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1 1.0 Einleitung „Lili Marleen“ ist noch heute ein Mysterium. Auch nach seit der ersten Ausstrahlung des Liedes vor achtundsechzig Jahren, also im Jahre 1941, ist die Komposition von Norbert Schultze mit dem Text von Hans Leip generationen- übergreifend bekannt. Nicht zuletzt durch das Engagement vieler Schullehrer, die sowohl im Deutsch-, Musik- oder Geschichtsunterricht das Thema behandeln. So bleibt ein musikalisches Erbe erhalten, welches in den dunklen Jahren des Zweiten Weltkrieges zu einem kleinen Licht- blick, einem Hoffnungsschimmer und einem Kleinod des Friedens mit damals noch ungeahnter Symbolik wurde – sowohl im historischen, emotionalen sowie, was sich anfangs eher kurios anhört, technischen Sinne. Wie kein anderes künstlerisches Produkt aus dieser Zeit spiegelt „Lili Marleen“ auch den un- glaublichen und rasanten Fortschritt in der Kommunikationstechnik wider: Ins Detail blickend kann man behaupten, dass „Lili Marleen“ und das damals relativ neue Medium Radio – in die- sem bestimmten Fall als kommendes Unterhaltungsmedium - in eine Symbiose eintraten, die beiden zu einem eigenen Siegeszug verhalf. Auch dem Hörfunk, der zwar schon mehr als zwan- zig Jahre zuvor etabliert wurde, aber durch „Lili Marleen“ endgültig seine Stellung als Unter- haltungsmedium, wie wir es heute kennen, einnahm. Die nachfolgende Bachelor-Arbeit „Einfluss des Mediums Radio im Zweiten Weltkrieg, am Beispiel des Weltschlagers „Lili Marleen“ wird oben genannte Thesen erörtern, analysieren und belegen: Zunächst richtet sich der Blick auf das Medium Radio im Allgemeinen. Seit der Ausstrahlung der ersten Hörfunksendung im Jahr 1923 entwickelte sich die Errungenschaft Radio rasant. Zwar mussten sich die Hörgewohnheiten der Nutzer erst ausprägen, dennoch zeichnete sich schnell ab, dass Zeitungspapier und Druckertinte ihre Monopolstellung als Informationsquelle des Bürgers verloren hatten. Die in der Arbeit aufgeführten Zahlen belegen den schnellen Erfolg des Mediums und zeigen auch auf, welchen Einfluss das Radio auf die Masse nimmt. Einfluss auf eine Masse, die für die Machthaber in Deutschland, den Nationalsozialisten ab 1933 von großer Bedeutung gewesen ist. Die nachfolgende Bachelorarbeit befasst sich in die- sem Zusammenhang auch mit den Methoden des NS-Regimes, um das Deutsche Volk nach ihrem Willen zu beeinflussen. Der Hörfunk erwies sich als perfektes Instrument zur Verbreitung

Bachelorarbeit 2009 Fabienne Hafner - MOnAMi · „Lili Marleen“ ist, wie schon vorher erwähnt ein wichtiges kulturelles Erbe, nicht nur der Deut-schen Geschichte. Zusammen mit

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1.0 Einleitung

„Lili Marleen“ ist noch heute ein Mysterium.

Auch nach seit der ersten Ausstrahlung des Liedes vor achtundsechzig Jahren, also im Jahre

1941, ist die Komposition von Norbert Schultze mit dem Text von Hans Leip generationen-

übergreifend bekannt. Nicht zuletzt durch das Engagement vieler Schullehrer, die sowohl im

Deutsch-, Musik- oder Geschichtsunterricht das Thema behandeln. So bleibt ein musikalisches

Erbe erhalten, welches in den dunklen Jahren des Zweiten Weltkrieges zu einem kleinen Licht-

blick, einem Hoffnungsschimmer und einem Kleinod des Friedens mit damals noch ungeahnter

Symbolik wurde – sowohl im historischen, emotionalen sowie, was sich anfangs eher kurios

anhört, technischen Sinne.

Wie kein anderes künstlerisches Produkt aus dieser Zeit spiegelt „Lili Marleen“ auch den un-

glaublichen und rasanten Fortschritt in der Kommunikationstechnik wider: Ins Detail blickend

kann man behaupten, dass „Lili Marleen“ und das damals relativ neue Medium Radio – in die-

sem bestimmten Fall als kommendes Unterhaltungsmedium - in eine Symbiose eintraten, die

beiden zu einem eigenen Siegeszug verhalf. Auch dem Hörfunk, der zwar schon mehr als zwan-

zig Jahre zuvor etabliert wurde, aber durch „Lili Marleen“ endgültig seine Stellung als Unter-

haltungsmedium, wie wir es heute kennen, einnahm.

Die nachfolgende Bachelor-Arbeit „Einfluss des Mediums Radio im Zweiten Weltkrieg, am

Beispiel des Weltschlagers „Lili Marleen“ wird oben genannte Thesen erörtern, analysieren und

belegen:

Zunächst richtet sich der Blick auf das Medium Radio im Allgemeinen. Seit der Ausstrahlung

der ersten Hörfunksendung im Jahr 1923 entwickelte sich die Errungenschaft Radio rasant.

Zwar mussten sich die Hörgewohnheiten der Nutzer erst ausprägen, dennoch zeichnete sich

schnell ab, dass Zeitungspapier und Druckertinte ihre Monopolstellung als Informationsquelle

des Bürgers verloren hatten. Die in der Arbeit aufgeführten Zahlen belegen den schnellen Erfolg

des Mediums und zeigen auch auf, welchen Einfluss das Radio auf die Masse nimmt.

Einfluss auf eine Masse, die für die Machthaber in Deutschland, den Nationalsozialisten ab

1933 von großer Bedeutung gewesen ist. Die nachfolgende Bachelorarbeit befasst sich in die-

sem Zusammenhang auch mit den Methoden des NS-Regimes, um das Deutsche Volk nach

ihrem Willen zu beeinflussen. Der Hörfunk erwies sich als perfektes Instrument zur Verbreitung

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der eigenen Ideologie. Zwei Dinge galt es zu tun: Radioempfänger für Jedermann erschwinglich

zu machen und das Hörfunkprogramm zu vereinheitlichen. Die Einführung des sogenannten

Volksempfängers im Jahr 1933 verfehlte das Ziel nicht und sorgte für einen weiteren rasanten

Anstieg der Hörerzahlen. Die Vereinheitlichung des Hörfunkprogramms war angesichts der

totalitären Machtstruktur innerhalb des Dritten Reichs kein weiteres Problem. Innerhalb der

Weltkriegsjahre von 1939 bis 1945 entwickelte sich der Volksempfänger und das, was er akus-

tisch lieferte, zum unabdingbaren Alltagsgegenstand. Nicht nur für die Machthaber ein Segen.

Auch Künstler, seien es Komödianten, Erzähler oder Sänger, profitierten, denn langsam entwi-

ckelte sich der Hörfunk durch das immer größere werdende Elend an der Front und in den Deut-

schen Städten immer mehr zum dringend nötigen Unterhaltungsmedium für die Hörer. Immer

öfter sollten Emotion und Phantasie von Bomben und Hunger ablenken. Zwar fanden auch Ki-

nos mit leichter Filmkost mittlerweile großen Zulauf, dennoch blieb der Radioempfänger Alltag

und entwickelte sich für viele immer mehr zum „guten Freund“, Künstler wie Heinz Rühmann

oder Hans Albers lösten Hitler, Himmler, Göhring und Goebbels für die frustrierten und

kriegsmüden Deutschen als Idole und Glanzlichter ab.

In dieser Zeit stieg ein vorerst noch unsichtbarer Stern am Himmel auf: Lale Andersen: Die

Frau, die als Interpretin von „Lili Marleen“ in die Geschichte eingehen sollte.

Zunächst befasst sich die nachfolgende Bachelorarbeit mit dem Leben der Lale Andersen, die

anfangs eine Karriere als Schauspielerin einschlug und für die Karriere sogar Ehemann und

Kinder verließ, bevor sie 1932 Norbert Schultze, den Komponisten ihres zukünftigen Welthits

kennenlernte. „Lili Marleen“ wurde ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auf Schall-

platte aufgenommen. Ohne weiteren Erfolg.

Erst die folgenden Kriegsjahre sollten für Lale Andersen erfolgreich werden. Zunächst aufgrund

zahlreicher Tourneen im Rahmen der Truppenbetreuung. An einen Erfolg im und durch den

Hörfunk war bis dato nicht zu denken. Erst im Jahr 1941 führten Zufälle dazu, dass „Lili Mar-

leen“ erstmals über eine Radio-Frequenz ausgestrahlt wurde. Es begann ein Siegeszug ungeahn-

ten Ausmaßes von den Schützengräben bis in Wohnzimmer. Die einzelnen Stationen des Er-

folgs werden in dieser Bachelorarbeit im Detail aufgeführt.

Schon ein Jahr später wurde die Ausstrahlung des Liedes verboten. Anfangs aufgrund persönli-

cher Verdächtigungen gegen die Interpretin Lale Andersen, später, weil NS-Propaganda-

Minister Goebbels „Lili Marleen“ als verweichlicht und unheroisch einstufte.

Nichts desto Trotz hatte sich das Lied binnen weniger Monate durchgesetzt und fand seinen

Erfolgszug auch nach dem Krieg, mittlerweile auch im, vor wenigen Wochen noch feindlichen

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Ausland. Denn nicht nur an Deutsche Ohren gelangte „Lili Marleen“, auch beispielsweise Eng-

länder und Franzosen wurden von der Melodie und dem Text berührt. Ein weltweiter Erfolg ließ

nicht lange auf sich warten.

Diese Abhandlung zeigt im Folgenden an vielen Beispiele und Stationen auf, welchen Stellen-

wert „Lili Marleen“ noch heute sowohl im zivilen, als auch im militärischen Leben hat. Dazu

wird auch eine eigens dafür angefertigte Statistik zugrunde gelegt, die sich aus einer Umfrage

unter allen Alters- und Gesellschaftsschichten erstellen ließ.

Aber woher rührt dieser Erfolg?

Anhand moderner medienwissenschaftlicher- und psychologischer Theorien lassen sich Ge-

sichtspunkte ableiten, die den Erfolg von Lili Marleen erklären. Hier wird zum Beispiel auch

das Phänomen der „parasozialen Interaktion“ zum Tragen kommen, welches das Verhältnis des

Hörers/Zuschauers zum Protagonisten innerhalb des Radioprogramms/TV-Programms aufbaut.

„Lili Marleen“ ist, wie schon vorher erwähnt ein wichtiges kulturelles Erbe, nicht nur der Deut-

schen Geschichte. Zusammen mit der faszinierenden Technologie Radio schaffte es vor allem

dieses Lied nicht nur, innerhalb der Kriegswirren für kleine friedliche Momente zu sorgen.

Nach 1945 führte es Feinde ein kleines Stück näher zusammen und erinnert gleichzeitig noch

heute an das Elend dieser Zeit.

Daher befasst sich diese Bachelorarbeit mit diesem komplexen Thema.

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2.0 Massenmedium Radio

2.1 Das Radio: Rasanter Aufstieg eines Mediums

Der 29. Oktober 1923 ist ein bedeutendes Datum für den deutschen Rundfunk – die Geburts-

stunde. Genauer gesagt, die Geburtsstunde des Hörfunks, denn technisch gesehen ist auch das

Fernsehen Rundfunk.

Dieses weltweit informierende Medium hat sich in den mittlerweile über 80 Jahren seines Be-

stehens geradezu rasant entwickelt.

Der Globus wird von den Kurzwellen umspannt, weit über den Kontinenten strahlen Mittel- und

Langwellen. Die Menschen erfahren innerhalb weniger Sekunden, was auf der Welt geschieht.

Informationstechnisch ist der Erdball zusammengeschrumpft. Was der Mensch am Mikrofon

sagt ist in genau derselben Sekunde beim Menschen, der zuhört.1

Der Rundfunk ist nicht sichtbar. Er ist zugleich aber auch grenzenlos. Weinbrenner hat diesen

grenzenlosen Rundfunk mit den Worten gekennzeichnet: „Die Erfindung des Rundfunks und

des Fernsehens ist in unserem Jahrhundert der Sieg der geistigen Beherrschung des Raumes in

einer gegebenen Zeiteinheit.“2

Das Medium stand in seinen Kinderschuhen, das Hörerpublikum hatte gerade angefangen, sich

vom individuellen Kopfhörer am Detektorgerät zum potentiellen Kollektivhörer zu entwickeln.

Das Medium war noch meilenweit davon entfernt, im Alltag der Menschen verankert zu sein.

Auch Hörgewohnheiten hatten sich noch nicht ausgeprägt.

Die Entwicklung des Rundfunks ist in den nächsten Jahren so schnell gegangen und so überra-

schend gekommen, dass kaum Zeit blieb das Medium als das zu erkennen und zu würdigen, was

es ist: „die umwälzendste Erfindung, die uns das 20. Jahrhundert bisher beschert hat – und das

trotz Tonfilm, Auto, Flugzeug, Röntgenstrahlen usw.!“3

Die erste Radiosendung erfolgte, wie oben bereits angeschnitten, am 29. Oktober 1923. Um

20:00 Uhr lief die Erstausstrahlung des deutschen Rundfunks in Berlin, die nach mehrjährigen

1 vgl. Weinbrenner, 1938, 63. 2 Weinbrenner, 1938, 63 ff. 3 Marßolek/Sandern, 1999, 32.

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Versuchen der Hauptfunkstelle Königswusterhausen endlich den regelmäßigen Programmbe-

trieb des deutschen Rundfunks eröffnete.

Ab diesem Tag war Deutschland nicht einen Tag mehr ohne das Medium Radio. Am 1. Dezem-

ber des gleichen Jahres gab es 467 Rundfunkteilnehmer. Nur ein Jahr später, am 1. Dezember

1924 waren es bereits 462 906. Ein unglaublicher Anstieg innerhalb eines so kurzen Zeitraums.

Daran erkennt man deutlich, wie sehr die Zeit für das neue Medium aufgeschlossen war. Bis zu

dieser Zeit wurde das Leben der Menschen ausschließlich von deren persönlichem Umfeld wie

Familie, Dorfleben oder etwa Stadtteil geprägt. Entsprechend fand auch nur in diesem Rahmen

ein Informationsaustausch statt. Das neue Medium Radio öffnete diesen Menschen sprichwört-

lich die Tür in die große Welt.

Überregionale Nachrichten, die bis dato allenfalls durch Zeitungen mit entsprechenden Verzö-

gerungen verbreitet werden konnten, gelangen nun binnen Sekunden ins Ohr der Menschen.

Informationen durch das Medium Zeitung sind abhängig von dem Journalisten, der formuliert.

Durch den Rundfunk konnten die Hörer direkt am Geschehen teilnehmen, durch Reportagen,

Übertragungen von Veranstaltungen und authentischen Berichten. Theoretisch kann Rundfunk-

hören also zur neutralen, unbeeinflussten Meinungsbildung führen. Dass das nicht der Fall war,

schon gar nicht in der Zeit der Herrschaft der NSDAP, wird weiter unten geschildert. Die Quali-

tät der Übertragungen waren zunächst dürftig, der Genuss von Musik zum Beispiel sehr einge-

schränkt, aber für Schlager mit eingängigen Texten und Melodien nach ersten Optimierungen

durchaus geeignet.

Das Radio wurde quer über den Erdball durchweg positiv angenommen. England, Belgien,

Schweiz und Schweden zogen mit. In den Vereinigten Staaten gab es 1924 bereits drei Millio-

nen Teilnehmer. Der Rundfunk kam genau zur richtigen Zeit. Er erfüllte ein vorhandenes Be-

dürfnis und wurde daher weit schneller übernommen, als manch andere Erfindungen vor ihm.

Die Menschen zeigten großes Interesse und waren neugierig. Und das obwohl ein Gerät für den

Empfang nicht gerade billig war – von einem einfachen Detektor abgesehen. Wie oben erwähnt,

war die Qualität des Empfangs und des gebotenen Programms war alles andere als befriedigend.

Hinzu kam eine Rundfunkgebühr, die die Hörer entrichten mussten. Diese betrug während der

ersten fünf Monate des Radiobestehens 60 Mark jährlich.4

An der Qualität des Empfangs wurde von Anfang an hart gearbeitet. So wuchs die Leistung der

deutschen Sender von 1933 bis 1937 von 525,25 auf 945 Kilowatt. Durch den besseren Emp-

fang kamen auch immer mehr Teilnehmer auf den Geschmack des neuen Mediums Radio. Der

Anteil der Rundfunkteilnehmer steigerte sich von 1933 bis 1937 in ländlichen Gemeinden und

4 vgl. Wagenführ, 1941, 35.

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Landstädten (bis 5000 Einwohner) um 107% gegenüber einer Durchschnittszunahme in Klein-,

Mittel- und Großstädten von knapp 79%.5

So langsam begannen die Radiomacher schlau zu werden und verschiedene Strategien zu entwi-

ckeln. Sie wollten immer mehr Hörer erreichen. Beispielsweise wurden Menschen, die sich in

einer schlechten wirtschaftlichen Lage befanden, von den Rundfunkgebühren befreit. So wurde

der Kreis der Teilnehmer ausgedehnt. Damit setzten auch von wirtschaftlicher Seite her die

Maßnahmen ein, die eine weitgehende Erschließung Deutschlands für den Rundfunk bewirkten.

Zum ersten Mal entwickelten sich PR-Strategien, die mit den heutigen vergleichbar sind, gar

deren Basis sind: Die Erhöhung der Einschaltquote, ein neuer Begriff wurde erklärtes Ziel!

Dieser Trieb immer mehr Menschen zu erreichen hatte eine weitere grandiose Erfindung zur

Folge: Der Volksempfänger.

Am 25. Mai 1933 begann die Gemeinschaftsproduktion der ersten hunderttausend VE 301 in 28

Radiofabriken und 59 Zulieferbetrieben. Der Volksempfänger sollte den Bezirkssender sowie

den Deutschlandsender zuverlässig empfangen können. Der Preis für den VE 301 – VE als Ab-

kürzung für den Volksempfänger 301 als Erinnerung an den Tag der Machtergreifung am 30.

Januar 1933 – wurde auf 76 RM festgelegt und sollte auch in monatlichen Raten abzuzahlen

sein.

Anfangs noch recht teuer, merkte man schnell, dass die Produktion erweitert werden musste und

die Geräte günstiger angeboten werden sollten.

Die Verbesserung und Verbilligung der Empfänger hat für sich allein schon Bedeutung. Sie

erhielt doppeltes Gewicht durch die gleichzeitige Verbesserung der Verhältnisse auf der Seite

der Sendung. Programmmäßig sah es so aus: „Man begann mit täglich einer Stunde, und zwar

mit möglichst einfacher, getragener Musik, bei der allen musikalischen Schwierigkeiten sorgfäl-

tig aus dem Weg gegangen wurde, Einzelgesang mit Klavierbegleitung, Klarinette oder Geige

oder Cello mit Klavier, Rezitationen.“6

1927 war die Sendezeit auf zehn Stunden angelangt, im Jahr 1938 waren es schon über 19 Stun-

den. Aus dieser Zahl lässt sich lesen, dass praktisch fast keine Stunden des Tages mit Ausnahme

eines Teiles der Nacht ohne Rundfunk waren.7

5 vgl. Wagenführ, 1941, 38. 6 Giesecke, 2003, 18. 7 vgl. Giesecke, 2003, 15 ff.

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Statistischen Angaben zufolge wurde die Zunahme der Teilnehmer 1933 zur Hälfte, 1934 zu gut

zwei Drittel und 1935 zur Hälfte vom Markt der Volksempfänger beeinflusst. Ohne den Volks-

empfänger wären, wie der Medienwissenschaftler Ansgar Diller resümiert, „Ende 1934 wahr-

scheinlich statt der tatsächlich gezählten sechs Millionen angemeldeten Geräte erst fünf Millio-

nen, Ende 1935 statt rund sieben Millionen erst 5,5 Millionen, Ende 1936 statt über acht Millio-

nen erst sechs Millionen und schließlich 1937 statt der tatsächlichen neun Millionen erst 6,5

Millionen zu registrieren gewesen.“8

Wagen wir eine weitere Überlegung zur Verbreitung des Komplexes Sendung und Information,

Radioempfänger und Publikum.

Wir befinden uns im Jahr 1933.

Die Inszenierung der NS-Volksgemeinschaft im und durch das Radio begann mit einem Pau-

kenschlag: dem 1. Mai 1933. Zugleich war dieser Tag die Feuertaufe des Radios im Dienste des

NS-Regimes: Die Berliner Maifeier. Aus medientechnischer Sicht hatte es einen Vorlauf gege-

ben. Bereits am 8. Mai fand in allen Gauen des Reiches ein Massenappell der SA und der SS

statt. Die Kampfformationen der nationalsozialistischen Bewegung versammelten sich in vielen

Städten des Reiches vor öffentlichen Lautsprechern: ca. 600.000 SA- und SS-Männer, von allen

anderen Städten aus. Diese Übertragung mag als Generalprobe für den 1. Mai gegolten haben

und vielleicht als solche so angeordnet gewesen sein.

Womöglich einmalig in der Geschichte des Rundfunks wurde am besagten 1. Mai 1933 ein

dramaturgisch lückenlos durchgeplantes Programm, das zudem mit Ausnahme von zwei Sen-

dungen,- eine dreiviertelstündige und eine zehnminütige mit Marsch- und Arbeiter-, Bauern-

und Soldatenliedern – ein reines Wortprogramm war, und zwar von morgens 8:50 bis circa 1:00

Uhr nachts. Da zu dieser Zeit nur etwa ein Drittel aller Haushalte ein Rundfunkgerät besaß,

wurde in den Lokalzeitungen aufgefordert, die Geräte in die Fenster zu stellen, damit auch

Nicht-Radiobesitzer mithören konnten. Zentrale Lautsprecheranlagen in den Städten sorgten

zudem für die Verkopplung der Berliner Maifeier mit den regionalen Aufmärschen im gesamten

Reich.

Die Sterne standen gut für das Durchdringen des NS-Regimes bisher nicht erschließbarer Berei-

che.

Der Volksempfänger wurde zur Stimme des Führers und des Propagandaministers, im Volks-

mund auch Goebbels-Schnauze genannt, er wurde aus der Sicht der VolksgenossInnen zum

8 Diller, 1983, 148.

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Symbol nationalsozialistischer Herrschaft. Durch das Medium konnte das Regime sogar in die

privaten Räume eindringen.

Das Radio wurde schnell zum Lebensmittelpunkt der Menschen. Sie wurden informiert und auf

dem Laufenden gehalten, aber auch bewusst manipuliert durch das Regime.

Propagandaminister Goebbels nutzte das damals stärkste Medium zur Informationsverbreitung

ganz bewusst, um aus dem Volk ein NS-Kollektiv zu formen und binnen kürzester Zeit das na-

tionalsozialistische Gedankengut wie ein Virus zu verbreiten.9

Nach Beginn des zweiten Weltkriegs war das Medium wichtiger denn je für die Menschen. Oft

wurde es mit in den Luftschutzkeller genommen, denn aktuelle Meldungen über die Luftlage,

aber auch die unterhaltende Komponente des Programms war für viele Menschen wichtig und

angenehm, weil sie Zeit überbrückte und der psychologischen Stärkung diente. Der Rundfunk

hatte sich seinen Platz im Alltag der Menschen vollständig erobert. Mehr noch: Er war zum

überlebensnotwendigen Requisit geworden. Deshalb waren dem Medium immer mehr Men-

schen verfallen – im positiven wie auch im negativen Sinne.10

9 vgl. Marßolek/Saldern, 1999 , 122 ff. 10 vgl. Diller, 1983, 148.

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2.2 Radio als Werkzeug politischer Propaganda

Das nationalsozialistische Reich hatte seinen Auslandshörfunk bereits sechs Jahre fest im Griff,

als am 1. September 1939 die deutsche Wehrmacht die polnische Grenze überschritt. Sie hatten

ihn bereits in ein wirkungsvolles politisches Propagandainstrument umgewandelt. Die deut-

schen Kurzwellensender wurden zu echten Fernkampfwaffen. Nicht nur der deutsche Auslands-

funk hatte die mittlerweile wichtige Funktion übernommen, Propaganda für das jeweilige Sys-

tem zu verbreiten.

Schnell erkannten Spezialisten, dass der Rundfunk ein ideales Instrument für die Zersetzung

und Unterminierung der Kampfmoral des Gegners darstellte – vor allem in Zeiten von Krieg

und Krise.

Da es das Medium Radio im Ersten Weltkrieg noch nicht gegeben hatte, war all das eine völlig

neue Erkenntnis und die Strategien mussten geändert werden.

Es wurden unter anderem eine ganze Reihe von Geheimsendern geschaffen. Die wohl bekann-

testen deutschen Geheimsender sind „Radio Humanité“ (erfunden vom Reichsminister für

Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Joseph Goebbels), sein Zwillingsbruder „Voix de la

Paix“, sowie die Geheimsender des „Büros Concordia“.

Die Funktion dieser Sender war verschieden, sie arbeiteten als Störsender, als Propaganda-

Kampfsender, als Soldatensender zur Betreuung der eigenen Soldaten, als Funksender für die

Navigation der Marine und der Luftwaffe sowie als Ergänzungs- und Aushilfssender.

Die Geschichte der Geheimsender ist heute längst nicht zu Ende. Viele Sender strahlen bis dato

Programme in fremde, feindliche Gebiete. In Polen unterhält die Solidarnoc trotz Verfolgung

durch die Regierung, der alle modernen Peilgeräte zur Verfügung stehen, immer noch Unter-

grundsender.11

Das neue Medium war mittlerweile ein unmittelbares Herrschaftsinstrument geworden.

Als solches war es ein wichtiger Transmissionsriemen von Regime und Gesellschaft.

Bereits von Beginn an geriet der Rundfunk ins Blickfeld des totalitären Regimes. Er war ein

wichtiges Instrument zur Formung der Volksgemeinschaft, deren Voraussetzung die rassistische

Ausgrenzung war.

11 vgl. Buchbender/Hauschild, 1984, 34 ff.

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Der endgültige Durchbruch gelang dem Medium genau deshalb während der Naziherrschaft. So

erkannten Hitler und Propagandaminister Joseph Goebbels schnell die Möglichkeiten des Medi-

ums bei der Verbreitung ihrer Ideologien. Dies nutzten sie ohne wenn und aber, sowie ohne

Rücksicht auf Verluste und das Leid der Menschen.

Ein weiterer wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist die Gleichschaltung während des

Nationalsozialismus.

Wie alle totalitären Regimes, nahm auch die nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands

(NSDAP) alle drei Staatsgewalten ein. Die Legislative, die Exekutive sowie die Judikative.

Selbst die Medien waren der Staatsführung bedingungslos unterstellt. Dies hatte zur Folge, dass

es im Dritten Reich keine unabhängigen Print- und Rundfunkmedien geben durfte. Vor allem

für den Rundfunkbereich bedeutete das, dass jede einzelne Sendeminute dem propagandisti-

schen Kalkül des entsprechenden Ministeriums unterlegen war. Zwar war es den deutschen

Bürgern technisch gesehen möglich, nicht-deutsche Rundfunkanbieter zu empfangen (Feind-

funk), aber auch hier versuchte die NSDAP dies zu unterbinden, indem sie das Hören ausländi-

scher Sender unter Todesstrafe stellte. Dies galt natürlich nur, für Bürger des Deutschen Rei-

ches. Die deutsche Staatsführung selbst hörte die Feindsender fleißig, um für ihre politischen

Zwecke vermeintliche Informationen zu gewinnen. Natürlich wusste man auch um die Wichtig-

keit des eigenen Radionetzes für den Feind. Rundfunk wurde daher vor allem in den Kriegsjah-

ren immer mehr zum Vabanquespiel. Es galt, die eigenen Bürger mit der bestmöglichen Unter-

haltung sowie speziell alle notwendigen Informationen zu versorgen, gleichzeitig aber, dem

lauschenden Feind nicht zuviel preiszugeben, sogar pointiert Fehlinformationen zu streuen.

Dies war ein schmaler Grad und eine große Herausforderung für die Rundfunkverantwortlichen

aller Seiten.

Zu den oben genannten staatlichen Rundfunkanstalten gesellten sich im Laufe des Krieges im-

mer mehr oder weniger illegale Widerstandssender. Die Sender, die man heute als Piratensender

bezeichnen würde, hatten zur damaligen Zeit eine große politische Bedeutung. Als Dorn, vor

allem im Auge der Nationalsozialisten, wichen diese Sender von der Propagandaberieselung ab

und verkündeten für alle Bürger, mit entsprechendem Empfänger, ihre eigenen Ideologien be-

ziehungsweise versuchten die bewusst verfälschten Parolen des Regimes zu widerlegen.

Der Rundfunk kennt keine territorialen Grenzen – so breitet er sich rein nach den physikali-

schen Gesetzen der Wellen aus. Diese tragen die Sendungen, die im Falle des Nationalsozialis-

mus das Ziel haben, die Menschen zu beeinflussen.

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Die Gegner sind machtlos gegen eine derartige Informationsverbreitung. Gegen den Rundfunk

lassen sich keine Barrieren einrichten, die zum Beispiel eine Warensendung an der Grenze eines

Landes aufhalten könnten. Dieses Phänomen bietet letztlich nur der sogenannte Störsender.

Den Empfang des Rundfunks kann man nicht auf eine bestimmte Gruppe, einen begrenzten

Kreis beschränken. Die Sendung geht an die Allgemeinheit. Jeder, der ein Rundfunkgerät be-

sitzt, kann sie auch empfangen. So macht das Manipulationsvorgehen Hitlers und Goebbels kein

Halt vor den Menschen. Diese waren den schnell beeinflussenden Informationen praktisch hilf-

los ausgeliefert.

Jeder, der hören kann, ist imstande, einer Sendung zu folgen.

„Zum Hören von Rundfunkleistungen ist jedes Ohr willig, einerlei, ob es musikalisch ausgebil-

det oder Sprechleistungen zu beurteilen gewöhnt ist oder nicht.“12

Das NS-Regime versuchte natürlich mit jeglichen Hilfsmitteln und mit der Nutzung der anderen

Medien ihre Ideologie zu verbreiten.

Während jedoch zum Beispiel die Zeitung eines Mittels, des Papiers, bedarf, dessen Knappheit

zu Einschränkungen führen kann, spricht der Rundfunk ohne ein solches Zwischenglied zu den

Hörern. Er war also ein perfektes Mittel. Egal welche Teile des Programms man auch betrach-

tet, in jedem lassen sich Möglichkeiten der Führung erkennen. Es gibt zahlreiche Führungsauf-

gaben, die durch den Rundfunk angeschnitten oder sogar gelöst werden können. Nicht nur das

Gebiet der Politik wird abgedeckt, sondern alle Gebiete, mit denen sich der Rundfunk befasst,

denn der Rundfunk ist auch außerhalb seiner politischen Aufgabe ein Führungsmittel. Die Stär-

ke besteht aus der zentralen Erfassung einer großen Öffentlichkeit, oft sogar der Erfassung des

ganzen Volkes. Jeder wird von ihm erreicht.

Aus diesem neuen technischen Wunder, das unter bescheidenen und oft primitiven Bedingun-

gen seinen Anfang nahm, wandelte sich in weniger als zwei Jahrzehnten zum politischen Füh-

rungsmittel.

Der in jedem Führungsmittel liegende Reiz, auch an ihm teilzuhaben, konnte sich so immer

mehr auswirken.

Bis heute bleibt das Phänomen. Und obwohl viele Zeugen des Werdegangs und der Entwick-

lung waren, ist immer noch kaum Klarheit darüber vorhanden, wie der Rundfunk in so kurzer

Zeit seinen Weg zurücklegen konnte.

12 Stockmayer, 1934, 36.

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Der Rundfunk ist eine propagandistische Waffe. Daher wirkt er also notwendigerweise poli-

tisch. Betrachtet man einen politisch neutralen oder sogar bewusst unpolitischen Rundfunk ver-

tritt auch er damit eine bestimmte politische Haltung – die des liberalen.

Die Nationalsozialisten haben von Beginn an den politischen Rundfunk gefordert. Die Entwick-

lung vom Unterhaltungs- zum politischen Rundfunk begann bereits sehr früh. So standen an

Weihnachten im Jahre 1923 Reichskanzler Dr. Marx sowie die Parteiführer Erkelenz und

Scholz vor dem Mikrofon des Berliner Rundfunks um politische Weihnachtsgrüße auszuspre-

chen.

In der Zukunft folgten viele verschiedene politische Vorträge, Wahlreden etc.

Dies zeigt an, dass die Politik das neue Mittel erkannte und vielleicht etwas von seiner kom-

menden Bedeutung ahnte.

Der nationalsozialistische Staat betrachtete von der ersten Minute an den Rundfunk als ein Füh-

rungsmittel, das ganz selbstverständlich im Dienste des Staates und der nationalsozialistischen

Weltanschauung zu stehen hat.

Ein ganz neues Zeitalter des politischen Rundfunks beginnt allerdings am 2. Februar 1933. Hier

steht zum ersten Mal der Führer Adolf Hitler am Mikrofon des Deutschen Rundfunks. Er ver-

liest den Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk. Von diesem Augenblick an bis heu-

te gab es kein einziges wichtiges politisches Ereignis, bei dem der Rundfunk nicht anwesend

war.

Und die Menschen ließen sich beeinflussen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Natürlich hatten

sie die freie Wahl ihren Lautsprecher auszustellen. Die Neugier war jedoch ohne Zweifel oft-

mals stärker als die politische Ablehnung.

Damals wie heute spielte die Unterhaltung eine große Rolle. Die Gunst des Hörers sowie ent-

sprechende Einschaltquoten gewann man dadurch, dass man ihn mit einem attraktiven Unterhal-

tungsprogramm durch den Alltag begleitete. Waren SängerInnen oder KünstlerInnen bis zu

einem gewissen Zeitpunkt nur auf der Bühne zu Ruhm und Beliebtheit gekommen, erkannte

man deren enorme Wichtigkeit für den Rundfunk. Da die Menschen sich schon immer mit cha-

rismatischen und prominenten KünstlerInnen identifizieren konnten, schaffte deren Wirken im

Rundfunk Vertrauen gegenüber dem gesendeten Programm. Das bedeutet, dass damalige Schla-

gergrößen, wie Hans Albers, Heinz Rühmann und nicht zuletzt Lale Andersen dazu beitrugen,

die Hörer Deutschlands am Rundfunkgerät zu halten.

Der Rundfunk hat die idealen Voraussetzungen geschaffen für Hitler an die Macht zu kommen.

Das Wahlergebnis vom 10. April 1938 zeigt dies deutlich:

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„99,1 % des deutschen Volkes bekannten sich zur Politik des Führers.

Um diesen Einsatz durchführen zu können, mussten die äußeren Voraussetzungen Stück für

Stück geschaffen werden. In diesem Sinne ist die Schaffung des Volksempfängers, der Millio-

nen neue Rundfunkteilnehmer brachte, ebenso politisch zu werten wie die Verstärkung des

Reichssenders oder die Schaffung des Deutschen Kurzwellensenders. Wenn der Rundfunk so

umfassende politische Möglichkeiten besaß, dann war es auch notwendig, dass jeder von der

Wichtigkeit des Rundfunkhörens überzeugt wurde – eine zielbewusste Rundfunkpropaganda

diente der Steigerung der Teilnehmerdichte. Der Rundfunk ist das gegebene Mittel des Führer-

staates. „Niemals wäre es ohne Rundfunk möglich gewesen, eine ganze Nation von einem Wil-

len her zu umfassen.“13

Der Sinn des eigentlichen Rundfunks war also total verfälscht und Hitler nutzte dies bewusst.

Das Ziel der Entwicklung des Rundfunks liegt darin eine Einheit des in seiner Natur politischen

Rundfunks zu schaffen – und zwar aus dem Dualismus von Politik und Rundfunk.

Genau diese Art von Rundfunk kann nicht nur seine Aufgaben nach innen erfüllen, also die

Aufgaben der Volksgemeinschaft gegenüber, sondern auch nach außen, das heißt die Verbin-

dung von Volk zu Volk herstellen. Darin liegt die letzte Sinngebung des politischen Rund-

funks.14

13 Hadamovsky, 1934, 13. 14 vgl. Eckert, 1941, 249.

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3.0 „Lili Marleen“ – Vom Staubfänger zum Welthit

3.1 Erst zweite Wahl, dann Star: Die Interpretin Lale Andersen

Liese-Lotte Helene Berta Bunnenberg alias Lale Andersen wurde am 23. März 1905 in Lehe –

heute ein Stadtteil von Bremerhaven geboren. Ihr Vater war Schiffssteward. Genau wie er hatte

Liese-Lotte schon früh Sehnsucht nach der Ferne. Er brachte ihr viele Shanties bei (Arbeitslie-

der der Seeleute). Ihre Mutter starb, als Liese-Lotte noch klein war.

Am 27. März 1922 heiratet sie den Worpsweder Maler Paul Ernst Wilke. Zwischen 1924 und

1929 wurden ihre drei Kinder geboren: Björn, Carmen-Litta und Michael.

Ab 1925 nahm die 25-jährige Lise-Lotte Wilke Schauspielunterricht in Bremen. Der Karriere

wegen verließ sie Ehemann und Kinder, wurde 1931 geschieden und suchte ihr Künstlerglück in

Berlin.

Hier hat sie auch ihre ersten Auftritte.

Bereits im gleichen Jahr begann sie als Peggy in der Komödie „Muss die Kuh Milch geben?“

des britischen Schriftstellers Somerset Maugham ihre Bühnenlaufbahn am „Deutschen Künst-

lertheater“ in Berlin. Von 1931 bis 1933 trat sie an der „Dr. Roberts Klein-Bühnen“ in Berlin

auf. Ab 1932 besuchte sie für zwei Jahre die Schauspielschule des „Deutschen Theaters“ in

Berlin. Ab 1934 verwendete sie das schließlich Pseudonym „Lale Andersen“.

Im Jahr 1932 lernte sie Norbert Schultze kennen, der als Mitglied des bekannten Münchner Stu-

dentenkabaretts „Die vier Nachrichter“ in Berlin auftritt. Nur ein Jahr später begegnete sie Rolf

Liebermann, mit dem sie eine intensive Liebes- und Arbeitsbeziehung sowie eine lebenslängli-

che Freundschaft verband.

Ab 1933 gehörte Lale Andersen zum Ensemble des Zürcher Schauspielhauses.1936 lernte sie

im Münchner „Simpl“ den Komponisten Rudi Zink kennen. Er vertonte für sie zahlreiche Texte

von Hans Leip.

Einem weiteren wichtigen Partner ihrer künstlerischen Entwicklung begegnete sie zwei Jahre

später auf einer ihrer zahlreichen Tourneen in Heidelberg, dem Pianisten Friedrich Pasche. Er

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war schließlich für einige Jahre ihr ständiger Begleiter. Zum gemeinsamen Repertoire zählte

auch „Lili Marleen“ in der Vertonung von Rudolf Zink.

Ab 1938 sah man sie am „Kabarett der Komiker“ von Willi Schaeffer in Berlin, außerdem als

Salondame bei Otto Falckenberg an den „Münchner Kammerspielen“ in „Ihr erster Mann“ und

in „Simpl“.

Im gleichen Jahr erhielt Lale Andersen die zweite Vertonung des Hans Leip-Textes „Lili Mar-

leen“. Diese stammt aus der Feder von Norbert Schultze (Pseudonym Frank Norbert). Am 2.

August 1939 wurde diese Fassung des Liedes auf Schallplatte aufgenommen. Die Vertonung

der zweiten Version war wesentlich einprägsamer als die erste. So hoffte man auf mehr Erfolg.

Doch auch dieses Mal blieb er wieder einmal aus und das Lied verschwand, wie die erste Versi-

on, in der Versenkung.

1939, mit dem Ausbruch des Krieges, begannen für Lale zahlreiche Tourneen im Rahmen der

Truppenbetreuung. Mit Rudi Zink stand sie in intensivem Briefwechsel.

1941 war ihr Schicksalsjahr und das Jahr des absoluten Durchbruchs von „Lili Marleen“. Der

Soldatensender Belgrad spielte das Lied allabendlich in der Vertonung von Norbert Schultze

und der Interpretation von Lale Andersen. Es Lied wird zum Soldatenlied des zweiten Welt-

krieges.

Nur wenige Monate später, im Oktober 1942 verhängte das Propagandaministerium schließlich

ein Auftrittsverbot gegen die Sängerin.

Das Propagandaministerium warf Lale sogenannte undeutsche Kontakte zu jüdischen Emigran-

ten in der Schweiz vor.

Aus Furcht vor einer Verhaftung nahm sie angeblich eine Überdosis Schlaftabletten. Sie lag

noch im Koma, als der Rundfunksender „British Broadcasting Corporation“ (BBC) meldete, sie

hätte Selbstmord begangen, weil der nationalsozialistische Propagandaminister Joseph Goebbels

befohlen habe, sie verhaften und in ein Konzentrationslager transportieren zu lassen. Goebbels

ließ sofort ein Dementi verbreiten und bezichtigte BBC der Lüge. Wie durch ein Wunder über-

lebte Lale Andersen. Durch die Kriegswirren wird sie im April 1945 schließlich auf die kleine

Nordseeinsel Langeoog verschlagen.15

15 vgl. Ahlborn-Wilke, 1986, 10.

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Nach der deutschen Niederlage bei der Schlacht von Stalingrad 1942/1943 wurde „Lili Mar-

leen“ schließlich aus dem Programm des Soldatensenders Radio Belgrad genommen. Ab Mai

1943 durfte Lale nach neunmonatigem Auftrittsverbot endlich wieder singen – das Lied der

„Lili Marleen“ jedoch nicht mehr.

Ab 1944 war das Lied, jedoch nur gesungen von Lale Andersen, verboten.

Im Jahre 1945 lag Europa in Schutt und Asche. Millionen Menschen standen vor dem Nichts,

hatten alles verloren und wussten nicht, wie es weiter gehen sollte. Und auch Lale hat während

des Kriegs viel Leid ertragen müssen. Die Sängerin verdankte es letztlich nur „Lili Marleen“,

dass sie nach dem Krieg die Möglichkeit hatte, am endlos-weiten Strand von Langeoog entlang

zu bummeln.

Als das kulturelle Leben in deutschen Großstädten wieder aufblühte, ging sie als Sängerin auf

Gastspielreisen. Außerdem trat sie in London, Helsinki, Kopenhagen und Nordamerika im

Fernsehen auf und war als Sängerin und Kabarettistin in europäischen und amerikanischen Sen-

dern zu hören. Schnell folgten erste Radioauftritte und Tourneen. Angekündigt wurde sie dabei

immer als „The Original Singer of Lili Marleen“.

Lale Andersens große Liebe, der Schweizer Komponist, sowie spätere Hamburger und Pariser

Opernintendant Rolf Liebermann bat sie, sich für ein gemeinsames Leben mit ihm zu entschei-

den. Doch Lale zog ihre Karriere seiner Bitte vor. Kurze Zeit später ließen sich die beiden

scheiden. 1949 heiratete Lale den Komponisten und Maler Artur Beul. Die zweite Ehe dauerte

bis zu ihrem Tod.

1952 feierte Lale Andersen ein Comeback mit ihrem Lied „Blaue Nacht am Hafen“.

Im Jahre 1959 behauptete sich auch „Ein Schiff wird kommen“ wochenlang in der Hitparade.

Tourneen in den 50er und 60 er Jahren führten sie unter anderem nach Norwegen, in die

Schweiz, Nach Österreich, in die USA und nach Kanada.

Ab April 1967 war Lale Andersen mit ihrer 31-tägigen Abschiedstournee „Good bye Memo-

ries“ in der Bundesrepublik Deutschland unterwegs.

In einem Interview mit der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“ erklärte Lale im April 1968, „Lili

Marleen“ sei nicht ihr persönliches Lieblingslied gewesen. Auch „Blaue Nacht am Hafen“ und

„Ein Schiff wird kommen“, die sie in die Hitparade brachten, waren nicht ihre Plattenfavoriten.

Viel besser gefiel ihr ihre Langspielplatte mit plattdeutschen Liedern.

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1969 erschien ihr Buch „Wie werde ich Haifisch“.

Auch im Jahre 1972 blieb Lale erfolgreich. Neuen Ruhm bescherte ihr der autobiographischer

Lebensroman „Der Himmel hat viele Farben“. Das Buch bescherte ihr wochenlange Notierun-

gen in der „Spiegel“-Bestseller-Liste, verbunden mit erneuten Schlagzeilen, herzlichem Ap-

plaus, ständigen Terminen, unentwegten Hetzen und Jagen. Lale steckte zudem voller interes-

santer Pläne: Eine Japan-Tournee sowie diverse Schallplatten- und TV-Produktionen.

Nichts von alldem sollte sich jedoch erfüllen: Lale Andersen starb am 29.08.1972.

Ihre letzten Stunden im Scheinwerferlicht müssen wohl ihre schwersten gewesen sein. Strahlend

sprach sie vor Journalisten in Wien über die Zukunft, obwohl sie schon die Nähe des Todes

spürte. Sie schüttelte anlässlich der Präsentation ihrer Memoiren Hunderte von Händen, gab

bereitwillig Autogramme und sang noch einmal, wirklich zum allerletzten Male „Lili Marleen“.

Die Sängerin wurde auf dem Langeooger Dünenfriedhof neben ihrer Ferienpension „Sonnen-

hof“ beerdigt.

Im Jahr 1981 setzte Lale Andersens Geburtsstadt Bremerhaven der Sängerin in der Innenstadt

eine „Lili-Marleen“ - Laterne als Denkmal.

Ihre Tochter Litta Magnus-Andersen gab ebenfalls gegen Anfang des Jahres 1981 die dokumen-

tarisch belegte Biographie „Lale Andersen – die Lili Marleen“ heraus, welche Einblicke in die

Kulturszene des Dritten Reiches erlaubte.

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3.2 Die Entstehung von „Lili Marleen“

Vor der Kaserne,

Vor dem großen Tor,

Stand eine Laterne

Und steht sie noch davor.

So woll’n wir uns wiederseh’n,

Bei der Laterne woll’n wir steh’n,

Wie einst, Lili Marleen.

Unsere beiden Schatten

Sah’n wie einer aus,

Daß wir so lieb uns hatten,

Das sah man gleich daraus.

Und alle Leute soll’n es seh’n,

Wenn wir bei der Laterne steh’n,

Wie einst, Lili Marleen.

Schon rief der Posten:

Sie blasen Zapfenstreich,

Es kann drei tage kosten!

Kamerad, ich komm’ ja gleich.

Da sagten wir Aufwiederseh’n,

Wie gerne wollt’ ich mit dir geh’n,

Mit dir, Lili Marleen.

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Deine Schritte kennt sie,

Deinen schönen Gang.

Alle Abend brennt sie,

Mich vergaß sie lang.

Und sollte mir ein Leid gescheh’n.

Wer wird bei der Laterne steh’n,

Mit dir, Lili Marleen?

Aus dem stillen Raume,

Aus der Erde Grund,

Hebt mich wie im Träume

Dein verliebter Mund.

Wenn sich die späten Nebel dreh’n,

Wird’ ich bei der Laterne steh’n

Wie einst, Lili Marleen.

Der Text des Liedes der „Lili Marleen“ stammt von dem Schriftsteller und Dichter Hans Leip.

Er schrieb den Text im Ersten Weltkrieg vor seiner Abfahrt an die russische Front Anfang April

1915, während einer Wache vor der Gardefüsilierkaserne in der Kesselstrasse in Berlin. Er war

verliebt in zwei Mädchen – Lili und Marleen. Diese fügte er in seinem Lied zu einer Person

zusammen.16

Diese Version zur Entstehung der „Lili Marleen“ ist jedoch nicht die einzige, die es gibt. Eine

andere ist folgende:

Hans Leip war verliebt in Lilly Freud, die Tochter von Sigmund Freuds Schwester Marie. Hans

Leip selbst gab später zu, Lilly Freud gekannt zu haben. Die Schauspielerin verließ ihn jedoch

und heiratete 1971 den Schauspieler und Theaterleiter Arnold Marle. Leip schrieb daraufhin das

Lied. Aus „Lilly Marle“ wurde „Lili Marleen“. Lilly Freud-Marle selbst erklärte stets, die „Lili

Marleen“ aus dem Lied zu sein, in der Familie wird die Geschichte immer noch erzählt. Stimmt

die Geschichte, wäre sie jedoch voller Ironie: Die deutschen Wehrmachtsoldaten sangen ein

Lied über ein jüdisches Mädchen.17

16 vgl. mdr, 2005, o.S. 17 vgl. Welt, 2008, o.S.

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Eine weitere Version ist diese:

„1914 brach der erste Weltkrieg aus. Hans Leip war gerade 21. Jahre alt und somit volljährig

geworden. Er wurde zu den Gardefüsilieren in Berlin einberufen. Dort lernte er Betty, genannt

Lili, und Marleen kennen. Erstere war die Nichte seiner Zimmerwirtin und Gemüsehänd-

lerstochter, und die zweite junge Frau die Tochter eines Rostocker Arztes, mit der er gerne aus-

ging und Ausstellungen besuchte.

1915 stand Hans Leip vor der Abkommandierung nach Ungarn an die Karpatenfront, als ihm

bei einer Nachtwache vom 3. auf den 4. April beide Mädchen zum Sehnsuchtsziel wurden, und

er die ersten drei Strophen von Lili Marleen schrieb.“18

Leip hatte zunächst nur die ersten drei Strophen des Gedichtes veröffentlicht. Die vierte deutete

er lediglich an. Die Ungewissheit über das eigene Schicksal lässt ihn wohl zurückschrecken, in

der fünften Strophe den Tod und die mögliche Wiederkehr in nebelhafter Gestalt zu beschwö-

ren. Erst später, als die Strophen in der Gedichtsammlung „Die kleine Hafenorgel“ erschien,

fügte Leip die letzten beiden Verse hinzu. So kennen wir das Lied auch heute.19

Die erste Vertonung der „Lili Marleen“ tätigte Rufolf Zink.

Lale Andersen saß eines Abends nach ihrem Auftritt im Münchner Simpls am Tisch des

„Simpl-Wirts“. Ein junger Mann, Theo Prosl kam an ihren Tisch und meinte, Rudolf Zink, also

er selbst, hätte etwas für sie geschrieben. Sie solle es sich doch bitte einmal anhören.

Er habe ein paar Gedichte aus dem Band „Die kleine Hafenorgel“ von Hans Leip vertont.

Nur wenig später saß Lale mit dem Roothaarigen am Klavier und war begeistert von den Verto-

nungen. Die Lieder „Drei rote Rosen“, „Der Feldmohn“ und „Lili Marleen“ lernte sie noch in

der gleichen Nacht und sang sie am darauffolgenden Abend bei ihren Auftritten.20

Der Erfolg blieb jedoch aus und auch das Publikum schien weniger begeistert von der unkon-

ventionellen Musik. Lale war das egal: „Erst dann, wenn ein Künstler sich Luxus leistet, eine

Rolle, ein Lied oder eine Inszenierung zu seinem eigenen Entzücken zu interpretieren, hat er die

Gnade der Unabhängigkeit erreicht. Diese Worte, die Ernst Ginsberg mir einmal gesagt hatte,

fielen mir ein. Kein Weihnachtsgeschenk hätte mich so beglücken können wie diese Lyrik von

Hans Leip und die Sensibilität, mit der dieser junge Schwabinger sie vertont hatte.“21

18 Hans Leip, o.J., o.S. 19 vgl. Peters, 2001, 14 ff. 20 vgl. Andersen, 1972, 99 f. 21 Andersen, 1972, 100.

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Wenig später trat Norbert Schultze in Lales Leben und bat sie ein paar seiner Vertonungen zu

singen.

Schultze sagte, er habe die Melodie zum Gedicht von Hans Leip in der Pogromnacht, also am 9.

November 1938, vertont – und zwar im „Berliner Groschenkeller“, einer unter Künstlern belieb-

ten Kneipe in der Kantstraße - während draußen die Synagogen brannten. Jahre später schloss er

jedoch nicht mehr aus, dass ihm sein Gedächtnis einen Streich gespielt haben könnte.22

Lale weigerte sich zunächst, weil sie all diese Lieder bereits gesungen hatte.

Schultze blieb hartnäckig und erwiderte: „Vergessen Sie, was war und hören Sie bitte weiter

zu“23.

Die Andersen konnte anfangs keinen rechten Gefallen an der für sie ungewohnten und ihrer

Meinung nach unpassenden Melodie finden, während Schultze nie wirklich zufrieden mit ihren

Betonungen, dem marschartigen Rhythmus und dem Männerchor im Hintergrund war, der sich

nach seiner Ansicht wie ein Kastratenchor anhörte. Trotz dieser Unstimmigkeiten, für die zeit-

lebens kein Konsens gefunden werden konnte, wurde diese Version, die 1938 in den Berliner

„Electrola“ -Studios aufgenommen worden war, schließlich auf Schallplatte veröffentlicht.

Die Plattenfirma „Electrola“ weigerte sich anfangs, das Lied unter Vertrag zu nehmen:

„Diese Leip-Schultze-Sachen sind weder Lieder im Sinn von klassischem Musikgut noch

Schlager, von denen man sich einen Erfolg versprechen könnte“, nörgelten sie. „Hören Sie sich

doch mal die Platten von Marika Rökk und Rosita Serrano an. So was lässt sich verkaufen.“24

Auch diese zweite Version der „Lili Marleen“ von Norbert Schultze blieb zunächst völlig unbe-

achtet. Vom Rundfunk wurde sie sogar abgelehnt. Zu groß sei die Distanz von Zinks Verto-

nung, die sich am lyrischen Gehalt des Gedichts orientiert, zu den Marschliedern der Straße.

Zudem war Lales weibliche Stimme nicht gerade passend für einen Liedtext, dessen Worte von

einem Soldaten stammen sollten, der sich an den Abschied von seiner Lili vor dem Kasernentor

erinnert. Die Platte lag nach ihrem Erscheinen wie Blei in den Verkaufsregalen.

22 vgl. Peters, 2001, 7. 23 Andersen, 1972, 118. 24 Andersen, 1972, 119.

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3.3 Aus der Kiste in die Ohren:

Die Verbreitung des Liedes im Radio

Norbert Schultze machte sich von Anfang an Hoffnungen, dass das Lied grandios einschlagen

würde. Er dachte, es würde besonders in Militärkreisen erfolgreich sein können, da die Wehr-

macht anscheinend im Kommen sei.

Doch der große Durchbruch des Liedes kommt auch für ihn, wie für alle Beteiligten, total über-

raschend. In einer Kneipe in Überlingen am Bodensee hört er 1941 erstmals Lale Andersen mit

„Lili Marleen“.

Bereits vor der Kapitulation übernahmen deutsche Soldaten den Belgrader Rundfunksender für

die Truppenbetreuung. Der Soldatensender Belgrad entstand und sendete auf Welle 437,3, also

686 kHz. Der Sender war so stark, dass er alle Frontabschnitte in Europa und Nordafrika er-

reichte. Von Spitzbergen bis El Alamein, vom Atlantik bis vor die Tore Moskaus konnte man

Radio Belgrad hören.25

Der endgültige Durchbruch des Liedes kam also, als der deutsche Soldatensender „Lili Mar-

leen“ über den Äther ausstrahlte. Davor waren lediglich 700 Platten des Songs verkauft worden.

Heute würde man so etwas einen Flop nennen.

Wie es jedoch überhaupt dazu kam, dass „Lili Marleen“ im Radio gesendet wurde, ist unklar.

Auch hierzu gibt es verschiedene Versionen.

Eine davon ist folgende:

Eine Gruppe junger Soldaten, die im Zivilberuf Funktechniker beim Berliner Rundfunk waren,

hatten den Auftrag erhalten, in Belgrad einen Soldatensender zu installieren.

Einer der Soldaten hatte aus der Heimat einen Stapel Schallplatten mitgebracht, darunter eine

Aufnahme der Lili Marleen.26

Eine weitere Version:

25 vgl. Probst-Effah, 2009, o.S. 26 vgl. Welt, 2005, o.S.

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Dem deutschen Besatzungssender Belgrad ging die leichte Musik aus und man besorgte in Wien

neue Schallplatten. Darunter befand sich dann zufällig der Titel „Lili Marleen“, den ein Techni-

ker mehr aus Versehen als aus Absicht auflegte.27

Noch eine andere Version:

Nach der deutschen Besetzung von Jugoslawien wurde in Belgrad ein Nachrichtensender er-

stellt, der natürlich auch Propaganda bis zum Afrika-Korps senden sollte. Per Boten ließ der

Direktor des Radiosenders, Leutnant Karl-Hans Reintgen, Schallplatten aus Berlin herbeischaf-

fen, darunter zufällig auch "Lili Marleen". Das Lied wurde zur Erkennungsmelodie der Sendung

"Wir grüßen unsere Hörer"28.

Paul Carell beschreibt in seinem Buch „Die Wüstenfüchse: Mit Rommel in Afrika“ folgende

Verbreitungsgeschichte:

In Krefeld jedoch fand sie im Frühjahr 1940 vor dem Frankreichfeldzug bei der zweiten Pan-

zerspäkompanie der Aufklärungsabteilung Beachtung. Dort hörten die Unteroffiziere der Kom-

panie jeden Abend das Lied, das ihnen gefiel. Zur Kompanie gehörte auch der damalige Feld-

webel d. Res. Karl-Heinz Reintgen, der vom Sender Berlin kam. Ihm gefiel Lili Marleen beson-

ders gut. Die Kompanie wurde im Frühjahr 1941 nach Afrika verlegt; Reintgen, mittlerweile

Leutnant, wurde Sendeleiter am Wehrmachtsender Belgrad. Er hatte dorthin die Platte mitge-

nommen und spielte sie aus Anhänglichkeit zu seiner alten Kompanie jeden Abend um 21:57

Uhr.

Bald breitete sich das Lied über alle anderen Wehrmachtsender aus. So wurde Lili Marleen,

obwohl das NS-Regime das Lied wegen seines morbiden und depressiven Textes vorüberge-

hend verbot, zu einem Schicksalslied des Zweiten Weltkriegs.

Auch unter den Alliierten Soldaten wurde „Lili Marleen“ gesungen. Bereits 1941 wurde es

durch englische Truppen in Nordafrika so oft mitgesungen, dass die Generalität einschreiten

musste. Als Marlene Dietrich ab 1943 das Lied vor amerikanischen Soldaten sang und es damit

bei den Truppen der Alliierten richtig populär machte, störte es niemanden, dass vom gleichen

Komponisten die Musik für Propagandamärsche wie Bomben auf England oder das U-Boot-

Lied geschrieben wurde.

1944 wurde in England ein Film mit dem Titel „The True Story of Lili Marleen“ gedreht – das

Lied ging in ca. 40 Übersetzungen um die Welt. Vier Jahre nach dem Krieg erbat sich Winston

Churchill das Lied von einer Tanzkapelle an der Riviera. Und General Eisenhower sagte, Leip

27 vgl. Probst, 2008, o.S. (CD) 28 vgl. Krsak, 2009, o.S.

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sei der einzige Deutsche gewesen, der während des Krieges der ganzen Welt Freude gemacht

habe.29

Wie auch immer das Lied zum Soldatensender Belgrad kam, es schlug ein wie kein anderes.

Glaubt man dem Bericht des Leiters des Senders Belgrad, Leutnant Karl-Heinz Reintgen, muss sich im Frühjahr/Sommer 1941 folgendes zugetragen haben: In diesen Monaten wurde Lili Marleen bis zu dreimal täglich gespielt. Die Auswahl an Schallplatten war immer noch nicht sehr groß, und die Sendezeit war auf 12 Stunden angestiegen. Von einem auf den anderen Tag nahm Leutnant Reintgen die Platte aus dem Programm, weil er der Ansicht war, dass der Zapfenstreich (besagten Liedes) nun oft genug gesendet worden sei. Die Reaktion: eine Flut von Beschwerdebriefen und Beschimpfungen der Programm- und Musikgestalter. Man sah sich gezwungen, die Platte wieder ins Programm aufzunehmen.30

Davon abgesehen erfreute sich der Sender immer größerer Beliebtheit, was sich in der steigenden Anzahl von Zuschriften ausdrückte. Der Sender bekam täglich Wäschekörbe voll Fanbriefe.

Unbekannte Landser klingelten an ihrer Wohnungstür. Wo die Sängerin auftauchte, erkannte man sie als „Lili Marleen“. Bei jedem Auftritt musste sie dieses Lied singen. Und so suchten die Programmgestalter nach Möglichkeiten, den Soldaten eine Stimme zu geben. So entstand die Sendung „Wir grüßen unsere Hörer“. Diese wurde am 18. August 1941 erstmals um 21.50 Uhr ausgestrahlt. Darin wurden Briefe von zu Hause an die Front und von der Front in die Heimat verlesen. Am Ende dieser Sendung erklang jedesmal das Lied von der „Lili Marleen“. Mit dieser Grußbrücke wurde das Lied zu einem neuen Verbindungsglied zwischen der Heimat und der Front.31

Überall in der Wüste, notierte ein britischer Kriegsberichterstatter, pfiffen alliierte Soldaten ein Lied. Während dieser Zeit herrschte Waffenruhe.

In den Erzählungen der Zeitgenossen wird Lili Marleen eine magische Kraft zu gesprochen. „Eine makabre Verbündung“, nennt es Norbert Schultze, „hier zerschiessen, verbrennen und vernichten sie sich gegenseitig und singen gleichzeitig das selbe Lied.“32

Ein Soldat des Zweiten Weltkriegs berichtete folgendes:

„Die Fronten lagen sich sehr dicht gegenüber. (…) Abends konnte man dann aus der Stellung

mal langsam raus, um sich zu strecken, (…) und dann trat unser Wehrmachtsempfänger, das

Verbindungsstück zur Heimat, in Aktion. Und Höhepunkt war gegen 22:00 Uhr die Sendung

vom Sender Belgrad. (…) Lale Andersen begleitet von einem Orchester der Luftwaffe. (…)

29 vgl. Carell, 2003, 312 ff. 30 vgl. Peters, 2001, 24 f. 31 vgl. ARD, 2008, o.S. 32 Lale-Andersen, 2009, o.S.

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Und wenn wir dann abends in der Runde saßen, lautlos alle lauschend, dann ertönte plötzlich

auf der anderen Seite, etwa 80 Meter entfernt, irgendwie ein Geräusch und eine Stimme war zu

hören: 'Comrades, louder please!' Es waren die Engländer, und dieses Lied hatte sich längst

auch bei ihnen durchgesetzt. Auf diese Weise hatten wir Abend für Abend eine echte Kampf-

pause, denn in dieser Zeit fiel kein Schuss und auch gleich danach blieb es noch ruhig.“33

Die große Popularität dieser deutschen Version hatte eine schnelle englische Version zur Folge,

weil angeblich ein britischer Liederverleger, namens J.J. Philipps eine Gruppe britischer Solda-

ten dafür tadelte dass sie dieses Lied in deutscher Sprache sangen.

Die Briten haben anfangs versucht, die Popularität von „Lili Marleen“ einzudämmen – das Vor-

haben scheiterte jedoch. Sie beschlossen daraufhin das Lied zu vereinnahmen und ihre eigene

Version zu produzieren: Lilli Marlene Girl, gesungen von Anne Shelton. Ab Herbst 1942 hatte

sie eine eigene Sendung „Introducing Anne“. Hiermit sollte ebenfalls eine Brücke zwischen der

Heimat und den britischen Soldaten in Nordafrika geschaffen werden.34

Die Resonanz von „Lili Marleen“ auf die britischen Truppen hatten die Verantwortlichen bei

der BBC und in den zuständigen Ministerien von Anfang an zunehmend beunruhigt. Geheim-

dienstberichten zufolge könnte sich der Sirenengesang von Lale Andersen zu einer wirkungs-

vollen Propagandawaffe zur Schwächung der alliierten Kampfmoral entwickeln.35

Zunächst erreichten 3000 bis 4000 Briefe für diese Grußsendung die Redaktion, dies steigerte sich bis auf 12460 Briefe an einem Tag. Von Afrika bis zum Nordkap grüßen die Soldaten die Liebste daheim und warten mit ihr gemeinsam auf „Lili Marleen“. Der Text des Liedes wird aufgeschrieben und weitergereicht, es entstehen neue Versionen sowie zahlreiche Zeichnungen von Liebespaaren unter der Laterne.

Den Apolloverlag, der 1940 die Liednoten in einer Auflage von 500 Exemplaren veröffentlicht

hat, erreichen massenhaft Nachbestellungen. In Berlin und in anderen Orten stürmen begeisterte

Radiohörer die Plattengeschäfte. Am 17. Oktober 1941 titelt das Berliner „12-Uhr-Blatt“: „Lili

Marleen, das begehrteste Mädchen der Gegenwart.“36

33 Hoffmeister, 1981, o.S. 34 vgl. Peters, 2001, 33 f. 35 vgl. Peters, 2001, 33. 36 Peters, 2001, 22.

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Schon bald gab es landessprachliche Nachdichtungen. Freund und Feind, Verbündete wie

Kriegsgegner erkannten sich in diesem Lied wieder, das die Soldaten auf beiden Seiten der

Fronten zu ihrem Song machten: Deutsche wie Engländer, Franzosen und Amerikaner . Man

sang es in Italien und Dänemark, in Bulgarien und Schweden, man sang es auf Tschechisch,

Holländisch, Portugiesisch und Hebräisch. Die Franzosen sangen: „...und in der Nacht lagen wir

eng umschlungen“; die Italiener: „Gib mir die Rose oder drück sie an mein Herz“. Winston

Churchill liebte das Lied und hat es sogar einmal in der Londoner Albert Hall dirigiert.37

Schnell wurde das Lied zur Erkennungsmelodie des Senders Radio Belgrad und zu seiner „Visi-

tenkarte.“38

Der Rummel um „Lili Marleen“ übertrug sich auch schnell auf die Interpretin Lale Andersen.

Diese konnte ihren Erfolg kaum fassen und freute sich über ausverkaufte Konzerte:

„ich strahle.(...) das jahrelange Ziel, vor einem Auditorium zu stehen, das einen Abend wirklich

nur dem Zuhören meiner kleinen Lieder schenkt, hat sich erfüllt. Teils durch unbeirrbare Arbeit,

teils durch Dich, Lili Marleen.“39

Keine der zahlreichen Interpretinnen „von Lili Marleen“ wurde so sehr mit dem Kriegslied identifiziert wie Lale Andersen. Das Lied macht sie weltweit bekannt. Es ist ihr Glücksbringer und lebenslange Last zugleich. Für ihre Fans signiert sie Autogrammkarten mit „Lili Marleen“.

37 vgl. mdr, 2005, o.S. 38 Peters, 2001, 25. 39 Peters, 2001, 23.

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3.4 Der weltweite Siegeszug eines Liedes

„Quasi über Nacht wird ein die Fronten überspringender Welterfolg aus der Taufe gehoben, der

Lale Andersen zur populärsten Sängerin Deutschlands machte. Auch der Schriftsteller Hans

Leip war überrascht, als er seine aus dem Gedichtband „Die kleine Hafenorgel“ stammenden

Verse auf einmal im Radio hörte.“40

Seit dem Beginn der Ausstrahlung von Lili Marleen durch den Soldatensender Belgrad im Früh-

jahr 1941 begleiteten zahlreiche Anekdoten, Geschichten und Legenden die phänomenale Er-

folgsstory des Lieds. Rasch wurden mehr als eine Millionen Schallplatten gekauft.41

Es wurde sowohl in Lazaretten gesungen, wie auch anhand von Riesenlautsprechern, zusammen

mit Propagandamaterial über die Fronten in alle Richtungen geballert.

„Lili Marleen wird zum Sinnbild für Trennung und Abschied im Krieg. Obwohl es aus männli-

cher Perspektive geschrieben ist, wird es meist von Frauen gesungen. Jeder kann aus den Ver-

sen heraushören, wonach er sich sehnt: die geliebte Frau, Braut und Freundin oder auch das

käufliche Mädchen. Dabei vermeidet Lili Marleen heroische Appelle an die „tapfere kleine Sol-

datenfrau“ – wie es zum Beispiel in dem NS-Propagandalied von Carl Sträßer aus dem Jahr

1941 der Fall ist. Lili Marleen singt vielmehr über die Angst um die gesunde Rückkehr des ge-

liebten Menschen. Leips Werk ist sentimental, sogar kitschig, aber es erreicht die Herzen der

Menschen, vielleicht weil es aus einem echten und für viele nachvollziehbaren Gefühl entstan-

den ist.“42

„Lili Marleen“ ist für Soldaten und Angehörige zur Brücke zwischen Front und Heimat gewor-

den. Über Heimweh, Einsamkeit und Todesangst tröstet das Lied verklärend hinweg.

„Das kleine Lied, in dem es um Abschied, Sehnsüchte und ungewisse Heimkehr geht, hat in

dunkler Zeit ein kleines Wunder bewirkt: In diesen drei „Lili Marleen“ - Minuten herrschte

40 Ahlborn-Wilke, 1986, 9. 41 vgl. Lehrke, 2002, 114. 42 Peters, 2001, 14.

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immer Waffenruhe zwischen der Wehrmacht und ihren Gegnern. Die Frau, die das Lied sang,

wurde weltberühmt – Lale Andersen aus Bremerhaven.“43

Die Musik hilft beim Aussprechen des Unaussprechlichen. Und beim Eingeständnis der eigenen

Todesangst, der Trauer um den verlorenen Nebenmann hilft. Die Trauer und die Angst sind

bereits formuliert. Die eigenen Worte wären womöglich als Feigheit ausgelegt worden.

In Erzählungen von Zeitgenossen wird „Lili Marleen“ eine fast schon magische Kraft zuge-

schrieben. Zeitzeugen von der Afrikafront, an der sich das deutsche Afrikakorps und die briti-

sche 8. Armee gegenüberstehen, haben dies wiederholt berichtet.

Das Lied offenbart Gemeinsamkeiten jenseits von Kampf und Krieg. Text und Melodie werden

zu einem Stück Zeitgeschichte, das sich ins Gedächtnis Hunderttausender eingeprägt hat. Histo-

rische Realität und erinnerte Geschichte vermischen sich.

„Die außerordentliche Popularität des Lieds bleibt auch Goebbels nicht verborgen, der am 4.

Oktober 1941 in seinem Tagebuch notiert:

´Die Front will – das ist einerseits das Merkwürdige, andererseits aber auch das Verständliche -

in der Hauptsache etwas sentimentale Lieder, die die Sehnsucht nach der Heimat zum Ausdruck

bringen. Man kann verstehen, dass ein deutscher Soldat (…) in der endlosen Steppenlandschaft

des Ostens die Sehnsucht nach Hause um so stärker verspürt.´

Goebbels mag die ´weiche Welle´ nicht.“44

Das Lied ging rund um die Welt und wurde in mehr als 40 Sprachen übersetzt. Außerdem wur-

de es von zahlreichen bekannten Künstlern gesungen. Irgendwann hatte jedes Land seine ganz

persönliche „Lili Marleen“: In Deutschland Lale Andersen, die das Lied als erste interpretierte

und sich so sehr mit der Person identifizierte, dass sie die Autogrammkarten für Fans mit „Lili

Marleen“ unterschrieb. Das Laternenmädchen der USA war Marlene Dietrich, die Großbritan-

niens Anne Shelton. Dies, um nur einige Beispiele zu nennen. Marlene Dietrich brachte „Das

Mädchen unter der Laterne“ per Radio an die Öffentlichkeit und für drei lange Jahre in Nordaf-

rika , Sizilien, Italien, Alaska, Grönland, Island und England wie sie später erläuterte. Im Laufe

der Zeit entstanden auch Varianten, Parodien und propagandistische Umdichtungen: Sowjeti-

sche Flugblätter appellieren an deutsche Soldaten zu ihrer „Lili Marleen“ zurückzukehren, der

englische Rundfunk forderte dazu auf, Hitler an „Lili Marleens“ Laterne aufzuhängen.

43 mdr, 2005, o.S. 44 Peters, 2001, 32.

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„Solange die militärischen Erfolge der Wehrmacht anhalten, duldet das Propagandaministerium

den Triumph des unheroischen Liebeslieds wie auch den seiner Interpretin LA, die mit ihrem

unbändigen Unabhängigkeits- und Karrierewillen dem nationalsozialistischen Frauenideal so

gar nicht entspricht.“45

„Winston Churchill liebte das Lied und hat es sogar einmal in der Londoner Albert Hall diri-

giert. Goebbels dagegen hasste das Lied mit dem, wie er sagte Leichengeruch.“46

Lale Andersen erhält deshalb ein Auftrittsverbot und wird aufgrund ihrer unverändert anhalten-

den Kontakte zu jüdischen Emigrantenkreisen in Zürich zur Verfolgten. Aus Furcht vor einer

Verhaftung nahm Lale angeblich eine Überdosis Schlaftabletten. Sie lag noch im Koma, als der

Rundfunksender „British Broadcasting Corporation“ (BBC) meldete, sie hätte Selbstmord be-

gangen, weil der nationalsozialistische Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels (1897 – 1945)

befohlen habe, sie verhaften und in ein Konzentrationslager transportieren zu lassen. Goebbels

ließ sofort ein Dementi verbreiten und bezichtigte BBC der Lüge.47

Lales Kontakte zu jüdischen Emigrantenkreisen könnte jedoch auch nur ein Vorwand gewesen

sein, um ihr ein Auftrittsverbot zu verhängen. So soll der Geschäftsführer der Reichskultur-

kammer Hans Hinkel Lale über längere Zeit beobachtet haben. Er zeigte großes Interesse an ihr

– als Frau – Lale hatte sich jedoch für die eindeutigen Avancen Hinkels nicht empfänglich ge-

zeigt. Das könnte die Eitelkeit des fanatischen Antisemitisten gekränkt haben. Kurz danach

(1942) durften Fotos von Lale nur noch mit Sondergenehmigung in der deutschen Presse er-

scheinen und das oben erwähnte Auftrittsverbot wurde verhängt. Zudem durfte sie keine Inter-

views und keine Autogramme mehr geben und den Namen Lili Marleen in der Öffentlichkeit

nicht mehr erwähnen.48

Es dauerte natürlich nicht lange bis die Feindmächte das Verschwinden von Lale Andersen für

sich nutzten. Die englische Rundfunkpropaganda strahlte Lili Marleen nach Deutschland zurück

– natürlich mit neuen Texten. Im April 1943 verbreitet die BBC über ihren deutschen Dienst

eine neue Version des Liedes, gesungen von Lucie Mannheim – bis zu ihrer Flucht vor den Na-

zis eine gefeierte Schauspielerin in Berlin. In ihrer poetisch umgedichteten Fassung schreibt sie

an jenen deutschen Soldaten, auf den sie als „Lili Marleen“ unter der Laterne wartet. Sie endet

45 Peters, 2001, 32. 46 mdr, 2005, o.S. 47 vgl. Peters, 2001, 34 f. 48 Peters, 2001, 35

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mit dem Appell - wie oben bereits erwähnt - den Führer, der an allem Schuld sei, doch endlich

selbst an die Laterne zu hängen.49

Nach der deutschen Niederlage bei der Schlacht von Stalingrad 1942/1943 wurde „Lili Mar-

leen“ aus dem Programm des Soldatensenders genommen. Lale Andersen durfte nach neunmo-

natigem Auftrittsverbot zwar wieder singen, jedoch nicht mehr das Lied der „Lili Marleen“. Ab

1944 verbot Goebbels das Lied – allerdings nur von Lale Andersen gesungen. Von da an lief die

Platte ohne Gesang. Das inzwischen auch von den Briten, Franzosen, Italienern, Amerikanern

und Kanadiern begeistert gespielte Lied wurde von dem amerikanischen Schriftsteller John

Steinbeck (1902 – 1968) als „das schönste aller Liebeslieder“ bezeichnet. Lale war sehr ge-

kränkt, dass sie „Lili Marleen“ nicht mehr singen durfte. Das Lied war zwar nicht ihr Lieblings-

lied, was ihr jedoch zu schaffen machte, war die Tatsache, dass all ihre Fans bei Konzerten auf

das eine Lied warteten. Jedes Mal musste die Sängerin ihr Publikum enttäuschen, denn sie hatte

Angst vor dem langen Arm des Propagandaministeriums. Das eingeschränkte Auftrittsverbot

war für Lale also mit gemischten Gefühlen verbunden.

Das Lied “Lili Marleen” wurde für Lale zum Schicksalslied. Immer und immer wieder verlangte das Publikum nach einem Konzert nach dem Lied vom Laternenmädchen.

Für Soldaten aller Nationen war es ein Symbol für Hoffnung. Lale Andersen rührte die Soldaten

– die deutschen und die Gegner. Eine englischsprachige Fassung, gesungen von Marlene Diet-

rich, wurde in Großbritannien von der BBC gesendet. Von dort gelangte das Lied auch nach

Nordamerika. In England drehte man noch während des Krieges mit der 1933 nach Großbritan-

nien emigrierten Lucie Mannheim (1899 – 1976) einen Propagandafilm über das Schicksal von

Lili und Lale.

Selbst nach dem Krieg war kein Ende des weltweiten Siegeszuges der Lili Marleen in Sicht:

Die geschlagenen Deutschen gehen in Gefangenschaft. Die Sehnsucht nach Heimkehr geht mit

ihnen – mit oder ohne Lili Marleen. Ungebrochen dagegen ist das Interesse der Sieger an dem

Lied, das zum song for all armier geworden ist. In England sehen sich die zuständigen Dienst-

stellen gezwungen, Luftwaffenhelferinnen zu verbieten, Lili Marleen in der Nähe deutscher

Kriegsgefangenen zu singen. Die Gefahr der Fraternisierung erscheint ihnen zu groß. Unterdes-

sen zitieren amerikanische Soldaten deutsche Kriegsgefangene zur Singstunden im Lager und

lassen sie Lili Marleen vortragen. Am Ende haben alle etwas davon: die Amis ihren Kunstge-

nuss und die deutschen zusätzliche Verpflegung. 49 Peters, 2001, 36 f.

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Im Jahr 1960 persifliert der deutsche Spielfilm „Mit Himbeergeist geht alles besser“ diese naive

Begeisterung für das Mädchen unter der Laterne.

O.W. Fischer spielt darin einen deutschen Kriegsgefangenen, der einen amerikanischen Offizier

als Bursche dient. Während sich der Ami in der Badewanne von Fischer den deutschen Text

von LM beibringen lässt, flieht dieser in der uniform seines Vorgesetzten. Er soll nicht der ein-

zige bleiben, dem LM über die Unwägbarkeiten der ersten Nachkriegszeit hinweghilft.

Lili Marleen ist allgegenwärtig und nicht mehr aus dem Leben der Menschen wegzudenken.

Der Sendeleiter von Radio Belgrad erhält in englischer Gefangenschaft sogar den Spitznamen

„Mister Lili Marleen“.50

50 Peters, 2001, 41.

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4.0 „Lili Marleen“ und das Radio:

Der Weg zum Welterfolg

4.1 Das Phänomen „Lili Marleen“ ist Alltag geworden

„Lili Marleen“ ist damals wie heute präsent. Kein anderes Lied hat es jemals geschafft so er-

folgreich zu werden wie dieses. Der sentimentale Evergreen ist längst zur Legende geworden.

Jeder kennt das Lied. Bis heute. Ganz gleich, ob man es selbst erlebt hat, die Großeltern/Eltern

einem davon berichten oder ob es im Schulunterricht behandelt wurde – „Lili Marleen“ ist im-

mer noch präsent.

„Kein Lied des zwanzigsten Jahrhunderts ist in so viele Sprachen übersetzt worden, ist so oft

persifliert, parodiert, umgedichtet und neu betextet worden wie „Lili Marleen“, das auch als

Spottlied und Propaganda-Song in die Schlagergeschichte eingegangen ist.“51

Die Magie des Liedes sollte auch nach Kriegsende für Lale Andersen und deren Umfeld weiter

anhalten. So hatte sie selbst und alle, die etwas mit „Lili Marleen“ zu tun hatten, Erfolg auf der

ganzen Bahn. Jeder der Beteiligten machte danach Karriere im Radio oder Fernsehen.

1969 wird Lale Andersen sogar von der „Times“, einer renommierten Londoner Tageszeitung,

in die Liste der Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts aufgenommen. Man bestätigt damit die

ungebrochene Popularität einer weltoffenen Künstlerin, den Bekanntheitsgrad einer Stimme, die

über Jahrzehnte hinweg ein internationales Millionen-Publikum begeisterte.52

„Lili Marleen“ ist im französischen Kolonialkrieg um Indochina (1946-1954), bei der britisch-

französischen Intervention am Suezkanal 1956 und auch im Algerienkrieg (1954-1962) zu hö-

ren. Weitergegeben wurde es durch ehemalige Wehrmachtsangehörige, die in Indochina und

Algerien in den Reihen der französischen Fremdenlegion kämpften. Der Weg von „Lili Mar-

leen“ führt, wie das Beispiel Indochina zeigt, vom europäischen Kriegsschauplatz in den pazifi-

51 mdr, 2005, o.S. 52 vgl. Senatspressestelle, 2002, o.S.

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schen Raum. Amerikanische Soldaten, die Lili in Europa kennen gelernt haben, singen es 1950

im Koreakrieg.53

Auch in weiteren Kriegen nach 1945 ist sie präsent. So zum Beispiel auch in Vietnam.

Als Bundeswehrsoldaten in den neunziger Jahren in Bosnien im Einsatz waren, sendete der

deutsche Soldatensender Radio Andernach die bekannte Melodie zum Programmschluss. Sie hat

beide Weltkriege mitgemacht und ist auch heute noch präsent – „Lili Marleen“, ein um-

schwärmter Weltstar. Ein Weltstar, der niemals

leibhaftig existierte. „Lili Marleen“ ist ein Mythos.

„Mit der Kommerzialisierung des Mythos Lili Marleen geht auch seine Profanierung einher.

Bereits im Jahr 1950 lässt sich der Rosenzüchter W. Kordes aus der Nähe von Elmshorn eine

Neuzüchtung unter dem Namen Lili Marleen patentieren.

Ein Tafelwein trägt den Namen des Laternenmädchens, ebenso ein Hotel in Potsdam, eine Ho-

telsuite in Fredericksburg, Texas, ja sogar eine Polarstation. Der Dreimaster Lili Marleen der

Reederei Deilmann lädt zu erholsamen Kreuzfahrten unter vollen Segeln ein. Daneben gibt es

Zinnfiguren mit Lili Marleen-Abschiedsszenen sowie Spieluhren, die in Bierkrüge, Porzellan-

puppen oder Teddybären integriert sind. Seit 1987 ist eine Lili-Marleen-Gruppe zum Wahrzei-

chen der Stadt Munster geworden, das sich auf Postkarten und Souvenirartikeln wiederfindet.“54

Lale Andersens berühmtes Lied Lili Marleen ist in mindestens 50 Filmen gesungen worden.

Lales Leben wurde zum Beispiel in dem Film „Lili Marleen“ von Rainer Werner Fassbinder

geschildert, in dem Hanna Schygulla 1981 die Hauptrolle spielte.

Das Lied ist längst zur Legende geworden. Selbst in Japan stand es wochenlang auf der Hitpa-

rade ganz oben. Zum weltweiten Erfolg des Evergreens trugen auch die großen Entertainer bei.

International bekannte Interpreten haben sich seiner angenommen: Frank Sinatra und Bing

Crosby, Marlene Dietrich, Al Martino und Perry Como, die Andrew Sisters, Freddy Quinn und

Milva, Hank Snow, Amanda Lear und Dave Dudley, bekannte Schauspielerinnen wie Senta

Berger und Judy Winter, die Orchester Billy Vaughn und James Last. Kein anderer Schlager hat

eine solche einzigartige Weltkarriere gemacht.55

53 vgl. Peters, 2001, 11. 54 Peters, 2001, 48 ff. 55 vgl. Frommann, 1999, 73.

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Punkbands besingen in den 80er Jahren Lili Marleen: Ein kanadisches Regiment wählt das Lied

sogar als Regimentsmarsch. Es ist in japanischen Karaoke- Bars präsent oder auch im damali-

gen Kosovo-Krieg.

Moderne Fassungen des Liedes gibt es unter anderem von Atrocity aus dem Jahr 2000, von der

italienischen Gruppe Camerata Mediolanese und von einer thüringischen Metal-Band Eisregen,

die es 2005 auf der EP Hexenhaus coverte.

Die ungebrochene Popularität kann man an den anfallenden GEMA-Gebühren sehen: So erhielt

die Witwe des Texters Hans Leip in den 80er Jahren rund 60.000 Schweizer Franken pro Jahr

aus dieser Quelle. Hans Leip selbst sowie Schultze profitierten damals nur wenig von ihrem

Erfolgsprodukt Lili Marleen. So erhielten sie beide bis 1948 nur wenige Tausend Mark. Der

Soldatensender Belgrad zahlte nichts und im Ausland waren die Tantiemen bis 1963 als Feind-

vermögen beschlagnahmt.

Schultze schrieb Leip am 2. August 1970 einen Brief und kommentierte das Ausbleiben des

Geldes ganz kühl so:

„Der Krieg hat's gegeben, der Krieg hat's genommen. Schwamm drüber!“56

Im Jahr 2005 bringt die ideenreiche Musikproduktionsfirma Bear Family Records aus Holste-

Oldendorf im Teufelsmeer eine CD-BOX mit 526 Minuten Lili Marleen nonstop heraus. Das

bedeutet sieben CDs und 180 Seiten Begleitbuch.

Lili Marleen ist gewiss das bekannteste Kriegslied aller Zeiten.

Weshalb es so populär geworden ist kann keiner genau sagen.

Das letzte Wort überlasse ich deshalb der wohl berühmtesten Interpretin der Lili Marleen, Lale

Andersen:

„Kann denn der Wind erklären, warum er zum Sturm wird?“57

56 Peters, 2001, 48. 57 Bahnsen, 2005, o.S.

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4.2 Der Erfolg von „Lili Marleen“ erklärt anhand moderner

medienwissenschaftlicher Theorien

Weniger politische, als finanzielle Ziele der Rundfunkanbieter, bringen heutzutage mehr denn je

die Medienpsychologen zum Einsatz.

Schon seit den ersten Stunden des Radios gilt es, die maximal mögliche Anzahl Hörer für das

eigene Programm zu gewinnen und auch zu halten. Dabei kommt eine allgemein marktwirt-

schaftlich verbindliche Regel zum Einsatz: Es wird das am besten Verkauft, was attraktiv ist

und dem Zeitgeist entspricht - was für Supermärkte, Versicherungen oder Autos gilt, ist auch

seit jeher im Rundfunk eine wichtige Basis.

Die Radioforschung war bereits zu ihren Anfängen ein sehr umfassender Bereich, der sich mit

folgenden Themen befasste: Wesenszügen der Rezipienten und ihrem Erleben.58

Zwar gilt die Radioforschung angesichts der heutigen Forschung modernen Medien als vernach-

lässigt, dennoch lässt sich gerade das Phänomen „Lili Marleen“ anhand der bislang gewonnen

Erkenntnisse sehr gut erklären.

Zunächst kann hier ergänzend ein allgemeiner Verweis auf die Medienpsychologen Burkart und

Wilhelm, beziehungsweise auch Kleining gegeben werden.

Auch deren Analysen kommen zu dem Ergebnis, dass ein mediales Produkt, also auch ein Ra-

dioprogramm, Sendeelemente oder auch eine einzelne Radiosendungen, dann Erfolg hat, wenn

die optimale Verbindung mit den persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen der Konsumenten

hergestellt werden kann.

Schon in den Anfangszeiten erkannten die Verantwortlichen, dass Unterhaltung eine große Rol-

le im positiven Hörerverhalten spielt und etwaige Promotionen (in diesem Fall meist politische

Propaganda) nur in Verbindung mit dieser, die größtmögliche Wirkung aufweist. Fasst man die

Theorien Medienwissenschaftlern wie Trepte, Witte oder Burkart zusammen und wendet diese

auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 an, so kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass

Radio nie zuvor oder danach dermaßen emotional angewandt wurde. Die sich im Laufe des

Krieges verschärfende Lebenssituation der Menschen führte dazu, dass das Radio viele wichtige

Aufgaben im Alltag der eigenen Gefühlswelt übernahm, wie eine eigens geführte Recherche

58 vgl. Trepte/Witte, 2007, 8 ff.

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ergeben hat: Viele Ehefrauen gefallener oder vermisster Soldaten berichten noch heute darüber,

dass die Stimme im Volksempfänger unweigerlich zum einzigen und treuen Freund wurde, an-

dere berichten von Nutzen der Luftangriff-Warnungen. Wiederum andere konnten mittels der

Unterhaltung gedanklich in eine bessere Welt entfliehen. Gerade letzteres Motiv ist nicht nur

Erfolgsgarant für die „Betreiber“, sondern eindeutig auch der Erfolgsgarant für die Wirkenden

im Radio. Sei es der sympathische Sprecher oder die Sängerin die Lale Andersen, mit denen

man sich identifiziert.

Trepte belegt unter modernen Aspekten, dass Massenmedien nach wie vor die hohe Kunst be-

herrschen, durch gezielte Ansprache an Emotionen, Nutzer und deren Bewusstsein zu verändern

oder gar zu manipulieren.

In den Weltkriegsjahren 1939 bis 1945 war es verhältnismäßig einfach, Emotionen zu schüren

und die Menschen zu verleiten, dem Alltag mittels TV in den Kinderschuhen und Radio zu ent-

fliehen.

Der Begriff, der in den frühen 50er Jahren von den U.S.-amerikanischen Psychiatern Donald

Horton und Richard Wohl erstmals geprägt wurde, lässt sich gerade auch auf diese Zeit voll-

ständig anwenden: Die parasoziale Interaktion. Dieses Forschungsfeld, welches bis heute noch

nicht abgeschlossen ist untersucht, inwieweit von Medien und Mediendarstellern die Illusion

einer interpersonellen Beziehung kreiert wird.

Zwar sorgten technischer Fortschritt und Zeitgeist dafür, dass der Begriff seit den 1970ern eher

auf das Medium Fernsehen angewandt wird, dort speziell auch Talkshows und tägliche Seifen-

opern, dennoch liegen die Geburtsstunde des Phänomens der parasozialen Interaktion, mit der

des Radios eng zusammen.

Horton und Wohl erkannten, dass bei der parasozialen Beziehung die Illusion einer nicht-

medialen interpersonellen Beziehung vermittelt wird: Der Konsument des Mediums begibt sich

für kurze Zeit sozusagen in eine Welt, die Realität und Wirklichkeit verschmelzen lässt. Die

Akteure im Radio, ob Sprecher oder Künstler, wenden sich direkt an ihr Publikum und sprechen

es auch direkt an. Sei es durch tatsächlich direkte Ansprache oder durch Musiktexte, die Emoti-

onen und persönliche Erinnerungen frei geben. Das dadurch scheinbar in das Geschehen direkt

eingebundene Publikum reagiert im Gegenzug mit Beachtung und sogar Verherrlichung.59

59 vgl. Horton/Wohl, 1956, o.S.

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Bis heute lässt sich bei Radio- und TV-Moderatoren, Film- und Serienschauspielen, aber auch

bei Musikkünstlern dieser psychologisch ausschlaggebende Effekt feststellen.

Geht man nun in die Zeit des Zweiten Weltkrieges zurück, die Zeit, in der Soldaten vieler Nati-

onen in den Schützengräbern ausharrten und sekündlich dem Tod ins Auge blickten, Kälte, Hit-

ze und Hunger ertragen mussten und das tödliche Geräusch der unzähligen Mündungsfeuer

nicht aufhören wollte. Erkennen Sozialwissenschaftler heute, dass gerade wirtschaftlich und

politisch schlechte Zeiten zu einem Boom der trivialen Unterhaltung (Serien, Filme, anspruchs-

lose Formate und vor allem Volksmusik) führen, so ist es keine Schwierigkeit, die selben Effek-

te auf die damalige Zeit zu übertragen.

Ohne darauf bezogenes Motiv schafften Komponist, Textschreiber und nicht zuletzt Interpretin

von „Lili Marleen“ ein Musikstück, dass allen Ansprüchen einer parasozialen Interaktion zu

dieser Zeit gerecht wird:

Erst waren es die Soldaten, die in „Lili Marleen“ eine gedankliche Reise weg von der realen

feindlichen Welt fanden hin zu einem reinen Mädchen, das in der Phantasie hätte ihr Mädchen

sein sollen. Die direkte Ansprache im Text des Liedes (Beispiel: „Wie gern wollt ich mit dir

gehen“) verstärkt den psychologischen Effekt, in dieser Scheinwelt direkt mit der Frau der

Träume kommunizieren zu können.

Aber nicht nur die Kämpfer an der Front, sondern auch die Heimat fand in Lili Marleen nach

und nach eine Identifikationsfigur. Zahlreiche Erfahrungsberichte zeigen auf, dass sich auch

plötzlich kriegsverwitwete Frauen der Figur der Lili Marleen hingaben – lediglich mit dem um-

gekehrten Effekt: Während die einsamen, nach Liebe suchenden Soldaten in die parasoziale

Kommunikation mit Lili Marleen direkt traten, so sahen sich die trauernden Frauen der Heimat

in dem Mädchen wieder und traten somit in die parasoziale Kommunikation mit ihren vermiss-

ten oder gefallen Männern. Auch diese Möglichkeit lässt der Liedtext zu.

Letztendlich kann man aus drei bekannten Theorien der Medienpsychologie herleiten, warum

Lale Andersen und „Lili Marleen“ zu diesem Weltruhm gelangten. Denn alle drei Theorien

greifen gleichzeitig zu 100 Prozent.

Es lassen sich folgende Herleitungen bilden:

Die oben ausgeführten Theorien von Prof. Dr. Sabine Trepte und Prof. Erich Witte:

Angst, Armut, Elend und Unterdrückung belasteten die Bevölkerung enorm. Das Radio war im

Alltag der ständige Begleiter. Zwar war es Werkzeug für die Manipulation durch die National-

sozialisten, dennoch war es auch ein Unterhalter, der Emotionen schüren oder unterdrücken

konnte. Der dadurch resultierende Erfolg des Programms sowie die steigende Identifikation der

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Hörer mit den Protagonisten (Sprecher, Interpreten etc.) führte zwangsläufig dazu, dass auch

das Lied „Lili Marleen“, welches letztendlich ein fester Bestandteil des Programms war, ein Hit

wurde. Die unbeschwerte Melodie, welche überspitzt sogar mit der Melodie eines naiven Kin-

derliedes zu vergleichen ist – tat emotional ihr übriges. Durch die enorme Verbreitung und auf-

grund der politischen Unbefangenheit letztendlich zum Welthit.

Die oben ausgeführten Theorien von Burkart und Wilhelm, beziehungsweise auch Kleining:

Wie erwähnt sind persönliche Erfahrungen und Erlebnisse der Hörer ausschlaggebend für Er-

folg und Nichterfolg eines Medienproduktes, welches diesen Hörer optimal ansprechen soll.

Allgemein ist hier zu erkennen, dass gerade zur Zeit des Zweiten Weltkrieges nur wenige, aber

dafür sehr intensive Erfahrungswerte und Erlebnisse gemacht werden konnten. Zu oft waren es

Elend, Angst, direkter Kontakt mit Tod oder Verletzung sowie Verlust. Romantik und Unbe-

schwertheit taten sich höchstens als Kleinod in der wüsten auf. In diesem Zusammenhang ist es

eher obsolet einen Bezug zum Radio allgemein herzustellen. Denn aufgrund der Gleichschal-

tung durch das Regime, beziehungsweise die angeglichene Formatierung der Radioprogramme

ließ keinen großen Spielraum zum „Umschalten“. Doch geht man ins Detail, kann man inner-

halb des Tagesprogramms diese Theorien anwenden. Der Text von „Lili Marleen“ bietet allerlei

Möglichkeiten, Bilder aus Erlebtem im Kopf abzurufen oder zu formen.

„Vor der Kaserne vor dem großen Tor, stand eine Laterne...“ oder „schon rief der Posten sie

blasen Zapfenstreich, das kann drei Tage kosten...“. Eben solche Textformulierungen sowie die

naive Liebesgeschichte, schaffen zwangsläufig Bilder im Kopf, die sich aus dem bislang erleb-

ten problemlos individuell formen lassen. Noch heute gilt dieses Prinzip als äußerst „verkaufs-

fördernd“.

Man erkennt, dass jede einzelne der aufgeführten Theorien den Erfolg von „Lili Marleen“ dar-

legt. Die damalige Zeit schaffte allerdings den Effekt, dass die erwähnten sowie viele andere

medienpsychologische und psychologische Theorien und Erkenntnisse gleichzeitig Anwendung

finden. Krieg, Elend, und die rasche Verbreitung des Massenmediums Radio sorgten allerdings

Hand in Hand dafür, dass Lale Andersen zwangsläufig einen Welthit schaffen musste.

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4.3 „Lili Marleen“ heute - gerät der Mythos in Vergessenheit?

Nahezu siebzig Jahre sind nunmehr vergangen, seit Lale Andersen mit „Lili Marleen“ erstmals

via Hörfunk ausgestrahlt wurde. Siebzig Jahre - das sind viele Generationen mit unterschiedli-

chem Bezug sowohl zu den Geschehnissen des Zweiten Weltkrieges, zu „Lili Marleen“, als

auch zum Hörfunk allgemein.

Eine eigens durchgeführte empirische Umfrage mittels altersspezifischer Frageschemata soll

Erkenntnisse bringen.

Befragt wurden hierbei genau zweihundert Deutsche aller Generationen von Jahrgang 1924

(heute 85-jährige) bis Jahrgang 1993 (heute 16-jährige). Kriterien der Umfrage waren vor allem

eine Gleichgewichtung der beiden Geschlechter, der Altersklassen sowie – bei den jüngeren

Generationen – der heute vorherrschenden Schulformen.

Aus diesem Grunde wurden je nach Altersstufe der Befragten unterschiedliche Frage-Modi an-

gewandt. Befragt wurden die Teilnehmer nach dem jeweiligem Bezug auf den Zweiten Welt-

krieg , Verhältnis zu Radio allgemein und jeweiligem Bezug zu „Lili Marleen“.

Ein Überblick über die Befragten:

Insgesamt erklärten sich zweihundert Befragte bereit, an der Studie teilzunehmen. Um den

Rahmen der Bachelorarbeit nicht zu sprengen, wird nachfolgend ein kompakter, aber auf-

schlussreicher Blick über die Ergebnisse gegeben.

Befragte mit direktem Bezug zum Zweiten Weltkrieg und den folgenden fünf Nachkriegs-

jahren (Teilnehmer: 30 von 200) :

Jahrgänge von 1924 bis 1934

Hier wurde darauf geachtet, dass die Befragten einen direkten Bezug zum Kriegsgeschehen oder

den Nachkriegsjahren haben. Die Kriterien bezüglich des Geburtsjahres wurden hier speziell so

gesetzt, dass die Teilnehmer innerhalb des relevanten Zeitraumes von 1942 bis 1950, das Alter

von 16 nicht unterschritten.

Von den dreißig Befragten verbrachten zwölf Deutsche den Zweiten Weltkrieg zeitweise im

Fronteinsatz. Der Rest, größtenteils Frauen, in der Heimat, keiner davon erlitt größere Kriegs-

schäden wie Obdachlosigkeit oder Verletzung.

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Auf die Frage nach der Verweildauer am Radiogerät gaben 24 Befragte an, den Empfänger über

den gesamten Tag in Betrieb gehabt zu haben, 4 Teilnehmer konnten sich erinnern, lediglich zu

bestimmten Tageszeiten gehört zu haben, um bestimmte Sendungen zu verfolgen. 2 Befragte

verfügten bis 1945 keinen Radioempfänger, über die Nachkriegsjahre lag die Verweildauer bei

drei bis vier Stunden.

Auf die Frage „Kennen Sie das Lied Lili Marleen“ antworteten 100 Prozent der Teilnehmer

dieser Jahrgänge mit Ja.

Die Nachkriegsgenerationen (Teilnehmer: 60 von 200) :

Jahrgänge von 1924 bis 1944

Auch hier wird das durchschnittliche Mindestalter von 16 Jahren zur Grundlage gemacht. Die

Befragten haben demnach als Erwachsene oder Jugendliche die Zeit nach dem Zweiten Welt-

krieg erlebt.

Von den sechzig Teilnehmern gaben elf an, die Zeit des Wiederaufbaus Deutschlands mit Orts-

wechseln durch Berufswechsel eines Elternteils oder zerstörte Häuser/Wohnungen zu verbin-

den.

Der Rest verbrachte Kindheit und Nachkriegszeit im weniger zerstörten ländlichen Teil

Deutschlands.

Auf die Frage nach der Verweildauer am Radiogerät gaben 34 Befragte an, dass ein Radioemp-

fänger ständig im Elternhaus eingeschaltet war, 18 davon gaben an, bis 1960 sogar mindestens

zwei Radiogeräte besessen zu haben. 9 Teilnehmer hatten keinen Empfänger und 17 erinnern

sich daran, dass sie selbst/die Eltern nur zu bestimmten Tages- oder Sendezeiten hörten.

Auf die Frage „Kennen Sie das Lied Lili Marleen“ antworteten 51 Befragte (86 Prozent) mit Ja.

90 Prozent derer hörten das Lied bewusst, 10 Prozent durch Erzählungen oder Vorsingen der

Eltern.

Die folgenden Generationen (Teilnehmer: 85 von 200) :

Jahrgänge von 1949 bis 1985

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Diese relativ große Zeitspanne (vorausgesetzt wird wiederum das Erleben ab Mindestalter 16)

war geprägt von der Demokratisierung Deutschlands, dem Wirtschaftswunder sowie der Etab-

lierung der BRD als Wirtschaftsmacht innerhalb der NATO. Hier kann die Zeitspanne ausge-

weitet werden, da sich das Gesellschaftsleben von nun an stabilisiert. Hier werden auch die Zah-

len von Bürgern der damaligen DDR gesondert erfasst. 32 Befragte stammen aus der ehemali-

gen Deutschen Demokratischen Republik. Zunächst ausgehend von 53 Westdeutschen:

Alle 53 befragten Westdeutsche hatten seit der relevanten Zeitspanne mindestens zwei Radio-

empfänger – eines davon im Auto.

Auf die Frage der Verweildauer gaben 47 Personen an, jetzt und in den letzten Jahrzehnten nur

zu bestimmten Zeiten, meist im Auto Radio zu hören. Alle weiteren haben das Gerät zusätzlich

am Arbeitsplatz oder bei bestimmten Tätigkeiten in der Freizeit eingeschaltet. Keiner der Be-

fragten gab mehr an, den Radioempfänger bewusst den ganzen Tag über eingeschaltet zu las-

sen.

Von den 32 Befragten aus der ehemaligen DDR gaben 26 an, das Radio noch bis zum Mauerfall

den ganzen Tag über verfolgt zu haben, sich dann aber den gesamtdeutschen Verhältnissen an-

gepasst zu haben. Der Rest hatte zwar einen Empfänger, nutze diesen aber nur zeitweise.

Auf die Frage „Kennen Sie das Lied Lili Marleen“ antworteten 32 der Befragten aus West-

deutschland (61 Prozent) mit Ja. 73 Prozent davon vorzüglich aus der Schule, 27 Prozent von

Erzählungen. Hier ist allerdings festzustellen, dass das Lied bei den jüngeren Generationen ab

Jahrgang 1975 immer unbekannter geworden ist.

Von den 32 Befragten der ehemaligen DDR gaben 23 (71 Prozent) an „Lili Marleen“ zu ken-

nen, vorwiegend aus Erzählungen der Großeltern.

Die heranwachsende Generation (Teilnehmer: 25 von 200) :

Jahrgänge von 1985 bis 1993

Selbst die Teilung Deutschlands ist für die neuen Generationen weit weg, Erst Recht der Zweite

Weltkrieg. Moderne Kommunikationstechnik und neue Medien, allen voran Internet prägen das

Leben.

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Von den 25 Befragten gaben gerade einmal 12 an, das Radio als Medium zu nutzen, wenn auch

mit kurzer Verweildauer von maximal 20 Minuten. Die restlichen 13 Befragten nutzen selbst im

Auto eher Musik-CDs. Die Informationsbeschaffung erfolgt via Internet. Radio im traditionel-

len Sinne erfährt nur noch geringen Stellenwert. Dennoch geben 9 der 13 Befragten an, Radio

passiv wegen der Eltern oder auch aktiv als Internetradio zu verfolgen.

Auf die Frage „Kennen Sie das Lied Lili Marleen“ antworteten 5 Befragte (20 Prozent) mit Ja.

Alle fünf Teilnehmer kennen das Lied aus der Schule. 3 Befragte sind/waren Gymnasiasten, 2

Realschüler.

Aus dieser Umfrage lässt sich schließen, dass der Zahn der Zeit auch vor dem ehemaligen Wel-

thit „Lili Marleen“ nicht zurück schreckt. Nur selten können die jüngeren Generationen etwas

mit dem Lied anfangen.

Immerhin kennen dennoch 141 von 200 Teilnehmern das fast 70 Jahre alte Lied, was den gro-

ßen Erfolg des Schlagers widerspiegelt.

Parallel dazu muss sich auch das klassische Medium Radio mit neuen, modernen Technologien

der Kommunikation das Feld immer mehr teilen.

Auch diese Aspekte und Erkenntnisse machen einmal mehr deutlich, wie schlagkräftig die

Symbiose aus dem Massenmedium Radio und „Lili Marleen“ zur damaligen Zeit gewesen ist.

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5.0 Fazit

„Lili Marleen“ wird noch lange Zeit in den Köpfen der Menschen bleiben. Vor allem in

Deutschland leben noch immer viele Generationen, die durch eigene Erlebnisse oder auch El-

tern einen Bezug zu dem damaligen Welthit herstellen können. Diese Arbeit hat gezeigt, dass

selbst Teile der jungen Generation etwas mit dem Begriff „Lili Marleen“ anfangen können.

Das kommt nicht von ungefähr:

Obwohl das Radio selbst noch in den Kinderschuhen stecke, hatte es als Massenmedium die

eindeutige Monopolstellung und faszinierte die Menschen. Ein Effekt, der sich mittels moderner

medienwissenschaftlicher Theorien erklären lässt. Effekte, die es unweigerlich schaffen, dass

Hörer die Inhalte teils ohne Vorbehalt internalisieren.

Schon die Nationalsozialisten wussten um die Macht des Mediums und nutzen es dazu, die ei-

gene Ideologie in der Masse des Volkes zu verbreiten. Im vom NS-Regime entzündeten Zwei-

ten Weltkrieg entwickelte sich das Massenmedium in zwei Richtungen. Es war wichtigste Quel-

le für schnelle Information, schnelle Transferplattform für Information und vor allem auch Un-

terhalter für ein gebeuteltes Volk.

Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges arbeitete sich eine Künstlerin nach oben.

Anfangs als Schauspielerin tätig, nahm Lale Andersen ein Lied aus der Feder von Norbert

Schultze auf. Es sollte ein Ladenhüter werden – vorerst. Doch erst das Radio, genauer gesagt

der Soldatensender Radio Belgrad, hat dafür gesorgt, dass nicht nur das Lied auch nach dem

Krieg noch zum Welthit wurde. Die Kombination aus diesem Lied mitsamt des einfühlsamen

Textes und der kindlich unbeschwerten Melodie sowie die unglaublich technische Errungen-

schaft Radio schafften gerade an der Front und im kriegsmüden Deutschen Reich mehr als einen

Hoffnungsschimmer in einer dunklen Zeit.

Diese Bachelorarbeit hat dargelegt, dass viele Faktoren, allen voran die Gegebenheiten der da-

maligen Zeit, die Entwicklung des Mediums Radio und auch viele Zufälle dafür sorgten, dass

„Lili Marleen“ zu dem Kulturgut wurde, was es ist: Ein Stück Deutsche Kulturgeschichte für

sich, das bis heute erhalten wird.

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6.0 Literaturverzeichnis

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7.0 Erklärung zur selbstständigen Anfertigung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit ohne fremde Hilfe selbstständig und nur

unter Verwendung der angegebenen Literatur und Hilfsmittel angefertigt habe. Alle Teile, die

wörtlich oder sinngemäß einer Veröffentlichung entstammen, sind als solche kenntlich gemacht.

Die Arbeit wurde noch nicht veröffentlicht oder einer anderen Prüfungsbehörde vorgelegt.

Palma de Mallorca, den 26.08.2009