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„…dann werde ich selbst mutiger“ Fachkräfte berichten über ihre Erfahrungen mit sozialer Gruppenarbeit Die pädagogische Weiterentwicklung sozialer Gruppenarbeit benötigt die Erfahrungen der pädagogisch Handelnden, um eine alltags- praktisch-narrative Wissensebene einbeziehen zu können. Deren Einsichten und Erkenntnisse wirken letztlich zurück auf Konzeptent- wicklung und Ausbildungsstandards. Daher soll dieser Beitrag – auf der Basis eines Gruppeninterviews – „Freud und Leid“ sozialer Gruppenarbeit aus der Perspektive der pädagogisch handelnden Personen reflektieren. Wir beginnen das Gespräch mit der Frage nach dem konkreten Setting des eigenen gruppenpä- dagogischen Angebots. Bereits im Anschluss an diese Eingangsfrage wird deutlich, dass soziale Gruppenarbeit unter sehr verschiedenen insti- tutionellen Vorzeichen stattfindet – etwa bezo- gen auf die personellen Ressourcen: „Wir stehen meistens allein in der Gruppe“, erklärt die Mehr- heit der Teilnehmenden. Einig sind sich gleich- wohl alle: Gruppenarbeit sollte nach Möglichkeit zu zweit stattfinden, „nur so kann ich gleichzeitig handeln und beobachten. Nur so werden ‚Schat- tenthemen’, Knackpunkte und Stimmungsum- schwünge sichtbar“. Eine andere Fachkraft ergänzt, dass mit nur ei- ner Gruppenleitung „einzelne Jugendliche leicht aus dem Blick geraten. Die werden nicht mehr ge- sehen. Als wir mal zu zweit waren, konnte ich die Kinder besser beobachten; das entgeht mir sonst, weil ich ja immer direkt im Prozessgesche- hen bin.“ Diese Erfahrung wird ergänzt durch ei- nen Mitarbeiter aus dem sozialen Trainingskurs: „Wenn ich mit einem Teilnehmer in die Konfron- tation gehen muss, dann sehe ich den Rest der Gruppe manchmal gar nicht“. Das ‚Einzelkämpfertum’ hingegen führe mitunter auch dazu, dass einige Gruppenaktivitäten gar nicht durchgeführt wer- den könnten. Eine Mitarbeiterin gibt aber auch zu bedenken: „Wenn die Gruppe gut läuft, arbeite ich auch gerne alleine.“ Die Gruppe als Unterstützungs-, Übungs- und Schonraum Wir wollen daraufhin wissen, inwieweit die Kinder und Jugend- lichen von den Gruppenzusammenhängen profitieren, warum sich die Mühe also lohnt. „Die Kids freuen sich eigentlich immer, wenn sie sehen: ich kann was. Dabei sind Rückmeldung und Unterstüt- zung der Gruppe besonders wichtig.“ Dies se- hen die anderen Fachkräfte ähnlich, indem sie die positiven Effekte der Gruppenarbeit eben- falls in der Gruppe als Unterstützungs-, Übungs- und Schonraum erkennen. Eine Mitarbeiterin merkt an, dass diese Bedeutung vor allem in der Jugendhilfe wichtig sei: Denn egal ob Vorklas- se, Trainingskurs oder Heim, „unsere Jugendli- chen haben oft die Erfahrung gemacht, dass ir- gendetwas bei ihnen nicht gut ist“. Eine andere Gesprächsteilnehmerin sieht dies ähnlich: „Wir sprechen viel über die Erfahrung von Freund- schaft, weil viele Kids außerhalb unserer Ein- richtung ausgeschlossen und beleidigt werden.“ Indem über solche Themen gesprochen wird, „sehen die Kinder, dass es anderen auch so geht – Solidarität ist manchmal schon sehr wichtig“. Eine Teilnehmerin berichtet in diesem Zusammenhang über fünf Kinder, die zu Weihnachten nicht zu ihren Eltern fahren können, und die sich „in der Gruppe gegenseitig stützen.“ Eine andere Teil- nehmerin pflichtet bei: „In der Gruppe herrscht eben auch manch- mal Offenheit für den Mut zu sagen: das geht mir auch so. Und dann zeigt jemand in der Gruppe was von sich, was ich mich jetzt gar nicht traue und dann werde ich selbst mutiger.“ Stärkung von Selbstbewusstsein und Verantwortung des Einzelnen Das Gespräch verbleibt noch eine Weile bei den positiven Effek- ten sozialer Gruppenarbeit, bezieht sich nun aber weniger auf die Solidarität in der Gruppe als vielmehr auf die Aspekte von Selbst- bewusstsein und Verantwortung der Einzelnen. Selbstbewusst- sein in Gruppen wird zum Beispiel dadurch gestärkt, dass Einzel- ne Verantwortung für andere übernehmen: „Ein Kind, das sich Abstract / Das Wichtigste in Kürze Der Beitrag fasst ein Interview mit Fachkräften zusammen, die über ihre Erfahrungen mit sozialer Gruppenarbeit berichten. Dabei werden „Freud und Leid“ der pädagogischen Arbeit mit Gruppen aus alltagspraktisch-narrativer Perspektive sichtbar, was wiederum Rückschlüsse auf die Entwicklung pädagogischer Konzeptionen sozialer Gruppenarbeit zulässt. Keywords / Stichworte Soziale Gruppenarbeit, Theorie-Praxis-Verhältnis, Nähe und Distanz in sozialer Gruppenarbeit Michael Behnisch *1972 Dr., Professor für Me- thoden und Konzep- te Sozialer Arbeit an der Fachhochschu- le Frankfurt am Main. behnisch@fb4. fh-frankfurt.de Walter Lotz *1949 Dr., war nach mehrjäh- riger Tätigkeit im päd- agogischen Berufsfeld von 1981 bis 2012 Pro- fessor für Pädagogik an der FH Frankfurt/Main Gudrun Maierhof *1962 Sozialarbeiterin/-päda- gogin, Dr. phil., seit 2008 Professorin für Metho- denkompetenz und Ge- schichte der Sozialen Ar- beit an der FH Frankfurt am Main, Fachbereich So- ziale Arbeit und Gesund- heit. Derzeit Ausbildung zur Gruppenanalytikerin am Seminar für Gruppen- analyse Zürich (SGAZ). maierhof@fb4. fh-frankfurt.de 50 Sozial Extra 1 2014: 50-52 DOI 10.1007/s12054-014-0011-3 Durchblick Soziale Gruppenarbeit

„...dann werde ich selbst mutiger“

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„…dann werde ich selbst mutiger“Fachkräfte berichten über ihre Erfahrungen mit sozialer Gruppenarbeit

Die pädagogische Weiterentwicklung sozialer Gruppenarbeit benötigt die Erfahrungen der pädagogisch Handelnden, um eine alltags-praktisch-narrative Wissensebene einbeziehen zu können. Deren Einsichten und Erkenntnisse wirken letztlich zurück auf Konzeptent-wicklung und Ausbildungsstandards. Daher soll dieser Beitrag – auf der Basis eines Gruppeninterviews – „Freud und Leid“ sozialer Gruppenarbeit aus der Perspektive der pädagogisch handelnden Personen re�ektieren.

Wir beginnen das Gespräch mit der Frage nach dem konkreten Setting des eigenen gruppenpä-dagogischen Angebots. Bereits im Anschluss an diese Eingangsfrage wird deutlich, dass soziale Gruppenarbeit unter sehr verschiedenen insti-tutionellen Vorzeichen statt�ndet – etwa bezo-gen auf die personellen Ressourcen: „Wir stehen meistens allein in der Gruppe“, erklärt die Mehr-heit der Teilnehmenden. Einig sind sich gleich-wohl alle: Gruppenarbeit sollte nach Möglichkeit zu zweit statt�nden, „nur so kann ich gleichzeitig handeln und beobachten. Nur so werden ‚Schat-tenthemen’, Knackpunkte und Stimmungsum-schwünge sichtbar“.

Eine andere Fachkraft ergänzt, dass mit nur ei-ner Gruppenleitung „einzelne Jugendliche leicht aus dem Blick geraten. Die werden nicht mehr ge-sehen. Als wir mal zu zweit waren, konnte ich die Kinder besser beobachten; das entgeht mir sonst, weil ich ja immer direkt im Prozessgesche-hen bin.“ Diese Erfahrung wird ergänzt durch ei-nen Mitarbeiter aus dem sozialen Trainingskurs: „Wenn ich mit einem Teilnehmer in die Konfron-

tation gehen muss, dann sehe ich den Rest der Gruppe manchmal gar nicht“. Das ‚Einzelkämpfertum’ hingegen führe mitunter auch dazu, dass einige Gruppenaktivitäten gar nicht durchgeführt wer-den könnten. Eine Mitarbeiterin gibt aber auch zu bedenken: „Wenn die Gruppe gut läuft, arbeite ich auch gerne alleine.“Die Gruppe als Unterstützungs-, Übungs- und SchonraumWir wollen daraufhin wissen, inwieweit die Kinder und Jugend-

lichen von den Gruppenzusammenhängen pro�tieren, warum sich die Mühe also lohnt. „Die Kids freuen sich eigentlich immer, wenn sie sehen: ich kann was. Dabei sind Rückmeldung und Unterstüt-

zung der Gruppe besonders wichtig.“ Dies se-hen die anderen Fachkräfte ähnlich, indem sie die positiven E�ekte der Gruppenarbeit eben-falls in der Gruppe als Unterstützungs-, Übungs- und Schonraum erkennen. Eine Mitarbeiterin merkt an, dass diese Bedeutung vor allem in der Jugendhilfe wichtig sei: Denn egal ob Vorklas-se, Trainingskurs oder Heim, „unsere Jugendli-chen haben oft die Erfahrung gemacht, dass ir-gendetwas bei ihnen nicht gut ist“. Eine andere Gesprächsteilnehmerin sieht dies ähnlich: „Wir sprechen viel über die Erfahrung von Freund-schaft, weil viele Kids außerhalb unserer Ein-richtung ausgeschlossen und beleidigt werden.“ Indem über solche Themen gesprochen wird, „sehen die Kinder, dass es anderen auch so geht – Solidarität ist manchmal schon sehr wichtig“. Eine Teilnehmerin berichtet in diesem Zusammenhang über fünf Kinder, die zu Weihnachten nicht zu ihren Eltern fahren können, und die sich „in der Gruppe gegenseitig stützen.“ Eine andere Teil-nehmerin p�ichtet bei: „In der Gruppe herrscht eben auch manch-mal O�enheit für den Mut zu sagen: das geht mir auch so. Und dann zeigt jemand in der Gruppe was von sich, was ich mich jetzt gar nicht traue und dann werde ich selbst mutiger.“

Stärkung von Selbstbewusstsein und Verantwortung des EinzelnenDas Gespräch verbleibt noch eine Weile bei den positiven E�ek-

ten sozialer Gruppenarbeit, bezieht sich nun aber weniger auf die Solidarität in der Gruppe als vielmehr auf die Aspekte von Selbst-bewusstsein und Verantwortung der Einzelnen. Selbstbewusst-sein in Gruppen wird zum Beispiel dadurch gestärkt, dass Einzel-ne Verantwortung für andere übernehmen: „Ein Kind, das sich

Abstract / Das Wichtigste in Kürze Der Beitrag fasst ein Interview mit Fachkräften zusammen, die über ihre Erfahrungen mit sozialer Gruppenarbeit berichten. Dabei werden „Freud und Leid“ der pädagogischen Arbeit mit Gruppen aus alltagspraktisch-narrativer Perspektive sichtbar, was wiederum Rückschlüsse auf die Entwicklung pädagogischer Konzeptionen sozialer Gruppenarbeit zulässt.

Keywords / Stichworte Soziale Gruppenarbeit, Theorie-Praxis-Verhältnis, Nähe und Distanz in sozialer Gruppenarbeit

Michael Behnisch *1972

Dr., Professor für Me-thoden und Konzep-te Sozialer Arbeit an der Fachhochschu-le Frankfurt am Main.

[email protected]

Walter Lotz *1949

Dr., war nach mehrjäh-riger Tätigkeit im päd-agogischen Berufsfeld von 1981 bis 2012 Pro-fessor für Pädagogik an der FH Frankfurt/Main

Gudrun Maierhof *1962

Sozialarbeiterin/-päda-gogin, Dr. phil., seit 2008 Professorin für Metho-denkompetenz und Ge-schichte der Sozialen Ar-beit an der FH Frankfurt am Main, Fachbereich So-ziale Arbeit und Gesund-heit. Derzeit Ausbildung zur Gruppenanalytikerin am Seminar für Gruppen-analyse Zürich (SGAZ).

[email protected]

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einsam fühlt, kann eine Aufgabe bekommen und erlebt dadurch Wertschätzung, weil es etwas Schönes für die Gruppe macht.“ Mehrere Fachkräfte weisen ergänzend darauf hin, dass ältere Ju-gendliche den Jüngeren etwas erklären oder beibringen können, was Zusammenhalt und Verantwortungsgefühl stärkt. „Und oft“, so eine weitere Erfahrung, „ist das viel e�ektiver, denn Jugendli-che haben ihre eigene Sprache, die können das besser erklären als ich.“ Eine ähnliche Erfahrung gibt es auch in der Heimerziehung: „Ältere sind manchmal wie die große Schwester, wir Betreuer hingegen haben das selber nicht erlebt, so wie die Kinder ihre Si-tuation erleben.“ Dadurch entstehe auch schnell ein Wir-Gefühl und die Überzeugung: „Wir scha�en das gemeinsam.“

Eingeschliffene VerhaltensweisenDie E�ekte von Unterstützung und Selbstbewusstsein sind uns

als Interviewer natürlich aus der Forschung, aber auch aus eige-ner Praxis bekannt. Zugleich fragen wir uns, wie die Fachkräf-te mit ‚der anderen Seite’ in Gruppen umgehen, also mit Kon-kurrenz, Di�erenz und ‚typischen’ Rollenzuweisungen. Dabei erfahren wir, dass vor allem die unterschiedlichen Stärken und Schwächen problematisch sein können, „das kann zu Spannun-gen führen.“ Da einige „Jugendliche gelernt haben, andere zu ma-nipulieren und zu beherrschen, andere wiederum gelernt haben, sich unterzuordnen“, reproduzieren sich Kon�ikte und Spannun-gen: „Die einen machen den Macker, die anderen drohen ausge-lacht zu werden. Da werden ganz schnell die gewohnten Hack-ordnungen aufgebaut.“ Dies gilt auch, ergänzen einige Fachkräf-te, im Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen, verbunden mit den ‚typischen’ Geschlechterstereotypen.

Genaue Beobachtung ist wichtigBei der anschließenden Frage nach einem pädagogisch guten

Umgang mit solchen Gruppenspannungen erhalten wir einige interessante Antworten. Zunächst einmal sei es wichtig, die

Gruppe genau zu beobachten, auch deshalb sei Teamarbeit in der Gruppe hilfreich: „Welcher Jugendliche sitzt wo, wer geht als Letzter durch die Tür, wer provoziert wen?“ Dann gehe es darum, „die Gefühle in der Gruppe an die Ober�äche zu brin-gen“, so ein Gesprächsteilnehmer. „Dazu muss man auch mal konfrontativ vorgehen: ‚Du machst hier den Macker – wie �n-den das eigentlich die anderen?’“ Wenn dann noch klare Grup-penregeln gesetzt seien, „kann man starke Kinder auch mal schwach und schwache Kinder auch mal stark erleben“, so ei-ne Gruppenpädagogin. Denn dieser Bezug auf gemeinsame Re-geln, da sind sich die Fachkräfte einig, sei für alle Gruppen ent-scheidend: „Es muss immer das Thema sein, wie gehe ich mit anderen um, nämlich wertschätzend, nicht diskriminierend. Das ist doch die Basis für alles, wenn ich als Jugendlicher das

Rahmenbedingungen

Das rund zweistündige Gruppeninterview wurde im Dezem-ber 2013 geführt und von den Autoren und der Autorin dieses Beitrags moderiert und zusammengefasst. An dem Interview haben folgende Fachkräfte teilgenommen: •Maik Wiese (Soziale Trainingskurse; Zentrum für Gewalt-

freies Leben, Wetteraukreis)•Gabi Dersch-Zunke (Vorklasse der Brüder-Grimm-Schu-

le, Hanau)•Susanne Leiner (Vorklasse der Grundschule am Weinberg,

Langenselbold)•Matthias Gaschot (Soziale Trainingskurse; Aktionsgemein-

schaft Sozialarbeit, Dietzenbach)•Denise Scholz (Heimerziehung; Wohngruppe eines großen

Jugendhilfeträgers im Rhein-Main-Gebiet)Wir danken den GesprächsteilnehmerInnen für ihr Engagement.

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Benjamin Benz, Günter Rieger

Politikwissenschaft für die Soziale ArbeitEine Einführung

2013, 200S. 10 Abb. Br. € (D) 19,95 | € (A) 20,51 | *sFr 25,00 ISBN 978-3-531-17449-5

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in der Gruppe scha�e: Menschen aus verschiedenen Perspek-tiven zu sehen. Wertschätzung ist der Schlüssel zur Gruppen-fähigkeit.“ Gleichzeitig aber müssten Heranwachsende durch Gruppen auch lernen, eigene Interessen einzubringen, „und auch mal zu reklamieren.“

GruppendynamikDiese eher methodischen Hinweise lassen uns die Frage aufwer-

fen, welche Rolle eigentlich die pädagogische Leitung in ihrem Erleben aus Nähe und Distanz der Gruppe gegenüber einnimmt. Wir vermuten, dass pädagogische Interventionen in Gruppen di-stanzierter als in der Einzelfallhilfe sein müssen, sich also eher am sozialen Prozess orientiert. Wir erfahren, dass der Beziehungsauf-bau von Kindern und Jugendlichen zur Gruppenleitung zu Beginn oft taktisch geprägt sind, vorsichtig, manchmal abgrenzend oder unterordnend. Erst im Laufe der Gruppenarbeit spiele die päda-gogische Beziehung eine immer größere Rolle: „Wenn sich Kinder und Jugendliche bewegen sollen, auch mal einen Ratschlag anneh-men sollen, dann ist das Vertrauen in die Gruppenleitung schon sehr wichtig.“ Wenn die Gruppe zusammengewachsen sei, „dann kann auch ich viel Nähe zulassen.“ Eine andere Mitarbeiterin er-gänzt, dass Verlässlichkeit aber ebenso entscheidend sei und weist auf die Bedeutung der eigenen Haltung hin: „Wir haben schon ei-nen großen Ein�uss – wenn ich mal schlechte Laune in die Grup-pe übertrage, dann geht oft nichts mehr. Da muss ich dann schon auf mich schauen“. Eine andere Mitarbeiterin merkt an, dass sie sich schon manchmal wünsche, mehr Zeit mit einzelnen Kindern verbringen zu können, um Bindung zu stärken – „manche Kinder bräuchten das schon, mehr Zeit dafür wäre gut.“

Wenn die Gruppe diesen Kick bekommt…Die Interviewer merken nun an, dass bisher viel über die Be-

dürfnisse der Kinder und Jugendlichen gesprochen wurde be-ziehungsweise über die notwendigen Kompetenzen der Grup-penleitung. Uns interessiert daher die nur scheinbar schlichte Frage, was an Gruppenarbeit eigentlich Spaß macht. Vier As-pekte scheinen dabei wesentlich zu sein. Zunächst einmal die Rückmeldung der Kinder, „die sich immer auf die Gruppenaben-de freuen.“ Eine andere Mitarbeiterin drückt dies so aus: „Das Verlangen der Kinder danach, das motiviert mich.“ Eine zweite große Motivation entstehe dann, „wenn die Gruppe Drive und Kick bekommt, wenn wir uns gegenseitig motivieren. Und wenn sich die Gruppe dann noch bestätigt, dass wir das toll zusam-men gemacht haben.“ Eine andere Fachkraft bringt einen dritten Aspekt ins Spiel: „Es ist gut, dass ich in der Leitung selbst ent-scheiden darf und ich frei bin bei der Gestaltung der Gruppe.“ Diese Gestaltungsfreiheit trage auch zur Bedeutung der sozia-len Gruppenarbeit bei, wie eine Mitarbeiterin im Hinblick auf ihr Arbeitsfeld anmerkt: „Ich trage doch zur Schulfähigkeit eines Vorschulkindes bei, wenn ich dessen Gruppenfähigkeit fördere. Und dabei habe ich viele Gestaltungsmöglichkeiten.“ Die Grup-penarbeit biete zudem, dies als vierter Aspekt, eine Vielzahl von

Handlungsmöglichkeiten: „Gerade bei schweren Themen ist in der Gruppenarbeit eine andere Bearbeitungsdynamik möglich. Denn Probleme und Gefühle können geteilt werden, das macht das Arbeiten �otter, und jeder kann mal seine inneren Themen auf andere Teilnehmer ablegen. Auch Humor ist eher möglich – das erleichtert die Gruppe sehr.“ Eine andere Gesprächspart-nerin merkt dazu an: „Diese verschiedenen Perspektiven in der Gruppe sind auch für mich hilfreich, man kann so ‚um die Ecke gucken’. Dann werde ich selbst mutiger.“

…oder die Sache anstrengend wirdWir schließen die Gesprächsrunde mit der Frage danach, was

als besonders anstrengend in Gruppen erlebt wird. Dabei schließt sich der Kreis zum Gesprächsbeginn, denn – für die Interview-enden etwas überraschend – werden zunächst vor allem institu-tionelle und �nanzielle Einschränkungen genannt: „Es wird im-mer nur gefragt, wie viel Geld ich minimal brauche, damit ich es irgendwie scha�en kann. Ich würde mir wünschen, jemand fragt mal, was ich maximal brauche, um richtig gut arbeiten zu können. Dann könnten wir davon ja ruhig einige Abstriche ma-chen…“ Aus anderen Arbeitsfeldern wird über die stark begrenz-te Zeit berichtet sowie über den Ein�uss vieler anderer Instanzen. Eine große Herausforderung sehen die DiskussionsteilnehmerIn-nen und auch in der Problematik einzelner Gruppenmitglieder: „Wenn Einzelne eine entstandene, gute Dynamik in der Grup-pe zerreißen, durch ihr Verhalten oder auch nur durch einen blö-den Kommentar alles zurückwerfen, dann ist das für mich schwer auszuhalten.“ Hierarchien und Bedürftigkeiten, ergänzt eine an-dere Fachkraft, könnten vieles blockieren, „dann verliere ich als Leitung den Zugri�.“ Manche Jugendlichen seien so in sich ein-geschlossen, dass „ich in der Gruppe gar nicht an sie rankomme.“ Neben den institutionellen Beschränkungen sind es also vor allem die Spannungen zwischen individueller Bedürftigkeit (Individua-lität) und Gruppenfortschritt (Interaktionsdynamik), welche als anstrengend erlebt werden.Die Aussagen der Fachkräfte zeigen, dass ein pädagogisches Ver-

ständnis von sozialer Gruppenarbeit nicht eindimensional gedacht werden kann: Es geht stets um das Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen des Einzelnen und den solidarischen E�ekten der Gruppen (-arbeit). Die Fachkräfte beziehen sich zudem immer wieder auf konkrete Lerninhalte, betonen aber zugleich die Bezie-hungsdynamik, in die sie selber eingebunden sind. Dies verlangt eine wertgebundene, ethisch fundierte Gruppenarbeit, um die eigene Haltung zu re�ektieren; gerade angesichts institutioneller und ‚äußerer’ Zwänge, welche Gruppenarbeit immer wieder vor Herausforderungen stellen. Die besonderen E�ekte von Gruppen nutzen, den Einzelnen dabei nicht aus dem Blick verlieren, das ge-meinsame Lernen ermöglichen, gleichzeitig aber die eigene ‚ver-strickte’ Haltung re�ektieren, ohne die Freude an Gruppen (-ar-beit) zu verlieren, schließlich mit äußeren Bedingungen umgehen können: Soziale Gruppenarbeit stellt einen anspruchsvollen, aber pädagogisch lohnenden Zugang dar. s

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Durchblick Soziale Gruppenarbeit