24
Wirtschaftliche Verordnung in der Schlaganfallprophylaxe bei nicht valvulärem Vorhofflimmern Seite 50 Depression: Behandlung bei Therapieresistenz Seite 53 Divertikulitis – Erkennung und Behandlung Seite 56 Einfluss oraler Antikoagulantien auf die Sicherheit von Patienten mit akutem koronarem Syndrom unter einer Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern Seite 58 Forxiga ® (Dapagliflozin) Seite 60 Eylea ® (Aflibercept) Seite 63 Muskelkrämpfe als unerwünschte Arzneimittelwirkung Seite 65 Nitrofurantoin – Eine ganze Palette an Nebenwirkungen Seite 68 Thrombozytopenie durch Walnüsse Seite 69 Tolvaptan (Samsca ® ) zur Behandlung der polyzystischen Nierendegeneration? Seite 70 Statine bei niedrigem kardialem Risiko besonders effektiv – Hope oder Hype? Seite 71 AVP-Themenheft: Arzneimitteltherapiesicherheit Seite 72 Das aktuelle Thema Therapie aktuell Arzneimittel – kritisch betrachtet Neue Arzneimittel Unerwünschte Arzneimittelwirkungen Zitate Was uns sonst noch auffiel In eigener Sache Arzneiverordnung in der Praxis Impressum Herausgeber: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Prof. Dr. med. W.-D. Ludwig (Vorsitzender) Wissenschaftlicher Beirat: Dr. med. J. Bausch, Dr. med. K. Ehrenthal, Frau Prof. Dr. med. U. Gundert-Remy, Prof. Dr. med. R. Lasek, Prof. Dr. med. B. Müller-Oerlinghausen, Prof. Dr. med. U. Schwabe, M. Voss, Arzt, Vorstand der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Chefredakteur: Prof. Dr. med. D. Höffler Stellvertretender Chefredakteur: Dr. med. M. Zieschang Anschrift der Redaktion: Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Postfach 12 08 64 10598 Berlin Telefon: 0 30 / 40 04 56-5 00 Telefax: 0 30 / 40 04 56-5 55 E-Mail: [email protected] www.akdae.de ISSN 0939-2017 Realisation und Vertrieb: Triple MPR Group Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 19 01 30, D-53037 Bonn, E-Mail: [email protected],Telefax: 02 28 /22 45 11 Druck: Franz Paffenholz GmbH, Bornheim Abonnement: Die Schutzgebühr des Jahresabonnements für 4–6 x AVP einschl. Sonderhefte Therapieemp- fehlungen beträgt EUR 39,– (für Studenten: EUR 19,–; Nachweis erforderlich). Ihre Abo-Anfor- derung richten Sie bitte an die Arzneimittel- kommission [email protected]. Bezug im Jahres- abonnement, Kündigung zum Jahresende. Wir möchten darauf hinweisen, dass die in „Arzneiver- ordnung in der Praxis“ erscheinenden Publikationen prinzipiell den Charakter von Autorenartikeln – wie in jeder anderen Zeitschrift – haben. Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben zur Dosierung und auch zu den Preisen kann keine Gewähr übernommen werden. Trotz sorgfältiger Recherche bitten wir Sie dringend, die aktuellen Angaben des jeweiligen Her- stellers zu beachten. Die gemäß Arzneimittel-Richt- linien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu ver- öffentlichenden Therapieempfehlungen in ihrer aktu- ellen Fassung werden als solche gekennzeichnet. © Alle Rechte vorbehalten. AkdÄ, Berlin 2013 Herausgegeben von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013 Als Anfang des 20. Jahrhunderts die pharmazeutische Industrie entstand und begann, für ihre Produkte zu werben, wurde 1911 auf dem Kongress für Innere Medizin der Grundstein für die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gelegt. Die Aufgabe der seinerzeit berufenen Kommission sollte es sein, die Ärzteschaft durch Ärzte unabhängig und objektiv zu informieren. Dieses Ziel verfolgen wir bis zum heutigen Tag, u. a. mit diesem Heft. Arzneiverordnung in der Praxis ist Mitglied der International Society of Drug Bulletins (www.isdbweb.org)

Arzneiv er or dnung in der Praxis - AkdÄ€¦ · nicht. Zur Schlaganfallprophylaxe bei nicht valvulärem Vorhofflimmern sind bislang drei Wirkstoffe bzw. eine Wirk - stoffgruppe

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Page 1: Arzneiv er or dnung in der Praxis - AkdÄ€¦ · nicht. Zur Schlaganfallprophylaxe bei nicht valvulärem Vorhofflimmern sind bislang drei Wirkstoffe bzw. eine Wirk - stoffgruppe

Wirtschaftliche Verordnung in der Schlaganfallprophylaxe bei nicht valvulärem Vorhofflimmern Seite 50

Depression: Behandlung bei Therapieresistenz Seite 53

Divertikulitis – Erkennung und Behandlung Seite 56

Einfluss oraler Antikoagulantien auf die Sicherheit von Patienten mit akutem koronarem Syndrom unter einer Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern Seite 58

Forxiga® (Dapagliflozin) Seite 60

Eylea® (Aflibercept) Seite 63

Muskelkrämpfe als unerwünschte Arzneimittelwirkung Seite 65

Nitrofurantoin – Eine ganze Palette an Nebenwirkungen Seite 68

Thrombozytopenie durch Walnüsse Seite 69

Tolvaptan (Samsca®) zur Behandlung der polyzystischen Nierendegeneration? Seite 70

Statine bei niedrigem kardialem Risiko besonders effektiv – Hope oder Hype? Seite 71

AVP-Themenheft: Arzneimitteltherapiesicherheit Seite 72

Das aktuelle Thema

Therapie aktuell

Arzneimittel – kritisch betrachtet

Neue Arzneimittel

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Zitate

Was uns sonst noch auffiel

In eigener Sache

Arzneiverordnungin der Praxis

ImpressumHerausgeber:Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Prof. Dr. med. W.-D. Ludwig (Vorsitzender)Wissenschaftlicher Beirat:Dr. med. J. Bausch,Dr. med. K. Ehrenthal,Frau Prof. Dr. med. U. Gundert-Remy,Prof. Dr. med. R. Lasek,Prof. Dr. med. B. Müller-Oerlinghausen,Prof. Dr. med. U. Schwabe,M. Voss, Arzt, Vorstand der Arzneimittelkommission derdeutschen ÄrzteschaftChefredakteur:Prof. Dr. med. D. Höffler Stellvertretender Chefredakteur:Dr. med. M. ZieschangAnschrift der Redaktion:Arzneimittelkommission der deutschen ÄrzteschaftPostfach 12 08 6410598 BerlinTelefon: 0 30 / 40 04 56-5 00Telefax: 0 30 / 40 04 56-5 55E-Mail: [email protected] 0939-2017Realisation und Vertrieb:Triple MPR Group Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 19 01 30, D-53037 Bonn, E-Mail: [email protected],Telefax: 0228/224511Druck: Franz Paffenholz GmbH, BornheimAbonnement:Die Schutzgebühr des Jahresabonnements für4–6 x AVP einschl. Sonderhefte Thera pie emp -feh lungen beträgt EUR 39,– (für Stu den ten: EUR19,–; Nachweis erforderlich). Ihre Abo-Anfor-derung richten Sie bitte an die Arznei mittel -kommission [email protected]. Bezug im Jahres-abonnement, Kündigung zum Jahresende.Wir möchten darauf hinweisen, dass die in „Arznei ver -ordnung in der Praxis“ erscheinenden Publikationenprinzipiell den Charakter von Autorenartikeln – wie injeder anderen Zeitschrift – haben. Für die Richtigkeitund Vollständigkeit der Angaben zur Dosierung undauch zu den Preisen kann keine Gewähr übernommenwerden. Trotz sorgfältiger Recherche bitten wir Siedringend, die aktuellen Angaben des jeweiligen Her-stellers zu beachten. Die gemäß Arznei mittel-Richt -linien des Gemeinsamen Bundesausschusses zu ver-öffentlichenden Therapie empfeh lun gen in ihrer aktu-ellen Fassung werden als solche gekennzeichnet.© Alle Rechte vorbehalten. AkdÄ, Berlin 2013

Herausgegeben von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

Als Anfang des 20. Jahrhunderts die pharmazeutischeIndustrie entstand und begann, für ihre Produkte zuwerben, wurde 1911 auf dem Kongress für InnereMedizin der Grundstein für die Arzneimittelkommissionder deutschen Ärzteschaft gelegt. Die Aufgabe derseinerzeit berufenen Kommission sollte es sein, dieÄrzteschaft durch Ärzte unabhängig und objektiv zuinformieren. Dieses Ziel verfolgen wir bis zum heu tigenTag, u. a. mit diesem Heft.

Arzneiverordnung in der Praxis ist Mitglied der International Society of Drug Bulletins(www.isdbweb.org)

Page 2: Arzneiv er or dnung in der Praxis - AkdÄ€¦ · nicht. Zur Schlaganfallprophylaxe bei nicht valvulärem Vorhofflimmern sind bislang drei Wirkstoffe bzw. eine Wirk - stoffgruppe

50 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

Wirtschaftliche Verordnung in der Schlaganfallprophylaxe beinicht valvulärem Vorhofflimmern

Fallkonstellationen beim Ein-satz von Vitamin-K-Antagoni-sten, Dabigatran und Rivaroxa-ban.

Ca. 1 Mio. Menschen in Deutschland –vorwiegend jenseits des 65. Lebensjahres– leiden unter einem nicht valvulärenVorhofflimmern. Das Risiko, im Gefolgedieser Herzrhythmusstörung einenischämischen Schlaganfall zu erleiden,ist bekannt. Die Risikoklassifikation er-folgt nach dem CHADS2-Score1. Die Vi -tamin-K-Antagonisten Phenprocoumonund Warfarin (gleich zu beurteilen)waren bislang mehr als 50 Jahre lang derTherapiestandard.

Mit der Zulassung des oralen direktenThrombininhibitors (Dabigatran, Prada-xa®) beginnt sich nun die Therapie zuwandeln. Inzwischen haben auch FaktorXa- Inhibitoren die Zulassung bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern erhalten(Rivaroxaban, Xarelto®; Apixaban, Eli-quis®).

Überall auf der Welt (insbesondere in denOECD-Staaten) dürften die Gesundheits-systeme vor großen finanziellen Heraus-forderungen stehen, wenn die neuen An-tikoagulanzien flächendeckend einge-setzt werden würden und die Cumarinevollständig ersetzten, weil die reinen Me-dikamentenkosten der Cumarine sehrgering und die der neuen Substanzendeutlich höher sind. Die neuen Antikoa-gulanzien haben einen Apothekenver-kaufspreis von 3,37 Euro/Tag im Fallevon Pradaxa® und 3,27 Euro/Tag von Xa-relto®. Mit Blick auf das Wirtschaftlich-keitsgebot (§ 12 SGB V) sei anhand voneinigen Fallkonstellationen dargestellt,wie aus Sicht der Kostenträger und derVertragsärzte die Wirtschaftlichkeitspro-blematik beurteilt werden kann, bevordie Mechanismen des AMNOG greifen.Das wird erst dann passieren, wenn ein

weiterer neuer Wirkstoff aus dieser Wirk-stoffklasse erstmals zugelassen werdenwird. Die bisherigen Zulassungen vonPradaxa® und Xarelto® sind Indikations-ausweitungen von im Markt befindlichenWirkstoffen. Eine frühe Nutzenbewer-tung ist daher bislang nicht erfolgt.

Der § 12 Abs. 1 des SGB V lautet:§ 12 Wirtschaftlichkeitsgebot Abs. 1 „Die Leistungen müssen ausrei-chend, zweckmäßig und wirtschaftlichsein; sie dürfen das Maß des Notwendi-gen nicht überschreiten. Leistungen, dienicht notwendig oder unwirtschaftlichsind, können Versicherte nicht bean-spruchen, dürfen die Leistungserbringernicht bewirken und die Krankenkassennicht bewilligen.“

1. „Das Maß des Notwendigen nichtüberschreiten“Das Behandlungsziel der oralen Antiko-agulation bei nicht valvulärem Vor-hofflimmern ist die Vermeidung einesischämischen Schlaganfalls und einersystemischen Embolie. Eine solche The-rapie ist ab einem CHA2DS2-VASc-Scorevon 1 nach den neusten Leitlinien dereuropäischen Gesellschaft für Kardiolo-gie notwendig [Evidenz-Klasse I, LevelB], wobei den neuen oralen Antikoagu-lantien der Vorzug gegeben wird (Evi-denz-Klasse IIa, Level A, (1)). In diesemSinne sind alle drei Substanzen (Phen-procoumon, Dabigatran, Rivaroxaban)notwendig.

2. „Zweckmäßig“Die Therapie mit Vitamin-K-Antagoni-sten hat sich über fünf Dekadengrundsätzlich als zweckmäßig erwiesen.Insbesondere dann, wenn es gelingt, dieBlutgerinnung so weit herabzusetzen,dass das Risiko einer Thromboembolieaus dem Vorhof minimiert wird, ohne zu-gleich Blutungen wegen zu stark herab-

gesetzter Gerinnung zu provozieren. Dassetzt ein aufwendiges Gerinnungsmana-gement voraus. Die Erreichung der the-rapeutischen Zielwerte (INR 2–3) füreine große Patientenpopulation ist sehrehrgeizig. Dieser Zielbereich wird ausunterschiedlichsten Gründen selbstunter Studienbedingungen in nichtmehr als 60–70 % der Fälle erreicht. Die-ses schwierige und aufwendige Gerin-nungsmanagement kann bekanntlich imFalle von Überdosierungen zu schwerenBlutungskomplikationen und im Fallevon Unterdosierungen zu einem Ausfalldes gewünschten protektiven Effektsführen. Das Spontanerfassungssystemfür UAW (gemeinsame Datenbank desBfArM und der AkdÄ) nennt kein Medika-ment häufiger als Phenprocoumon. DasGerinnungsmanagement ist für die Ver-sicherten wegen des regelmäßig erfor-derlichen Arztbesuchs samt Blutkontrol-len belastend. Es erfolgt in der Regel alle3–4 Wochen. Die Klientel ist vornehm-lich betagt bis hochbetagt. Für die kon-trollierenden Ärzte in Deutschland sind,betriebswirtschaftlich betrachtet, die La-boruntersuchungen und die Führungdes Gerinnungspasses in der Regel nichtkostendeckend. Dies bedeutet mit ande-ren Worten: eine zwar preiswerte medizi-nisch zweckmäßige Therapie belästigtund belastet jedoch alte meist multimor-bide Menschen mit aufwendigen Arztbe-suchen und führt beim Arzt zu betriebs-wirtschaftlichen Verlusten. In Landre-gionen mit ausgedünnter ärztlicher Ver-sorgung ein erhebliches logistisches Pro-blem. Wenn Patienten Ihre Ärzte nur mitgroßem Aufwand erreichen können,dürften Dabigatran und Rivaroxaban ge-eignete Alternativen darstellen. Zwar istder Arzt an das Zweckmäßigkeitsgebotgebunden und wird deswegen stabil aufPhenprocoumon eingestellte Patientennicht auf die neuen Therapievarianten

Das aktuelle Thema

1 Erklärung der Abkürzungen siehe Tabelle 1

Page 3: Arzneiv er or dnung in der Praxis - AkdÄ€¦ · nicht. Zur Schlaganfallprophylaxe bei nicht valvulärem Vorhofflimmern sind bislang drei Wirkstoffe bzw. eine Wirk - stoffgruppe

umstellen. Aber tendenziell wird er da-nach trachten, Lösungen zu finden, dieihn und seine Patienten organisatorischund kostenmäßig weniger belasten. Da-bigatran und Rivaroxaban sind in diesemZulassungssegment „Vorhofflimmern“ebenso zugelassen wie die Vitamin-K-An-tagonisten. Aber sie bedürfen nicht desumständlichen Gerinnungsmanage-ments, sondern werden (Dabigatran) 2xtäglich und (Rivaroxaban) 1x täglich ver-abreicht.

Allerdings sind für beide Wirkstoffe inder Fachinformation besondere Einnah-mehinweise festgelegt. So soll zum Bei-spiel die Einnahme von Rivaroxaban ausGründen der Bioverfügbarkeit stets zueiner Mahlzeit erfolgen, und bei Dabiga-tran ist wegen der Hydrophilie die Ent-nahme aus dem Blister direkt vor der Ap-plikation vorzunehmen.

3. „Ausreichend“Die Schlaganfallprophylaxe durch denEinsatz der preiswerten Vitamin-K-Anta-gonisten ist ausreichend. Ausgenommendie Fälle, in denen diese Wirkstoffe nichttoleriert werden oder trotz eines optima-les Therapiemanagements das Therapie-ziel nicht erreicht wird (INR 2-3). Aus-nahmen gelten auch bei solchen Patien-ten, die wegen beruflicher Tätigkeit undder Unmöglichkeit der Gerinnungskon-trolle unterwegs eine zuverlässige Ein-stellung nicht erreichen können.

Ausreichend gilt auch für Dabigatranund Rivaroxaban. Zu diskutieren ist, wiesich die statistisch signifikante Überle-genheit von Dabigatran bzgl. Wirksam-keit (150 mg/2x tgl.) und Sicherheit (110mg/2x tgl.) vs. Warfarin auf das Wirt-schaftlichkeitsgebot auswirken. Rivaro-xaban hat in der Zulassungsstudie nur

Nicht-Unterlegenheit gegenüber Warfa-rin zeigen können.

4. „Wirtschaftlich“Steht nur ein einziger Wirkstoff zur Lö-sung eines Patientenproblems zur Verfü-gung, und handelt es sich um eine zweck-mäßige und notwendige medizinisch in-dizierte Therapiemaßnahme, dann stelltsich die Frage der Wirtschaftlichkeitnicht. Zur Schlaganfallprophylaxe beinicht valvulärem Vorhofflimmern sindbislang drei Wirkstoffe bzw. eine Wirk-stoffgruppe aus dem Kreis der Vitamin-K-Antagonisten und zwei Monosubstan-zen zugelassen. Nach den verbindlichenaus dem SGB V abgeleiteten „Arzneimit-telrichtlinien des Gemeinsamen Bundes-ausschusses“ ist der Arzt verpflichtet,unter den vorhandenen therapeutischenAlternativen die preiswerteste (sprich bil-ligste) auszuwählen (§ 9 AMR). Er kann

von dieser Vorgabe im Einzelfall abwei-chen, wenn die preiswertere Variantenicht toleriert oder das Therapiezielnicht erreicht wird. Diese Abweichungunterliegt einer Dokumentationspflicht,um im Falle einer Prüfung mit Rechtfer-tigungsgründen vorbereitet zu sein.Grundsätzlich unterliegt der Arzt einerDokumentationspflicht (§10 Berufsord-nung). Dies gilt für alle Arzneimittel.(Siehe auch § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V)

Werden Cumarine nicht vertragen oderführen sie nicht zum Erreichen des The-rapieziels (Dokumentationspflicht) istunter den Marktmitbewerbern dasjenigeauszuwählen, welches dann das am be-sten Geeignete ist. Zu den Kriterien fürdieses „optimale Präparat“ zählt unteranderem auch der Preis. Substanzen mitspezieller Indikationsstellung sind unterdiesen Aspekten wirtschaftlich.

Ergebnis wirtschaftlich

Vitamin-K-Antagonisten „ja“

Dabigatran „nein“

Rivaroxaban „nein“

Sind im Falle von zwei Wirkstoffen beidenahezu preisgleich, erfolgt die Auswahlnach dem Prinzip, dass dasjenige zu ver-ordnen ist, welches zum Erreichen desTherapieziels den größten klinischenNutzen unter Beweis gestellt hat. (odergegebenenfalls auch ein geringeresSchadenspotential besitzt).

Ohne das Vorhandensein von direktenKopf-zu-Kopf-Studien und/oder einersystematischen Nutzenbewertung durchz. B. das IQWIG ist es dem Einzelarzt inder Praxis nicht möglich, sachkundig zuvergleichen und die „richtige“ Auswahlzu treffen. Hier wird man den Vorteil von0,10 Euro von Xarelto® gegenüber Pra-daxa® vernachlässigen können. Pradaxa®

hat jedoch einen klinisch relevanten Vor-teil gegenüber Warfarin, da gezeigt wer-den konnte, dass Schlaganfälle und Blu-tungen signifikant weniger häufig auf-traten. 150 mg 2-mal am Tag demon-strieren eine signifikant bessere Wirk-samkeit als Warfarin bei einer vergleich-baren Rate schwerer Blutungen. Einevergleichbare Wirksamkeit bei einer sig-nifikanten Reduktion schwerer Blutun-gen hatten 110 mg 2-mal am Tag (2;3).Rivaroxaban war Warfarin bei derPrävention von Schlaganfällen und Em-bolien nicht unterlegen. Es kam zu einerähnlichen Rate von schweren Blutungenund unerwünschten Ereignissen unterRivaroxaban wie unter Warfarin. Aller-dings ist die klinische Relevanz solcherStudienergebnisse zu relativieren. Beieiner NNT von 137 pro Jahr im Vergleichzu Warfarin zeigt das höher dosierte Da-bigatran (2 x 150 mg) einen wirklich sehrgeringen Nettovorteil pro Jahr (6,91 vs.7,64 %, (4)) Da Langzeitergebnisse fürbeide Wirkstoffe fehlen und noch keinabschließender Überblick über die Ne-benwirkungsquote und Abbruchrateunter Alltagsbedingungen zu gewinnenist, wird eine Entscheidung zugunstendes einen oder anderen Wirkstoffes anStelle von Phenprocoumon eventuell zubegründen sein.

Ergänzende Anmerkungen desAutorsFür Dabigatran und Rivaroxaban gibt eseinige wichtige Hinweise aus den Fach -informationen: Man muss sich vor Be-

51Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

Ergebnis Sehr zweckmäßig zweckmäßig

Vitamin-K-Antagonisten nein ja

Dabigatran ja ja

Rivaroxaban ja ja

Ergebnis ausreichend

Vitamin-K-Antagonisten ja

Dabigatran ja

Rivaroxaban ja

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52 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

Ergebnis im Vergleich zu Warfarin Gerinnungsmonitoring Einmalgabe Überlegenheit Nichtunterlegenheit Antidot

Pradaxa® nein nein ja ja nein

Xarelto® nein ja nein ja nein

Ergänzende Anmerkungen der Redaktion

handlungsbeginn und bei Patienten miteiner Niereninsuffizienz auch währendder Behandlung einen Überblick über dieNierenfunktion der Patienten verschaf-fen (Schätzwert der Kreatinin-Clearan-ce). Denn mit zunehmender Nierenin-suffizienz steigt die Blutungsgefahr er-heblich. Bei älteren Patienten liegt ofteine Einschränkung der Nierenfunktionvor. Für Patienten mit schwerer Nieren-insuffizienz (Kreatinin-Clearance < 30ml/Min.) existieren für beide neuen Sub-stanzen keine belastbaren Daten. Zu be-achten ist darüberhinaus, dass bei Pati-enten mit einer Kreatinin-Clearanceunter 50 ml/Min. laut Fachinformationnur eine Dosis von 15 mg Rivaroxabaneinzunehmen ist.

Unter der Cumarintherapie war bislangeine Unterbrechung der Gerinnungs-hemmung zum Zwecke eines interkur-renten Eingriffs immer besonders auf-wendig. Dieses Management ist unterden beiden neuen Wirkstoffen deutlichunkomplizierter und preiswerter, weil inder Regel keine Überbrückung mit frak-tioniertem niedermolekularem Heparinerforderlich wird. Kompliziert wird die-ses Verfahren allerdings bei Niereninsuf-

fizienz, da hier die Einnahme länger un-terbrochen wird. Ein großer Nachteilder beiden neuen Substanzen ist, dass –im Gegensatz zu Phenprocoumon − keinAntidot vorhanden ist. Verletzt sich einPatient unter dieser Medikation, könnenPatient und Arzt in schwere Bedrängnisgeraten.

InteressenkonflikteDer Autor hat in unterschiedlichen eh-renamtlichen Funktionen in der Selbst-

verwaltung regelmäßig Vorträge zur ra-tionalen und rationellen Pharmakothe-rapie gehalten und dafür Honorare vonKammern, KVen, Krankenkassen undvielen forschenden und generischenpharmazeutischen Unternehmen ausdem In- und Ausland erhalten.

Dr. med. Jürgen Bausch Frankfurt / Main [email protected]

Die meisten Zeitschriften, die wie wirMitglieder der International Society ofDrug Bulletins sind, enthalten Artikel,die nicht von einzelnen Autoren gezeich-net sind, sondern die vielmehr von dergesamten Redaktion getragen werden.Beispiele: Der Arzneimittelbrief, das arz-neitelegramm. In AVP sind jedoch die Ar-

tikel gezeichnet und drücken nichtimmer die Meinung der gesamten Re-daktion und aller Mitglieder der AkdÄaus. Dieser Weg – gezeichnete Artikel −wurde vor vielen Jahren gewählt, umauch anderen als unseren eigenen Mei-nungen Raum zu geben. Es ist ja in derMedizin nicht selten so gewesen, dass

Ansichten, die nur von wenigen geteiltwurden, eines Tages der consensus om-nium wurden und umgekehrt. Wir wei-sen also darauf hin, dass die Sicht desKollegen Dr. Bausch, dem früheren Vor-sitzenden der KV-Hessen, nicht von allenMitgliedern der AkdÄ im Detail geteiltwird.

Alle drei genannten Score‘s (Punktsysteme) können in der oben genannten Broschüre der AkdÄ(http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/TE/LF/) nachgelesen werden. Sie finden sich auch in Wikipedia.

Tabelle 1: Abkürzungen

AMNOG Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz

CHADS2-Score Ein Punktsystem, das das Risiko eines Schlaganfalles einzuschätzen helfen soll.

CHA2DS2-VASc-Score Der lässt eine etwas feinere Differenzierung bei Patienten mit geringem Schlaganfall-risiko zu, und ermöglicht so ggf. eine bessere Risikostratifizierung

HAS-BLED-Score Abschätzung des Blutungsrisikos

FAZIT

Die Embolie-Prophylaxe mit Phenpro-coumon/Warfarin, Dabigatran (Prada-xa®) und Rivaroxaban (Xarelto®) ist im Sinne der Wirtschaftlichkeits-Vorschrift des SG notwendig, zweck-mäßig und ausreichend. Phenprocou-mon/Warfarin ist – sieht man nur auf das,was in der Apotheke bezahlt werdenmuss – sehr viel preiswerter. Jedoch:Selbst in Studien gelingt die gewünschteEinstellung mit Phenprocumon/Warfarinnur in 60–70 % der Fälle. Die oft hochbe-tagten Patienten werden durch die Ge-rinnungskontrollen sehr belastet. Der

Arzt macht meist mit der Betreuung die-ser Patienten ein Verlustgeschäft. DieUnterbrechung der Gerinnungshem-mung zum Zwecke eines interkurrentenEingriffs ist bei den beiden neuen Mittelndeutlich einfacher, solange keine Nieren -insuffizienz besteht. Bisher gibt es aberfür die neuen Substanzen kein Antidot,so dass z. B. bei einem Unfall eineschwer stillbare Blutung auftreten kann. Unser System wird sich auf die mit denneuen Wegen der Gerinnungshemmungverbundenen Kostensteigerungen ein-stellen müssen.

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53Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

Therapie aktuell

Einleitung50 bis 60 Prozent der depressiven Patien-ten erreichen keine Remission auf eineerste antidepressive Pharmakotherapie[1, 2, 3, 4]. „Response“ (Ansprechen) be-zeichnet in der Depressionsbehandlungdie mindestens 50 %ige Reduktion derdepressiven Symptomatik, meist erfasst

durch die Hamilton Depression RatingSkala (HAMD). „Remission“ bedeutet,dass die depressive Symptomatik weitge-hend abgeklungen ist (meist HAMD-Wert unter 7 Punkten) [5]. 15 bis 30 Pro-zent der depressiven Patienten sind the-rapieresistent im Sinne der nachstehendgenannten Definition [6].

Begriffsklärung Die am häufigsten gebrauchte Definitionvon Therapieresistenz stammt vonThase und Rush (1995), die Therapie-resistenz als fehlendes Ansprechen aufeine Behandlung mit mindestens zweiverschiedenen Antidepressiva aus unter-schiedlichen Substanzklassen (in jeweils

Depression: Behandlung bei Therapieresistenz

Zeitgleich mit der Erstellung des vorlie-genden Manuskriptes wurde ein Leitfa-den (5) der AkdÄ erarbeitet mit demTitel:Orale Antikoagulation − Empfehlungenzum Einsatz der neuen Antikoagulanti-en Dabigatran (Pradaxa®) und Rivaroxa-ban (Xarelto®)

Diese Broschüre kann unter http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/TE/LF/aus dem Internet abgerufen werden oderkann über die Geschäftsstelle der AkdÄformlos angefordert werden. In ihr kön-nen Details zum Abschätzen des Schlag-anfall- und Blutungsrisikos nach demCHADS2-Score und dem HAS-BLED-Score nachgelesen werden. Auch wirdauf das Vorgehen bei besonderen Patien-tengruppen (Nieren- und Leberinsuffizi-enz, ältere Patienten, Schwangerschaftund Stillzeit) eingegangen. Weiterhinwerden Vorschläge zur Behandlung vonBlutungen gemacht. Die Pharmakologieder Substanzen (Vitamin-K-Antagoni-sten, Dabigatran, Rivaroxaban) wird aus-führlich behandelt,. Auch wird das neufür die Prophylaxe venöser Thromboem-bolien zugelassene Apixaban (Eliquis®)besprochen.

Indikationen und Kontraindika-tionen sieht die AkdÄ wie folgt:„Bei der Auswahl des Antikoagulans soll-ten Risiken und möglicher Nutzen indi-viduell für den Patienten abgewogenwerden.

Dabigatran oder Rivaroxaban könneneine Option sein für Patienten:• die mit Vitamin-K-Antagonistenschwer einzustellen sind

• mit einem erhöhten Risiko für Arznei-mittel- oder Nahrungsmittelinterak-tionen unter Vitamin-K-Antagonisten

• für die eine regelmäßige Kontrolle desINR-Wertes schwierig ist.

Nur nach eingehender Prüfung undRücksprache mit den Patienten solltenDabigatran oder Rivaroxaban angewen-det werden bei• Alter > 75 Jahren• Körpergewicht < 60 kg• Niereninsuffizienz (Dosisreduktionoder Kontraindikation)

• zusätzlicher Indikation für Thrombo-zyten-Aggregationshemmer (Mono-therapie)

• unsicherer Adhärenz.

Nicht eingesetzt werden sollten Dabiga-tran und Rivaroxaban bei Patienten• die mit Vitamin-K-Antagonisten guteinzustellen sind bzw. deren INR unterbereits bestehender Therapie mit Vita-min-K-Antagonisten stabil im thera-peutischen Bereich liegt

• die eine duale Thrombozytenaggrega-tionshemmung benötigen, da das re-sultierende Blutungsrisiko mangelsErfahrungen nicht kalkulierbar ist

• die in besonderem Maße blutungsge-fährdet sind, da im Fall einer Blutungunter Dabigatran oder Rivaroxabankein Antidot zur Verfügung steht. EineBlutung unter Vitamin-K-Antagoni-

sten bei INR im Zielbereich ist keineIndikation für eine Umstellung“.

Literatur1.Camm AJ, Lip GY, De CR et al.: 2012 fo-cused update of the ESC Guidelines forthe management of atrial fibrillation:an update of the 2010 ESC Guidelinesfor the management of atrial fibrillati-on. Developed with the special contri-bution of the European Heart RhythmAssociation. Eur Heart J 2012; 33:2719–2747.

2. Connolly SJ, Ezekowitz MD, Yusuf S etal.: Dabigatran versus warfarin in pati-ents with atrial fibrillation. N Engl JMed 2009; 361: 1139–1151.

3. Connolly SJ, Ezekowitz MD, Yusuf S etal.: Newly identified events in the RE-LY trial. N Engl J Med 2010; 363:1875–1876.

4. Lomas O, Argyle RA, Prendergast BD:Will direct thrombin inhibition chan-ge the boundaries of oral anti-coagula-tion? QJM 2010; 103: 429–434.

5.Orale Antikoagulation bei nicht val-vulärem Vorhofflimmern: Empfehlun-gen zum Einsatz der neuen Antikoa-gulantien Dabigatran (Pradaxa®) undRivaroxaban (Xarelto®). Version 1.0.Leitfaden der Arzneimittelkommissi-on der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ).Berlin: AkdÄ, 2012.

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54 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

adäquater Dosierung und Dauer) kenn-zeichneten [6, 7, 8]. Unter einer adäqua-ten Dauer versteht man etwa vier Wo-chen [9]. Die adäquate Dosis eines Anti -depressivums ist z. B. nachzuschlagenbei [10]. Die eingenommene Dosis kor-reliert in vielen Fällen nur unzureichendmit dem individuellen Medikamentense-rumspiegel. Er ist von genetischen undanderen Faktoren (z. B. auch Komedika-tion) abhängig. Die Messung des Medika-mentenspiegels im Sinne von TDM (The-rapeutisches Drug-Monitoring) ist beiTherapieresistenz deshalb sinnvoll. Vorallem kann TDM fehlende Tablettenein-nahme aufdecken. Hierbei sei auf dieKonsensus-Empfehlung der AGNP (Ar-beitsgemeinschaft für Neuropsycho-pharmakologie und Pharmakopsychia-trie) hingewiesen [11].

Diagnostik und Differenzialdia-gnostikHäufig liegt nur scheinbar ein Nichtan-sprechen auf eine Behandlung vor, daDiagnostik oder Therapie nicht adäquatdurchgeführt wurden. In diesen Fällenspricht man von Pseudotherapieresi-stenz, die insbesondere folgende Ursa-chen haben kann [12]:� inadäquat durchgeführte antidepres-

sive Behandlung� fehlende Therapietreue des Patienten� genetische Polymorphismen im

Cytochrom P450-System (z. B. imSinne eines übermäßig raschen Ab-baus des Pharmakons)

� zu großer sekundärer Krankheitsge-winn des Patienten

� unerkannte psychosoziale Faktoren,die die Depression verursachen oderaufrecht erhalten

� unerkannte somatische Komorbi-dität oder Verkennen einer somati-schen Erkrankung als Depression

� unerkannte psychiatrische Komor-bidität oder Verkennen einer ande-ren psychiatrischen Erkrankung alsDepression

� pharmakogen verursachte Depressi-on

PharmakotherapieBei der antidepressiven Pharmakothera-pie der therapieresistenten Depressionkommen verschiedene Möglichkeitenzur Fortführung/Optimierung der Be-handlung in Betracht. Die Response soll-te spätestens vier (bei älteren Patienten:sechs) Wochen nach Medikationsbeginnüberprüft werden, um über einen poten-tiellen Wechsel der Behandlungsstrate-gie entscheiden zu können. Die folgen-den sechs prinzipiellen Strategien sollenbesprochen werden, da sie entwederhäufig im klinischen Alltag Anwendungfinden oder da für sie mehrere kontrol-lierte Studien vorliegen (Abbildung 1):

1) Antidepressiva-HochdosistherapieWie eine systematische Übersichtsarbeitvon Adli und Mitarbeitern [13] zeigt,müssen die verschiedenen Antidepressi-va-Klassen bezüglich der Wirksamkeiteiner Hochdosisbehandlung unterschie-den werden. Eine Dosiserhöhung vontrizyklischen Antidepressiva (TZA), vondem irreversiblen MAO-HemmerTranylcypromin [14, 15] und von Ven-lafaxin kann zu einer größeren thera-peutischen Wirksamkeit führen. FürSSRI hingegen ist dies nicht gezeigt wor-den. Die S3 Leitlinie Unipolare Depressi-on (www.depression.versorgungsleitli-

nien.de) rät daher davon ab, als Reaktionauf ein fehlendes Ansprechen auf einenSSRI, die Dosis zu erhöhen.

2) Wechsel des Antidepressivums Eine systematische Metaanalyse fand le-diglich drei Untersuchungen mit geeig-netem Studienprotokoll, um zu über-prüfen, ob der Wechsel des Antidepressi-vums eine Wirkung hat, die über die le-digliche Ausdehnung der Behandlungs-dauer hinaus geht [16]. In keiner derStudien war die Strategie „Wechsel desAntidepressivums“ wirksamer als diesimple Fortführung des bislang nicht ef-fektiven Antidepressivums. Von einerlangen Reihung immer neuer Antide-pressiva bei der Behandlung depressiverPatienten ist deshalb dringend abzura-ten.

Trotz des Gesagten sprechen verschiede-ne Argumente dafür, dass der Wechselvon einem selektiven Antidepressivumauf ein trizyklisches Antidepressivum(TZA) sinnvoll sein könnte: Eine großeMetaanalyse [17] ergab, dass TZA beihospitalisierten Patienten signifikantwirksamer sind als ein SSRI sowie, dassAmitriptylin insgesamt wirksamer ist alsSSRIs.

Auch dem Wechsel auf den irreversiblenMAO-Hemmer Tranylcypromin (Jatro-som®) kommt vermutlich ein besonde-rer Stellenwert zu [14, 15, 18], was mög-licherweise darauf beruhen könnte, dassMAO-A- und -B-Hemmer die einzigenverfügbaren Antidepressiva mit einer„dreifachen“ Wirkung sind, da die Hem-mung der beiden Monoaminooxidasendie Konzentration an Serotonin, Nor -adrenalin und Dopamin erhöht.

Abbildung 1: Prinzipielle pharmakotherapeutische Strategien bei der therapieresistenten Depression

Therapieresistente Depression

Antidepressiva-Hochdosistherapie

Wechsel des Antidepressivums

Antidepressiva-Kombinations-

therapie

Lithium-augmentation

Augmentation mitatypischen

Antipsychotika

Augmentation mitSchilddrüsen-hormonen

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3) Antidepressiva-Kombinationsbe-handlungAuch die häufig geübte Kombinationverschiedener Antidepressiva ist leiderwenig evidenz-basiert [19]. Gemäß denverfügbaren Daten scheint die folgendeKombinationsstrategie allerdings sinn-voll [20]:� Wiederaufnahmehemmer (TZA oder

SSRI, vermutlich auch SNRI) mitMirtazapin (Remergil®, Generika)oder Mianserin (Tolvin®, Generika).

In fast allen diesen Studien erwies sichdie Kombination als wirksamer im Ver-gleich zu einer Monotherapie (plus Pla-cebo). Aufgrund dieser guten Studienla-ge, die auch eine gute Verträglichkeit derKombination zeigt, eines plausiblenpharmakologischen Wirkmechanismusund der klinischen Erfahrung, kanndiese spezielle Kombinationsbehand-lung empfohlen werden.

4) LithiumaugmentationUnter Augmentation versteht man dieAddition einer zweiten Substanz, diekaum eigenständige antidepressiveWirksamkeit besitzt, zu einem bislangnicht wirksamen Antidepressivum. Die-ser Behandlungsstrategie liegt die An-nahme zu Grunde, dass eine spezifischepharmakologische Interaktion dochnoch zu einem Ansprechen auf die Be-handlung führt. Von den unterschiedli-chen, zur Augmentation eingesetztenSubstanzen ist Lithium besonders gutwissenschaftlich untersucht [21].

Zur Lithiumaugmentation wird Lithiumunter Beachtung der Kontraindikatio-nen und der erforderlichen Voruntersu-chungen zum unverändert fortgeführ-ten (und bislang unwirksamen) Antide-pressivum addiert. Es werden ähnlicheLithium-Spiegel wie für die phasenpro-phylaktische Behandlung (0,6–0,9mmol/l) benötigt [22]. Bis auf mögli-cherweise rein noradrenerge Antide-pressiva wie Nortriptylin oder Reboxetin[23] ist eine effektive Augmentation allergängigen Antidepressiva möglich.

Die gut belegte antisuizidale Wirksam-keit von Lithium [24] sollte dabei beach-tet und genutzt werden. Auf unsere aus-führliche Darstellung der Lithiumthera-

pie (in AVP 2013; 40: 12–15) sei verwie-sen.

5) Augmentation mit atypischen Neuro-leptikaDiese Augmentationsstrategie ist eineAlternative zu der etablierten Augmen-tation mit Lithium bei therapieresisten-ter Depression [25].

In einer aktuellen Übersichtsarbeit wur-den 14 placebokontrollierte, randomi-sierte, doppel-blinde Studien (RCT) zurAugmentation mit den atypischen Neu-roleptika Olanzapin (z. B. Zyprexa®),Quetiapin (z. B. Seroquel®), Risperidon(z. B. Risperdal®, Generika) und Aripi-prazol (z. B. Abilify®) in der Behandlungvon unipolaren nicht wahnhaften De-pressionen, die auf eine Antidepressiva-Monotherapie nicht angesprochen hat-ten, gefunden [26]. Dabei deuten die vor-liegenden Daten zum einen auf eine sig-nifikant bessere Wirksamkeit im Ver-gleich zur Placebo-Augmentation hin,zum anderen aber auch auf einen schnel-len Wirkeintritt des antidepressiven Ef-fektes im Vergleich zum Antidepressi-vum allein. Weiterhin ist zu bemerken,dass die dabei notwendigen Dosierungengeringer sind, als es in der Schizophre-nie-Behandlung üblich ist.

Einzig retardiertes Quetiapin besitzt inDeutschland die Zulassung als Add-on zuAntidepressiva zur Augmentationsbe-handlung bei Episoden einer unipolarenDepression.

Die Wirksamkeit sowohl der Augmenta-tion mit Lithium als auch mit atypischenAntipsychotika kann bereits schon nachzwei Wochen erwartet werden. Eine na-turalistische Studie bei fast 100 Patien-ten weist des Weiteren darauf hin, dassdiese Strategien insgesamt wohl zu bes-seren Behandlungsergebnissen führenals die Antidepressiva-Kombination oderder Wechsel des Antidepressivums (d. h.als eine Behandlung weiterhin aussch-ließlich mit Pharmaka aus der Gruppeder Antidepressiva) [27]. Ein Vergleichbeider Augmentationsstrategien imRahmen doppelblinder Studien liegt bis-lang noch nicht vor. Eine offene Pilotstu-die mit 20 Patienten verglich Lithiummit unretardiertem Quetiapin. Diese

zeigte Vorteile in der Quetiapin-Gruppe[28]. Für die Ableitung von verallge-meinerbaren Aussagen ist die kleine Stu-die jedoch ungeeignet.

6) Augmentation mit Schilddrüsenhor-monenDie Augmentation mit Schilddrüsenhor-monen ist eine experimentelle Therapie[29].

Sowohl für den Einsatz von Trijodthyro-nin als auch für supraphysiologischhoch dosiertes L-Thyroxin zusätzlich zueinem Antidepressivum existieren zahl-reiche Hinweise für eine positive Beein-flussung depressiver Symptome. Für Tri-jodthyronin gibt es mehr Studien, aller-dings auch einige negative. Insgesamtscheint die Hochdosisbehandlung mit L-Thyroxin praktikabler und besser ver-träglich. Bei Euthyreose kann dabei mit100 µg/Tag L-Thyroxin begonnen wer-den und diese Dosis wöchentlich um 100µg/Tag erhöht werden. Zieldosis sollten250–400 µg/Tag sein (stets Einmalgabeam Morgen). Bei Auftreten von typi-schen hyperthyreoten Nebenwirkungenmuss die Dosis reduziert oder langsameraufdosiert werden [29]. Untersuchungenvor und während der L-Thyroxin-Hoch-dosisbehandlung sind z. B. in [29] aufge-listet. Die Indikation hierfür sollte enggestellt und Kontraindikationen müssenbeachtet werden [30].

ElektrokrampftherapieDie Elektrokrampftherapie (EKT) isteine gut untersuchte Behandlungsstra-tegie bei der unipolaren Depression unddurchaus wirksamer als eine psycho-pharmakologische Behandlung [31, 32].Dies gilt für alle Schweregrade. Auf unsere Darstellung in AVP 2010; 37: 77–79 dürfen wir verweisen. Sie scheintdabei effektiver zu sein als der Wechseldes Antidepressivums oder die Augmen-tationsstrategien [33]. Es konnte de-monstriert werden, dass die EKT sehr effektiv ist bei schweren therapie -resistenten depressiven Episoden. Sokönnen dabei noch Remissionsraten vonetwa 50 Prozent bei therapieresistentenDepressionen erreicht werden [34]. Dielege artis durchgeführte EKT bestehtmeist aus einer Serie von 6-12 Einzelbe-

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handlungen, wobei 2–3 Behandlungenpro Woche stattfinden [35].

PsychotherapieDie Wirksamkeit psychotherapeutischerVerfahren speziell bei therapieresisten-ten Depressionen ist kaum untersucht.Einige Studien konnten allerdings zei-gen, dass die zusätzliche Behandlungmit kognitiver Verhaltenstherapie (KVT)bei einer bestehenden antidepressivenPharmakotherapie zu besseren Behand-lungsergebnissen bei therapieresisten-ter Depression führt [36]. Eine in Lancetonline im Dezember 2012 veröffentlich-te randomisierte und kontrollierte Mul-ticenterstudie mit über 400 Patientenbestätigt dies [37].

� Für die therapieresistente Depressi-on an sich existiert keine speziellepsychotherapeutische Behandlungs-form. Allerdings steht für die Be-handlung einer chronischen Depres-sion ein Psychotherapieverfahrenzur Verfügung: das Cognitive Behavi-oral Analysis System of Psychothera-py (CBASP) [38].

LiteraturDas 38 Positionen umfassende Literatur-verzeichnis kann vom Erstautor ange-fordert werden

InteressenkonflikteSE erhielt in den letzten fünf Jahren Rei-sekostenunterstützung durch die FirmaAstraZeneca sowie Kongresskostenun-terstützung durch die Firma Servier. UK verneint Interessenkonflikte.

TB hat in den letzten fünf Jahren Vor-tragshonorare der Firmen Lilly, BMS,Servier, AstraZeneca und Lundbecksowie eine Kongressreiseunterstützungder Firma AstraZeneca angenommen.

Dr. med. Sebastian Erbe, [email protected]. med. Ursula Köberle, BerlinPD Dr. med. Tom Bschor, Berlin

FAZIT

Die Behandlung der therapieresistentenDepression ist eine therapeutische undökonomische Herausforderung. Bei derantidepressiven Pharmakotherapie soll-te die Augmentationsbehandlung demWechsel des Antidepressivums oder derAntidepressiva-Kombinationsbehand-lung vorgezogen werden. Als Augmen-tor ist Lithium der Goldstandard. Alterna-tiven sind atypische Antipsychotika. DieAugmentation mit Schilddrüsenhormo-nen ist ein experimentelles Behand-

lungsverfahren. Neben der Pharmako-therapie sollte auch eine Kombinationmit kognitiver Verhaltenstherapie statt-finden. Bei Chronifizierung und entspre-chendem Patientenverhalten kann eineBehandlung mit Cognitive BehavioralAnalysis System of Psychotherapy(CBASP) erprobt werden. Insbesonderenach einer langen wirkungslosen Phar-makotherapie sollte an die Elektro-krampftherapie gedacht werden.

Divertikulitis – Erkennung und BehandlungDivertikel im Kolon, die im Laufe des Le-bens erworben werden, sind Pseudodi-vertikel: sie entwickeln sich an Durch-trittsstellen von Gefäßen durch dieDarmwand und sind nur von Mukosaund Submukosa bedeckt. Neben geneti-schen und ethnischen Faktoren werdenfür die Entwicklung von Divertikeln einerhöhter Druck bzw. eine gesteigerteMotilität durch Dehnungsreize (vorallem im Sigma) und eine gestörte neu-ronale Koordination der Kolonmotilitätim Alter als pathophysiologische Mecha-nismen diskutiert (1). Dementsprechendfindet sich die Divertikulose in den west-lichen Industrienationen mit zuneh-mendem Alter mit höherer Prävalenz (30– 50 % jenseits des 60. Lebensjahres).

Die früher vermutete kausale Beziehungzwischen verminderter Aufnahme vonBallaststoffen und zunehmender Präva-lenz von Divertikeln konnte in neuerenUntersuchungen nicht bestätigt werden(2).

Die Divertikulitis ist die häufigste Kom-plikation der Divertikulose. Sie wurde inder Vergangenheit mit einer Häufigkeitbis 25 % der Divertikelträger angegeben(3). Aufgrund der heute weit verbreite-ten Anwendung von endoskopischen, ra-diologischen und sonographischen Un-tersuchungsverfahren und dem damitverbundenen Nachweis von Divertikelnals Zufallsbefund bei asymptomatischenPatienten, muss jedoch davon ausgegan-

gen werden, dass das Auftreten einer Di-vertikulitis bei Divertikulose deutlichseltener ist. Die weiteren Komplikatio-nen einer Divertikulose wie die Diverti-kel-assoziierte segmentale Kolitis unddie im Regelfall selbstlimitierend verlau-fende akute Divertikelblutung sind nichtGegenstand dieses Beitrages.

Eine akute Divertikulitis beginnt immermit einer Mikroperforation eines odermehrerer Divertikel mit zunächst lokali-sierter bakterieller Entzündung. Leit-symptom der akuten Entzündung ist einim linken Unterbauch lokalisierterSchmerz, oft in Verbindung mit einerdruckdolenten Resistenz. Die Lokalisati-on kann im Einzelfall ebenso variieren

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(zum Beispiel bei rechtsseitiger Diverti-kulitis) wie die weiteren Befunde: Verän-derung der Stuhl-Gewohnheiten, pera-naler Blutabgang, dysurische Beschwer-den (als Hinweis auf eine Harnblasenbe-teiligung), Übelkeit, Erbrechen, Fieber.Insbesondere bei immunsupprimiertenund beim älteren Patienten können dieseklinischen Zeichen fehlen. Das CRP istein hilfreicher Parameter insbesonderezur Verlaufsbeurteilung. Ein Normalbe-fund der unspezifischen Entzündungs-marker (CRP, Leukozytenzahl, BSG) fin-det sich jedoch bei bis zu 15 % der akutenDivertikulitiden. Dennoch kann die Dia-gnose Divertikulitis in den allermeistenFällen klinisch durch Anamnese undkörperliche Untersuchung gestellt wer-den. Bei klinisch lokaler Entzündungreicht zur Diagnosesicherung die Dar-stellung des entzündeten Divertikels inder Sonographie. Bei Zeichen einer dif-fusen Entzündung, unklaren Befundenund auch bei Verschlechterung im Ver-lauf sollte eine Computertomographieerfolgen. Die übliche Stadieneinteilungder Divertikulitis nach Hansen undStock (Tabelle 1) orientiert sich nach denin der Bildgebung erhobenen Befunden(4).

Eine akute Divertikulitis mit milderSymptomatik ohne Hinweise auf Kom-plikationen, entsprechend dem StadiumI nach Hansen und Stock, ist mit einervorübergehenden Nahrungskarenz (beiausreichender oraler Flüssigkeitszu-fuhr!) und mit anschließender ballast-stoffarmer Kost, körperlicher Schonungund einer oralen Antibiotikatherapieausreichend behandelt (zum BeispielKombination eines Gyrasehemmers wieCiprofloxacin 2 x 500 mg mit Metronida-zol, 3 x 400 mg. für 7 Tage).

Bestehen primär starke Schmerzen, pe-ritoneale Reizzeichen oder eine deutli-che Leukozytose und/oder zeigt die Bild-gebung einen komplizierten Verlauf(Stadium II/III nach Hansen und Stock)oder erweist sich im Stadium I die The-rapie nach 3–4 Tagen als nicht ausrei-chend wirksam, ist eine stationäre Auf-nahme indiziert. Grundsätze der Be-handlung sind (vorübergehende) Bett-ruhe, Nahrungskarenz und intravenöseGabe von Elektrolytlösungen und Anti-

biotika. Klinischer Befund und Entzün-dungsparameter (Leukozytenzahl, CRP)sind engmaschig, d. h. initial täglich zuüberwachen. Acylaminopenicilline, III.-Generations- Cephalosporine, Gyrase-hemmer und Carbapeneme sind in klini-schen Studien gleichwertig (5). Trotz desSelektionsdrucks bezüglich multiresi-stenter gramnegativer Erreger kann alsinitiale Therapie zum Beispiel ein III.-Generations-Cephalosporin (z. B. Cef-triaxon) in Kombination mit Metronida-zol empfohlen werden. Diese Therapiewird in der Regel über 7 Tage, in Einzel-fällen bis zu 10 Tage durchgeführt. Ist dieakute Erkrankungsphase überwunden,erfolgt ein schrittweiser Kostaufbaunach klinischer Verträglichkeit. 90 % derstationär behandelten Patienten könnenmit diesem Vorgehen erfolgreich thera-piert werden. Die Indikationen zu einerdringlichen Operation sind in Tabelle 2zusammengefasst. Muss in akuten Ent-zündungssituationen operiert werden,kann ein mehrzeitiges Vorgehen mit An-lage eines passageren Anus praeter natu-ralis notwendig werden. Liegt eingrundsätzlich operationsbedürftiger Ab-szess vor, wird man versuchen, durcheine interventionell platzierte Dränageden Operationszeitpunkt aus der akutenEntzündungssituation zu verschieben.Bei schweren Komorbiditäten kann die-ses interventionelle Vorgehen im Einzel-

fall auch die definitive Behandlung dar-stellen (6).

Eine elektive Operation bereits nach derersten Divertikulitis sollte erwogen wer-den bei schwerem komplizierten Verlauf(gedeckte Perforation, Abszess), bei im-munkompromittierten oder dauerhaftimmunsupprimierten Patienten undauch immer, wenn ein Malignom nichtsicher ausgeschlossen werden kann(Eine vollständige Koloskopie innerhalbvon 6-8 Wochen ist bei allen Patientennach Divertikulitis indiziert, die nicht inder näheren Vergangenheit bereits voll-ständig koloskopiert wurden). Dagegenist das erste Rezidiv einer Divertikulitisund auch das zweite oder dritte, soferndazwischen große Abstände (Jahre) lie-gen, heute keine grundsätzliche Indika-tion zur Resektion. Schwer verlaufendeRezidive, ein entzündlicher Divertikel -tumor oder anhaltende Beschwerdenzwischen den Divertikulitisschüben be-stimmen in Abwägung von Begleiter-krankungen die Indikationsstellung (7).Die Patienten sollten über die Frequenzpostoperativer Beschwerden (bis 20 %)und von Divertikulitisrezidiven (3−13%) informiert sein.

Dieser Artikel basiert auf einer ausführ-lichen Darstellung in der deutschen me-dizinischen Wochenschrift (8).

• Stadium I: akute, unkomplizierte Divertikulitis

• Stadium II: akute, komplizierte Divertikulitis (Mortatlität < 1 %)

– Stadium IIa: Peridivertikulitis / Phlegmone (Mortalität < 5 %)

– Stadium IIb: gedeckte Perforation, Abszess (Mortalität < 5 %)

– Stadium IIc: freie Perforation / Peritonitis (Mortalität 15–45 %)

• Stadium III: Komplikationen der chronisch rezidivierenden Divertikulitis wie Fisteln, Stenosierung

• Freie Perforation oder Ruptur eines Abszesses

• Bildung, Persistenz oder Progression eines großen (> 4 cm) Abszesses (nach 48 bis 72 Stunden) trotz adäquater Therapie

• Urosepsis bei vesikokolischer Fistel

• Darmobstruktion/Ileus

• Massive bzw. anhaltende Blutung

Tabelle 1: Divertikulitis-Stadien nach Hansen und Stock

Tabelle 2: Indikation zur dringlichen Operation

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Literatur1.Commane DM, Arasaradnam RP, MillsS et al.: Diet, ageing and genetic fac-tors in the pathogenesis of diverticulardisease. World J Gastroenterol 2009;15: 2479–2488.

2. Peery AF, Barrett PR, Park D et al.: Ahigh-fiber diet does not protect againstasymptomatic diverticulosis. Ga-stroenterology 2012; 142: 266–272.

3. Parks TG: The clinical significance ofdiverticular disease of the colon. Prac-titioner 1982; 226: 643–654.

4.Hansen O, Stock W: ProphylaktischeOperation bei der Divertikelkrankheitdes Kolons – Stufenkonzept durch ex-akte Stadieneinteilung. LangenbecksArch Chir 1999; 384 (Suppl. II):1257–1260.

5. Solomkin JS, Reinhart HH, DellingerEP et al.: Results of a randomized trialcomparing sequential intravenous/oral treatment with ciprofloxacin plusmetronidazole to imipenem/cilastatinfor intra-abdominal infections. TheIntra-Abdominal Infection StudyGroup. Ann Surg 1996; 223: 303–315.

6. Singh B, May K, Coltart I et al.: Thelong-term results of percutaneousdrainage of diverticular abscess. Ann RColl Surg Engl 2008; 90: 297–301.

7.Margolin DA: Timing of elective sur-gery for diverticular disease. ClinColon Rectal Surg 2009; 22: 169–172.

8. Rosien U: Divertikelkrankheit des Ko-lons. Dtsch Med Wochenschr 2013;137: 1808–1813.

InteressenkonflikteEin Interessenkonflikt wird vom Autorverneint.

Dr. med. Ulrich Rosien, [email protected]

FAZIT

Die mit dem Alter zunehmende Ausbil-dung einer Divertikulose ist multifaktori-eller Genese, wobei die früher geprägteAssoziation mit einer ballaststoffenar-men Ernährung fraglich erscheint. Beider akuten Divertikulitis als häufigsterKomplikation ermöglichen Symptomatikund körperlicher Untersuchungsbefundin der Regel die Diagnosestellung; trotz-dem muss im Einzelfall mit atypischenSymptomen/ Lokalisationen und Labor-befunden gerechnet werden. Die klini-sche Diagnose sollte stadienabhängigdurch Sonographie und/oder Computer-tomographie gesichert werden. In leich-

ten Fällen ist eine ambulante Behand-lung mit diätetischen Maßnahmen undoraler Antibiotikatherapie möglich.Schwere Verläufe oder fehlendes The-rapieansprechen indizieren die stationä-re Aufnahme mit Nahrungskarenz undintravenöser Antibiotika-Gabe. Die Indi-kationen zur dringlichen Operation müs-sen rechtzeitig erkannt werden, auchwenn sie nur eine Minderheit der Patien-ten betreffen. Die Indikationsstellung zurelektiven Operation erfolgt heute diffe-renziert nach Schwere der Erkrankung,Rezidivfrequenz, Immunstatus und Ko-morbiditäten.

Patienten mit akutem koronarem Syn-drom erhalten sehr häufig eine dualeTherapie mit Thrombozytenfunktions-hemmern, z. B. Acetylsalicylsäure (ASS)plus Clopidogrel.

Das Risiko dieser Patienten für thrombo-tische Ereignisse ist relativ hoch, so dasszusätzlich häufig orale Antikoagulantienverabreicht werden. In einer Meta-Ana-lyse randomisierter kontrollierter Studi-en (orale Antikoagulantien versus Place-bo) wurde die Nutzen-Schaden-Bilanzdieser Dreifachkombinationen ermittelt

(1). Ausgewertet wurden sieben Studien(Phase II fünf Studien, Phase III zweiStudien) mit den oralen direkten Faktor-Xa-Inhibitoren Apixaban (Eliquis®), Ri-varoxaban (Xarelto®), Darexaban (Ent-wicklung abgebrochen) und den direk-ten Thrombininhibitoren Dabigatran(Pradaxa®) und Ximelagatran (seit 2006wegen Hepatotoxizität nicht mehr imHandel). Diese Studien wurden zwi-schen 2003 und 2012 publiziert. Einbe-zogen wurden 31.286 Patienten mit In-farkt mit ST-Strecken-Hebung (im Mit-tel 60 %), instabiler Angina pectoris (im

Mittel 10 %) und perkutaner koronarerIntervention (im Mittel 55 %). Alle Pati-enten erhielten eine ASS-Basistherapie,

Einfluss oraler Antikoagulantien auf die Sicherheit von Patienten mit akutem koronarem Syndromunter einer Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern

Arzneimittel – kritisch betrachtet

FAZIT

Wenn Patienten mit akutem koronaremSyndrom, die mit Thrombozytenaggre-gationshemmern behandelt werden,zusätzlich orale Antikoagulantien er-halten, ist dies mit einer deutlichen Er-höhung von Blutungen verbunden.

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59Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

zusätzlich wurden im Mittel 82 % der Pa-tienten mit Clopidogrel behandelt. Wiean den Zahlen in der Tabelle 1 zu erken-nen ist, wird durch die orale Antikoagu-lation praktisch kein Zusatznutzen er-zielt. Blutungen traten dagegen deutlichhäufiger auf.

Literatur1.Komocsi A, Vorobcsuk A, Kehl D, AradiD: Use of new-generation oral anticoa-gulant agents in patients receiving an-tiplatelet therapy after an acute coro-nary syndrome: systematic review andmeta-analysis of randomized control-led trials. Arch Intern Med 2012; 172:1537–1545.

InteressenkonflikteEin Interessenkonflikt wird vom Autorverneint.

Prof. em. Dr. med. Frank P. Meyer,Wanzleben-Bö[email protected]

Tabelle 1: Nutzen und Schaden einer Dreifachtherapie – Patienten mit akutem koronarem Syndromunter einer dualen Therapie mit Thrombozytenfunktionshemmern bei zusätzlicher Verabreichung vonoralen Antikoagulantien oder Placebo. (modifiziert nach einer Meta-Analyse (1))

Ereignis Placebo Orale Ak ARR NNT NNH OR (95 % CI)% % % n n

NutzenMortalität 3,0 2,5 0,5 200 – 0,90 (0,76–1,06)Ischämische Ereignisse 7,8 6,5 1,3 77 – 0,86 (0,79–0,94)Stentthrombosen 1,3 1,0 0,3 333 – 0,73 (0,54–0,98)

SchadenMassive Blutungen nach TIMI 0,4 1,3 − 0,9 – 111 3,03 (2,20–4,16)Massive plus klinisch relevantegeringe Blutungen 3,5 10,2 − 6,7 – 15 2,68 (2,16–3,33)Alle Blutungen 9,0 17,9 − 8,9 – 11 2,26 (2,01–2,56)

Ak: Antikoagulantien OR: Odds Ratio CI: KonfidenzintervallARR: absolute Risikoreduktion (negative Werte = Risikoerhöhung)NNT: number needed to treat (100 : ARR) NNH: number needed to harm (100 : negative ARR)TIMI: thrombolysis in myocardial infarction

Neue Arzneimittel

Hinweise zur Erstellung der Information „Neue Arzneimittel“

„Neue Arzneimittel“ ist eine Information der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) zu neu zugelasse-nen Arzneimitteln/neu zugelassenen Indikationen.

Ziel ist es, den Vertragsärzten eine zeitnahe Information zu neu zugelassenen Arzneimitteln bei Markteinführung zur Ver-fügung zu stellen. Diese Information ist ebenfalls auf der Homepage der AkdÄ abrufbar (http://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/NA/index.html) und wird auch mittels elektronischem Newsletter aktiv versandt.

Dargestellt werden in der Information „Neue Arzneimittel“ von dem Committee for Medicinal Products for Human Use(CHMP) der European Medicines Agency (EMA) als positiv bewertete und von der Europäischen Kommission neu zugelas-sene Arzneimittel bzw. Indikationserweiterungen. Grundlage der Information und der Bewertung des Arzneimittels ist derEuropean Public Assessment Report (EPAR) der EMA.

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60 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

IndikationDapagliflozin ist bei erwachsenen Pati-enten im Alter von 18 Jahren und ältermit Typ-2-Diabetes mellitus zur Verbes-serung der Blutzuckerkontrolle indi-ziert als:• Monotherapie, wenn Diät und Bewe-gung allein den Blutzucker nicht aus-reichend kontrollieren bei Patienten,bei denen die Anwendung von Metfor-min aufgrund einer Unverträglichkeitals ungeeignet erachtet wird;

• Add-on-Kombinationstherapie in Kom -bination mit anderen blutzuckersen-kenden Arzneimitteln einschließlichInsulin, wenn diese den Blutzucker,zusammen mit einer Diät und Bewe-gung, nicht ausreichend kontrollie-ren.

Pharmakologie und klinischeStudienDapagliflozin ist ein selektiver und rever-sibler Inhibitor des Natrium-Glukose-Cotransporters 2 (SGLT-2). SGLT-2 wirdselektiv in der Niere exprimiert und istder Haupttransporter, der für die Reab-sorption von Glukose aus dem glome-rulären Filtrat zurück in den Kreislaufverantwortlich ist. Dapagliflozin verbes-sert sowohl die Nüchtern- als auch diepostprandialen Plasmaglukosespiegel,indem es die renale Glukosereabsorptionsenkt und zur Glukoseausscheidung mitdem Harn führt. Die Glukosemenge, diedurch diesen Mechanismus über dieNiere eliminiert wird, hängt von derBlutglukosekonzentration und der glo-merulären Filtrationsrate (GFR) ab. Da-pagliflozin behindert nicht die normaleendogene Glukoseproduktion als Reakti-on auf eine Hypoglykämie und wirkt un-abhängig von der Insulinsekretion undInsulinwirkung.

Zur Bewertung der Wirksamkeit und Si-cherheit von Dapagliflozin wurden elfdoppelblinde, randomisierte, kontrol-lierte klinische Studien mit 5693 Patien-ten mit Typ-2-Diabetes durchgeführt;3939 Personen wurden in diesen Studienmit Dapagliflozin behandelt. Primärer

Forxiga® (Dapagliflozin)

Bewertung

Das zur Behandlung des Typ-2-Diabe-tes zur Verfügung stehende orale Anti -diabetikum Dapagliflozin ist ein selek-tiver Inhibitor des Natrium-Glukose-Cotransporters 2 (SGLT-2), der zu einerverringerten renalen Reabsorption derGlukose führt und durch vermehrteGlukoseausscheidung mit dem Harndie Plasmaglukosespiegel senkt. Dapa-gliflozin wirkt unabhängig von der In-sulinsekretion und der Insulinwir-kung.Primärer Endpunkt in den Zulassungs-studien war die Veränderung desHbA1c gegenüber dem Ausgangswert,in einer Studie die Gewichtsreduzie-rung. Dapagliflozin zeigte – allein undin Kombination mit anderen Antidia-betika – eine stärkere Senkung desHbA1c als Placebo. Dapagliflozin führtein der Add-on-Therapie zu einer mode-raten, in der Monotherapie zu keinerGewichtsreduzierung.Endpunktstudien zur Prävention dia-betischer Komplikationen fehlen zuDapagliflozin bisher ebenso wie Studi-en zu Effekten auf kardiovaskuläre Er-krankungen und Angaben zur Letalitätund Langzeitsicherheit.Das Hypoglykämierisiko unter der Mo-notherapie mit Dapagliflozin ist aufPlaceboniveau, in der Add-on-Therapie

mit Sulfonylharnstoffen oder Insulinführt es zu höheren Hypoglykämie -raten als Placebo.Bei mit Dapagliflozin behandelten Patienten traten im Vergleich zu Place-bo Genital- und Harnwegsinfektionenhäufiger auf. In den vorliegenden klini-schen Studien traten bei den mit Dapa-gliflozin behandelten Patienten bösar-tige Blasen- und Brusttumoren häufi-ger auf als unter Placebo. Im Rahmeneines von der Europäischen Arzneimit-tel-Agentur (EMA) geforderten RiskManagement Plans muss der Herstel-ler weitere Studiendaten vorlegen undeine epidemiologische Studie zur Be-urteilung der Inzidenz von Tumorendurchführen.Dapagliflozin kann als Mittel der 3.Wahl eingesetzt werden, wenn Metfor-min oder Glibenclamid als Monothera-pie oder die Kombination von Metfor-min und Glibenclamid nicht angezeigtsind oder nicht vertragen werden.Die US-amerikanische Zulassungs-behörde FDA (Food and Drug Admini-stration) hat für Dapagliflozin bisherkeine Zulassung erteilt. Die FDA ver-langt die Vorlage weiterer Daten, umdas Nutzen-Risiko-Verhältnis von Da-pagliflozin besser beurteilen zu kön-nen.

Dapagliflozin 10 mg

Placebo p-Wert für Überlegenheit

Patienten (n) 70 75 –

HbA1c (%) Veränderung zum Ausgangswert

– 0,89 – 0,23 p < 0,0001

Tabelle 1: Ergebnisse einer placebokontrollierten Studie mit Dapa-gliflozin als Monotherapie in Woche 24

Metformin+ Dapagliflozin

10 mg

Metformin+Placebo

p-Wert fürÜberlegenheit

Patienten (n) 135 137 –

HbA1c (%) Veränderung zum Ausgangswert

– 0,84 – 0,30 p < 0,0001

Tabelle 2: Ergebnisse einer placebokontrollierten Studie mit Dapa-gliflozin als Add-on-Kombination mit Metformin in Woche 24

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61Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

1 Weitere Studienergebnisse sind dem Europäi-schen Öffentlichen Beurteilungsbericht (EPAR) zuentnehmen.

Endpunkt war die Veränderung desHbA1c gegenüber dem Ausgangswert, ineiner Studie die Gewichtsreduzierung.In der zugelassenen Dosierung von 10 mgsenkte Dapagliflozin in der Monothera-pie den HbA1c nach 24 Wochen um 0,7 %,in der Add-on-Therapie mit anderenAnti diabetika um 0,5–0,7 % im Vergleichzu Placebo1.

Unerwünschte Arzneimittelwir-kungenDie Häufigkeit von leichten Hypoglykä-mie-Ereignissen war innerhalb der Be-handlungsgruppen, einschließlich derPlacebogruppe, ähnlich (< 4 %). In allenStudien traten gelegentlich schwere Hy-poglykämie-Ereignisse auf und wareninnerhalb der Gruppen, die mit Dapagli-

flozin bzw. Placebo behandelt wurden,vergleichbar. Studien zur Add-on-Thera-pie mit Sulfonylharnstoff und zur Add-on-Therapie mit Insulin wiesen aberhöhere Hypoglykämieraten auf.

Sehr häufig (≥ 1/10): Hypoglykämie (beiAnwendung mit Sulfonylharnstoffenoder Insulin).

Häufig (≥ 1/100, < 1/10): Vulvovaginitis,Balanitis und verwandte Infektionen desGenitalbereichs, Harnwegsinfektionen,Dysurie, Polyurie, Rückenschmerzen,Dyslipidämie, erhöhter Hämatokrit.

Gelegentlich (≥ 1/1000, < 1/100): vulvo-vaginaler Pruritus, Volumenmangel,Durst, Verstopfung, Hyperhidrose,Nykturie, erhöhtes Kreatinin im Blut, er-höhter Harnstoff im Blut.

Interaktionen, Kontraindikatio-nen, WarnhinweiseInteraktionen:• Dapagliflozin kann den diuretischenEffekt von Thiazid- und Schleifendiu-retika verstärken und das Risiko füreine Dehydratation und eine Hypoto-nie erhöhen.

• Bisher vorliegende Wechselwirkungs-studien deuten darauf hin, dass diePharmakokinetik von Dapagliflozindurch Metformin, Pioglitazon, Sita -gliptin, Glimepirid, Hydrochlorothia-zid, Valsartan oder Simvastatin nichtverändert wird.

• Anhand bisher vorliegender Studi-energebnisse scheint Dapagliflozin diePharmakokinetik von Metformin, Pio-glitazon, Sitagliptin, Glimepirid, Hy-drochlorothiazid, Valsartan, Digoxinoder Warfarin oder die blutgerin-nungshemmenden Wirkungen vonWarfarin gemäß INR-Messung nichtzu beeinflussen.

Kontraindikationen:Überempfindlichkeit gegen den Wirk-stoff oder einen der sonstigen Bestand-teile.

Glimepirid+ Dapagliflozin

10 mg

Glimepirid+Placebo

p-Wert fürÜberlegenheit

Patienten (n) 151 145 –

HbA1c (%) Veränderung zum Ausgangswert

– 0,82 – 0,13 p < 0,0001

Tabelle 3: Ergebnisse einer placebokontrollierten Studie mit Dapa-gliflozin als Add-on-Kombination mit Glimepirid in Woche 24

Pioglitazon+ Dapagliflozin

10 mg

Pioglitazon+Placebo

p-Wert fürÜberlegenheit

Patienten (n) 140 139 –

HbA1c (%) Veränderung zum Ausgangswert

– 0,97 – 0,42 p < 0,0001

Tabelle 4: Ergebnisse einer placebokontrollierten Studie mit Dapa-gliflozin als Add-on-Kombination mit Pioglitazon in Woche 24

Dapagliflozin 10 mg+ Insulin

± orale blutzucker-senkende

Arzneimittel

Placebo p-Wert fürÜberlegenheit

Patienten (n) 194 193 –

HbA1c (%) Veränderung zum Ausgangswert

– 0,90 – 0,30 p < 0,0001

Tabelle 5: Ergebnisse einer placebokontrollierten Studie mit Dapa-gliflozin in Kombination mit Insulin (allein oder mit oralen blut-zuckersenkenden Arzneimitteln) in Woche 24

Metformin+ Dapagliflozin

10 mg

Metformin+Placebo

p-Wert fürÜberlegenheit

Patienten (n) 89 91 –

HbA1c (%) Veränderung zum Ausgangswert

– 2,96 – 0,88 p < 0,0001

Tabelle 6: Ergebnisse einer placebokontrollierten Studie mit Dapa-gliflozin als Add-on-Kombination mit Metformin in Woche 24

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62 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

Dosierung und Kosten

Forxiga® (Dapagliflozin)

Darreichungsform Dosis proTag1 Kosten pro Jahr [€]2

Filmtabletten 1 x 10 mg3 820,13

Stand Lauertaxe: 15.02.20131Dosierung gemäß Produktinformation; 2Kostenberechnung nach Apothekenabgabepreis an-hand des kostengünstigsten Präparates einschließlich Import; 3in Kombination mit Insulinoder einem insulinotropen Wirkstoff (z. B. Sulfonylharnstoff) kann eine niedrigere Dosis desInsulins oder des insulinotropen Wirkstoffs in Erwägung gezogen werden.

Warnhinweise:• Dapagliflozin sollte nicht bei Patien-ten mit Typ-1-Diabetes mellitus oderzur Behandlung einer diabetischenKetoazidose angewendet werden.

• Anwendung bei Patienten mit Risikofür das Auftreten eines Volumenman-gels, Hypotonie und/oder Störungendes Elektrolythaushalts:

– Dapagliflozin steigert aufgrund desWirkmechanismus die Diurese, ver-bunden mit einer mäßigen Abnah-me des Blutdrucks, die bei Patien-ten mit sehr hohem Blutzucker-spiegel ausgeprägter sein kann.

– Dapagliflozin sollte nicht eingesetztwerden bei Patienten, die Schleifen-diuretika erhalten oder einen Volu-menmangel haben (s. o.). Bei auf-tretendem Volumenmangel wirdeine sorgfältige Überwachung desVolumenstatus (z. B. körperlicheUntersuchung, Messungen desBlutdrucks, Labortests einschließ-lich Hämatokrit) und der Elektro-lyte empfohlen. Bei Patienten mitVolumenmangel sollte Dapagliflo-zin bis zur Korrektur des Volumen-mangels abgesetzt werden.

– Mit Vorsicht sollte bei Patientenvorgegangen werden, für die ein Da-pagliflozin-induzierter Blutdruck-abfall ein Risiko darstellen könnte,wie zum Beispiel Patienten mit be-kannter kardiovaskulärer Erkran-kung, Patienten, die eine antihyper-tensive Behandlung erhalten miteiner Hypotonie in der Vorgeschich-te, oder ältere Patienten.

• Harnwegsinfektionen: – Die Glukoseausscheidung mit dem

Harn ist möglicherweise mit einemerhöhten Risiko für Harnwegsinfek-tionen verbunden; daher sollte einzeitweiliges Absetzen von Dapagli -flozin während der Behandlungeiner Pyelonephritis oder Urosepsisin Betracht gezogen werden.

• Herzinsuffizienz: – Erfahrungen aus klinischen Studi-

en mit Dapagliflozin bei Patientenmit NYHA-Klasse I–II sind be-grenzt, bei Patienten mit NYHA-Klasse III–IV liegen keine vor.

• Erhöhter Hämatokrit: – Bei der Behandlung mit Dapagliflo-

zin wurde ein Anstieg des Hämato-

krits beobachtet; daher ist bei Pati-enten mit bereits erhöhtem Häma-tokrit Vorsicht geboten.

• Anwendung bei Patienten, die mit Pio-glitazon behandelt werden:

– Patienten, die gleichzeitig mit Pio -glitazon behandelt werden, solltenkein Dapagliflozin erhalten. Epide-miologische Daten deuten auf einerhöhtes Risiko für Blasenkrebs bei

Anwendung bei besonderen Patientengruppen

Forxiga® (Dapagliflozin)

Ältere Patienten Im Allgemeinen wird keine Dosisanpassung aufgrunddes Alters empfohlen. Aber die Nierenfunktion solltekontrolliert und Risiken für das Auftreten eines Volu-menmangels beachtet werden. Aufgrund der begrenzten Therapieerfahrung und derlimitierten Daten wird der Beginn einer Therapie mitDapagliflozin bei Patienten im Alter von 75 Jahrenund älter nicht empfohlen.

Kinder und Jugendliche Keine Zulassung.

Patienten mit eingeschränkterNierenfunktion

Die Wirksamkeit von Dapagliflozin ist von der Nieren-funktion abhängig. Die Wirksamkeit ist bei Patientenmit moderater Nierenfunktionsstörung reduziert undbleibt wahrscheinlich bei Patienten mit schwerer Nie-renfunktionsstörung aus. Leichte Beeinträchtigung der Nierenfunktion: keineDosisanpassung angezeigt.Moderate bis schwere Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearance [CrCl] < 60 ml/min oder geschätzte glomeruläre Filtrationsrate [eGFR] < 60ml/min/1,73 m2): Anwendung wird nicht empfohlen.Schwere Beeinträchtigung der Nierenfunktion (CrCl < 30 ml/min oder eGFR < 30 ml/min/1,73 m2)oder terminale Niereninsuffizienz: Anwendung vonDapagliflozin wird nicht empfohlen.

Patienten mit eingeschränkterLeberfunktion

Leichte oder moderate Leberfunktionsstörung: keine Dosisanpassung erforderlich. Schwere Leberfunktionsstörung: Anfangsdosis von 5 mg/Tag wird empfohlen. Wenn diese gut vertragenwird, kann die Dosis auf 10 mg/Tag erhöht werden.

Anwendung bei Schwangeren Wenn eine Schwangerschaft festgestellt wird, solltedie Behandlung mit Dapagliflozin abgebrochen wer-den.

Anwendung bei Stillenden Dapagliflozin sollte während der Stillzeit nicht ange-wendet werden.

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63Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

mit Pioglitazon behandelten Diabe-tespatienten hin.

• Nicht untersuchte Kombinationen: – Dapagliflozin ist nicht in Kombina-

tion mit Dipeptidyl-Peptidase-4-(DPP-4)-Inhibitoren (Gliptine) oderGlucagon-like-Peptide-1-(GLP-1)-Analoga (Exenatide, Liraglutid) un-tersucht worden.

• Insulin und insulinotrope Wirkstoffe: – Insulin und insulinotrope Wirkstof-

fe, wie Sulfonylharnstoffe, verursa-chen Hypoglykämien. Daher kanneine niedrigere Dosis des Insulins

oder des insulinotropen Wirkstoffserforderlich sein, wenn die Blutglu-kose eine Stunde nach einer Mahl-zeit unter 10 mmol/l (180 mg/dl)oder der HbA1c-Wert unter 6,5 %liegt, um das Risiko für eine Hypo-glykämie bei Anwendung in Kombi-nation mit Dapagliflozin zu senken.

• Urin-Laborauswertungen – Stoff-wechselselbstkontrolle:

– Aufgrund des Wirkmechanismusfällt der Test auf Glukose im Harn beiPatienten, die Dapagliflozin einneh-men, positiv aus. Eine Stoffwechsel-

selbstkontrolle mittels Harnzucker-messung ist nicht möglich.

Weitere Informationen (u. a. zu uner-wünschten Arzneimittelwirkungen, Ri-siken) in der Fachinformation.

Aktuelle Informationen über neu zuge-lassene Arzneimittel in der Europäi-schen Union; erstellt auf der Basis desEuropäischen Öffentlichen Beurtei-lungsberichts (EPAR) Forxiga® erschie-nen am 07.12.2012.

Stand: 28.02.2013

IndikationEylea® wird angewendet bei Erwachse-nen zur Behandlung der neovaskulären(feuchten) altersabhängigen Makulade-generation (AMD).

Pharmakologie und klinischeStudienAflibercept ist ein rekombinantes Fu-sionsprotein, welches als spezifischer In-hibitor des „vascular endothelial growthfactor-A“ (VEGF-A) fungiert. Außerdembindet Aflibercept den Plazenta-Wachs-tumsfaktor (PIGF), welcher bei retinalerNeovaskularisation synergistisch zuVEGF-A wirken kann.

Eylea® wird nur intravitreal injiziert.Die zwei zulassungsrelevanten StudienVIEW-1 (USA, Canada) und VIEW-2(Asien, Europa, Lateinamerika) weisenein identisches Studiendesign auf, sodass sie als eine Studie betrachtet wer-den können. Die Patienten wurden zwi-schen den drei Aflibercept-Dosierungs-schemata und dem Ranibizumab-Kon-trollarm im Verhältnis 1:1:1:1 randomi-siert. Insgesamt wurden 2412 Patienten≥ 50 Jahre eingeschlossen.

Die Studien waren als Nichtunterlegen-heitsstudien konzipiert. Primärer End-punkt bei Woche 52 war der Erhalt derSehfähigkeit, ausgedrückt als Verlustvon < 15 EDTRS-Buchstaben (Early Treatment Diabetic Retinopathy StudyLesetafel) im Vergleich zum Ausgangs-wert. Nach diesem ersten Jahr wurdendie Patienten ein zweites Jahr weiterbe-handelt, allerdings sollten die Injekti-onsabstände nun an den funktionellenund morphologischen AMD-Verlaufange passt werden, mit der Möglichkeit,bei gleichbleibender Dosisstärke die In-jektionsintervalle zwischen vier undzwölf Wochen zu variieren.

In Woche 52 zeigte sich für alle Afliber-cept-Schemata eine Nichtunterlegen-heit gegenüber Ranibizumab. Der Anteilder Patienten, die unter Aflibercept ihreSehschärfe im Rahmen der Studienbe-dingungen beibehielten, lag zwischen95,1 und 96,3 %. In VIEW-1 zeigte sicheine Überlegenheit von Aflibercept 2mg/Monat gegenüber Ranibizumab be-züglich Änderung des Buchstabenscoresder bestkorrigierten Sehschärfe (BCVA),was sich allerdings in VIEW-2 nicht zeig-te.

Insgesamt betrug in allen Gruppen diemittlere Visusverbesserung am Ende desersten Jahres acht bis neun Buchstaben.

Eylea® (Aflibercept)

Bewertung

Eylea® (Aflibercept) wurde basierendauf zwei identisch aufgebauten, paral-lel durchgeführten Phase-III-Studienzugelassen. Darin wurde die Nichtun-terlegenheit gegenüber Ranibizumab(0,5 mg monatlich) geprüft. Afliberceptwurde in drei unterschiedlichen Dosie-rungsschemata eingesetzt: durchge-hend 0,5 mg bzw. 2 mg monatlich (0,5 mg/Monat bzw. 2 mg/Monat) sowie2 mg jeden zweiten Monat nach drei in-itialen monatlichen Gaben von 2 mg (2 mg/2 Monate). Aflibercept zeigte sichbezüglich Wirksamkeit und Sicherheitgegenüber Ranibizumab nicht unterle-gen. Auch die Dosierungsschemata vonAflibercept zeigten untereinanderkeine signifikanten Unterschiede. Dieaktuelle Empfehlung des Herstellerslautet, im ersten Jahr das 2 mg/2 Mona-te-Schema anzuwenden und im zwei-ten Jahr die Intervalle an den funktio-nellen und morphologischen Erkran-kungsverlauf anzupassen und gegebe-nenfalls auf zwölf Wochen zu verlän-

gern. Der mögliche Vorteil einer selte-neren Behandlungsfrequenz von Afli-bercept kann aus der Studie nicht abge-leitet werden, da Ranibizumab proto-kollbedingt häufiger verabreichtwurde, als dies nach derzeitiger Studi-enlage erforderlich ist, und auch häufi-ger, als es vom Hersteller empfohlenwird.

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64 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

abnorme Empfindung im Auge, Reizungdes Augenlids, Vitritis, Uveitis, Iritis, Iri-docyclitis, Schwebeteilchen in der Vor-derkammer.

Selten (≥ 1/10.000, < 1/1000): Hypopyon.

Interaktionen, Kontraindikatio-nen, WarnhinweiseInteraktionen: Wechselwirkungen wur-den in Studien nicht untersucht.

Bei etwa 30 % der Patienten zeigte sichein Gewinn von mindestens drei Zeilen.Auch die Verringerung der Fläche derchoroidalen Neovaskularisation um 3–5mm² war in allen Gruppen gleich.

Die gepoolte Analyse von VIEW-1 und -2für das zweite Jahr ergab einen Erhaltder Sehschärfe bei 91,5–92,4 % der Pati-enten unter Aflibercept und bei 91,6 %unter Ranibizumab. 62,7 % der Afliber-cept-Patienten benötigten Injektionenin acht- bis zwölfwöchigem Abstand. DieBehandlungshäufigkeit im zweiten Jahrbetrug in allen vier Gruppen im Mitteletwa vier Injektionen.

Der Anteil der Patienten ohne intrareti-nales zystisches Ödem und/oder subreti-nale Flüssigkeit in der optischenKohärenztomografie war numerischbesser in den höher dosierten Afliber-cept-Armen (72 % bzw. 68 % bei 2mg/Monat bzw. 2 mg/ 2 Monate) als imRanibizumab-Arm (62 %). Eine statisti-sche Prüfung hierzu fehlt jedoch.

Aus der VIEW-Studie geht nicht eindeu-tig hervor, welches das günstigste Afli-bercept-Schema für die Patienten ist,wobei das Dosierungsschema 2 mg/2Monate den Vorteil der selteneren Injek-tionen hätte. Gegenüber Ranibizumabkann jedoch ein solcher Vorteil nichtkonstatiert werden, da Ranibizumabprotokollbedingt häufiger als im klini-schen Alltag üblich verabreicht wurde.Gemäß aktueller Fachinformation sollRanibizumab monatlich bis zum Errei-chen des maximalen Visus gegeben wer-den1. Dieser gilt als erreicht, wenn derVisus des Patienten unter Behandlungmit Ranibizumab bei drei aufeinander-folgenden monatlichen Kontrollen sta-bil bleibt. Eine Wiederaufnahme der mo-natlichen Gaben erfolgt bei Visusver-schlechterung. Diese Behandlungsrea-lität wird von den aktuellen Vergleichs-studien Ranibizumab vs. Bevacizumabmit befundgesteuerter Behandlungs-häufigkeit unterstützt2. Darin waren imMittel etwa sieben Injektionen währenddes ersten Jahres erforderlich, was inetwa dem Aflibercept-Behandlungssche-ma 2 mg/2 Monate nach drei initialenMonatsinjektionen entspricht.

Unerwünschte Arzneimittelwir-kungenSehr häufig (≥ 1/10): Bindehautblutung,Augenschmerzen.

Häufig (≥ 1/100, < 1/10): Netzhautablö-sung, Einriss des retinalen Pigment -epithels, Abhebung des retinalen Pig-mentepithels, Netzhautdegeneration,Katarakt, Kernkatarakt, subkapsulärerKatarakt, Hornhautabrasion, Anstiegdes Augeninnendrucks, verschwomme-nes Sehen, Glaskörperschlieren, Horn-hautödem, Glaskörperabhebung,Schmerzen an der Injektionsstelle,Fremdkörpergefühl im Auge, erhöhteTränensekretion, Augenlidödem, Blu-tungen an der Injektionsstelle, Binde-hauthyperämie, okuläre Hyperämie.

Gelegentlich (≥ 1/1000, < 1/100):Überempfindlichkeit (einschließlich al -lergischer Reaktionen), Endophthalmi-tis, Einriss der Retina, Glaskörperblu-tung, Rindenkatarakt, Linsentrübun-gen, Hornhautepitheldefekt, Hornhaut -erosion, Reizung an der Injektionsstelle,

1 Novartis Pharma GmbH: Fachinformation „Lucen-tis®“. Stand: Juli 2012.

2 IVAN Study Investigators, Chakravarthy U, HardingSP et al.: Ranibizumab versus bevacizumab to treatneovascular age-related macular degeneration:one-year findings from the IVAN randomized trial.Ophthalmology 2012; 119:1399–1411.CATT Research Group, Martin DF, Maguire MG et al.:Ranibizumab and bevacizumab for neovascular age-related macular degeneration. N Engl J Med 2011;364:1897–1908.Krebs I, Schmetterer L, Boltz A et al. for the MANTAResearch Group: A randomised double-masked trialcomparing the visual outcome after treatment withranibizumab or bevacizumab in patients with neovas-cular age-related macular degeneration. Br J Opht-halmol 2013; 97: 266–271.

Anwendung bei besonderen Patientengruppen

Eylea® (Aflibercept)

Ältere Patienten Es sind keine speziellen Vorkehrungen erforderlich.

Kinder und Jugendliche Die Sicherheit und Wirksamkeit von Eylea® bei Kindern und Jugendlichen sind nicht erwiesen.In der Indikation AMD findet Eylea® in diesen Alters-gruppen keine relevante Anwendung.

Patienten mit eingeschränkterNierenfunktion

Es wurden keine speziellen Studien bei diesen Patien-ten durchgeführt.Verfügbare Daten weisen nicht darauf hin, dass eineDosisanpassung erforderlich ist.

Patienten mit eingeschränkterLeberfunktion

Es wurden keine speziellen Studien bei diesen Patien-ten durchgeführt.Verfügbare Daten weisen nicht darauf hin, dass eineDosisanpassung erforderlich ist.

Anwendung bei Schwangeren Keine Erfahrungen zur Anwendung bei Schwangeren.Embryo- und Fetotoxizität bei hoher systemischer Ex-position.

Anwendung bei Stillenden Stillen wird während der Behandlung nicht empfoh-len, da unbekannt ist, ob Aflibercept in die Mutter-milch übergeht.Es muss entschieden werden, ob auf die Behandlungmit Eylea® verzichtet werden soll, oder ob das Stillenzu unterbrechen ist.

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65Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

einer intraokularen Entzündung wieSchmerzen, Photophobie oder Rötungauf, können dies klinische Anzeicheneiner immunologischen Überemp-findlichkeitsreaktion sein.

• Es werden auch systemische Neben-wirkungen, wie nicht-okulare Blutun-gen und arterielle thromboemboli-sche Ereignisse nach intravitrealer In-jektion von VEGF-Hemmern berich-tet.

• Die Sicherheit und Wirksamkeit einergleichzeitigen Behandlung beiderAugen wurde nicht systematisch un-tersucht.

• Patienten mit vorbestehendengroßflächigen und/oder hohen Abhe-bungen des retinalen Pigmentepithelshaben ein erhöhtes Risiko für die Ent-wicklung von retinalen Pigment -epitheleinrissen.

Kontraindikationen: Bestehende odervermutete okulare oder periokulare In-fektion. Schwere intraokulare Entzün-dung. Überempfindlichkeit gegen denWirkstoff Aflibercept oder einen der son-stigen Bestandteile.

Warnhinweise:• Bei intravitrealen Injektionen bestehtdie Gefahr einer Endophthalmitis.

• Bei intravitrealen Injektionen kann eszu einem Anstieg des Augeninnen-drucks kommen. Aflibercept darf nichtbei Augeninnendrücken von ≥ 30mmHg injiziert werden. Der Augenin-nendruck und die Perfusion des Seh-nervenkopfes müssen überwacht wer-den.

• Aflibercept besitzt als Protein immu-nogenes Potential. Treten nach wie-derholten Injektionen Symptome

• Bei Patienten mit rhegmatogenerNetzhautablösung oder Maku la -löchern Grad 3 oder 4 sollte die Be-handlung ausgesetzt werden.

• Im Falle eines Einrisses der Retinasollte die Behandlung unterbrochenund erst wieder aufgenommen wer-den, wenn der Riss adäquat verheilt ist.

• In folgenden Fällen sollte die Behand-lung ausgesetzt und nicht vor demnächsten geplanten Termin fortge-setzt werden:

– bei Verminderung der bestmöglichkorrigierten Sehschärfe (BCVA) von≥ 30 Buchstaben im Vergleich zurzuletzt gemessenen Sehschärfe;

– bei subretinaler Blutung, bei der dasZentrum der Fovea betroffen istoder die Größe der Blutung ≥ 50 %der gesamten betroffenen Läsionausmacht.

• Die Behandlung sollte 28 Tage voroder nach einem durchgeführten odergeplanten intraokularen Eingriff aus-gesetzt werden.

Weitere Informationen (u. a. zu uner-wünschten Arzneimittelwirkungen, Ri-siken) in der Fachinformation.

Aktuelle Informationen über neu zuge-lassene Arzneimittel in der Europäi-schen Union; erstellt auf der Basis desEuropäischen Öffentlichen Beurtei-lungsberichts (EPAR) Eylea® erschienenam 05.12.2012

Stand: 28.02.2013

Dosierung und Kosten

Eylea® (Aflibercept

Darreichungsform Dosis1Kosten pro

Injektion [€]2Kosten pro Jahr [€]2,3

intravitreale Injektionslösung in Fertigspritze

Monat 1–3:1 x 1 Injektion (2 mg) pro

Monatanschließend:

1 x 1 Injektion (2 mg) alle2 Monate

1136,03 9088,24

Stand Lauertaxe: 15.02.201311Dosierung gemäß Produktinformation; Behandlungsintervall kann ab dem zweiten Behand-lungsjahr basierend auf dem funktionellen und morphologischen Verlauf verlängert werden;2Kostenberechnung nach Apothekenabgabepreis anhand des kostengünstigsten Präparateseinschließlich Import (hier nur ein Präparat); Kosten für Begleitmedikation und Material sindnicht enthalten; 3Kosten für das erste Behandlungsjahr.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Muskelkrämpfe („Krampi“) sind plötzli-che, unwillkürliche, schmerzhafte toni-sche Kontraktionen der Skelettmusku-latur, die durch hochfrequente repetitiveelektrische Stimuli der Moto-neuronenausgelöst werden. Sie werden auf eineperiphere neurogene Übererregbarkeitder Motoneuronen zurückgeführt, ohne

dass die pathophysiologischen Abläufeim Detail geklärt sind. Meist bilden sichdie Krämpfe spontan innerhalb von 10Min. zurück; sie können aber auch bis zueiner Stunde andauern. Ganz überwie-gend sind die Beinmuskeln betroffenund hier vor allem die Wadenmuskula-tur. Typischerweise, aber nicht aussch-

ließlich treten sie nachts auf. Die betrof-fene Muskulatur kann tagelang schmer-zen, Alltags- und sportliche Akti-vitätenund die Lebensqualität können beein-trächtigt sein, bei nächtlichen Krämpfenauch der Schlaf. Die Häufigkeit wird von15 % bei jungen Erwachsenen, bis zumehr als 50 % bei Älteren angegeben (1).

Muskelkrämpfe als unerwünschte Arzneimittelwirkung

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66 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

Differenzialdiagnosen

Typische nächtliche Bein- oder Waden-krämpfe sind harmlos und bedürfen inder Regel keiner weiteren Diagnostik.Sollen sie als idiopathisch eingestuftwerden, dürfen die Beschwerden abernach der International Classification ofSleep Disorders „nicht besser“ durch an-dere Schlafstörungen, durch internisti-sche oder neurologische Erkrankungen,durch Arzneimittel oder Substanzmis-sbrauch erklärbar sein (2). Vor allem beiatypischen Formen und bei einer Häu-fung der Muskelkrämpfe kann es not-wendig sein, insbesondere Erkrankun-gen des peripheren Nervensystems, ex-trapyramidale Störungen, vaskuläre undendokrine Erkrankungen sowie metabo-lische Störungen auszuschließen. Vorallem Missempfindungen und Schmer-zen bei Polyneuropathien und die Be-schwerden beim Restless-legs-Syndromwerden von Patienten nicht selten als„Krämpfe in den Beinen“ beschrieben.Eine sorgsame Anamnese erlaubt in derRegel jedoch die korrekte Einordnung(3).

Arzneimittel als Auslöser vonMuskelkrämpfenEine Vielzahl von Arzneimitteln wird inder Literatur mit der Auslösung vonMuskelkrämpfen in Verbindung ge-bracht. Tabellarische Auflistungen derverdächtigten Mittel finden sich bei-spielsweise in Übersichtsarbeiten zuBeinkrämpfen, Wadenkrämpfen oder

Schlaf-assoziierten Bewegungsstörun-gen (1;4;5).Die Datenbasis entsprechen-der Angaben ist nicht immer ganz klar.Häufig gehen sie auf (oft ältere) Kasuisti-ken zurück, die lediglich eine zeitli-cheAssoziation zwischen dem Auftreten vonMuskel- oder Wadenkrämpfen mit derEinnah-me der verdächtigten Arznei-mittel beschreiben. Ohne positive Re-Exposition und/oder De-Exposition be-sitzen sie nur eine begrenzte Beweiskraftfür einen Kausalzusammenhang. Weite-re Informationen über Arzneimittel alsmögliche Auslöser von Muskel- undWaden krämpfen bieten die Angaben zuStörwirkungen, die vor allem im Rah-men randomisierter Studien auftreten.Die Interpretation bereitet auch hiernicht selten Probleme: oft ist unklar, in-wieweit Muskelkrämpfe bei der Erfas-sung sicher von anderen Muskelschmer-zen abge-grenzt wurden; die Häufig-keitsangaben sind nur bei Vergleichengegen Plazebo (oder Nicht-behandlung)verwertbar; Aussagen zur Kausalität sindauch hier aus methodischen Gründen(multiples Testen) oft nur eingeschränktmöglich. Insgesamt erscheinen das Auf-treten und die Häufigkeit von Muskel-oder Wadenkrämpfen unter Arzneimit-teln nur unzureichend durch valide sy-stematische Untersuchungen dokumen-tiert.

Besteht im Praxisalltag der Verdacht,dass Muskel- oder Wadenkrämpfen durchein Arzneimittel ausgelöst werden, lohntein Blick in die entsprechende Fachin-formation (unter www.fachinfo.de nach

Registrierung frei zugänglich). Hier fin-den sich (zumindest in den neueren)meist auch semiquantitative Angabenzur Häufigkeit entsprechend der übli-chen Einteilung für unerwünschte Arz-neimittelwirkungen in

• sehr häufig = ≥ 10 %• häufig = 1 % bis <10 %• gelegentlich = 0,1 % bis <1 %• selten = 0,1 % bis <0,01 %• sehr selten = ≤0,01 %• unbekannt = mangels Daten nicht

abschätzbar.

Die Angaben bieten unter pragmati-schen Aspekten einen guten orientieren-den Anhalt. Auch hier ist in der Regelaber nicht klar ersichtlich, welche Datenden Häufigkeitsangaben zugrunde lie-gen. Bei einer Einstufung als „selten“oder „sehr selten“ gehen die Angabenmeist auf kasuistische Berichte ausSpontanerfassungssystemen zurück, diemit den Abgabezahlen der Mittel durchden Hersteller in Beziehung gesetzt wer-den. Finden sich in den Fachinformatio-nen Einstufungen wie „gelegentlich“,„häufig“ oder „sehr häufig“, stammendie Daten meist aus randomisierten Stu-dien. In der Regel bleibt aber auch dannunklar, wie häufig die Störwirkungenunter der Vergleichstherapie oder Plaze-bo auftraten. Die Inzidenzangaben in Fachinformationen können somit ver-zerrt sein und bilden die Realität nur beihäufigem oder sehr häufigem Auftretenausreichend verlässlich ab.

neurologischeErkrankungen

endokrineErkrankungen

metabolischeErkrankungen

vaskuläreErkrankungen

andereUrsachen

Motoneuron-Erkrankung

Addison Erkrankung Hypomagnesiämie peripher-arterielleVerschlusskrankheit

Niereninsuffizienz (v.a. Dialyse)

Radikulopathie Hyperthyreose Hypokalzämie Venenerkrankungen Leberzirrhose

Polyneuropathie Hypothyreose Hyperkaliämie Raynaud Syndrom Myopathien

Restless-legs-Syndrom Diabetes mellitus Hyponatriämie Toxine(Strychnin, Blei, Tetanus)

Dystonie Hypoglykämie Arzneimittel

Akathisie Alkalose Alkohol

spezielle Epilepsien Schwangerschaft

zerebrale Spastik

Tabelle 1: Erkrankungen und Störungen, die Muskelkrämpfe auslösen können (Auswahl)

Page 19: Arzneiv er or dnung in der Praxis - AkdÄ€¦ · nicht. Zur Schlaganfallprophylaxe bei nicht valvulärem Vorhofflimmern sind bislang drei Wirkstoffe bzw. eine Wirk - stoffgruppe

67Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

In Tabelle 2 sind (ohne Anspruch aufVollständigkeit) Arzneimittel aufgeli-stet, unter denen nach Angaben in deut-schen Fachinformationen oder in US-amerikanischen Produktinforma-tionenMuskel- oder Wadenkrämpfe sehr seltenoder selten bis häufig auftreten. Nicht er-wähnt ist der Tyrosinkinase-HemmerImatinib, unter dem Muskel- oder Wa-denkrämpfe sehr häufig sind. In rando-misierten Studien treten sie unter Imati-nib 25−40 % häufiger auf als in den Ver-gleichsgruppen unter Plazebo, bei jedemzehnten Patienten sind sie schwer. Ursa-che scheint ein Muskelödem unter demMittel zu sein. Unter den ebenfalls zurTherapie der CML eingesetzten Dasati-nib und Nilotinib sind Muskel- oder Wa-denkrämpfe häufig (1−10 %); für andereTyrosinkinase-Hemmer ist bisher keineHäufung von Muskelkrämpfen beschrie-ben.

In randomisierten Studien gut doku-mentiert sind auch Wadenkrämpfe unterTamoxifen, Raloxifen und Bazedoxifen.Sie treten unter den drei selektivenÖstrogenmodulatoren ähnlich häufigauf und etwa 5 % häufiger als unter Pla-zebo. Ciclosporin, Tacrolimus und Tem-sirolimus sind weitere Beispiele für Arz-

neimittel, unter denen Waden- oderMuskelkrämpfe in einer Häufigkeit von1−10 % beschrieben sind. Ähnlich häu-fig sollen nach Angaben in Fachinfor -mationen Wadenkrämpfe auch unter In-terferonen und Peginterferonen sein.Die Primärdaten aus randomisiertenStudien lassen hier allerdings eher dar-auf schließen, dass unspezifische Mus-kel- und Gelenksschmerzen falsch alsMuskelkrämpfe klassifiziert wurden. Ge-legentlich bis häufig können Muskel-krämpfe unter Parkinsonmitteln wiebeispielsweise Levo-dopa plus Carbido-pa, aber auch unter Antidementiva wieDonezepil oder Psychostimulanzien wieModafinil oder Methylphenidat auftre-ten. In randomisierten Studien werdenWadenkrämpfe unter dem Parathor-monderivat Teriparatid in bis zu 8 % be-obachtet, unter Bisphosphonaten wieAlendronat, Pamidronat und Zolendro-nat gelegentlich (0,1 %–1 %).

In der Literatur werden des Öfteren auchKombinationspräparate oraler Kontra-zeptiva mit Ethinylöstradiol als Kompo-nente als Auslöser von Muskelkrämpfengenannt; die Datenbasis hierfür ist je-doch begrenzt. Unter konjugierten Est-rogenen und Estradiol, die beide im Rah-

men postmenopausaler Hormontherapi-en eingesetzt werden, werden Muskel-krämpfe zumindest häufiger (0,1−1 %)als unter Ethinylöstradiol beschrieben.Das Gestagen Medroxy-progesteronace-tat verursacht vor allem in höherer, zurTherapie von Mammakarzinomen einge-setzter Dosierungen häufiger Waden-oder Muskelkrämpfe (um 5 %). UnterAromatase-Hemmern sind Muskel- undGelenksschmerzen typisch und häufig,nicht dagegen Waden- oder Muskel-krämpfe. Gelegentlich bis selten könnenWadenkrämpfe unter den GnRH-Agoni-sten Goserelin und Triptorelin auftreten.

In vielen Übersichtsarbeiten zur Ätiolo-gie von Waden- und Muskelkrämpfenwerden Diuretika als mögliche Auslösererwähnt; meist werden hierbei Elektro-lytverschiebungen als auslösend angese-hen. Laut Angaben in Fachinformatio-nen treten sie unter Schleifendiuretika(Furosemid, Torasemid, Xipamid, Pire-tanid), aber auch unter Hydrochloro-thiazid, Chlortalidon und Eplerenonhäufig auf. Nach einer aktuellen Daten-bankanalyse sollen nächtliche Bein-krämpfe häufiger unter Kaliumsparen-den Diuretika als unter Thiaziden oderSchleifendiuretika sein. Weitere Arznei-

Tabelle 2: Arzneimittel, die sehr selten bis häufig Auslöser von Muskelkrämpfen sind (Auswahl)

häufig (1 % bis <10 %) gelegentlich (0,1 % bis <1%) selten / sehr selten (≤ 0,1 %)

Adalimumab Levodopa+Carbidopa

Alendronsäure Modafinil Carbamazepin Methylphenidat

Bazedoxifen Medroxypro -gesteron

Amlodipin Nifedipin Ciprofloxacin Oxazepam

Boceprevir Peginterferone Bezafibrat Nisoldipin Dimetinden Pravastatin

Budesonid Piretanid Bisoprolol Pamidronat Ethinylestradiol Risedronsäure

Chlortalidon Raloxifen Celecoxib Pindolol Famotidin Salbutamol

Ciclosporin Ramipril Celiprolol Pregabalin Fenofibrat Sertralin

Dasatinib Ribavirin Enalapril Spironolacton Goserelin Simvastatin

Donepezil Salmeterol Estradiol Telmisartan

Doxazosin Tacrolimus Formoterol Triptorelin

Duloxetin Tamoxifen konjugierte Estrogene

Ziprasidon

Eplerenon Temsirolimus Lisinopril Zoledronsäure

Furosemid Teriparatid Metoprolol

Hydrochlo-rothiazid

Torasemid

Interferone Xipamid

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68 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

FAZIT

Eine Vielzahl von Arzneimitteln (s.Ta-belle 2) wird mit der Auslösung vonnächtlichen Muskelkrämpfen in Ver-bindung gebracht; ein Kausalzusam-menhang ist jedoch nur für wenige ge-sichert. Ein Auftreten in engem zeitli-chem Zusammenhang mit der Einnah-me eines Mittels stützt die Vermutung.Therapie der Wahl sind nicht-medika-mentöse Maßnahmen wie Streck- undDehnungsübungen.

Nitrofurantoin ist als Harnwegs-Chemo-therapeutikum seit den frühen 50-igerJahren in Gebrauch. Es ist zugelassenzur Behandlung der akuten, unkompli-zierten Zystitis sowie zur Suppressivthe-rapie chronisch-obstruktiver Harnwegs-infektionen bei Abflussbehinderung undzur Re-Infektionsprophylaxe chronischrezidivierender Harnwegsinfektionen(1) Nitrofurantoin sollte in den beidenletztgenannten Indikationen nur dannlängerfristig angewendet werden, wenn

risikoärmere Antibiotika nicht einsetz-bar sind.

Aufgrund der zahlreichen, teilweise le-bensbedrohlichen Nebenwirkungenwird das Nutzen-Risiko-Profil von Nitro-furantoin von einigen Autoren alsungünstig beurteilt (2). Die AkdÄ emp-fiehlt Nitrofurantoin neben Fosfomycinaufgrund der günstigen Resistenzsitua-tion und der niedrigen Therapiekostenals Mittel der Wahl bei der unkomplizier-

ten Zystitis bei Erwachsenen (3). Nitro-furantoin wurde 2011 mit 10,4 Mio.DDD verordnet (Tendenz steigend) (4).Nachstehend soll auf das UAW- Profilnäher eingegangen werden.

Fallbeispiel aus dem Spontan-meldesystem (AkdÄ-Nr. 158330)Eine 38-jährige Patientin ohne relevanteVorerkrankungen erhielt Nitrofurantoinwegen rezidivierender Harnwegsinfekte.

Nitrofurantoin – Eine ganze Palette an Nebenwirkungen

mittelklassen, die in der Literatur immerwieder als potenzielle Auslöser von Mus-kelkrämpfen genannt werden, sind Beta-blocker und Betamimetika. Möglicher-weise sind sie bei Betablockern mit int-rinsischer Restaktivität (ISA) häufigerals bei solchen ohne ISA. Für ACE-Hem-mer wie Ramipril, Enalapril und Lisino-pril sowie für Kalziumantagonisten wieNifedipin und Amlodipin wird die Häu-figkeit von Waden- und Muskelkrämpfenmeist mit 0,1–1 % angegeben. Hier kannes im Einzelfall schwierig sein zu unter-scheiden, ob nächtliche Muskelkrämpfeauf das Arzneimittel oder auf Durchblu-tungsstörungen im Rahmen einer vas-kulären Grundkrankheit zurückzu-führen sind. Statine und Fibrate führeneher selten zu Waden- und Muskel-krämpfen. Klagen Patienten unter The-rapie mit Lipidsenkern über muskuläreBeschwerden, muss jedoch immer an dieMöglichkeit einer Myopathie gedachtwerden, zumal bei Weiterführung derBehandlung dann schwere Rhabdomyo-lysen drohen.

Im Einzelfall wird es schwierig sein,einen Kausalzusammenhang zwischennächtlichen Wadenkrämpfen und derEinnahme eines Arzneimittels abzusi-chern. Ein Auftreten in enger zeitlicherFolge nach Beginn der Medikation stütztdie Vermutung ebenso wie eine Linde-rung der Beschwerden nach Absetzenverdächtiger Mittel und ggf. Wiederauf-treten oder Verschlechterung bei erneu-ter Gabe. In praxi dürfte jedoch – zumin-dest bei den angesprochenen Mitteln –

eine solche De-Exposition mit oder ohneRe-Exposition wegen des grundsätz-lichgutartigen Verlaufs des Leidens eher sel-ten in Frage kommen. Eine medika-mentöse Behandlung nächtlicher Mus-kel- oder Wadenkrämpfe kann unter Ab-wägung von Nutzen- und Schaden-Aspekten der verfügbaren Mittel nichtempfohlen werden. Besonders muss vorChinin gewarnt werden, unter dem To-desfälle bekannt wurden. Nicht-medika-mentöse Maßnahmen wie verschiedeneStreck- und Dehnungsübungen tags -über und vor dem Schlafengehen sindMittel der Wahl, wenngleich ein Nutzendurch aussagekräftige Studien bishernur begrenzt nachgewiesen ist (5;6).Eine neuere randomisierte Studie (7) an80 Patienten, von denen 40 vor demSchlafengehen ein Dehnübungspro-gramm von 3 Min. absolvierten, zeigtejedoch auch eine eindeutige Besserung.

Literatur1.Monderer RS, Wu WP, Thorpy MJ: No-cturnal leg cramps. Curr Neurol Neu-rosci Rep 2010; 10: 53–59.

2.Walters AS: Clinical identification ofthe simple sleep-related movement di-sorders. Chest 2007; 131: 1260–1266.

3. Butler JV, Mulkerrin EC, O'Keeffe ST:Nocturnal leg cramps in older people.Postgrad Med J 2002; 78: 596–598.

4.McGee SR: Muscle cramps. Arch In-tern Med 1990; 150: 511–518.

5. Allen RE, Kirby KA: Nocturnal legcramps. Am Fam Physician 2012; 86:350–355.

6.Mueller EA, Kirch W: Muskelkrämpfe– was tun? Arzneiverordnung in derPraxis (AVP) 2010; 37: 47–49.

7.Hallegraeff JM, van der Schans CP, deRR, de Greef MH: Stretching beforesleep reduces the frequency and seve-rity of nocturnal leg cramps in olderadults: a randomised trial. J Physio-ther 2012; 58: 17–22.

InteressenkonflikteEin Interessenkonflikt wird vom Autorverneint.

Dr. med. Hans Wille, [email protected]

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69Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

Am zweiten Tag der Behandlung beklag-te sie Dyspnoe, Gliederschmerzen undgastrointestinale Beschwerden. Als amvierten Tag ein Hautexanthem am Ober-körper hinzukam, setzte die Patientindas Präparat ab.

Zwei Wochen später nahm sie Nitrofu-rantoin erneut ein. Es kam zunächst zuGliederschmerzen, Beinödemen undeinem Grippegefühl. Am folgenden Tagverspürte die Patientin zusätzlich eineSchwellung des Rachens, Dyspnoe, Krib-beln und Taubheitsgefühl in den Fingernund entwickelte Fieber bis 40° C und einHautexanthem.

Sie wurde stationär aufgenommen. La-borchemisch zeigte sich eine geringeLeukozytose (14.600/µl) bei normalemC-reaktiven Protein. Radiologisch fielein Infiltrat des rechten Unterlappensmit positivem Bronchopneumogrammund Pleuraerguss auf, sowie beidseitigeine Transparenzminderung des Paren-chyms mit retikulärer Zeichnungsver-mehrung, subpleuralen Flecken undschmalen streifigen Verdichtungen, imSinne einer Lungengerüsterkrankung.

Da neben einer akuten Reaktion aufNitrofurantoin mit Lungenbeteiligung(sog. Nitrofurantoin-Pneumonie) diffe-rentialdiagnostisch eine bakteriellePneumonie in Frage kam, wurde die Pa-tientin auch antibiotisch behandelt. Siekonnte am dritten Tag nach der Aufnah-me wieder entlassen werden.

Die bedeutsamsten Nebenwirkungenvon Nitrofurantoin sind allergische Re-aktionen (einschließlich Lupus-ähnli-chen Syndromen), Leberschäden, Blut-

bildveränderungen, eine Polyneuropa-thie und Lungenreaktionen (akute undchronische Form). In der Fachinforma-tion werden Lungenreaktionen (allergi-sches Lungenödem, interstitielle Pneu-monie, Pleuritis, Atemnot, Husten undBrustkorbschmerz) als „häufig“ (≥ 1/100bis < 1/10) und Lungenfibrose als „sehrselten“ (< 1/10.000) aufgeführt. Zu Lun-genfibrose hatte die AkdÄ bereits einenFall beschrieben (5).

Nitrofurantoin ist u. a. kontraindiziertbei Niereninsuffizienz (jeden Grades),pathologischen Leberenzymwertensowie vorbestehender Polyneuropathie(1). Die Patientin im aktuell dargestell-ten Fall zeigte gleich mehrere Nebenwir-kungen, welche allesamt von Nitrofu-rantoin bekannt sind. In der Fachinfor-mation finden sich eindeutige Warnhin-weise, dass das Präparat beim Auftretenvon z. B. Atemnot oder Fieber sofort ab-zusetzen ist und kein Reexpositionsver-such durchgeführt werden soll (1). Pati-enten sollten bei der Verordnung überdie bedeutsamsten Nebenwirkungenaufgeklärt werden, damit sie die Einnah-me rechtzeitig beenden und es nicht wieim dargestellten Fall zu einer Reexposi-tion kommt, die gefährlich sein kann.

Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachte-ten Nebenwirkungen (auch Verdachts-fälle) mit. Sie können dafür den in regel-mäßigen Abständen im Deutschen Ärz-teblatt auf der vorletzten Umschlagseiteabgedruckten Berichtsbogen verwendenoder diesen aus der AkdÄ-Internetprä-senz www.akdae.de abrufen.

Literatur1. Apogepha Arzneimittel GmbH: Fa-chinformation „Nifurantin®“. Stand:Dezember 2010.

2. Brodt H-R: Antibiotikatherapie: Klinikund Praxis der antiinfektiösen Be-handlung. 12. Aufl.; Stuttgart: Schat-tauer Verlag, 2013.

3.Kassenärztliche Bundesvereinigung,Arzneimittelkommission der deut-schen Ärzteschaft: Rationale Antibioti-katherapie bei Harnwegsinfektionen.Dtsch Arztebl 2012; 109: Beilage„Wirkstoff aktuell“ 2/2012.

4. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arznei-verordnungs-Report 2012. Berlin,Heidelberg: Springer Medizin Verlag,2012.

5. Arzneimittelkommission der deut-schen Ärzteschaft: „Aus der UAW-Da-tenbank“: Lungenfibrose nach Nitro-furantoin. Dtsch Arztebl 2007; 104: A2149.

InteressenkonflikteInteressenkonflikte werden von beidenAutoren verneint.

PD Dr. med. M. Paulides, [email protected]. med. T. Stammschulte, Berlin

FAZIT

Patienten sollten bei der Verordnungvon Nitrofurantoin über die bekanntenNebenwirkungen, insbesondere an derLunge, aufgeklärt werden, damit sie dieEinnahme ggf. rechtzeitig beenden undihren Arzt aufsuchen.

Es wird über einen 70 jährigen Mann be-richtet, der wegen Schwindel, Erbre-chen und Fieber notfallmäßig eingelie-fert wurde (1). Bei den Routineuntersu-chungen fand sich eine Thrombozytope-

nie von 32.000/µl (normal 150–400.000).Eine Blutungsneigung war zuvor nichtbekannt, Medikamente, die die Throm-bozytopenie hätten erklären können,wurden nicht eingenommen. Der Pati-

ent erholte sich rasch, und der Throm-bozytenwert normalisierte sich ohneweitere Massnahmen innerhalb von vierTagen. Man ging zunächst von einem La-borfehler aus. Acht Monate später kam

Thrombozytopenie durch Walnüsse

Zitate

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70 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

FAZIT

Während zahlreiche Arzneimittel ur-sächlich für eine Immunthrombozyto-penie sein können, wurden solche Re-aktionen durch Nahrungsmittel bislangselten beschrieben. Offenbar kann eineÜberempfindlichkeit gegen Walnüssein sehr seltenen Fällen zu einer Throm-bozytopenie führen.

der Patient mit der gleichen Symptoma-tik, die Thrombozytenzahl betrug37.000/µl. Der Patient berichtete vomGenuss von Walnüssen und brachteselbst seine Beschwerden hiermit in Zu-sammenhang. Um diese Hypothese zuüberprüfen, erhielt der Patient unter sta-tionären Bedingungen 100 g Walnüsse.Vier Stunden später entwickelte er Übel-keit, Erbrechen und Fieber. Symptomewie Hautrötung, Urtikaria oder Hypo-tension traten nicht auf, eine vorbeste-hende kleine Wunde begann jedoch zubluten und an den Venenpunktionsstel-len entwickelten sich große Hämatome.Die ausgangs normale Thrombozyten-zahl fiel auf 4.000/µl (!), erholte sich aberin wenigen Tagen und erreichte die nor-

male Höhe. Im Serum ließen sich keineIgE-Antikörper gegen Nüsse nachwei-sen, jedoch fanden sich hochtitrige IgG-Antikörper, die kombiniert mit einemWalnussextrakt mit Thrombozyten rea-gierten. Der Patient nahm in der Folge

keine Walnüsse mehr zu sich, und solcheine Problematik trat nicht wieder auf

Literatur1. Achterbergh R, Vermeer HJ, Curtis BRet al.: Thrombocytopenia in a nutshell.Lancet 2012; 379: 776.

InteressenkonflikteVom Autor wird ein Interessenkonfliktverneint.

Prof. Dr. med. D. Höffler, Darmstadt, Dr. med. T. Stammschulte, [email protected]

Die polyzystische Nierendegenerationist ein autosomal dominant vererbtesLeiden. Eine Behandlung gab es bishernicht. Es war aber bekannt, dass Vaso-pressin die Produktion von zyklischemAdenosinmonophosphat (cAMP) vermit-telt. Dieses regt die Proliferation vonEpithelzellen der Zysten und die Sekre-tion von Flüssigkeit in die Zysten hineinan. Wenn es also gelingt, Vasopressin zuunterdrücken, sollte dies das Zysten-wachstum und die Nierendegenerationverlangsamen. Diese Überlegungen er-laubten Studien mit dem Vasopressin-2-Rezeptor-Antagonist Tolvaptan. In einerkleineren offenen Studie (63 Patienten)hatte sich Tolvaptan bereits bei der poly-zystischen Nierendegeneration als wirk-sam erwiesen (1). Da diese Studie aberwegen einer fehlenden Kontrolle undder geringen Zahl nicht überzeugendwar, wurde eine größere Studie (2) an-gesetzt. In dieser wurden 1.445 Patientenrandomisiert untersucht. Je zwei Patien-ten erhielten Verum, einer Placebo. DieEingangs-Kriterien waren: Alter zwi-schen 18 und 50 Jahren, Nieren-Volu-men von 750 ml oder mehr (bestimmtper MRT) und eine Kreatininclerance(geschätzt nach Cockcroft und Gault)

von mehr als 60 ml/min. Die 2:1 Rando-misierung erbrachte in allen wichtigenKriterien (Geschlechterverteilung, Blut-hochdruck, Kreatininclearence, Nieren-größe u.v.a.m) vergleichbare Gruppen.Die Studie lief über drei Jahre. Für die beiden wichtigsten Endpunkteergaben sich folgende Befunde:

• Jährliche Zunahme der Nierengrößebei Placebo im Mittel 5,51 %, beiVerum im Mittel 2,8 %. Untergliedertman diese Aussage nach Geschlecht,Alter, Nierenfunktion u.a. ergab sichkeine deutliche Erkenntnis etwa indem Sinne, dass eine bestimmte Pati-entengruppe besonders gut oderschlecht reagierte. Die Ergebnissesind signifikant mit p < 0,001.

• Abnahme der Nierenfunktion betrugbei Placebo im Mittel 3,81% und beiVerum im Mittel 2,61 %. Auch hier er-gaben sich keine bedeutenden Unter-schiede bei einzelnen Patientengrup-pen. Die Ergebnisse sind signifikantmit p < 0,001.

Sieht man sich die grafische Darstellungder Geraden an, die durch die Punktwol-ken gezogen werden, erkennt man beiVerum gegenüber Placebo eine beschei-

den geringer steigende Linie bei der Zu-nahme der Nierengröße und eine ebensobescheiden geringer abfallende Linie beider Nierenfunktion.

Unerwünschte Arzneimittelwir-kungenHier standen die Folgen der Hemmungdes antidiuretischen Hormons im Vor-dergrund: Durst, Polyurie, Nykturie,Pollakisurie. Wegen dieser UAW schie-den etwa 8 % der mit Tolvaptan behan-delten Patienten aus. Insgesamt brachen23 % der Verum-Patienten und 13,8 %der Placebo-Patienten die Studie ab. Dadrei Patienten einen schweren Leber-schaden erlitten, hat die FDA eine ent-sprechende Warnung herausgegeben.

DiskussionDie Autoren beschreiben, dass der Effektbezüglich der Nierengröße am stärkstenim ersten Jahr war. Sie weisen daraufhin, dass die Beschwerden durch dasGrundleiden (Schmerzen durch wach-sende Zysten) in der Placebo-Gruppegrößer waren. Das Editorial (3) gibt sichmäßig optimistisch und wägt die indivi-

Tolvaptan (Samsca®) zur Behandlung der polyzystischen Nieren-degeneration?

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71Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

duellen Situationen gegeneinander ab.Bei Patienten mit rascher Verschlechte-rung der Nierenfunktion, die mit denTolvaptan-UAW ganz gut fertig werden,raten sie zur Medikation, nicht aber beiPatienten mit sehr langsam fortschrei-tendem Leiden.

ZulassungTolvaptan (Samsca®) ist in Deutschlandzur Behandlung einer Hyponatriämiebei dem Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion, einem sehr seltenen Krank-heitsbild, zugelassen. Für die Behand-lung der polyzystischen Nierendegene-ration ist es in Deutschland bisher nichtzugelassen.

KostenSollte sich jemand entschließen, imRahmen einer Off-Label-Verordnung mitTolvaptan zu behandeln, stehen extremeKosten an: 1 Tablette zu 30 mg kostetheute 112 Euro nach Roter Liste. DieDosis, die die Autoren verwandten, lag

zwischen 60 und 120 mg/Tag. Sollte dieSubstanz tatsächlich einmal für diese In-dikation zugelassen werden, sind Preis-verhandlungen zu erwarten. Dennochdürfte es eine teure Therapie bleiben.

Literatur1.Higashihara E, Torres VE, ChapmanAB et al.: Tolvaptan in autosomal do-minant polycystic kidney disease:three years’ experience. Clin J Am SocNephrol 2011; 6: 2499–2507.

2. Torres VE, Chapman AB, Devuyst O etal.: Tolvaptan in patients with autoso-

mal dominant polycystic kidney disea-se. N Engl J Med 2012; 367: 2407–2418.

3.Wuthrich RP, Mei C: Aquaretic treat-ment in polycystic kidney disease. NEngl J Med 2012; 367: 2440–2442.

InteressenkonflikteEin Interessenkonflikt wird vom Autorverneint.

Prof. Dr. med. D. Höffler, [email protected]

FAZIT

Mit Tolvaptan, einem Vasopressin-2-Re-zeptor-Antagonist, existiert für die poly-zystische Nierendegeneration ein Be-handlungsprinzip, das bezüglich der Pa-rameter Nierengröße und Nierenfunkti-on Placebo überlegen ist. Bei beiden Kri-terien ist jedoch der Nutzen im Mittel ge-

ring. Eine Zulassung besteht bishernicht. Die Therapie ist nach dem derzei-tigen Stand sehr teuer. Die UAW schei-nen zumindest für die Mehrzahl der Pati-enten erträglich. Das ideale Behand-lungsprinzip dieser Erbkrankheit ist nochnicht gefunden.

Was uns sonst noch auffiel

Unter Bezug auf eine Meta-Analyse (1)wird in der Deutschen MedizinischenWochenschrift im Hinblick auf den kar-diovaskulären Nutzen der Statine hoff-nungsfroh verkündet: „Erstaunlicher-weise war der Nutzen in den beidenGruppen mit dem geringsten kardio-vaskulären Risiko (bis zu 10 %) am deut-lichsten zu verzeichnen: In diesen Grup-pen erreichten die Werte für die Risi-koreduktion kardialer Ereignisse stati-stische Signifikanz (relatives Risiko 0,57und 0,61).“Und dann wird kühn gefolgert: „Dahersollten die aktuellen Richtlinien zur Sta-tintherapie überarbeitet und angegli-chen werden, da nach aktuellen Vorga-ben gerade diese Patienten keine Statineerhalten“ (2).

Also doch eine Hoffnung für alle diejeni-gen Patienten, denen Statine bisher vor-enthalten – vielleicht sogar missgönnt –wurden!? Statine nun endlich doch füralle?

In dieser Situation sollte man immermal in der Originalarbeit (1) nachschau-en. Nachfolgend werden in Tabelle 1 diebeiden RR-Werte 0,57 und 0,61 im Kon-text aller zugehörigen Angaben beur-teilt.

Nun erkennt man Erstaunliches: Trotzder niedrigen und statistisch signifikan-ten relativen Risiken ist die absolute Ri-sikoreduktion (ARR) außerordentlichniedrig und sind die resultierenden NNT-Werte so hoch, dass ein klinischer Nut-

zen nicht erkennbar ist. Die komple-mentären NTN (number treated needles-sly)-Werte würden 1.249 bzw. 344 betra-gen. Lediglich bei den Patienten miteinem 5-Jahresrisiko ≥ 30 % ist der Ef-fekt relevant, da ein jährlicher NNT-Wertvon 88 einem NNT = 22 über 4 Jahre ent-sprechen würde.

Was bedeutet das für uns?• Eine Statintherapie ist bei niedrigemkardialen Risiko besonders ineffektiv.

• Relativzahlen, z. B. relatives Risiko(RR), relative Risikoreduktion (RRR),Odds Ratio (OR), sind nicht therapie-relevant (3).

• Die Richtlinien („guidelines“) müssennicht überarbeitet und angeglichenwerden.

Statine bei niedrigem kardialem Risiko besonders effektiv – Hope oder Hype?

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72 Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 3 · Mai 2013

Am 13. und 14. Juni 2013 führt die AkdÄ den 4. Deutschen Kongress für Patientensicherheit bei medikamentöser Therapie durch. Der durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderte Kongress widmet sich der Arznei-mitteltherapiesicherheit, die seit dem 1. Kongress im Jahr 2005 zu einem wesentlichen Bestandteil der Arzneimittelt-herapie geworden ist.

Die AVP-Redaktion wird zum Kongress ein AVP-Themenheft Arzneimitteltherapiesicherheit herausgegeben, gefüllt mitden Abstractbeiträgen der Referentinnen und Referenten, die den Kongress maßgeblich gestalten werden.

Ein Resümee des Erreichten, ein Überblick über laufende Projekte und ein Blick in die nahe Zukunft mit der Vorstellungdes „Aktionsplans zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland“ durch das BMG sind Thema desKongresses. Eine spannende Diskussion zur Erfassung, Bewertung und Vermeidung von Medikationsfehlern versprichtdie Änderung der EU-Richtlinie zur Pharmakovigilanz.

Das ausführliche Programm mit Referenten, Vorträgen und Workshops sowie die online-Anmeldung ist über die Kon-gress-Homepage unter www.patientensicherheit2013.de abrufbar.

Der Kongress findet statt am 13. und 14. Juni 2013 im Berliner Congress Center (bcc), Alexanderstraße 11, 10178Berlin, und wird mit 12 Fortbildungspunkten zertifiziert.

AVP-Themenheft : Arzneimitteltherapiesicherheit

In eigener Sache

• „Gesunde“ sollten nicht unnötig mitMedikamenten belastet werden.

• Der Kurzbericht in der DMW war einHype; laut Duden (auch) eine bewusst(?) inszenierte Täuschung.

Literatur1.Mihaylova B, Emberson J, Blackwell Let al.: The effects of lowering LDL cho-lesterol with statin therapy in people atlow risk of vascular disease: meta-ana-lysis of individual data from 27 rando-mised trials. Lancet 2012; 380: 581-590.

2.Glatz U: Statintherapie bei niedrigemkardialen Risiko besonders effektiv.Dtsch Med Wochenschr 2012; 137:2136.

3.Meyer FP: Welchen Nutzen hat eineTherapie oder Die perfekte Kunst derDesinformation. Arzneiverordnung inder Praxis (AVP) 2013; 40: 34-35.

InteressenkonflikteEin Interessenkonflikt wird vom Autorverneint.

Prof. em. Dr. med. Frank P. Meyer,Wanzleben-Bö[email protected]

FAZIT

„O glücklich, wer noch hoffen kann,Aus diesem Meer des Irrtums aufzu-tauchen!“Das lässt Goethe seinen Faust „Vordem Tor“ sagen.

Tabelle 1: Häufigkeit großer koronarer Ereignisse pro 1.0 mmol/l LDL-Cholesterolreduktion bei ver-schiedenen Ausprägungen des kardiovaskulären Basisrisikos über 5 Jahre (modifiziert nach 1)

5-Jahresrisiko für große Großes koronares Ereignis ARR NNT RR (CI)vaskuläre Ereignisse % (pro Jahr) % (pro Jahr) n (pro Jahr)

Kontrolle Statine

< 5 % 0,19 0,11 0,08 1250 0,57 * (0,36–0,89)≥ 5 % bis < 10 % 0,79 0,50 0,29 345 0,61 * (0,50–0,74). . . . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . .≥ 30 % 4,86 3,73 1,13 88 0,78 (0,72–0,84)< 5 % bis ≥ 30 % 1,87 1,45 0,42 238 0,76 (0,73–0,79)

* Werte, die in der DMW explizit genannt wurden ARR: absolute Risikoreduktion (Kontrolle minus Statine) NNT: number needed to treat (100 divi-diert durch ARR) RR: relatives Risiko (Statine dividiert durch Kontrolle) pro 1.0 mmol/l Reduktion von LDL-C CI: Konfidenzintervall