menschen, die„Privatvorsorge“ betreiben, mehr oderminder handlungsunfähig zusehenmüssen, wie ihr Geld immer wenigerwird und in vielen Fällen nicht einmalder Wert der seinerzeit einbezahltenBeiträge erreicht, können Versicherun-gen, Banken, Fondsmanager etc. aufBasis fixer Provisions-Prozentsätze (oftübrigens ausgehend von der ursprüng-

lich versprochenen Performance), Geldverdienen, und zwar unabhängigdavon, ob „Gewinne“ oder „Verluste“eingefahren werden.

… KOMPLIZIERTE (ÖFFENTLICHE)FÖRDERSYSTEMEDoch damit nicht genug: Seit Jahr

und Tag schießt der Staat aus Steuer-geldern noch erhebliche Mittel in dieseSysteme. In Systeme, die für dieAnspruchsberechtigten nur Verlustebringen, für die Verwalter nur Gewinne.Diese staatlichen Mittel sind nicht ein-fach zu berechnen: Auf der einen Seitesind es echte Förderungen wie etwa inder „Zukunftsvorsorge“, deren primäresZiel es war, die Wiener Börse zu bele-ben (dafür wurde auf einen unfassbarmiesen und eu-rechtlich höchst frag-würdigen Trick zurückgegriffen, aberdas ist eine andere Geschichte). Aufder anderen finden wir steuerliche Frei-stellungen für Beiträge, entgangeneEinkommens- und Gewinnsteuern, ent-gangene Sozialversicherungsbeiträgeoder auch zukünftig zu erwartendeSteuerausfälle auf Grund steuerlichbegünstigter Auszahlung.

DIE GRÜNEN FRAGEN NACHIm Jahr 2007 hatten die Grünen ein-

mal mittels parlamentarischer Anfragewissen wollen, was dieses Gewirr ankontraproduktiven „Pensionsvorsorgen“den Staat eigentlich koste. Die Antwortwar unklar. Das Finanzministerium warnicht in der Lage, die genauen Kostenzu errechnen. Etwa sechshundert Mil-

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lionen Euro im Jahr konnten darge-stellt werden. Das Ministerium mussteaber selbst einräumen, dass es dieSteuerausfälle auf Grund des Gewirrsan Systemen, Funktions- und Wirkungs-weisen nicht erfassen kann. Im Jahr2009 schließlich gab das Sozialminis-terium beim wifo eine Studie in Auf-trag, die bereits im August 2010 fertig-gestellt wurde. Fertiggestellt, abernicht veröffentlicht …

TEURE PRIVATEPENSIONSVORSORGE Warum sie nicht veröffentlicht

wurde, wird bei Durchsicht klar: DieStudie, die sich darauf beschränkt, dieSysteme und ihre Wirkung nur darzu-stellen und nicht zu bewerten, verdeut-licht, wie unfassbar teuer und schlechtprivate Pensionsvorsorge in Österreichist … und wie teuer sie den Staat unddie Gesellschaft kommt. Erstmals wirdetwa festgestellt, wie viel Geld via „pri-vater Pensionsvorsorge“ der Gesell-schaft und dem Wirtschaftskreislaufentzogen und im Kapitalmarkt gebun-kert wird (von wo es allenfalls tröpferl-weise in den „normalen Wirtschafts-kreislauf zurückkommt): 2008 waren es8,8 Milliarden Euro. Um die Verhält-nisse klarzumachen: Im selben Jahrflossen 460 Millionen Euro in Formvon Leistungen an die Anspruchsbe-rechtigten zurück. Ein Wert, der in denkommenden zwei Jahrzehnten steigen

wird, weil ja die Mehrzahl der Men-schen noch in der „Ansparphase“ ist.Mathematisch ist aber völlig klar, dassder Verlust für die Volkswirtschaft zukeinem Zeitpunkt die Höhe der einbe-zahlten Beiträge erreichen oder garübersteigen kann. Diese systematischeGrundvoraussetzung jedes Versiche-rungs-Fondssystems kann gleich ausmehreren Gründen nie erreicht werden:•Weil die Rechenzinssätze, auf deren

Basis die Prämien der Betreiberinstu-tionen zu Stande kommen, wesent-lich überhöht sind;

•Weil die absurden Versprechungenvon Gewinnen bis zu sieben Prozentpro Jahr immer absurd waren undnoch in keinem einzigen Jahr erreichtwerden konnten;

•Und natürlich auch, weil die Kapital-märkte sich nicht an die Erwartun-gen und Versprechungen halten(diese bösen …).Dazu kommt noch, dass es fast

schon ein betriebswirtschaftlich intelli-gentes Verhalten ist, große Anlage-vermögen zur Stützung schlechterWerte zu verwenden. Heißt: JedesUnternehmen, jede Bank, jeder Fonds-managerIn handelt in der Marktlogikintelligent, wenn sie versucht, „unterDruck“ geratene „eigene“ Fonds undFondsteile mit den Mitteln der privatenPensionsvorsorge zu stützen, in derHoffnung, diese mögen sich erholen.Nur hilft diese Marktlogik eben nichtden Versicherten.

WAS UNS ALLEN PRIVATEPENSIONSVORSORGE KOSTETAber was kostet denn jetzt eigentlich

den Staat dieser Wildwuchs an privater„Pensionsvorsorge“: Das wifo errechnet1,36 Milliarden Euro im Jahr (undbezeichnet diesen Wert aus verschiede-nen Gründen als „Obergrenze“), die derGesellschaft entweder an Steuern oderBeiträgen entgehen oder sogar direktaus dem Budget in das desaströse Sys-tem gepumpt werden. Nur um dieDimension noch einmal zu verdeutli-chen: Im Jahr 2008 förderte der Staatdie private und betriebliche „Pensions-vorsorge“ mit bis zu 1,36 MilliardenEuro. Diesem Betrag standen Leis-tungsauszahlungen von 460 MillionenEuro gegenüber.

Ach ja… Nach einer neuerlichenAnfrage der Grünen nach dem Verbleibder Studie wurde sie Anfang Septem-ber 2011 nun doch veröffentlicht.

Links:– „Grünen einmal mittels parlamentarischerAnfrage“: www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIII/J/J_04883/index.shtml– „Antwort“:www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIII/AB/AB_04833/index.shtml– „Veröffentlicht“: www.bmask.gv.at/cms/site/attachments/3/3/1/CH2081/CMS1315208951326/band6_cover_kern.pdf

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AUGE/UG-Presseaussendung (Auszug):

Vermögen besteuern statt Spekulationskapital fördern

„Bei der steuerlichen Förderung privater Pensions-vorsorge besteht hohes Einsparungspotential.Ein Bruchteil an gestrichenen direkten oder indi-rekten Fördermitteln hätte schon gereicht, umzum Beispiel die Basisfinanzierung für ausseruni-versitäre Forschungsinstitute, die Familienbei-hilfe für StudentInnen oder für arbeitsloseJugendliche zu halten,“ sagt Markus Koza, Bun-dessekretär der AUGE/UG, „Es muss allerdingsnicht nur Schluss mit der steuerlichen Förde-rung von privaten Pensionsfonds und anderenVorsorgeprodukten sein, es muss auch endlich‚überschüssiges’ Vermögen dahingehend abge-schöpft werden, dass weniger Kapital für ris-kante und spekulative Veranlagung und mehrGeld für Investitionen in Bildung, Pflege, Klima-schutzmaßnahmen, Zukunftsinvestitionen unddie steuerliche Entlastung von ArbeitnehmerIn-nen zur Verfügung steht – auch in Österreich.“

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Im September 2011 hat die Arbeiterkammer-Oberösterreich aktuelle Daten zurEinkommensverteilung veröffentlicht. Ein Ergebnis gleich vorneweg:

Die ArbeitnehmerInneneinkommen bleiben weit hinter der Produktivitätsentwicklung zurück,die Nettoeinkommen sind seit 1994 real sogar leicht

gesunken. Innerhalb der Lohnabhängigen wächst die Ungleichheit. Von Markus Koza.

WACHSENDEUNGLEICHHEIT

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ENTWICKLUNGDER LOHNQUOTEDie Lohnquote (Anteil der Löhne am

gesamten Volkseinkommen) ist seit1994 von 74,7 auf 68,8 Prozent imJahr 2010 gesunken. Für 2011 wird einweiterer leichter Rückgang auf68,5 Prozent, für 2012 eine Stabilisie-rung auf 68,6 Prozent prognostiziert.Vom Tiefstand 2007 (65,1 Prozent) hatsich die Lohnquote lediglich aufgrunddes massiven Einbruchs der Gewinneim Zuge der Wirtschaftskrise kurzfristigwieder „nach oben“ entwickelt. Mitdem Anteil von knapp unter 69 Prozentliegt die aktuelle Lohnquote unterjener von 2003. Ein Prozentpunktmacht dabei rund 2,2 Milliarden Euro– mehr oder weniger Löhne für dieArbeitnehmerInnen in Österreich – aus.

PRODUKTIVITÄT, BRUTTO-UND NETTOEINKOMMENSeit 1994 ist die Produktivität („Out-

put“ pro ArbeitnehmerIn) der unselb-ständig Beschäftigten um 23,9 Prozent(Prognose 2012) gestiegen. Seit Mitteder neunziger Jahre ist die Arbeit einerdurchschnittlichen ArbeitnehmerIn alsobeinahe um ein Viertel gestiegen.Deutlich zurück bleibt dagegen dieLohnentwicklung. Die Bruttolöhne sindreal (in Kaufkraft gemessen) lediglichum 5,2 Prozent gestiegen (im Niedrig-

lohnbereich gab es sogar massive Real-lohnverluste). Die Nettoeinkommen derArbeitnehmerInnen (Einkommenabzüglich Sozialversicherungsbeiträgeund Steuern) sind sogar gesunken. ImVergleich zu 1994 um –0,5 Prozent.

Interessant: über den ganzen Zeit-raum seit 1994 verlieren die Nettoreal-einkommen deutlich, 1997 sogar umbeinahe sieben Prozent. Lediglich2009 (dank guter Vorjahreslohnab-schlüsse und wohl auch der Steuerre-form geschuldet) gab es im Vergleichzu 1994 leichte Nettorealeinkommens-zuwächse von 0,7 Prozent. Die aller-dings bereits 2010 wieder egalisiertwurden und 2011 ins Minus drehten(–0,8 Prozent). Wenn die Produktivitätsteigt, die Löhne allerdings kaum,dann kommt das logischerweise denKapitaleignern zugute: Während dieLöhne (kumuliert) seit 1994 um72 Prozent gestiegen sind, sind die Ein-kommen aus unternehmerischer Tätig-keit (Gewinne) und Vermögen um131 Prozent fast doppelt so schnellgewachsen.

Die Arbeiterkammer: „Obwohl dieGewinne steigen, bleiben Beschäfti-gungsentwicklung und Investitionenschwach. Das bedeutet, dass Gewinnenur zum Teil produktiv investiert wer-den. Ein hohes Ausmaß fließt als Divi-denden in die Hände der AktionärIn-nen und wird für Firmenaufkäufe sowiespekulative Finanzanlagen verwendet.“

Tatsächlich: Obwohl die Gewinne vorallem in den börsenotierten Unterneh-men sprudeln, geht die Beschäftigungzurück. Während das Gewinnniveauder ATX-Unternehmen im Mai 2011mit 5,3 Milliarden Euro (Dividenden-ausschüttungen: 2,1 Milliarden Euro)bereits wieder Vorkrisenniveau erreichthat, sind seit 2009 vierundzwanzig-tausend Jobs in diesen Unternehmenverlorengegangen. Würden die Aktio-närInnen auf nur ein Viertel an Aus-schüttungen verzichten, könnten damitdreizehntausend Arbeitsplätze finan-ziert werden.

WACHSENDELOHNUNGLEICHHEITIst schon die Verteilung zwischen

Kapital und Arbeit ungleich verteilt,wächst auch die Ungleichheit unterden Lohnabhängigen: •2009 verdienten zehn Prozent der

Top-VerdienerInnen 30,3 Prozentaller Löhne und Gehälter. Rund vier-hunderttausend Höchstverdienendebekommen vom Lohn- und Gehalts-kuchen rund 33,7 Milliarden Euro.

•Für die NiedrigverdienerInnenheißt das umgekehrt: Die einkom-mensschwächsten „unteren“sechzig Prozent aller Lohn- undGehaltsbezieherInnen verdienengerade einmal achtundzwanzig Pro-zent aller Löhne und Gehälter. Das

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heißt in absoluten Zahlen: 2,4 Millio-nen ArbeitnehmerInnen erhaltenzusammen gerade einmal 31,3 Milli-arden Euro an Lohneinkommen.Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich

die Verteilung der Lohneinkommendeutlich zugunsten der Spitzenverdie-nerInnen verschoben. Während dasnominelle Einkommensplus bei denoberen zehn Prozent pro Kopf bei+41 Prozent liegt, legte das „gutverdie-nende“ Drittel insgesamt um 35 Pro-zent zu, das „mittlere“ Einkommensdrit-tel schon nur noch um 22 Prozent unddas einkommensschwächste Drittelschon überhaupt nur noch um ver-schwindende 0,5 Prozent. „Währendder kleinen Gruppe der Einkommens-stärksten noch weitere Erträge ausKapital und Vermögen (Dividenden,Zinsen, Mieteinnahmen etc.) zufließen,müssen alle anderen mit den teilsmageren Zuwächsen auskommen. Diegeringsten Einkommen werden beigeringfügiger und Teilzeitbeschäfti-gung sowie bei niedrig entlohntenVollzeitjobs bezahlt, wovon überwie-gend Frauen betroffen sind.“

SPITZENGAGENTop-Manager in Österreich verdienen

so viel wie 41 ihrer MitarbeiterInnen.Die Spitzenmanager von ATX-Unter-nehmen verdienten durchschnittlich1,15 Millionen Euro im Jahr (2010).Das ist im Vergleich zum Vorjahr einsattes Plus von zwanzig Prozent, eineSteigerung, von der ArbeitnehmerIn-nen nur träumen können (und wasmich zur ausgesprochen unqualifizier-ten Äußerung „Was war eigentlichderen Leistung?“ – nicht jene derArbeitnehmerInnen, sondern jene derTop-Manager – hinreißen lässt). Aberauch anderen Führungskräften geht eseigentlich ganz gut. Eine durchschnitt-liche Führungskraft gingt 2010 mit186.200 Euro im Jahr nach Hause.Immerhin um fünf Prozent mehr alsnoch 2009. Auch von diesem Prozent-satz können ArbeitnehmerInnen nurträumen …

TEURES LEBENSeit 2009 und 2010 steigt die Infla-

tion wieder. 2011 werden die Preise fürGüter und Dienstleistungen um dreiProzent steigen, Güter des täglichen

Bedarfs weisen besonders hohe Preis-steigerungen auf. In den letzten sechsJahren sind laut AK die Preise für den„Tages- und Wocheneinkauf“ umachtzehn beziehungsweise einund-zwanzig Prozent gestiegen.

Hohe Preise für Güter des „täglichenBedarfs“ treffen natürlich vor allemeinkommensschwächere Gruppen, weildiese einen ungleich höheren Anteilihres Einkommens für derartige Güterund Dienstleistungen als einkommens-stärkere ArbeitnehmerInnen auf-bringen müssen:•So muss das einkommensschwächste

Zehntel aller Haushalte 62,5 Prozentihres Budgets für Energie, Wohnen,Ernährung und (alkoholfreie)Getränke ausgeben.

•Das „mittlere“ (5.) Zehntel schon nurnoch 41,8 Prozent.

•Das einkommensstärkste Zehntelüberhaupt nur noch 24,5 Prozent.

ARMUT UND REICHTUM488.000 Menschen (das sind sechs

Prozent der österreichischen Bevölke-rung) sind akut arm. Weitere rund500.000 Menschen sind aufgrundniedriger Einkommen (weniger als60 Prozent des Medianeinkommens,2009 sind das 994 Euro im Monat füreinen Ein-Personen-Haushalt) armuts-gefährdet. Armutsgefährdete Personenhaben in der Regel monatlich wenigerals 823 Euro zur Verfügung. 241.000Menschen sind trotz Arbeit arm. Runddie Hälfte von ihnen (rund 117.000Personen) sind dabei sogar ganzjährigVollzeit beschäftigt.

Wer von Armut spricht, darf vomReichtum nicht schweigen: 2010 gabes in Österreich 73.900 Euro-Millionär-Innen (um sieben Prozent mehr alsnoch 2009). Nicht nur die Millionäre,auch die dazugehörigen Millionen sindmehr geworden. Von 2009 bis 2010hat sich der „Reichtum“ der Millionär-Innen um 20 Milliarden Euro (+8 Pro-zent) auf 230 Milliarden Euro erhöht.Für 2012 wird den österreichischenMillionärInnen ein Vermögen von315 Milliarden Euro prognostiziert.

FORDERUNGEN DERARBEITERKAMMERAus den angeführten Zahlen, Daten

und Fakten zieht die Arbeiterkammer

folgende Schlüsse und daraus formu-lierte Forderungen (Auswahl):•Mindestlohn von 1300 Euro brutto,•Gleicher Lohn für gleich-

wertige Arbeit,•Deutliche Kaufkraftstärkung ins-

besondere niedriger Einkommen,•Begrenzung der steuerlichen

Absetzbarkeit von hohenManagergehältern,

•Bindung von Prämien an soziale,beschäftigungsrelevante undökologische Kriterien,

•Arbeitszeitverkürzung ohneEinkommensverlust und mitAusgleich beim Personal,

•korrekte Abgeltung und Abbau vonÜberstunden durch zum Beispielhöhere Zuschläge,

•Schluss mit kurzen Verfallsfristen vonAnsprüchen und von nachteiligen„All-In“-Regelungen,

•Erhöhung der Nettoersatzrate beimArbeitslosengeld auf 75 Prozent,Streichung der Anrechnung desPartnereinkommens bei derNotstandshilfe,

•Mindestsicherung auf existenz-sicherndem Niveau (deutlich überder Armutsschwelle bei 1031 Euro,zwölfmal jährlich),

•Bekämpfung der Scheinselbständig-keit durch Erweiterung des Arbeit-nehmerInnenbegriffs,

•volle arbeitsrechtliche Absicherungfreier DienstnehmerInnen (Mindest-lohn, Arbeitszeit, Urlaub etc.),

•Vermögenssteuer auf hohe Privatvermögen (ab siebenhundert-tausend beziehungsweise einerMillionen Euro),

•Börsenumsatzsteuer bis zurEinführung einer EU-weitenFinanztransaktionssteuer,

•deutlich niedrigerer Einstiegs-steuersatz bei der Lohnsteuer.

Linktipp: Broschüre „Gerechter Anteil amWohlstandszuwachs durch kräftige Lohn-und Gehaltserhöhungen – Aktuelle Datenzur Einkommens- und Vermögensverteilung“auf www.akooe.at.

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Die Unabhängigen GewerkschafterInnen im Öffentli-chen Dienst (UGöD) und die Österreichische Lehrer-Inneninitiative ÖLI/UG appellieren an die KollegIn-nen in allen Dienststellen und Betrieben, auf das Bil-dungsvolksbegehren hinzuweisen. Der WeltlehrerIn-nentag 2011 stand unter dem Motto „LehrerInnen fürGleichberechtigung“ – das gilt für LehrerInnen, wennes um Schulleitungsposten geht und ebenso für Schü-lerInnen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft,unabhängig von Muttersprache, Einkommen und Bil-dungsabschlüssen der Eltern. Das Bildungsvolksbe-gehren kann ein Impuls sein, bestehende Ungleich-heit im Bildungswesen zu überwinden und die verant-wortlichen PolitikerInnen in Regierung und Parlamentzur Abkehr von der herrschenden Ungleichbehand-lung und dem restriktiven Bildungsbudget des Finanz-rahmengesetzes zu bewegen: „Get up, stand up,stand up for your rights!” sang Bob Marley gegensoziales Unrecht. Für Unabhängige Gewerkschafter-Innen in Österreich heißt das: Für eine ausreichendund öffentlich finanzierte demokratische, sozial-inte-grative österreichische Schulreform aufstehen, von 3.bis 10. November aufs Gemeinde- oder Bezirksamtgehen und das Bildungsvolksbegehren unterschrei-ben. Jede und jeder persönlich. In echt.

Bildungsvolksbegehren vom 3. bis 10. November 2011 unterstützen

GLEICHBERECHTIGUNG, DAS MENSCHEN-

Diskussion in der UGBei den Unabhängigen GewerkschafterInnen, vor

allem bei denen in der GöD, hat es lebhafte Diskus-sionen über das Bildungsvolksbegehren gegeben.Wir wollten diese zusammenfassen und unserenStandpunkt dazu klären: Was will das Volksbegeh-ren, was wollen wir? Dazu gab es einen Diskussi-onsabend am 14. April 2011 im KIV-Club.

Falls ihr an einer besserenBildungssituation interessiert seid

Den Ignorierungsbemühungen der „Sparefrohs“zum Trotz sollten wir uns für die Aktivierung vonUnterstützungen des Bildungsvolksbegehrens etwaseinfallen lassen. Ausser Veranstaltungen fällt mireine weitere Möglichkeit ein, nämlich ein paar Tagevor dem 3. November eine Flut von Leserbriefen anerreichbare Medien zu schicken und damit Druck zumachen. Besonders die Samstagsausgaben davorwären recht gut geeignet. Ich werd zum Beipieletwa so schreiben: „Wenn wir auf ein Begehrenwarten, das alle unsere Wünsche nach Verbesserun-gen im Bildungswesen beinhaltet und nichts ent-hält, was uns nicht so gut vorkommt, dann wird sichgar nichts verbessern. Die jetzige Gelegenheit zurUnterzeichnung des Bildungsvolksbegehrens beiden Gemeindeämtern sollten wir alle wahrnehmen,um der Regierung zu demonstrieren, dass wir beider Benachteiligung der kommenden Generationennicht passiv zusehen, sondern rasch Verbesserungenerleben wollen. Hingehen und unterschreiben, vom3. bis zum 10. November!“. Bitte nicht wörtlichübernehmen, sondern selber formulieren :-)

Liebe Grüße, Wilfried Mayr, Lehrer und Gewerk-schafter

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– Weil das österreichische Schulsystemdie Gleichberechtigung aller Kinder undJugendlichen noch immer nicht gewähr-leistet!– Weil Herkunft und Status in hohemMaß Bildungschancen und Zukunft derin Österreich heranwachsenden jungenMenschen vorherbestimmen!– Weil individuelle Förderung in übervol-len Klassen und ohne StützlehrerInnen(zum Beispiel für nicht-deutschsprachigeKinder) nicht verwirklicht werden kann!– Weil universitäre wie praktischeAusbildung aller LehrerInnen für alleSchulstufen und Schultypen und auchfür KindergartenpädagogInnen immernoch fehlt!– Weil ein gemeinsames demokratischesDienstrecht aller LehrerInnen und attrak-tive Einstiegsgehälter notwendig undüberfällig sind!– Weil Österreich ein reiches Land ist,und Bildungsinvestitionen für jede undjeden und für die Gesellschaft als Gan-zes notwendige und dazu noch krisensi-chere Zukunftsinvestitionen sind!

RECHT AUF BILDUNG

Demokratische Mitbestimmung undausreichende Budgetmittel

Die Unterstützung des Bildungsvolksbegehrensdurch die UGöd schließt Kritik am vorliegenden Textnicht aus: Die Unabhängigen GewerkschafterInnenverbinden daher ihre Zustimmung mit der explizitenForderung nach demokratischen Mitbestimmungsrech-ten der Eltern, SchülerInnen, PädagogInnen, der Leh-renden und Studierenden und nach ausreichenderFinanzierung aller Bildungseinrichtungen durch dieöffentliche Hand. Schulautonomie verstehen wir alsverstärkte Mitbestimmung der an den SchulenBeschäftigten, der LehrerInnen, SchülerInnen, Elternauf Basís einer ausreichenden Budgetierung der Schu-len und Kindergärten durch die öffentliche Hand ist.Das gilt auch für die finanziell ausgehungerten Uni-versitäten: Sie brauchen eine drastische Aufstockungder öffentlichen Mittel und die 2002 abgeschafftenMitbestimmungsrechte der Lehrenden und Studieren-den. Autoritäre Mangelbewirtschaftung durch „auto-nome“ Rektoren und das Diktat der markt-abhängigenDrittmittelbeschaffung auf Kosten des universitärenBildungs- und Forschungsauftrages müssen überwun-den werden. Es geht um das Menschenrecht auf Bil-dung für alle, unabhängig von ihrer sozialen Stellung,ihrer Herkunft, von Geschlecht oder Religion. Es gehtum die Zukunft der Kinder und Jugendlichen, um ihreChancen auf Teilhabe am österreichischen und EUro-päischen Arbeitsmarkt sowie am wirtschaftlichen, poli-tischen und kulturellen Leben.

Her mit den BildungsmilliardenDie Unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB und in

der GÖD treten nicht erst seit den von der Regierung raschbereitgestellten Bankenpaketen für ein Konjunkturpaket Bil-dung, Soziales und öffentliche Dienste ein. Bildung kostet.Österreich ist ein reiches Land, nur muss der Reichtum allenMenschen, allen Kindern, die hier leben, zugute kommen.Kindergärten, Schulen und Universitäten sind chronischunterfinanziert. Bildungsinvestitionen schaffen Arbeitsplätzeund sind Investitionen für eine bessere, menschenfreundli-chere Zukunft, nicht nur in Österreich.

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Unabhängige Personalvertretung im Öffentlichen Dienst und im Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport.

Von Ingo Hackl.

UND ES GIBT SIE DOCH

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WIE ALLES BEGANNMan schrieb das Jahr 2008. Es war

das Jahr vor der großen Wahl (Bundes-personalvertretungswahlen), und eswar das Jahr, in dem alles begann.Einer dachte sich, so kann es nicht wei-tergehen, in der Personalvertretungmuss sich was ändern. Rot, schwarz,blau. Da muss es doch noch etwasgeben. Etwas, das besser ist; etwas, dasanders ist; etwas, bei dem der Mensch(in diesem Fall die Bediensteten imÖffentlichen Dienst) im Mittelpunktsteht. Auf den ersten Blick war danichts, was wirklich attraktiv oder inte-ressant gewesen wäre. Die Suche nachAlternativen begann.

WOHIN SICH WENDENEine Telefonnummer ist zwar schnell

gewählt, aber der Weg zu dieser Tele-fonnummer ist mitunter oft lang. Undmanchmal braucht es auch Umwege.Um am Ziel anzukommen, muss manmitunter ein paar Schritte zurückge-hen, um einen einzigen Schritt voran-

zukommen. So landete ich im erstenAnsatz bei den Grünen:•Interesse: ja•Unterstützung: jein•Organisationsstruktur: nein

Aber über diesen Umweg erhielt ichden entscheidenden Hinweis, dass esda noch etwas gibt, das das Richtigesein könnte. Und dieses Etwas fandsich im Kreis der UnabhängigenGewerkschaften. Eine (gar nicht so)kleine, feine, bunte Truppe – Die Unab-hängigen GewerkschafterInnen imÖffentlichen Dienst und Ausgeglie-derte (UGÖD).

DER ERSTE KONTAKTWieder ein Anruf. Wieder ein Tref-

fen. Bin ich jetzt hier richtig oder dochwieder falsch? Skepsis meinerseits undSkepsis seitens der UGÖD. Jemand vonder Landesverteidigung? Hm, ein ziem-licher Exote. Bestimmt ein Militaristoder doch nur ein Militär oder …? Aberes passte. Die Ideen passten, die Per-sonen passten und die Überzeugungpasste. Freude seitens der UGÖD,Freude meinerseits. Man sagte mir,dass es im Bereich des Bundesministe-riums für Landesverteidigung undSport noch keine UGÖD-Vertretunggebe. Absichtserklärungen hatte esschon von einigen gegeben, dieUmsetzung war jedoch nie zustande-gekommen. Sollte hier nun tatsächlichjemanden sein, der es wirklich in dieHand nehmen will? Oh ja, das wollteich, damit begann das Laufen undKämpfen.

DER WAHLKAMPFFormulare, Bürokratie, viele und

lange Wege, MitstreiterInnen suchen,eine Struktur schaffen. Im Bereich derLandesverteidigung achtet man Men-schen, die einen aussichtslosen Kampfaufnehmen und für eine Sache eintre-ten. Darum gelang es wohl, nach vie-len, vielen Gesprächen mit KollegInnenan einigen Dienststellen in Wien,genügend Unterstützungsunterschrif-ten zu sammeln, um regional (aufDienststellenebene) und österreichweit(Zentralausschussebene) als eigeneListe bei der Personalvertretungswahlantreten zu können. Allein diese über-wiegend konstruktiven und vielfachberührenden Gespräche wären esschon wert gewesen, die Mühe auf sichzu nehmen. Dass es dann tatsächlichauch noch gelang, kandidieren zu kön-nen, war eine überraschende, aber sehrschöne Erfahrung. Es ging aber nichtnur darum, Unterstützungsunterschrif-ten zu bekommen, sondern auch, Mit-streiterInnen zu begeistern. Interes-sierte gab es einige, auch so mancheZusagen, doch letztendlich kam allender Mut, sich der Wahl als Kandidat zustellen, wieder abhanden (Kandidatingab es keine). Hieß das nun alleingegen den Rest der Welt? Ob das über-haupt gut gehen kann? Egal, dielängste Reise beginnt mit dem erstenSchritt. Plötzlich fand sich doch einzweiter. Ihm missfiel der Gedanke,mich allein auf die Schlachtbank zuschicken, und er sagte spontan zu, mit-zumachen.

Ingo Hackl ist Mitglied imDienststellenausschussdes BMLVS, im UGÖD-Bundesvorstand undim Koordinations-ausschuss derUnabhängigen -GewerkschafterInnen.

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DER WAHLTAG KAM NÄHER„Unabhängig – Konkret – Kompe-

tent“ waren unsere Schlageworte. DasEinstehen für eine transparente Infor-mationspolitik; das Garantieren einersachorientierten Interessensvertretungund faire aber harte Verhandlungenmit der Dienstgeberseite waren dieHauptansätze. Die Stimmen flossen fürdie anderen, für uns tröpfelten sie.Nach der Auszählung wurde klar:Österreichweit gab es zu wenige, aberan der Dienststelle hatten wir tatsäch-lich ein Mandat erreicht.

DIE ZEIT DANACHDie Aufregung bundesheerintern

und auch extern war groß. Nie hätteman sich im Ernst gedacht, dass einegrün-affine, unabhängige Gruppierunges schaffen könnte, in der altehrwürdi-gen Landesverteidigung mehr als einpaar Sympathisanten zu finden. Unswurde gratuliert und gleichzeitig Bei-leid gewünscht. Viele, denen wir alsPersonen am Herzen lagen, fürchteten,dass wir nun von den alten Macht-strukturen entsprechend gegängeltund zerrieben werden würden, wennwir tatsächlich versuchten, unsereAnkündigungen wahr zu machen. Nunbegann also der „Ernst des Lebens“,nämlich die Arbeit als Personalvertre-ter. Anfänglich wurde mir als Kleinfrak-tion noch Misstrauen und Unsicherheitentgegengebracht. Es dauerte ein biss-chen, bis den Gegenübern klar wurde,dass es mir nicht um Rebellion um derRebellion wegen ging, sondern darum,die Interessen der Bediensteten so gutwie möglich zu vertreten und dabei,wenn es sein musste, auch die ausge-tretenen Wege zu verlassen. Von Sit-zung zu Sitzung, von Verhandlung zuVerhandlung zollte man mir mehr undmehr Respekt, erkannte an, dass ichlösungsorientiert arbeitete ohne zuapportieren, wenn der Dienstgeber ver-suchte „Bring“ zu rufen. Ohne mich zuducken, wenn …

Den wohlwollenden und auch nichtso wohlwollenden Unkenrufern zumTrotz trat nichts von dem ein, wasmensch vorab prophezeit hatte: KeinAusgestoßen-, kein „Fertig-gemacht-werden“, kein Spott, kein Hohn. Son-dern zunehmend Zusammenarbeit,

Akzeptanz, Respekt und Zusammenhaltim Kollegialorgan Dienststellenaus-schuss. Ganz im Sinne einer Personal-vertretung für alle, die Unterstützungbrauchen.

ALLTAGEs war erstaunlich, wie schnell auch

das Feuer „alter“ Personalvertreter-Innen, dass im Laufe vieler Jahren desAuflehnens und Bemühens zu einer lei-sen Glut zusammengeschrumpft war,durch den frischen Wind, den man mitEinsatzbereitschaft, Entschlossenheitund neuen Ideen mitbringt, wieder ent-facht werden kann. Plötzlich war eswieder möglich, mit neuer Energieauch gegen alte Wände (wieder) anzu-rennen. Einige begannen tatsächlich zubröckeln, einige fielen sogar.

ERFOLG?Das große „Problem“ in der Personal-

vertretungsarbeit ist es, dass man, weilder Verschwiegenheit verpflichtet,Erfolge für Bedienstete nicht lauthalsverkünden kann. Nur die Betroffenenselbst könnten darüber berichten. Ofthandelt es sich aber auch um Angele-genheiten, die tief in den persönlichenBereich hineinreichen, weswegenÖffentlichkeit gern vermieden wird. AlsPersonalvertreterIn kann man stolzdarauf sein, sich darüber freuen. Aberhausieren geht man damit selbstver-ständlich nicht. Fest steht: Menschkann einiges bewegen.

WIE GEHT ES WEITER?In den eineinhalb Jahren meiner

Tätigkeit erhielt ich viele positive Rück-meldungen von KollegInnen, die mitihren Anliegen zu mir kamen. Oft wares möglich, zu einem Einvernehmenmit der Dienstgeberseite zu kommen.Aber auch dort, wo dies nicht imgewünschten Maß erreicht werdenkonnte, wurde als wohltuend empfun-

den, dass sich jemand der Sacheannimmt, sich einsetzt und ein offenesOhr hat. Natürlich gab es auch kriti-sche Stimmen. Diejenigen, die sich dengroßen Umbruch erwartet hatten, michals den Cowboy gesehen hatten, derwild um sich schießend alles niedermä-hen würde. Diejenigen musste ich lei-der enttäuschen.

Ein Mensch allein kann zwar vielbewegen, aber nicht die Welt aus denAngeln heben. Außerdem ist nach mei-nem Verständnis „einen Kampf aufzu-nehmen“ nicht gleichbedeutend mit„Amok zu laufen“. Erwartungen, dasssich alles auf einen Schlag ändernwürde, konnten nicht erfüllt werdenund können wohl nirgendwo erfülltwerden, wo auf ein respektvolles undwertschätzendes Klima abgezielt wird.Wenn nun schon einer so einigesbewegen kann – wieviel mehr könntewohl erreicht werden, wenn sich an vie-len Dienststellen engagierte, mutige,hartnäckige Leute finden, die sichgemeinsam anschicken, etwas zubewegen?

DIE ZUKUNFT2014 sind die nächsten Wahlen, die

Basis der unabhängigen, kompetentenInteressensvertretung der Bedienstetenmuss eine breitere werden. Es darfnicht auf eine Dienststelle, nicht aufein Bundesland beschränkt bleiben.Drei Jahre sind kurz, sehr kurz. In ersterLinie bedarf es engagierter Menschen,die willens sind, sich für ihre Kolleg-Innen im Rahmen der Personalvertre-tung einzusetzen. Und es braucht Koor-dination und Organisation von Interes-sierten, um in der Zusammenarbeit dienotwendige Stärke zu entwickeln undgemeinsam laut genug zu werden,damit man uns nicht überhören kann.Man muss nicht auf die Pensionierungwarten, um seine innere Ruhe wieder-zufinden. Für Verbesserungen einzutre-ten, bringt sofort spürbare Erleichte-rung ;-)

Wenn Du an einer Mitarbeit interessiert bistund eine Fraktion im Rahmen der UGÖDgründen willst und im Bereich des BMLVStätig bist, dann melde Dich einfach:[email protected].

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GdG-KMSfB: Der Gewerkschaftstag 2011 fand Ende September statt.

Von Thomas Kerschbaum.

WAHLEN: BITTEMÖGLICHST SELTEN

ES

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gibt sicher spannendere Themen inder Gewerkschaftsarbeit als dieGeschäftsordnung der „Gewerkschaftder Gemeindebediensteten – Kunst,Medien, Sport, freie Berufe“ (GdG-KMSfB). Wie alle anderen Gewerk-schaften des ÖGB muss sich auch dieGdG-KMSfB als Teil des Vereins ÖGBeine Geschäftsordnung geben, die aufden Statuten des ÖGB aufsetzt. DieseGeschäftsordnung ist die Verfassungder Gewerkschaft und regelt auch dieRechte der Mitglieder und die Funkti-onsweise der Organisation.

Ja, sicher. Die KIV/UG ist nervig.Besonders auf einer Gewerkschaftskon-ferenz. Die KIV/UG überlegt sichAnträge und auch ein paar (demokrati-sche) Änderungen für die Geschäfts-ordnung der GdG-KMSfB. Die KIV/UGist mittlerweile die dritte Bundesfrak-tion, denn natürlich gibt es auch eineRegelung zur Anerkennung von Frak-tionen in der Geschäftsordnung. Dasswir nervig sind, sagen immer wiederDelegierte und FunktionärInnen der

Fraktion Sozialdemokratischer Gewerk-schafterInnen (FSG/SPÖ) und manch-mal auch der Fraktion ChristlicherGewerkschafter (FCG/ÖAAB/ÖVP).Denn über Anträge diskutieren undabstimmen kostet Zeit und die könnteman ja auch mit schöneren Dingen,zum Beispiel einem Referat des SPÖ-Bürgermeisters oder einem Besuch imSchweizerhaus, verbringen. Diesmalhat es uns ein FSG-Delegierter ausKärnten gesagt. Er hat mich auch per-sönlich angesprochen (also, ich binbesonders nervig), aber leider kenneich ihn nicht, durch besonderes Enga-gement in der Gewerkschaft ist ernicht aufgefallen, aber sicher bei denFreizeitaktivitäten der FSG-KollegInnen.

Ein kleine Geschichte, die ein wenigdie Stimmung auf diesem Gewerk-schaftstag der GdG-KMSfB darstellt: ImVorfeld wollte die FSG-Führung die Dis-kussion über Anträge so kurz und kleinwie möglich halten. Es soll insbeson-dere für die Medien und für die SPÖ-Führung gezeigt werden, diese FSG-Führung hat die Gewerkschaft im Griffund sagt, wo es lang geht. So wurdenvon einer Antragsprüfungskommissionin bewährter Weise völlig abgehobenund befreit von demokratischen Über-legungen so genannte Leitanträge desBundesvorstands erstellt. Eine wenigsystematische Sammlung von Forde-rungen, die selbst für altgedienteGewerkschaftsfunktionärInnen schwerzu lesen ist. Die MinderheitsfraktionenFCG und KIV wurden aufgefordert,

möglichst keine eigenen Anträge zustellen. Der kleinste Nenner unter derFührung der FSG-Führung ist nochimmer der beste Nenner und erspartuns Zeit für lästige Diskussion undAbstimmungen. So blieben den Dele-gierten auch nur zwei Stunden amEnde des Gewerkschaftstages, der auseinem Tag Fraktionskonferenz undeinem Tag allgemeiner Konferenzbestanden hat, um über das inhaltlicheProgramm der Gewerkschaft zu redenund abzustimmen. Nun hat für die FSGund die FCG die Antragsprüfungskom-mission eine wichtige Rolle: DieseKommission (besetzt nach den Mehr-heitsverhältnissen in der Gewerkschaft)gibt auch Empfehlungen, wie denn dieDelegierten abstimmen sollten. Daserspart Zeit, vor allem für das Durchle-sen und Nachdenken. Die KIV war ner-vig: Wir haben Anträge gestellt – undauch Abänderungsanträge für dieGeschäftsordnung – und wir habenuns zu Wort gemeldet. Eh kurz, damites nicht zu schwierig wird.

Kurz: Die Anträge der KIV/UG wur-den erstaunlich oft auch von den Frak-tionen FSG und FCG, die immergeschlossen abgestimmt haben, ange-nommen. Aber bei den wichtigengewerkschaftspolitischen und vorallem inner-organisatorischen Anträ-gen der KIV gab es Zuweisungen oderAblehnungen. Wobei die Diskussionüber die Geschäftsordnung interessantwar: Wie kann man die FunktionärIn-nen der FSG und FCG zum Reden brin-

Thomas Kerschbaumist KIV-Personal-vertreter in Wien.

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gen? Genau. Man stellt Anträge zurGeschäftsordnung. Die KIV/UG forderteine Demokratisierung und Öffnungder Gewerkschaft. Solche Anträgehaben wir gestellt und prompt diegeschlossene Ablehnung der Partei-fraktionen bekommen. Selber schuld.Aber auch wenn die Wortmeldungenmancher Partei-Gewerkschaftsfunktio-närInnen nur mit viel Zynismus zuertragen sind, es ist natürlich wiedereinmal tragisch für die Gewerkschafts-bewegung, dass auch nur die kleinsteDemokratisierung so einen geschlosse-nen Widerstand der FSG/FCG-Funktio-närInnen hervorruft.

Dazu ein Beispiel: Die Führungen derGewerkschaften GdG-KMSfB und GÖD(schön verteilt auf SPÖ und ÖVP) wol-len die Funktionsdauer im ÖGB und inden Gewerkschaften auf fünf Jahre ver-längern und die Gewerkschaftskonfe-renzen nur alle fünf Jahre abhalten.Geld soll das sparen und für die Stabi-lität der Gewerkschaft ist es auch gut,sagen zum Beispiel der Vorsitzende derGdG-KMSfB (Landtagsabgeordneterder SPÖ in Wien) und der Vorsitzendeder GÖD (ÖVP-Abgeordneter im Natio-nalrat). Nun, jedenfalls ist es gesetzlichnicht möglich: Der ÖGB und damitauch die Gewerkschaften als Teildavon sind ein Verein und 2002 wurdedas Vereinsgesetz so geändert, dassjetzt zwingend eine Mitglieder- bezie-hungsweise Delegiertenversammlungalle vier Jahre abzuhalten ist. Warumfordern die Führungen der anderen

Gewerkschaften des ÖGB das nicht?Ganz einfach: In der GdG-KMSfB gibtes tatsächlich Wahlen (und mit derneuen Geschäftsordnung in allen Lan-desgruppen), die die Zusammenset-zung der Organe und Gremien derGewerkschaft bestimmen. In der GÖDgibt es zumindest noch ein Umlagever-fahren, das das Ergebnis der Wahlender betrieblichen Interessenvertretungmehr oder weniger demokratischwiderspiegelt. Wahlen sind ein zentra-les Element der Demokratie – beson-ders wichtig für Gewerkschaften.

Die KIV/UG stellte den Antrag,diese Bestimmungen, dass die Funkti-onsperiode auf fünf Jahre ausgedehntwerden kann, aus der Geschäftsord-nung zu nehmen, nicht nur, weil dasnicht dem Vereinsgesetz 2002 ent-spricht, sondern weil die Ausdehnungder Funktionsperiode weniger Wahlbedeutet, ein zutiefst undemokrati-scher Akt. Die Berufung der FSG/FCG-ÖAAB auf die Arbeiterkammer mit derfünf-jährigen Wahlperiode macht dieSache nicht besser und legt vielmehrden Finger auf eine großes Problem derösterreichischen Gewerkschaftsbewe-gung: Es gibt keine Demokratie, nur ineiner einzigen Gewerkschaft richtigeWahlen – und damit haben die Partei-fraktionen auch ihre liebe Mühe.

Ja, ist es nicht furchtbar, dass dieschwarz-blaue Regierung kommenmusste, um ein paar Demokratisie-rungsschritte für die Gewerkschaftenzu bringen: Zum Beispiel das passive

Wahlrecht für alle – egal welche Staats-bürgerschaft – bei Arbeiterkammerund Betriebsrat oder auch die Verände-rung des Vereinsrechts.

Wenn schon Wahlen, dann möglichstselten … Dieses Motto der Parteifrak-tionen bezieht sich ja nicht nur auf dieWahlen in der Gewerkschaft, sondernspiegelt ihr ganzes Verständnis vonGewerkschaft wider. Die Geschäftsord-nung dient der SPÖVP-Gewerkschafts-führung dazu, möglichst viele bürokra-tischen Hürden für Mitglieder aufzutür-men, um überhaupt in Organe undGremien zu kommen, die in irgendeinerWeise Entscheidungen für die Gewerk-schaft treffen können. Kontrolle, Stabi-lität, Ruhe, Abhängigkeit von Staatund Partei – diese Sammlung vonBegriffen, die mir zur Politik derFSG/FCG-ÖAAB-Führung der Gewerk-schaften einfallen, ließe sich sichernoch erweitern. Was tun? Jeder nochso gut gemeinte Aufruf, dass dieGewerkschaften doch endlich kämpfenmüssen und in den Betrieben Aktions-komitees und wer weiß, was noch allesmachen müssten, ist angesichts dieserinner-gewerkschaftlichen Machtver-hältnisse wohl etwas naiv. So manchelinke Gruppe verteilt und verkauft jaunermüdlich Zeitungen und politischesWerbematerial. Das mag vielleicht einpaar Spenden bringen, aber sicherkeine Veränderung in den Gewerk-schaften. So mühsam es klingt: Es gibt

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Bitte umblättern

KIV-KonferenzIm Rahmen des Gewerkschaftstagesder GdG-KMSfB.

Der 28. September war den Fraktionengewidmet. Zur KIV-Konferenz kamen überhundert KIVlerInnen und Gäste. Gruss-worte und Abschiede säumten den Wegdurch Organizing und Vernetzung. Vor-mittags ein Referat von Kollegen Viotl(vida) über das Organisieren von gewerk-schaftlichem Widerstand (mit den Kolleg-Innen, nicht für die KollegInnen, Anset-zen bei deren Bedürfnissen), Nachmittagseine Podiumsdiskussion mit KollegInnenaus Berufsverbänden und oder grosserErfahrung. Ein abwechslungsreicher Tag.

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nur diese eine Gewerkschaft und es istauch keine große Verschwörung derFührung, dass die Gewerkschaft soaussieht. Es ist der Zustand der öster-reichischen ArbeiterInnen- undGewerkschaftsbewegung. In diesenZeiten der großen Veränderungen undauch der vielen Protestwellen, die überEuropa hinweg gehen, wird es sicher

auch Veränderungen in den österrei-chischen Gewerkschaften geben. DerDruck der Basis, auch die Gewerk-schaftsaustritte, die politische undorganisatorische Schwäche derGewerkschaften und auch die Verbin-dung mit den politischen Parteien –wir werden sehen, dass auch dieGewerkschaftslandschaft in ein paar

Jahren anders aussehen wird. DieÖffentlichkeit war zum Beispiel sehrüber das Auftreten der GewerkschaftPro-Ge vor den Lohnverhandlungenerstaunt, aber die Führung reagiert nurauf den wachsenden Ärger und dieWut der Beschäftigten, die endlich einkämpferisches Auftreten der Gewerk-schaften fordern.

Bei allem Verständnis für die vielenDiskussionen über den innerenZustand der Gewerkschaften, dasLeben spielt sich draußen ab und wirhaben die Aufgabe, eine neue Gewerk-schaft aufzubauen. Die Situation inÖsterreich müssen wir anerkennen,damit wir nicht mit sinnlosen Aufrufenan die Gewerkschaftsführung oderWünschen nach einer ganz neuenGewerkschaft Zeit verlieren. DieGewerkschaft ist keine normale NGOund auch keine Partei, die einmal kurzneu gegründet wird. Wir müssen daansetzen, was es wirklich an Gewerk-schaft gibt und in- und außerhalb desÖGB und den Gewerkschaften unsereVorstellungen für eine Demokratisie-rung und für eine Veränderung derGewerkschaftspolitik werben undkämpfen. Auch wenn es nicht derdirekte Weg ist, aber es ist der einzige,der auch das Denken und die Haltungder Gewerkschaften gesamt ändert.Wir brauchen in jeder Gewerkschaftrichtige Wahlen, aber ohne bürokrati-sche Hürden. Wahlen und vor allem dieKandidatur und der Wahlkampf brin-gen Bewegung – nicht nur organisato-risch, sondern auch im Denken und inder Verantwortung gegenüber derZukunft der Gewerkschaftsbewegung.Und diese Verantwortung schließt ein,dass keine abgehobenen Aufrufe „andie Gewerkschaft“ etwas bringen, son-dern nur das konkrete Engagement inder betrieblichen Interessenvertretungund in den Gewerkschaften. Auchwenn es mühsam ist, wie beim Bundes-kongress der GdG-KMSfB.

Informationen über und zum Gewerkschafts-tag unter www.kiv.at.

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Gewerkschaftstag der GdG-KMSfB:

Subjektive Eindrücke

VON IRMGARD SLOVACEK.Zweieinhalb Tage lang trafen im Austria Center einanderhunderte Delegierte und Gastdelegierte, Ehrengäste aus derPolitik und Wirtschafts-PartnerInnen der GdG-KMSfB. Wirwurden von Vortragenden und GastrednerInnen („Einfache“Mitglieder über den Sozialminister bis zum Bundespräsiden-ten persönlich) auf gemeinsames Handeln, kämpferische Soli-darität und beherztes Tun für die Anliegen der KollegInnen

(auch bei den anstehenden Gehalts-Verhandlungen!) eingeschworen. Zwei-einhalb Tage schien es, als würde auch der letzte Winkel im eckenreichenKongresscenter vom Hauch des Aufbruchs durchzogen.

Zweieinhalb Tage dichtes Programm, welches leider die notwendige Zeit fürüberfraktionelle Diskussionen nicht inkludierte, obwohl die Tagesordnungdarauf hindeutete. Dies ist generell bedauernswert, im Fall der unterschiedli-chen Meinungen zu Anträgen oder zur Geschäftsordnung (Verlängerung derFunktionszeit auf fünf Jahre) im Besonderen. „Mit euren Anträgen wird jedeSitzung sinnlos in die Länge gezogen … Wir sind damit überfordert!“ (= Wort-spenden aus der Antrags-Diskussion am Podium des Austria Centers).

Danke für soviel Selbstoffenbarung (Einzelmeinungen?)! Jetzt wird mir soeiniges klar:• Warum Anträge der KIV abgeschmettert werden, obwohl der Text voll-

inhaltlich mit dem Sozialstaat-Volksbegehren (von Bundes- auf Lan-desebene transferiert) ident ist;

• Warum Anträge unserer Fraktion scheinbar als „Majestäts-Beleidi-gung“ aufgenommen werden;

• Warum in der Tagesordnung verankerte Diskussionen als unnötigerachtet werden;

• Warum Selbständiges Denken und Handeln ohne Fraktionszwang alsBedrohung angesehen werden …

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eim Gewerkschaftstag derGdg-KMSfB gab es einen für

den Bereich der Pflege sehrinteressanten Antrag eines Kolle-

gen von der FSG. Ziel seines Antrageswar die Gleichstellung des gehobenenDienstes für Gesundheits- und Kran-kenpflege mit den KollegInnen imHebammenbereich. Hier ist Maturani-veau eine notwendige Zugangsvoraus-setzung. Der Kollegebrachte zahlreicheArgumente in seinerWortmeldung. Er wiesauf die wesentlich bes-seren Berufsentwick-lungen von Bereichenhin, die sich unmittel-bar aus dem Pflegebe-reich heraus entwickelthaben. Er wies darauf hin, dass Kolle-gInnen, die zuvor bereits eine Maturaabsolviert hatten, die Pflegeausbildungmit überwiegender Mehrheit positivabschließen würden, während die DropOut-Quote bei den anderen KollegIn-nen sehr hoch sei. Er wies darauf hin,dass die Attraktivität des Berufsstan-des damit steigen würde. Alles Argu-mente, die eine Gewerkschaft unter-stützen müsste, habe ich wie selbstver-ständlich angenommen. Noch dazu ineinem sensiblen Berufsbereich: Hierarbeiten achtzig Prozent Frauen ineinem Bereich mit nicht zu unterschät-zender gesellschaftspolitischer Rele-vanz. Sie betreuen und unterstütztendie Menschen in den zumeist schwieri-gen Situationen in ihrem Leben.

Nun ja, die GdG-KMSfB sieht dasoffensichtlich anders, sie hat denAntrag abgelehnt. Nicht ohne wortrei-che, wenn auch argumentativ schwa-che Begründungen anzuführen. EineKollegin von der FSG, beruflich alsLehrschwester tätig, meldete sich zuWort. Sie habe zwar selbst die Matura,aber letztendlich sei ihr alles für denPflegebereich relevante in der Pflege-ausbildung vermittelt worden. Unddann noch die übliche Portion Zweck-rationalismus. Wie sollen wir den aus-reichend Personal bekommen bezie-

hungsweise behalten, wenn wir auchnoch die Zugangvoraussetzungen ver-

schärfen, fauchtedie Kollegin vollingrimmigen Zornob dieser Zumu-tung ins Mikro.Die Wortmeldun-gen der Kolleginhaben sich vor-dergründig durcheine naive Arro-

ganz ausgezeichnet, hintergründig hatsie die fehlende inhaltliche Schlagkraftihrer Argumente durch breit zur Schaugestellten Emotionen übertüncht. Mitentsprechendem Erfolg beim „Publi-kum“: Tosender Applaus im Saal.

Meine erste Reaktion auf dieses son-derbare Schauspiel war Zorn. Ich warzornig über die Arroganz der Rednerin,die meint, obwohl sie selbst das Privi-leg hatte, die Matura zu absolvierenfür andere beurteilen zu müssen, wasfür sie notwendig ist oder nicht. Ichhatte zum Zeitpunkt meiner Pflegeaus-bildung noch keine Matura und icherinnere mich noch genau an dasGefühl, dass ich beispielsweise beimLernen der Pharmazie hatte. Ohne jeg-liche Grundkenntnisse in Chemie wirddie Lernende auf die Rolle eines Papa-geis reduziert. Und dabei fühlt sich dieLernende, die Lerninhalte verstehenmöchte, klein und dumm. Ich war auchzornig darüber, dass sie sich der Dis-kussion auf eine derart plumpe Art ein-fach entziehen konnte. Warum habenvergleichsweise Berufsfelder wie bei-spielsweise Ergotherapie oder Physio-therapie keine Rekrutierungsprobleme?Warum sind die Arbeitsbedingungendort in der Regel besser als im Pflege-bereich? Warum ist in diesen Bereichenzumeist auch die Bezahlung besser?

Diese Fragen hat der Kollege in Vertei-digung seines Antrages aufgeworfenund sie wurden in den Wortmeldungenweder diskutiert, geschweige dennbeantwortet.

Die Absolvierung einer Matura wirdnicht alle Probleme lösen (vor allemnicht die intern hausgemachten) undsie ausschließlich als Zugangsvoraus-setzung für die Tätigkeit im Pflegebe-reich zu etablieren, ist für die jüngerenKollegInnen weder realistisch nochsinnvoll. Ihnen im Rahmen der Pflege-ausbildung die Option zur Matura zubieten, etwa in einem modularen Sys-tem, halte ich für den besseren Weg.

Was würde ein breiteres Allgemein-wissen für Frauen im Gesundheitsbe-reich bedeuten:•Gesellschaftskritisches Denken wird

gestärkt•Manche Ausbildungsinhalte können

besser antizipiert werden•Die gesellschaftspolitische Teilhabe

verbessert sich•Das Selbstbewusstsein wird gestärkt.

Dass viele PolitikerInnen und somanche Lehrende im Pflegebereich beider Vorstellung von selbstbewusstenund kritischen ArbeitnehmerInnenUnbehagen überkommt, verstehe ichja. Aber bis zu diesem Gewerkschafts-tag habe ich in der Überzeugunggelebt, dass genau das wesentlichesZiel einer Gewerkschaftsbewegung seinmüsste. Aber da habe ich mich wohletwas getäuscht. Und die Tatsache,dass ich einer Berufsgruppe angehöre,in der es zwar nicht möglich ist, eineMatura abzuschließen, aber gleichzei-tig bestimmte Ausbildungsinhalte eineMatura voraussetzen, erinnert michwohl nur irrtümlich an die BürgerInnenvon Schilda.

Und meine Gedanken, dass dieGewerkschaft diesen Antrag aus deneigenen Reihen deshalb abgelehnt hat,weil sie sich bessere Gehaltsabschlüssefür den Pflegebereich nicht zutrautbeziehungsweise auch nicht für not-wendig befindet, sind vermutlich ersteAnzeichen von Paranoia.

Sonja Müller ist Dipl. Gesundheits- und Kran-kenschwester und Betriebsrats-Vorsitzendeder Pflege- und Betreuungsdienste GmbH(Fonds Soziales Wien).

VERKEHRTE WELT

Mehr Bildung in der Pflege:

Eine Diskussion in der FSG

am Gewerkschaftstag.

Von Sonja Müllner.

B

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orruption, Gerichtsverhand-lung, dubiose private Firmen,

viele hundert LeiharbeiterIn-nen, unsichere Beschäftigungsver-

hältnisse, geschobene Ausschreibun-gen und Vergaben … Es gibt vieleGründe, warum die Privatisierung derReinigung im Allgemeinen Kranken-haus der Stadt Wien (AKH-Wien) gründlich gescheitertist. Wie viel Geld tatsächlichin diese Privatisierung geflos-sen ist, wird wohl kaum fest-stellbar sein. Was nicht seindarf, darf eben nicht sein –und so wird auch die Privati-sierung vom Managementund der rot-grünen Regierungnicht in Frage gestellt. Undwenn die rot-grüne Stadtregie-rung privatisieren will, dannwill sie eben privatisieren. Esist höchste Zeit, dass endlichdie Gewerkschaft einenSchlusspunkt unter diese For-men der Privatisierung setzt –und wenn es sein muss mitkräftigen Kampfmaßnahmen.

EH ALLES IN ORDNUNGEs ist ja nicht so, das nichts in der

Öffentlichhkeit bekannt ist: Fast jedenTag erscheinen Artikel in den Zeitun-gen, die von unglaublichen Vorgängenim Krankenanstaltenverbund berich-ten. Es ist obszön und ein wirklicherSkandal, dass die rot-grüne Stadtregie-rung so tut, als ob mit dem Manage-ment und der Unternehmenspolitik ehalles in Ordnung sei. Nichts ist in Ord-nung: Die Gesundheitskampagne derGewerkschaft im KAV (Hauptgruppe 2)zeigt auf, dass die Bediensteten unterDruck stehen – und Schuld ist dieUnternehmenspolitik.

Das Management des Wiener Kran-kenanstaltenverbundes (KAV), derrechtlich eine Unternehmung der StadtWien ist, beschäftigt über 30.000Bedienstete der Stadt Wien. AberManagement und rot-grüne Stadtregie-

rung wollen weiter privatisieren undDienstleistungen in den Spitälern undGeriatriezentren an private Firmen ver-geben – ein so genanntes out sour-cing, eine Auslagerungen von Dienst-leistungen für die Erbringung der Leis-tung unserer Einrichtungen.

„NEIN“ ZU PRIVATISIERUNGUND LEIHARBEITSo zum Beispiel die Reinigung, wie

im AKH Wien; geplant sind auch diePrivatisierung der Zentralsterilisationund der Küchen. Und das KAV-Management und die rot-grüne Stadt-regierung lassen sich auch nichtabbringen von den Privatisierungen,auch wenn viel Geld in den Sandgesetzt wird, die Menschen die sichereBeschäftigung und sichere Löhne ver-lieren, auch wenn Korruption undBegünstigung im Spiel ist. Selbst dieAusschreibung wird durch Dritte vorge-

nommen, das kostet eben. Und dannkommt noch der Profit für die Privatun-ternehmen dazu. Und dann soll esauch noch billiger sein, als die Beschäf-tigung der Stadt Wien-Bediensteten.Und: Die meisten Beschäftigten derReinigungs- und Leiharbeitsfirmen sindFrauen. Ach ja, die Stadtregierung willja die Frauen-Einkommen fördern –und da soll man nicht zynisch werden!

FORDERUNGEN Wir fordern von der Wiener Stadt-

regierung und vom Management desKrankenanstaltenverbundes:•Keine weitere Ausschreibung und pri-

vate Vergabe der Reinigung im Wie-ner AKH!

•Wieder-Eingliederung der gesamtenReinigung in die Organisation desAKH und in allen „Häusern“ in dieOrganisation des Wiener Krankenan-staltenverbundes!

•Keine Leiharbeit mehr im gesamtenKAV! Sichere Beschäftigungsverhält-nisse für alle Bediensteten des KAV!

•Beschäftigung in allen Bereichen –vor allem in der gesamten Reinigungund Handwerklichen Verwendung –nur als Bedienstete der Stadt Wien,die unter die Bestimmungen der Ver-tragsbedienstetenordnung der StadtWien fallen.

•Schluss mit der Privatisierungspolitik– da zahlen nur die Beschäftigtenund die Bevölkerung drauf!

•Keine Privatisierung – Ausschreibungund Vergabe – von Küche, Reini-gung, Zentralsterilisation, Handwerk-liche Verwendung. Spitäler undGerietriezentren sind eine Einheitund die Rechte aller Bedienstetenmüssen berücksichtigt werden!

•Mehr Geld und Ressourcen für dieHäuser des Wiener KAV – für dieErfüllung der Forderungen derGesundheitskampagne der GdG-KMSfB-Hauptgruppe 2!

•Für kommunale Spitäler undGeriatriezentren mit ÖffentlichBediensteten!

KEINE NEUE AUSSCHREIBUNGDER REINIGUNG

Das Wiener AKH soll die

Reinigung nur mit Bediens-

teten des Krankenanstalten-

verbundes durchführen,

fordert die KIV.

K

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www.kiv.at/akh

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ittwoch, 14. September 2011:Start der Gesundheitskampa-gne „Zeit für Menschlichkeit“

hinter dem Rathaus. Die Men-schen, die in den Spitälern arbeiten,können nicht mehr, sind ausgebrannt.Aber es gibt nicht mehr Geld für bes-sere Arbeitsbedingungen, für Posten-nachbesetzungen. Da zeigt sich dieStadtverwaltung ganz abgebrannt.

Regenwolken bedrohen die Veran-staltung, trotzdem werden zirka tau-send Personen auf dem Platz sein unddie können mit Trommeln und Triller-pfeifen laut sein. Multimediaeffektelassen Flammen am Rathaus empor-

züngeln, ganz oben leuchtet derSchriftzug „Ausgebrannt“ – und folge-richtig darunter „Heute unsere Spitäler– Morgen das ganze System?“. Einguter Start einer schon seit langer Zeitberechtigten Kampagne. Es soll weiter-gehen, es muss weitergehen, nur nichtstecken bleiben. Die Forderungen, dieja selbstverständlich sein sollten, müs-sen erfüllt werden.

MEDIEN: ZAGHAFTEBERICHTERSTATTUNGDie Stadtverwaltung kontert mit Sta-

tistiken, europaweite, und da sind wirja noch viel besser, als der Durch-schnitt. Aber bitte, wen interessierenschon Durchschnittsberechnungen,wenn die Menschen den Arbeitsdrucknicht mehr aushalten? Werden Sie des-halb weniger krank? Nein, da werden

sie mit Abschlägen pensioniert, sindselber schon krank und hoffen aufnoch frischere KollegInnen für Ihreeigene Betreuung. Und noch immerwird ja Burn-Out so als Weichei-Erkran-kung bis Tachinose gesehen. Jaja, aner-kannt schon, aber so früh muss menschauch nicht aufgeben, da lässt sichnoch viel aushalten.

ES LÄSST SICHNICHT AUSHALTENEs darf auch nicht ausgehalten wer-

den, sonst leidet schlussendlich dasganze System und vor allem jene, diedort Hilfe, Schutz und Versorgungsuchen. Noch gibt es Gespräche, derHerr Bürgermeister zeigt Verständnis,aber es gibt halt kein Geld.

Mit Verlaub, Herr Bürgermeister, Ver-ständnis ist gut, aber es reicht nicht.Die Arbeitsbedingungen zu verbessern,die nötigen Dienstposten nachzubeset-zen, das wäre Verständnis und – eswäre ihr Job.

AUSGEBRANNT BIS ABGEBRANNT

Dem Gesundheitssystem

droht der Kollaps.

Von Gerhard Winter.

M

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Gerhard Winterist Ausschuss-Vorsitzender imWiener Marktamt.

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Der Produktivitätsanstieg wird (leider) nur selten diskutiert, stattdessen bezeichnen selbst höchstrangige Gewerkschaftsführer das BIP-Wachstums als

entscheidenden Indikator, was falsch ist. Von Fritz Schiller.

LOHNVERHANDLUNGS-RUNDE 2011

AM

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22. September begannen die Lohn- und Gehaltsverhandlun-gen für die Arbeiter und Angestellten der Metallverarbeiten-den Industrie. Sie sind von besonderer Bedeutung, da sie alsdie Orientierung für die weiteren Lohn- und Gehaltsverhand-lung der anderen Branchen gelten.

Wie sind die Lohn- und Gehaltsverhandlungen der letztenzwanzig Jahre verlaufen? Ein erster Indikator für die Beurtei-lung dieser Frage ist die Lohnquote, die den Anteil derArbeitnehmerInneneinkommen am Volkseinkommen dar-stellt. Wie aus der untenstehenden Grafik zu erkennen ist,ist sie in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich gesun-ken. 1990 lag sie bei 64,7 Prozent, zwanzig Jahre später nurmehr bei 58,8 Prozent – ein Rückgang um fast sechs Pro-

zentpunkte (Quelle: Ameco Datenbank, eigene Berechnun-gen). Die Lohn- und Gehaltspolitik des ÖGB ist seit Jahr-zehnten die sogenannte Solidarische Produktivitätsorien-tierte Lohnpolitik. Auf jedem Bundeskongress wird siezumeist einstimmig bestätigt, auch von den UnabhängigenGewerkschafterInnen. Die Solidarische Produktivitätsorien-tierte Lohnpolitik ist (zunächst) leicht in eine Formel zupacken: die Lohn- und Gehaltsabschlüsse sollen dem zukünf-tigen Wachstum der Verbraucherpreise sowie dem dergesamtwirtschaftlichen (!) Produktivität entsprechen. Diegesamtwirtschaftliche Produktivität ist deshalb wichtig, weilsie das Element der Solidarität in diese Formel bringt. In deneinzelnen Wirtschaftsbereichen gibt es unterschiedliche Pro-

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duktivitätsentwicklungen. Die höchsten Produktivitätssteige-rungen weisen in der Regel die Metallindustrie beziehungs-weise die exportorientierten Bereiche auf, die niedrigstender öffentliche Dienst, nämlich null Prozent. Wieso? Dieöffentliche Verwaltung stellt keine marktfähigen Produktedar. Der Staat stellt der Wirtschaft Rahmenbedingungen zurVerfügung, die über Steuern finanziert werden. Der Schluss,dass der öffentliche Dienst nicht produktiv wäre, ist aberabsolut unzulässig. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass erunverzichtbare Vorleistungen für die Wirtschaft zur Verfü-gung stellt, deren Produkte danach einen Marktpreis erzie-len. Diese gehen in die Berechnung des Bruttoinlandspro-duktes ein, die öffentlichen Leistungen mangels Preisennicht. Diese Tatsache vergessen oft viele Kommentatoren.

Würde nur die Produktivitätssteigerung der jeweiligengerade zu verhandelnden Industrie und Wirtschaftssektorenbei der Lohnformel herangezogen werden, käme es zueinem starken Auseinanderdriften in der Lohn- und Gehalts-entwicklung der einzelnen Wirtschaftssektoren. Die gesamt-wirtschaftliche Produktivität liefert somit einen Ausgleichzwischen hoch- und niedrigproduktiven Sektoren. So dieTheorie. Wie fällt nun eine Bilanz der produktivitätsorientier-ten Lohnpolitik für die letzten fünfunddreißig Jahre aus? Inder Abbildung auf dieser Seite wird die sogenannte „Vertei-lungsbilanz“ dargestellt.

Diese Bilanz schaut in der Tat nicht sehr erfreulich aus.Seit Anfang der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er Jahre istein geringfügiges Hinterherhinken der realisierten Lohnab-schlüsse festzustellen. Danach beginnt sich die Schere zwi-schen Anforderung und Realität jährlich zu öffnen. Interes-

sant ist das „erfolgreiche“ Jahr 2009, das sich dadurchergibt, dass die Produktivität in diesem Jahr –2,3 Prozentbetrug. Das deshalb, weil es im Zuge der weltweiten Finanz-marktkrise zu einem dramatischen Rückgang der BIP-Wachs-tums bei nur einem geringen Anstieg der Arbeitslosenzahlenkam. Insgesamt kann man feststellen, dass die Produktivi-tätsgewinne in den letzten Jahren, insbesondere seit Mitteder 1990er Jahre, zum überwiegenden Ausmaß den Unter-nehmern zuflossen.

Wie hoch soll nun ein Lohn- und Gehaltsabschluss für2012 gemäß der solidarischen produktivitäts-orientiertenLohnpolitik sein? Die Schätzungen der EU-Kommission(ameco datenbank) für 2012 für den Anstieg der Verbrau-cher-preise (HVPI) liegen bei 2,1 Prozent. Das WIFO schätzteEnde September den Anstieg der Verbraucherpreise für2012 ebenfalls auf 2,1 Prozent. Das Produktivitätswachstumwird von der EU-Kommission für nächstes Jahr auf 1,6 Pro-zent geschätzt, während das WIFO dagegen nur einenAnstieg um 0,4 Prozent sieht. In der gewerkschaftlichen Pra-xis hat sich herauskristallisiert, dass für die Inflationsrateimmer der Wert des vergangenen Jahres (2010: 1,7 Prozent,HVPI) beziehungsweise der Anstieg der letzten zwölfMonate (09/2010-08/2011: HVPI 3,7 Prozent, VPI 3,4 Pro-zent) herangezogen wird. Der Produktivitätsanstieg wird (lei-der) nur selten diskutiert, stattdessen bezeichnen selbsthöchstrangige Gewerkschaftsführer das BIP-Wachstums alsentscheidenden Indikator, was falsch ist.

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In der obenstehenden Tabelle sind einige Szenarien durch-gerechnet: In den Spalten 2 und 3 ist der Verteilungsneu-trale Spielraum für 2011 gemäß den Schätzungen der EU-Kommission und des WIFO angeführt, er liegt bei 4,5 bezie-hungsweise 4,2 Prozent. Die Spalten 4 und 5 beziehen sichauf das kommende Jahr: Gemäß EU-Kommission müsste beiden Gehaltsverhandlungen 3,7 Prozent und gemäß Wifo garnur 2,5 Prozent erreicht werden.

In der gewerkschaftlichen Praxis hat sich eine etwasandere Herangehensweise entwickelt. Es wird die Inflations-rate des letzten Jahres (oder der letzten zwölf Monate) alsBasis genommen sowie eine Schätzung für den Anstieg derProduktivität. Insofern wird von einer Inflationsrate zwi-schen 2,9 und 3,1 Prozent plus einem Produktivitätsanstiegvon 1,6 beziehungsweise 0,4 Prozent ausgegangen. Insge-samt würde das Werte von 4,5 Prozent (EU) beziehungs-weise 3,5 Prozent (Wifo) ergeben. Nach den zum Zeitpunktder Erstellung dieses Beitrages (5. Oktober) zuletzt vorlie-genden Verhandlungspositionen bieten die Metall-Arbeitge-ber 3,1 Prozent während die beteiligten Gewerkschaften5,5 Prozent (zum ersten Mal erfreulicherweise öffentlich!)

fordern. Meines Erachtens wäre ein Abschluss über 3,5 Pro-zent als Erfolg zu werten.

Zwischen 1995 und 2010 erhöhten sich die Reallöhne um0,6 Prozent pro Jahr. Der Anstieg in dieser Periode sehr gering,von 1975 bis 1995 betrug er noch 1,9 Prozent pro Jahr. DieNominallöhne erhöhten sich jährlich um 1,9 Prozent. Die Ent-wicklung der Real- und Nominallöhne von 1995 bis 2010 istin der untenstehenden Grafik dargestellt.

Eine Frage ist noch nicht beantwortet: Wenn die Lohn-quote eine realistische Abbildung der Verteilung des Volks-einkommens ist (was von neoliberalen Autoren massivgeleugnet wird) und wenn es stimmt, dass in den vergange-nen Jahrzehnten eine Umverteilung von den Arbeitnehmer-Innen zu den anderen EinkommensbezieherInnen (Land-und Forstwirtschaft, Vermietung und Verpachtung, Kapita-lein-kommen etc.) stattfand, warum fordern die Arbeitneh-merInnen und ihre Vertreterin, die Gewerkschaften, dannnicht eine Kompensation für diese „Verluste“?

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Dass die national-konser-vative, mit Zwei-Drittel-Mehrheit ausgestatteteFIDESZ-Partei (übrigens Mitglied derEVP, der Europäischen Volkspartei unddamit Schwesterpartei der ÖVP) unterihrem Ministerpräsident Viktor Orbán,weitgehend autoritär regiert, ist soweitbekannt. Es wird zwar als unschönempfunden (vom Umgang mit ethni-schen und politischen Minderheiten bishin zur Einschränkung der Medienfrei-heit) von der Europäischen Union undderen Mitgliedsstaaten allerdings mehroder weniger achselzuckend zur Kennt-nis genommen. Für weit mehr Empö-rung (vor allem in Österreich) sorgtdagegen schon die von der ungari-schen Regierung geplante „Zwangs-konvertierung“ von Fremdwährungskre-diten und daraus resultierenden Milli-ardenverlusten für (unter anderemösterreichische) Banken. Beinahe unbe-merkt findet darüber hinaus derzeit derrasante und radikale Umbau Ungarnsin Richtung „autoritärer Kapitalismus“statt. Mit der drohenden vollkomme-nen Entrechtung von ArbeitnehmerIn-nen und der systematischen Entmach-tung von Gewerkschaften.

ARBEITSMARKTMASSNAHMENIM „GULAG-STIL“Im Sommer dieses Jahres wurde im

ungarischen Parlament ein neuesArbeitslosen- und Beschäftigungsge-setz beschlossen.

Die Kritikpunkte der GegnerInnen andiesem Gesetz reichten von „Entrech-tung, über staatliches Lohndumpingbis hin zu Zwangsarbeitslagern“. Ausgutem Grund:•Die maximale Auszahlungsdauer des

Arbeitslosengeldes wird von bisher270 auf 90 Tage begrenzt.

•Die Obergrenze des Arbeitslosengel-des wird von 120 Prozent auf100 Prozent des gesetzlichen Min-destlohns abgesenkt.

•Arbeitslosen, welche öffentlicheArbeits- und Beschäftigungsange-bote ablehnen, droht der Verlust der„finanziellen Unterstützung“.

•Die „Zumutbarkeitsbestimmungen“werden dahingehend gelockert, dassauch mehrtägige Aufenthalte ferndes Wohnortes, die Unterbringung in

provisorischen Container-städten und Arbeit weitunter der eigenen Qualifi-

kation als angemessen gelten. Aus-nahmen gibt es nur im Falle dereigenen Erkrankung oder der Erkran-kung von Kleinkindern, für die eskeine anderen Betreuungsmöglich-keiten gibt.

•Für die „Entlohnung“ derartigerArbeitsmaßnahmen darf das Min-destlohngesetz „in diesen besonde-ren Fällen“ unterlaufen werden, dasTarifrecht wurde speziell für diese„Unterzahlung“ geändert. Tatsäch-lich können derartige „besondere“Beschäftigungsmaßnahmen aller-dings bis zu 300.000 Menschenbetreffen. (Quelle: Pester Llyod,22. August 2011).Bis zu 43 Milliarden Forint (zirka

160 Millionen Euro) hofft die ungari-sche Regierung einzusparen. Angesie-delt ist diese Initiative unter demMotto „Arbeit statt Sozialhilfe“ übri-gens nicht im Arbeits- oder Sozialminis-terium, sondern im für die Polizeizuständigen Innenministerium. Öffent-

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Von einer europäischen Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt findet im national-konservativ regierten Ungarn derzeit ein

Frontalangriff auf ArbeitnehmerInnen- und Gewerkschaftsrechte statt. Von Markus Koza.

AUTORITÄRER KAPITALISMUS:

MODELLUNGARN

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lich meinte der Innenminister Pintér,dass „pensionierte Polizisten genau dierichtige Qualifikation“ für die Durch-führung der „öffentlichen Arbeitspro-gramme hätten,“ worin „… manchebereits das Bild von durch Alt-Polizis-ten bewachten Zwangsarbeiterkolon-nen heraufziehen sehen,“ so PesterLloyd. Auf entsprechend heftigen Pro-test stößt das „Beschäftigungspro-gramm“ bei BürgerrechtlerInnen,Roma-Verbänden, bei Gewerkschaften,aber selbst in Teilen der Wirtschaft.BürgerrechtlerInnen und Roma-Ver-bände befürchten, dass durch ihre spe-zifische Lage vor allem Roma mit„Zwangsarbeit“ konfrontiert würden.

Die GewerkschafterInnen sind dage-gen, weil das Entstehen eines staatlichgeförderten, dauerhaften, weitestge-hend (arbeits-)entrechteten Prekariatsbefürchtet wird. Die „Beschäftigungs-programme“ böten schließlich wederAusbildungsziele, noch irgendwelchesonstige Perspektiven, die „1-Forint-Jobber“ hätten weder Betriebsrätenoch gewerkschaftlichen Schutz. Derdroht allerdings ohnehin verloren zugehen – und zwar für so ziemlich alle,kommt die national-konservativeUngarische Regierung mit ihrenPlänen durch.

ARBEITSRECHT: „HANDBUCHFÜR SKLAVENHALTER“„Die Rezepturen des Viktor Orbán für

ein ‚neues Ungarn’ führen direkt in denUntertanenstaat, fürchten die Gewerk-schaften, aber nicht nur die’“ unterti-telt der Pester Lloyd einen Artikel vom22. August 2011. Überschrift: „Orbànsschöne neue Arbeitswelt in Ungarn“.294 Paragraphen auf 193 Seitenumfasst der Entwurf der nationalenRechten zu einer Neufassung desArbeitsrechts in Ungarn. Und was die-ser Entwurf beinhaltet, spottet tatsäch-lich jeder Beschreibung Ungarns alsDemokratie, geschweige denn alssoziale Demokratie. „Handbuch fürSklavenhalter“ nannte der Gewerk-schaftsverband „LIGA“ den Gesetzes-entwurf, „Werden wir Sklaven oderFreie sein?“ fragte der Gewerkschafts-verband MZOSZ auf einem Flugblatt.Die Gewerkschaften übertreiben mitihren etwas gar „markig“ wirkendenBildern nicht. So sieht das neueArbeitsrecht, die „schöne neue Arbeits-

welt“, im Ungarn der nationalistischenRechten zu Beginn des 21. Jahrhun-derts aus:•weniger Urlaub für

ArbeitnehmerInnen•Verlust der Schichtzulage•keine zwingende Auszahlung von

Überstundenzuschlägen•mehr Arbeit bei weniger Gehalt•Abbau des Kündigungsschutzes,

keine zwingende Abfertigung mehr •ArbeitnehmerInnen, die im Rahmen

ihrer Arbeit mit Geld umgehen, müs-sen künftig eine Kaution hinterlegen

•ArbeitnehmerInnen haben für vonihnen verursachte Schäden künftigin voller Höhe aufzukommen

•keine Mitwirkungsrechte bei Arbeits-feldänderungen

•kein Kündigungsschutz für Mütter im„Erziehungsurlaub“ und für ältereArbeitnehmerInnen

•künftig dürfen ArbeitgeberInnen dieDaten „ihrer“ ArbeitnehmerInnenohne deren Zustimmung Drittenüberlassen

•künftig soll auch die Bespitzelungvon ArbeitnehmerInnen in ihrem pri-vaten Lebensumfeld legal werden.Und zwar: „… im Zusammenhang mitdem Arbeitsverhältnis, jedoch zumZwecke der Kontrolle des Verhaltensjenseits der Arbeitszeit und außer-halb des Arbeitsplatzes.“

•den Gewerkschaften wird das Vertre-tungsrecht vor Gerichten und Behör-den entzogen

•der Kündigungsschutz sowie Arbeits-zeitvergünstigungen („Freizeitgewäh-rung“ auf Grund von Interessenver-tretung) für gewerkschaftliche Inte-ressensvertreter fallen

•ob betriebliche Interessensvertreterfür Beratungen beziehungsweiseKonsultationen von ihrer Arbeit frei-gestellt werden oder nicht, obliegtkünftig dem Arbeitgeber

•die Betriebsräte sollen künftig„Betriebsvereinbarungen mit Kollek-tivvertragswirkung“ ausverhandelnkönnen. Damit wird die betrieblichegegenüber der überbetrieblichen Kol-lektivvertragsebene gestärkt, wasmassiv in die Kernkompetenzen vonGewerkschaften eingreift.

•Und zu schlechter Letzt: als ob die„Stärkung“ der betrieblichen Ebenenicht reichen würde, soll Arbeitge-bern die Möglichkeiten eingeräumtwerden, sich ihre Kollektivvertrags-

partner auf gewerkschaftlicher Seite(in Ungarn gibt es keinen einheitli-chen Gewerkschaftsbund sondernderzeit sechs mehr oder wenigerstarke Gewerkschaftsverbände)selbst aussuchen zu dürfen!

VORGESCHMACK„STREIKRECHT“Einen ersten massiven Angriff auf

ArbeitnehmerInnenrechte setzte esbereits Ende 2010: Damals wurden dieGewerkschaften „… im Hau-Ruck-Ver-fahren ihrer Gesetzgebungswalze umihr Streikrecht gebracht“.

Pester Lloyd: „Treffen wollte sie (dieungarische Regierung, Anm.) damit vorallem die Interessensvertretungen deröffentlichen Versorgungsunternehmenim Verkehrs- und Energiebereich. Ihnenallein wurde bis dahin zugetraut, durchlandesweite Streikaktionen die neueOrdnung der ‚nationalen Zusammenar-beit’ empfindlich stören zu können.“

Das Streikrecht wurde dahingehendgeändert, dass die Arbeit nur dann nie-derlegt werden darf, wenn Arbeitgeberund Gewerkschaften sich über eine „zugewährleistende ausreichende Versor-gung“ während der Streikdauer ver-ständigt haben. Kommt es zu keinerVerständigung, hat das Arbeitsgerichtdas letzte Wort. Im Sommer zogen diebetroffenen Gewerkschaften eine ersteBilanz. Das Ergebnis: von neun Streik-initiativen überlebte keine einzige diezweite Instanz.

Pester Lloyd berichtet: „Im Falle desStreikantrags von Gewerkschaften derBudapester Verkehrsbetriebe (BKV)wird die erstinstanzliche Entscheidungzurückgewiesen, weil das Gericht ‚nichtden für die Entscheidung notwendigenSachverhalt festgestellt’ habe, ‚derdurch das Streikgesetz in den Kompe-tenzbereich der Arbeitsgerichte gege-ben wurde (…) und infolgedessen wardie Entscheidung in der Sache auf-grund der daraus abgeleiteten juristi-schen Schlussfolgerung unbegründet’.Außerdem stellte das übergeordneteArbeitsgericht fest, dass gegen Maß-nahmen der Regierung nicht gestreiktwerden dürfe. In einem anderen Fallwurde unter Berufung darauf, dasStreikziel entspreche nicht den gesetzli-che Anforderungen, die gerichtlichfestgelegte ausreichende Dienstleis-tung außer Kraft gesetzt.“

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PROTESTWELLE GEGEN„FASCHISIERUNG“ UNGARNSDemokratische Grundrechte wie das

Streikrecht, die systematisch ausgehe-belt werden, ein Arbeitsrecht, dasArbeitnehmerInnen entrechtet,Beschäftigungsmaßnahmen, die andunkle Zeiten erinnern – der Wider-stand gegen die zunehmende „Faschi-sierung“ der ungarischen Gesellschaftdurch die rechts-nationale FIDESZbeginnt sich zu formieren.

War der gewerkschaftliche Protestam 12. September mit ein paar tau-send DemoteilnehmerInnen noch rela-tiv schwach, planten für Ende Septem-ber Gewerkschaften, zivilgesellschaftli-che Organisationen, BürgerrechtlerIn-nen und Opposition eine „ganze Serievon Streiks, Blockaden und anderenProtesten“ unter dem Übertitel „D-Day“. Siebzig Einzelgewerkschaf-ten, Konföderationen, Bürgerrechts-gruppen und Berufsverbände habeneine neun Punkte umfassende Petitionverfasst, in der unter anderem dasVerbot rückwirkender Gesetzgebung,eine faire Steuerpolitik, ein echterDialog zwischen den Sozialpartnern,der Schutz älterer ArbeitnehmerInnenund die Sicherung der Rentengefordert werden.

Nach Gesprächen mit ungarischenGewerkschafterInnen wird nun auchder zuständige EU-Kommissar LaszloAndor – noch von der alten, abgewähl-ten sozial-liberalen Regierung alsungarischer EU-Kommissar eingesetzt– das neue „Arbeitsrecht“ hinsichtlichseiner Rechtmäßigkeit nach EU-Rege-lungen überprüfen.

UNGARN: KEINEINZELFALL IN EUROPAUngarn ist hinsichtlich eines immer

autoritärer werdenden europäischenKapitalismus allerdings kein Einzelfall.Auch in der Slowakei ist seitens derkonservativ-liberalen Regierung eineNovellierung des Arbeitsrechts geplant.Kernelemente unter anderem:•Gewerkschaftliche Aktivitäten sollen

auf Betriebe beschränkt werden,in denen mindestens dreißig Prozentder ArbeitnehmerInnen gewerk-schaftlich organisiert sind

•Auch in der Slowakei soll die betrieb-liche Ebene gegenüber der kollektiv-

vertraglichen, überbetrieblichenEbene gestärkt werden

•Ausweitung der Arbeitszeiten sowieErhöhung der Überstunden auf 400Stunden im Jahr

•das Ende der „paritätischen“Finanzierung der Sozialversiche-rungsbeiträge – diese sollen voll-kommen von den Arbeitnehmer-Innen getragen werden.Auch in Tschechien soll das Arbeits-

recht liberalisiert werden. JoachimBecker, Ökonom an der WU Wien,spricht in einem Beitrag in den WSIMitteilungen 6/2011 von einer„… strategisch angelegten Radikalisie-rung neoliberaler Politikmuster“, unter„der Flagge der Krisenbekämpfung“. Esist allerdings keineswegs ein Blick inden Osten der EU erforderlich, um eine„autoritäre“ Neustrukturierung deseuropäischen Kapitalismus analysierenzu können: Sowohl der Euro-Plus-Pakt,die Legislativvorschläge der EU-Kom-mission zu einer europäischen Wirt-schaftsregierung („Six-Pack“), als auchdie Auflagen für unter dem „Euro-Ret-tungsschirm“ stehende Schuldenländerweisen klar autoritäre, gegen dieArbeitnehmerInnen und ihre Interes-sensvertretungen gerichtete Züge auf.

Mag Ungarn auch ein Extremfallunter einer ganz spezifischen politi-schen Konstellation sein – autoritäreEntwicklungen sind in ganz Europa zubeobachten und werden von der EU-Kommission und dem EU-Rat beför-dert. Gewerkschaften, Zivilgesellschaft,BürgerrechtlerInnen werden sich inganz Europa auf entsprechendeAbwehrkämpfe gegen einen immerautoritärer werdenden Kapitalismusvorbereiten müssen, um demokratischeund soziale Grund- und Freiheitsrechtein Europa erfolgreich zu verteidigen.Auf politische Parteien und auf dieParlamente – auf die nationalen wieauf das europäische – ist nämlichkein Verlass.

Linktipp: www.pesterlloyd.net, unabhängige,kritische (Internet-)Zeitung in Ungarn,deutschsprachig.

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ug-oegb.at

auge.or.at

kiv.at

ugoed.at

ug-vida.at

we4you-ug.at

Page 32: Alternative Oktober - November

Lesbar

Bewegung in die Bildung

Pünktlich zum Bildungsvolksbe-gehren bringt die Grüne Bildungs-werkstatt eine Broschüre zumThema Bildung heraus.

• Wie schaut es mit der (gerechten)Verteilung von Bildungs- undLebenschancen aus?

• Was macht einen guten Kinder-garten aus?

• Wie können alternative Lernkon-zepte aussehen?

• Wie viel Privatisierung verträgtder Bildungsbereich?

• Ist ein Studium immer noch einHürdenlauf?Das und vieles mehr wird in Arti-

keln, Kommentaren und Interviewsbehandelt. Für den Obmann derGrünen Bildungswerkstatt, AndreasNovy, braucht Bildung Bewegung:„Das vorliegende Magazin ist Nah-rung für den Geist, will Dialog undDiskussionen entfachen.“

Kontrovers „Bewegung in die Bil-dung“, Herausgeberin: Die GrüneBildungswerkstatt, Planet Verlag,2011, www.gbw.at/bildungsdia-log/kontrovers-bildung-hauptseite

Bildungsvolksbegehren „Zeichen setzen statt sitzen bleiben“, 3. bis 10. November 2011.

Im Gemeinde- oder Magistra-tischen Bezirksamt,www.nichtsitzenbleiben.at.

Ulrichsberg: Widerständig gegen rechtes Gedenken. Die Beiträge zuGeschichtspolitik und Erinnerungskultur fokussieren auf die spezifischeSituation in Kärnten/Koroska und das umstrittene Ulrichsbergtreffen,eines der größten Treffen von Veteranen der nationalsozialistischenWehrmacht und (Waffen-)SS in Europa. Ausgehend davon werden unter-schiedliche Facetten des österreichischen Umgangs mit der jüngerenGeschichte sichtbar gemacht.

Ab 2005 fanden jährlich Gegenveranstaltungen, unter anderem inForm von ZeitzeugInnengesprächen, Stadtspaziergängen und Demons-trationen, statt. Dass 2009 das Bundesheer seine Unterstützung desUlrichsbergtreffens zurückzog und die geplante 50 Jahr-Feier daraufhinabgesagt wurde, ist als Erfolg dieser Protestaktivitäten zu werten.

Der Bogen der Beiträge reicht von einer Auseinandersetzung mit denTraditionsbezügen des Bundesheeres und deren Veränderung in denletzten Jahren, über die spezifisch kärntnerslowenische Geschichte vonWiderstand und Verfolgung, bis zur kaum diskutierten Frage nach demAndenken von NS-TäterInnen in der Wissenschaft. Ausgehend von denverdrängten Geschichten unterschiedlicher Opfergruppen werden ver-schiedene Aspekte der nationalsozialistischen Ideologie, Politik und Ver-folgung an Hand des regionalen Kontexts deutlich gemacht. Die Thema-tisierung des Zusammenhangs von Desertion und PartisanInnenkampfbereichert die Debatte um die Opfer der NS-Militärjustiz um eine zusätz-liche Facette. Mit kritischem Blick und auf Basis umfangreicher Recher-chen leistet die Publikation einen wichtigen Beitrag zur Analyse öster-reichischer Geschichtspolitik.Arbeitskreis gegen den kärntner Konsens (Hg.)Friede, Freude, deutscher EintopfRechte Mythen, NS-Verharmlosung und antifaschistischer Protest 420 Seiten, 19,90 Euro, ISBN: 978385476-601-8