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Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht Ein Haftungsmodell basierend auf der Solidarität, der Anspruchskonkurrenz und der Kausalität Dissertation der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Rechtswissenschaft vorgelegt von Maurin Schmidt aus Niederlenz (Aargau) Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Ivo Schwander und Prof. Dr. Vito Roberto Dissertation Nr. 4043 Dike Verlag Zürich/St. Gallen 2012

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Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht

Ein Haftungsmodell basierend auf der Solidarität, der Anspruchskonkurrenz und der Kausalität

Dissertationder Universität St. Gallen,

Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften

sowie Internationale Beziehungen (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Rechtswissenschaft

vorgelegt von

Maurin Schmidtaus

Niederlenz (Aargau)

Genehmigt auf Antrag der Herren

Prof. Dr. Ivo Schwander

und

Prof. Dr. Vito Roberto

Dissertation Nr. 4043

Dike Verlag Zürich/St. Gallen 2012

Pflicht_Innentitel_Schmidt.indd 1 30.07.12 09:11

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Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Internationale Beziehungen (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen.

St. Gallen, den 21. Mai 2012

Der Rektor: Prof. Dr. Thomas Bieger

Die gleiche Arbeit ist erschienen als Band 23 der Schriftenreihe «St. Galler Schriften zur Rechtswissenschaft», herausgegeben von der Juristischen Abteilung der Universität St. GallenISBN 978-3-03751-466-5

Pflicht_Innentitel_Schmidt.indd 2 30.07.12 09:11

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V

Meinen Eltern

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VI

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VII

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Frühling 2012 von der rechtswissenschaftli-

chen Fakultät der Universität St. Gallen als Dissertation angenommen. Bei

der Entstehung der Arbeit wurde ich von verschiedenen Personen unterstützt,

welchen an dieser Stelle gedankt sei.

Bedanken möchte ich mich an erster Stelle bei meinem Doktorvater Herrn

Prof. Dr. Dr.h.c. IVO SCHWANDER für die hervorragende fachliche und per-

sönliche Betreuung. Stets hat er die Arbeit mit seinen zahlreichen Anregun-

gen gefördert, seine Tür war immer offen für ein Gespräch, er hat mir aber

auch grosse Freiheit bei der Ausarbeitung des Manuskripts gelassen. Herzli-

chen Dank!

Genauso bedanken möchte ich mich bei Herrn Prof. Dr. VITO ROBERTO für

die Übernahme des Korreferats, für das Interesse an der Arbeit und seine

zahlreichen und wertvollen Hinweise aus Theorie und Praxis.

Desweiteren bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Dr.h.c. RENÉ SCHAFFHAU-

SER und beim Kreisgericht St. Gallen für die lehrreiche und angenehme Assi-

stenz- bzw. Auditoriatszeit und die mir beim Verfassen der Dissertation ge-

währten Freiräume. Auch danke ich Herrn BÉNON EUGSTER vom Dike Verlag

für die umsichtige Betreuung der Drucklegung der Dissertation und Herrn

ALEXANDER EICHHORN, M.A. HSG für die kritische Lektüre und Korrektur

des Manuskripts.

Ganz besonders danke ich meinen Eltern, REGINA und DIETER SCHMIDT-

WALSER, welche mich immer und in jeglicher Hinsicht unterstützt und mir

ein sorgenfreies Studium ermöglicht haben. Ihnen sei diese Arbeit in Liebe

und Dankbarkeit gewidmet.

St. Gallen, im Juli 2012 MAURIN SCHMIDT

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VIII

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Inhaltsübersicht

IX

Inhaltsübersicht

Inhaltsverzeichnis ........................................................................................... XI

Zusammenfassung ..................................................................................... XXV

Résumé ..................................................................................................... XXVI

Literaturverzeichnis ................................................................................ XXVII

Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ XXXVII

Einleitende Bemerkungen .............................................................................. 1

§ 1 Problemstellung und Ziele der Arbeit ...................................................... 1

Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger .... 5

§ 2 Mehrheit von Schuldnern: Arten und Terminologie ................................ 5

§ 3 Die solidarische Haftung ........................................................................ 10

§ 4 Das Aussenverhältnis der solidarischen Haftung gemäss

Art. 144–147 OR .................................................................................... 16

§ 5 Anspruchskonkurrenz und Solidarität .................................................... 22

§ 6 Differenzierte Solidarität als weitere Form der Solidarität .................... 28

§ 7 Revision des Haftpflichtrechts ............................................................... 29

Teil 2: Das Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im

schweizerischen Haftpflichtrecht .................................................... 30

§ 8 Überblick ................................................................................................ 30

§ 9 Echte und unechte Solidarität (Anspruchskonkurrenz) in Art. 50

und Art. 51 OR gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung ........ 31

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Inhaltsübersicht

X

§ 10 Kritische Analyse der Unterscheidung zwischen echter Solidarität

und Anspruchskonkurrenz ..................................................................... 45

Teil 3: Ein Haftungsmodell basierend auf Solidarität,

Anspruchskonkurrenz (unechte Solidarität) und der

Kausalität als massgebendes Unterscheidungskriterium ............ 64

§ 11 Überblick ................................................................................................ 64

§ 12 Grundlagen ............................................................................................. 67

§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen ...................... 87

§ 14 Teilursachenkonkurrenzen gesetzt durch den unabhängigen

Dritten, den Geschädigten sowie den Zufall und ihr Einfluss auf

die Haftung eines Schädigers (Schadenersatzbemessung) .................. 105

§ 15 Die Zurechnung schädigender Handlungen:

Teilschadensverursachung; einheitliche Rechtsgutverletzung;

einheitlicher Schaden ........................................................................... 168

§ 16 Alternative/unklare kausale Gesamt- und Teilursachen respektive

der Kausalzweifel sowie die gemischte Kausalität .............................. 198

Schlussbetrachtung und Ergebnisse ......................................................... 240

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Inhaltsverzeichnis

XI

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung ..................................................................................... XXV

Résumé ..................................................................................................... XXVI

Literaturverzeichnis ................................................................................ XXVII

Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ XXXVII

Einleitende Bemerkungen .............................................................. 1

§ 1 Problemstellung und Ziele der Arbeit .................................................. 1

A. Ausgangslage .................................................................................... 1

B. Aufbau der Arbeit ............................................................................. 3

C. Abgrenzungen und Eingrenzungen .................................................. 4

Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl

Ersatzpflichtiger ................................................................... 5

§ 2 Mehrheit von Schuldnern: Arten und Terminologie .......................... 5

A. Grundkonstellationen des Haftungsrechts ........................................ 5

B. Teilschuldnerschaft und anteilsmässige Haftung ............................. 5

I. Begriff der Teilschuld/anteilsmässigen Haftung .......................... 5

II. Charakteristiken der Teilschuld/anteilsmässigen Haftung ........... 6

III. Teilschuld/anteilsmässige Haftung als Regelfall einer

Mehrheit von Schuldnern ............................................................. 7

C. Gesamtschuldnerschaft ..................................................................... 7

D. Einzelschuldnerschaft (Solidarität und Subsidiarität) ...................... 8

E. Fazit .................................................................................................. 9

§ 3 Die solidarische Haftung ...................................................................... 10

A. Begriff der solidarischen Haftung .................................................. 10

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Inhaltsverzeichnis

XII

I. Definition ................................................................................... 10

II. Überblick ................................................................................... 10

III. Mechanismus ............................................................................. 11

B. Gesetzliche Grundlagen ................................................................. 12

C. Entstehung und Zweck der Solidarität ........................................... 13

I. Entstehung des heutigen Systems der Solidarität ...................... 13

II. Zweck der Solidarität ................................................................. 14

§ 4 Das Aussenverhältnis der solidarischen Haftung gemäss

Art. 144–147 OR ................................................................................... 16

A. Einleitung ....................................................................................... 16

B. Das Wahlrecht des Gläubigers gemäss Art. 144 OR ..................... 16

C. Grundsatz der Selbständigkeit der Verpflichtungen der

Solidarschuldner (Art. 145–147 OR) ............................................. 17

I. Selbständige Forderungen ......................................................... 17

II. Einreden der Schuldner (Art. 145 OR) ...................................... 18

III. Persönliche Handlungen der Schuldner (Art. 146 OR) ............. 19

IV. Erlöschen der Solidarschuld (Art. 147 OR)............................... 20

§ 5 Anspruchskonkurrenz und Solidarität .............................................. 22

A. Einleitung ....................................................................................... 22

B. Die Anspruchskonkurrenz als Nebeneinander von Ansprüchen

des Geschädigten gegenüber einem Schädiger .............................. 22

C. Die Anspruchskonkurrenz bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger ... 24

D. Abgrenzung der Anspruchskonkurrenz von der Solidarität .......... 25

§ 6 Differenzierte Solidarität als weitere Form der Solidarität ............. 28

§ 7 Revision des Haftpflichtrechts ............................................................ 29

Teil 2: Das Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im

schweizerischen Haftpflichtrecht ...................................... 30

§ 8 Überblick ............................................................................................... 30

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Inhaltsverzeichnis

XIII

§ 9 Echte und unechte Solidarität (Anspruchskonkurrenz) in

Art. 50 und Art. 51 OR gemäss herrschender Lehre und

Rechtsprechung .................................................................................... 31

A. Einleitung ....................................................................................... 31

B. Echte Solidarität gemäss herrschender Lehre und

Rechtsprechung .............................................................................. 33

C. Unechte Solidarität gemäss herrschender Lehre und

Rechtsprechung .............................................................................. 35

I. Verschiedene Rechtsgründe ....................................................... 35

II. Rückbezug der Regressregel ...................................................... 36

III. Unabhängige Handlung und fehlendes gemeinsames

Verschulden? .............................................................................. 37

D. Bedeutung der Unterscheidung gemäss herrschender Lehre

und Rechtsprechung ....................................................................... 39

I. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts ................................... 39

II. Die Lehrmeinungen zur Unterscheidung zwischen echter

und unechter Solidarität ............................................................. 40

1. Zustimmender Teil der Lehre (Minderheit) ........................... 40

2. Ablehnender Teil der Lehre (Mehrheit) ................................. 41

a. Praktische Bedeutung ......................................................... 41

b. Art. 51 OR als Regressregel ............................................... 42

c. Verschiedene Rechtsgründe ............................................... 42

d. Konnexität .......................................................................... 42

e. Verjährungsunterbrechung und Subrogation (Art. 136

und Art. 149 OR) ................................................................ 43

§ 10 Kritische Analyse der Unterscheidung zwischen echter

Solidarität und Anspruchskonkurrenz .............................................. 45

A. Einleitung ....................................................................................... 45

B. Wortlaut und Entstehung von Art. 51 OR ...................................... 46

C. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Art. 50 und

Art. 51 OR ...................................................................................... 47

I. Art. 51 OR als Rückgriffsregel .................................................. 47

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Inhaltsverzeichnis

XIV

II. Die Verschiebung des Betrachtungszeitpunkts betreffend

den Schaden in Art. 50 und Art. 51 OR ..................................... 48

1. Unterschiedlicher Betrachtungszeitpunkt in Art. 50

und Art. 51 OR ...................................................................... 48

2. Rückverschiebung des Betrachtungszeitpunkts von

Art. 51 OR.............................................................................. 49

III. Die Unterscheidungskriterien zwischen Art. 50 und

Art. 51 OR .................................................................................. 50

1. „Entsprechend“ und „verschiedene Rechtsgründe“?............. 50

2. Gemeinsames oder unabhängiges Handeln ........................... 55

IV. Das Prinzip der Gleichbehandlung gleicher Konstellationen .... 56

1. Wortlaut von Art. 51 OR ....................................................... 56

2. Art. 50 OR entsprechende Anwendung von Art. 51 OR? ..... 56

3. Kein Analogieschluss ............................................................ 57

D. Die Grenze der solidarischen Haftung ........................................... 58

E. Fazit ................................................................................................ 61

Teil 3: Ein Haftungsmodell basierend auf Solidarität,

Anspruchskonkurrenz (unechte Solidarität) und

der Kausalität als massgebendes

Unterscheidungskriterium ................................................. 64

§ 11 Überblick ............................................................................................... 64

§ 12 Grundlagen ........................................................................................... 67

A. Echte Solidarität (Art. 50 OR) bedeutet Ganzhaftung ................... 67

I. Solidarität als Erfüllungsmodalität ............................................ 67

II. Solidarität: Zurechnung durch Verschulden, nicht durch

Kausalität ................................................................................... 68

B. Anspruchskonkurrenz bedeutet kausale Zurechnung .................... 68

C. Mögliche Konstellationen .............................................................. 69

D. Anspruchskonkurrenz bedeutet grundsätzlich anteilsmässige

Haftung........................................................................................... 71

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Inhaltsverzeichnis

XV

I. Solidarität als Spezialregelung ................................................... 71

II. Handhabung im deutschen Recht ............................................... 72

III. Lösung für das schweizerische Recht ........................................ 73

IV. Abgrenzung zu Beweisproblemen ............................................. 75

E. Natürliche Kausalität und deren Begrenzung als Ausgangslage ... 75

I. Der natürliche Kausalzusammenhang ........................................ 75

1. Naturgesetzlicher und wissenschaftstheoretischer Begriff .... 75

2. Natürliche Kausalität im Haftpflichtrecht .............................. 76

3. Conditio sine qua non ............................................................. 77

II. Die Begrenzung der natürlichen Kausalität ............................... 78

1. Der adäquate Kausalzusammenhang (Adäquanztheorie) ...... 78

2. Kritik an der Adäquanztheorie ............................................... 79

3. Weitere Lösungsansätze zur Begrenzung der natürlichen

Kausalität: Normzwecklehre und Risikoerhöhungstheorie ... 80

a. Allgemein ........................................................................... 80

b. Normzwecklehre ................................................................ 80

c. Risikoerhöhungstheorie ..................................................... 80

d. Lösungsansatz zur Begrenzung der natürlichen

Kausalität ............................................................................ 82

i. Allgemein ....................................................................... 82

ii. Haftungsbegründende Kausalität: Normzwecktheorie .. 82

iii. Folgeverletzungen als Problem der

Haftungsbegründung durch zeitlich versetzte

Teilursachenkonkurrenz ................................................. 82

iv. Haftungsausfüllende Kausalität ..................................... 84

III. Natürliche Kausalität und deren Begrenzung bei einer

Schädigermehrheit ...................................................................... 84

1. Begrenzung der Haftung bei einer Schädigermehrheit

aus Sicht des Bundesgerichts ................................................. 84

2. Begrenzung bei einem Schädiger ........................................... 84

3. Begrenzung bei einer Schädigermehrheit .............................. 85

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Inhaltsverzeichnis

XVI

§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen ................ 87

A. Einleitung ....................................................................................... 87

B. Reine Gesamtursachenkonkurrenzen ............................................. 87

I. Kumulative Kausalität ............................................................... 87

II. Alternative Kausalität ................................................................ 88

III. Hypothetische Kausalität ........................................................... 89

C. Reine Teilursachenkonkurrenz ...................................................... 90

I. Additive Kausalität .................................................................... 91

II. Komplementäre Kausalität ........................................................ 95

D. Minimale Kausalität (Teilursachen bei einer grossen Anzahl an

Schädigern [Demonstrationen, Krawalle, Umweltschäden]) ........ 99

I. Ausgangslage ............................................................................. 99

II. Lösungsansatz .......................................................................... 101

1. Solidarische Haftung bei abgrenzbarem/einheitlichem

Schaden und bestimmter Anzahl Schädiger ........................ 101

2. Keine Haftung ohne Beteiligung ......................................... 102

3. Anteilsmässige Haftung bei minimaler Kausalität? ............ 102

§ 14 Teilursachenkonkurrenzen gesetzt durch den unabhängigen

Dritten, den Geschädigten sowie den Zufall und ihr Einfluss auf

die Haftung eines Schädigers (Schadenersatzbemessung) ............. 105

A. Einleitung ..................................................................................... 105

B. Mögliche Arten von konkurrierenden Teilursachen .................... 106

I. Grundlage ................................................................................. 106

II. Drittverschulden ....................................................................... 106

III. Selbstverschulden .................................................................... 107

IV. Zufall ........................................................................................ 108

C. Der Einfluss der Teilursachen auf den (adäquaten)

Kausalzusammenhang (Abschwächung, Unterbrechung

der Adäquanz) .............................................................................. 109

I. Einleitung ................................................................................. 109

II. Die Unterbrechung der Adäquanz ........................................... 110

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Inhaltsverzeichnis

XVII

III. Unterbrechung der Adäquanz bei additiver und

komplementärer Kausalität ...................................................... 112

D. Die Schadenersatzbemessung (Art. 43 und Art. 44 OR) bei

einem Schädiger (Grundkonstellation) ........................................ 113

I. Die Funktion der Schadenersatzbemessung ............................. 113

II. Wirkungsweise der Reduktionsgründe gemäss Art. 43

und Art. 44 OR ......................................................................... 114

E. Der Verantwortungsbereich des Schädigers und insbesondere

das Verschulden als Reduktionsgrund ......................................... 116

I. Reduktion gemäss Art. 43 OR ................................................. 116

II. Kriterien der Reduktion in Art. 43 OR .................................... 118

F. Zwei getrennte Verantwortungsbereiche: Zusätzlich das

Selbstverschulden des Geschädigten (Mitwirkung des

Geschädigten an der Schadensverursachung) und die Folgen

aus Sicht der Kausalität ................................................................ 119

I. Das Selbstverschulden und die Reduktion im

Aussenverhältnis ...................................................................... 119

II. Risikoverteilung und Verantwortungsbereiche ........................ 120

III. Verschuldenshaftungen (Umstände gemäss

Art. 44 Abs. 1 OR) ................................................................... 121

IV. Kausal- und Gefährdungshaftung sowie Zusammentreffen

mit Verschuldenshaftung.......................................................... 123

V. Umfang der Reduktion gemäss Art. 44 Abs. 1 OR .................. 124

VI. Kriterien der Reduktion gemäss Art. 44 Abs. 1 OR aus

kausaler Sicht ........................................................................... 125

1. Verschulden und Kausalanteil als Kriterium ....................... 125

2. Abgrenzung von der Reduktion nach Art. 43 Abs. 1 OR .... 126

3. Additive und komplementäre Teilursachen ......................... 126

a. Additiv .............................................................................. 126

b. Komplementär .................................................................. 127

c. Beispiel ............................................................................. 127

VII. Quotenbildung und sektorielle Verteilung (konkrete

Teilung) als Folge der Reduktion ............................................. 128

1. Quotenbildung ...................................................................... 128

2. Sektorielle Verteilung .......................................................... 128

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Inhaltsverzeichnis

XVIII

VIII. Ergebnis ................................................................................... 129

G. Abgrenzung: Die Pflicht des Geschädigten zur

Schadensvermeidung/Schadensminderung in Abgrenzung

vom Selbstverschulden ................................................................ 130

I. Die Schadensvermeidungs- und die

Schadenminderungspflicht sowie die zeitliche Versetzung .... 130

II. Lehre ........................................................................................ 133

1. Herrschende Lehre ............................................................... 133

2. Ansicht von SCHAER und ROBERTO ..................................... 133

3. Ansicht von WEBER ............................................................. 135

III. Rechtsprechung ........................................................................ 135

IV. Massstab der Zumutbarkeit, den Schaden zu mindern ............ 137

V. Ergebnisse und Lösungsansatz aus kausaltheoretischer Sicht 138

1. Grundsatz ............................................................................. 138

2. Kausaltheoretische Perspektive ........................................... 139

a. Grundsatz beim Selbstverschulden .................................. 139

b. Grundsatz bei der Schadensvermeidungspflicht ............. 140

c. Die Versetztheit der Teilursachen ................................... 140

i. Komplementäre Teilursache des Geschädigten .......... 140

ii. Keine Relevanz der Reihenfolge der

Teilursachensetzung vorher oder nachher ................... 141

iii. Ergebnis ....................................................................... 142

H. Unklarer Verantwortungsbereich: der Zufall............................... 143

I. Der Zufall als mitwirkende Teilursache .................................. 143

II. Behandlung des Zufalls in Lehre und Rechtsprechung ........... 143

III. Eigene Ansicht zur Behandlung des „Zufalls“ ........................ 145

I. Die Schadenersatzbemessung (Teilursachen; Reduktion;

Unterbrechung) bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger .................. 146

I. Einleitende Bemerkungen ........................................................ 146

II. Ausgangslage aus kausaler Sicht ............................................. 147

1. Grundsatz der Solidarität in der Lehre und

Rechtsprechung .................................................................... 147

2. Differenzierte Betrachtungsweise ........................................ 148

3. Unterbrechendes Drittverhalten ........................................... 148

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Inhaltsverzeichnis

XIX

III. Reduktion gemäss Art. 43 Abs. 1 OR bei einer Mehrzahl

Ersatzpflichtiger ....................................................................... 149

1. Allgemein ............................................................................. 149

2. Folgen der Zulassung ........................................................... 150

3. Rechtsprechung .................................................................... 150

4. Lehre ..................................................................................... 152

a. Zulassung der Reduktion bei echter und unechter

Solidarität ......................................................................... 152

b. Keine Zulassung von Reduktionsgründen ....................... 153

c. Differenzierte Betrachtungsweise .................................... 153

5. Eigene Ansicht betreffend Berufung auf individuelle

Reduktionsgründe gemäss Art. 43 OR bei kausaler

Betrachtungsweise ................................................................ 154

a. Kausale Betrachtungsweise .............................................. 154

b. Echte Solidarität gemäss Art. 50 OR ............................... 154

c. Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR ....................... 155

IV. Reduktion gemäss Art. 44 Abs. 1 OR bei einer Mehrheit

Ersatzpflichtiger ....................................................................... 156

1. Einleitung ............................................................................. 156

2. Die Behandlung im deutschen Recht ................................... 156

a. Der Grundsatz des Mitverschuldens in § 254 BGB ......... 156

b. Behandlung von Nebentätern im Grundsatz .................... 157

c. Behandlung von Nebentätern gemäss der

modifizierten Kombinationstheorie ................................. 157

d. Behandlung von Mittätern („echte“ Solidarität) .............. 158

e. Ausnahme von der Gesamtschau: Behandlung von

Haftungseinheiten ............................................................ 159

3. Schweizerische Lehre und Rechtsprechung ......................... 160

a. Lehre ................................................................................. 160

b. Bundesgericht ................................................................... 160

c. Differenzierende Lehre auf Basis der Lösung

gemäss § 254 BGB ........................................................... 161

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Inhaltsverzeichnis

XX

4. Eigene Ansicht betreffend die Reduktion aus im

Verantwortungsbereich des Geschädigten liegenden

Gründen (Art. 44 Abs. 1 OR) bei kausaler

Betrachtungsweise ............................................................... 162

a. Kausale Betrachtungsweise des

Reduktionsmechanismus bei einer Mehrheit

Ersatzpflichtiger ............................................................... 162

i. Vergleich mit Art. 43 Abs. 1 OR ................................. 162

ii. Beim Selbstverschulden des Geschädigten gemäss

Art. 44 Abs. 1 OR ........................................................ 163

b. Schadenvermeidung bei einer Mehrheit

Ersatzpflichtiger ............................................................... 164

i. Allgemein .................................................................... 164

ii. Konstellationen: S/S/G, G/S/S und S/G/S ................... 165

iii. Echte solidarische Haftung .......................................... 166

iv. Additive Kausalität ...................................................... 166

v. Komplementäre Kausalität .......................................... 166

vi. Gemischte Konstellationen .......................................... 167

§ 15 Die Zurechnung schädigender Handlungen:

Teilschadensverursachung; einheitliche Rechtsgutverletzung;

einheitlicher Schaden ......................................................................... 168

A. Einleitung ..................................................................................... 168

B. Der Schadensbegriff im Haftpflichtrecht aus Sicht der

haftpflichtrechtlichen Grundkonstellation respektive der

Sicht des Geschädigten ................................................................ 169

I. Wirtschaftlicher Schadensbegriff ............................................ 169

II. Differenztheorie ....................................................................... 170

C. Dogmatische Unterscheidungen zu Schaden,

Rechtsgutverletzung und Kausalzusammenhang ........................ 171

D. Ein (einheitlicher) Schaden bzw. eine (einheitliche)

Schädigung aus Sicht der Schädigermehrheit und der

Kausalität ..................................................................................... 172

I. Grundkonstellation bei einem Schädiger ................................. 172

II. Grundkonstellation bei mehreren Schädigern ......................... 173

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Inhaltsverzeichnis

XXI

E. „Ein Schaden“ in Art. 50 OR ....................................................... 174

F. Teilschadenskausalität, Komponenten einer einheitlichen

Schädigung („Derselbe Schaden" in Art. 51 OR) ........................ 175

I. Anerkennung der Teilschadenskausalität in Lehre .................. 175

II. Anerkennung der Teilschadenskausalität in der

Rechtsprechung ........................................................................ 179

III. Einzelne Komponenten einer einheitlichen Schädigung

(„einheitlicher Schaden“) ......................................................... 183

1. Allgemein ............................................................................. 183

2. Teilbare Schäden auch bei räumlicher oder sachlicher

Nähe der Schädigung ........................................................... 184

3. Kritischer Aspekt der zeitlichen Nähe der Teilursachen

und die Zurechnung von Folgeschäden

(Folgeschädigungen) ............................................................ 185

a. Keine Probleme bei additiver Kausalität oder neuer

Schädigung ....................................................................... 185

b. Zeitlich versetzte, komplementäre Verursachung

unter Schädigern und die Frage der Zurechnung

von Folgeschädigungen .................................................... 185

i. Allgemein ..................................................................... 185

ii. Anspruchskonkurrenz .................................................. 188

iii. Zurechnung über die Kausalität? ................................. 189

iv. Unterbrechungsgrund ................................................... 190

v. Reduktionsgrund (Art. 43 OR) .................................... 191

c. Zeitlich versetzte, komplementäre Verursachung, die

Mitbeteiligung des Geschädigten und die Frage der

Zurechnung von Folgeschädigungen ............................... 191

i. Allgemein ..................................................................... 191

ii. Anspruchskonkurrenz .................................................. 192

iii. Unterbrechungsgrund ................................................... 192

iv. Reduktion aufgrund von Art. 44 Abs. 1 OR und die

Pflicht zur Schadensvermeidung .................................. 192

v. Zurechnung über die Kausalität ................................... 193

4. Teilbare Schäden auch bei gleicher Schadensart ................. 194

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Inhaltsverzeichnis

XXII

IV. Fazit .......................................................................................... 195

1. Zurechnung durch kausale Betrachtungsweise ................... 195

2. Ein einheitlicher Schaden im Sinne von Art. 50 OR

und Art. 51 OR .................................................................... 196

3. Beweisschwierigkeiten? ...................................................... 197

§ 16 Alternative/unklare kausale Gesamt- und Teilursachen

respektive der Kausalzweifel sowie die gemischte Kausalität ....... 198

A. Einleitung ..................................................................................... 198

I. Ausgangslage ........................................................................... 198

II. Vorgehen .................................................................................. 198

B. Die alternative Kausalität ............................................................. 199

I. Begriff ...................................................................................... 199

II. Beispiele ................................................................................... 200

III. Diskutierte Konstellationen ..................................................... 201

IV. Keine alternative Kausalität bei echter Solidarität

(Art. 50 OR) ............................................................................. 202

1. Echte Solidarität und unklare Kausalität? ........................... 202

2. Echte Solidarität statt unklare Kausalität............................. 202

C. Regelung im deutschen und österreichischen Recht ................... 203

I. Regelung im deutschen Recht ................................................. 203

1. Solidarische Haftung für Mittäter ........................................ 203

2. Solidarische Haftung für Alternativtäter ............................. 204

II. Regelung im österreichischen Recht ....................................... 205

1. Solidarische Haftung ........................................................... 205

2. Nebentäterschaft und bestimmbare Kausalität .................... 206

3. Nebentäterschaft und unklare Kausalität ............................. 206

D. Verschiedene Konstellationen der alternativen Kausalität im

Bereich der Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR ............... 208

I. Allgemein ................................................................................. 208

II. Anteilszweifel .......................................................................... 208

III. Urheberzweifel ......................................................................... 209

IV. Keine Haftung für bloss mögliche Schädiger .......................... 210

V. Haftung bei echter alternativer Ursachenkonkurrenz? ............ 212

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Inhaltsverzeichnis

XXIII

E. Alternative Kausalität als Beweisproblem ................................... 213

I. Beweisprobleme des Geschädigten .......................................... 213

II. Kein Beweisproblem bei echter Solidarität ............................. 213

III. Beweis der Kausalität (bei Anspruchskonkurrenz) .................. 214

1. Grundvoraussetzung: Beweis der

Haftungsvoraussetzungen .................................................... 214

2. Beweislast und Beweismass allgemein ................................ 214

a. Beweislast gemäss Art. 8 ZGB ........................................ 214

b. Beweis der natürlichen Kausalität.................................... 215

c. Beweis des adäquaten Kausalzusammenhangs ................ 216

3. Beweislast und Beweismass speziell betreffend eine

Schädigermehrheit ................................................................ 216

a. Beweismass ...................................................................... 216

b. Beweislast ........................................................................ 217

4. Lösung gemäss Lehre und Rechtsprechung: Verzicht

auf Nachweis der Kausalität (Beweislastumkehr) ............... 218

5. Lösung des Kausalitätsnachweises über Art. 42 Abs. 1 und

Abs. 2 OR? ........................................................................... 219

a. Allgemein ......................................................................... 219

b. Schadensbeweis gemäss Art. 42 Abs. 1 OR .................... 221

c. Schadensschätzung gemäss Art. 42 Abs. 2 OR ............... 221

6. Fazit ...................................................................................... 223

IV. Beweislast und Beweismassreduktion im deutschen Recht..... 224

F. Die Frage nach der Tragung des Risikos der Unaufklärbarkeit ... 225

G. Voraussetzungen für eine Risikoüberwälzung auf Schädiger...... 227

I. Haftungsvoraussetzungen erfüllt .............................................. 227

II. Schadensverursachung ............................................................. 228

III. Unaufklärbarkeit der Verursachung bzw. Kausalanteile ......... 229

IV. Gesamtkausalitätseignung ........................................................ 230

H. Zurechnung unklarer Kausalanteile bei einer Mehrzahl

Schädiger ...................................................................................... 231

I. Konstellationen ......................................................................... 231

1. Nicht relevante Konstellationen ........................................... 231

2. Relevante Konstellationen ................................................... 232

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Inhaltsverzeichnis

XXIV

II. Verschiedene Lösungsansätze bei alternativer/unsicherer

Kausalität ................................................................................. 233

1. Keine Haftung? .................................................................... 233

2. Solidarische Haftung? .......................................................... 233

3. Beweismasserleichterung und Beweislastumkehr ............... 234

a. Beweislastumkehr ............................................................ 234

b. Beweismasserleichterung und Beweislastumkehr ........... 235

c. Eignung des Lösungsansatzes ......................................... 236

4. Anteilsmässige Haftung aufgrund von

Wahrscheinlichkeitsanteilen? .............................................. 237

a. Wahrscheinlichkeitshaftung nach QUENDOZ ................... 237

b. Eignung des Lösungsansatzes ......................................... 238

III. Fazit: Beweismasserleichterung, Beweislastumkehr und

subsidiär Wahrscheinlichkeitshaftung als Lösungsansätze ..... 238

Schlussbetrachtung und Ergebnisse ......................................................... 240

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Zusammenfassung

XXV

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Aussenverhältnis der Haftung einer

Schädigermehrheit gegenüber einem Geschädigten im schweizerischen Haft-

pflichtrecht. Die Ausgangslage der Arbeit bilden Art. 50 und Art. 51 OR, wel-

che gemäss h.L. und Rechtsprechung den Grundsatz verkörpern, dass eine Schä-

digermehrheit in echter und unechter Solidarität für den ganzen Schaden haftet.

Dieser Ansicht einer Ganzhaftung wird für Konstellationen der unechten Solida-

rität (Anspruchskonkurrenz) entgegengetreten. Es wird dargelegt, inwiefern sich

die Haftung in echter Solidarität (gemeinsam verschuldete Verursachung einer

Schädigung) von der Haftung in unechter Solidarität (Anspruchskonkurrenz;

Schädigung unabhängig voneinander und ohne gemeinsames Verschulden) un-

terscheidet. Bis anhin wurde diesem Unterschied in Lehre und Rechtsprechung

zu wenig Beachtung geschenkt und auch für die Fälle der unechten Solidarität

Ganzhaftung angenommen. Richtigerweise hat aber bei der Anspruchskonkur-

renz die Zurechnung der schädigenden Handlungen aufgrund des fehlenden Zu-

sammenwirkens bzw. gemeinsamen Verschuldens der Schädiger auf der Kausa-

lität basierend zu erfolgen.

Als Folge der Anwendung der solidarischen Haftung bei echter und unechter

Solidarität wird der Geschädigte mit Hinweis auf den Geschädigtenschutz und

die Möglichkeit des Schädigers, im Innenverhältnis Rückgriff zu nehmen, be-

vorzugt. Als nicht sachgerechte Folge haben die Schädiger letztlich für einen

Schaden einzustehen, welchen sie nicht oder nur zu einem Teil verursacht ha-

ben.

Auf dieser Grundlage wird für Konstellationen der Anspruchskonkurrenz ein

auf der Haftungsvoraussetzung der Kausalität basierendes Haftungsmodell vor-

gestellt. Dabei wird zuerst auf die verschiedenen Arten kausaler, durch mehrere

Schädiger gesetzter Gesamt- und Teilursachen und die sich dabei ergebenden

Haftungsfolgen eingegangen. Weiter wird im Rahmen der Schadenersatzbemes-

sung (Art. 43 und Art. 44 OR) der Einfluss der durch den Geschädigten selbst

oder durch Dritte gesetzten Teilursachen auf die Haftung der Schädiger disku-

tiert. Sodann folgen der Problembereich der Zurechnung schädigender Hand-

lungen bzw. von Teilschäden und die Beantwortung der Frage, was unter einer

einheitlichen Schädigung zu verstehen ist. Abschliessend wird ein Lösungsan-

satz für Konstellationen mit alternativer (unklarer) Kausalität als Beweisprob-

lem vorgestellt und der Frage nachgegangen, wem das Risiko der Unaufklärbar-

keit unklarer Kausalanteile zugewiesen und unklare Kausalanteile zugerechnet

werden sollen.

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Résumé

XXVI

Résumé

Le présent travail traite des rapports externes de la responsabilité lorsque plu-

sieurs personnes répondent d’un dommage à l’égard d’un lésé en droit suisse de

la responsabilité. Le travail prend pour point de départ les articles 50 et 51 CO

qui incarnent, d’après la doctrine dominante et la jurisprudence, le principe se-

lon lequel une pluralité d’auteurs répond de l’ensemble du dommage en vertu

d’une solidarité parfaite ou imparfaite.

L’auteur remet en cause cette conception d’une responsabilité pour la totalité

pour les cas de solidarité imparfaite (concours d’actions). Il démontre ce qui dis-

tingue la responsabilité solidaire parfaite (dommage causé ensemble par une

faute commune) de celle qui est imparfaite (concours d’actions ; préjudice causé

de manière indépendante et sans faute commune). Jusqu’à présent, la doctrine et

la jurisprudence n’ont accordé que trop peu d’attention à cette distinction et ad-

mettaient une responsabilité pour la totalité également pour les cas de solidarité

imparfaite. Il convient toutefois à juste titre d’imputer, en cas de concours de

prétentions, les actes dommageables en se fondant sur la causalité étant donné

l’absence d’actes concomitants ou de faute commune des auteurs du dommage.

L’application de la responsabilité solidaire en cas de solidarité parfaite et impar-

faite avantage dès lors la partie lésée pour des motifs de protection des victimes

et en raison de la possibilité pour l’auteur du dommage de faire recours dans les

rapports internes. La conséquence inappropriée en est que les auteurs doivent en

définitive répondre d’un dommage qu’ils n’ont pas causé ou seulement partiel-

lement.

Sur cette base, l’auteur présente, pour les cas de concours d’actions, un modèle

de responsabilité fondé sur la causalité en tant que condition de la responsabi-

lité. Il aborde tout d’abord les différents types de causes totales ou partielles

dont plusieurs auteurs sont à l’origine ainsi que les conséquences qui en décou-

lent en matière de responsabilité. L’influence des causes partielles afférentes au

lésé ou à des tiers sur la responsabilité des auteurs fait ensuite l’objet d’une dis-

cussion dans le cadre de la fixation de l’indemnité (art. 43 et art. 44 CO). Sui-

vent ensuite le problème de l’imputation des dommages partiels et la réponse à

la question de savoir ce qu’il faut entendre par dommage unique. Enfin, l’auteur

propose une approche de solution pour les problèmes de preuve en présence

d’une causalité alternative (incertaine) et examine la question de savoir qui doit

supporter le risque que des parts de causalité incertaines ne puissent être déter-

minées par manque de clarté et à qui celles-ci doivent être imputée.

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XXXVI

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Abkürzungsverzeichnis

XXXVII

Abkürzungsverzeichnis

a.A./a.M. anderer Ansicht/Meinung

ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch vom 1. Januar 1912 (Öster-

reich)

Abs. Absatz

AG Aktiengesellschaft

AJP Aktuelle Juristische Praxis

Art. Artikel

BBl Bundesblatt der schweizerischen Eidgenossenschaft

BG Bundesgesetz

BGB Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 (Deutschland)

BGE (publizierter) Bundesgerichtsentscheid

BGer Bundesgericht

BGHZ Entscheidsammlung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

(Deutschland)

BK Berner Kommentar

BSK Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht

Bsp. Beispiel

bspw. beispielsweise

bzw. beziehungsweise

ders. derselbe

d.h. das heisst

E./Erw. Erwägung

e.g. exempli gratia (zum Beispiel)

Eidg. Eidgenössisch

ELG Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über Ergänzungsleistungen

zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung

(SR 831.30)

Et al. Et alii (und weitere)

etc. et cetera (und im Übrigen/und so weiter)

f./ff. fortfolgende(r)

FN Fussnote

FS Festschrift

GesKR Schweizerische Zeitschrift für Gesellschafts- und Kapitalmarkt-

recht sowie Umstrukturierungen

GestG Bundesgesetz über den Gerichtsstand in Zivilsachen (Gerichts-

standgesetz) vom 24. März 2000 (SR 272)

gl. A./gl. M. gleicher Ansicht/Meinung

Page 36: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Abkürzungsverzeichnis

XXXVIII

HAVE/REAS Haftung und Versicherung/responsabilité et assurance (Zeitschrift)

h.L. herrschende Lehre

Hrsg. Herausgeber

inkl. inklusive

IPRG Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom

18. Dezember 1987 (SR 291)

i.S. im Sinne

i.V.m. in Verbindung mit

IZPR Internationales Zivil- und Prozessrecht

KHG Kernenergiehaftpflichtgesetz vom 18. März 1983 (SR 732.44)

LFG Bundesgesetz vom 21. Dezember 1948 über die Luftfahrt (Luft-

fahrtgesetz; SR 748.0)

lit. litera (Buchstabe)

LugÜ Übereinkommen vom 16. September 1988 über die gerichtliche

Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in

Zivil- und Handelssachen (SR 0.275.12)

m.E. meines Erachtens

m.a.W. mit anderen Worten

m.w.H. mit weiteren Hinweisen

MünchKomm Münchener Kommentar zum BGB

N Randnote(n)

Nr. Nummer

OR Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen

Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) vom 30. März

1911 (SR 220)

PrHG Bundesgesetz vom 18. Juni 1993 über die Produktehaftpflicht

(Produktehaftpflichtgesetz (SR 221.112.944)

RabelsZ Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht,

begründet von Ernst Rabel, Tübingen (Deutschland)

RGRK Reichsgerichträte-Kommentar zum BGB

RLG Bundesgesetz vom 4. Oktober 1963 über Rohrleitungsanlagen zur

Beförderung flüssiger oder gasförmiger Brenn- oder Treibstoffe

(Rohrleitungsgesetz; SR 746.1)

Rz. Randziffer

S. Seite(n)

SHK Stämpflis Handkommentar

SJZ Schweizerische Juristen-Zeitung

SR Systematische Sammlung des Bundesrechts

StGB Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937

(SR 311.0)

Page 37: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Abkürzungsverzeichnis

XXXIX

SVG Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SR 741.01)

u.a. unter anderem

VE Vorentwurf

vgl. vergleiche

Vol. Volume (Band)

VVG Bundesgesetz vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag

(Versicherungsvertragsgesetz; SR 221.229.1)

z.B. zum Beispiel

ZBJV Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins

ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907

(SR 210)

Ziff. Ziffer(n)

ZK Zürcher Kommentar

ZPO Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008

(SR 272)

ZSR Zeitschrift für schweizerisches Recht

Page 38: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

XL

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§ 1 Problemstellung und Ziele der Arbeit

1

Einleitende Bemerkungen

„Die Verbindung von Ursache und Folge hat weder An-

fang noch Ende.“

Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828-1910)

Krieg und Frieden (Zweiter Epilog)

„Der Mensch findet sich mitten unter Wirkungen und

kann sich nicht enthalten nach den Ursachen zu fragen;

als ein bequemes Wesen greift er nach der nächsten als

der besten und beruhigt sich dabei; besonders ist dies die

Art des allgemeinen Menschenverstandes.“

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden

§ 1 Problemstellung und Ziele der Arbeit

A. Ausgangslage

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Themenbereich einer Mehrheit

von Haftpflichtigen/Ersatzpflichtigen/Schädigern/Schuldnern1, welche einem

Geschädigten/Gläubiger gegenüberstehen. Dabei wird auf das Aussenverhält-

nis einer Mehrheit Ersatzpflichtiger eingegangen, sowohl aus der Perspektive

der echten solidarischen Haftung als auch aus dem Blickwinkel von Schä-

digermehrheiten, welche in Anspruchskonkurrenz stehen, ohne die Bedin-

gungen echter Solidarität zu erfüllen. Die Betrachtung erfolgt aus Sicht des

ausservertraglichen Haftungsrechts.

1 Diese Bezeichnungen werden nachfolgend synonym verwendet.

Page 40: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Einleitende Bemerkungen

2

Die Grundlage der vorliegenden Arbeit besteht in der Problematik, dass im

schweizerischen Haftpflichtrecht bei einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen re-

flexartig an „Solidarität“ gedacht wird. Nach herrschender Ansicht haftet eine

Schädigermehrheit nach Art. 50 und Art. 51 OR solidarisch. Dabei bleibt un-

beachtet, dass bei der Schadensentstehung die Schädigungen aufgrund ver-

schiedenster Konstellationen und aus kausaler Sicht auf unterschiedlichste

Art und Weise verursacht werden können. Schädiger können zusammen han-

deln oder unabhängig voneinander, sie können eine Schädigung im Wissen

um weitere Schädiger verursachen oder ohne dieses Wissen, sie können ein

gemeinsames Verschulden haben oder ein getrenntes. Der kausale Beitrag der

Schädiger kann sich auf den ganzen oder auf einen Teil des Schadens bezie-

hen; er kann gleichzeitig oder zeitversetzt (Folgeverletzungen) verursacht

worden sein. Die kausalen Beiträge können gegenseitige Bedingung für den

Schadenseintritt sein oder zu getrennten Einzelschäden führen. Der Geschä-

digte kann einen Einfluss auf die Schadensentstehung gehabt haben; mögli-

cherweise hätte er einen Teil des Schadens oder eine Verschlimmerung des

Schadens verhindern können. Erschwerend kommt hinzu, dass aufgrund der

verschiedenen, mitwirkenden Kausalketten auch unklar sein kann, welcher

Kausalbeitrag in welchem Bezug zur verursachten Schädigung bzw. Schaden

steht und wie dieses Problem zu lösen ist. Dies ist jedoch kein Problem der

Kausalität, sondern ein Beweisproblem, welches als solches zu behandeln ist,

und nicht aus Gründen der Einfachheit zur solidarischen Haftung führen

kann.

Alle diese Konstellationen werfen die Frage auf, wie mit ihnen umzugehen

ist. Die Beantwortung dieser Fragen stellt das Ziel dieser Arbeit dar. Mit Si-

cherheit ist in der nach herrschender Ansicht angenommenen solidarischen

Haftung (echte und unechte Solidarität) für alle diese Konstellationen keine

ausgewogene Lösung zu erblicken, da der Geschädigte mit Hinweis auf den

Geschädigtenschutz und die Möglichkeit des Schädigers, im Innenverhältnis

Rückgriff nehmen zu können, systematisch bevorzugt wird. Die nicht sach-

gerechte Folge ist, dass die Schädiger letztlich für einen Schaden einstehen

müssen, welchen sie nicht oder nur zu einem Teil verursacht haben. Daher

wird in der vorliegenden Arbeit ein Haftungsmodell entwickelt, welches klar

zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkurrenz unterscheidet und ba-

sierend auf der Kausalität zu einer ausgewogenen Berücksichtigung der kont-

rären Interessen der Schädiger und des Geschädigten führen soll.

Page 41: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 1 Problemstellung und Ziele der Arbeit

3

B. Aufbau der Arbeit

Der Fokus liegt auf dem Thema einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen aus

Sicht des schweizerischen Rechts. Als erstes folgt ein einleitender Teil 1,

welcher einen Überblick über die verschiedenen Arten von Schuldnermehr-

heiten (§ 2), den Begriff der solidarischen Haftung (§ 3) und die für das Aus-

senverhältnis relevanten Bestimmungen Art. 144–147 OR (§ 4) gibt, sowie

eine erste Abgrenzung zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkurrenz

vornimmt (§ 5).

Ab Teil 2 liegt der Schwerpunkt auf dem im materiellen schweizerischen

Haftpflichtrecht verankerten Grundsatz der solidarischen Haftung sowie der

Anspruchskonkurrenz im Falle einer Schadensverursachung durch eine

Mehrheit von nicht zusammenwirkenden Personen. Dabei wird zuerst auf die

Regelung von Art. 50 und Art. 51 OR aus Sicht der Rechtsprechung und der

herrschenden Lehre eingegangen (§ 9). Danach folgt darauf basierend eine

kritische Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Art. 50 und

Art. 51 OR (§ 10).

Im hauptsächlichen Teil 3 der vorliegenden Arbeit wird ein Lösungsmodell

erarbeitet und präsentiert, welches eine Mehrheit von Schädigern (Solidarität

und Anspruchskonkurrenz) aus Sicht der Kausalität betrachtet und welches

zum Ziel hat, die Haftung einer Mehrheit Ersatzpflichtiger in ausgewogener

Weise zu gestalten, sodass weder Schädiger noch Geschädigte bevorzugt

oder benachteiligt werden. Dazu wird eingegangen auf die natürliche und

adäquate Kausalität (§ 12), auf die verschiedenen Teil- und Gesamtursachen-

konkurrenzen und wie diese den einzelnen Schädigern zuzurechnen sind

(§ 13), auf die Schadenersatzbemessung und Geltendmachung von Redukti-

onsgründen (§ 14), auf die Frage, was unter einem einheitlichen Schaden zu

verstehen ist und wie Teilschäden einem Schädiger zuzurechnen sind (§ 15)

und schliesslich auf die Frage, wie Konstellationen zu handhaben sind, in

welchen eine Zurechnung aufgrund von Beweisproblemen betreffend Fest-

stellung der Kausalität (unklare Kausalität) nicht zu gelingen scheint (§ 16).

Page 42: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Einleitende Bemerkungen

4

C. Abgrenzungen und Eingrenzungen

Bei der solidarischen Haftung wird gemeinhin das Aussenverhältnis zwi-

schen Gläubiger und Schuldner sowie das Innenverhältnis zwischen den

Schuldnern (Rückgriff; Regress) unterschieden. Die nachfolgende Arbeit be-

fasst sich mit dem Aussenverhältnis der Haftung. Erläuterungen zum Innen-

verhältnis erfolgen ausschliesslich mit Bezug zur Analyse des Aussenver-

hältnisses2.

Die Arbeit beschränkt sich auf Konstellationen des ausservertraglichen Haf-

tungsrechts, während andere Rechtsgebiete wie das Gesellschaftsrecht oder

das Vertragsrecht, in welchen die solidarische Haftung genauso ein Thema

ist, nicht hauptsächlich behandelt werden. Da sich die Arbeit auf das Haft-

pflichtrecht konzentriert, werden im materiellen schweizerischen Recht vor-

nehmlich Art. 50 und Art. 51 OR sowie daneben Art. 43 und Art. 44 OR be-

handelt.

2 Zum Innenverhältnis oder Regressverhältnis vgl. im schweizerischen Recht bspw. STRUB,

S. 25 ff.; KARRER, S. 1 ff.; im internationalen Privatrecht vgl. bspw. THOMA, S. 1 ff.; weiter

SCHWEIGHAUSER, S. 248 ff.

Page 43: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 2 Mehrheit von Schuldnern: Arten und Terminologie

5

Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl

Ersatzpflichtiger

§ 2 Mehrheit von Schuldnern: Arten und Terminologie

A. Grundkonstellationen des Haftungsrechts

Im Obligationenrecht stehen sich im Regelfall zwei Personen in einer Rechts-

beziehung als Schuldner und Gläubiger gegenüber3. In gewissen Konstella-

tionen können jedoch auf Gläubiger-4 oder Schuldnerseite eine Mehrzahl von

Personen an einer Obligation beteiligt sein. Die Art dieser Mehrzahl kann

von Fall zu Fall stark differieren und auch die verwendete Terminologie in

den verschiedenen Varianten ist in der Rechtswissenschaft nicht einheitlich.

Deshalb sollen nachfolgend eine Einordnung der Arten einer Mehrzahl von

Schuldnern in einer Rechtsbeziehung erfolgen und einige terminologische

Fragen geklärt werden.

Konstellationen mit einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen können sich in al-

len Bereichen des Obligationenrechts ergeben und sowohl vertraglich als

auch auf Gesetz beruhend begründet sein. Bezogen auf das gesamte Obliga-

tionenrecht wird dabei in der Regel mit dem Begriffspaar Schuldner und

Gläubiger operiert. Speziell im ausservertraglichen Haftungsrecht ist aber

auch die Verwendung der Termini Schädiger (respektive Ersatzpflichtiger

oder Haftpflichtiger) und Geschädigter gebräuchlich.

B. Teilschuldnerschaft und anteilsmässige Haftung

I. Begriff der Teilschuld/anteilsmässigen Haftung

Bei der Teilschuldnerschaft schuldet jeder der mehreren Schuldner einen ver-

einbarten Teil einer teilbaren Schuld; sollte nichts vereinbart sein, schuldet

3 Vgl. statt vieler GUHL/KOLLER, § 2 N 1.

4 Auf den Themenkomplex einer Mehrzahl an Gläubigern wird in dieser Arbeit nicht eingegan-

gen; vgl. hierzu bspw. GUHL/KOLLER, § 5 N 1 ff.; SCHWENZER, § 89.01 ff.

Page 44: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

6

jeder Schuldner einen gleich grossen Teil5. Im ausservertraglichen Haftungs-

recht wird unter einer Teilhaftung oder auch anteilsmässigen Haftung jener

Haftungstypus verstanden, bei welchem der Schädiger nur für jenen Teil des

Schadens einzustehen hat, welcher aus kausaler Sicht direkt auf die von ihm

gesetzte Teilursache zurückzuführen ist6.

II. Charakteristiken der Teilschuld/anteilsmässigen Haftung

Die je anteiligen Leistungen der Schuldner sind voneinander unabhängig,

rechtlich selbständig und erfüllen nur die Verpflichtung des leistenden

Schuldners7. Werden die geschuldeten Teile jedes Schuldners zusammenge-

zählt, ergibt dies die dem Gläubiger insgesamt geschuldete Leistung8. Der

einzelne Schuldner ist nicht zur Erbringung der gesamten Leistung verpflich-

tet. Eine Teilschuld setzt eine teilbare Leistung voraus, eine Voraussetzung

die bei der Solidarität nicht verlangt ist9. Weiter unterscheidet sich die Teil-

schuld von der Solidarschuld wie gesehen dadurch, dass ein Schuldner nicht

für das Ganze, sondern nur für die von ihm geschuldete Teilschuld belangt

werden kann10

. Zudem sind die Teilforderungen anders als die Solidarschuld

rechtlich unabhängig, was bedeutet, dass die erfüllte Teilschuld eines Schuld-

ners die anderen Schuldner nicht befreit11

. Dies hat zur Folge, dass der Gläu-

biger anders als bei der Solidarschuld, wo er von einem Schuldner die ganze

Forderung einfordern kann, gegen jeden Schuldner getrennt vorgehen und die

Teilforderung einklagen muss12

. Dennoch sind die Teilschulden nicht völlig

unabhängig, ansonsten es sich um getrennte Einzelschulden handeln würde.

Die Verknüpfung der Teilschulden und damit ihre Gemeinsamkeit besteht in

5 GUHL/KOLLER, § 6 N 2; WEISS, S. 23 f.; TERCIER, N 1602; HUGUENIN, N 1433; LÄSER,

S. 55. 6 STARK, Haftpflichtrecht, N 979; SCHWEIGHAUSER, S. 159; vgl. dazu hinten S. 91 ff. die Aus-

führungen zur additiven Kausalität im Rahmen der Teilursachenkonkurrenz. 7 TERCIER, N 1475; SCHWENZER, § 88.03; HUGUENIN, N 1433.

8 KOLLER, § 75 N 7; WEISS, S. 23.

9 HUGUENIN, N 1433; WEISS, S. 24.

10 WEISS, S. 24; KELLER/SCHÖBI, S. 27.

11 KELLER/SCHÖBI, S. 27; SCHWENZER, § 88.03; HUGUENIN, N 1433.

12 TERCIER, N 1602; WEISS, S. 24; CORBOZ, S. 8.

Page 45: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 2 Mehrheit von Schuldnern: Arten und Terminologie

7

der Einheit des Entstehungsgrundes, welcher vertraglich oder gesetzlich be-

gründet sein kann13

.

III. Teilschuld/anteilsmässige Haftung als Regelfall einer

Mehrheit von Schuldnern

Die Teilschuld – und nicht die solidarische Haftung – ist gemäss Art. 143

Abs. 1 OR e contrario der Regelfall bei einer Mehrheit von Schuldnern, wo-

mit aufgrund der gesetzlichen Vermutung im Zweifelsfall eine Teilschuld an-

zunehmen ist14

. In der Praxis dürfte jedoch die Solidarschuld die Teilschuld

überwiegen15

. Im Bereich der ausservertraglichen Haftung ist dies der Fall,

weil das Gesetz (Art. 50 OR) bei einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen für

den Regelfall solidarische Haftung anordnet. Dabei darf aber nicht übersehen

werden, dass bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger in der schweizerischen

Lehre reflexartig an Solidarität gedacht wird, womit die Solidarität auch auf-

grund der Rechtsauffassung und Auslegung der Lehre und Rechtsprechung

im Bereich der Konstellationen mit einer Mehrheit Ersatzpflichtiger mehr-

heitlich zur Anwendung kommt16

.

C. Gesamtschuldnerschaft

Weiter wird in der Lehre die Gesamtschuld unterschieden, bei welcher eine

Mehrzahl an Schuldnern gemeinsam zu einer ungeteilten Leistung verpflich-

tet ist17

. Als Beispiel kann hier der Auftritt einer Musikgruppe genannt wer-

den. Charakteristisches Merkmal der Gesamtschuld besteht darin, dass die

13 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3688; WEISS, S. 25; LÄSER, S. 55.

14 Urteil des BGer 4C.228/2002 vom 18. Oktober 2002, E. 2.3; SCHWENZER, § 88.05; WEISS,

S. 25; MÜLLER, solidarité parfaite, S. 32; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3688;

ZELLWEGER, S. 40. 15

Vgl. SCHWENZER, § 88.05. 16

Vgl. hierzu die Ausführungen zu Art. 51 OR hinten S. 47 ff. sowie zur Anspruchskonkurrenz

als anteilsmässige Haftung hinten S. 71 ff. 17

Es handelt sich dabei um eine rechtliche Verpflichtung zur ungeteilten Leistung, respektive

um rechtliche Unteilbarkeit. Bei tatsächlicher Unteilbarkeit einer Sache käme Art. 70 Abs. 2

OR zur Anwendung; vgl. hierzu WEISS, S. 31 ff.

Page 46: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

8

Schuldner zu einer ungeteilten Leistung verpflichtet sind und dass die Leis-

tung nur durch ein Zusammenwirken aller Schuldner erbracht werden kann18

.

D. Einzelschuldnerschaft (Solidarität und Subsidiarität)

Im Gegensatz zur Teilschuldnerschaft ist der Schuldner bei der Einzelschuld-

nerschaft auf die ganze Leistung verpflichtet. Dies bedeutet, dass der Gläubi-

ger unter gegebenen Bedingungen von jedem Schuldner die ganze Leistung

fordern kann19

. Hierbei muss unterschieden werden, ob jeder der mehreren

Schuldner unter den gleichen oder unter unterschiedlichen Voraussetzungen

zur Leistung verpflichtet ist20

.

Unterliegen alle Schuldner den gleichen Voraussetzungen zur Leistungs-

pflicht, handelt es sich um die (passive) Solidarität, bei welcher der Gläubi-

ger von jedem Schuldner den ganzen Betrag verlangen kann, was zur Folge

hat, dass die Schuld getilgt ist, sobald ein Schuldner die ganze Leistung er-

bringt21

.

Unterscheiden sich die Voraussetzungen der Verpflichtung (dies ist bspw.

beim Verhältnis Hauptschuldner und Bürge der Fall), haften zwar alle

Schuldner auf den ganzen Betrag, doch haftet einer der Schuldner primär und

der andere nur subsidiär für den Fall, dass die Leistung des Hauptverpflich-

teten nicht erfolgt22

.

18 Vgl. SCHWENZER, § 88.06; vgl. aber KOLLER, § 75 N 8, welcher darauf hinweist, dass die

Auffassung, dass das Merkmal des Zusammenwirkens zwingend ist, aus dem deutschen Recht

stammt und für die Schweiz durch Art. 603 Abs. 1 ZGB widerlegt ist; vgl. weiter GAUCH/

SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3694 ff., welche darauf hinweisen, dass eine gemein-

schaftliche Schuldnerschaft überaus selten ist und dass im Gesetz für Gesamtschuldner eine

solidarische Haftung vorgesehen ist (Art. 603 Abs. 1 OR; Art. 544 Abs. 3 OR), respektive bei

schuldhafter Nichterfüllung die sekundäre Schadenersatzpflicht der mehreren Schuldner ohne-

hin als solidarische Haftung ausgestaltet ist. 19

GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3689 ff.; SCHWENZER, § 88.18. 20

Gemäss TERCIER, N 1479 können die Schuldner „égaux“ oder „inégaux“ sein. 21

Vgl. zum Begriff der solidarischen Haftung nachfolgend ab S. 10 ff. Die Solidarschuld kann

sich dabei sowohl auf teilbare wie auch auf unteilbare Leistungen gemäss Art. 70 Abs. 2 OR

beziehen; vgl. hierzu WEISS, S. 26 ff.; GUHL/KOLLER, § 6 N 4, welche in diesem Zusammen-

hang von „formaler Solidarität“ sprechen; vgl. weiter KOLLER, § 75 N 2; GAUCH/SCHLUEP/

SCHMID/EMMENEGGER, N 3697 ff. 22

Vgl. hierzu KOLLER, § 75 N 5; GUHL/KOLLER, § 6 N 3; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMEN-

EGGER, N 3692; TERCIER, N 1479; WEISS, S. 35 ff.; a.A. SCHWENZER, § 88.01, welche an-

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§ 2 Mehrheit von Schuldnern: Arten und Terminologie

9

E. Fazit

Eine Mehrzahl von Ersatzpflichtigen existiert in verschiedensten Konstella-

tionen mit den sich daraus ergebenden Auswirkungen auf die rechtliche Be-

urteilung der Mehrzahl. Die praktisch wichtigste, respektive die am meisten

beachtete Konstellation einer Mehrzahl von Schuldnern oder Ersatzpflichti-

gen ist die (passive) solidarische Haftung im Rahmen der Einzelschuldner-

schaft. Sie ist im Bereich des Haftpflichtrechts in Art. 50 OR als echte Soli-

darität geregelt. Auf sie wird in der vorliegenden Arbeit insbesondere einge-

gangen.

Genauso wird aber auch die anteilsmässige Haftung (Teilschuldnerschaft)

behandelt, denn diese ist in ihrer Relevanz mindestens auf der gleichen Ebene

anzusiedeln wie die Solidarität. Auch wenn ihr bei einer Mehrzahl Haft-

pflichtiger nicht die gleiche Aufmerksamkeit widerfährt wie der Solidarität,

stellt sie doch die grundlegende Konstellation der Haftbarkeit einer Mehrheit

Ersatzpflichtiger dar23

.

nimmt, dass im Falle einer akzessorischen oder subsidiären Haftung kein Fall einer Schuld-

nermehrheit vorliegt. Dem ist nicht zuzustimmen, da für eine Mehrzahl an Schuldnern der de-

finierende Aspekt darin liegt, dass für eine Schuld nicht eine, sondern mehrere Personen (auf

den ganzen Betrag) haften. 23

Vgl. dazu die Ausführungen zur Anspruchskonkurrenz hinten S. 71 ff.

Page 48: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

10

§ 3 Die solidarische Haftung

A. Begriff der solidarischen Haftung

I. Definition

Die praktisch wichtigste und am häufigsten zur Anwendung gelangende

Konstruktion einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen besteht in der solidari-

schen Haftung. Terminologisch werden auch die Begriffe Solidarschuld, Ge-

samtschuld oder (passive) Solidarität verwendet24

.

Im schweizerischen Obligationenrecht ist die solidarische Haftung für alle

Obligationen in Art. 143 ff. OR und speziell für das ausservertragliche Haf-

tungsrecht in Art. 50 und 51 OR geregelt25

. Es ist zu unterscheiden zwischen

der Entstehung einer solidarischen Haftung aus einer gesetzlichen oder einer

vertraglichen Verpflichtung. Im Bereich der ausservertraglichen Haftung in-

teressiert die gesetzliche Anordnung der Solidarität26

.

Die Solidarschuld definiert sich dadurch, dass in einem Rechtsverhältnis ei-

nem Gläubiger mehrere Schuldner gegenüberstehen, wobei jeder der mehre-

ren Schuldner im Aussenverhältnis (zwischen Gläubiger und Schuldner) für

den ganzen Schaden einstehen muss, der Gläubiger aber die Wahl hat, ob er

von jedem Schuldner je nur einen Teil der Leistung oder aber das Ganze for-

dert, wobei die Leistung aber gesamthaft nur einmal geschuldet ist27

.

II. Überblick

Ein Schädiger kann sich im Aussenverhältnis nicht darauf berufen, für den

Gesamtschaden nur eine Teilursache gesetzt zu haben, respektive nur für den

24 Vgl. dazu KOLLER, § 75 N 12 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3701 ff.

25 Für die Verantwortlichkeitsklage bei der Aktiengesellschaft gilt Art. 759 OR.

26 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3701 ff., mit einer Auflistung der Hauptfäl-

le der Entstehung von Solidarität von Gesetzes wegen. 27

Vgl. WEISS, S. 15; ähnlich auch HABLÜTZEL, S. 5; vgl. auch GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EM-

MENEGGER, N 3689 ff.

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§ 3 Die solidarische Haftung

11

von ihm verursachten Anteil am Schaden zu haften28

. Aus Sicht des Geschä-

digten bedeutet dies, dass er von jedem Schädiger den ganzen Schaden (oder

einen Teil des Schadens) verlangen kann (sog. Anspruchskonkurrenz29

im

Sinne eines Wahlrechts des Gläubigers) 30

.

Dem Gläubiger kann aber der Schaden insgesamt nur einmal ersetzt wer-

den31

. Die Schuldner bleiben zur Leistung verpflichtet, bis die ganze Forde-

rung des Gläubigers getilgt ist32

. Erfüllen ein oder mehrere Schuldner die

ganze Forderung des Gläubigers, erlöschen die Verpflichtungen der anderen

Schuldner dem Gläubiger gegenüber33

. Der zu viel leistende Schuldner hat

nun ein Rückgriffsrecht gegenüber den Mitschuldnern für den geleisteten

Mehrbetrag, respektive besteht konkurrierend im Sinne einer Subrogations-

forderung die Schuld weiter, nun im Innenverhältnis zwischen den Schuld-

nern, wobei die Schuld per Subrogation auf den im Aussenverhältnis leisten-

den Schuldner übergeht34

.

III. Mechanismus

Die Solidarität ist präzise betrachtet ein wertender, gesetzgeberischer, re-

spektive rechtspolitischer Eingriff in den Mechanismus der Kausalität35

, wel-

che das (kausale) Verbindungsglied zwischen den von den Schädigern ge-

28 OFTINGER/STARK, § 10 N 11, 33; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 541; HABLÜTZEL, S. 5; TER-

CIER, N 1482; HONSELL, § 11 N 2. 29

Vgl. statt aller OFTINGER/STARK, § 10 N 20; STUCKI, S. 3 ff.; SCHWEIGHAUSER, S. 159. 30

Vgl. Art. 144 Abs. 1 OR, wobei die Solidarschuldner in der Regel die gleiche Leistung zu

gleichen Modalitäten zu erbringen haben. Insbesondere bei einer Haftung aus verschiedenen

Rechtsgründen kann aber ein Schuldner auch zu einer individuellen Mehrleistung verpflichtet

sein. Die Solidarität geht diesfalls bis zum geringsten gemeinsamen Betrag; vgl. GAUCH/

SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3709 f.; REY, N 1407; BGE 106 II 250, E. 3; zu beachten

ist auch, dass der Gläubiger die angebotene Leistung annehmen und sich Verrechnungseinre-

den gefallen lassen muss, vgl. GUHL/KOLLER, § 6 N 17. 31

HONSELL, § 11 N 2, 19; REY, N 1407; SCHWENZER, § 88.18. 32

Vgl. Art. 144 Abs. 2 OR. 33

Vgl. Art. 147 Abs. 1 OR; OFTINGER/STARK, § 10 N 35; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 541;

SCHWENZER, § 88.24 ff. 34

Vgl. Art. 148 Abs. 2 OR und Art. 149 Abs. 1 OR; vgl. für die ganze Thematik ausführlich

KOLLER, § 75 N 64 ff.; REY, N 1485 ff., insbesondere N 1493 ff. und N 1498 ff.; vgl. weiter

auch GUHL/KOLLER, § 6 N 20 ff.; SCHWENZER, § 88.36, 40; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EM-

MENEGGER, N 3745 ff.; HONSELL, § 11 N 15, 25 ff. 35

Vgl. für den Zusammenhang zwischen Solidarität und Kausalität hinten S. 67 ff.

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Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

12

schaffenen Ursachen (des Schadens) und dem dem Geschädigten entstande-

nen Schaden darstellt36

. Diese Konstruktion begünstigt den Geschädigten,

denn er kann sich an den zahlungskräftigsten Schädiger wenden und muss

sich nicht damit befassen, welcher der mehreren Schädiger in welchem Um-

fang zum Schaden beigetragen hat. Zudem trägt der Geschädigte nicht das

Risiko einer allfälligen Zahlungsunfähigkeit eines Schädigers37

.

B. Gesetzliche Grundlagen

Die gesetzlichen Grundlagen der solidarischen Haftung finden sich im

schweizerischen Obligationenrecht in Art. 143 ff. OR und sind systematisch

in einem eigenen vierten Titel als „besondere Verhältnisse bei Obligationen“

mit Bezug auf alle möglichen Arten von Obligationen geregelt38

. Speziell

dem Aussenverhältnis der solidarischen Haftung widmen sich die Art. 144–

147 OR, welche gemäss Marginalie das „Verhältnis zwischen Gläubiger und

Schuldner“ behandeln. Grundsätzlich sind die Bestimmungen von Art. 144–

149 OR (Aussenverhältnis und Innenverhältnis) auf beliebige Solidarschul-

den anwendbar39

.

Im Bereich des ausservertraglichen Haftungsrechts ist insbesondere Art. 143

Abs. 2 OR relevant, welcher bestimmt, dass ohne eine Willenserklärung im

Sinne von Art. 143 Abs. 1 OR eine solidarische Haftung nur in den vom Ge-

setz bestimmten Fällen (numerus clausus) entstehen kann. Daraus ergibt sich,

dass eine solidarische Haftung einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen grund-

sätzlich auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen muss40

. Eine der wichtigs-

ten Bestimmungen dieser vom Gesetz vorgesehenen Fälle ist für das ausser-

vertragliche Haftungsrecht die Regelung in Art. 50 OR41

. Nur indirekt mit

36 Vgl. hierzu OFTINGER/STARK, § 10 N 10, welche festhalten, dass rein kausalitätsmässig jeder

Schädiger für den von ihm verursachten Teil des Schadens haften müsste, was einer anteils-

mässigen Haftung entspräche; vgl. weiter HABLÜTZEL, S. 5. 37

In diesem Zusammenhang wird auch von der „Paschastellung“ des Geschädigten gesprochen,

vgl. WEBER, einheitliche Lösung, S. 341; KOLLER, § 75 N 45; ROBERTO, Haftpflichtrecht,

N 541 f.; HONSELL, § 11 N 2; GUHL/KOLLER, § 6 N 18. 38

Genau gleich verfährt das IPRG, welches in einem vierten Abschnitt die gemeinsamen Be-

stimmungen für das Obligationenrecht des IPRG enthält; vgl. Art. 143 ff. IPRG. 39

KOLLER, § 75 N 37 ff., m.w.H.; BGE 4C.103/2006, E. 4.1; BGE 4C.27/2003. 40

GUHL/KOLLER, § 6 N 6 ff. mit vielen Beispielen; KELLER/SCHÖBI, S. 6 ff.; REY, N 1424. 41

Vgl. zu Art. 50 und 51 OR nachfolgend ausführlich hinten S. 31 ff.

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§ 3 Die solidarische Haftung

13

dem Aussenverhältnis und direkt mit dem Innenverhältnis der solidarischen

Haftung befasst sich demgegenüber Art. 51 OR42

.

Spezialgesetzliche Bestimmungen zur solidarischen Haftung finden sich bei-

spielsweise in Art. 60 Abs. 1 und Abs. 2 SVG, Art. 61 Abs. 3 SVG sowie

Art. 75 SVG, Art. 7 PrHG, Art. 3 Abs. 4 KHG, Art. 30 ElG, Art. 33 Abs. 1

RLG sowie Art. 66 LFG43

.

C. Entstehung und Zweck der Solidarität

I. Entstehung des heutigen Systems der Solidarität

Ein kurzer Einblick in die Entwicklung der Solidarität zeigt, dass diese An-

sicht nicht immer so geteilt wurde. Im frühen römischen Recht konnte der

Geschädigte bei einem gemeinsam von mehreren Schädigern verübten Delikt

von jedem der Schädiger (kumulativ) die gesamte Schadenssumme verlangen

und somit am Schluss besser gestellt sein als vor dem Delikt. Damit wurde

der pönale Charakter der Obligation betont. Später setzte sich im römischen

Recht die Auffassung durch, dass der Schaden und dessen Ersatz im Rahmen

des Bereicherungsverbotes im Mittelpunkt stehen, womit der pönale Aspekt

in den Hintergrund trat44

.

Heute ist es selbstverständlich, dass eine Mehrheit von Ersatzpflichtigen in

der Regel solidarisch haftet. Das schweizerische Recht kennt eine grundsätz-

liche Regel zur Entstehung der Solidarität in Art. 143 OR, dessen Abs. 1 sich

42 Das Innenverhältnis regelt sich in Art. 50 Abs. 2 und Art. 51 OR, wobei auch Art. 51 OR im-

plizit eine solidarische Haftung voraussetzt, vgl. REY, N 1437 f.; BREHM, BK-OR, N 17 zu

Art. 51 OR; demgegenüber befasst sich Art. 148 OR nicht speziell mit dem ausservertragli-

chen Haftungsrecht und sieht als subsidiäre Bestimmung unter Solidarschuldnern vor, dass

diese im Regress je einen gleichen Teil übernehmen. Da beim Haftungsausgleich im ausser-

vertraglichen Haftungsrecht (Art. 51 OR) zwischen mehreren Schädigern im Zweifel nicht

nach gleichen Teilen aufgeteilt wird, sondern der Richter nach Ermessen urteilt, wobei in ers-

ter Linie auf die Schwere des Verschuldens abgestellt wird, kommt hier die Regel von

Art. 148 OR nicht zur Anwendung; vgl. hierzu ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 544 f.;

GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3737 f.; SCHWENZER, § 88.31 f.; GAUTSCHI,

N 153 ff. 43

Vgl. hierzu OFTINGER/STARK, § 10 N 14; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3701;

KOLLER, § 75 N 25 ff.; WEISS, S. 51. 44

STUCKI, S. 1 f., m.w.H.; vgl. für einen geschichtlichen Überblick zur Entstehung und Ent-

wicklung der Solidarität WEISS, S. 5 ff.

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Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

14

mit der vertraglichen Entstehung der Solidarität beschäftigt45

. Demgegenüber

befasst sich Abs. 2 mit der gesetzlichen Entstehung der Solidarität, wobei der

praktisch wichtige Anwendungsfall für das ausservertragliche Haftpflicht-

recht in Art. 50 und Art. 51 OR geregelt ist.

II. Zweck der Solidarität

Grundsätzlich gibt es verschiedenste Möglichkeiten, um einen Schaden auf

eine Mehrheit von Schuldnern aufzuteilen46

. Betrachtet man die Problematik

der Solidarität rein logisch-kausal, müsste man den Schaden gemäss Anteil

am Schaden respektive der Schadenverursachung festlegen47

. Jeder Schädiger

würde demnach für den von ihm verursachten Anteil des Schadens haften. Es

stellte sich hierbei jedoch das schwierige Unterfangen, die Anteile kausali-

tätsmässig festzulegen.

Daher hat der Gesetzgeber mit der Konstruktion der Solidarität einen rechts-

politischen Wertungsentscheid im Sinne eines Eingriffs in den Kausalitäts-

mechanismus vorgenommen. Denn eine anteilsmässige Haftung der Schädi-

ger würde mit schwerwiegenden Nachteilen für den Geschädigten einherge-

hen. Der Geschädigte hätte den Beweis für die verschiedenen Kausalanteile

zu erbringen und müsste sich materiell und prozessual um jeden Schadenan-

teil kümmern. Zudem würde er das jeweilige Prozessrisiko sowie das Risiko

tragen, dass einer der Schädiger zahlungsunfähig würde und seinen Anteil am

Schaden nicht begleichen könnte48

.

45 Vgl. für einen Überblick über die vertragliche Entstehung der solidarischen Haftung gemäss

Art. 143 Abs. 1 OR WEISS, S. 39 ff. 46

Neben der solidarischen Haftung mit Rückgriff unter den Solidarschuldnern fällt neben einer

anteilsmässigen Haftung die Konstruktion der solidarischen Haftung ohne Rückgriff oder die

im frühen römischen Recht verankerte kumulative solidarische Haftung in Betracht; vgl. hier-

zu auch OFTINGER/STARK, § 10 N 12 FN 15. 47

OFTINGER/STARK, § 10 N 10 f.; HABLÜTZEL, S. 11 f. 48

STUCKI, S. 1; OFTINGER/STARK, § 10 N 12; HABLÜTZEL, S. 11.

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§ 3 Die solidarische Haftung

15

Diese Gründe haben zur heute gültigen Konstruktion der Solidarität geführt,

welche die Stellung des Gläubigers erheblich stärkt49

. Damit ergibt sich als

eigentlicher Zweck der Solidarität das Unterfangen, die Stellung des Gläubi-

gers gegenüber der Schuldnermehrheit zu stärken50

. Diese Stärkung des

Gläubigers zeigt sich insbesondere im Vergleich der Solidarität mit der Teil-

schuld51

. Wenn bei der Teilschuld ein Schuldner für seinen Teil der Leistung

nicht aufkommt, müssen die übrigen Teilschuldner nicht für den Ausfall ein-

stehen, das Liquiditätsrisiko verbleibt beim Gläubiger52

.

Begründet wird diese Privilegierung des Gläubigers damit, dass es immerhin

nicht in seiner Macht steht zu wählen, ob der ihm entstandene Schaden durch

eine oder mehrere Schädiger verursacht worden ist. Deshalb soll er bis zu

Begleichung der ganzen Schadenssumme gegenüber jedem Schädiger so ge-

stellt werden, wie wenn er nur einem Schädiger gegenüberstehen würde. Die-

se als ein Fundamentalsatz des Haftpflichtrechts bekannte Konstruktion führt

zur erwähnten Folge, dass jeder Schädiger bis zur Deckung der ganzen For-

derung für die ganze (oder nach Wahl des Gläubigers auch nur für einen Teil

der) Forderung einstehen muss und die kausalitätsgerechte Aufteilung unter

den Schuldnern auf das Innenverhältnis verlegt wird53

. Das Liquiditätsrisiko

trägt somit nicht mehr der Gläubiger, sondern der oder die vom Gläubiger ins

Recht gefassten Schuldner, welche zwar auf die Mitschuldner Rückgriff

nehmen können, dabei jedoch das Risiko der Zahlungsunfähigkeit eines oder

mehrerer Schuldner tragen müssen54

.

49 BGE 93 II 329, E. 3; WEISS, S. 21; KELLER/SCHÖBI, S. 8; ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 1

zu Art. 143 OR, welche den Zweck der solidarischen Haftung in der „dadurch ermöglichten

vollständigern und sicheren Rechtsverfolgung […] ausschliesslich im Interesse des Gläubi-

gers“ sehen; SCHWENZER, § 88.18 bezeichnet den Gläubiger in diesem Zusammenhang als

„juristischen Pascha“. 50

BGE 93 II 329, E. 3.a; vgl. statt aller WEISS, S. 21. 51

Vgl. zur Teilschuld vorne S. 5 ff. 52

WEISS, S. 21. 53

OFTINGER/STARK, § 10 N 11; STUCKI S. 1 f.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 341 f.; REY,

N 1403 f. 54

WEISS, S. 21; vgl. auch Art. 216 SchKG, welcher festhält, dass der Gläubiger in jedem Kon-

kurs seine Forderung im vollen Betrag geltend machen kann, wenn mehrere Solidarschuldner

gleichzeitig in Konkurs fallen. Jedoch fällt ein allfälliger Überschuss nach Massgabe der unter

den Mitverpflichteten bestehenden Rückgriffsrechte an die Massen zurück, wenn die Zutei-

lungen aus den verschiedenen Konkursmassen mehr als den Betrag der ganzen Forderung er-

geben; vgl. hierzu KOLLER, § 75 N 48.

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Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

16

§ 4 Das Aussenverhältnis der solidarischen Haftung

gemäss Art. 144–147 OR

A. Einleitung

Da sich diese Arbeit mit Rechtsbeziehung zwischen einer geschädigten Per-

son (Gläubiger) und einer Mehrheit von Schädigern (Schuldnern), also dem

sog. Aussenverhältnis einer Mehrheit Ersatzpflichtiger befasst55

, werden

nachfolgend die spezifisch das Aussenverhältnis betreffenden Aspekte der

Solidarität (Art. 144–147 OR) näher beleuchtet.

B. Das Wahlrecht des Gläubigers gemäss Art. 144 OR

Gemäss Art. 144 Abs. 1 OR kann der Gläubiger nach seiner Wahl von allen

Solidarschuldnern je nur einen Teil oder das Ganze fordern56

. Der Gläubiger

ist an keine Reihenfolge gebunden, er kann einen Schuldner allein auf einen

Teilbetrag oder den gesamten Betrag belangen und auch sukzessive die ver-

schiedenen Schuldner hintereinander einklagen57

.

Die Forderung ist erfüllbar, sobald sie fällig ist. Jeder Solidarschuldner ist bei

Fälligkeit berechtigt, die Forderung zu erfüllen. Der Gläubiger muss die ihm

angebotene Leistung annehmen. Somit kann ein Schuldner unter Umständen

der Wahl des Gläubigers zuvorkommen und dadurch das Wahlrecht des

Gläubigers einschränken58

.

Gemäss Art. 144 Abs. 2 OR bleiben sämtliche Schuldner so lange verpflich-

tet, bis die ganze Forderung getilgt ist. Diese Regelung verschafft dem Gläu-

biger eine vorteilhafte Stellung, er soll nicht die mit einer Mehrheit von

Schuldnern einhergehenden Risiken (Prozess, Insolvenz, Beweis) tragen

55 Ist die dem Geschädigten geschuldete Leistung von einem oder mehreren Schädigern erfüllt,

sind die übrigen Schädiger von ihrer Leistungspflicht gegenüber dem Geschädigten befreit

und es stellen sich nun die Fragen aus dem Regressverhältnis (Innenverhältnis) zwischen den

Schuldnern. 56

SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 1 zu Art. 144 OR; SCHWENZER, § 88.18; WERRO, responsabi-

lité civile, N 1606. 57

GAUTSCHI, S. 17; OFTINGER/STARK, § 10 N 36. 58

GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3708 ff.; GUHL/KOLLER, § 6 N 17.

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§ 4 Aussenverhältnis der Solidarität gemäss Art. 144–147 OR

17

müssen und allgemein so vorgehen können, wie wenn er nur einem Schuld-

ner gegenüber stehen würde. In der Praxis wird sich der Gläubiger an jenen

Schuldner wenden, gegen welchen er die Forderung am einfachsten durchset-

zen kann59

.

Will der Gläubiger die solidarische Haftbarkeit der Schuldner bewirken,

muss er dies vor Gericht geltend machen und die verschiedenen Haftpflichti-

gen solidarisch einklagen, denn die Erfüllungsmodalität der Solidarität wird

nicht von Amtes wegen berücksichtigt und die Schuldner würden ansonsten

nur zu anteilsmässiger Haftung verurteilt60

. Somit muss der Schuldner verlan-

gen, dass die Solidarschuldner unter solidarischer Haftbarkeit zur Bezahlung

der Forderung verurteilt werden, wobei der Gläubiger in diesem Fall sein

Wahlrecht erst bei der Vollstreckung ausübt61

.

C. Grundsatz der Selbständigkeit der Verpflichtungen der

Solidarschuldner (Art. 145–147 OR)

I. Selbständige Forderungen

Grundsätzlich sind die Verpflichtungen der einzelnen Solidarschuldner von-

einander unabhängig und haben ihr eigenes rechtliches Schicksal62

. Dieser

nicht kodifizierte Grundsatz zieht sich durch Art. 145–147 OR und hat zur

Folge, dass sich die einzelnen Solidarschulden gegenseitig grundsätzlich

nicht beeinflussen63

.

Heute ist es in der Lehre und Rechtsprechung unbestritten, dass dem Gläubi-

ger die Solidarschuldner mit mehreren selbständigen Schulden gegenüber

stehen (Mehrheitstheorie)64

. Überholt sein dürfte die Ansicht, dass es sich bei

der Solidarschuld um eine einzige Schuld handelt, die sich auf mehrere Soli-

59 ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 542; WEISS, S. 21; GAUTSCHI, S. 17.

60 BREHM, BK-OR, N 54 zu Art. 50 OR und N 7 zu Art. 51 OR.

61 OFTINGER/STARK, § 10 N 36.

62 KOLLER, § 75 N 51.

63 Zu den Ausnahmen zählt bspw. Art. 136 Abs. 1 OR, gemäss welchem die Unterbrechung der

Verjährung gegen einen Solidarschuldner grundsätzlich auch gegen die übrigen Schuldner

wirkt; vgl. zur Thematik des Zusammenspiel von Solidarität und Verjährung WEISS, S. 83 ff. 64

Vgl. statt aller WEISS, S. 18 ff., mit umfassenden Hinweisen auf Lehre um Rechtsprechung.

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Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

18

darschuldner aufteilt (Einheitstheorie)65

. Der Wortlaut der Art. 144–147 OR

führt noch zu keinem eindeutigen Ergebnis für oder wider die eine der beiden

Theorien, hält doch Art. 144 Abs. 2 OR fest, dass die Schuldner verpflichtet

bleiben, bis die „ganze Forderung“ getilgt ist, was für eine einzige Forderung

gemäss der Einheitstheorie sprechen würde. Demgegenüber spricht der Sinn

von Art. 145–147 OR für eine Mehrzahl an einzelnen Forderungen gemäss

der Mehrheitstheorie, unterliegen diese Bestimmungen doch dem Grundsatz

der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Verpflichtungen der Solidar-

schuldner. Insbesondere Art. 147 Abs. 2 OR, gemäss welchem der Gläubiger

einzelne Solidarschuldner von der Schuld befreien kann, die anderen aber

weiterhin für die Schuld solidarisch haften, zeigt klar, dass mehrere Schulden

bestehen66

.

II. Einreden der Schuldner (Art. 145 OR)

Gemäss Art. 145 Abs. 1 OR kann der Solidarschuldner dem Gläubiger nur

solche Einreden entgegensetzen, die entweder aus seinem persönlichen Ver-

hältnissen zum Gläubiger oder aus dem gemeinsamen Entstehungsgrund oder

Inhalt der solidarischen Verbindlichkeit hervorgehen67

. Damit meint Art. 145

Abs. 1 OR, dass der Schuldner nur eigene Einreden und Einwendungen ent-

gegensetzen kann und nicht auch solche der Mitschuldner. Dies kann bspw.

die Einrede sein, die Schuld bestehe nicht oder nicht mehr oder die Schuld sei

noch nicht fällig68

. Weiter können es auch Einreden sein, welche allen Soli-

darschuldnern gleichermassen zustehen, wie bspw. die Verjährungseinrede69

.

Jedoch kann ein Solidarschuldner nicht einwenden, die Schuld eines Mit-

schuldners sei verjährt70

.

65 Vgl. REY, N 1416.

66 BECKER, BK-OR, N 8 vor Art. 143–150 OR; KOLLER, § 75 N 62; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/

EMMENEGGER, N 3735; REY, N 1415 f.; HABLÜTZEL, S. 7; vgl. auch ausführlich WEISS,

S. 18 ff. 67

Vgl. hierzu ausführlich GAUTSCHI, S. 19 ff. 68

KELLER/SCHÖBI, S. 9. 69

SCHWENZER, § 88.19; KOLLER, § 75 N 52. 70

Zu den persönlichen Einreden gehören die Verjährungseinrede, die Stundungseinrede, die

Einrede, die Schuld sei erlassen worden oder auch die Einrede, die Schuld sei wegen persönli-

cher Umstände herabzusetzen (Art. 43 OR), vgl. hierzu KOLLER, § 75 N 52 f.; SCHWENZER,

§ 88.19.

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§ 4 Aussenverhältnis der Solidarität gemäss Art. 144–147 OR

19

Es ist im Interesse aller Solidarschuldner, dass der vom Gläubiger belangte

Schuldner Einreden macht, welche der Stellung der Solidarschuldner hel-

fen71

. Jeder Schuldner ist daher gemäss Art. 145 Abs. 2 OR den anderen Soli-

darschuldnern gegenüber verpflichtet, ein gemeinsames Einrederecht geltend

zu machen. Unterlässt er dies schuldhaft, wird er den geschädigten Schuld-

nern dadurch verantwortlich, dass er sein Regressrecht aus Art. 148 OR ver-

liert72

.

III. Persönliche Handlungen der Schuldner (Art. 146 OR)

In Art. 146 OR wird festgehalten, dass ein Solidarschuldner durch seine per-

sönliche Handlung grundsätzlich die Lage der anderen Solidarschuldner nicht

erschweren kann. Damit ist sowohl rechtsgeschäftliches Handeln (bspw. der

Verzicht auf die Verjährungseinrede) wie auch nicht rechtsgeschäftliches

Handeln (bspw. ein vertragswidriges Verhalten) gemeint73

. Individuelle Ver-

einbarungen zwischen dem Gläubiger und einem Solidarschuldner wirken

nur zulasten dieses Schuldners und nicht zulasten der anderen Solidarschuld-

ner74

. Umgekehrt wirken auch die Handlungen des Gläubigers nur zulasten

des betreffenden Schuldners. Somit kann auch der Gläubiger mit seinen

Handlungen die Rechtslage der übrigen Schuldner nicht erschweren75

.

Eine gewichtige Ausnahme vom Grundsatz, dass persönliche Handlungen

nur für den jeweiligen Schuldner wirken, stellt Art. 136 OR dar. Dieser hält

fest, dass die Unterbrechung der Verjährung gegenüber einem Schuldner

auch gegenüber den anderen Solidarschuldnern wirkt76

. Verzichtet ein Soli-

71 KELLER/SCHÖBI, S. 9 f.

72 BECKER, BK-OR, N 4 zu Art. 145 OR; KOLLER, § 75 N 55 und N 108; SCHNYDER, BSK-

OR 2007, N 4 zu Art. 145 OR; GAUTSCHI, S. 22; KELLER/SCHÖBI, S.10. 73

GUHL/KOLLER, § 6 N 19; BECKER, BK-OR, N 1 zu Art. 146 OR; SCHWENZER, § 88.21;

KOLLER, § 75 N 56; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3723 ff. 74

SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 1 zu Art. 146 OR. 75

KOLLER, § 75 N 57. 76

Vgl. zur Unterbrechung der Verjährung aber die von der Rechtsprechung getroffene Unter-

scheidung in echte und unechte Solidarität hinten S. 43.

Page 58: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

20

darschuldner auf die Verjährungseinrede, kann dies den anderen Solidar-

schuldnern aber nicht entgegengehalten werden (Art. 141 Abs. 2 OR)77

.

IV. Erlöschen der Solidarschuld (Art. 147 OR)

Art. 147 Abs. 1 OR hält den schon in Art. 144 Abs. 2 OR ersichtlichen

Grundsatz fest, dass die Erfüllung der Forderung durch einen Solidarschuld-

ner auch die übrigen Solidarschuldner befreit78

. Die Erfüllung der Forderung

kann durch Zahlung, aber auch durch Erfüllungssurrogate wie bspw. durch

Verrechnung geschehen79

. Wird der Gläubiger nur teilweise befriedigt, bleibt

für die Restforderung Solidarität bestehen.

Wird ein Solidarschuldner aber ohne Befriedigung des Gläubigers befreit, so

wirkt gemäss Art. 147 Abs. 2 OR die Befreiung zugunsten der andern nur so

weit, als im Einzelfall die Umstände oder die Natur der Verbindlichkeit es

rechtfertigen. Als Beispiele für diese im Einzelfall zu prüfende Befreiung

können der Erlass (Art. 115 OR), der Vergleich oder die Neuerung (Art. 116

OR) genannt werden. Hierbei ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die be-

freiende Vereinbarung für alle oder nur für den betroffenen Solidarschuldner

Gültigkeit haben soll80

.

77 Ein Gerichtsurteil kann grundsätzlich nur den involvierten Prozessparteien entgegengehalten

werden. Die durch das Urteil entstehende Verjährungsunterbrechung gilt aber auch für die üb-

rigen Solidarschuldner; SCHWENZER, § 88.23. 78

OFTINGER/STARK, § 10 N 35. 79

SCHWENZER, § 88.22. 80

Vgl. ausführlich zur Befreiung eines Solidarschuldners ohne Befriedigung des Gläubigers

KOLLER, § 75 N 110 ff., welcher darauf hinweist, dass die Auswirkungen in Lehre und Recht-

sprechung stark umstritten sind und sich die verschiedenen Befreiungsgründe nicht nach ein-

heitlichen Regeln beurteilen lassen. Zu unterscheiden ist insbesondere, ob die Befreiung auf

einer gesetzlichen oder einer vertraglichen Grundlage beruht; zur gesetzlichen Befreiung vgl.

bspw. BGE 130 III 362, E. 5.2; zur auf einem Vertrag beruhenden Befreiung (Vergleich) vgl.

BGE 107 II 226, E. 3 f., wobei zu beachten ist, dass bei der Befreiung im Aussenverhältnis

auch das Regressverhältnis neu zusammengesetzt wird. Es kann dem Sinn der Vergleichsre-

gelung entsprechen, dem Schuldner einen Rückgriff zu ersparen, womit dann den übrigen

Schuldnern die geschuldete Forderung um den Betrag herabgesetzt wird, welcher der befreite

Schuldner im Innenverhältnis geschuldet hätte. So hält BGE 133 III 116, E. 4.2 f. fest: „So-

weit keine Befreiung der anderen Mitschuldner eintritt, hat dies zur Folge, dass sie nach einer

Belangung durch den Gläubiger für mehr als ihre Anteile gestützt auf Art. 148 Abs. 2 OR

Rückgriff auf den vom Gläubiger individuell befreiten Schuldner nehmen können und dieser

damit mehr als mit dem Gläubiger vereinbart zu zahlen hat, wodurch der Vergleich für ihn il-

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§ 4 Aussenverhältnis der Solidarität gemäss Art. 144–147 OR

21

lusorisch wird […]. Erlässt der Gläubiger einem im Innenverhältnis allein haftenden Schuld-

ner im Vergleich die Schuld teilweise mit der Massgabe, dass ihn auch auf dem Rückgriffs-

weg keine weitere Verpflichtung treffen sollte, ist darin daher ein Umstand zu sehen, der nach

Art. 147 Abs. 2 OR eine Befreiung der Mitschuldner zur Folge hat. […] Im Übrigen ist nach

der bundesgerichtlichen Rechtsprechung durch Auslegung des Vergleichs zu ermitteln, ob

(und inwieweit) die Befreiung auch für die übrigen Solidarschuldner gelten soll.“; vgl. auch

SCHWENZER, § 88.24 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3716 ff.

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Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

22

§ 5 Anspruchskonkurrenz und Solidarität

A. Einleitung

Die Anspruchskonkurrenz wird in der schweizerischen Lehre und Rechtspre-

chung in der Regel synonym mit der Solidarität respektive der „unechten“

Solidarität genannt81

. Nachfolgend wird dargestellt, woher der Begriff der

Anspruchskonkurrenz stammt, wie er mit der Solidarität zusammenhängt und

worin die Gemeinsamkeiten sowie die Unterschiede bestehen.

B. Die Anspruchskonkurrenz als Nebeneinander von

Ansprüchen des Geschädigten gegenüber einem

Schädiger

Der Grundsatz der Anspruchskonkurrenz bezieht sich im schweizerischen

Haftpflicht grundsätzlich auf den Umstand, dass sich ein ausservertraglich

Geschädigter bei Vorhandensein vorbestehender (bspw. vertraglicher)

Rechtsbeziehungen zum Schädiger sowohl auf die vorbestehenden Rechtsbe-

ziehungen als auch auf das Haftpflichtrecht berufen kann82

. Beispielsweise

kann ein Geschädigter Schadenersatz gestützt auf Vertrag verlangen und pa-

rallel dazu gleichzeitig einen Schadenersatzanspruch gestützt auf das aus-

servertragliche Haftpflichtrecht geltend machen83

. Aus Sicht des Geschädig-

ten liegen konkurrierende Ansprüche oder eben Anspruchskonkurrenz vor84

.

81 Vgl. bspw. STARK, Haftpflichtrecht, N 987: „Der Anspruchskonkurrenz entspricht der Grund-

satz der Solidarität.“; vgl. weiter KELLER/GABI, S. 132; OFTINGER S. 338, S. 341; BREHM,

BK-OR, N 6 ff. zu Art. 51 OR; WEISS, S. 20; OFTINGER/STARK, § 10 N 20 und § 11 N 45;

SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 1 zu Art. 143 OR; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 5 zu

Art. 51 OR; ENGEL, S. 838; BGE 115 II 42, E. 1.a; BGE 93 II 317, E. 2.e: „Ein gemeinsames

Verschulden, das […] passive Solidarität im Sinne von Art. 50 bzw. Art. 143 OR begründen

würde, fällt [den Schädigern] jedoch nicht zur Last. Es liegt somit ein Fall sog. unechter Soli-

darität oder Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR vor […]. Gleich wie bei echter Solida-

rität wird auch bei blosser Anspruchskonkurrenz […].“ 82

REY, N 38 ff.; HONSELL, § 2 N 21 ff.; GNOS, S. 37 f. 83

BGE 113 II 246, E. 3: „Wenn der Schädiger durch sein Verhalten gleichzeitig eine vertragli-

che Pflicht verletzt und eine unerlaubte Handlung begeht, kann sich der Geschädigte neben-

einander auf beide Haftungsgründe berufen.“ 84

OFTINGER/STARK, § 13 N 43 ff.; REY, N 39; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 484; STARK,

Haftpflichtrecht, N 1022; KELLER/GABI, S. 8 f.; GNOS, S. 37 f.

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§ 5 Anspruchskonkurrenz und Solidarität

23

Anspruchskonkurrenz besteht insbesondere zwischen vertraglicher Haftung

auf der einen Seite und Verschuldenshaftung oder einfacher Kausalhaftung

auf der anderen Seite85

. Keine Anspruchskonkurrenz besteht demgegenüber

zwischen den ausservertraglichen Haftungstatbeständen des Obligationen-

rechts und den spezialgesetzlichen Gefährdungshaftungstatbeständen, da

letztere als leges speciales vorgehen86

.

Genau wie bei der solidarischen Haftung gemäss Art. 143 ff. OR und Art. 50

OR kann der Gläubiger bei der Anspruchskonkurrenz gesamthaft nicht mehr

erhalten, wie wenn er nur einen Anspruch gegenüber dem Schädiger hätte.

Der maximale Ersatz ist im Sinne des Bereicherungsverbots durch die Höhe

der Gesamtforderung begrenzt87

. Wird der Geschädigte durch den Schädiger

aufgrund des einen Anspruchs befriedigt, geht der andere Anspruch unter88

.

Der Zweck der Anspruchskonkurrenz ist somit nicht darin zu sehen, dass der

Geschädigte gesamthaft mehr Schadenersatz erhält. Vielmehr kann er in

Folge der faktisch vorhandenen, verschiedenen Rechtsbeziehungen zum

Schädiger seine Ansprüche auf verschiedene Weise aufgrund der verschiede-

nen Rechtsinstitute mit ihren Vor- und Nachteilen begründen89

. Darin ähnelt

die Anspruchskonkurrenz der solidarischen Haftung, wo dem Geschädigten

nicht konkurrierende Ansprüche gegenüber einem Schädiger, sondern gleiche

oder allenfalls unterschiedliche, konkurrierende Ansprüche gegenüber mehre-

ren Schädigern zur Verfügung stehen.

Die Anspruchskonkurrenz ist denn in der Praxis auch bedeutsam. Zum einen

ergeben sich für den Geschädigten Unterschiede in der Beweislast, je nach-

dem ob er seinen Anspruch auf Art. 41 OR (Nachweis des Verschuldens

durch den Geschädigten) oder Art. 97 OR (Verschuldensvermutung mit Be-

weislastumkehr zulasten des Schädigers) stützt90

. Zum anderen bestehen im

85 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 2943 f.; REY, N 43; KELLER, S. 421; OFTINGER/

STARK, § 13 N 43; demgegenüber ist in der Lehre und Rechtsprechung umstritten, ob zwi-

schen Vertragshaftung und Gefährdungshaftung konkurrierende Ansprüche bestehen. Das

Bundesgericht tritt für Exklusivität ein, vgl. BGE 113 II 251; die neuere Lehre befürwortet

Konkurrenz, vgl. SCHWENZER, § 54.04; OFTINGER/STARK, § 13 N 44; REY, N 44, je m.w.H. 86

REY, N 45; a.A. HONSELL, § 20 N 24. 87

GNOS, S. 38; HONSELL, § 2 N 28. 88

GNOS, S. 38. 89

HONSELL, § 2 N 28 f.; GNOS, S. 38. 90

GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 2938 ff.; REY, N 42; HONSELL, § 20 N 29;

GNOS, S. 38 f.; vgl. zur Beweislastverteilung hinten S. 214 ff.

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Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

24

Bereich des ausservertraglichen Haftungsrechts gemäss Art. 60 OR kürzere

Verjährungsfristen, als dies für das Vertragsrecht in Art. 127 ff. OR vorgese-

hen ist91

. Ein weiterer Unterschied ist schliesslich darin zu sehen, dass es für

die Ersatzfähigkeit reiner Vermögensschäden im Vertragsrecht im Gegensatz

zum Deliktsrecht keiner speziellen Schutznormen (Verhaltenspflichten zum

Schutz des Vermögens) bedarf92

.

C. Die Anspruchskonkurrenz bei einer Mehrheit

Ersatzpflichtiger

Auch in Konstellationen mit einer Mehrheit Ersatzpflichtiger im Bereich des

ausservertraglichen Haftungsrechts bestehen konkurrierende Ansprüche. Der

Unterschied liegt aber darin, dass der Geschädigte nicht materiell-rechtlich

unterschiedliche Ansprüche gegenüber einem Schädiger, sondern rechtlich

selbständige Ansprüche gegenüber mehreren Schädigern hat93

. In Analogie

zur vorgehend dargestellten Konstellation werden auch diese konkurrieren-

den Ansprüche als Anspruchskonkurrenz oder auch als Klagenkonkurrenz

bezeichnet94

.

Der Anspruchskonkurrenz der Forderungen gegen eine Mehrzahl Schädiger

kommen gemäss der Lehre folgende Definitionsmerkmale zu95

: Jeder Haft-

pflichtige haftet dem Geschädigten für den vom ihm verursachten Schaden

soweit, als dass nicht andere Schädiger den Geschädigten schon befriedigt

haben. Der Geschädigte kann maximal den ganzen Schaden ersetzt erhalten,

der Ersatzanspruch ist auf den Gesamtschaden begrenzt96

. Soweit der Ge-

schädigte Ersatz erhalten hat, geht sein diesbezüglicher Anspruch gegenüber

den anderen Schädigern unter. Dies zeigt, dass das schweizerische Haft-

pflichtrecht bei einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger „vom Grundsatz der An-

91 REY, N 42.

92 HONSELL, § 2 N 29, § 4 N 20; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 138 ff.

93 KOLLER, § 75 N 62; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3735; REY, N 1415 f.;

HONSELL, § 11 N 18 ff., N 22. 94

HONSELL, § 11 N 22; REY, N 1407; BREHM, BK-OR, N 6 ff. zu Art. 51 OR; WEISS, S. 20;

STARK, Haftpflichtrecht, N 977; OFTINGER/STARK, § 10 N 20. 95

Vgl. STARK, Haftpflichtrecht, N 977; SCHWEIGHAUSER, S. 159. 96

REY, N 1407.

Page 63: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 5 Anspruchskonkurrenz und Solidarität

25

spruchskonkurrenz beherrscht“ ist97

. Denn aufgrund des Bereicherungsver-

bots soll der Geschädigte nicht mehr ersetzt erhalten, als ihm tatsächlich an

Schaden entstanden ist.

Auf der einen Seite ist die Anspruchskonkurrenz anzusiedeln bei und zu-

gleich abzugrenzen von der Teilhaftung, bei welcher jeder Schädiger nur für

den von ihm verursachten Schaden haftet98

. Auf der anderen Seite ist die An-

spruchskonkurrenz von der Anspruchskumulation zu unterscheiden, bei wel-

cher jeder Ersatzpflichtige voll haftet, unabhängig davon, welchen Ersatz ein

anderer Ersatzpflichtiger schon geleistet hat99

.

D. Abgrenzung der Anspruchskonkurrenz von der

Solidarität

Es stellt sich die Frage, in welcher Weise sich die Anspruchskonkurrenz und

die Solidarität unterscheiden. Diese Frage ist in der vorliegenden Arbeit zent-

ral und wird daher erst im Verlauf der Arbeit eingehend beantwortet100

. Je-

doch sei bereits das Nachfolgende grundlegend festgehalten.

Die Anspruchskonkurrenz und die Solidarität sind sich zwar ähnlich, bei bei-

den kann der Geschädigte den von den Schuldnern gemeinsam geschuldeten

Schadenersatz nach seiner Wahl gänzlich von einem Schädiger holen, worauf

die übrigen Schädiger im Aussenverhältnis befreit sind. Jedoch befassen sich

die Solidarität und die Anspruchskonkurrenz eigentlich mit zwei unter-

schiedlichen juristischen Fragestellungen, welche gewissermassen die Kehr-

seiten einer Münze bilden:

- Die Solidarität ignoriert die Kausalität. Da die Schädiger die Schädigung

mit gemeinsamem Verschulden und gemeinsamem Zusammenwirken zu-

gefügt haben, kommt es nicht auf die Kausalität an. Unabhängig vom kau-

salen Beitrag eines Mitschädigers haftet dieser auf den ganzen Betrag,

97 STARK, Haftpflichtrecht, N 980; OFTINGER, S. 340 ff.; SCHWEIGHAUSER, S. 159; KEL-

LER/GABI, S. 131. 98

STARK, Haftpflichtrecht, N 979; vgl. hierzu hinten S. 71 ff. 99

Vgl. die Darstellung bei STARK, Haftpflichtrecht, N 975 ff.; SCHWEIGHAUSER, S. 159. 100

Man vgl. die Ausführungen hinten S. 67 ff. zur Frage der Unterscheidung zwischen Art. 50

und Art. 51 OR.

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Teil 1: Einführung in die Thematik einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger

26

was sich aufgrund des Verschuldens rechtfertigt101

. Dies hat zur Folge,

dass jeder Schädiger mit der Haftung auf den ganzen Betrag auch für ei-

nen gleichgrossen Betrag haftet.

- Die Anspruchskonkurrenz demgegenüber basiert auf der Kausalität. Die

Ansprüche konkurrieren nur, wenn und da sie kausal untereinander ver-

bunden sind. In der Lehre und Rechtsprechung wird die Anspruchskon-

kurrenz immer im Bereich der „unechten“ Solidarität von Art. 51 OR ge-

nannt, also in jenen Fällen, in welchen die Schädiger ohne gemeinsames

Verschulden und ohne Zusammenwirken einen Schaden verursacht ha-

ben102

. So halten bspw. HEIERLI/SCHNYDER fest103

:

„Haften für einen Schaden mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgrün-

den, so besteht aus Sicht des Gläubigers Anspruchskonkurrenz. Infolge der

solidarischen Haftung mehrerer Ersatzpflichtiger besitzt der Geschädigte ge-

gen diesen konkurrierende Ansprüche [Hervorhebung im Original]“.

Wenn nun aber genau das gemeinsame Verschulden und die gemeinsame

Verursachung fehlen, bleibt als Verbindungsglied nichts anderes übrig als

die Kausalität. Damit ergibt sich, dass bei der Anspruchskonkurrenz die

Ansprüche gegenüber den einzelnen Schädigern nicht unbedingt gleich

gross sein müssen, denn des einen Schädigers kausaler Schadensbeitrag

kann einen grösseren Schaden bewirkt haben als jener des anderen Schä-

digers. Somit kann bei der Anspruchskonkurrenz der kausal gemeinsam

zurechenbare Schaden kleiner sein als der Gesamtschaden. Dies hat zur

Folge, dass die Schädiger – da nur für den ihnen je zurechenbaren Scha-

den haftend – gemeinsam und solidarisch nur für den gemeinsam zure-

101 Vgl. statt aller BREHM, BK-OR, N 6 ff. zu Art. 50 OR; WEBER, einheitliche Lösung,

S. 348 ff., je m.w.H. 102

BGE 90 II 184, E. 5, wo das Bundesgericht festhält, im zu beurteilenden Fall liege „keine ech-

te Solidarität, sondern lediglich sogenannte Anspruchskonkurrenz oder unechte Solidarität“

vor; vgl. aber CASANOVA, S. 9, welcher davon ausgeht, dass die Anspruchskonkurrenz den

Oberbegriff für die echte und die unechte Solidarität darstelle. 103

HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 5 zu Art. 51 OR; vgl. weiter ähnlich BREHM, BK-OR, N 6

zu Art. 51 OR; WERRO, responsabilité civile, N 1612 ff.; SCHWEIGHAUSER, S. 159 f.; KEL-

LER/GABI, S. 131; vgl. aber KOLLER, § 75 N 4, welcher den Begriff der Anspruchskonkurrenz

für echte und unechte Solidarität und somit immer dann anwenden will, wenn „einem Gläubi-

ger mehrere Ansprüche alternativ zustehen, in der Weise, dass durch Erfüllung des einen An-

spruchs auch der andere untergeht“; so auch CASANOVA, S. 9.

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§ 5 Anspruchskonkurrenz und Solidarität

27

chenbaren Schadensteil haften, für den Rest besteht anteilsmässige Haf-

tung104

.

Dass nun aufgrund des Umstands, dass der Geschädigte bei jedem Schädiger

den ganzen gemeinsam geschuldeten Schadenersatz holen kann, die Erfül-

lungsmodalität bei der Solidarität und bei der Anspruchskonkurrenz gleich

gestaltet sind, kann es auf den ersten Blick und unter Nichtbeachtung des

unterschiedlichen Funktionsmechanismus bei der Anspruchskonkurrenz und

der Solidarität dazu führen, bei beiden darauf zu schliessen, dass jeder Schä-

diger für den ganzen Anspruch hafte105

. Es ist Aufgabe der vorliegenden Ar-

beit zu zeigen (vgl. § 10 und §§ 12 ff.), dass die Anspruchskonkurrenz und

die Solidarität tatsächlich unterschiedlich ausgestaltet sind und sich bezüglich

Konstruktion und Umfang der Haftung wesentlich unterscheiden.

104 WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 f. S. 351 f.; LOSER, S. 117, 125 f.; SCHWEIGHAUSER,

S. 168; BREHM, BK-OR, N 35 zu Art. 50 OR; SCHAZMANN, S. 28. 105

So für die Unterscheidung zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkurrenz bspw. OF-

TINGER/ STARK, § 10 N 4; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 8 zu Art. 50 OR sowie N 2, N 6 und

N 8 zu Art. 51 OR; GUHL/KOLLER, § 26 N 10; REY, N 1440; BREHM, BK-OR, N 18 zu

Art. 51 OR; HONSELL, § 11 N 12 ff.; vgl. JANSEN, S. 62.

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§ 6 Differenzierte Solidarität als weitere Form der Solidarität

28

§ 6 Differenzierte Solidarität als weitere Form der

Solidarität

Für das Recht der Aktiengesellschaft wurde mit Art. 759 OR eine neue Re-

gelung der Solidarität, die sog. differenzierte Solidarität, geschaffen106

. Wäh-

rend im alten Obligationenrecht für das Aktienrecht eine Regelung der abso-

luten Solidarität mit umfassender Gläubigerschutzfunktion galt107

, erlaubt die

neu geschaffene Regelung der differenzierten Solidarität in Art. 759 OR eine

individuelle Bemessung des Schadenersatzes, wenn ein adäquat-kausaler

Beitrag bei der Schadensverursachung geleistet wurde108

. Sind also gemäss

Art. 759 OR mehrere Personen für einen Schaden ersatzpflichtig, so ist jede

von ihnen insoweit mit den anderen solidarisch haftbar, als ihr der Schaden

aufgrund ihres eigenen Verschuldens und der Umstände persönlich zure-

chenbar ist.

Die Organe der Aktiengesellschaft haften also für jenen Teil des Schadens,

den jeder einzelne verursacht hat (anteilsmässige Haftung, mit der Ausnahme

der Haftung von gemeinsam verursachten Schäden)109

. Jedoch erfolgt die

Reduktion der vom einzelnen Organ zu leistenden Schadenssumme im Aus-

senverhältnis nicht über den kausalen Tatbeitrag, sondern über die Bemes-

sung des Schadenersatzes110

. Diese Regelung ist nachfolgend bei der soldari-

schen Haftung und Anspruchskonkurrenz im Bereich von Art. 50 und Art. 51

OR im Zusammenhang mit den der Solidarität zugrunde liegenden Kausali-

täten in Erinnerung zu behalten.

106 Vgl. zu dieser Thematik ausführlich die der differenzierten Solidarität im Aktienrecht gewid-

meten Dissertationen von HABLÜTZEL, insbesondere S. 37 ff., sowie LÄSER, insbesondere

S. 79 ff.; vgl. weiter ROBERTO, Differenzierte Solidarität, S. 29 ff. 107

HABLÜTZEL, S. 37 f.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 362. 108

HABLÜTZEL, S. 48 ff.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 362. 109

WEBER, einheitliche Lösung, S. 363; ROBERTO, Differenzierte Solidarität, S. 31, 39 f. 110

HABLÜTZEL, S. 50 ff.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 363, welcher darlegt, dass daraus jenes

Ergebnis resultiert, welches auch über die Anspruchskonkurrenz im Sinne der der anteilsmäs-

sigen Haftung erreicht wird.

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§ 7 Revision des Haftpflichtrechts

29

§ 7 Revision des Haftpflichtrechts

Eine ähnlich konzipierte Regelung der Solidarität wie das Aktienrecht111

sah

die geplante und inzwischen begrabene Revision des Haftpflichtrechts vor112

.

Diese hätte dazu geführt, dass auf die Unterscheidung zwischen echter und

unechter Solidarität nach der Revision zur Vereinheitlichung des Haftpflicht-

rechts verzichtet worden wäre, denn Art. 53b VE-OR sah eine vereinheit-

lichte Regelung der Solidarität vor113,114

.

111 Vgl. vorne S. 28.

112 Gemäss der Medienmitteilung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD)

vom 21.01.2009 (Fundstelle: http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/mi/

2009/2009-01-21.html) entschied der Bundesrat, auf eine Wiederaufnahme der im Jahr 2000

in die Vernehmlassung geschickten Vorlage für eine umfassende Revision und Vereinheitli-

chung des Haftpflichtrechts zu verzichten, da die Vernehmlassungsergebnisse klar gezeigt

hätten, dass die meisten vorgeschlagenen Neuerungen nicht konsensfähig sind und zudem der

Vorentwurf die jüngsten Entwicklungen nicht berücksichtigt. 113

Art. 53b VE-OR lautet: Sind mehrere Personen für den Schaden einer Drittperson haftpflich-

tig, so sind sie solidarisch zum Ersatz verpflichtet (Abs. 1). Die Solidarität reicht für jede die-

ser Personen bis zu dem Ersatzbetrag, den sie zu leisten hätte, wenn sie allein haftpflichtig

wäre (Abs. 2). 114

Vgl. WIDMER/WESSNER, S. 166 sowie S. 167 ff.; BERICHT STUDIENKOMMISSION HAFT-

PFLICHTRECHT, S. 102 f.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 342 f.

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§ 8 Überblick

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Teil 2: Das Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit

im schweizerischen Haftpflichtrecht

§ 8 Überblick

In den folgenden §§ 9 und 10 wird das Aussenverhältnis einer Mehrheit von

Ersatzpflichtigen im Schweizerischen Haftpflichtrecht dargestellt. Sie bilden

die Grundlagen für das in Teil 3 der vorliegenden Arbeit vorgestellte Haf-

tungsmodell für eine Mehrheit Ersatzpflichtiger im Schweizerischen Haft-

pflichtrecht.

Als Erstes befasst sich § 9 mit den beiden grundlegenden Bestimmungen ei-

ner Mehrheit von Ersatzpflichtigen im schweizerischen Haftpflichtrecht aus

Sicht der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre. Es sind dies die echte

Solidarität gemäss Art. 50 OR sowie die unechte Solidarität gemäss Art. 51

OR.

Danach folgt in § 10 eine kritische Analyse der von Lehre und Rechtspre-

chung getroffenen Unterscheidung in echte und unechte Solidarität. Dabei

wird insbesondere die Streitfrage beantwortet, worin die Gemeinsamkeiten

und Unterschiede zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkurrenz lie-

gen und warum eine Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidari-

tät daher Sinn macht (C.). Abschliessend wird aufgezeigt, wo die Grenzen

der solidarischen Haftung liegen (D.).

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§ 9 Echte und unechte Solidarität in Art. 50/51 OR gemäss h.L. und Rspr.

31

§ 9 Echte und unechte Solidarität

(Anspruchskonkurrenz) in Art. 50 und Art. 51 OR

gemäss herrschender Lehre und Rechtsprechung

A. Einleitung

In und zwischen der Lehre und der Rechtsprechung ist seit langem ein Streit

um die Unterscheidung zwischen echter Solidarität (Art. 50 OR) und unech-

ter Solidarität (Art. 51 OR) entbrannt115

. Die Meinungen zur Unterscheidung

zwischen echter und unechter Solidarität gehen dabei weit auseinander. Wäh-

rend das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung an der Unterscheidung

zwischen echter und unechter Solidarität festhält116

, haben sich in der Lehre

verschiedene Lager gebildet. Ohne bereits inhaltlich auf die Unterscheidung

einzugehen, wird vorab festgehalten, dass Teile der Lehre der bundesgericht-

lichen Unterscheidung in unterschiedlichen Zustimmungsgraden und mit un-

terschiedlichen Gründen zustimmen, andere Teile der Lehre die Unterschei-

dung in unterschiedlichen Ablehnungsgraden und mit unterschiedlichen

Gründen ablehnen, respektive für irrelevant halten, wobei zumeist festgehal-

ten wird, dass sich die Unterscheidung letztlich auf einige wenige Details im

Bereich von Art. 136 OR (Verjährung) und Art. 148 OR (Subrogation) be-

schränke117

.

Das grundsätzliche Problem liegt jedoch darin, dass sich die verschiedenen

Lager missverstehen. Der Grund für die Missverständnisse und ein nicht un-

erhebliches „aneinander Vorbeireden“ liegt darin, dass Art. 50 und Art. 51

115 Im Grundsatz liegt der Unterschied zwischen echter und unechter Solidarität gemäss bundes-

gerichtlicher Rechtsprechung und herrschender Lehre darin, dass die Schuldner bei der echten

Solidarität aus den gleichen, bei der unechten Solidarität aus verschiedenen Rechtsgründen

haften, vgl. bspw. BGE 130 III 591, E.5.5.1. Dies ist jedoch – wie nachfolgend aufgezeigt

werden wird – nicht das relevante Unterscheidungskriterium für die Unterscheidung zwischen

der echten und der unechten Solidarität; vgl. hinten S. 50 ff. 116

Vgl. bspw. BGE 133 III 6, E. 5; Urteil des BGer 4C.27/2003, E. 3.4; Urteil des BGer

4C.58/2003; BGE 127 III 257, E. 6; BGE 115 II 42, E 1b; die Unterscheidung zwischen echter

und unechter Solidarität hat ihren Ursprung im ausservertraglichen Haftungsrecht/Schadener-

satzrecht, vgl. JANSEN, S. 62; WEISS, S. 71; die Unterscheidung wird aber auch im Vertrags-

recht getroffen, vgl. BGE II 317, E. 2.e, WEISS, S. 71; OFTINGER/STARK, § 10 N 14,

SCHWENZER, § 88.45; REY, N 1421; ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 8 zu Vorbemerkungen zu

Art. 143–150 OR. 117

Vgl. zu den verschiedenen Lehrmeinungen hinten, S. 40 ff.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

32

OR als die grundlegenden Bestimmungen der solidarischen Haftung im Be-

reich des ausservertraglichen Haftungsrechts gleichzeitig drei verschiedene

Rollen spielen müssen, nämlich:

- Sie befassen sich mit der Haftung im Aussenverhältnis und im Innenver-

hältnis118

;

- sie befassen sich mit gleichen und verschiedenen Rechtsgründen119

;

- sie befassen sich mit der Haftung aus gemeinsamem und nicht gemeinsa-

mem Verschulden, respektive mit der Haftung durch gemeinsam ver-

schuldetes Zusammenwirken und durch Schädigung, welche eine Mehr-

zahl an Schädigern unabhängig voneinander verursachen120

.

Es stellt sich die Frage, ob Art. 50 und Art. 51 OR diese Rollen alle gleich-

zeitig respektive nebeneinander erfüllen können. Da sie im ausservertragli-

chen Haftungsrecht die beiden einzigen grundlegenden Bestimmungen sind,

die sich mit einer Mehrzahl an Ersatzpflichtigen befassen, müssen sie mit ei-

ner Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen fertig werden, Konstellatio-

nen, die unterschiedliche Fragen aufwerfen und unterschiedliche Antworten

benötigen. Diese Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen bewirkt, dass

Art. 50 und Art. 51 OR in höchstem Masse auslegungsbedürftig sind. Die

Aufgabe der Auslegung wird von der Rechtsprechung und der Literatur mit

grossem Aufwand und Eifer wahrgenommen. Dabei ist es aber entscheidend,

dass die Auslegung auf einer gemeinsamen Basis fundiert. Die gemeinsame

Basis ist in der Diskussion aber nicht gegeben, wird der Unterschied zwi-

schen Art. 50 und Art. 51 OR doch in den vorne genannten drei Unterschei-

dungen gesehen. Da diese drei Unterscheidungen relativ unbemerkt nebenei-

nander einhergehen, führt dies – aufgrund der (falschen) Annahme, dass von

den gleichen Unterschieden gesprochen wird – zu Vermischungen, Missver-

ständnissen und ungenauer Betrachtungsweise. Es führt dazu, dass man die

Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidarität aus den falschen

Gründen ablehnt und ihr aus den falschen Gründen zustimmt, allein, weil

man sich missversteht.

Nachfolgend sollen die verschiedenen Rollen und Aspekte der beiden Be-

stimmungen und die dahinter liegenden Systeme genauer betrachtet werden.

Dabei wird aufgezeigt, dass die Unterscheidung in echte und unechte Solida-

118 Vgl. hinten S. 47.

119 Vgl. hinten S. 50.

120 Vgl. hinten S. 55 ff.

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§ 9 Echte und unechte Solidarität in Art. 50/51 OR gemäss h.L. und Rspr.

33

rität richtig ist, jedoch nicht wie üblicherweise argumentiert aufgrund des

Unterschieds hinsichtlich der gleichen oder verschiedenen Rechtsgründe,

sondern aufgrund des fehlenden gemeinsam verschuldeten Zusammenwir-

kens in Art. 51 OR, und den damit einhergehenden kausalen Folgen.

B. Echte Solidarität gemäss herrschender Lehre und

Rechtsprechung

Von echter Solidarität wird gesprochen, wenn diese auf einer vertraglichen

Grundlage (Art. 143 Abs. 1 OR) oder bei einer gesetzlichen Begründung

(Art. 143 Abs. 2 OR) auf gleichen Rechtsgründen (Art. 50 OR für das aus-

servertragliche Haftungsrecht) beruht. Art. 50 Abs. 1 OR hält fest, dass meh-

rere Schädiger121

einem Geschädigten solidarisch haften, wenn sie den Scha-

den gemeinsam verschuldet haben122

. Grundsätzlich ist für die Begründung

der echten Solidarität und somit für die Anwendbarkeit von Art. 50 OR also

sowohl ein gemeinsames Verschulden als auch eine gemeinsame Verursa-

chung die Voraussetzung. Da die Solidarität als Erfüllungsmodalität nur die

Haftungsfolgen der Konkurrenz von mehreren Ansprüchen regelt und selber

keinen haftungsbegründenden Effekt hat, muss nach h.L. jeder Schädiger die

Haftungsvoraussetzungen von Art. 41 OR erfüllen, um als Solidarschuldner

zu gelten123

.

Die Schädiger müssen demgemäss gewollt und bewusst zusammenwirken,

wobei subjektiv ein schuldhaftes – vorsätzliches oder fahrlässiges – Zusam-

menwirken verlangt wird, was bedeutet, dass jeder Schädiger um das

pflichtwidrige Verhalten des anderen weiss oder jedenfalls wissen könnte124

.

121 Dabei wird nicht unterschieden, ob der Schädiger als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe etc. be-

teiligt war; die Begriffe der Mittäter, Anstifter oder Gehilfen werden in zivilrechtlichem Sinne

verstanden, vgl. BGE 104 II 225, E. 4.a; KÜTTEL, S. 329 ff.; BREHM, BK-OR, N 22 ff. zu

Art. 50 OR; SCHWEIGHAUSER, S. 164. 122

MÜLLER, solidarité parfaite, S. 37 ff., mit einer Darstellung der verschiedenen Grade des

gemeinsamen Verschuldens; unterschieden werden Absicht, Vorsatz, Eventualvorsatz und

Fahrlässigkeit; gemeinsame Fahrlässigkeit genügt, d.h. die Schädiger hätten mit gehöriger

Aufmerksamkeit die Schadensentstehung vermeiden können; vgl. so BREHM, BK-OR, N 8 ff.,

N 12 zu Art. 50 OR; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 1 zu Art. 50 OR; REY, N 1427 ff. und

N 1433 ff. 123

OFTINGER/STARK, § 16 N 318; HABLÜTZEL, S. 8; SCHWEIGHAUSER, S. 162; ZAHND, S. 55. 124

Vgl. BGE 127 III 257, E. 6.a; BGE 104 II 225, E. 4.a: „Ein schuldhaftes Zusammenwirken bei

der Schadensverursachung setzt jedoch entgegen der Auffassung der Klägerschaft voraus,

dass jeder Schädiger vom Tatbeitrag des andern Kenntnis hat oder bei der erforderlichen Auf-

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

34

Ist jemand ohne Wissen eines anderen Schädigers am schädigenden Ereignis

beteiligt, wirkt er naturgemäss nicht schuldhaft mit dem anderen Schädiger

an der Schadensverursachung zusammen125

. In diesem Fall haftet er auch

nicht solidarisch mit den anderen Solidarschuldnern.

Eine gemeinsame Verursachung ohne gemeinsames Verschulden genügt

nicht, wobei zwischen dem gemeinsamen Verschulden und dem Schaden ein

adäquat-kausaler Bezug bestehen muss126

. Hingegen kommt es nicht auf die

Grösse des Verschuldens an; dieses wird erst bei der internen Schadensauf-

teilung relevant. Eine gemeinsame und schuldhafte Handlung kann auch ohne

vorherige Absprache erfolgen127

. Genauso wenig ist die Grösse der gesetzten

Ursache, welche kausal zum Schaden steht, von Belang; es genügt also auch

das Setzen einer Teilursache128

. Auch führen getrennte Handlungen mit ge-

trennten Schäden, denen aber ein gemeinsamer Wille zugrunde liegt, zu einer

solidarischen Haftung129

. Denn der gemeinsame Wille zur Schadenverursa-

chung ist der entscheidende Aspekt und lässt die Schäden zu gemeinsam ver-

schuldeten Schäden werden.

Auch wenn sich nicht mehr feststellen lässt, welcher Tatbeitrag für den Scha-

denserfolg kausal war, soll gemäss Rechtsprechung und h.L. Solidarität an-

genommen werden130

. Hingegen entfällt die Solidarität, wenn mehrere Schä-

diger einen Geschädigten unabhängig voneinander, d.h. ohne gemeinsamen

merksamkeit Kenntnis haben könnte. Wer ohne Wissen eines andern Verursachers am schädi-

genden Ereignis beteiligt ist, wirkt nicht mit diesem schuldhaft bei der Schadensverursachung

zusammen.“; BREHM, BK-OR, N 7 ff. zu Art. 50 OR; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 5 ff. zu

Art. 50 OR; REY, N 1427 ff.; HONSELL, § 11 N 11; KOLLER, § 75 N 40; SCHWEIGHAUSER,

S. 161. 125

Vgl. den gerade zitierten BGE 104 II 225, E. 4.a; BGE 127 III 257, E. 6.a; so auch KÜTTEL,

S. 328, welche festhält, dass bei einer Mehrzahl von Schädigern dann kein gemeinsames Ver-

schulden vorliegt, wenn mehrere allein handelnde Schädiger nichts voneinander wussten und

auch nichts voneinander wissen konnten. 126

BGE 115 II 42, E. 1.b; BREHM, BK-OR, N 16 zu Art. 50 OR; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 7

zu Art. 50 OR; HABLÜTZEL, S. 16 f.; WERRO, responsabilité civile, N 1610 f. 127

BREHM, BK-OR, N 14 zu Art. 50 OR. 128

MÜLLER, solidarité parfaite, S. 36 f.; HONSELL, § 11 N 2; WEBER, einheitliche Lösung,

S. 343 f.; WERRO, responsabilité civile, N 1610 f. 129

JANSEN, S. 49 f.; BREHM, BK-OR, N 19 zu Art. 50 OR, m.w.H. 130

Vgl. hierzu BGE 100 II 332, E. 2.e, in welchem sich nicht feststellen liess, welcher Knabe mit

den Streichhölzern das Feuer verursacht hatte.

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§ 9 Echte und unechte Solidarität in Art. 50/51 OR gemäss h.L. und Rspr.

35

Willen und ohne gemeinsame Verursachung einen Schaden verursacht ha-

ben131,132

.

Anzumerken ist, dass bei einer gemeinsam verschuldeten Schadensverursa-

chung die Verbindung der Schädiger auch in einer Haftungseinheit oder ei-

nem „rechtlich gemeinsamen“ Zusammenwirken liegen kann. Dies ist bspw.

der Fall bei der solidarischen Haftung zwischen Geschäftsherr und Arbeit-

nehmer oder Hilfsperson gemäss Art. 55 OR oder bei der solidarischen Haf-

tung zwischen juristischer Person und deren Organe (Art. 55 ZGB)133

.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in der Rechtsprechung und

in grossen Teilen der Lehre Art. 50 OR sehr weit interpretiert und weder an

den Nachweis des Kausalzusammenhangs noch an denjenigen des Verschul-

dens hohe Anforderungen gestellt werden134

.

C. Unechte Solidarität gemäss herrschender Lehre und

Rechtsprechung

I. Verschiedene Rechtsgründe

Um unechte Solidarität (genau: Anspruchskonkurrenz) handelt es sich ge-

mäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung und herrschender Lehre, wenn eine

solidarische Haftung aus verschiedenen Rechtsgründen (Art. 51 OR) zu-

131 So schon SCHAZMANN, S. 28; dezidiert auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 349, S. 351; vgl.

auch BREHM, BK-OR, N 35 zur Art. 50 OR, welcher aber darauf hinweist, dass dies nur zu-

trifft bei klar trennbaren Schäden oder wenn sich der Schadenserfolg in bestimmte Anteile

zerlegen lässt. 132

Diese verschiedenen Konstellationen haben ihren gemeinsamen Nenner, welcher zur solidari-

schen Haftung führt, immer in einer Kombination aus Elementen des gemeinsamen Verursa-

chens und Verschuldens sowie von Kausalitätsaspekten, vgl. für diese Aspekte ausführlich

hinten ab S. 67 ff. sowie bereits bei der Unterscheidung zwischen echter und unechter Solida-

rität bei S. 45 ff. 133

Zum Institut der Haftungseinheit im deutschen Recht vgl. hinten S. 159 ff.; zur rechtlich ge-

meinsamen Handlung BREHM, BK-OR, N 21 f. zu Art. 50 OR. 134

Vgl. kritisch dazu KRAMER, Multikausale Schäden, S. 59 f., S. 63 ff., S. 65; insbesondere

wenn sich die Kausalität nicht genau feststellen resp. zuordnen lässt, wird die solidarische

Haftung in der Praxis umso mehr über das gemeinsame Verschulden konstruiert, vgl. JANSEN,

S. 100 f.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 350; als Extremfall gehört in diesen Bereich auch

die Problematik der solidarischen Haftung einer sehr grossen Anzahl Schädiger (Problem der

minimalen Kausalität), vgl. dazu hinten S. 99 ff.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

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stande kommt135

. Was unter „verschiedenen Rechtsgründen“ zu verstehen ist,

wird in Art. 51 Abs. 1 OR selbst festgehalten. Verschiedene Rechtsgründe

liegen demnach bspw. vor, wenn der eine Schädiger aus Vertrag gemäss

Art. 97 OR und der andere Schädiger aus Delikt gemäss Art. 41 OR haftet,

oder wenn – innerhalb des Deliktrechts – der eine Schädiger aufgrund einer

Verschuldenshaftung, der andere aufgrund einer Kausalhaftung zur Verant-

wortung gezogen werden kann.

II. Rückbezug der Regressregel

Begründet wird die Bezeichnung als unechte Solidarität damit, dass die in

Art. 50 OR statuierte echte Solidarität in Art. 51 OR aufgrund dessen Cha-

rakter als Regressordnung nicht selbständig statuiert wird, die Solidarität für

Art. 51 OR also aus Art. 50 OR analog übernommen werden muss, was die

Solidarität zu einer unechten macht136

. Da Art. 51 OR eigentlich als Regress-

regel gedacht ist, ist die (unechte) Solidarität darin also nur implizit vorgese-

hen137

. Die Haftungsfolgen sind aber gemäss bundesgerichtlicher Rechtspre-

chung und herrschender Lehre die gleichen wie bei der echten Solidarität,

nämlich eine Haftung jedes Schuldners auf das Ganze mit einem Wahlrecht

des Gläubigers, gegen welchen Schädiger er vorgehen will, sowie einer Be-

freiung der Mitschuldner bei Bezahlung der Forderung durch einen Schuld-

ner138

.

135 BGE 130 III 591, E. 5.5.1; vgl. bspw. HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 5 zu Art. 51 OR:

„Haften für einen Schaden mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen, so besteht

aus Sicht des Gläubigers Anspruchskonkurrenz. Infolge der solidarischen Haftung mehrerer

Ersatzpflichtiger besitzt der Geschädigte gegen diesen konkurrierende Ansprüche [Hervorhe-

bung im Original]“; CORBOZ, S. 30; BREHM, BK-OR, N 6 zu Art. 51 OR; WERRO, responsa-

bilité civile, N 1618; SCHWEIGHAUSER, S. 159 f.; KELLER/GABI, S. 131; vgl. aber KOLLER,

§ 75 N 4, welcher den Begriff der Anspruchskonkurrenz für echte und unechte Solidarität und

somit immer dann anwenden will, wenn „einem Gläubiger mehrere Ansprüche alternativ zu-

stehen, in der Weise, dass durch Erfüllung des einen Anspruchs auch der andere untergeht“. 136

BGE 119 II 127, E. 4.b; REY, N 1419; WEISS, S. 59. 137

BREHM, BK-OR, N 17 zu Art. 51 OR; HABLÜTZEL, S. 6 f.; ROBERTO, Haftpflichtrecht,

N 544; REY, N 1438; OFTINGER/STARK, § 10 N 13. 138

WERRO, responsabilité civile, N 1600 ff., 1612, 1625 f.; BREHM, BK-OR, N 18 zu Art. 51

OR.

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§ 9 Echte und unechte Solidarität in Art. 50/51 OR gemäss h.L. und Rspr.

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III. Unabhängige Handlung und fehlendes gemeinsames

Verschulden?

Als weitere Voraussetzung dürfen die Schädiger bei der unechten Solidarität

nicht bewusst zusammengewirkt haben, sie müssen die Schädigung unab-

hängig voneinander begangen haben. Es müssen also bspw. verschiedene

Verträge oder Delikte vorliegen und es besteht kein gemeinsames Verschul-

den139

.

Gemäss Rechtsprechung und herrschender Lehre werden von der unechten

Solidarität auch die Fälle erfasst, in welchen mehrere Schädiger unabhängig

voneinander einem Geschädigten aus gleichen Rechtsgründen einen Schaden

verursacht haben. Dies wird damit begründet, dass diese Fallkonstellation

zwar in Art. 51 OR nicht vorgesehen ist, was grundsätzlich dazu führen

würde, dass keine solidarische Haftung gegeben ist. Doch da der Geschädigte

in solchen Fällen nicht weniger schützenswert sei als in Fällen, wo eine

Schädigung aus verschiedenen Rechtsgründen verursacht worden ist, wird

auch hier analog Solidarität angenommen140

. Art. 51 OR sei somit eine Art

139 Vgl. BGE 115 II 42, E. 1.b: „Fehlt es an einem gemeinsamen Verschulden in diesem Sinne,

weil mehrere Personen voneinander unabhängige Handlungen begangen haben oder sonstwie

aus verschiedenen Rechtsgründen für den gleichen Schaden haften, so ist unechte Solidarität

gemäss Art. 51 Abs. 1 OR anzunehmen, der das Rückgriffsrecht unter Solidarschuldnern re-

gelt“; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 2 zu Art. 50 OR; REY, N 1419, 1437 ff.; HONSELL, § 11

N 12; KOLLER, § 75 N 40; KÜTTEL, S. 328; HABLÜTZEL, S. 17 f.; GUHL/MERZ/KUMMER,

S. 195; vgl. auch die Begründung bei BREHM, BK-OR, N 45 zu Art. 50 OR, welcher eine Be-

rücksichtigung persönlicher Herabsetzungsgründe im Bereich von Art. 50 OR anders als bei

der Anspruchskonkurrenz in Art. 51 OR gerade darum nicht zulassen will, weil die Schädiger

anders als in Art. 51 OR ein gemeinsames Verschulden treffe. 140

Das Bundesgericht leitet die Haftung aus gleichartigen Rechtsgründen direkt aus Art. 51 OR

ab. BGE 93 II 317, E. 2.e, hält fest: „Der streitige Schaden ist darauf zurückzuführen, dass

sowohl der Kläger (Unternehmer), als auch der Architekt (Bauleiter) ihre vertraglichen Sorg-

faltspflichten gegenüber dem Beklagten (Bauherrn) verletzt haben. Ein gemeinsames Ver-

schulden, das ihre passive Solidarität im Sinne von Art. 50 bzw. Art. 143 OR begründen wür-

de, fällt ihnen jedoch nicht zur Last. Es liegt somit ein Fall sog. unechter Solidarität oder An-

spruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR vor […]. Gleich wie bei echter Solidarität wird auch

bei blosser Anspruchskonkurrenz die Haftung eines Schädigers gegenüber dem Geschädigten

grundsätzlich nicht dadurch vermindert, dass für den gleichen Schaden auch noch ein Dritter

einzustehen hat. Jeder der beiden Verantwortlichen haftet dem Geschädigten für den ganzen

Schaden. Diese gesetzliche Regelung will dem Geschädigten eine möglichst vollständige Be-

friedigung für seinen Anspruch sichern. Solidarität bedeutet in jeder Form Stärkung der Stel-

lung des Gläubigers. […] Der belangte Schuldner kann ihm daher in der Regel nicht entge-

genhalten, es hafte auch noch ein Dritter für den gleichen Schaden […]“; vgl. auch BGE 80 II

247, E. 5; BGE 77 II 248, E. 3.; in der Literatur treten für die analoge Anwendbarkeit von

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

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Auffangtatbestand für sämtliche Haftungskonstellationen, welche sich nicht

unter Art. 50 OR oder eine spezielle gesetzliche Haftungsbestimmung sub-

sumieren lassen141

.

Art. 51 OR ein: BK-BECKER, N 9 ff. zu Art. 51 OR, welcher betreffend Haftung aus gleichen

Rechtsgründen (sog. eintypische Solidarität) am Beispiel der Konkurrenz mehrerer Haftungen

für Verschulden festhält: „In Frage kommen nur Fälle, in denen das Verschulden kein gemein-

sames ist; denn sonst käme Art. 50 OR zur Anwendung. Also z.B. Fälle, in denen das Ver-

schulden der Betreffenden nicht auf einem gemeinsamen Unternehmen beruht, sondern nur

additionell sich auswirkt, wie z.B. das Verschulden eines Fussgängers oder das Verschulden

von zwei Fischfrevlern, von den jeder auf eigene Faust auf den Raub ausging. Hier gibt es nur

zwei Lösungen: entweder Haftung jedes Schädigers nur für seinen Anteil, womit der Regress

ausgeschaltet ist, oder Haftung beider für das Ganze, womit auch die Regressfrage gestellt ist.

Das Bedürfnis nach dem Schutz des Geschädigten gegen Ausflüchte jedes der Schädiger er-

fordert Gesamthaftung in gleicher Weise wie bei gemeinsamem Verschulden oder bei Haftung

aus verschiedenen Rechtsgründen.“; weiter hält BK-BECKER, N 13 zu Art. 51 OR für die

Konkurrenz mehrerer vertraglicher Haftungen aber fest: „Nun ist, weil die vertragliche Re-

gelung den Parteien freisteht, als Regel anzunehmen, dass jede Partei nur für den durch sie

selbst (oder ihre Erfüllungsgehilfen) verursachten Schaden einzustehen habe, so dass der Re-

gel nach keine Anspruchskonkurrenz besteht. So hat der Architekt grundsätzlich nicht für den

Bauunternehmer einzustehen, es wäre denn, dass er eine Garantie übernimmt, in welchem Fall

ihm wie einem Bürgen auch ein Regress nicht versagt werden kann. Ebenso haften mehrere

Bauhandwerker, durch deren Arbeiter ein Gesamtschaden hervorgerufen wurde (z.B. Regen-

wasserschäden, Leitungsdefekte, Bruchstellen, Brandschäden, […]), nicht gesamthaft, son-

dern nur anteilsmässig. Eine Mithaftung für andere Bauhandwerker wäre nicht tragbar und,

weil sie zur Auftragserteilung nicht mitzusprechen haben, auch nicht billig.“; ZK-OSER/

SCHÖNENBERGER, N 4 zu Art. 51 OR, welche festhalten, dass auch verschiedene unerlaubte

Handlungen, verschiedene Verträge oder verschiedene Gesetzesvorschriften „blosse Klagen-

konkurrenz“ schaffen; REY, N 1443 ff., mit dem Hinweis, dass das OR bezüglich der Fallkon-

stellation, bei der mehrere Rechtssubjekte unabhängig voneinander aus dem gleichartigen

Rechtsgrund haften, keine klare und eindeutige gesetzliche Grundlage für deren Solidar-

schuldnerschaft enthalte, Art. 51 OR aber dennoch anzuwenden sei und auch jene Ersatz-

pflichtigen, welche voneinander unabhängig aus dem gleichartigen Rechtsgrund für einen

Schaden einzustehen haben, solidarisch haften, da der Geschädigte in diesem Fall der eintypi-

schen Solidarität nicht weniger schützenswert sei als der Gläubiger bei der mehrtypischen So-

lidarität; vgl. auch die Fallgruppen bei REY, N 1447 ff.; JANSEN, S. 70; WEISS, S. 59 f.;

BREHM, BK-OR, N 95 zu Art. 51 OR, welcher die Haftung wie das Bundesgericht (BGE 93 II

317, E. 2.e) aus gleichartigen Rechtsgründen direkt aus dem Gesetz ableitet und nicht wie die

Mehrheit der Lehre für eine analoge Anwendbarkeit von Art. 51 OR eintritt; SCHNYDER,

BSK-OR 2007, N 7 zu Art. 51 OR, mit dem Hinweis, dass eine Haftung aus gleichartigen

Rechtsgründen mit gemeinsamem Verschulden als Sonderfall in Art. 50 OR geregelt ist;

FELLMANN, Solidarische Haftung, S. 118; WERRO, responsabilité civile, N 1600; PROBST, so-

lidarité imparfaite, S. 67 f. 141

BREHM, BK-OR, N 7a zu Art. 51 OR; WEISS, S. 59 f.; Urteil des BGer 4C.27/2003 vom

26. Mai 2003, E. 3.3.

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§ 9 Echte und unechte Solidarität in Art. 50/51 OR gemäss h.L. und Rspr.

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D. Bedeutung der Unterscheidung gemäss herrschender

Lehre und Rechtsprechung

I. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hält in ständiger Rechtsprechung an der Unterscheidung

zwischen echter und unechter Solidarität fest und fusst diese Entscheidung

darauf, dass die Frage nicht losgelöst von Art. 136 OR (Verjährung), Art. 149

OR (Subrogation) und Art. 143 ff. OR entschieden werden könne142

. In

Art. 51 OR sei eine solidarische Haftung aufgrund des Ausdrucks „entspre-

chend“ in genannter Bestimmung nur implizit vorgesehen, was zu einer An-

wendbarkeit der Solidarität per Analogieschluss und damit zu einer unechten

Solidarität führe143

.

Der Unterschied zwischen echter und unechter Solidarität liegt gemäss bun-

desgerichtlicher Rechtsprechung darin, dass die Schuldner bei der echten So-

lidarität aus den gleichen Rechtsgründen, bei der unechten Solidarität aus

verschiedenen Rechtsgründen haften oder weil sie unabhängig voneinander

gehandelt haben. Im grundlegenden BGE 115 II 42 führt das Bundesgericht

dazu aus144

:

„Gemäss Art. 50 Abs. 1 OR haften mehrere Personen dem Geschädigten soli-

darisch, wenn sie den Schaden gemeinsam verschuldet oder, wie es in den ro-

manischen Gesetzestexten heisst, gemeinsam verursacht haben. Das Bundes-

142 Vgl. die neueren Entscheide BGE 133 III 6, E. 5.2.1; BGE 130 III 591, E. 5.5.1; BGE 130 III

362, E. 5.2; grundlegend BGE 115 II 42, E. 1.c; BGE 69 II 168, E. 1; vgl. auch SCHNYDER,

BSK-OR 2007, N 3 zu Art. 50 OR. 143

BGE 69 II 168, E. 1 hält grundlegend fest [vgl. die Übersetzung bei BREHM, BK-OR, N 17 zu

Art. 51 OR]: „Dans le domaine de la responsabilité extracontractuelle, la règle générale ex-

primée par l'art. 50 al. 1 CO est que plusieurs ne sont tenus solidairement de réparer un dom-

mage que lorsqu'ils l'ont causé par une faute commune. A part ce cas, c'est-a-dire lorsque plu-

sieurs répondent du même dommage en vertu de causes différentes, ils ne sont pas, sauf dis-

position légale expresse […], des débiteurs solidaires au sens de l'art. 143 CO. Ils peuvent

certes être recherchés chacun pour le tout, puisque aussi bien l'art. 51 CO envisage la possibi-

lité de recours entre eux; mais c'est “par analogie” que cet article leur déclare applicables les

dispositions légales concernant le recours de ceux qui ont causé un dommage par une faute

commune. Ainsi, la loi distingue elle-même ici entre la solidarité proprement dite et le simple

concours de créances, et n'entend pas appliquer d'emblée à celui-ci les règles valables pour

celle-là. La distinction, critiquable peut-être de lege ferenda […], ne saurait donc être suppri-

mée de lege lata […]”; vgl. auch BREHM, BK-OR, N 17 ff. zu Art. 51 OR; WEISS, S. 56 ff. 144

BGE 115 II 42, E. 1.b.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

40

gericht hat diese Bestimmung, die gemäss Art. 99 Abs. 3 OR auch für die ver-

tragliche Haftung gilt, noch in neuester Zeit dahin ausgelegt, dass sie ein

schuldhaftes Zusammenwirken bei der Schadensverursachung voraussetzt, je-

der Schädiger um das pflichtwidrige Verhalten des andern also weiss oder je-

denfalls wissen könnte. Fehlt es an einem gemeinsamen Verschulden in die-

sem Sinne, weil mehrere Personen voneinander unabhängige Handlungen be-

gangen haben oder sonstwie aus verschiedenen Rechtsgründen für den glei-

chen Schaden haften, so ist unechte Solidarität gemäss Art. 51 Abs. 1 OR an-

zunehmen, der das Rückgriffsrecht unter Solidarschuldnern regelt […].“

Dieser Grundsatz der Haftung aus verschiedenen Rechtsgründen wird aller-

dings dadurch durchbrochen, dass unter Art. 51 OR auch jene Fälle subsu-

miert werden, in welchen mehrere Schädiger einem Geschädigten unabhän-

gig voneinander einen Schaden aus gleichen (!) Rechtsgründen zufügen145

.

II. Die Lehrmeinungen zur Unterscheidung zwischen echter

und unechter Solidarität

In der Lehre gehen die Meinungen zur Unterscheidung zwischen echter und

unechter Solidarität auseinander. Es haben sich im Wesentlichen zwei Lager

gebildet, wobei Teile der Lehre der Unterscheidung in unterschiedlichen Zu-

stimmungsgraden und mit unterschiedlichen Gründen zustimmen, andere

Teile der Lehre die Unterscheidung in unterschiedlichen Ablehnungsgraden

und mit unterschiedlichen Gründen ablehnen, respektive für irrelevant halten.

1. Zustimmender Teil der Lehre (Minderheit)

Der dem Bundesgericht zustimmende Teil der Lehre ist in der Minderheit. Er

stützt seine Zustimmung darauf, dass anders als bei der echten Solidarität

gemäss Art. 50 OR bei der unechten Solidarität gemäss Art. 51 OR kein ge-

meinsames Verschulden vorgesehen sei, die Schädiger also unabhängig von-

einander handeln146

. Es mangle an einer inneren Verbundenheit zwischen den

145 Damit erweist sich das Unterscheidungskriterium der gleichen respektive verschiedenen

Rechtsgründe als Scheinkriterium, werden doch beide sowohl im Bereich von Art. 50 OR als

auch Art. 51 OR angewendet; vgl. hierzu vorne, S. 35 ff. sowie hinten S. 50 ff. (Kritik an die-

ser Auslegung). 146

BK-BECKER, N 1 zu Art. 51 OR; ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 8 zu Vorbemerkungen zu

Art. 143–150 OR; SCHAZMANN, S. 80 ff.; GUHL/MERZ/KUMMER, S. 55 und S. 195; PROBST,

solidarité imparfaite, S. 54 ff.; BREHM, BK-OR, N 22 f. zu Art. 51 OR, aufgrund der Ausle-

gung des heute geltenden Rechts und mit dem Hinweis auf die ziemlich zufällige Entstehung

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§ 9 Echte und unechte Solidarität in Art. 50/51 OR gemäss h.L. und Rspr.

41

Schuldnern147

. Die Folge sei zwar auch hier die solidarische Haftung, jedoch

aufgrund des fehlenden gemeinsamen Verschuldens komme eine „mildere

Form“ zur Anwendung, weshalb das Gesetz nur eine entsprechende Anwen-

dung von Art. 50 OR vorsehe148

. Im Gegensatz zur echten Solidarität mit ge-

meinsamem Verschulden könne es hier dem Gläubiger bspw. zugemutet wer-

den, die zur Unterbrechung der Verjährung notwendigen Handlungen gegen-

über jedem Schädiger vorzunehmen149

.

2. Ablehnender Teil der Lehre (Mehrheit)

Die Mehrheit der Lehre lehnt eine Unterscheidung zwischen echter und un-

echter Solidarität aus unterschiedlichen Gründen ab150

.

a. Praktische Bedeutung

Die Ablehnung wird insbesondere damit begründet, dass die Unterscheidung

zwischen echter und unechter Solidarität eher zufälliger Natur und zudem die

praktische Bedeutung gering sei, womit auf die Unterscheidung verzichtet

werden könne. Im OR sei weder nach grammatikalischer noch historischer

Auslegung eine Unterscheidung in zwei verschiedene Arten von Solidarität

vorgesehen gewesen151

.

der Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidarität hin, welche allein auf dem Wort

„entsprechend“ in Art. 51 OR beruht und keineswegs vom Gesetzgeber so geplant war;

BUCHER, S. 499; ENGEL, S. 561 ff.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 351 f.; WEBER, Kausali-

tät und Solidarität, S. 123 f.; KÜTTEL, S. 328; teilweise der bundesgerichtlichen Rechtspre-

chung (betreffend Art. 136 Abs. 1 OR) zustimmend SCHWENZER, § 88.46. 147

BK-BECKER, N 5 zu Art. 145 OR. 148

BREHM, BK-OR, N 18 zu Art. 51 OR. 149

BK-BECKER, N 1 zu Art. 51 OR; GUHL/MERZ/KUMMER, S. 55 und S. 195; BREHM, BK-OR,

N 19 f. zu Art. 51 OR. 150

OFTINGER/STARK, § 10 N 14 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3750 ff.,

N 3755; CORBOZ, S. 103 ff.; JANSEN, S. 112; STUCKI, S. 82 f.; REY, N 1417 ff.; ROBERTO,

Haftpflichtrecht, N 548; GUHL/KOLLER, § 6 N 5; MERZ, Obligationenrecht, S. 102 ff.;

KELLER/GABI, S. 138; KELLER/SCHÖBI, S. 8; HONSELL, § 11 N 13; KELLER, S. 176 f.;

BUCHER, S. 499; KOLLER, § 75 N 41; GAUTSCHI, S. 67 ff.; KELLER/SCHMIED-SYZ, S. 123;

SCHAER, N 473 f.; CASANOVA, S. 45. 151

KELLER, S. 177, welcher festhält: „Eine Unterscheidung, die weder im Gesetz noch in der Sa-

che eine Stütze findet, keine grosse Rolle spielt und überdies nicht immer sauber durchzufüh-

ren ist, sollte man aus dem Haftpflichtrecht verbannen.“; OFTINGER/STARK, § 10 N 14 ff.;

JANSEN, S. 112; REY, N 1417 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3750 ff.;

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

42

b. Art. 51 OR als Regressregel

Von MERZ wird vorgeschlagen, die Bestimmungen von Art. 50 und Art. 51

OR so zu interpretieren, dass für die Begründung der Solidarität nicht auf das

Bewusstsein der Schadensverursacher betreffend die Gemeinsamkeit der Ver-

ursachung oder die Gemeinsamkeit des Verschuldens abgestellt wird, son-

dern nur darauf, dass jeder Verantwortliche für denselben Schaden einzuste-

hen hat, weil sein Handeln bewusst oder unbewusst die Schadensverursa-

chung bezweckte. Dies hätte zur Folge, dass sich die Haftung einer Mehrheit

Ersatzpflichtiger immer explizit aus Art. 50 OR ergeben würde, gleichgültig,

ob die Schädiger gemeinsam oder unabhängig, aus gleichen oder aus ver-

schiedenen Rechtsgründen den Schaden verursachten. Die Funktion von

Art. 51 OR wäre dann auf die einer Regressregel für den Fall einer Haftung

aus verschiedenen Rechtsgründen beschränkt152

.

c. Verschiedene Rechtsgründe

Weiter wird die Ansicht vertreten, es sei nicht einzusehen, warum auf Soli-

darschuldner unterschiedliche Bestimmungen – respektive gewisse Bestim-

mungen nicht – angewendet werden, nur weil die Schuldner nicht aus den

gleichen Rechtsgründen haften. Der Ausdruck der „verschiedenen Rechts-

gründe“ sei zu vieldeutig und kein verlässliches Unterscheidungskriterium.

Denn es könne nicht darauf ankommen, ob auf einen bestimmten Haftpflich-

tigen nun zufälligerweise eine spezielle Gesetzesnorm als Haftungsgrundlage

anwendbar sei (bspw. für das Strassenverkehrsrecht Art. 60 Abs. 1 SVG,

womit die Solidarität zu einer echten wird), oder ob eine solche Bestimmung

fehle und er daher unter die allgemeine Norm von Art. 51 OR falle (womit

die Solidarität zu einer unechten werde)153

.

d. Konnexität

Zudem wird argumentiert, die Abgrenzung zwischen echter und unechter So-

lidarität sei in vielen Fällen fliessend und schwierig zu treffen. Der vom

KOLLER, § 75 N 41; HONSELL, § 11 N 13; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 548; CORBOZ,

S. 27 ff., S. 40 ff., S. 51 ff.; BUCHER, S. 499. 152

MERZ, Obligationenrecht, S. 103 f., mit dessen Ansicht sich das Bundesgericht in BGE 115 II

42, E. 1.b f. explizit auseinander gesetzt hat; wohl zustimmend BUCHER, S. 498 f.; HONSELL,

S. 119; vgl. auch WEISS, S. 62. 153

Vgl. OFTINGER/STARK, § 10 N 14; KOLLER, § 75 N 41; JANSEN, S. 31 ff.; KELLER/GABI,

S. 138 f.

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§ 9 Echte und unechte Solidarität in Art. 50/51 OR gemäss h.L. und Rspr.

43

Bundesgericht verwendete Begriff der „connexité“154

– auf welchen es an-

kommt, wenn die Solidarität weder vertraglicher Natur ist noch vom Gesetz

ausdrücklich angeordnet wurde und so die echte Solidarität aufgrund einer

besonderen Beziehung (connexité) zwischen den Solidarschuldnern kon-

struiert wird – habe bis anhin nicht in ausreichendem Mass definiert werden

können, was zu schwierigen Abgrenzungen und Rechtsunsicherheit führe155

.

e. Verjährungsunterbrechung und Subrogation (Art. 136 und

Art. 149 OR)

Schliesslich wird (zumeist) argumentiert, der Unterscheidung in echte und

unechte Solidarität komme (nur) betreffend Art. 136 OR (Unterbrechung der

Verjährung) und Art. 149 OR (Subrogation) praktische Bedeutung zu156

.

Gemäss Art. 136 OR wirke die Unterbrechung der Verjährung bei einem So-

lidarschuldner auch bei den übrigen Solidarschuldnern. Dies sei jedoch nur

bei der echten Solidarität der Fall, nicht hingegen bei Verpflichtungen aus

unechter Solidarität, da Art. 136 OR als Ausnahmebestimmung eng auszule-

gen sei. Denn es gehe nicht an, die Unterbrechung der Verjährung gegen ei-

nen Schuldner auf Personen auszudehnen, die aus anderen Rechtsgründen

mithaften würden157

.

Der zweite Unterschied zwischen echter und unechter Solidarität zeige sich

beim Regress gemäss Art. 149 OR. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtspre-

chung finde nur bei der echten Solidarität ein gesetzlicher Forderungsüber-

154 BGE 89 II 415, E. 2.

155 KOLLER, § 75 N 40 f.

156 BGE 115 II 42, E. 1.b; Urteil des BGer 4C.27/2003, E. 3.4; vgl. ausführlich WEISS, S. 65 ff.;

BUCHER, S. 499; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 548; SCHWENZER, § 88.45; REY, N 1421;

KOLLER, § 75 N 40 f. und N 210 ff.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3752 ff.;

OFTINGER/STARK, § 10 N 43; HONSELL, § 11 N 13 f. 157

BGE 133 III 6, E. 5.1; BGE 127 III 257, E. 6.a; BGE 115 II 42, E. 1.b; vgl. die ausführliche

Analyse bei WEISS, S. 65 ff. sowie zur echten Solidarität S. 101 ff., je m.w.H. auf Rechtspre-

chung und Literatur; dem Bundesgericht zustimmend: SCHWENZER, § 88.46; BREHM, BK-

OR, N 19 ff. zu Art. 51 OR; HONSELL, § 11 N 14; REY, N 1421; bei der unechten Solidarität

führt dies zur praktisch wichtigsten Folge, dass der Geschädigte bei Schuldnern aus verschie-

denen Rechtsgründen bei jedem einzeln eine Unterbrechungshandlung gemäss Art. 135 Abs. 2

OR vornehmen muss; dem Bundesgericht ablehnend gegenüberstehend mit der Ansicht, dass

die Unterbrechung der Verjährung auf echte und unechte Solidarität gleich anzuwenden sei,

respektive, dass die Unterscheidung durch anderslautende Rechtssätze widerlegt sei: JANSEN,

S. 108 f.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3755; KELLER/GABI, S. 138 und

S. 141; KOLLER, § 75 N 41 und N 212; GUHL/KOLLER, § 6 N 8.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

44

gang (Subrogation) im Sinne von Art. 149 Abs. 1 OR auf den leistenden So-

lidarschuldner statt. Bei der unechten Solidarität demgegenüber stehe dem

leistenden Schuldner je ein eigenständiger Regressanspruch gegen jeden der

anderen Solidarschuldner zu158

. Zuletzt argumentieren auch einige Autoren,

dass selbst die angeblich unterschiedlichen Rechtsfolgen betreffend Verjäh-

rung und Subrogation durch anderslautende Gesetzesbestimmungen (Art. 497

OR; Art. 72 VVG; Art. 83 Abs. 2 SVG) widerlegt seien159

.

158 BGE 133 III 6, E. 5.2.1; BGE 130 III 362, E. 5.2, welcher festhält: „Ainsi, la solidarité impar-

faite n'entraîne pas de subrogation du responsable dans les droits du créancier au sens de

l'art. 149 al. 1 CO […], mais seulement une action récursoire (Ausgleichsanspruch) de celui-ci

contre les autres codébiteurs, qui prend naissance au moment du paiement au lésé.“; BGE 127

III 257, E. 6.c; BGE 115 II 42, E. 1.b und E. 2.a; Urteil des BGer 4C.27/2003, E. 3.3; vgl.

auch REY, N 1422; WEBER, einheitliche Lösung, S. 342. 159

So GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3755; GUHL/KOLLER, § 6 N 5; KELLER,

S. 176 f.

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§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

45

§ 10 Kritische Analyse der Unterscheidung zwischen

echter Solidarität und Anspruchskonkurrenz

A. Einleitung

Zur Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidarität lohnt sich, wie

vorne dargestellt, eine genauere Betrachtung. Die in der Lehre und Recht-

sprechung geführte und breit angelegte Diskussion zu verschiedenen Rechts-

fragen, welche sich in allen Konstellationen der solidarischen Haftung re-

spektive mit einer Mehrheit an Schädigern oder Schuldnern stellen (so bspw.,

ob die Schädiger zusammengewirkt haben, ob sie ein gemeinsames Ver-

schulden haben, ob sie aus den gleichen oder aus verschiedenen Rechtsgrün-

den haften, oder ob die Schädiger in kausaler Weise verbunden sind), wird in

der schweizerischen Lehre unter dem Titel der Unterscheidung in echte und

unechte Solidarität geführt. Dies ist aber nicht zwingend, denn diese Fragen

stellen sich ohnehin bei einer Mehrheit an Schädigern und könnten auch ohne

den entsprechenden „Überbau“ diskutiert werden. Da die Diskussion nun

aber ausschliesslich unter dem Titel „Unterscheidung echte und unechte So-

lidarität“ im Rahmen von Art. 50 und Art. 51 OR geführt wird, wird davon in

der vorliegenden Arbeit nicht abgewichen. Jedoch wird betont, dass nicht die

Unterscheidung oder der „Überbau“ an sich wichtig ist, sondern vielmehr die

der Unterscheidung zugrundeliegenden Rechtsfragen, welche sich bei allen

Konstellationen einer Mehrheit von Schädigern stellen und welche zu beant-

worten versuchen, ob bei einer Mehrheit von Schädigern in welchem Umfang

eine solidarische Haftbarkeit besteht. Insbesondere sind dies die Fragen des

kausalen Zusammenwirkens zwischen den Schädigern und die Fragen des

gemeinsamen Verschuldens der Schädiger an einem Schadensereignis. Nach-

folgend wird aufgezeigt werden,

- dass wohl die Diskussion, ob Schädiger aus gleichen oder verschiedenen

Rechtsgründen haften, für die Frage der Solidarität nicht relevant ist;

- dass der springende Punkt für die Begründung der Solidarität in der von

Bundesgericht und Lehre verwendeten Formulierung „unabhängig von-

einander/ohne gemeinsames Verschulden“ liegt, und dass diesbezüglich

die Diskussion um die Unterscheidung, ob und inwiefern solidarisch ge-

haftet wird, von entscheidender Relevanz ist, unabhängig davon, ob die

Diskussion nun unter dem Titel „echte und unechte Solidarität“ oder an-

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

46

derweitig betitelt (bspw. Rechtsfragen, welche sich im Zusammenhang

mit einer Mehrheit von Schädigern stellen) geführt wird160

;

- inwiefern sich die echte und unechte Solidarität respektive Art. 50 und

Art. 51 OR unterscheiden hinsichtlich gleicher bzw. unterschiedlicher

Rechtsgründe, hinsichtlich des Schadens („derselbe“ Schaden) sowie hin-

sichtlich Verschulden und Zusammenwirken;

- welche Rolle die Kausalität bzw. verschiedene Arten der Kausalität in der

Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidarität spielen;

- welche Rolle die persönlichen Herabsetzungsgründe bei der echten und

unechten Solidarität (Art. 50 und Art. 51 OR) – sowohl bei der Zurech-

nung zum Schaden als auch bei der Bemessung des Schadens – spielen161

.

B. Wortlaut und Entstehung von Art. 51 OR

Aus dem Wortlaut von Art. 51 OR geht hervor, dass die Bestimmung den

Regress regeln will zwischen Schädigern, welche aus verschiedenen Rechts-

gründen (unerlaubte Handlung, Vertrag oder Gesetzesvorschrift) für densel-

ben Schaden haften. Art. 51 OR ordnet an, dass in diesem Fall „die Bestim-

mung über den Rückgriff unter Personen, die einen Schaden gemeinsam ver-

schuldet haben, entsprechend auf sie angewendet wird“162

. Art. 51 OR regelt

also den Rückgriff unter den Schuldnern, nicht hingegen explizit die solidari-

sche Haftung im Aussenverhältnis.

Aus der Entstehungsgeschichte zu Art. 51 OR lässt sich ersehen, dass diese

Bestimmung relativ zufällig und einzelfallbezogen (BGE 35 II 238 „Leiter-

hakenfall“) und nicht etwa aus dogmatischen Gründen entstanden ist. Die ur-

sprüngliche Intention lag in der Entschärfung der Werkeigentümerhaftung

160 Mit Sicherheit kann man die Diskussion aber nicht gleichzeitig unter dem Titel der Unter-

scheidung in echte und unechte Solidarität führen und ihr gleichzeitig die Relevanz abspre-

chen, respektive ihr Relevanz nur im Rahmen von Art. 136 OR und Art. 149 OR zubilligen.

[Dazu vorweg: Wenn mehrere Schädiger unabhängig voneinander beim gleichen Geschädig-

ten einen Schaden verursachen, dann ist dieses Zusammentreffen zufällig und es kommt für

eine Haftungsbegründung unter der Modalität der solidarischen Haftung auf einen Kausalzu-

sammenhang (Vereinigung der Kausalketten) an; vgl. hinten S. 68 ff. und S. 87 ff.]. 161

Vgl. zur Geltendmachung von Reduktionsgründen S. 105 ff. sowie bei einer Mehrheit von

Schädigern S. 146 ff. 162

Vgl. Art. 51 Abs. 1 OR.

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§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

47

durch die Einschränkung der Regressmöglichkeiten durch den Versicherer,

welcher dem ohne Verschulden haftenden Werkeigentümer nur subsidiär

gehaftet hatte163

. Art. 51 OR wurde demnach einzelfallbezogen ins Obligatio-

nenrecht aufgenommen, und nicht etwa, weil es aus dogmatischen Gründen

geboten gewesen wäre164

. Somit zeigt sich aus entstehungsgeschichtlicher

Sicht, dass auch keine spezielle Solidarität geschaffen werden sollte.

C. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Art. 50 und

Art. 51 OR

I. Art. 51 OR als Rückgriffsregel

Art. 51 Abs.1 OR sagt nichts darüber aus, dass es sich bei der in dieser Be-

stimmung geregelten Haftung um solidarische Haftung handelt. Ein Rück-

griff setzt aber eine Mehrheit von Ersatzpflichtigen und im klassischen Fall

Solidarität voraus, denn ohne Solidarität im Aussenverhältnis würde es kei-

nen Sinn machen, die Schädiger, welche im Aussenverhältnis unabhängig

von ihrem Beitrag zum Schaden auf den ganzen Betrag haften, im Innenver-

hältnis den Schaden per Rückgriff aufteilen zu lassen165

.

Ein Rückgriff kommt aber m.E. nicht nur im Rahmen der klassischen (ech-

ten) Solidarität (Haftung Mehrerer je auf das Ganze mit Wahlrecht des Gläu-

bigers) in Frage, sondern bei jeder Haftungsform respektive Haftungsmoda-

lität, bei welcher eine Mehrheit von Ersatzpflichtigen zumindest für einen

Teil des Schadens unabhängig von ihrem, diesen Teil des Schadens betref-

fenden Anteil am Schaden gemeinsam haften, jedoch gegenüber dem Ge-

163 BGE 35 II 238; BGE 49 II 89, E. 3; vgl. das amtliche stenographische Bulletin des Nationalra-

tes vom 20. Oktober 1909, Votum Eugen Huber, S. 520 ff.; vgl. weiter ausführlich zur Entste-

hungsgeschichte von Art. 51 OR bei SCHAER, N 844 ff. sowie bei STUCKI, S. 72 ff.; vgl. auch

GAUTSCHI, S. 65; PROBST, solidarité imparfaite, S. 64 ff.; WEISS, S. 54 f. 164

So auch STUCKI, S. 77 ff.; WEISS, S. 54 f.; PROBST, solidarité imparfaite, S. 65. 165

Vgl. BGE 115 II 42, E. 1.b [vgl. schon vorne in FN 139 und bei FN 144], welcher festhält:

„Fehlt es an einem gemeinsamen Verschulden […], weil mehrere Personen voneinander unab-

hängige Handlungen begangen haben oder sonstwie aus verschiedenen Rechtsgründen für den

gleichen Schaden haften, so ist unechte Solidarität gemäss Art. 51 Abs. 1 OR anzunehmen,

der das Rückgriffsrecht unter Solidarschuldnern regelt“; vgl. auch BGE 120 III 362, E. 5.2;

STUCKI, S. 57, 72, 78; JANSEN, S. 70; CORBOZ, S. 30; OFTINGER/STARK, § 10 N 45 ff.;

SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 1 zu Art. 51 OR; BREHM, BK-OR, N 6 zu Art. 51 OR; REY,

N 1438.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

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schädigten für diesen Teil gesamthaft nur einmal gehaftet wird. Dies ist dann

aber keine solidarische Haftung auf das Ganze, sondern eine solidarische

Haftung auf den gemeinsamen, gewissermassen überlappenden Teil an einem

Schaden beim gleichen Geschädigten, sozusagen eine solidarische Haftung

für die gemeinsame Schadensschnittmenge.

In diesem Sinne und mit diesem Unterschied ist das Zusammentreffen einer

Mehrheit von Ersatzpflichtigen in der Regressordnung von Art. 51 OR richti-

gerweise nicht als Solidarität, sondern als Anspruchskonkurrenz zu betrach-

ten166

. Sie unterscheidet sich von der echten Solidarität dadurch, dass der

Zusammenhalt der Schädiger nicht über das Verschulden, sondern über die

Kausalität definiert wird. Um diese Ansicht zu erklären, braucht es eine ver-

tiefte Betrachtung von Art. 50 und Art. 51 OR sowie den Einbezug der einer

Mehrheit von Ersatzpflichtigen zugrundeliegenden Kausalitäten167

.

II. Die Verschiebung des Betrachtungszeitpunkts betreffend

den Schaden in Art. 50 und Art. 51 OR

1. Unterschiedlicher Betrachtungszeitpunkt in Art. 50 und Art. 51

OR

Art. 50 OR – welcher gemeinhin mit der echten Solidarität im Bereich der

ausservertraglichen Haftung gleichgesetzt wird – fordert als Voraussetzung

für eine solidarische Haftung in kausaler Weise (wenn … dann) ein (gemein-

sam) verschuldetes Zusammenwirken der Schädiger168

. Demgegenüber ist

Art. 51 OR zwar auch in kausaler Weise (wenn … dann) verfasst, doch ist bei

Art. 51 OR der Betrachtungszeitpunkt betreffend den Schaden bzw. dessen

Entstehung zeitlich nach hinten verschoben und Art. 51 OR damit bereits

166 Auch in der Lehre wird die unechte Solidarität als Anspruchskonkurrenz bezeichnet. Es wird

aus dieser Bezeichnung als Anspruchskonkurrenz aber keine Konsequenz gezogen, was die

Voraussetzungen, inhaltliche Gestaltung und die Rechtsfolgen, insgesamt die Unterschiede

zur echten Solidarität betrifft. Vielmehr wird die Anspruchskonkurrenz mit der echten Solida-

rität praktisch gleichgesetzt. Vgl. bspw. REY, N 1407, 1437; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 2

zu Art. 50 OR sowie N 5 zu Art. 51 OR; BREHM, BK-OR, N 6 zu Art. 51 OR; OFTIN-

GER/STARK, § 10 N 18; vgl. aber WEBER, einheitliche Lösung, S. 351 ff., welcher die (auch

hier vertretene) Lösung zur Unterscheidung von echter und unechter Solidarität/Anspruchs-

konkurrenz überzeugend darlegt. 167

Vgl. zu den Kausalitäten bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger hinten S. 87 ff. 168

SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 1 zu Art. 50 OR; WEBER, einheitliche Lösung, S. 348 f.

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§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

49

einen Schritt weiter. In Art. 51 OR ist gemäss dessen Formulierung voraus-

gesetzt, dass die Haftung einer Mehrheit an Schädigern für denselben Scha-

den schon begründet ist169

. Da Art. 51 OR als Regressregel formuliert ist,

setzt er schon voraus, dass für denselben Schaden gehaftet wird, und zwar

grundsätzlich aus verschiedenen Rechtsgründen für denselben Schaden ge-

haftet wird170

. Dabei ist allerdings zu beachten, dass gemäss Rechtsprechung

und herrschender Lehre auch jene Fälle unter Art. 51 OR subsumiert werden,

in welchen mehrere Schädiger einem Geschädigten unabhängig voneinander,

aber aus dem gleichen Rechtsgrund einen Schaden verursacht haben171

.

2. Rückverschiebung des Betrachtungszeitpunkts von Art. 51 OR

Art. 51 OR kann auf diese Weise auch unter einem anderen Blickwinkel be-

trachtet werden und wird dies in der Lehre meist auch. Dabei erscheint die

Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidarität als sehr relevant.

Für das Aussenverhältnis der solidarischen Haftung erfolgt die Betrachtung

von Art. 51 OR nämlich nicht unter dem Gesichtspunkt, dass mehrere Schä-

diger für denselben Schaden einstehen (Betrachtungszeitpunkt nach Scha-

densentstehung und Haftungsbegründung; Zeitpunkt, bei welchem ins Innen-

verhältnis gewechselt wird), sondern ob mehrere Schädiger trotz Schadens-

verursachung durch unterschiedliche Rechtsgründe für denselben Schaden

einstehen müssen (Betrachtungszeitpunkt nach Schadenentstehung, aber vor

Entscheidung über die Haftungsmodalitäten; Zeitpunkt, bei welchem über die

Haftung im Aussenverhältnis entschieden wird)172

. In der Praxis ist es bei der

Frage der Haftungsbegründung ohnehin der Regelfall, dass darüber gestritten

wird, ob eine Partei für einen Schaden einstehen muss und nicht nur, in wel-

cher Weise sie für einen Schaden mithaftet. In diesem Fall wird von einer

gänzlich anderen Konstellation ausgegangen. Hier stellt sich die Frage neu,

ob die Voraussetzungen für eine solidarische Haftung erfüllt sind, welche in

Art. 50 OR ein (gemeinsam) verschuldetes Zusammenwirken der Schädiger

wäre. Art. 51 OR wird so nicht als Regressregel angewendet, sondern als

Haftungsmodalität für die Fälle, die sich von den Konstellationen gemäss

Art. 50 OR unterscheiden. In diesem Zusammenhang stellt sich dann die be-

169 WEBER, einheitliche Lösung, S. 351.

170 Art. 51 OR lautet: “Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen […] für den-

selben Schaden, […].“ 171

Vgl. hierzu vorne S. 35 f. 172

Vgl. bspw. REY, N 1437 ff., N 1440.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

50

rechtigte Frage, worin denn der Unterschied zwischen Art. 50 und Art. 51

OR liegt. Ist die Haftung in beiden Bestimmungen von gleicher Art (Solida-

rität) und die Bestimmungen unterscheiden sich in modaler Weise nicht, da

Art. 51 OR mit der Formulierung, dass bei einer Haftung Mehrerer für den-

selben Schaden, die Bestimmung über den Rückgriff bei gemeinsam ver-

schuldeter Schadensverursachung gemäss Art. 50 Abs. 2 OR entsprechend

auf die Schädiger anzuwenden ist? Oder liegt der Unterschied zwischen den

Bestimmungen in den verschiedenen oder gleichen Rechtsgründen respektive

im Zusammenwirken oder dem voneinander unabhängigen Handeln der

Schädiger?

III. Die Unterscheidungskriterien zwischen Art. 50 und

Art. 51 OR

1. „Entsprechend“ und „verschiedene Rechtsgründe“?

Ginge man vom Ergebnis aus, dass in Art. 51 OR mehrere Schädiger zwar

aus verschiedenen Rechtsgründen, doch entsprechend Art. 50 OR für densel-

ben Schaden haften, könnte es sich nur um Solidarität handeln173

. Dies würde

Art. 51 OR die Bedeutung verleihen, dass die Schädiger bei der Verursa-

chung des Schadens (gemeinsam) verschuldet zusammengewirkt haben, aber

im Unterschied zu Art. 50 OR aus verschiedenen Rechtsgründen. Bei dieser

Betrachtungsweise erschiene es dann tatsächlich als zufällig, ob die Solidari-

tät gemäss bundesgerichtlicher Einordnung eine echte oder eine unechte ist,

je nachdem ob eine besondere Bestimmung auf einen der Schuldner anwend-

bar ist oder nicht.

Es darf aber, wie bereits erwähnt, nicht vergessen werden, dass gemäss bun-

desgerichtlicher Rechtsprechung und herrschender Lehre insbesondere jene

Konstellationen unter Art. 51 OR subsumiert werden, in denen mehrere

Schädiger aus gleichen Rechtsgründen einen Schaden verursacht haben, je-

doch im Unterschied zu Art. 50 OR unabhängig voneinander174

. So wird er-

173 Mit diesem Argument befürwortet ein grosser Teil der Lehre, die Unterscheidung zwischen

echter und unechter Solidarität aufzugeben, so bspw. SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 2 zu

Art. 51 OR; BREHM, BK-OR, N 22 zu Art. 51 OR; MERZ, Obligationenrecht, S. 104;

OFTINGER/STARK, § 10 N 14; WEISS, S. 55 f.; ZAHND, S. 31 ff., S. 39; S. 50; STUCKI, S. 82;

CORBOZ, S. 32. 174

Vgl. dazu vorne S. 35 ff.

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§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

51

sichtlich, dass weder das Wort „entsprechend“ noch die verschiedenen

Rechtsgründe das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zwischen Art. 50

und Art. 51 OR sind175

. Vielmehr ist es das Kriterium, ob die Schädiger zu-

sammen oder unabhängig voneinander gehandelt haben, respektive ob sie

zusammen oder unabhängig voneinander einen „einheitlichen“ Schaden ver-

ursacht haben176

.

Gerade die Schwierigkeit, die verschiedenen Rechtsgründe in Art. 51 OR ne-

ben die (dort nicht erwähnten) gleichen Rechtsgründe in Art. 50 OR einzu-

ordnen und dabei einen relevanten Unterschied auszumachen, warum unter-

schiedliche Rechtsgründe unechte Solidarität und gleiche Rechtsgründe echte

Solidarität bedeuten sollen, haben der Unterscheidung in echte und unechte

Solidarität wenig Sympathien eingebracht177

.

Tatsächlich kann es für die Zurechnung178

nicht auf die verschiedenen

Rechtsgründe gemäss Art. 51 OR ankommen, ob echte oder unechte Solida-

rität/Anspruchskonkurrenz zur Anwendung gelangt, wenn die verschiedenen

Rechtsgründe so verstanden werden, dass bspw. ein Schädiger aus einer Ver-

schuldenshaftung und ein anderer Schädiger aus Kausalhaftung haftet179

. Ob

175 So auch SCHAER, N 501.

176 So auch SCHAER, N 500 f.; vgl. gleich anschliessend S. 55 sowie zu der dem einheitlichen

Schaden zugrundeliegenden komplementären Kausalität S. 95 ff., zudem zum einheitlichen

Schaden S. 168 ff. 177

So halten bspw. OFTINGER/STARK, § 10 N 14 fest: „Den Unterschied zwischen echter und un-

echter Solidarität […] sieht man darin, dass bei echter Solidarität alle Schuldner aus dem glei-

chen Rechtsgrund für denselben Leistungsinhalt haften, bei unechter aus verschiedenen

Rechtsgründen. Diese Unterscheidung krankt an der Vieldeutigkeit des Ausdrucks „Rechts-

grund“; er erlaubt es z.B. nicht, ausfindig zu machen, warum zwei gemeinsam einen Schaden

verursachende Motorfahrzeughalter echt solidarisch haften (SVG 60 I), ein Motorfahrzeug-

halter und eine Eisenbahn dagegen unecht solidarisch. Es fehlt an einem zuverlässigen Krite-

rium, weil ein sachlicher Unterschied in Wirklichkeit eben fehlt; deshalb sind denn auch die

Unterstellungen unter die eine oder andere Art der Solidarität willkürlich. Man sollte sich ent-

schliessen, die Unterscheidung fallen zu lassen.“ 178

Man beachte aber die Relevanz der Unterscheidung für den Regress gemäss Art. 51 Abs. 2

OR; vgl. bspw. bei SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 7 zu Art. 51 OR. 179

So auch OFTINGER/STARK, § 10 N 14; KOLLER, § 75 N 41. Vgl. für die verschiedenen Kom-

binationsmöglichkeiten verschiedener Rechtsgründe BREHM, BK-OR (2. Auflage), N 34 ff. zu

Art. 51 OR; REY, N 1441 ff.; denkbar ist bspw. auch eine Kombination verschiedener Kausal-

haftungen, so die Anspruchskonkurrenz zwischen Werkeigentümer (Art. 58 OR) und Ge-

schäftsherr (Art. 55 OR). Auch sind Konstellationen denkbar, bei welchen einige Schädiger

aus dem gleichen Rechtsgrund (z.B. Kausalhaftung) haften, einzelne davon zudem aus einem

weiteren Rechtsgrund (z.B. Verschuldenshaftung), vgl. Urteil des BGer 4C.27/2003, E.3.3.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

52

bspw. eine Unfallkollision zwischen zwei Autofahrern (je Kausalhaftung)

oder einem Autofahrer und einem Velofahrer (Kausalhaftung und Verschul-

denshaftung) stattfindet, kann bei der Frage, ob solidarisch oder in An-

spruchskonkurrenz gehaftet wird, keinen Unterschied machen180

.

Das Problem liegt darin, dass das Kriterium der gleichen oder unterschiedli-

chen Rechtsgründe nicht der springende Punkt ist, ob echte oder unechte So-

lidarität zur Anwendung kommen soll. Vielmehr ist entscheidend, ob die

Schädiger gemeinsam verschuldet zusammenwirken oder eben nicht.

Dies wird sofort klar, wenn man bedenkt, dass dem Obligationenrecht eine

Bestimmung fehlt, welche die Konstellation einer Schadensverursachung

durch mehrere Schädiger aus „gleichartigem“ Rechtsgrund ohne verschulde-

tes Zusammenwirken behandelt181

. Dazu betrachte man folgendes Beispiel:

Beispiel182

: A und B spazieren jeweils mit ihrem Hund je auf einer Strassen-

seite. Als sie einander kreuzen, rennen die beiden Hunde aufeinander zu und

bringen den Velofahrer C zu Fall, welcher sich den Arm bricht.

A und B haben hier nicht gemeinsam verschuldet zusammengewirkt, haften

aber beide aus gleichartigem Rechtsgrund, nämlich aus Tierhalterhaftung

gemäss Art. 56 OR, welche eine einfache Kausalhaftung darstellt.

Wenn man wie ein Grossteil der Lehre davon ausgeht, dass sowohl die echte

wie auch die unechte Solidarität eine solidarische Haftung zur Folge haben,

macht dieses ergänzende Beispiel keinen Unterschied zu jenen Konstellatio-

nen, in welchen die Schädiger gemäss Art. 50 OR verschuldet zusammenge-

wirkt, respektive gemäss Art. 51 OR aus verschiedenen Rechtsgründen und

unabhängig voneinander eine Schädigung verursacht haben. Es reicht dies-

falls die Begründung, dass die Interessen des Geschädigten nicht weniger

180 So implizit auch REY, N 1437 ff., N 1441 f., N 1443 ff.

181 Eine Mehrheit der Lehre will in diesem Fall Art. 51 OR analog anwenden, vgl. BREHM, BK-

OR, N 95 f. zu Art. 51 OR, m.w.H. und der Begründung, dass „der Geschädigte in solchen

Fällen nicht weniger […] geschützt werden soll; wenn auch nicht durch echte Solidarität wie

beim gemeinsamen Verschulden (Art. 50 OR), dann doch mindestens durch Anspruchskon-

kurrenz.“; JANSEN, S. 70; REY, N 1426, N 1443 ff. HABLÜTZEL, S. 18; man beachte aber, dass

Art. 51 OR die unechte Solidarität nur implizit regelt, da grundsätzlich als Regressregel ge-

dacht; vgl. bspw. BREHM, BK-OR, N 17 zu Art. 51 OR; vgl. dazu auch vorne S. 47. 182

Beispiel nach REY, N 1444.

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§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

53

schützenswert sind als in den in Art. 50 und Art. 51 OR geregelten Konstel-

lationen und so auch hier eine solidarische Haftung die richtige Lösung ist183

.

Wie die Betrachtungen zur Unterscheidung zwischen echter Solidarität und

Anspruchskonkurrenz sowie die Betrachtungen zur Kausalität bei der echten

und unechten Solidarität aber zeigen werden184

, ergeben sich sehr wohl Un-

terschiede, und zwar sowohl betreffend die Unterscheidung von Solidarität

und Anspruchskonkurrenz als auch betreffend die zugrundeliegenden Kausa-

litäten.

Anhand des gerade gezeigten Beispiels lässt sich bereits jetzt zum Ausdruck

bringen, was der entscheidende Aspekt ist. Die beiden Hundehalter haften

nicht deshalb unecht solidarisch (in Anspruchskonkurrenz), weil die Interes-

sen des Geschädigten gleich schützenswert sind, wie jene des Geschädigten

aus verschiedenen Rechtsgründen, was eine analoge Anwendung von Art. 51

OR erlaubt. Vielmehr stehen die beiden Hundehalter in Anspruchskonkur-

renz, weil sie nicht zusammengewirkt haben. Dass die Anspruchskonkurrenz

sich auf den gesamten Schaden bezieht (Zurechnung) und die Hundehalter im

vorliegenden Fall beide für den ganzen Schaden solidarisch haften, ist darauf

zurückzuführen, dass die Hunde den Schaden aufgrund komplementärer

Kausalität (jede schädigende Ursache ist conditio sine qua non für die Scha-

densverursachung) verursacht haben185

. Eine (zugegebenermassen etwas kon-

struierte) Beispielvariante zeigt den Unterschied auf:

A und B spazieren jeweils mit ihrem Hund je auf einer Strassenseite. Als sie

sich auf gleicher Höhe befinden, fährt just in diesem Moment der Velofahrer C

vorbei. Der Hund des A beisst den Velofahrer ins linke Bein, der Hund des B

springt voller Freude am ihm bekannten Velofahrer C hoch, wobei er ihm die

Jacke zerreisst. Durch beide Handlungen zusammen dermassen abgelenkt,

kommt der Velofahrer C zu Fall und bricht sich den Arm.

Für den Armbruch erfolgt die Zurechnung aufgrund des Umstandes, dass

beide Hunde den Schaden zusammen verursacht haben (aus kausaler Sicht

kann keine schädigende Teilursache hinweg gedacht werden, ohne dass der

Gesamterfolg entfällt, komplementäre Kausalität) und der Velofahrer nur

wegen des Zusammenspiels der beiden schädigenden Handlungen gestürzt

ist, wiederum für beide Hundehalter auf den gesamten Schaden. Für die

183 So bspw. BREHM, BK-OR, N 95 ff. zu Art. 51 OR; REY, N 1440, N 1445; GAUTSCHI, S. 68.

184 Vgl. hinten S. 67 ff.

185 Vgl. zur komplementären Kausalität hinten S. 95 ff.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

54

Beinverletzung aufgrund des Hundebisses sowie für die zerrissene Jacke

haftet hingegen nur der jeweilige Hundehalter. Grund dafür ist, dass aus kau-

saler Sicht jeder Hund eine unabhängige und klar abgrenzbare Schadensursa-

che gesetzt und diese Schadensursache allein zur Schädigung geführt hat (ad-

ditive Kausalität)186

. Es darf nicht vergessen werden, dass die solidarische

Haftung grundsätzlich eine Ausnahme gegenüber der Anteilshaftung dar-

stellt187

. Im vorliegenden Fall fehlt es für die Schäden an Jacke und Bein an

der Setzung einer Teilursache durch den jeweils anderen Schädiger, der Scha-

den wäre auch entstanden, wenn der jeweils andere Schädiger nicht gewesen

wäre.

Hätten die Hundehalter hingegen verabredet, ihre Hunde auf den C zu hetzen,

würden sie in echter solidarischer Haftung für alle drei Schadenposten haften,

da sie die Einzelschäden, bzw. den Gesamtschaden in verschuldetem Zu-

sammenwirken verursacht haben und mithin die Kausalanteil vom gemein-

samen Verschulden übertüncht werden188

.

Daraus kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die „verschiedenen“

Rechtsgründe in Art. 51 OR keine eigenständige Bedeutung haben189

. Ge-

nauso wenig wie die verschiedenen Rechtsgründe in Art. 50 OR zur echten

Solidarität eine eigenständige Bedeutung hätten, denn in Art. 50 OR werden

die verschiedenen und „gleichartigen“ Rechtsgründe gleich, respektive gar

nicht behandelt190

. Dabei ist es klar, dass es im Bereich von Art. 50 OR auf

das gemeinsam verschuldete Zusammenwirken ankommt, und dass eine soli-

darische Haftung auch entsteht, wenn dieses Zusammenwirken bei jedem

Schädiger auf unterschiedlichen Rechtsgründen basiert.

186 Vgl. zur additiven Kausalität hinten S. 91 ff.

187 Vgl. dazu hinten S. 71.

188 So auch SCHAER, N 477.

189 So auch SCHAER, N 500 f.

190 Vgl. aber GAUTSCHI, S. 66, m.w.H. gemäss welchem echte Solidarität gemäss Art. 50 OR nur

aus gleichartigem Rechtsgrund bestehen soll. GAUTSCHI, S. 67, ist zuzustimmen, wenn er in

der Unterscheidung zwischen gleichartigen und verschiedenen Rechtsgründen kein zuverlässi-

ges Kriterium sieht. Nicht zugestimmt werden kann aber GAUTSCHI, S. 67, m.w.H., in der An-

sicht, dass es kein sachliches Unterscheidungskriterium zwischen echter und unechter Solida-

rität geben soll, denn wie aufgezeigt, unterscheiden sich echte und unechte Solidarität durch

das Kriterium des gemeinsam verschuldeten Zusammenwirkens.

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§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

55

2. Gemeinsames oder unabhängiges Handeln

Bei der unechten Solidarität, wie sie das Bundesgericht und ein Grossteil der

Lehre definiert, werden die Voraussetzungen der echten Solidarität gerade

nicht gefordert. Es wird im Rahmen der Haftung gemäss Art. 51 OR weder

ein gemeinsames Verschulden noch ein Zusammenwirken verlangt191

. Wenn

nun eine Mehrheit von Schädigern gerade nicht verschuldet zusammenwirkt,

kann dadurch zwar aus Sicht des Geschädigten ein (einheitlicher; „derselbe“)

Schaden entstehen192

. Aus Sicht der Schädiger ist das Zusammenkommen der

Schadensanteile in einem Schaden, resp. bei einem Geschädigten jedoch zu-

fällig, haben sie doch unabhängig voneinander gehandelt und somit weder

faktisch zusammengewirkt noch einen gemeinsamen Willen zur Schädigung

gehabt193

.

Dennoch wird in der Lehre und Rechtsprechung gebetsmühlenartig als

Rechtsfolge angenommen, dass sowohl bei der echten wie auch der unechten

191 So grundlegend BGE 115 II 42, E. 1.b, vgl. zur Formulierung schon vorne in FN 139 und bei

FN 144; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 2 zu Art. 50 OR; REY, N 1419, 1437 ff. HONSELL,

§ 11 N 12; KOLLER, § 75 N 40; HABLÜTZEL, S. 17 f. 192

Dabei muss aber definiert werden, was unter einem einheitlichen Schaden zu verstehen ist,

vgl. dazu hinten S. 168 ff.; vgl. auch LOSER, S. 125; BYDLINSKI, Haftung, S. 6 f., welcher

festhält, die Frage bleibe unklar, „wann nun eigentlich ‘ein Schaden’ und wann mehrere Schä-

den gegeben sein sollen. Darüber liesse sich endlos streiten und ohne Ergebnis […]. Regel-

mässig sind nämlich beide Versionen möglich; vom Standpunkt des Beschuldigten wird man

eher von einem Schaden, vom Standpunkt der mehreren Beschädiger eher von mehreren

Schäden sprechen.“ 193

So auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 351 ff.; WECKERLE, S. 91; KRAMER, Multikausale

Schäden, S. 59, welcher pointiert festhält: „Art. 50 und 51 OR statuieren nach ganz herrschen-

der Auffassung eine Solidarhaftung mehrerer Schadensverursacher für den Gesamtschaden

nicht nur, wenn deren Verhalten je für den ganzen Schaden auch wirklich (adäquat) kausal

war, sondern auch dann, wenn ein Schadensstifter erweislich nur für einen Teil des eingetrete-

nen Schadens kausal war, also in Fällen der „Teilschadenskausalität“. Dies kann für die Fälle

gemeinsamer vorsätzlicher Schädigung damit gerechtfertigt werden, dass hier regelmässig

wenigstens ein psychologischer Kausalbeitrag aller Beteiligten für den ganzen Schaden gege-

ben sein wird. Für Fälle bloss fahrlässiger Schadensstiftung durch bewusst Zusammenhan-

delnde wird dieses Argument des Kausalitätsverdachts hingegen sofort fragwürdig und trägt

von vorneherein nicht, wenn die Schädiger – wie in den Fällen von Art. 51 OR – völlig unab-

hängig voneinander ursächlich geworden sind.“; vgl. weiter HABLÜTZEL, S. 17; vgl. auch

BREHM, BK-OR, N 19 zu Art. 50 OR, wo BREHM festhält: “Entscheidend sind nicht die ge-

trennte Handlung, sondern der gemeinsame Wille, das bewusste, schuldhafte Zusammenwir-

ken.“ Dort bezieht sich die Aussage auf die echte Solidarität und steht im Zusammenhang,

dass auch bei getrennten Handlungen echte Solidarität bestehen kann, wenn der Wille ein ge-

meinsamer ist. E contrario muss daraus aber auch geschlossen werden, dass dann keine Soli-

darität vorliegen kann, wenn der Wille zur Schädigung kein gemeinsamer war.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

56

Solidarität eine Solidarhaftung für den ganzen Schaden eintrete194

. Dabei

wird der Frage keine Beachtung geschenkt, ob es denn einen Unterschied

machen könnte, dass mehrere Schädiger nicht zusammenwirken, also unab-

hängig voneinander handeln. Es macht aber klarerweise einen Unterschied,

weshalb im Bereich von Art. 51 OR eine der echten Solidarität gemäss

Art. 50 OR entsprechende solidarische Haftung nicht gerechtfertigt ist. Dies

wird nachfolgend aufgezeigt.

IV. Das Prinzip der Gleichbehandlung gleicher

Konstellationen

1. Wortlaut von Art. 51 OR

Anzumerken bleibt, dass Art. 51 OR mit seiner Formulierung einer entspre-

chenden Anwendung von Art. 50 Abs. 2 OR grundsätzlich tatsächlich auf

Art. 50 OR und somit auf die solidarische Haftung verweist. Genau betrach-

tet bezieht er sich aber als Regressregel bei Konstellationen mit einer Mehr-

heit von Ersatzpflichtigen, welche aus verschiedenen Rechtsgründen haften

(Regresskasskade gemäss Art. 51 Abs. 2 OR) auf die Regressregel von

Art. 50 OR. Dies ist jedoch nicht der entscheidende Aspekt.

2. Art. 50 OR entsprechende Anwendung von Art. 51 OR?

Entscheidend ist, dass die Lehre und Rechtsprechung ihm Kontext von

Art. 51 OR tatsächlich die Folgen echter Solidarität (also die Haftung jedes

Schuldners auf das Ganze bei gemeinsamem Verschulden und Zusammen-

wirken) entsprechend oder analog auf Konstellationen anwendet, welche

diese Voraussetzungen des gemeinsamen Verschuldens und Zusammenwir-

kens nicht erfüllen195

. Denn in den typischen Konstellationen gemäss Art. 51

OR werden für die Anspruchskonkurrenz gerade kein gemeinsames Ver-

schulden oder Zusammenwirken verlangt. Dies führt effektiv zu einer Er-

weiterung des Kreises möglicher Haftungsadressaten (grössere Anzahl Haft-

pflichtiger) respektive einer Erweiterung des Haftungsumfangs der einzelnen

194 Vgl. BGE 130 III 591, E. 5.5.1; OFTINGER/STARK, § 10 N 4; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 8

zu Art. 50 OR sowie N 2, N 6 und N 8 zu Art. 51 OR; GUHL/KOLLER, § 26 N 10; REY,

N 1440; BREHM, BK-OR, N 18 zu Art. 51 OR; HONSELL, § 11 N 12 ff.; vgl. JANSEN, S. 62

mit Hinweisen auf die Rechtsprechung. 195

Man vgl. die Formulierung in BGE 115 II 42, E. 1.b; vgl. auch SCHAER, N 477.

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§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

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Schädiger durch Ausdehnung der Haftungsmodalitäten (aus Anspruchskon-

kurrenz wird echte Solidarität) und letztlich zu einer Haftungsverschär-

fung196

.

3. Kein Analogieschluss

Ein Analogieschluss, also die Anwendung einer gesetzlich vorgesehenen

Rechtsfolge eines Tatbestandes auf einen anderen Tatbestand, ist nur mög-

lich, wenn dieser Tatbestand aus rechtlicher Sicht ähnlich gelagert ist. Der

gesetzlich nicht geregelte, analog beurteilte Sachverhalt muss dem gesetzlich

geregelten und betreffend seine Rechtsfolge analog angewendeten Sachver-

halt wertungsmässig (teleologisch) entsprechen197

. Die analog übernommene

Rechtsfolge muss dabei keineswegs identisch, sondern dem ähnlich gelager-

ten Sachverhalt entsprechend übernommen werden198

. Zu beachten ist dabei

immer der Gleichheitssatz (Gleiches gleich, Ungleiches ungleich behandeln),

welcher eine analoge Anwendung eines Rechtssatzes nur erlaubt, wenn dies

sachlich auch gerechtfertigt ist, m.a.W. um „sachlich nicht rechtfertigbare

Wertungsinkonsistenzen“ zu vermeiden199

. Eine entsprechende oder analoge

Anwendung von Art. 50 OR oder dessen Rechtsfolgen (Haftung auf das

Ganze) auf Art. 51 OR muss in diesem Zusammenhang bedeuten, das Prinzip

der echten Solidarität auf die Anspruchskonkurrenz anzuwenden, soweit die-

ses Prinzip der Anspruchskonkurrenz entspricht (Gleichbehandlungsgebot).

Soweit sich die Konstellationen aber klar unterscheiden, sind sie betreffend

ihre Folgen auch ungleich zu behandeln200

. Da die echte Solidarität und die

Anspruchskonkurrenz von gänzlich unterschiedlichen Tatbestandsvorausset-

zungen ausgehen (gemeinsames Verschulden und Zusammenwirken bei der

echten Solidarität, zufälliges Zusammentreffen der Schadensanteile ohne ge-

meinsames Verschulden oder Zusammenwirken bei der Anspruchskonkur-

196 Vgl. dazu auch VON BÜREN, S. 65 ff., 67.

197 KRAMER, Methodenlehre, S. 195.

198 KRAMER, Methodenlehre, S. 195, welcher festhält: „Analogie führt keineswegs immer zu

wörtlich identischer Anwendung der analog anzuwendenden Vorschrift (genauer ihrer Rechts-

folgeanordnung) auf den nicht geregelten Fall; die Analogie kann auch zu einer lediglichen

entsprechenden Anwendung führen.“ 199

Art. 8 BV; MÜLLER/SCHEFER, S. 654, 659 f.; HÄFELIN/HALLER/KELLER, N 752 ff., 758 ff.

KRAMER, Methodenlehre, S. 195 f. 200

Vgl. hierzu gleich anschliessend sowie hinten S. 67 ff. zur Frage des Zusammenhangs zwi-

schen Solidarität und Kausalität.

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Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

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renz), ist eine analoge Gleichbehandlung der Anspruchskonkurrenz durch

Übernahme der Rechtsfolgen von Art. 50 OR nicht gerechtfertigt.

D. Die Grenze der solidarischen Haftung

Aufgrund der gezeigten Unterschiede (Anwendungsvoraussetzungen, Kon-

struktion, Zweck) zwischen den Reglungen in Art. 50 und 51 OR ergibt sich,

dass die Rechtsfolge der der Regressordnung von Art. 51 OR zugrundelie-

genden Haftung Mehrerer für denselben Schaden nicht die gleiche sein kann,

wie bei der echten solidarischen Haftung, bei welcher ein gemeinsam ver-

schuldetes Zusammenwirken gefordert ist und bei welcher unabhängig von

der der Schädigung zugrundeliegenden Kausalitäten jeder Schädiger für den

gesamten Schaden haftet. Denn mit der Solidarität in Art. 50 OR „überspielt“

man die entweder ganz oder teilweise fehlende Kausalität zu einem Teil des

Schadens damit201

, dass die Schädiger bewusst und gewollt zusammenge-

wirkt haben202

. Dies bewirkt den erwünschten Effekt, dass der Geschädigte so

leichter zum Schadenersatz kommt und nicht bei jedem Schädiger den ent-

sprechenden Anteil einklagen muss203

.

Fehlt nun aber wie in Art. 51 OR gerade der Link des gemeinsam verschul-

deten Zusammenwirkens zwischen den Schädigern, bleibt kein anderer ge-

meinsamer Nenner übrig, als der zufälligerweise durch die zufällige bspw.

räumliche oder zeitliche Nähe der unabhängigen Schädiger bei einem Ge-

schädigten entstandene gleiche Schaden204

. Bei der unechten Solidarität ent-

steht der Schaden durch unabhängige Einzelhandlungen ohne gemeinsames

Verschulden, gemeinsam mit der Solidarschuld bleibt nur das Leistungsinte-

resse des Geschädigten205

. Bei dieser Konstellation kann die Rechtsfolge

201 Das Setzen einer Teilursache in kausalem Zusammenhang zum Gesamtschaden genügt, um

den betreffenden Schädiger solidarisch auf den ganzen Schaden haften zu lassen, vgl. vorne

S. 33 ff. 202

Vgl. zur Kausalität gleich anschliessend und zum Kausalitätsaspekt im Zusammenhang mit

der solidarischen Haftung im Besonderen hinten S. 67 ff. und S. 87 ff.; vgl. auch WEBER, ein-

heitliche Lösung, S. 351 ff. 203

OFTINGER/STARK, § 10 N 12, 24; REY, N 1403 f.; der Geschädigte wird sich dabei in der Re-

gel an den solventesten Schädiger halten, resp. an jenen Schädiger, bei welchem der Anspruch

am einfachsten durchsetzbar ist, vgl. ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 541. 204

Vgl. zu Schaden und Kausalität hinten S. 168 ff. 205

So auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 352 f.; KRAMER, Multikausale Schäden, S. 59 f.; vgl.

im Bereich der alternativen Gesamtursachenkonkurrenz auch QUENDOZ, S. 12 ff.

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§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

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keine solidarische Haftung aller Schädiger auf den gesamten Schaden sein,

denn die Kausalität kann nicht durch ein bewusstes und gewolltes Zusam-

menwirken „überspielt“ werden. Somit stellen sich hier in erster Linie die

Fragen nach dem kausalen Anteil jeder Schädigerhandlung zum Gesamtscha-

den206

sowie grundlegender, wie sich der Gesamtschaden überhaupt defi-

niert207

.

Zwar ist es ein korrektes Bestreben, die Stellung des Geschädigten verbes-

sern zu wollen und ihm die Möglichkeiten der echten Solidarität einzuräu-

men, wenn ihm der Schaden durch mehrere Schädiger (durch gemeinsames

Verschulden respektive Zusammenwirken) zugefügt wurde. Doch die Grenze

dieses Strebens ist erreicht und wird überschritten, wenn ein Schädiger ohne

gemeinsam verschuldetes Zusammenwirken für einen Teil eines Schadens

haften soll, welchen er in keiner Weise mit verursacht hat208

. Diesfalls fehlt

es nämlich bereits am Kausalzusammenhang zwischen der schädigenden

206 Vgl. dazu hinten S. 90 ff.

207 Vgl. dazu hinten S. 175 ff.

208 Vgl. pointiert KRAMER, Multikausale Schäden, S. 60: „Offenbar hat man sich […] an den

Grundsatz der solidarischen Totalhaftung derart gewöhnt, dass man sich gar nicht mehr dar-

über Rechenschaft ablegt […], wie unbegründet hart […] vielfach der Grundsatz sich zu Las-

ten einzelner Mithaftender auswirken kann.“; so theoretisch auch BREHM, BK-OR, N 33 zu

Art. 50 OR, welcher festhält: „Solidarität besteht nur, sofern jeder Täter für das gemeinsame

Verschulden mithaftet […]. Trifft den einen Täter kein Verschulden, dann ist dieser von der

Solidarität ausgenommen.“ Weiter meint BREHM, BK-OR, N 35 zu Art. 50 OR: „Ebenso ent-

fällt die Solidarität, wenn verschiedene Täter unabhängig voneinander einem Geschädigten

klar trennbare Schäden zugefügt haben […] oder wenn sich der Schadenserfolg in bestimmte

Anteile zerlegen lässt. Es besteht in diesem Fall nur eine anteilsmässige Haftung.“; man vgl.

auch ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 9 zu Art. 50 OR; SCHAZMANN, S. 28; HABLÜTZEL,

S. 15, welcher festhält, dass es keine „überkausale“ Haftung der Solidarschuldner geben kann;

vgl. zur Abschaffung der überkausalen Haftung im Rahmen der Aktienrechtsrevision

ROBERTO, Differenzierte Solidarität, S. 31; WIDMER/WESSNER, S. 169; JANSEN, S. 70 f.;

BECKER, BK-OR, N 13 zu Art. 51 OR für das Zusammentreffen mehrerer Haftungsgründe aus

Vertragsverletzung; vgl. weiter GAROBBIO, S. 101 ff.; BGE 68 II 369 (375), E. 6; vgl. aber

auch BREHM, BK-OR, N 42 ff. zu Art. 50 OR (betrifft die Herabsetzungsgründe); ein wenig

missverständlich OFTINGER/STARK, § 10 N 4, welche festhalten, dass wenn ein „Zusammen-

wirken mehrerer adäquater Ursachen zu einer qualitativen Veränderung [führt], ohne dass ein

gemeinsames Verschulden vorliegt, […] die für sie Verantwortlichen ebenfalls solidarisch

[haften] (51 OR).“; dieses „Zusammenwirken“ meint wohl den Fall einer Schadenverursa-

chung durch komplementäre Kausalität (vgl. gleich hinten), für welche tatsächlich eine volle

Zurechnung auf den Gesamtschaden zu erfolgen hat; OFTINGER/STARK, § 10 N 33 halten aber

(in Bezug auf die Reduktionsgründe, vgl. dazu hinten S. 105 ff.) auch fest, dass man „aus der

Solidarität nicht schliessen [darf], dass jemand allein deswegen, weil neben ihm ein anderer

haftet, mehr an Schadenersatz schulde, als er zu leisten hätte, wenn er allein haften würde.“

Page 98: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

60

Handlung des einen Schädigers und dem Schaden, welchen der Schädiger

nicht mit verursacht hat209

. Der Schutz der Geschädigten durch das Mittel der

solidarischen Haftung ist gerechtfertigt, wenn mehrere Schädiger zusam-

menwirkend einen Schaden verschuldet haben210

. Doch noch gerechtfertigter

ist der Schutz eines „Schädigers“ davor, einen Schaden begleichen zu müs-

sen, an dem er keinen Anteil hat211

, respektive an dem er nur deshalb Anteil

haben soll, weil er zufälligerweise beim gleichen Geschädigten auch einen

Schaden verursacht hat212

. Im Fall von Art. 51 OR kann also keine solidari-

209 Vgl. BGE 127 III 257, E. 5.a (vgl. dazu auch hinten S. 179 ff. respektive bei FN 638): „Die

Verantwortlichkeit als Solidarschuldner wird durch die Reichweite der ihn treffenden Haftung

beschränkt. Haftet jemand von vornherein überhaupt nicht oder nur für einen Teil des Scha-

dens, weil sein Verhalten nicht für den gesamten eingetretenen Schaden adäquat-kausal ist,

hat er auch nicht als Solidarschuldner neben anderen Mitschädigern für mehr einzustehen, als

er aufgrund seiner eigenen Haftung verpflichtet ist […]“; vgl. aber BGE 97 II 403, E.7.d, wel-

cher zum Wesen der Solidarität festhält: „Diese [=die Solidarität, Anm. d. Verfassers] lässt

sich nicht logisch begründen und ergibt sich auch nicht aus dem Wesen der Adäquanz; denn

das Kausalitätsprinzip würde gegenteils verlangen, dass jeder nur für den Teil haftet, den er

verursacht hat oder für dessen Verursacher er einstehen muss […]. Die solidarische Haftung

beruht vielmehr auf dem Bestreben, dem Gläubiger eine möglichst vollständige Befriedigung

für seine Ansprüche zu sichern […]. Den schutzwürdigen Interessen des belangten Schuldners

trägt die Einräumung des Rückgriffsrechtes im internen Verhältnis der mehreren Schuldner

genügend Rechnung. Die Möglichkeit, dass wegen Zahlungsunfähigkeit der andern Schuldner

der Rückgriff ergebnislos bleibt, darf nicht als Grund für die Beschränkung der Haftung des

belangten Schuldners in Betracht gezogen werden; denn es wäre noch ungerechter, wenn statt

eines der mehreren Schadensstifter der Geschädigte einen Verlust auf sich nehmen müsste.“;

BGE 86 II 189, E. 2. 210

REY, N 1440; BREHM, BK-OR, N 36 zu Art. 50 OR; OFTINGER/STARK, § 10 N 12; SCHAER,

N 472; WIDMER/WESSNER, S. 163; HABLÜTZEL, S. 11 f.; der Geschädigte wird sich dabei in

der Regel an den solventesten Schädiger halten, resp. an jenen Schädiger, bei welchem der

Anspruch am einfachsten durchsetzbar ist, vgl. ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 541. 211

Dies ist Ausfluss aus dem grundlegenden haftpflichtrechtlichen Prinzip „casum sentit domi-

nus“, gemäss welchem grundsätzlich jeder Geschädigte seinen Schaden selber zu tragen hat,

ausser ihm sei der Schaden unberechtigterweise zugefügt worden, vgl. hierzu hinten S. 73 f.

und FN 334; vgl. auch OFTINGER/STARK, § 1 N 10 ff.; REY, N 18 ff.; vgl. weiter BYDLINSKI,

Haftung, S. 6, welcher grundlegend festhält: „Verursachung eines Schadens setzt (mindestens)

das Verhältnis der condicio sine qua non voraus […]. Schon diese praktische Ausserstreit-

stellung des Mindestinhalts des Kausalitätsbegriffs zeigt, dass ihm eine elementare und tief

verwurzelte Rechtsidee zugrunde liegt: Die Vorstellung nämlich, jedermann solle für den

Schaden und nur für den Schaden einstehen, den er durch von ihm gesetzte Haftungsgründe

angerichtet hat, nicht aber für solche Schäden, die durch Zufall oder durch dritte Personen

bewirkt wurden. Diese Schäden fallen, je nach dem, in den Risikobereich des Beschädigten

oder des dritten Schädigers.“ 212

So hält KRAMER, Multikausale Schäden, S. 96 pointiert fest, dass „die Mehrtäterschaft im

schweizerischen Recht primär als hoch willkommene Chance gesehen wird, dem Geschädig-

ten durch die Solidarhaftung eines ausserordentlich extensiv gefassten Kreises von Beteiligten

Page 99: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

61

sche Haftung für den gesamten Schaden bestehen, sondern nur bis zum klein-

sten gemeinsamen Ersatzbetrag. Dies ist dann aber keine solidarische Haf-

tung mehr, sondern eine blosse Konkurrenz der einzelnen Ansprüche, d.h.

blosse Anspruchskonkurrenz213

.

Nur wenn die Kausalanteile so untrennbar miteinander verwoben sind, dass

trotz unabhängiger Handlungen ein einheitlicher und nach Kausalanteilen

nicht aufschlüsselbarer Schaden entsteht214

, rechtfertigt es sich, die Schädiger

auf das Ganze haften zu lassen. Allerdings bleibt es in dieser Konstellation

dabei, dass die Schädiger aufgrund des fehlenden gemeinsamen Verschul-

dens/Zusammenwirkens in Anspruchskonkurrenz stehen. Dies hat zur Folge,

dass die einzelnen Schadenersatzforderungen anders als bei der echten Soli-

darität ihr eigenes rechtliches Schicksal haben215

.

E. Fazit

Der Unterschied zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkurrenz be-

steht somit darin, dass sich die Anspruchskonkurrenz nur auf einen Teil des

Schadens, die Solidarität demgegenüber auf den gesamten Schaden bezieht

(Art. 50 i.V.m. Art. 144 OR)216

. Im Bereich der echten Solidarität haften da-

her alle Schädiger für den ganzen Schaden, weil sie ein gemeinsames Ver-

schulden trifft217

. Eine Betrachtung der der Schädigung zugrundeliegenden

Kausalitäten findet nicht statt. Bei der Anspruchskonkurrenz dagegen haben

die Schädiger unabhängig voneinander gehandelt und es trifft sie kein ge-

meinsames Verschulden. Deshalb sind sie als Einzelschädiger zu behandeln.

Die Zurechnung der schädigenden Handlungen erfolgt aufgrund der Kausa-

möglichst entgegenzukommen. Dem Gläubiger soll […] „möglichst vollständige Befriedi-

gung“ gesichert, ihm somit das Insolvenzrisiko (zu Lasten der auf den Regressweg verwiese-

nen solidarisch Haftenden) möglichst abgenommen werden. Bemerkenswert ist, das diese So-

lidarhaftung […] auch dann eingreifen soll, wenn erweislich ist, dass ein Schadensstifter nur

für einen (bestimmbaren) Teil des Schadens kausal war.“ 213

So auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 352 f.; WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 123 f. 214

Vgl. hierzu hinten S. 95 ff. zur komplementären Kausalität. 215

So auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 353, welcher festhält, dass dies neben der oft er-

wähnten Verjährungsunterbrechung auch die Schadensberechnung und die Schadenersatzbe-

messung betrifft; vgl. dazu hinten S. 105 ff. 216

WEBER, einheitliche Lösung, S. 352. 217

Wie zu sehen sein wird, betrifft dies insbesondere auch die Frage der Geltendmachung indivi-

dueller Reduktionsgründe durch die Schädiger, vgl. dazu S. 154 ff. und S. 162 f.

Page 100: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 2: Aussenverhältnis einer Schädigermehrheit im Haftpflichtrecht

62

lität218

, das Zurechnungskriterium des gemeinsamen Verschuldens ist nicht

gegeben. Denn die Anspruchskonkurrenz ist ein „lediglich zufälliges Zu-

sammentreffen von gleichartigen Forderungen, das mit dem Solidarschuld-

verhältnis nur das Leistungsinteresse des Gläubigers gemein hat […]. Ein

Solidaritätseffekt besteht einzig bis zur Höhe der kleinsten Ersatzforderung,

die damit den grössten, gleichzeitig aber auch einzigen gemeinsamen Nenner

bildet.“219

Letztlich ist der entscheidende Punkt der, dass eine echte solidarische Haf-

tung nicht einfach reflexartig eingreifen soll, wenn eine Mehrheit von Ersatz-

pflichtigen „zur Verfügung“ steht. Es ist unbestritten, dass das Prinzip des

Geschädigtenschutzes im Bereich der echten Solidarität einen angemessenen

Mechanismus für die Nachteile darstellt, welche der Geschädigte aufgrund

der ihm gegenüberstehenden Schädigermehrheit erleidet. Doch für diesen

Schutz muss die Voraussetzung eines verschuldeten Zusammenwirkens unter

den Schädigern gegeben sein, ansonsten ein Schädiger rasch für einen Scha-

den mithaften muss, welchen er gar nicht verursacht hat220

.

Gesamthaft zeigt sich, dass das Kriterium der verschiedenen oder der glei-

chen Rechtsgründe weder geeignet noch relevant ist, um zu bestimmen, ob

echte oder unechte Solidarität vorliegt. Denn während in Art. 50 OR klar ist,

dass beim durch gemeinsam verschuldetes Zusammenwirken verursachten

Schaden die Schädiger sowohl aus gleichen wie auch aus verschiedenen

Rechtsgründen zusammenwirken können, interpretiert die Rechtsprechung

und die herrschende Lehre die gleichen Rechtsgründe auch in Art. 51 OR

hinein. Der einzige Unterschied, welcher zwischen den beiden Bestimmun-

gen so noch übrig bleibt, ist das Kriterium, ob die Mehrzahl von Schädigern

den Schaden gemeinsam oder unabhängig voneinander verursacht hat. Wurde

der Schaden gemeinsam verursacht, kommt Art. 50 OR zur Anwendung,

wurde er getrennt verursacht, ist Art. 51 OR einschlägig.

Haben aber zwei Schädiger unabhängig voneinander gewirkt, ist es zufällig,

ob der Schaden beim gleichen Geschädigten eintritt oder nicht. Der Aspekt,

welcher darüber entscheidet, ob ein Schaden beim gleichen Geschädigten

218 Vgl. zur Zurechnung schädigender Teilhandlungen hinten S. 168 ff.

219 So treffend WEBER, einheitliche Lösung, S. 353.

220 Dies ergibt sich aus dem grundlegenden haftpflichtrechtlichen Prinzip „casum sentit domi-

nus“, vgl. hierzu vorne bei FN 211 sowie hinten S. 73 f. und FN 334; vgl. auch OFTIN-

GER/STARK, § 1 N 10 ff.; REY, N 18 ff.

Page 101: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 10 Analyse Unterscheidung echte Solidarität und Anspruchskonkurrenz

63

eintritt und ob überhaupt ein Schaden beim gleichen Geschädigten eintritt, ist

sodann eine Frage der Kausalität. Der Zusammenhang zwischen Solidarität

und Kausalität beschlägt aber schon den Lösungsansatz zur Frage der Unter-

scheidung zwischen echter und unechter Solidarität und steht daher im Zent-

rum des nächsten Kapitels.

Page 102: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

64

Teil 3: Ein Haftungsmodell basierend auf Solidarität,

Anspruchskonkurrenz (unechte Solidarität) und

der Kausalität als massgebendes

Unterscheidungskriterium

§ 11 Überblick

Nachdem im vorangehenden Kapitel der Unterschied zwischen echter Solida-

rität und Anspruchskonkurrenz aufgrund von Art. 50 und Art. 51 OR geklärt

und dargetan wurde221

, dass dieser Unterschied mit der Frage nach den der

Unterscheidung zugrundeliegenden Kausalitäten untrennbar verknüpft ist,

soll nun im folgenden Kapitel auf den Aspekt der Kausalität fokussiert und

somit auf die Frage des Zusammenhangs zwischen Solidarität/Anspruchs-

konkurrenz und Kausalität eingegangen werden. Es wird aufgezeigt, dass die

Frage, ob, inwiefern und in welchem Umfang eine Mehrheit von Ersatz-

pflichtigen solidarisch oder anteilsmässig haften, untrennbar mit den der Haf-

tung zugrundeliegenden Kausalitäten verbunden ist.

Dazu wird in § 12 zuerst auf einige Grundlagen zu einer Mehrheit Ersatz-

pflichtiger im Zusammenhang mit der Kausalität eingegangen. Dies betrifft

die Zusammenhänge zwischen Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausa-

lität (A.-D.) sowie Ausführungen zum natürlichen und adäquaten Kausalzu-

sammenhang (E.).

In § 13 wird auf Gesamt- und Teilursachenkonkurrenzen eingegangen. Die

Konstellationen mit reiner Gesamtursachenkonkurrenz (kumulative, alterna-

tive und hypothetische Kausalität) werden als erstes dargestellt (B.). Danach

folgen mit den reinen Teilursachenkonkurrenzen (additive und komplemen-

täre Kausalität) die beiden grundlegenden und praktisch wohl wichtigsten

Kausalitätsformen (C.)222

. Diese beiden Kausalitätsformen stellen gewisser-

221 Wie im vorangehenden Kapitel dargestellt, stehen die Ersatzforderungen, welche im Bereich

der unechten solidarischen Haftung an die einzelnen Schädiger gerichteten werden, im Ver-

hältnis der Anspruchskonkurrenz, vgl. vorne S. 45 ff.; in Lehre und Rechtsprechung werden

aber grösstenteils keine Konsequenzen betreffend die Unterscheidung der Rechtsfolgen aus

den Unterschieden zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkurrenz gezogen, vgl. vorne

S. 31 ff. 222

Vgl. zu den Kausalitätsformen BREHM, BK-OR, N 145 ff. zu Art. 41 OR; WEBER, einheitli-

che Lösung, S. 344 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 160 ff.; vgl. auch OFTINGER/STARK, § 3

Page 103: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 11 Überblick

65

massen die Grundbausteine für die kausalen Konstellationen mit einer Mehr-

heit Ersatzpflichtiger dar und werden im hinten zitierten BGE 127 III 257

verwendet, aber nicht als solche bezeichnet223

. Abschliessend wird auf die

Problematik der minimalen Kausalität eingegangen (D.). In diesen Konstel-

lationen ist eine (besonders) grosse Zahl an Schädigern je mit minimalen

Anteilen an einem Gesamtschaden beteiligt, was zu einer Diskrepanz zwi-

schen kausalem Anteil und mitverursachtem Schaden führt. Hier stellt sich

die Frage, ob eine solidarische Haftung des einzelnen Schädigers noch ange-

messen ist.

Daran anschliessend wird in § 14 die Frage behandelt, wie mit weiteren

schädigenden Teilursachen umzugehen ist, welche zu den von einer Mehrheit

von Schädigern gesetzten Teilursachen hinzutreten. Es sind dies insbesondere

Teilursachen, welche durch unabhängige Dritte oder vom Geschädigten

selbst gesetzt werden (B.). Zudem beschäftigt sich dieses Kapitel mit der Ab-

schwächung oder Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhangs (C.),

der Schadenersatzbemessung und der Reduktion des Schadenersatzes (D.-F.),

der Frage der Schadensvermeidung und der Schadensminderungspflicht (G.)

sowie der Frage des Zufalls als Teilursache (H.). Die Betrachtung erfolgt

immer mit Hinblick auf die der Haftung zugrundeliegenden Kausalitäten.

Zuletzt werden die gerade genannten Aspekte zusammengeführt und unter

dem Blickwinkel einer Mehrheit Ersatzpflichtiger betrachtet (I.).

Danach wird in § 15 auf die Problematik eingegangen, dass der Schaden, wie

er im schweizerischen Recht verstanden wird, von seiner Definition her auf

den Geschädigten ausgelegt ist. Es gilt deshalb zu klären, was unter einem

einheitlichen Schaden und einem Teilschaden zu verstehen ist, und wie die

Zurechnung der Teilschadenskausalitäten zu den einzelnen Schädigern er-

folgt. Dabei interessiert insbesondere die Frage, was unter einem einheitli-

chen Schaden und unter einem Teilschaden zu verstehen ist. Diese Betrach-

tung führt zur Beantwortung der Frage, was unter dem Begriff des Schadens

in Art. 50 und Art. 51 OR zu verstehen ist.

Zuletzt wird in § 16 auf die alternative oder unsichere Kausalität eingegan-

gen. Dies betrifft jene Sachverhalte, in welchen klar ist, dass einer von meh-

N 79 ff. sowie HABLÜTZEL, S. 8 f., welche terminologisch zwischen qualitativer (=komple-

mentärer) und quantitativer (=additiver) Ursachenkonkurrenz unterscheiden; vgl. hierzu wei-

ter BYDLINSKI, Streitfragen, S. 27 ff.; KRAMER, Multikausale Schäden, S. 89 f. 223

Vgl. dazu hinten bei FN 638 die zitierte Erwägung BGE 127 III 257, E. 5.a.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

66

reren Schädigern eine Teil- oder Gesamtursache für eine Schädigung gesetzt

hat, aber unklar bleibt (nicht aus kausaler Sicht, sondern beweistechnisch),

welcher Schädiger die betreffende Ursache gesetzt hat. Nach einigen Grund-

lagen zum Begriff der alternativen Kausalität werden verschiedene Konstel-

lationen der alternativen Kausalität im Bereich der Anspruchskonkurrenz so-

wie die Problematik der alternativen Kausalität als Beweisproblem diskutiert.

Abschliessend wird sodann die Frage beantwortet, wie aufgrund des Lö-

sungsansatzes der Beweismassreduktion und der Beweislastumkehr bei einer

Mehrzahl von Schädigern die unklaren Kausalanteile zugerechnet werden,

wer m.a.W. aufgrund welcher Voraussetzungen das Risiko der unsicheren

Kausalität zu tragen hat.

Page 105: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 12 Grundlagen

67

§ 12 Grundlagen

A. Echte Solidarität (Art. 50 OR) bedeutet Ganzhaftung

I. Solidarität als Erfüllungsmodalität

Die Solidarität funktioniert im Obligationenrecht als Erfüllungsmodalität

mehrerer bestehender Forderungen. Sie stellt keine Haftungsgrundlage oder

Haftungsvoraussetzung dar, sondern gibt bloss die Art und Weise vor, wie

bestehende Forderungen zueinander stehen, respektive zu erfüllen sind224

.

Daher ist die Solidarität als wertender Eingriff des Gesetzgebers in den Me-

chanismus der Kausalität zu verstehen225

.

Unterzieht man die Anspruchskonkurrenz und die Solidarität einer konzeptu-

ellen Betrachtung betreffend den Kausalitätsaspekt, zeigen sich die konzeptu-

ellen Unterschiede sowohl zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkur-

renz als auch zwischen den daraus folgenden Rechtsfolgen deutlich. Denn die

Haftungsvoraussetzung der Kausalität ist der entscheidende Aspekt bei der

Begründung der Solidarität, was darauf zurückzuführen ist, dass ohne den

wertenden Eingriff des Gesetzgebers in den Mechanismus der Kausalität, die

Kausalzusammenhänge wieder über ein Begründung der Haftung jedes ein-

zelnen Schädigers für den von ihm verursachten Anteil am Gesamtschaden

entscheiden würden226

.

Dies führt dazu, dass die gesamte Betrachtung der Solidarität grundsätzlich

an diesem Punkt der Einordnung einer speziell gesetzlich geregelten Erfül-

lungsmodalität ansetzen muss. Wie bereits gesehen, basiert die Ganzhaftung

einer solidarisch ersatzpflichtigen Schädigermehrheit nicht auf der Haftungs-

voraussetzung der Kausalität, sondern auf jener des gemeinsamen Verschul-

dens.

224 HABLÜTZEL, S. 8.

225 OFTINGER/STARK, § 10 N 10; WEBER, einheitliche Lösung, S. 341 ff.

226 Vgl. bspw. OFTINGER/STARK, § 10 N 10 ff., welche grundsätzlich festhalten, dass „rein kau-

salitätsmässig betrachtet, […] einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen eine anteilsmässige Haf-

tung [entspricht].“, sowie, dass sich die Rechtsordnung zu dem „ungeschriebenen Fundamen-

talsatz des Haftpflichtrechts [bekennt], dass eine Mehrheit von Ersatzpflichtigen solidarisch

haftet.“; HABLÜTZEL, S. 5.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

68

II. Solidarität: Zurechnung durch Verschulden, nicht durch

Kausalität

Als Voraussetzung für eine echte solidarische Haftung wird in Art. 50 OR die

von mehreren Schädigern gemeinsam verschuldete Schädigung genannt. Zur

Begründung einer solidarischen Haftung braucht es wie gesehen eine ge-

meinsame Verursachung des Schadens (Zusammenwirken) und ein gemein-

sames Verschulden227

. So ist bei der echten Solidarität die Kausalität nur

insoweit relevant, als die Schädiger eine in Bezug zur Schädigung adäquat-

kausale Teilursache gesetzt haben. Diesfalls haften sie für den ganzen Scha-

den solidarisch. Mit anderen Worten ist es somit unerheblich, welche Kausa-

litätsformen dem Verletzungserfolg zugrunde liegen, denn die Kausalität

wird gewissermassen vom gemeinsamen Verschulden übertüncht. Die Schä-

diger haften nicht aufgrund kausaler Ursachen für den ganzen Schaden, son-

dern aufgrund des gemeinsamen Verschuldens. WEBER hält dazu treffend

fest228

: „Die Lockerung des Kausalitätsgedankens lässt sich aber einzig durch

den Willen der Täter rechtfertigen, von dem die schädigenden Folgen getra-

gen sein müssen.“ Das korrekte Abstellen auf den Willen der Täter führt

dazu, dass der einzelne Schädiger einer Mehrzahl von Schädigern im Bereich

der echten Solidarität auf den ganzen Schaden haftet und damit für einen

grösseren Schaden einstehen muss, als er es aufgrund einfacher Kausalüber-

legungen müsste. Insofern führt die Solidarität zu einer Ausweitung des

Haftungsumfangs des einzelnen Solidarschädigers229

.

B. Anspruchskonkurrenz bedeutet kausale Zurechnung

Demgegenüber sind diese Voraussetzungen (gemeinsames Verschulden und

Zusammenwirken) in Art. 51 OR zur unechten Solidarität gerade nicht gefor-

dert, weshalb hier blosse Anspruchskonkurrenz (unechte Solidarität) be-

steht230

. Dies hat zur Folge, dass im Bereich der Anspruchskonkurrenz die

verschiedenen Formen der Kausalität von entscheidender Bedeutung sind,

denn ohne die Voraussetzungen der echten Solidarität müssen die Anteile

über die Kausalität zugerechnet werden.

227 Vgl. hierzu vorne S. 33 ff.

228 WEBER, einheitliche Lösung, S. 349.

229 JANSEN, S. 101; WEBER, einheitliche Lösung, S. 350; BRUNNER, N 312.

230 Vgl. hierzu vorne S. 56 ff.

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§ 12 Grundlagen

69

C. Mögliche Konstellationen

Nach dem gerade Gesagten sind aus Sicht von Art. 50 und Art. 51 OR vier

Grundkonstellationen vorstellbar, welche alle auf der Setzung von Teilursa-

chen durch die Schädiger basieren231

:

- Schädiger A und Schädiger B wirken zusammen auf einen Gesamterfolg

hin, wobei sich die Teilleistungen nicht unterscheiden lassen;

- Schädiger A und Schädiger B wirken zusammen auf einen Gesamterfolg

hin, wobei sich die Teilleistungen unterscheiden lassen;

- Schädiger A und Schädiger B wirken nicht zusammen, jedoch tritt ein Ge-

samterfolg ein, welcher dahinfällt, wenn eine der Teilleistungen hinweg

gedacht wird, die Teilleistungen lassen sich also nicht unterscheiden;

- Schädiger A und Schädiger B wirken nicht zusammen und es tritt beim

Geschädigten ein Gesamterfolg ein, bei welchem sich die Teilleistungen

auseinander halten lassen.

Für den Fall des verschuldeten Zusammenwirkens stellen sich Kausalitäts-

fragen nicht, da echte Solidarhaftung die Rechtsfolge ist (Konstellation 1

und 2).

Wirken die Schädiger hingegen nicht zusammen, stellen sich grundsätzlich

Fragen nach der kausalen Zurechnung (Konstellation 3 und 4; additive oder

komplementäre Kausalität). Zudem werden sich in der Realität die Teilursa-

chen meist nicht so einfach trennen lassen und die Kausalitätsformen vermi-

schen sich. Weiter wird es möglich sein, dass für eine ganze Schädigung (Ge-

samtursache) oder eine Teilschädigung (Teilursache) mehrere Schädiger in

Frage kommen und es nicht klar ist, wer welchen Anteil an der verursachten

Schädigung hat (unklare oder alternative Kausalität). Daraus entsteht fol-

gende realistische Konstellation:

- Schädiger A und Schädiger B (sowie allenfalls weitere Schädiger) wirken

nicht zusammen und es tritt beim Geschädigten ein Gesamterfolg ein, bei

welchem sich Teilleistungen teils unterscheiden, teils nicht unterscheiden

231 Diese Konstellationen gehören in den Bereich der Zurechnung von Teilursachen, d.h. jeder

Schädiger hat durch seinen Schadensbeitrag keine Ursache gesetzt, die den ganzen Schaden

schon allein verursacht hat oder haben könnte; vgl. zu den Teilursachen hinten S. 90 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

70

lassen. Zudem ist zumindest bei einem Teil der Schädigung unklar, wel-

cher Schädiger (allenfalls im Zusammenspiel mit einem oder mehreren

weiteren Schädigern) sie verursacht hat. Aus kausaler Sicht besteht „der

Schaden“ somit aus teils additiven, teils komplementären Teilursachen

(oder bei abgrenzbarem Schaden auch Gesamtursachen) sowie aus unkla-

ren Teil- oder Gesamtursachen232

.

Die hier genannten Konstellationen werden nachfolgend mit Bezug auf die

Kausalität eingehend analysiert und theoretisch erläutert. Als Ausgangssach-

verhalt kann hier der Sachverhalt des BGE 127 III 257 respektive BGHZ

101, 106233

dienen, in welchen es um die Schädigung an einer Liegenschaft

durch Bautätigkeiten und Grabungen der umliegenden Liegenschaften

ging234

:

BGE 127 III 257, Sachverhalt: „Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstü-

ckes Kat.-Nr. 6344 […]. Auf ihrer Parzelle steht ein im Jahre 1872 errichtetes

Wohnhaus; […]. Südöstlich und westlich der klägerischen Liegenschaft liegen

die Grundstücke Kat.-Nr. 6339 und 6341, die dem Beklagten 1 gehören. Auf

ihnen befindet sich die Überbauung "Albisriederdörfli", die von 1981 bis Ende

1982 erbaut wurde. Den Beklagten 2 gehört die Parzelle Kat.-Nr. 6343 im

Nordwesten des Grundstückes der Klägerin; auf dieser wurde zwischen Ende

1981 und Ende des Jahres 1982 eine Mehrfamilienhausüberbauung mit Tiefga-

rage errichtet. Eigentümerin des im Norden und Nordosten an das Grundstück

232 Vgl. hierzu BGE 127 III 257 oder den ähnlichen Sachverhalt in BGHZ 101, 106, 106 f.

233 BGHZ 101, 106, 106 ff.: „Der Kläger ist Eigentümer eines – nachträglich erweiterten – Einfa-

milienhauses in G. Das Haus ist nicht unterkellert. Seine Fundamente sind über 100 Jahre alt;

sie stehen zum Teil auf Findlingsgestein und zum Teil auf Moorboden. Der Beklagte ist Ei-

gentümer des Nachbargrundstücks. Im November 1972 begann er mit der Errichtung eines

grösseren Gebäudes. Wegen des ebenfalls moorigen Baugrunds wurde eine tiefe Baugrube

ausgehoben; sodann wurde Kies eingebracht und verdichtet. Am Hause des Klägers entstan-

den erhebliche Risse. Die Parteien streiten darüber, ob die Schäden durch die Baumassnahmen

auf dem Grundstück des Beklagten oder durch andere Baumassnahmen in der Nähe verursacht

worden sind und insoweit eine besondere Schadensanfälligkeit des Hauses des Klägers hierzu

beigetragen hat. Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm

sämtliche Schäden an seinem Haus zu ersetzen […].“ Gemäss Sachverständigengutachten, auf

welches sich die Vorinstanz gestützt hatte, wurden „als etwa gleichwertige Ursachen, die etwa

gleichen Anteil an den Rissbildungen haben können“, folgende Umstände eingeschätzt: […]

Anbau am Haus des Klägers […], Grundwasserentzug bei dem Aushub der Baugrube auf dem

Grundstück des Beklagten […], die Vibration bei der Verdichtung des in diese Baugrube ein-

gebrachten Sandes, Erdbaumassnahmen für den Ausbau der Strasse in G. durch die Gemeinde

G. […], Verlegung öffentlicher Wasserleitungen […], Erdbaumassnahmen […] durch die

Firmen B. und F. auf der Nordseite des Grundstücks des Klägers.“ 234

BGE 127 III 257, Sachverhalt.

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§ 12 Grundlagen

71

der Klägerin angrenzenden Grundstückes Kat.-Nr. 6345 ist die Stadt Zürich,

wobei auf ihrem Grundstück zu Gunsten der Beklagten 3 ein selbständiges und

dauerndes Baurecht eingetragen ist. In den Jahren 1984 und 1985 erbaute

diese dort mehrere Mehrfamilienhäuser. Mit Schreiben vom 25. März 1988

und vom 10. Juni 1988 teilte die Klägerin den Beklagten 1 und 3 mit, dass an

ihrem Gebäude Schäden aufgetreten seien, die mit den Bauarbeiten auf den

Nachbargrundstücken in Zusammenhang stünden. […]. Die Klägerin erhob

am 17. November 1993 beim Bezirksgericht Zürich Klage und beantragte, die

Beklagten 1, 2 und 3 solidarisch zur Zahlung von Fr. 1'689'330.35 nebst 5%

Zins seit dem 30. April 1993 zu verurteilen.“

D. Anspruchskonkurrenz bedeutet grundsätzlich

anteilsmässige Haftung

I. Solidarität als Spezialregelung

Die Voraussetzungen der solidarischen Haftung (gemeinsames Verschulden

und Zusammenwirken) sind in Art. 51 OR wie gesehen nicht gefordert, wes-

halb die Schädiger in blosser Anspruchskonkurrenz (unechte Solidarität) ste-

hen235

. Es scheint nun auf den ersten Blick, dass die Anspruchskonkurrenz in

Art. 51 OR eine Ausnahme vom Konstrukt der solidarischen Haftung gemäss

Art. 50 OR darstellt. Immerhin befürwortet die Lehre mehr oder weniger ge-

schlossen, dass die Rechtsfolgen in Art. 51 OR gleich wie bei Art. 50 OR die

solidarische Haftung einer Mehrheit Ersatzpflichtiger ist236

, und sieht damit

kaum einen Unterschied zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkur-

renz237

.

Richterweise ist es aber umgekehrt, die Solidarität stellt eine gesetzlich spe-

ziell angeordnete Ausnahme vom Prinzip der Einzelhaftung respektive An-

teilshaftung dar. Dies ist auf den Grundsatz zurückzuführen, dass grundsätz-

lich jeder nur für den von ihm selbst adäquat-kausal verursachten Schaden

einzustehen hat, so dass richtigerweise die solidarische Haftung als gesetzlich

235 Vgl. hierzu vorne S. 50 ff.

236 Vgl. BGE 130 III 591, E. 5.5.1; OFTINGER/STARK, § 10 N 4; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 8

zu Art. 50 OR sowie N 2, N 6 und N 8 zu Art. 51 OR; GUHL/KOLLER, § 26 N 10; REY,

N 1440; BREHM, BK-OR, N 18 zu Art. 51 OR; HONSELL, § 11 N 12 ff.; vgl. JANSEN, S. 62

mit Hinweisen auf die Rechtsprechung. 237

Vgl. aber bspw. HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 7 zu Art. 51 OR, welche für die echte Soli-

darität vom „Sonderfall des gemeinsamen Verschuldens“ sprechen.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

72

angeordnete Erfüllungsmodalität für den Fall des gemeinsamen Verschuldens

und Zusammenwirkens den Sonderfall zum Prinzip der Anteilshaftung dar-

stellt, welches selbst das Pendant zur Einzelhaftung bei einem Schädiger

ist238

.

II. Handhabung im deutschen Recht

Im deutschen Recht ist dieses Prinzip unbestritten. Dabei ist zu beachten,

dass das deutsche Recht in § 830 Abs. 1 BGB239

sogar eine Bestimmung

kennt, welche eine Haftung einer Schädigermehrzahl anordnet, wenn sich die

Kausalanteile nicht bestimmen lassen240

. Eine solche Regelung fehlt im

schweizerischen Recht. § 830 BGB ist im Kontext von § 840 Abs. 1 BGB241

zu lesen242

. Dies bedeutet, dass für eine Mehrzahl Schädiger, die entweder

eine unerlaubte Handlung gemeinsam begehen oder aber unabhängig vonein-

ander eine Schädigungen verursachen, deren Kausalanteile sich nicht klar zu-

ordnen lassen, solidarische Haftung (Gesamtschuldnerschaft) angeordnet

wird. Aufgrund dieser Regelung betreffend die Haftung für unklare Kausal-

anteile im deutschen BGB muss in Deutschland umso eindeutiger bestimmt

238 Dies haben grundlegend schon OSER/SCHÖNENBERGER erkannt, vgl. ZK-OSER/SCHÖNENBER-

GER, N 1 f. zu Art. 50 OR: „Solidarische Haftung eines jeden Verursacher für den vollen

Schaden ist gemäss unserem Recht nicht die selbstverständliche Folge der Mitverursachung;

die Konsequenz derselben ist lediglich Anspruchskonkurrenz oder sog. unechte Solidarität

[…], d.h. es stehen dem Verletzten mehrere Ersatzansprüche zu, aus denen er maximal den

vollen Schaden ersetzt erhalten darf; diese Ansprüche sind aber wegen des möglicherweise

ungleichen Verschuldens der Täter nicht gleich gross […]; Damit als jeder Mitverursacher

schlechthin für den ganzen Schaden solidarisch hafte […] bedarf es besonderer Gründe und

einer besonderen, eine Ausnahme schaffenden Gesetzesbestimmung. Diese gibt Art. 50

Abs. 1, wonach gemeinsame Verschuldung solidarische Haftung erzeugt. Der besondere

Grund aber, der zur Solidarhaft führt, kann […] nicht schon in der Mitverursachung als sol-

cher gefunden werden, auch nicht schon darin, dass Mehrere zwar schuldhaft, aber einander

unbewusst zur Herbeiführung des Schadens eine Bedingung setzen […].“; vgl. dazu auch

hinten die Ausführungen zum einheitlichen Schaden auf S. 168 ff. 239

§ 830 Abs. 1 BGB: Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Hand-

lung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. Das Gleiche gilt,

wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine

Handlung verursacht hat. 240

Vgl. zur sog. alternativen (unklaren) Kausalität hinten S. 198 ff. und speziell für das deutsche

Recht S. 203 ff. und S. 224 ff. 241

§ 840 Abs. 1 BGB: Sind für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden meh-

rere nebeneinander verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner. 242

MünchKommBGB/WAGNER, N 1 zu § 830 BGB.

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§ 12 Grundlagen

73

sein, was in jenen Fällen zu gelten hat, in welchen bei einer unabhängig von-

einander handelnden Mehrzahl Schädiger die Kausalanteile klar bestimmt

oder bestimmbar sind. Es ist dies das Prinzip der Anteilshaftung als Grund-

satz gegenüber der Ausnahme der solidarischen Haftung (Gesamtschuld)243

.

III. Lösung für das schweizerische Recht

Das schweizerische Obligationenrecht kennt keine Bestimmung analog zu

§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB, welche eine solidarische Haftung im Falle von

Kausalitätszweifeln anordnet. Dies ist jedoch auch nicht notwendig, um zu

erkennen, dass das Grundprinzip der anteilmässigen Haftung bei einer Schä-

digermehrzahl, welche nicht zusammengewirkt hat, auch im schweizerischen

Recht Gültigkeit hat244

. Denn auch im schweizerischen Recht gilt, dass bei

fehlendem Zusammenwirken und fehlendem gemeinsamem Verschulden je-

der Schädiger für den von ihm verursachten Schaden einzustehen hat und

nicht auch noch für von fremden Schädigern verursachte andere Schäden,

selbst wenn diese beim gleichen Geschädigten verursacht worden sind. Zu-

dem gilt auch im schweizerischen Recht der Grundsatz, dass niemand für ei-

243 BGHZ 66, 70, 76 f.; BGHZ 85, 375, 383; BGHZ 101, 106, 113, welcher festhält, dass „§ 830

Abs. 1 Satz 2 BGB dann nicht anwendbar ist, wenn die Verursacheranteile der einzelnen Be-

teiligten […] voneinander abgrenzbar sind […].“; dazu hält WAGNER, MünchKomm-

BGB/WAGNER, N 1 zu § 830 BGB fest: „Diese Rechtsfolgeanordnung [= Gesamtschuldner-

schaft] ist wiederum erst auf der Folie einer „allgemeinen Regel“ der Anteilshaftung zu ver-

stehen […], nämlich ‘dass jeder nur für denjenigen Schaden haftet, den er in schuldvoller

Weise verursacht hat.’ Die pro-rata-Haftung, nach der sich die Verantwortlichkeit des Einzel-

nen auf den eigenen Tatbeitrag und den dadurch verursachten Schadensteil beschränkt, ist also

der Normalfall und die Gesamtschuld die mit Hilfe der §§ 830, 840 Abs. 1 zu begründende

Ausnahme […].“; MünchKommBGB/WAGNER, N 44 zu § 830 BGB, im Zusammenhang mit

der Unaufklärbarkeit von Kausalanteilen bei Alternativtätern: „§ 830 Abs. 1 S. 2 ist nur an-

wendbar, wenn unaufklärbar ist, wer von mehreren Beteiligten den Schaden tatsächlich verur-

sacht hat oder zu welchem Anteil jeder Einzelne daran mitgewirkt hat. Daran fehlt es […] vor

allem […] in den Fällen der Anteilshaftung, wenn also den Beteiligten […] diskrete Teilschä-

den zugeordnet werden können […].“; weiter führt MünchKommBGB/WAGNER, N 29 zu

§ 830 BGB zur Begründung aus: „Der eigentliche Grund für die Unanwendbarkeit des § 830

Abs. 1 S. 2 bei feststehenden Kausalverhältnissen ist […] das Prinzip der Anteilshaftung, vom

dem § 830 eine Ausnahme macht […]. Diese Ausnahme darf nicht so extensiv gehandhabt

werden, dass das eigentliche Prinzip ausgehöhlt oder aus den Angeln gehoben wird […]. So-

weit sich den Verursacherbeiträgen der Beteiligten einzelne Teilschäden […] zuordnen lassen,

scheidet die gesamtschuldnerische Haftung aus.“; so auch BGB-Staudinger/EBERL-BORGES,

N 90 zu § 830 BGB; vgl. auch BGB-RGRK/STEFFEN, N 1 zu § 830 BGB. 244

So auch LOSER, S. 108, 117, 125 f.; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 97 ff.; KELLER, S. 154;

PETITPIERRE, S. 102 f.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

74

nen nicht selbst verursachten Schaden aufzukommen hat, respektive dass der

Geschädigte seinen Schaden grundsätzlich selber trägt, ausser es habe ihm

jemand den Schaden widerrechtlich verursacht (casum sentit dominus)245

.

Diese Grundsätze und damit eine anteilsmässige Haftung (respektive genauer

eine Haftung für den ganzen, selbst verursachten Schaden246

) gilt für die Fäl-

le, in welchen sich die Kausalanteile bestimmen lassen247,248

.

Es ergibt sich also, dass die Anspruchskonkurrenz im Grundsatz anteilsmäs-

sige Haftung bedeutet. Denn soweit sich die selbst verursachten Scha-

densteile unterscheiden und sich somit abgrenzbare Teilschäden bestimmen

lassen, haftet nur der verursachende Schädiger dafür. Soweit sich die Kausal-

anteile sodann aber wegen komplementärer Kausalität nicht unterscheiden

lassen, stehen die Ansprüche der Schädiger tatsächlich in Anspruchskonkur-

renz, was bedeutet, dass der Geschädigte von jedem Schädiger für diesen

Schadensteil den ganzen Schaden ersetzt verlangen kann249

. Insoweit stimmt

die Anspruchskonkurrenz mit der echten Solidarität überein250

, unterscheidet

sich aber gerade auch von ihr dadurch, dass sich der solidarisch zu ersetzende

Teil nicht auf den ganzen Schaden, sondern nur auf den komplementär-kau-

salen Schadensteil bezieht251

. Zudem erfolgt im Bereich der Anspruchskon-

kurrenz auch die Schadenersatzbemessung individuell252

.

Dabei trifft den Geschädigten gemäss Art. 8 ZGB die Beweislast, was be-

deutet, dass der Geschädigte den Tatsachenbeweis erbringen muss, dass ihm

245 Dies betrifft bereits die Frage der Passivlegitimation sowie die Haftungsvoraussetzungen der

Rechtswidrigkeit, des Kausalzusammenhangs sowie allenfalls des Verschuldens, vgl. OFTIN-

GER/STARK, § 1 N 145 ff. sowie N 10. 246

Ob mehrere einzelne Schäden vorliegen oder ein aus mehreren Einzelteilen bestehender Ge-

samtschaden ist aufgrund der kausalen Verursachung zu bestimmen; vgl. auch BYDLINSKI,

Haftung, S. 6 f. 247

So auch LOSER, S. 117, 125 f.; BREHM, BK-OR, N 35 zu Art. 50 OR; SCHAZMANN, S. 28;

SCHWEIGHAUSER, S. 168; a.A. OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 337. 248

Bereits sei folgendes vorausgeschickt: Bestimmbar sind die Kausalanteile im Bereich der ad-

ditiven Kausalität, nicht hingegen bei Schadensverursachung durch komplementäre Teilursa-

chen; vgl. zur additiven Kausalität hinten S. 91 ff., zur komplementären Kausalität hinten

S. 95 ff. 249

So auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 351 ff. 250

Vgl. hierzu vorne S. 22 ff. bereits die einleitende Abgrenzung zwischen Anspruchskonkurrenz

und Solidarität. 251

WEBER, einheitliche Lösung, S. 352. 252

Vgl. zur Schadenersatzbemessung hinten S. 105 ff.

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§ 12 Grundlagen

75

eine bestimmte Person (potentieller Schädiger) widerrechtlich, adäquat-kau-

sal und allenfalls verschuldet einen Schaden verursacht hat253

.

IV. Abgrenzung zu Beweisproblemen

Wie mit Konstellationen zu verfahren ist, in denen sich die Kausalanteile aus

kausalitätstheoretischer Sicht nicht unterscheiden, sondern tatsächlich auf-

grund von beweistechnischen Kausalzweifeln (Anteilszweifel oder Urheber-

zweifel) nicht bestimmen lassen, wird später zu klären sein254

. Dies beschlägt

aber ein Beweisproblem und nicht grundsätzlich die Zurechnung respektive

den Grundsatz der Anspruchskonkurrenz bzw. den Grundsatz der anteilsmäs-

sigen Haftung255

.

E. Natürliche Kausalität und deren Begrenzung als

Ausgangslage

I. Der natürliche Kausalzusammenhang

1. Naturgesetzlicher und wissenschaftstheoretischer Begriff

Im Recht wird von einem naturgesetzlichen Begriff der Kausalität ausgegan-

gen, ein Kausalzusammenhang besteht als naturgesetzlicher Zusammenhang

zwischen Ursache und Wirkung256

. Ganz grundsätzlich versteht man unter

253 OFTINGER/STARK, § 1 N 150, gemäss welchem der Nachweis dieser Voraussetzungen das „ei-

serne Beweisthema des Haftpflichtklägers“ darstellt. 254

Vgl. zur unklaren respektive alternativen Kausalität hinten S. 198 ff. 255

Vgl. hierzu auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 f.; FREI, Kausalzusammenhang, S. 32. 256

BREM, S. 311 f.; KELLER, S. 65; ACKERMANN, S. 7; VON TUHR/PETER, S. 88; kritisch RO-

BERTO, Schadensrecht, S. 51 sowie S. 67 ff., mit dem Hinweis, dass sich bei Vorliegen mehre-

rer Schadensursachen nicht feststellen liesse, ob bei Wegfallen einer Ursache auch der Ge-

samterfolg entfiele. Somit habe der Richter in seinem Kausalurteil keine naturwissenschaftli-

che Darstellung zu geben. Vielmehr würden „allgemeine Gesetzmässigkeiten oder Vernunft-

gründe ohne Gesetzescharakter“ genügen. So bedeute natürliche Kausalität im Schadenersatz-

recht grundsätzliche Zurechenbarkeit einer Schadensfolge zu einem haftungsbegründenden

Tatbestand im Sinne der Äquivalenztheorie als juristische Zurechnungslehre; vgl. auch

PROSSER/KEATON, S. 269 f.; kritisch auch KLEINE-COSACK, S. 12 ff., mit eingehender Ana-

lyse; man vgl. aber zur Feststellbarkeit der der Kausalanteile die Ausführungen zu den additi-

ven und den komplementären Teilursachen S. 90 ff. sowie die Ausführungen zum Vorgehen

bei unklarer Kausalität S. 198 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

76

dem Begriff der Kausalität aus wissenschaftstheoretischer Sicht den Ablauf

von zeitlich und gesetzmässig aufeinander folgenden und sich im Ursachen-

Wirkungsgefüge bedingenden Gegenständen, Ereignissen oder Zuständen257

.

Eine Kausalkette entsteht, wenn eine Ursache eine Wirkung herbeiführt und

diese Wirkung wieder Ursache für eine neue Wirkung bildet258

. Zu beachten

ist, dass der natürliche Kausalzusammenhang als Rechtsbegriff in Erweite-

rung der wissenschaftstheoretischen Definition der naturgesetzlichen Kausa-

lität auslegungsbedürftig ist259

.

2. Natürliche Kausalität im Haftpflichtrecht

Im Haftpflichtrecht muss der Kausalzusammenhang zwischen Verhalten und

Erfolg respektive zwischen Ursache und Erfolg/Wirkung zur Haftungsbe-

257 Vgl. SCHULIN, S. 42 ff.; S. 50 ff.; S. 81 ff.; S. 203 f.; BREM, S. 311 f.; LOSER, S. 35 f.; vgl. die

grundlegende Konstruktion und Definition der Kausalität bei HUME, S. 101 ff.: „Wenn aber

eine besondere Art von Ereignissen immer in allen Fällen mit einer anderen aufgetreten ist, so

scheuen wir uns nicht, beim Erscheinen der einen die andere vorherzusagen und jene Schluss-

folgerung anzuwenden, die uns allein jede Tatsache oder Existenz sicherstellt. Wir nennen

dann den einen Gegenstand Ursache, den anderen Wirkung. Wir unterstellen, dass es irgend-

eine Verknüpfung zwischen beiden gibt, irgendwelche Kraft im einen, durch die er unfehlbar

den anderen hervorbringt und mit grösster Gewissheit und strengster Notwendigkeit wirkt.

Hiernach scheint es, dass die Idee einer notwendigen Verknüpfung von Ereignissen ihren Ur-

sprung in einer Häufung eingetretener gleichartiger Fälle hat, in denen beständig diese Ereig-

nisse zusammen auftraten […]. In einer Mehrzahl von Fällen, die als ganz gleichartig ange-

nommen worden sind, findet sich aber nichts von jedem Einzelfalle Verschiedenes, ausge-

nommen, dass nach einer Wiederholung gleichartiger Fälle der Geist aus Gewohnheit veran-

lasst wird, beim Auftreten des einen Ereignisses dessen übliche Begleitung zu erwarten und zu

glauben, dass sie ins Dasein treten werde […]. Untereinander gleichartige Gegenstände treten

stets mit untereinander gleichartigen Gegenständen zusammen auf. Dies sagt uns die Erfah-

rung. In Übereinstimmung mit dieser Erfahrung mögen wir also eine Ursache definieren als:

einen Gegenstand, dem ein anderer folgt, wobei allen Gegenständen, die dem ersten gleichar-

tig, sind, Gegenstände folgen, die dem zweiten gleichartig sind. Oder mit anderen Worten:

wobei, wenn der erste Gegenstand nicht bestanden hätte, der zweite nie ins Dasein getreten

wäre. Die Erscheinung einer Ursache führt stets den Geist, durch einen gewohnheitsmässigen

Übergang, zur Idee der Wirkung. Auch dies lehrt uns die Erfahrung. Deshalb mögen wir, jetzt

in Übereinstimmung mit dieser Erfahrung, eine andere Definition der Ursache bilden und sie

bezeichnen als: einen Gegenstand, dem ein anderer folgt und dessen Erscheinen stets das Den-

ken zu jenem andern führt […].“; vgl. moderne Definitionen der Kausalität bei COLLINS,

S. 1132 ff., mit der abschliessenden Definition (S. 1138): „One event c is a cause of another

event e if and only if the proposition that e occurs de facto depends on the proposition that c

occurs.“; vgl. auch MENZIES, S. 191 ff.; S. 201 ff. 258

Vgl. auch COLLINS, S. 1132. 259

SCHULIN, S. 99 ff.; S. 203; BREM, S. 326; LOSER, S. 35 f.; QUENDOZ, S. 50 ff.; damit ist noch

nicht die Begrenzung der natürlichen Kausalität durch die Adäquanz gemeint.

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§ 12 Grundlagen

77

gründung als eine der vier Haftungsvoraussetzungen gegeben sein260

. Dabei

ist zwischen dem Kausalzusammenhang zwischen der Handlung und der

Rechtsgutverletzung (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Kausalzu-

sammenhang zwischen der Rechtsgutverletzung und dem Schaden (haftungs-

ausfüllende Kausalität) zu unterscheiden261

. Damit die Haftungsvorausset-

zung des Kausalzusammenhangs im einzelnen Fall erfüllt ist, wird im Haft-

pflichtrecht in Erfüllung der Aufgabe der Schadensbegründung und der

Schadensbegrenzung zwischen dem natürlichen und dem adäquaten Kausal-

zusammenhang unterschieden262

.

3. Conditio sine qua non

Beim natürlichen Kausalzusammenhang wird gemäss der „conditio sine qua

non“-Formel geprüft, ob das Verhalten des Schädigers ursächlich für die

Schädigung ist. Als ursächlich gilt jeder Umstand, der nicht hinweg gedacht

werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele263

. Zur Erfüllung der natürlichen

260 BREHM, BK-OR, N 103 zu Art. 41 OR; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 149 f.

261 ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 150; ACKERMANN, S. 22 f.

262 Vgl. bspw. die Übersicht bei LANDOLT, Kausalität, S. 149 ff. sowie ausführlich ROBERTO,

Schadensrecht, S. 49 ff. zum natürlichen Kausalzusammenhang und S. 70 ff. zum adäquaten

Kausalzusammenhang. 263

BGE 95 IV 139, E. 2.a; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 152; ACKERMANN, S. 69; vgl. auch

FREI, Kausalzusammenhang, S. 34, welche darauf hinweist, dass unter dem Begriff der natür-

lichen Kausalität nicht eine naturwissenschaftliche Kausalität zu verstehen sei. Auch bei der

natürlichen Kausalität komme deren Bestimmung nicht ohne Wertungen aus. Denn für eine

Feststellung der natürlichen Kausalität müsse man vom eingetretenen Erfolg ausgehen und

Ursachen für diesen Erfolg suchen, was dazu führe, dass eine „wertende Auswahl an Bedin-

gungen“ getroffen und analysiert werden müsse.“; vgl. aber KLEINE-COSACK, S. 12 ff. mit

eingehender Analyse der natürlichen Kausalität und Hinweis, dass die conditio sine qua non-

Formel beim Auffinden von Kausalzusammenhängen nicht hilfreich sei, denn um die Frage zu

beantworten, ob ein Erfolg ohne eine bestimmte Verhaltensweise entfallen wäre, müsste man

wissen, dass der Erfolg tatsächlich durch das in Frage stehende Verhalten verursacht worden

sei, wofür wiederum die Ursachen des Erfolges bekannt sein müssten. Die conditio sine qua

non-Formel stelle somit lediglich die Frage nach dem Kausalzusammenhang, könne sie aber

nicht beantworten, denn dafür müssen die tatsächlichen Ursächlichkeiten bestimmt werden,

was nicht aufgrund einer Einzelfallbetrachtung geschehen könne. Vielmehr müsse die Fest-

stellung des Kausalzusammenhangs auf der Beobachtung von generellen Zusammenhängen,

bestimmter sich wiederholender Geschehensabläufe basieren, aufgrund deren die Bedingtheit

der sich nachfolgenden Ereignisse bestimmt werden könne. Aufgrund dieser festgestellten all-

gemeinen Kausalgesetzen könne dann erst auf den Einzelfall geschlossen werden. Es ist je-

doch für eine bestimmte Wirkung immer eine Unzahl an Ursachen sowohl positiv als auch

negativ vorbedingend, und diese Ursachen sind aus Sicht der natürlichen Kausalität gleich-

wertig, da Vorbedingung für den Erfolg. An diesem Punkt setzt dann die fachspezifisch rele-

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

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Kausalität genügt es somit, dass der Schädiger eine Teilursache setzt264

. Jede

dieser Teilursachen ist logisch gleichwertig, da jede der Teilursachen gemäss

der Äquivalenztheorie für den Schadenserfolg vorbedingend ist265

.

II. Die Begrenzung der natürlichen Kausalität

1. Der adäquate Kausalzusammenhang (Adäquanztheorie)

Eine beliebige Vielzahl an Ursachen kann für eine Schädigung natürlich-kau-

sal sein, respektive kann eine Ursache für eine beliebige Anzahl an Schadens-

folgen natürlich-kausal ursächlich sein. Für eine kausale Zurechenbarkeit aus

rechtlich-wertender Sicht braucht es aber ein qualifiziertes Kausalverhältnis

zwischen Handlung und Rechtsgutverletzung sowie zwischen Rechtsgutver-

letzung und Schaden266

. Diese Aufgabe der Schadensbegrenzung267

, nämlich

die Kausalkette des natürlichen Kausalzusammenhangs an einer angemesse-

nen Stelle zu kappen und die Haftung mittels eines Korrekturmechanismus zu

begrenzen, erfüllt im schweizerischen Recht die adäquate Kausalität (Adä-

quanztheorie)268

. Die Haftungsbegründung wird dabei nach Lehre und Recht-

sprechung als adäquat-kausal bezeichnet, wenn die Ursache für die Schädi-

gung „nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebens-

erfahrung geeignet ist, den eingetretenen Erfolg zu bewirken, so dass der

vante Bewertung (und Begrenzung) der Kausalität ein, in der Rechtswissenschaft die Reduk-

tion auf den rechtlich relevanten Kausalzusammenhang. 264

BREHM, BK-OR, N 109a zu Art. 41 OR; Urteil der BGer 4C.108/2005, E.3.1.; alle Teilursa-

chen werden also für den Schadenerfolg als gleichermassen relevant bewertet, was in der

Äquivalenztheorie begründet liegt, vgl. WEBER, einheitliche Lösung. S. 343. 265

OFTINGER/STARK, § 3 N 11; ACKERMANN, S. 69; KLEINE-COSACK, S. 15 f.; ROBERTO, Scha-

densrecht, S. 50. 266

LANDOLT, Kausalität, S. 161. 267

STUDHALTER, S. 10; ACKERMANN, S. 21 f.; SCHAER, N 251; LANDOLT, Sachschadenhaftung,

S. 134. 268

Ausführlich ROBERTO, Schadenersatzrecht, S. 71 ff.; BREHM, BK-OR, N 120 zu Art. 41 OR;

LANDOLT, Kausalität, S. 161; dabei wird anerkannt, dass es sich bei der Frage der Adäquanz

letztlich um eine Frage der Angemessenheit handelt, die Kausalität wird aufgrund einer wer-

tenden Beurteilung des Falles begrenzt, respektive werden mögliche Ursachen aufgrund einer

wertenden Betrachtung als kausal für einen Schadenserfolg eingestuft, vgl. ACKERMANN,

S. 27 f.; ENGEL, S. 484; WIDMER/WESSNER, S. 111; BGE 123 III 110, E. 3.a.

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§ 12 Grundlagen

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Eintritt dieses Erfolges als durch die fragliche Ursache wesentlich begünstigt

erscheint“269

.

2. Kritik an der Adäquanztheorie

Die Verwendung der Adäquanztheorie wird in der Lehre vielfach kritisiert

und als nicht hilfreich bezeichnet270

. Denn entgegen der vorgenannten For-

mulierung werden nicht nur allgemein geeignete, sondern auch ausserge-

wöhnliche, singuläre oder seltene Folgen als adäquat angesehen271

, womit un-

klar ist, wie wahrscheinlich eine Folge sein muss, wie die Grenze zwischen

gewöhnlichem und ungewöhnlichem Kausalverlauf zu ziehen ist, wo letztlich

die Grenze zwischen adäquatem und inadäquatem Kausalverlauf liegt272

.

Zudem erweist sich als problematisch, dass die Beurteilung des Umstands, ob

die Folgen adäquat sind, anhand einer objektiven Betrachtung und aufgrund

einer retrospektiven Prognose erfolgt273

. Dies führt dazu, dass „nicht die Vor-

269 BGE 123 III 110, E. 3.a; BGE 129 V 177, E. 3.2; BGE 135 IV 56, E. 2.1; ACKERMANN,

S. 39 ff., weiter S. 43 ff. mit einer ausführlichen Analyse der einzelnen Elemente dieser

Definition; OFTINGER/STARK, § 3 N 5; GUHL/KOLLER, § 10 N 24; BREHM BK-OR, N 121 zu

Art. 41 OR; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 177 ff.; ROBERTO/GRECHENIG, S. 56. 270

Vgl. ROBERTO/GRECHENIG, S. 56 ff.; ROBERTO, Schadensrecht, S. 75 ff., 80 ff.; ROBERTO,

Haftpflichtrecht, N 192 ff., m.w.H.; ACKERMANN, S. 145 ff., mit einer Analyse der einzelnen

Kritikpunkte; BREHM, BK-OR, N 150 ff. zu Art. 41 OR, mit ausführlicher Würdigung der

Adäquanztheorie, m.w.H.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 343. 271

BGE 119 Ib 334, E. 4.b: „A cet égard, le Tribunal fédéral admet que la causalité adéquate peut

aussi s'étendre à des "conséquences extraordinaires", c'est-à-dire à des conséquences qui n'ap-

paraissent comme telles qu'aux yeux d'un profane, mais non pas à ceux de l'expert; il en va de

même des conséquences "rares".“; vgl. Auch BREHM, BK-OR, N 123 ff. zu Art. 41 OR. 272

ROBERTO/GRECHENIG, S. 57; vgl. den berühmten Grenzfall (so STARK, Haftpflichtrecht,

N 215) BGE 102 II 232, E. 3, in welchem ein Spaziergänger vor einem bellenden Hund flieht

und beim Versuch, eine Leiter zu einem Silo zu erklimmen in eine Grube stürzt. 273

BGE 119 Ib 334, E. 4b : „Il est donc indifférent, pour statuer sur la responsabilité […], que ce-

lui-ci eût pu prévoir ou non la survenance du dommage. En revanche, la prévisibilité objective

est déterminante pour savoir si un fait est la cause adéquate d'un préjudice. Le juge procède à

un pronostic rétrospectif objectif: se plaçant au terme de la chaîne des causes, il lui appartient

de remonter du dommage dont la réparation est demandée au chef de responsabilité invoqué et

de déterminer si, dans le cours normal des choses et selon l'expérience générale de la vie hu-

maine, une telle conséquence demeure dans le champ raisonnable des possibilités objective-

ment prévisibles.“

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

80

hersehbarkeit, sondern die objektive Eignung“ einer Folge massgebend und

somit die Folge aufgrund des realen Geschehensablaufs immer adäquat ist274

.

3. Weitere Lösungsansätze zur Begrenzung der natürlichen

Kausalität: Normzwecklehre und Risikoerhöhungstheorie

a. Allgemein

Aufgrund dieser Unzulänglichkeiten der Adäquanztheorie werden in der

Lehre seit langem andere Konstruktionen zur Begrenzung des natürlichen

Kausalzusammenhangs vorgeschlagen, so insbesondere die Normzwecklehre

und die Theorie der Gefahrerhöhung/des allgemeinen Lebensrisikos.

b. Normzwecklehre

Die Normzwecklehre begrenzt die natürliche Kausalität dadurch, dass die

Kausalkette an der Stelle abgeschnitten wird, wo die Grenze des Norm-

zwecks einer Norm, welche den Geschädigten vor dem Eintritt einer be-

stimmten Schädigung schützen soll, erreicht ist. Eine Schadensfolge ist

m.a.W. nicht mehr „adäquat“, wenn eine Schadensfolge eintritt, die vom

Schutzzweck einer Norm nicht mehr abgedeckt ist275

.

c. Risikoerhöhungstheorie

Die Risikoerhöhungstheorie schneidet die Kausalkette des natürlichen Kau-

salzusammenhangs dort ab, wo eine (mögliche) Ursache gemäss der natürli-

chen Kausalität das Risiko für den Eintritt der Verletzungsfolge nicht mehr

erhöht hat. Bei der Risikoerhöhungstheorie haftet der Schädiger demnach für

eine Steigerung des Lebensrisikos, m.a.W. ist eine Haftung „adäquat“ be-

274 ROBERTO/GRECHENIG, S. 57 f., welche treffend festhalten, dass bei einer Betrachtung ex post

die Adäquanz immer zu bejahen sei, denn der Umstand, dass die Schädigung eingetreten sei,

zeige ja, dass die Ursache geeignet gewesen sei, die Schädigung auch tatsächlich zu bewirken.

Damit sei klar, dass mit dem Adäquanzkriterium regelmässig Entscheidungen gerechtfertigt

würden, welche bereits auf einer anderen Ebene getroffen worden seien; vgl. auch ACKER-

MANN, S. 105 ff. 275

Vgl. hierzu ausführlich die Analyse von ROBERTO, Schadensrecht, S. 83 ff.; ROBERTO/GRE-

CHENIG, S. 60; ACKERMANN, S. 131 ff.

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§ 12 Grundlagen

81

gründet, wenn eine natürliche Ursache das Risiko eines Schadenseintritts er-

höht hat und dadurch der Schaden auch bewirkt wurde276

.

Die Risikoerhöhungstheorie ist insbesondere auf Konstellationen zuge-

schnitten, in welchen nach erfolgter Schädigung (Primärschädigung) durch

einen Schädiger in der Folge eine Folgeverletzung (Sekundärschädigung)

eintritt277

. Zu denken ist an das Lehrbuchbeispiel des bei einem Autounfall

Verunfallten, welcher auf dem Weg ins Spital ein zweites Mal verunfallt,

oder welcher im Spital an einem multiresistenten Keim erkrankt und stirbt

oder welcher aufgrund einer Fehlbehandlung im Spital invalid wird.

In diesen Konstellationen lässt die Risikoerhöhungstheorie den Geschädigten

nach einer Schädigung die in der Folge entstehenden, weiteren Schädigungen

selber tragen bzw. den Sekundärschädiger ausschliesslich haften, soweit die

Schädigungen zum allgemeinen Lebensrisiko gehören. Hingegen trägt der

Erstschädiger die zusätzlichen Schadensfolgen (allenfalls in Anspruchskon-

kurrenz mit dem Zeitschädiger) 278

, für welche er aufgrund seiner schädigen-

den Handlung das Lebens- bzw. das Eintrittsrisiko des Geschädigten erhöht

und dadurch den Eintritt begünstigt hat279

. Wird bspw. der Verletzte nach

dem Unfall ins Krankenhaus gefahren und verunfallt das Krankenauto auf-

grund der eiligen Fahrt, haftet der Erstschädiger mit für die Kosten der Un-

fallfolgen. Verunfallt das Krankenauto aber in normaler Fahrt (auf der Stre-

cke, welche der Geschädigte in seinem Fahrzeug ohnehin zurückgelegt hätte),

so gehört dieser Unfall zum normalen Lebensrisiko und der Erstschädiger

haftet grundsätzlich nicht.

276 Vgl. ausführlich ROBERTO, Schadensrecht, S. 94 ff., mit Beispielen; LANDOLT, Kausalität,

S. 162 ff.; ACKERMANN, S. 139 f. 277

Vgl. gleich anschliessend den Lösungsansatz S. 82 f.; vgl. weiter ROBERTO, Schadensrecht,

S. 94 ff. und S. 121 ff., insbesondere S. 127 f., m.w.H.; vgl. weiter ROBERTO/GRECHENIG,

S. 62. 278

Aus kausaler Sicht ist die Problematik beachten, dass es sich bei Folgeschädigungen um Kon-

stellationen mit einer Schädigermehrheit handelt, bei welchen die zeitlich versetzte Zweit-

schädigung in komplementär-kausaler Teilursachenkonkurrenz (vgl. zur komplementären

Kausalität hinten S. 95 ff.) zum an sich abgeschlossenen Erstschaden steht, vgl. hierzu hinten

S. 185 ff.; trifft zusätzlich den Geschädigten ein Selbstverschulden, können Konstellationen

der Verletzung der Schadenvermeidungspflicht vorliegen, vgl. hierzu hinten S. 130 ff. und

S. 191 ff. 279

Vgl. ROBERTO/GRECHENIG, S. 62.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

82

d. Lösungsansatz zur Begrenzung der natürlichen Kausalität

i. Allgemein

Es ist unbestritten, dass es eine Einschränkung des natürlichen Kausalzusam-

menhangs braucht. Grundsätzlich dient die Theorie der adäquaten Kausalität

diesem Zweck280

, doch erscheint sie aufgrund ihrer in der Lehre erkannten

Unzulänglichkeiten nicht als besonders geeignet, diesen Zweck zu erfüllen.

Zur Begrenzung der natürlichen Kausalität wird ein vernünftiges Korrektiv

benötigt. Diesen Zweck erfüllt eine Kombination aus Normzwecktheorie und

Risikoerhöhungstheorie („Theorie des allgemeinen Lebensrisikos“), wie

ROBERTO und ROBERTO/GRECHENIG mit Verweisen auf die deutsche Lehre

überzeugend dargelegt haben281

.

ii. Haftungsbegründende Kausalität: Normzwecktheorie

Bei der haftungsbegründenden Kausalität könne auf die Adäquanz verzichtet

werden, da der natürliche Kausalzusammenhang durch die enger gefasste

Haftungsvoraussetzung des Verschuldens begrenzt werde, respektive da bei

Kausal- oder Gefährdungshaftungen durch die Betriebsgefahr die Adäquanz

regelmässig gegeben wäre282

. Durch den Normzweck einer Bestimmung wür-

de weiter die haftungsbegründende Kausalität auf solche Folgen eingegrenzt

werden, die vom Normzweck noch abgedeckt wären283

. Die Anwendung der

Normzwecklehre im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität zwischen

einem Schädiger und einem Geschädigten erscheint sachgerecht.

iii. Folgeverletzungen als Problem der Haftungsbegründung durch

zeitlich versetzte Teilursachenkonkurrenz

Auch Folgeverletzungen (bspw. Verletzungen bei Transport ins Spital oder

aufgrund von Behandlungsfehlern) sind beim Haftungstatbestand bzw. bei

280 Die Adäquanztheorie versucht wie gesehen, die Kausalkette des natürlichen Kausalzusam-

menhangs an einer angemessenen Stelle zu kappen, vgl. bspw. BREHM, BK-OR, N 160 ff. zu

Art. 41 OR, m.w.H. 281

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 211 ff.; ROBERTO, Schadensrecht, S. 121 ff., m.w.H.; RO-

BERTO/GRECHENIG, S. 62 ff. 282

ROBERTO/GRECHENIG, S. 62 f.; ROBERTO, Schadensrecht, S. 77; vgl. auch GUHL/KOLLER,

§ 10 N 27; LANDOLT, Sachschadenhaftung, S. 102. 283

ROBERTO/GRECHENIG, S. 63.

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§ 12 Grundlagen

83

der haftungsbegründenden Kausalität einzuordnen284

. Dies ist m.E. damit zu

begründen, dass eine Folgeverletzung aus Sicht des Zweitschädigers eine

haftungsbegründende Primärverletzung darstellt, für welche allenfalls ein

zweiter Schädiger mithaftet und welche genau wie die Primärverletzung des

Erstschädigers im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität Schadensfol-

gen zeitigt. Da es sich aus Sicht des Zweitschädigers um eine Primärschädi-

gung handelt, ist für die Beurteilung seiner Haftung die Normzwecktheorie

anwendbar. Demgegenüber stellt die Zweitschädigung aus Sicht des Erst-

schädigers eine Folgeverletzung dar, genau genommen eine durch den Zweit-

schädiger gesetzte, komplementär-kausale Teilursache, welche zu einer an

sich abgeschlossenen Erstschädigung hinzutritt, aber basierend auf der grund-

sätzlichen Äquivalenz der Teilursachen zu Anspruchskonkurrenz führt285

.

Damit zeigt sich, dass die Problematik der Folgeverletzungen immer auch

eine Frage der Haftung von Schädigermehrheiten ist286

. Zu beachten ist wei-

ter, dass das Hinzutreten der zeitlich versetzten Teilursache aufgrund der Ein-

stufung als komplementär-kausal und damit als äquivalent der natürlichen

Kausalität zuzurechnen ist. Ein Bezug zwischen dem Erstschädiger und der

durch den Zweischädiger verursachten Folgeschädigung besteht somit nur

aufgrund der natürlich-kausalen Verknüpfung zwischen den Ereignissen.

Deshalb hat auch in diesen Konstellationen der Anspruchskonkurrenz weiter

eine Begrenzung auf den rechtlich relevanten Kausalzusammenhang zu er-

folgen287

. Dieser Begrenzung dient – anders als beim Zweitschädiger, bei

welchem die Normzwecktheorie Anwendung findet – die Risikoerhöhungs-

theorie sowie ergänzend die Adäquanztheorie288

. Wie gesehen erfüllt hier die

Risikoerhöhungstheorie ihren Zweck, den natürlichen Kausalzusammenhang

zu begrenzen, in dem sie zwischen Folgen unterscheidet, für welche aufgrund

der Erstschädigung ein erhöhtes Eintrittsrisiko bestand und solchen Folgen,

284 So auch ROBERTO, Schadensrecht, S. 126 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 213; in der Lehre

ist umstritten, ob die Folgeverletzungen dem haftungsbegründenden oder dem haftungsaus-

füllenden Kausalzusammenhang zuzurechnen sind, vgl. die ausführliche Darstellung bei

ROBERTO, Schadensrecht, S. 121 ff., insbesondere S. 127 f., m.w.H.; vgl. weiter ROBERTO/

GRECHENIG, S. 62. 285

Vgl. hierzu ausführlich hinten S. 175 ff. und S. 185 ff. 286

Zu beachten ist, dass Folgeverletzungen auch vom Geschädigten selbst verursacht werden

können, man vgl. hierzu hinten bei FN 656 und FN 657 sowie S.185 ff. und S. 191 ff. 287

Vgl. etwa BREHM, BK-OR, N 26 zu Art. 51 OR; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 213 ff., N 255,

N 550; BGE 127 III 257, E. 5.b. 288

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 213 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

84

für welche aufgrund des allgemeinen Lebensrisikos unabhängig von den

Erstfolgen ein Eintrittsrisiko bestand289

.

iv. Haftungsausfüllende Kausalität

Bei der haftungsausfüllenden Kausalität (Kausalität zwischen Rechtsgutver-

letzung und Schadensfolgen; Schadenstatbestand) schliesslich greifen Norm-

zwecklehre, Risikoerhöhungstheorie und das Adäquanzkriterium nicht mehr,

denn die Folgeschäden aus einer durch den Normzweck abgedeckten Erstver-

letzung bzw. einer durch die Risikoerhöhungstheorie und Adäquanz abge-

deckten Zweitverletzung können vielfältiger Natur sein, eben auch ausserge-

wöhnlich, singulär und ungewöhnlich und somit vom Gesetzgeber als Norm-

zweck bzw. gemäss der Adäquanztheorie nicht vorhersehbar290

. Folgeschä-

den (bspw. Einkommensausfall, Reparaturkosten) sind aufgrund der sachli-

chen Angemessenheit des Ersatzes zu ersetzen291

.

III. Natürliche Kausalität und deren Begrenzung bei einer

Schädigermehrheit

1. Begrenzung der Haftung bei einer Schädigermehrheit aus Sicht

des Bundesgerichts

Bei einer Mehrheit von Schädigern muss der natürliche und adäquate Kausal-

zusammenhang für jede von jedem Schädiger gesetzte Teilursache gegeben

sein, damit eine Zurechnung der Teilursache zum Gesamtschaden erfolgen

kann. Zudem ist vorausgesetzt ist, dass die Schädiger in Anspruchskonkur-

renz stehen292

.

2. Begrenzung bei einem Schädiger

Das Bundesgericht begründet im gerade zitierten Entscheid BGE 127 III 257

die Begrenzung der Haftung der einzelnen Schädiger mit der fehlenden Adä-

289 ROBERTO/GRECHENIG, S. 63 f.

290 STOLL, Normzweck, S. 27; ROBERTO/GRECHENIG, S. 63 f.

291 STOLL, Normzweck, S. 36; ROBERTO, Schadensrecht, S. 128 f.; ROBERTO/GRECHENIG, S. 64.

292 Das Bundesgericht hält in BGE 127 III 257, E.5.a fest, dass jeder Schädiger einer Schädiger-

mehrheit nur haftet, soweit sein Verhalten für den eingetretenen Schaden adäquat-kausal ist,

vgl. zu dieser Erwägung ausführlich hinten S. 179 ff., speziell bei FN 638.

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§ 12 Grundlagen

85

quanz der Kausalität bei der Schadensfolge. Dies ist beim Vorhandensein nur

eines Schädigers korrekt, denn in diesem Fall stellt sich nur die Frage, ob

genau dieser Schädiger den in Frage stehenden Schadensteil adäquat-kausal

verursacht hat293

. Die Begrenzungsfunktion bezieht sich somit nur auf die

Beziehung der schädigenden Ursache eines Schädigers zum Gesamtschaden.

Es stellt sich aber bei einem Schädiger nicht die Frage, ob ein zusätzlicher

Schädiger für den Kausalzusammenhang verantwortlich sein könnte.

3. Begrenzung bei einer Schädigermehrheit

Anders ist aus diesem Grund denn auch die Lage bei einer Mehrheit Ersatz-

pflichtiger zu handhaben. Denn ist eine Mehrheit an Schädigern für eine

Schadensverursachung verantwortlich, stellt sich für jeden der in Anspruchs-

konkurrenz mit anderen Schädigern stehenden Schädiger betreffend die Be-

grenzung der Haftung nicht nur die Frage, ob ein bestehender (natürlicher)

Kausalzusammenhang rechtlich relevant ist, sondern zuerst ob der Schaden

oder ein Teil des Schadens aus Sicht des natürlichen Kausalzusammenhangs

einem anderen Schädiger zuzurechnen ist. Konkret stellt sich also bei einer

Mehrheit Ersatzpflichtiger vor der Frage nach der gemäss Lehre und Recht-

sprechung verwendeten Adäquanz der Folge zuerst die Frage, ob bei einem

bestimmten Schädiger überhaupt ein Bezug zu einer existierenden Kausal-

kette besteht oder ob ein anderer Schädiger für den kausalen Link verant-

wortlich ist.

Die gerade gemachten Ausführungen beziehen sich auf Konstellationen mit

in Anspruchskonkurrenz stehenden Schädigern. Haften mehrere Schädiger

aufgrund echter Solidarität, dann folgt die Gesamthaftung aus dem gemein-

sam verschuldeten Zusammenwirken der Schädiger. Diesfalls muss zwischen

dem gemeinsam verschuldeten Zusammenwirken und der bewirkten Schädi-

gung bzw. dem bewirkten Schaden der natürliche und adäquate Kausalzu-

sammenhang (bzw. die Begrenzung aufgrund von Normzwecktheorie und

Risikoerhöhungstheorie) gegeben sein294

.

293 Korrekturen dieser Zurechnung erfolgen im Rahmen der Schadenersatzbemessung mit Art. 43

und Art. 44 OR, vgl. dazu hinten S. 113 ff. 294

Vgl. BREHM, BK-OR, N 16 zu Art. 50 OR sowie N 103 zu Art. 41 OR; BGE 100 II 332,

E. 2.e; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 5 zu Art. 50 OR: „Solidarität setzt eine adäquaten

Kausalzusammenhang zwischen der gemeinsam verschuldeten Ursache und dem Schaden

voraus.“

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

86

Im Bereich der Anspruchskonkurrenz trifft die Schädiger weder ein gemein-

sames Verschulden noch haben sie die Schädigung gemeinsam verursacht295

.

Aufgrund des Umstands, dass bei der Anspruchskonkurrenz die Zurechnung

über die Kausalität erfolgt, und dass die Anspruchskonkurrenz im Grundsatz

anteilmässige Haftung bedeutet, geht die Haftung jedes Schädigers nur so-

weit, wie sein Verhalten für die Schädigung adäquat-kausal (bzw. gemäss der

Normzwecktheorie kausal) war296

. Dies hält das Bundesgericht in BGE 127

III 257 betreffend die Adäquanz fest297

:

„Die Verantwortlichkeit als Solidarschuldner wird durch die Reichweite der

ihn treffenden Haftung beschränkt. Haftet jemand von vornherein überhaupt

nicht oder nur für einen Teil des Schadens, weil sein Verhalten nicht für den

gesamten eingetretenen Schaden adäquat-kausal ist, hat er auch nicht als Soli-

darschuldner neben anderen Mitschädigern für mehr einzustehen, als er auf-

grund seiner eigenen Haftung verpflichtet ist.“

Im eben zitierten BGE 127 III 257 begrenzt das Bundesgericht bei einer

Schädigermehrheit die den einzelnen Schädiger treffende Haftung (zurechen-

bare, haftungsbegründende Handlungen) wie auch den dem Verhalten der

Schädiger zurechenbaren Haftungsumfang durch das Kriterium der Adä-

quanz298

. Damit beantwortet es die Fragen, welche sich mit der Konkurrenz

von Gesamtursachen und Teilursachen beschäftigen, im vorliegenden Fall

nur implizit299

. Auf die Konkurrenz kausaler Gesamt- und Teilursachen bei

einer Schädigermehrheit ist nachfolgend einzugehen.

295 Bei Folgeverletzungen stellt die Begrenzung des natürlichen Kausalzusammenhangs betref-

fend Haftungsbegründung der einzelnen Schädiger gleichzeitig eine Frage der Haftung in An-

spruchskonkurrenz aufgrund zeitlich versetzter Teilursachenkonkurrenz dar, vgl. hierzu vorne

S. 82 f. und hinten S. 185 ff. 296

Damit beschränkt sich bei additiv-kausalen Teilursachen (vgl. hinten S. 91 ff.) die Adäquanz-

Betrachtung auf die additiv-kausal verursachte Einzelschädigung. Bei komplementär-kausaler

Teilursachenkonkurrenz (vgl. hinten S. 95 ff.) bezieht sich die Beschränkung des natürlichen

Kausalzusammenhangs auf die komplementär-kausal verursachte Gesamtschädigung. 297

BGE 127 III 257, E. 5; vgl. die Ausführgen hinten bei FN 638; vgl. auch WEBER, Kausalität

und Solidarität, S. 118. 298

Vgl. zur vielseitigen Verwendung des Adäquanzkriteriums im schweizerischen Haftpflicht-

recht ROBERTO, Schadensrecht, S. 121 f.; vgl. auch REY, N 522 ff. 299

Ähnlich auch WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 118.

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§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen

87

§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und

Teilursachen

A. Einleitung

Bei einer Mehrheit von Schädigern ergeben sich aus Sicht der Kausalität im

Vergleich mit Fällen, in welchen einem Geschädigten ein Schädiger gegen-

übersteht, zusätzliche Schwierigkeiten der Zuordnung. Neben der Frage der

natürlichen und adäquaten Kausalität können besondere, ausschliesslich bei

einer Mehrheit von Schädigern vorkommende Kausalitätsformen in der Schä-

digungskonstellation auftreten. Dabei ist zwischen der Konkurrenz von Teil-

ursachen und der Konkurrenz von Gesamtursachen zu unterscheiden. Wäh-

rend bei der Teilursachenkonkurrenz jeder Schädiger nur eine Teilursache an

den Gesamtschaden leistet, genügt bei der Gesamtursachenkonkurrenz jede

von jedem Schädiger gesetzte Ursache für die Herbeiführung des Gesamt-

schadens300

.

B. Reine Gesamtursachenkonkurrenzen

Die kumulative, alternative und die hypothetische Kausalität stellen Formen

der Kausalität dar, welche dann auftreten, wenn eine Mehrzahl Ersatzpflich-

tiger an einer Schädigung beteiligt ist. Als Konstellationen der Konkurrenz

von Gesamtursachen ist ihnen gemeinsam, dass die Haftungsursache jedes

Schädigers das Potential hat, den Schaden allein herbeizuführen301

.

I. Kumulative Kausalität

Kumulative Kausalität liegt vor, wenn eine Mehrzahl an Schädigern unab-

hängig voneinander einen Schaden herbeiführt, wobei der Beitrag jedes Schä-

digers allein schon für die Verursachung des Schadens ausgereicht hätte.

Schulbeispiel für diese Konstellation sind die zwei Fabriken, die unabhängig

voneinander giftige Abwässer in den Fluss leiten und so ein Fischsterben

verursachen, wobei die Giftmenge jeder Fabrik ausgereicht hätte, um die Fi-

300 REY, N 613 ff., N 628 ff.; WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 117 und S. 119.

301 Vgl. bspw. WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 119; REY, N 613.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

88

sche sterben zu lassen302

. Dabei entsteht die paradoxe Situation, dass keiner

der beiden Schädiger die Voraussetzung der „conditio sine qua non“-Formel

erfüllt hat, denn ihr Beitrag hat keine Ursache gesetzt, ohne welche der Scha-

den nicht eingetreten wäre303

. Das daraus entstehende Resultat, dass aufgrund

der fehlenden Ursache keiner der Schädiger haften würde, wird in der Lehre

zu Recht als stossend empfunden304

. Gemäss dem „argumentum a fortiori“

sowie mit der Begründung, dass der Geschädigte nicht schlechter gestellt

werden darf, wenn bei einer Mehrheit an Schädigern jeder Schädiger die Ge-

samtursache für den Schaden gesetzt hat, als wenn ihm ein einzelner Schädi-

ger gegenüberstehen würde, ist eine solidarische Haftbarkeit der Schädiger zu

bejahen305

.

Zu beachten ist allerdings, dass die solidarische Haftung bei Setzen einer Ge-

samtursache nicht allgemein damit begründet werden kann, dass bereits das

Setzen einer Teilursache für die solidarische Haftung genüge306

. Das Setzen

einer Teilursache genügt nur für den Fall, dass die Schädiger im Rahmen der

echten Solidarität verschuldet zusammengewirkt je eine Teilursache gesetzt

haben. Bei einer Mehrheit von Schädigern aber, welche unabhängig vonei-

nander je eine Teilursache setzen (Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51

OR), ist bei additiver Kausalität grundsätzlich eine anteilsmässige Haftung

und bei komplementärer Kausalität die Anspruchskonkurrenz die richtige Lö-

sung307

.

II. Alternative Kausalität

Alternative Kausalität liegt vor, wenn bei einer Schädigung mehrere Scha-

densursachen in Betracht kommen, aber unklar bleibt, welcher Schädiger

durch die von ihm gesetzte Ursache den Schaden letztlich verursacht hat308

.

302 BGE 90 II 417; BGHZ 57, 257; HONSELL, § 3 N 70 ff., welcher das Beispiel gemäss BGHZ

57, 257 näher erläutert; LANDOLT, Kausalität, S. 152; WEBER, Kausalität und Solidarität,

S. 119; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 163. 303

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 163. 304

REY, N 616; KRAMER, Kausalität, S. 292. 305

REY, N 616; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 163; WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 119. 306

So aber bspw. REY, N 616, OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 126; HONSELL, § 3 N 71. 307

Vgl. vorne S. 50 ff. und S. 56 ff.; vgl. dazu die kausale Begründung auf S. 91 ff. zur additiven

Kausalität. 308

QUENDOZ, S. 3 ff.; LANDOLT, Kausalität, S. 152; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 172 ff.

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§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen

89

Im engeren Sinne versteht die schweizerische Lehre unter alternativer Kau-

salität das Setzen von alternativen Gesamtursachen, was bedeutet, dass eine

der Ursachen für den ganzen Schaden verantwortlich ist309

. Wenn beispiels-

weise mehrere Jäger einen Schuss abgeben und ein Dritter von einer Kugel

getroffen wird, wobei sich nicht feststellen lässt, von welchem Jäger die

betreffende Kugel abgefeuert wurde, liegt klassische alternative Kausalität

vor310

. Das Problem der alternativen Kausalität ist eigentlich kein kausales

Problem, sondern ein Beweisproblem311

. Wüsste man, welche Ursache für die

Schädigung verantwortlich ist, könnte man den Schädiger bestimmen312

.

Diese Problematik der unklaren oder unsicheren Kausalität mit den damit

einhergehenden Beweisproblemen stellt sich nicht nur bei der Setzung von

Gesamtursachen für einen Schaden, sondern genauso auch bei der Setzung

von Teilursachen313

, weshalb eine eingehendere Betrachtung der Problematik

im Kapitel zur unsicheren Kausalität, den Kausalitätszweifeln und den kau-

salen Mischformen erfolgt314

.

III. Hypothetische Kausalität

Hypothetische Kausalität liegt vor, wenn ein Schädiger kausal einen Schaden

herbeiführt, welcher später aus einem anderen Grund (Reserveursache) ohne-

hin eingetreten wäre. Aufgrund dessen, dass die erste Ursache ihre Wirkung

entfaltet, kann die zweite, hypothetische Ursache ihre Wirkung nicht mehr

entfalten315

. Bei der hypothetischen Kausalität spielen sich zwei Kausalketten

nebeneinander respektive zeitlich hintereinander und unabhängig voneinan-

der ab, wobei beide geeignet sind, den Schaden zu verursachen316

. Die zwei-

309 QUENDOZ, S. 3: „Alternative Kausalität liegt vor, wenn von zwei oder mehreren in Frage

kommenden, unabhängig voneinander wirkenden Ursachen eine, unbekannt aber welche, zum

ganzen Schaden geführt hat.“; vgl. auch FREI, Kausalzusammenhang, S. 32. 310

QUENDOZ, S. 4; MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830 BGB. 311

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173 f.; STARK, Entlastungsgründe, S. 54; FREI, Kausalzusam-

menhang, S. 32; WERRO, responsabilité civile, N 218; WYSS, Kausalitätsfragen, S. 319; BGB-

Staudinger/EBERL-BORGES, N 66 zu § 830 BGB; MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830

BGB. 312

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173. 313

Vgl. auch WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 119. 314

Vgl. zu den alternativen Teilursachen und der unklaren Kausalität hinten S. 198 ff. 315

Vgl. ausführlich STUDHALTER, S. 41 ff. 316

WYSS, Kausalitätsfragen, S. 318; REY, N 604.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

90

te, zeitlich spätere und hypothetische Ursache ist somit für die Schädigung

nicht kausal und kann aus kausaler Sicht grundsätzlich nicht zu einer Haftung

führen317

. Verunfallt beispielsweise eine Person auf dem Weg zum Flughafen

mit dem Taxi und zieht sich dabei Verletzungen zu, kann sich der Taxifahrer

nicht darauf berufen, dass der Kunde, hätte er den Flug nicht verpasst, gestor-

ben wäre, da das Flugzeug des Kunden abgestürzt ist. Eine Reserveursache

kann in einem zufälligen Ereignis, in der Handlung eines Dritten oder in der

Setzung der Reserveursache durch den Geschädigten selbst liegen318

. Da bei

der hypothetischen Kausalität der zweite Kausalverlauf zeitlich versetzt ein-

getreten ist und somit hypothetisch bleibt, setzt der potentielle Schädiger we-

der eine Gesamt- noch eine Teilursache für die Schädigung und es ist be-

kannt, welche Kausalursache für den Schadenseintritt verantwortlich ist319

.

Damit handelt es sich bei der hypothetischen Kausalität nicht um ein Problem

der Kausalität, sondern um ein Problem der Schadensberechnung (Vermö-

gensstand gemäss Differenztheorie mit und ohne Schädigung)320

.

C. Reine Teilursachenkonkurrenz

In der Realität werden Schäden häufig durch eine Mehrzahl von Schädigern

verursacht, welche aber nicht zusammenwirken, sondern ihre Teilursache

unabhängig voneinander setzen. Eine Konkurrenz von Teilursachen liegt

dann vor, wenn mehrere Ursachen einen Gesamtschaden bewirken, welcher

bei Fehlen einer dieser Ursachen nicht oder nicht in diesem Umfang nicht

entstanden wäre321

. Dabei muss zwischen additiver und komplementärer

Kausalität unterschieden werden.

317 WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 120; WYSS, Kausalitätsfragen, S. 318.

318 ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 164.

319 LANDOLT, Kausalität, S. 154 f.; WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 120; QUENDOZ, S. 9.

320 STUDHALTER, S. 38 ff.; WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 120; vgl. zur Schadensberech-

nung hinten S. 169 ff. 321

REY, N 628.

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§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen

91

I. Additive Kausalität

Bei der additiven Kausalität322

setzt sich der Erfolg aus mehreren selbständi-

gen Teilwirkungen zusammen, die Kausalkette der einzelnen schädigenden

Handlung steht nur zu einem Teil des Gesamtschadens in einer Beziehung, es

liegen disparate Kausalketten vor323

. Weiter ist aus kausaler Sicht sogar klar,

dass jeder Schädiger nur seinen Teil des Schadens verursacht haben kann324

.

Denkt man nämlich die durch einen Schädiger gesetzte Teilursache weg, ent-

fällt nicht (wie bei der komplementären Kausalität) der Gesamterfolg, son-

dern lediglich ein Teilerfolg325

. Die Teilursachen ergeben abgrenzbare Teil-

schäden, es tritt mit einer zusätzlichen, selbständigen Teilursache „lediglich

eine quantitative, wenigstens theoretisch messbare Veränderung ein“326

.

An folgende Beispiele ist zu denken:

Beispiel 1: Auf einem Parkplatz zerkratzt A das Auto von C, weil er die

Autotür unvorsichtig öffnet. Später parkt der B sein Auto in den frei geworde-

nen Parkplatz und verursacht beim Einparken eine Beule am Auto des C. A

und B wissen nichts voneinander.

Beispiel 2: Zwei Fabriken leiten Gift in ein Gewässer. Das Gift der Fabrik A

lässt gewisse Fischarten sterben, das Gift der Fabrik B verursacht Unfrucht-

barkeit bei einem Teil der Fischarten. A und B wissen nichts voneinander.

Beispiel 3: Sprayer A sprayt ein Graffiti auf eine Hauswand. Später sprayt

Sprayer B daneben ein zweites Graffiti auf die Hauswand. A und B wissen

nichts voneinander.

Beispiel 4: Autofahrer A verursacht einen Unfall und zertrümmert dabei die

Schaufensterscheibe eines Kleidergeschäfts. Die Diebe B und C stehlen unab-

hängig davon und unabhängig voneinander einen teuren Pelzmantel (B) und

eine Lederjacke (C) in dem Geschäft.

322 Die terminologische Bezeichnung als additive Kausalität führt auf STARK, Entlastungsgründe,

S. 42 ff. zurück. Sie wurde von WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 f. aufgegriffen, und wird

nachfolgend verwendet, wenn bei mehreren schädigenden Ursachen sich die Verletzungsfol-

gen aus kausaler Sicht selbständig und abgrenzbaren unterscheiden lassen, sie m.a.W. „aufad-

diert“ (WEBER, einheitliche Lösung, S. 344) sind. 323

STARK, Entlastungsgründe, S. 42 f.; OFTINGER/STARK, § 3 N 81; WEBER, einheitliche Lö-

sung, S. 344, m.w.H.; WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 118 f.; HABLÜTZEL, S. 8. 324

WEBER, einheitliche Lösung, S. 344, m.w.H.; BYDLINSKI, Streitfragen, S. 27 ff. 325

WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 118. 326

WEBER, einheitliche Lösung, S. 344; STARK, Entlastungsgründe, S. 42 f.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

92

Es liegt in diesen Beispielen kein einheitlicher Schaden327

vor, sondern meh-

rere Teilschäden respektive unterscheidbare Einzelschäden, die zufälliger-

weise beim gleichen Geschädigten entstanden sind328

. Dies ist in den gerade

gezeigten Beispielen klar329

, doch sind auch Sachverhalte wie bspw. in BGE

127 III 257 denkbar, wo die Teilschäden/Einzelschäden nicht offensichtlich

ins Auge fallen, sondern vom Schadensbild nicht oder weniger einfach von

einem (komplementär verursachten) Gesamtschaden zu unterscheiden sind330

.

327 Entscheidend ist auch die Frage, was unter einem Schaden, respektive unter einem einheitli-

chen Schaden zu verstehen ist. Diese Frage stellt sich sowohl bei der additiven als auch der

komplementären Kausalität und speziell auch im Zusammenhang mit dem in Art. 51 OR er-

wähnten „denselben Schaden“. Beantwortet wird diese Frage gesondert unter S. 175 ff. 328

Überzeugend WECKERLE, S. 91; so auch das Beispiel bei BK-BECKER, N 9 ff. zu Art. 51 OR,

welcher aber eine solidarische Haftung von „zwei Fischfrevlern, von den jeder auf eigene

Faust auf den Raub ausging“ begründen will. 329

Dies hat BREHM, BK-OR, N 146b zu Art. 41 OR wohl missverstanden, welcher WEBER, ein-

heitliche Lösung, S. 344 und dessen dort erwähntem Beispiel der Schaufensterplünderer un-

terstellt, die Plünderer (gemäss dortigem Beispiel) hätten zusammengewirkt (was WEBER ex-

plizit anders konstruiert hat), respektive es sei eine analoge Situation zu den Demonstrations-

schäden (Anonymität in der Masse, Mut in der Masse, Anfeuerung etc.) entstanden. Dass dem

nicht so sein muss, zeigt das Beispiel 4. Hier lassen sich die Schäden leicht abgrenzen (ka-

putte Scheibe, ein Pelzmantel, eine Lederjacke) und es besteht keine Situation, welche sich

mit einer Demonstration zugrunde liegenden Faktoren vergleichen liesse. Auch bei Beispiel 3

liegt kein einheitlicher Schaden vor, denn obwohl eine Mauer betroffen ist, fällt ein Teil des

Schadens weg, wenn man das eine Graffiti hinwegdenkt. Interessant ist das Beispiel 2, da die-

ses aufzeigt, dass selbst beim Parade-Beispiel (häufig wird das Beispiel auch für die kumula-

tive Kausalität verwendet, vgl. LOSER, S. 101 f.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 163, OFTIN-

GER/STARK, § 3 N 129) einer komplementären Haftung (2 Fabriken leiten Gift in ein Gewäs-

ser, nur beide Mengen zusammen genügen, um den Fluss „kippen“ zu lassen, vgl. ähnlich

bspw. OFTINGER/STARK, § 10 N 10) sich durchaus ein plausibles Beispiel finden lässt, bei

welchem offensichtlich kein einheitlicher Schaden vorhanden ist. 330

Man betrachte ein Beispiel ähnlich dem Sachverhalt von BGE 127 III 257 oder BGHZ 101,

106 (vgl. dazu vorne bei FN 234), wo drei Schädiger von umliegenden Grundstücken aus un-

abhängig voneinander (bspw. je durch Bauarbeiten) die Liegenschaft des Geschädigten schä-

digen, es bilden sich bspw. Risse im Gebäude. Die Risse können tatsächlich aufgrund sich ge-

genseitig bedingender Teilursachen entstanden sein, d.h. dass die Risse in dieser Form oder

diesem Ausmass nur durch das Zusammenwirken der einzelnen Ursachen entstanden sind

oder dass sich durch das Zusammenwirken der Ursachen die Wirkung vergrössert hat. Umge-

kehrt können aber (logischerweise) auch klar abgrenzbare Teilschäden gegenseitig bedingt

sein. Doch dies darf je nicht einfach angenommen oder vermutet, sondern muss vielmehr fest-

gestellt und bewiesen werden. Es darf nicht einfach angenommen werden, dass ein einheitli-

cher Schaden (vgl. hierzu hinten S. 168 ff.) vorliegt, nur weil der menschliche Verstand mehr

Mühe hat, Risse als mehrere Schäden zu erkennen als bspw. eine zerbrochene Scheibe und ei-

nen Mantel als mehrere Schäden (vgl. Beispiel 3). Dabei ist die Frage der kausalen Zurech-

nung der Kausalanteile von der Frage der unklaren Kausalität und der damit einhergehenden

Beweisprobleme zu unterscheiden. Denn grundsätzlich trifft zwar den behauptenden Geschä-

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§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen

93

Wenn aber bei einem Geschädigten unterscheidbare Einzel- oder Teilschäden

vorliegen, ist es aus kausaler Sicht klar, dass jeder Schädiger nur für den von

ihm verursachten Schadensteil haftet, denn grundsätzlich besteht bei nicht

verschuldet zusammenwirkenden Schädigern Anspruchskonkurrenz und so

im Grundsatz anteilsmässige Haftung331

. Eine solidarische Haftung käme

aber selbst dann nicht in Frage, wenn sich die Schadenanteile nicht einfach

aufschlüsseln liessen332

. Denn wie gesehen wiegt der Schutz des Geschädig-

ten zwar schwer333

, doch schwerer wiegt der Grundsatz, für einen Schadens-

anteil nicht haften zu müssen, welchen man nicht verursacht hat und bei wel-

chem man nicht im Sinne der echten Solidarität (verschuldetes Zusammen-

wirken) beteiligt war. Im Falle, dass die Anteile an einem Schaden (respek-

tive an mehreren Schäden, die als ein Schadensbild erscheinen) sich nicht

einfach aufschlüsseln lassen, wird den Geschädigten die Beweislast treffen334

.

Verursachen mehrere Schädiger unabhängig voneinander einen Schaden und

lassen sich die Schadenanteile anhand der additiven Kausalität aufschlüsseln,

ist demnach eine anteilsmässige Haftung der einzelnen Schädiger die zwin-

gende Lösung335

. Dies gilt selbst dann, wenn sich die Anteile nicht genau

digten die Beweislast. In bestimmten Konstellationen kann sich diese Beweislast aber umkeh-

ren, vgl. zur Beweislastumkehr und den Voraussetzungen dazu hinten S. 214 ff. 331

Vgl. dazu vorne S. 91 ff.; so auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 f.; LOSER, S. 117,

S. 125 f.; SCHWEIGHAUSER, S. 168; BREHM, BK-OR, N 35 zu Art. 50 OR; SCHAZMANN,

S. 28; respektive entfällt die Haftung für den nicht mit verursachten Schadensteil aufgrund der

fehlenden adäquaten Kausalität, vgl. BGE 127 III 257, E. 5.a; MünchKommBGB/WAGNER,

N 1, 29, 44 zu § 830 BGB. 332

WEBER, einheitliche Lösung, S. 344; wohl auch HABLÜTZEL, S. 17, im Zusammenhang mit

dem gemeinsamen Willen im Bereich von Art. 50 OR. 333

Vgl. dazu vorne S. 58 ff. 334

Auch hier lässt sich nicht mit dem Schutz des Geschädigten argumentieren und dem Argu-

ment, dass der Schädiger im Innenverhältnis die Chance auf Ausgleich hat. Denn es gilt der

Grundsatz, dass niemand für einen Schaden haftet, den er nicht verursacht hat. Dies ist Aus-

fluss aus dem grundlegenden haftpflichtrechtlichen Prinzip „casum sentit dominus“, gemäss

welchem grundsätzlich jeder Geschädigte seinen Schaden selber zu tragen hat, ausser ihm sei

der Schaden unberechtigterweise zugefügt worden, vgl. OFTINGER/STARK, § 1 N 10 ff.; REY,

N 18 ff. Als Ausnahme, resp. Modifikation dieses Grundsatzes ist die echte Solidarität zu be-

trachten, welche aber durch das Innenverhältnis wieder ins Lot gebracht wird. 335

WEBER, einheitliche Lösung, S. 347; HABLÜTZEL, S. 9; BREHM, BK-OR, N 35 zu Art. 50 OR,

welcher festhält: „Ebenso entfällt die Solidarität, wenn verschiedene Täter unabhängig von-

einander einem Geschädigten klar trennbare Schäden zugefügt haben […] oder wenn sich der

Schadenserfolg in bestimmte Anteile zerlegen lässt. Es besteht in diesem Fall nur eine an-

teilsmässige Haftung.“; vgl. auch SCHAZMANN, S. 28; HOFFMANN-NOWOTNY, S. 430;

SCHWEIGHAUSER, S. 168; unklar OFTINGER/STARK, § 3 N 81, 86, 88.; vgl. für das deutsche

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

94

berechnen lassen oder wenn gewisse Anteile am Gesamtschaden unaufge-

klärt336

bleiben337

. Es wäre nicht einzusehen, warum die Schädiger in den vier

Beispielen zur additiven Kausalität solidarisch haften sollten. Die Schädiger

haben nicht verschuldet zusammengewirkt und der Schaden ist zufälliger-

weise beim gleichen Geschädigten entstanden338

.

Recht MünchKommBGB/WAGNER, N 1, 29, 44 zu § 830 BGB; vgl. auch BYDLINSKI, Haf-

tung, S. 6, welcher grundlegend festhält: „Verursachung eines Schadens setzt (mindestens)

das Verhältnis der condicio sine qua non voraus […]. Schon diese praktische Ausserstreit-

stellung des Mindestinhalts des Kausalitätsbegriffs zeigt, dass ihm eine elementare und tief

verwurzelte Rechtsidee zugrunde liegt: Die Vorstellung nämlich, jedermann solle für den

Schaden und nur für den Schaden einstehen, den er durch von ihm gesetzte Haftungsgründe

angerichtet hat, nicht aber für solche Schäden, die durch Zufall oder durch dritte Personen

bewirkt wurden. Diese Schäden fallen, je nach dem, in den Risikobereich des Beschädigten

oder des dritten Schädigers.“; vgl. noch ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 9 zu Art. 50 OR, wel-

che im Jahr 1929 noch den Standpunkt vertraten, dass sogar bei der echten Solidarität gemäss

Art. 50 OR eine anteilsmässige Haftung die richtige Lösung sei, wenn sich die Teilschäden

klar unterscheiden lassen. Dem kann aufgrund des gemeinsamen Verschuldens der Schädiger

natürlich nicht zugestimmt werden, denn dies würde dem eigentlichen Schutzzweck der ech-

ten Solidarität diametral entgegenstehen. Vgl. hierzu das treffende Beispiel bei BREHM, BK-

OR, N 19 zu Art. 50 OR, bei welchem die vier Wände eines Hauses durch vier Vandalen je

einzeln, zeitlich und planerisch aber je aufeinander abgestimmt mit Farbe beschmiert werden.

Der Schaden ist offensichtlich gemeinsam verschuldet verursacht und führt zu echter solidari-

scher Haftung. 336

Das schweizerische Haftungsrecht kennt keinen § 830 BGB (Deutschland), gemäss welchem

eine solidarische Zurechnung von Anteilen erfolgt, bei denen die Schadensverursachung kei-

nem Schädiger zugeordnet werden kann; vgl. hierzu vorne S. 72 ff.; BYDLINSKI, Haftung,

S. 1 f.; NEUENSCHWANDER, S. 77 ff. 337

Vgl. ausführlich WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 f.; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 104,

welcher den Begriff der Addition verwendet, aber dennoch solidarische Haftung annimmt;

KRAMER, Multikausale Schäden, S. 89 f.; BYDLINSKI, Streitfragen, S. 27 ff., 28, welcher tref-

fend feststellt: „Das bedeutet, dass jeder Beteiligte allein für den Schaden haftet, den er sicher

allein herbeigeführt hat, während je Gesamthaftung für den Schaden besteht, den die mehreren

je möglicherweise durch ihre schuldhaft und konkret gefährlichen Handlungen verursacht ha-

ben. Für den Schaden, den sicher (allein) ein anderer verursacht hat, besteht prinzipiell keine

Ersatzpflicht […]. Die Gesamthaftung kann daher, jedenfalls prinzipiell, nur den Schadensteil

erfassen, bezüglich dessen alle Beteiligten mit dem Kausalitätsverdacht belastet sind. Dieser

Kausalitätsverdacht muss selbstverständlich an die festgestellte (und nicht bloss mögliche!)

deliktische Handlung des jeweiligen Täters anknüpfen.“ 338

In den Beispielen hätte Autofahrer B auch einen anderen Parkplatz ansteuern können, Fabrik

B hätte auch ein Gift einleiten können, welches nicht für Fische, sondern nur für Badegäste

gefährlich ist und Sprayer B hätte eine andere Wand auswählen können. Die Schäden sind

immer zufälligerweise beim gleichen Geschädigten sowie als abgrenzbare Schäden entstan-

den; vgl. zur Abgrenzbarkeit eines einheitlichen Schadens hinten, S. 172 ff.; durchaus interes-

sant ist das Beispiel 4: Hier käme man aufgrund der Verschiedenartigkeit der Schäden (Schei-

be, Mantel, Jacke) in Verbindung mit dem Problem, dass aus zeitlicher/räumlicher Sicht kein

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§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen

95

II. Komplementäre Kausalität

Bei der komplementären Kausalität339

entsteht der Erfolg durch das Zusam-

menwirken der einzelnen, an sich unabhängigen Teilursachen. Die vorerst

unabhängigen Kausalketten vereinigen sich340

, stehen in einer gegenseitigen

Bedingtheit und führen zu einem Verletzungserfolg, der gerade nur dadurch

in dieser Weise eintreten konnte, weil sich die zuerst getrennt verlaufenden

Kausalketten vereinigten341

. Denkt man sich eine der Teilursachen weg, ent-

fällt auch der Gesamterfolg und nicht nur eine Teilwirkung.

Dazu hat sich bereits STARK treffend in seiner Dissertation geäussert342

:

„Die Wirkung stellt nicht eine Summe der Bedingungen dar, sondern ein

neues Ganzes, eine neue Einheit. Durch irgend ein Naturgesetz entsteht aus

den verschiedenen Bedingungen, die nebeneinander treten, etwas Neues, das

von den Bedingungen artverschieden ist. Wir können hier deshalb […] von ei-

ner qualitativen Veränderung sprechen. […] Bei einer Wirkung im Sinne einer

einheitlicher Schaden vorliegt sowie in Verbindung damit, dass die Schädiger nicht zusam-

mengewirkt haben, kaum auf die Idee, eine solidarische Haftung zu konstruieren. Zwischen

den Handlungen von A, B und C besteht additive Kausalität. Dies gilt zwischen den Dieben B

und C auch dann, wenn die Diebe zusammengewirkt hätten, doch würde diesfalls aufgrund

des verschuldeten Zusammenwirkens echte Solidarität Platz greifen. 339

Die Terminologie ist uneinheitlich. Die Bezeichnung als komplementäre Kausalität führt auf

STARK, Entlastungsgründe, S. 62 ff. zurück, ebenso WEBER, einheitliche Lösung, S. 345; bei

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 161 wird die komplementäre Kausalität bspw. als gemeinsame

Kausalität bezeichnet, bei OFTINGER/STARK, § 3 N 79 ff. und bei HABLÜTZEL, S. 9 als quali-

tative Ursachenkonkurrenz, bei REY, N 628 allgemein als Konkurrenz von Teilursachen; vgl.

auch WYSS, Kausalitätsfragen, S. 316; WECKERLE, S. 90 ff. unterscheidet neben der notwen-

dig koinzidierenden (jede Handlung hätte für sich keinen Schaden bewirkt, nur durch das Zu-

sammentreffen der Handlungen entsteht ein Schaden) auch noch die kumulativ koinzidierende

Kausalität (jede Handlung hätte schon für sich einen Schaden bewirkt, doch durch das

Zusammenspiel der Handlungen entsteht „ein Mehr oder etwas qualitativ anderes als die

blosse Summe der Einzelschäden“, WECKERLE, S. 90); LOSER, S. 114 f. unterscheidet weiter

progressive und degressive Schadenswirkung, welche vorliegt, wenn durch das Zusammen-

wirken der schädigenden Ursachen nicht eine Summierung der Einzelschäden, sondern vom

Schadensumfang entweder ein Mehr oder ein Weniger als die blosse Summe entsteht; vgl.

weiter zur Terminologie in Deutschland WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 117. 340

Dies ist auch der Unterschied zur additiven Kausalität, wo sich die Kausalketten nicht vereini-

gen, sondern getrennt bis zur Schädigung fortlaufen und auch in der Schädigung getrennt

bleiben. 341

STARK, Entlastungsgründe, S. 43 ff.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 345 f.; WEBER, Kausali-

tät und Solidarität, S. 117 f. 342

STARK, Entlastungsgründe, S. 43 f.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

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qualitativen Veränderung bewirkt das Fehlen einer einzigen Bedingung nicht

nur, dass ein kleinerer Erfolg, der aber trotzdem gleichartig bleibt, eintritt,

sondern durch das Zusammentreten der übrigen Bedingungen entsteht über-

haupt keine oder eine andersartige Wirkung. Wir können deshalb die Gesamt-

wirkung nicht aufteilen in Teilwirkungen, von denen jede einer Bedingung als

Teilursache zuzuschreiben ist. Jede Bedingung hat zusammen mit allen andern

Bedingungen zum ganzen Erfolg geführt; keine steht in einer besonderen Be-

ziehung zu einem Teil der Wirkung. Jede Bedingung ist conditio sine qua non

nicht nur für die Quantität, sondern auch für die Qualität des betreffenden Er-

folges“.

An folgende Beispiele ist zu denken:

Beispiel 1: Beim Ausparken fährt A mit seinem Auto unvorsichtig rückwärts

auf die Strasse. B (Autofahrer, alternativ: Velofahrer) versucht auszuweichen

und verursacht eine Kollision mit dem korrekt entgegenkommenden C (Auto-

fahrer).

Beispiel 2: Zwei Fabriken leiten unabhängig voneinander Gift in ein Gewäs-

ser. Die Summe der beiden Gifte lässt gewisse Fischarten sterben. Jede Menge

allein hätte keine Fische sterben lassen.

Beispiel 3: Sprayer A sprayt ein Graffiti auf eine Hauswand. Später ergänzt

und übersprayt Sprayer B das Graffiti. Die Kombination der verwendeten un-

terschiedlichen Farben lässt sich nur mit viel höheren Kosten wieder entfernen

als die Farben einzeln.

Beispiel 4: Autofahrer A verursacht einen Unfall und zertrümmert dabei die

Schaufensterscheibe eines Kleidergeschäfts, weil er versucht, dem Dieb B

auszuweichen, der gerade mit einer gestohlenen Lederjacke das Kleiderge-

schäft verlässt. Passant C packt die Gelegenheit (zerbrochene Scheibe) beim

Schopf und lässt einen teuren Pelzmantel mitlaufen.

Beispiel 5: Bauherr (Schädiger) A und Bauherr (Schädiger) B bauen auf je an

das Grundstück des Geschädigten X angrenzenden Grundstücken je ein Haus.

Dabei beschädigt Schädiger A bei Bauarbeiten das Haus des Geschädigten X

(Rissbildung an der Westmauer) und unabhängig davon sowie gleichzeitig be-

schädigt Schädiger B die gleiche Mauer durch Bauarbeiten (auch Rissbildung,

welche additiv-kausal verursacht wird). In der Mitte der Mauer treffen die

Risse zusammen, wodurch ein Teil der Mauer einstürzt.

In den Beispielen 1 und 2 ist es klar, dass der Schaden aus kausaler Sicht nur

dadurch entstehen konnte, weil sich die Kausalketten vereinigt haben. Weder

wäre es zum Unfall gekommen noch wären Fische gestorben, wenn sich die

vorerst getrennten Kausalketten nicht zum Gesamterfolg vereinigt hätten.

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§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen

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Beispiel 3 ist insofern interessant, weil die Teilursachen für den Gesamtscha-

den zeitlich versetzt eintreten343

und weil jede Teilursache für sich auch

schon einen Schaden darstellt344

. Denkt man das Sprayen des B hinweg, fällt

der Schaden des A nicht dahin. Zählt man die Schadensummen von A und B

zusammen, welche entstanden wären, wenn sie je allein gesprayt hätten, er-

gibt dies eine kleinere als die tatsächlich in Kombination entstandene Sum-

me. Wären die beiden Summen (A + B; A + B in Kombination) gleich gross,

würde man von additiver Kausalität sprechen. Diesfalls hätte der B einen be-

stehenden Schaden vergrössert ohne eine komplementäre Wirkung in Verbin-

dung mit dem Schaden von A zu erzielen, respektive einen neuen Schaden

geschaffen, wie dies in Beispiel 3 bei der additiven Kausalität ersichtlich ist.

Erzielt B aber wie im Beispiel beschrieben einen komplementär-kausalen Ef-

fekt dadurch, dass er den Schaden über die Summe der beiden Einzelschäden

hinaus vergrössert, ist eine volle Zurechnung für den komplementären Anteil

am Gesamtschaden die korrekte Lösung345

.

Beispiel 4 vereinigt verschiedene Formen der Kausalität in sich. Es sind beim

Geschädigten drei Schadensposten zu unterscheiden, nämlich die Scheibe,

die Jacke und der Mantel. Die Scheibe wurde in komplementär-kausaler

Weise durch A und B beschädigt, wofür eine volle Zurechnung erfolgt. Für

die Jacke haftet ausschliesslich der Dieb B, niemand käme auf die Idee, den

A oder den C solidarisch mit dem Dieb mithaften zu lassen. Der Schaden ist

von den übrigen Schadensposten abgrenzbar und zufälligerweise beim glei-

chen Geschädigten entstanden. Der Umstand, dass der B zusätzlich in die

Haftung für die Scheibe involviert ist, ändert daran nichts. Interessant wird es

bei der Haftung für den Mantel, respektive bei der Rolle des Passanten C.

Dieser haftet alleine für den Mantel, weiter haftet er nicht für die Jacke und

nicht für die Scheibe. Aus kausaler Sicht ist das Zerbrechen der Scheibe zwar

eine Vorbedingung, dass C den Mantel an sich genommen hat, doch ist es

eine einseitige Bedingung und keine gegenseitige Bedingung, welche für die

komplementäre Kausalität gebraucht würde. So würde denn auch der Scha-

343 Zur Frage, was ein einheitlicher Schaden ist und welche Rolle die zeitliche Versetzung der

schädigenden Handlung für den Gesamtschaden spielt vgl. hinten S. 172 ff. und S. 185 ff. 344

Demgegenüber entsteht im Beispiel 1 und 2 überhaupt erst ein Schaden durch die Vereinigung

der Kausalketten. 345

Dies rührt wie erwähnt daher, dass sich beim komplementär entstandenen Verletzungserfolg

die Anteile nicht gewichten lassen.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

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den betreffend Scheibe nicht entfallen, wenn man den Manteldiebstahl hin-

wegdenken würde346

.

Gleich können auch die Schäden in einem Gebäude analog zu BGE 127 III

257 (BGHZ 101, 106, 106) behandelt werden. Als einheitlicher Gesamtscha-

den liegt hier ein Schaden mit gemischter Kausalität vor, für den komple-

mentären Teil kann auch von kumulativ koinzidierender Kausalität gespro-

chen werden347

. Teilschäden am Gebäude, die komplementär-kausal entstan-

den sind, sind voll zuzurechnen. Additiv-kausal entstandene Schäden oder

Schäden, welche sich auf eine einzige Ursache oder einen einzigen Schädiger

zurückführen lassen, sind hingegen wie bei der additiven Kausalität darge-

legt, gemäss Anteil am Schaden anteilsmässig zuzurechnen348

.

Es kann festgehalten werden, dass in den Fällen einer Schadenverursachung

mit komplementärer Kausalität die volle Zurechnung des Verletzungserfolges

die richtige Rechtsfolge ist, da keine Teilursache der Schädigung hinweg ge-

dacht werden kann, ohne dass die Schädigung entfällt349

. Dies ist jedoch nicht

damit zu begründen, dass der Geschädigte wie bei der echten Solidarität (ge-

meinsames Verschulden und Zusammenwirken) besonders schützenswert

346 Viel eher könnte man den Manteldiebstahl als Folgeschaden der zerbrochenen Scheibe be-

trachten. Doch A könnte sich ohnehin aus der Haftung retten, indem er argumentiert, der

Diebstahl des Mantels sei nicht adäquat-kausale Folge seines Unfalls. 347

WECKERLE, S. 90, d.h. jede Handlung hätte schon für sich einen Schaden bewirkt, doch durch

das Zusammenspiel der Handlungen entsteht „ein Mehr oder etwas qualitativ anderes als die

blosse Summe der Einzelschäden“. Im vorliegenden Fall hätten sich in der Mauer bereits

Risse gebildet, das „Mehr“ besteht im komplementär verursachten Einstürzen der Mauer. 348

So auch BGHZ 66, 71, 76: „Ist ein bestimmter Teil des Schadens nur durch das Zusammen-

wirken beider Ursachen herbeigeführt, so ist es gerechtfertigt, für diesen Teil beide Störer ge-

samtschuldnerisch in Anspruch zu nehmen, weil insoweit keine der beiden Ursachenreihen

hinweggedacht werden kann, ohne dass dieser Teil des Schadens entfiele […]. Keiner der bei-

den Immittenten kann aber auf Unterlassung derjenigen Erschütterungen belangt werden, die

allein vom anderen verursacht werden. Das gleiche gilt im Duldungsfalle für den angemesse-

nen Ausgleich in Geld.“; vgl. auch LOSER, S. 117, welcher in diesem Zusammenhang von ei-

ner solidarischen partiellen Haftung spricht. 349

STARK, Entlastungsgründe, S. 64 f.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 347; HABLÜTZEL, S. 11;

dies ist auch der Grund, warum die Teilursachen als gleichwertig betrachtet werden. Da es

jede Teilursache braucht, um den Erfolg eintreten zu lassen, sind alle unabdingbar (gleich)

relevant, was dem Denkansatz der Äquivalenztheorie entspricht, vgl. WEBER, Kausalität und

Solidarität, S. 118.

Page 137: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen

99

wäre, sondern als Konsequenz der sich gegenseitig bedingenden Kausalket-

ten350

.

D. Minimale Kausalität (Teilursachen bei einer grossen

Anzahl an Schädigern [Demonstrationen, Krawalle,

Umweltschäden])

I. Ausgangslage

Eine besondere Problematik im Bereich der Teilursachenkonkurrenz findet

sich bei Konstellationen der sog. „minimalen Kausalität“, bei welchen eine

(sehr) grosse Anzahl von Schädigern einen meist erheblichen Schaden verur-

sacht hat.

Dabei sind zwei Problembereiche zu unterscheiden, nämlich die Frage, ob

sich ein Schädiger an der Schädigung beteiligt hat (Urheberzweifel; Frage der

unklaren Kausalität) und die Frage, in welchem Umfang ein Schädiger an der

Schädigung beteiligt ist (Frage der kausalen Zurechnung; allenfalls Anteils-

zweifel und somit Frage der unklaren Kausalität)351

. Bei diesen Schädigungen

durch eine sehr grosse Anzahl an Schädigern kann somit zum einen der kau-

sale Beitrag der Schädiger zum Gesamtschaden sehr gering sein und zum an-

deren unklar bleiben352

, ob und in welchem Umfang der potentielle Schädiger

überhaupt zur Schädigung beigetragen hat353

. Beispiele für Schädigungen mit

minimaler Kausalität stellen Massendemonstrationen, Streiks und Krawalle

sowie Umweltschäden dar354

.

350 So auch STARK, Entlastungsgründe, S. 65; daraus folgt auch, dass die volle Zurechnung unter

den Regeln der Anspruchskonkurrenz erfolgt; vgl. bspw. die sich daraus ergebenden, unter-

schiedlichen Folgen für die Schadenersatzbemessung (ob im Aussenverhältnis der Schadener-

satz aufgrund spezieller Umstände gekürzt werden darf) im Bereich von Art. 43 und Art. 44

OR, vgl. dazu hinten S. 146 ff. 351

Vgl. dazu auch hinten unter dem Begriff der Anteilszweifel und Urheberzweifel S. 208 ff. 352

Vgl. zur Frage der unklaren Kausalität ausführlich hinten S. 198 ff. 353

WECKERLE, S. 92; KRAMER, Multikausale Schäden, S. 73; LOSER, S. 119; PETITPIERRE,

S. 113; QUENDOZ, S. 109. 354

Vgl. hierzu grundlegend LOSER, S. 119 ff.; NEUENSCHWANDER, S. 5 ff. sowie S. 85 f.; vgl.

weiter BREHM, BK-OR, N 35a ff. zu Art. 50 OR; OFTINGER, Haftpflichtrechtliche Folgen,

S. 228; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 162; KRAMER, Multikausale Schäden, S. 63 f.

Page 138: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

100

Die Problemstellung lässt sich am Beispiel der Demonstrationsschäden auf-

zeigen. Eine klassische Demonstration beginnt meist friedlich und organi-

siert. Zu Schäden kommt es, wenn Demonstrationen ausarten. Dabei stellt

sich das Problem, dass es bei einer sehr grossen Anzahl an Anwesenden

schwierig ist zu unterscheiden, wer sich an den Beschädigungen direkt betei-

ligt, wer die Beschädigungen durch seine Anwesenheit allenfalls gefördert

hat und wer zwar Teilnehmer der Demonstration war, sich jedoch an den Be-

schädigungen nicht beteiligte. Als weiteres Problem stehen häufig neben ei-

ner (kleineren) Anzahl bekannter Schädiger eine (grössere) Anzahl unbe-

kannter Schädiger.

Das gleiche zeigt sich am Beispiel von Gewässerverschmutzungen. Ein See

wird durch Anrainer verschmutzt, wobei unklar bleibt, welcher Anrainer wie

viel zur Verschmutzung beigetragen hat. Klar ist einzig, dass jeder oder die

meisten Anrainer höchstens einen minimalen Beitrag zur Verschmutzung

geleistet haben.

Diese Konstellationen stellen ein besonders herausstechendes Beispiel für die

weite Interpretation und das Eintreten für eine umfassende Anwendbarkeit

der Solidarität in der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung dar355

. Bei

der Schadensverursachung durch eine grosse Anzahl an Schädigern wird von

der Lehre grossteils Solidarität unter den Beteiligten, Organisatoren und gar

von Begleitern, Zuschauern gefordert, da die Schäden erst durch die Anzahl,

Unterstützung und schützende Anwesenheit der Menge ermöglicht wurden356

.

355 Vgl. zur weiten Auslegung des Begriffs der Solidarität gemäss h.L. und Rechtsprechung vorne

S. 33 ff. 356

OFTINGER, Haftpflichtrechtliche Folgen, S. 228; BREHM, BK-OR, N 35a ff. zu Art. 50 OR;

GUHL/KOLLER, § 26 N 3; LOREZ-WIEGAND, S. 76; NEUENSCHWANDER, S. 77 ff., welcher

aber im Bereich von Demonstrationsschäden offenbar nur die unter Art. 50 OR zu subsumie-

renden Fälle in Betracht zieht. Vgl. weiter aber NEUENSCHWANDER, S. 86: „Es geht nicht an,

dass ein Teilnehmer einer Demonstration für die Taten anderer Teilnehmer einzustehen hat,

welche ohne sein Zutun oder seinen Willen die demokratisch-rechtsstaatlichen Grenzen einer

Demonstration überschreiten“; kritisch zur solidarischen Haftung bei einer sehr grossen An-

zahl Schädiger ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 162; ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 9 zu

Art. 50 OR; WEBER, einheitliche Lösung, S. 347; KRAMER, Multikausale Schäden, S. 72 ff.;

PETITPIERRE, S.113 f.; vgl. die ausführliche Analyse bei LOSER, S. 120 f., mit verschiedenen

Lösungsansätzen (Vollhaftung, Teilhaftung, an Bedingungen geknüpfte Teilhaftung sowie

keine Haftung).

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§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen

101

II. Lösungsansatz

1. Solidarische Haftung bei abgrenzbarem/einheitlichem Schaden

und bestimmter Anzahl Schädiger

Haben mehrere Schädiger innerhalb einer Menschenmenge (Demonstration,

Krawall) zusammen (gemeinsame Handlung und gemeinsames Verschulden)

Schäden verursacht, spricht nichts gegen eine solidarische Haftung der Be-

teiligten für die von ihnen gemeinsam verursachten Schäden. Allerdings

muss in räumlicher, zeitlicher sowie sachlicher Hinsicht (m.a.W. aus kausaler

Sicht) feststehen, für welchen Schaden innerhalb der Gesamtschädigung

(bspw. werden Schaufenster eingeworfen, Wände besprayt, Autos beschädigt

etc.) die Mehrheit an Schädigern verantwortlich ist357

. Für diesen Schaden

haftet die Gruppe solidarisch. Dies entspricht aus Sicht des Gesamtschadens

einer anteilsmässigen Haftung einer Gruppe (aufgrund der additiv-kausalen

Zuordnung des Teilschadens der Gruppe zum Gesamtschaden, wobei für die-

sen Teilschaden jedes Gruppenmitglied solidarisch haftet) für einen in sich

geschlossenen Teilschaden im Vergleich zum Gesamtschaden. M.a.W. kann

eine abgrenzbare Gruppe innerhalb einer grösseren Gruppe solidarisch haf-

ten. Dies entspricht der Haftung eines Einzelnen in einer (kleineren) Gruppe.

Das Gleiche gilt für einen einzelnen Schädiger, wenn diesem Schädiger ein-

zelne schädigende Handlung und daraus erfolgte Schäden klar zugeordnet

werden können. Dann ist im Sinne der additiven Kausalität davon auszuge-

hen, dass für diesen Schadensposten anteilsmässig gehaftet wird358

.

357 So auch BGHZ 63, 124, 127 f.; MünchKommBGB/WAGNER, N 19 zu § 830 BGB.

358 So richtigerweise auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 ff., mit dem Hinweis, dass aus ad-

ditiv-kausaler Sicht feststeht, dass der einzelne Schädiger nur zu einem Teil des Gesamterfol-

ges in Beziehung steht. Damit nicht zu verwechseln, resp. übersehen ist aber, dass auch bei

klar abgrenzbaren Teilschäden, welche einem Täter zuordenbar sind (bspw. ein Steinwurf mit

eingeworfener Fensterscheibe), die Kausalkette in dem Sinne komplementär sein kann, als

dass der Werfer sich nur durch die Anfeuerung der Zuschauer zum Wurf hat animieren lassen;

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 162 tritt für eine nach der realen Beteiligung abgestufte Haf-

tung unter den Verursachern ein; differenzierend QUENDOZ, S. 109 f., welcher bei einer gros-

sen, aber noch überschaubaren Anzahl Schädiger für eine Haftung nach Verursachungswahr-

scheinlichkeit eintritt, bei einer Vielzahl an Kleinstschädigern, gegenüber denen eine Haft-

pflichtprozess nicht mehr rentabel zu führen wäre, aber eine Lösung mit am Verursacherprin-

zip orientierten Lenkungsabgaben vorschlägt; a.A. sind BREHM, BK-OR, N 35a ff. zu Art. 50

OR, OFTINGER, Haftpflichtrechtliche Folgen, S. 228; GUHL/KOLLER, § 26 N 3, welche für

solidarische Haftung eintreten.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

102

2. Keine Haftung ohne Beteiligung

Nicht hingegen kann der einzelne Schädiger für weitere Schadensposten in-

nerhalb der Gesamtschädigung, an welcher er nicht beteiligt war, haftbar ge-

macht werden, denn es fehlt sowohl ein gemeinsam verschuldetes Zusam-

menwirken (Art. 50 OR) als auch ein kausaler Bezug zu diesen Schäden

(Art. 51 OR)359

. Eine allfällige Unaufklärbarkeit eines Schadensteils kann

nicht einfach einem zufällig Anwesenden zugerechnet werden360

.

Gleiches gilt m.E. auch, wenn ersichtlich ist, dass ein Anwesender – bspw.

ein Zuschauer, ein örtlich weit entfernter oder räumlich abgetrennter Teil-

nehmer einer Demonstration oder ein erst nach Entstehen der Schäden hinzu-

gestossener Teilnehmer an einem Krawall – keinen (oder höchstens einen

verschwindend geringen) Einfluss auf die Schadensverursachung hatte361

.

Auch diesfalls ist anteilsmässige Haftung anzunehmen, was in diesem Zu-

sammenhang bedeutet, dass der Nichtbeteiligte nicht haftet.

3. Anteilsmässige Haftung bei minimaler Kausalität?

Am schwierigsten ist die Frage zu beantworten, wie mit jenen Beteiligten zu

verfahren ist, die (insbesondere aufgrund der grossen Anzahl der Schädiger)

einen sehr geringen kausalen Einfluss auf die Schadensverursachung hat-

ten362

. Denn der Kausalanteil dieser Schädiger am Gesamtschaden befindet

359 Gleich für das deutsche Recht PWW-BGB/STEIN, § 830 N 6; MünchKommBGB/WAGNER,

N 19 zu § 830 BGB; BGHZ 89, 383, 395. 360

WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 f.; vgl. auch die Ausführungen hinten S. 198 ff. zur un-

klaren Kausalität. 361

So auch KELLER, S. 169, welcher festhält, dass nur derjenige haftet, welcher auch Kenntnis

vom Verhalten der anderen Beteiligten hatte oder haben konnte. Dies ist bspw. nicht der Fall,

wenn man sich bei einer Demonstration an einem anderen Ende des Platzes aufhält, und die

Ausschreitungen auf der gegenüberliegenden Seite nicht sieht; so auch BVerfGE 69, 315,

361 f.; BGHZ 89, 383, 392; MünchKommBGB/WAGNER, N 19 zu § 830 BGB, welche darauf

hinweisen, dass passive Teilnehmer einer Kundgebung, aus welcher heraus Gewaltakte verübt

werden, weder verpflichtet sind, sich zu entfernen noch verpflichtet sind, für einen friedlichen

Verlauf zu sorgen; so auch PWW-BGB/STEIN, § 830 N 6, welcher bezüglich Demonstrations-

schäden festhält: „Die blosse Teilnahme führt noch nicht zur Haftung für im Zusammenhang

mit der Demonstration entstandene Schäden, selbst dann nicht, wenn der Teilnehmer mit ei-

nem gewaltsamen Verlauf gerechnet hat […]. Bei aktiver Teilnahme an Ausschreitungen haf-

tet jeder Teilnehmer nur für diejenigen Schäden, die in seinem unmittelbaren Aktionsfeld ent-

standen sind […].“ 362

Vgl. die treffende Umschreibung der Problematik durch WECKERLE, S. 92, welcher darauf

hinweist, dass mit dem minimalen Kausalbeitrag meist auch das Problem einhergeht, den

Page 141: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 13 Die Konkurrenz von Gesamtursachen und Teilursachen

103

sich bei zunehmender Zahl immer näher an der Grenze zur Nichtkausalität

respektive zur Bedeutungslosigkeit363

. Hinzukommt, dass bei vielen poten-

tiellen Schädigern unklar bleibt, ob sie überhaupt zum Schaden beigetragen

haben respektive, ob sich ihr Beitrag verwirklicht hat. Neben Schäden bei

Krawallen oder Demonstrationen kommen hier insbesondere Umweltschä-

den, bspw. Schäden durch Gewässerverschmutzung durch eine unbestimmt

grosse Anzahl an Anrainer in Betracht, wobei die Verschmutzung jedes ein-

zelnen Anrainers an sich unbedeutend gewesen wäre364

. In solchen Konstella-

tionen mit einer sehr grossen Anzahl potentieller Mitverursacher scheint eine

solidarische Haftung des Einzelnen für den ganzen Schaden unangemes-

sen365

. So halten OFTINGER/STARK betreffend Gewässerverschmutzungen

durch „mehr oder weniger alle“ fest366

: „Es wäre stossend und unvernünftig

und würde dem Rechtsgefühl krass widersprechen, aufgrund einer juristi-

schen Konstruktion – namentlich der Solidarität bei gemeinsamer Verursa-

chung – für bestimmte dadurch herbeigeführte Schäden einzelne zur Kasse zu

bitten.“ Es kommen je nach Konstellation und Anzahl Schädiger verschie-

dene Lösungsansätze in Betracht. Bei einer grossen, aber nicht ausufernden

Anzahl Schädiger, bei welchen aus kausaler Sicht eine Zurechnung und

Aufteilung noch sinnvoll machbar ist, ist eine anteilsmässige Haftung die

richtige Lösung367

. Dabei ist zu beachten ist, dass sich auch diesfalls eine

Beitrag zu beweisen, respektive der Kausalanteil unklar ist (unklarer Kausalanteil): „Die mi-

nimale Kausalität […] ist dadurch gekennzeichnet, dass der Schaden von der Gesamtheit der

Handelnden verursacht wurde, dass sich aber bei keinem einzelnen die Ursächlichkeit mit der

Bedingungsformel nachweisen lässt, und dass auch keinem ein bestimmter Teil des Schadens

zugeordnet werden kann.“; vgl. weiter QUENDOZ, S. 109 f.; KRAMER, Multikausale Schäden,

S. 72 f.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 162; BYDLINSKI, Probleme der Schadensverursachung,

S. 103 ff., 110 f. 363

Allerdings kann man nicht behaupten, der Beitrag wäre nicht kausal, insofern ist LOREZ-

WIEGAND, S. 76 f. nicht zu folgen. 364

Beispiel bei ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 162. 365

So auch KRAMER, Multikausale Schäden, S. 73 f.; LOSER, S. 120 f.; WECKERLE, S. 92; vgl.

weiter OFTINGER/STARK, § 23 N 119 f.; vgl. auch für das deutsche Recht PWW-BGB/STEIN,

§ 830 N 6; MünchKommBGB/WAGNER, N 19 zu § 830 BGB; vgl. auch BGHZ 89, 383, 395;

solidarische Haftung befürworten OFTINGER, Haftpflichtrechtliche Folgen, S. 228; BREHM,

BK-OR, N 35a ff. zu Art. 50 OR; GUHL/KOLLER, § 26 N 3; LOREZ-WIEGAND, S. 76;

NEUENSCHWANDER, S. 77 ff. 366

OFTINGER/STARK, § 23 N 119. 367

BYDLINSKI, Schadensverursachung, S. 110 f.; BYDLINSKI, Streitfragen, S. 29 f.; KRAMER,

Multikausale Schäden, S. 74, WECKERLE, S. 92 f.; vgl. auch LOSER, S. 121 f., m.w.H.; vgl.

dazu auch kritisch WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 f.; vgl. für das deutsche Recht bei

Fällen „diffuser Multikausalität“ MünchKommBGB/WAGNER, N 55 zu § 830 BGB, welcher

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

104

Haftung überhaupt nur rechtfertigt, wenn ein kausaler Beitrag durch den

Schädiger geleistet wurde368

. LOSER schlägt vor, notfalls bei Fehlen jeglicher

Anhaltspunkte eine Haftungsaufteilung nach Köpfen vorzunehmen, wobei

die Anzahl Schädiger gegebenenfalls geschätzt werden müsste369

. Dieser

Vorschlag geht m.E. zu weit, denn dies würde zu einer Haftung für bloss

mögliche Kausalität führen und sowohl die Haftungszurechnung als auch der

Haftungsumfang sind durch die Kausalität (zurechenbarer Kausalanteil an der

Schädigung) begrenzt. Wird die Anzahl Schädiger beliebig gross und nehmen

die Kausalitätszweifel zu370

, hilft eine anteilsmässige Haftung nicht mehr

weiter. In diesen Konstellationen kommen Lösungen ausserhalb des Haft-

pflichtrechts in Frage, so die Schaffung von Entschädigungsfonds371

, versi-

cherungsrechtliche Lösungen372

oder im Bereich der Umweltverschmutzun-

gen eine Verbesserung des Zustandes durch geeignete verwaltungs- und poli-

zeirechtliche Massnahmen373

.

von der Anordnung der solidarischen Haftung in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB differenzierend für

anteilsmässige Haftung eintritt. 368

BYDLINSKI, Streitfragen, S. 28; WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 f.; vgl. auch die Ausfüh-

rungen vorne S. 91 ff. zur additiven Kausalität sowie hinten S. 198 ff. zu den Urheber- und

Anteilszweifeln. 369

LOSER, S. 131, welcher aufgrund der „ernst zu nehmende[n] Bedenken bezüglich der volks-

wirtschaftlichen problematischen enormen Rechtsfolgekosten […] in einer Gesetzesrevision

durchaus einen Haftungsausschluss“ als gerechtfertigt sieht. De lege lata hält er aber fest

(S. 131 f.): „So lange aber de lege lata mangels kollektiver Entschädigungssysteme das Opfer

leer ausgehen müsste, überwiegt m.E. das Schadensausgleichsziel den Kosteneinwand. Zuge-

gebenermassen, faktisch wird der Kleinemittent wegen Beweisschwierigkeiten und nicht loh-

nender Prozessführung in der Regel „gratis“ davonkommen.“ 370

Vgl. zu den Kausalitätszweifel nachfolgend, S. 198 ff. 371

KRAMER, Multikausale Schäden, S. 74, welcher darin de lege ferenda eine noch befriedigen-

dere Lösung als eine anteilsmässige Haftung sieht; LOSER, S. 131 f. spricht von „kollektiven

Entschädigungssystemen“. 372

WECKERLE, S. 92 f., welcher aber bei sehr grosser Schädigeranzahl eine versicherungsrechtli-

che Lösung vorschlägt, da bei haftpflichtrechtlicher Anspruchsverfolgung der Aufwand der

Rechtsverfolgung den Schaden bei weitem übersteigen würde. 373

OFTINGER/STARK, § 23 N 119.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

105

§ 14 Teilursachenkonkurrenzen gesetzt durch den

unabhängigen Dritten, den Geschädigten sowie den

Zufall und ihr Einfluss auf die Haftung eines

Schädigers (Schadenersatzbemessung)

A. Einleitung

Nicht nur gemeinsam verschuldet zusammenwirkende und somit solidarisch

haftende respektive unabhängig voneinander handelnde und in Anspruchs-

konkurrenz stehende Schädiger können aus kausaler Sicht Urheber einer kau-

salen Teilursache sein und damit bei einem Geschädigten eine Schädigung

bewirken. Schadensursachen, welche für eine Schädigung kausal sind, kön-

nen auch durch den Geschädigten selbst oder durch den Zufall gesetzt wer-

den. Wenn Schädiger gemeinsam verschuldet zusammenwirken, führt dies zu

echter Solidarität, wenn hingegen Schädiger (aus Sicht jedes Schädigers als

„Dritte“) unabhängig voneinander an der Schädigung mitgewirkt haben, führt

dies grundsätzlich zur Anspruchskonkurrenz374

. Darauf aufbauend führt dies

im Falle der Anspruchskonkurrenz zu solidarischer Haftung im Falle der

komplementär-kausalen Verursachung und zu anteilmässiger Haftung re-

spektive Einzelhaftung im Falle der additiv-kausalen Verursachung375

.

Basierend auf dieser Grundlage soll im nachfolgenden Kapitel dargestellt

werden, welchen Einfluss die Setzung einer Teilursache insbesondere durch

unabhängige Dritte oder den Geschädigten selbst auf die Haftung eines Schä-

digers haben. Es ist nämlich klar, dass die mitwirkende Teilursache des Ge-

schädigten nicht zu dessen Aufnahme in den Verband der Solidarschuldner

oder Anspruchskonkurrenten führen kann, wie dies bei einem zusätzlichen

Schädiger der Fall wäre. Auch ein zusätzlich hinzutretender „Dritter“ wirft

die Frage auf, ob er sich einfach dem Solidarverband anschliesst oder aber,

ob er einen Einfluss auf den von den anderen Schädigern oder dem anderen

Schädiger zu leistenden Schadenersatz hat. Es soll dargestellt werden, inwie-

fern es in den gerade genannten Konstellationen aus kausaler Sicht zu einer

„Abschwächung“ (Reduktion) der Haftung kommt, respektive inwiefern die

374 Vgl. bspw. BREHM, BK-OR, N 137a zu Art. 41 OR; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 858, wel-

cher allgemein ausführt, dass ein Drittverschulden zur Solidarhaftung führt; OFTINGER/

STARK, § 7 N 40, m.w.H. 375

Vgl. hierzu vorne, S. 90 ff.

Page 144: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

106

hinzutretende Teilursache so intensiv sein kann, dass es zu einem Ausschluss

der Haftung der bestehenden Schädiger kommt (Unterbrechung des Kausal-

zusammenhangs). Ferner soll dargestellt werden, inwiefern ein Schädiger in

solchen Konstellationen Reduktionsgründe geltend machen kann. Diese Fra-

gen stellen sich sowohl in der Grundkonstellation mit einem Schädiger und

einem Geschädigten als auch im Bereich der echten Solidarität gemäss

Art. 50 OR respektive im Rahmen der Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51

OR.

B. Mögliche Arten von konkurrierenden Teilursachen

I. Grundlage

Grundsätzlich kann praktisch jeder Umstand eine kausale Ursache für eine

Schädigung bilden. Bis anhin wurde in dieser Arbeit von den durch einen

Schädiger gesetzten Teil- oder Gesamtursachen durch menschliches Verhal-

ten376

ausgegangen, welche einem Geschädigten einen Schaden zufügen. Es

sind jedoch weitere Ursachen relevant. Diese „weiteren Ursachen“ (mitwir-

kender Geschädigter, zusätzlicher Dritter oder der Zufall) gehen von der

Grundstellung einer ausservertraglichen Haftungskonstellation aus, bei wel-

cher sich ein Schädiger und ein Geschädigter gegenüberstehen, und treten zu

dieser hinzu. Dies löst die Frage aus, wem die hinzutretenden Ursachen anzu-

rechnen sind, dem Schädiger, dem Geschädigten oder beiden377

.

II. Drittverschulden

Als erstes ist an den zum ersten Schädiger hinzutretenden zweiten Schädiger

(Drittverschulden) zu denken378

. Aus Sicht der haftpflichtrechtlichen Grund-

konstellation ist dies das Hinzutreten einer zusätzlichen kausalen Ursache.

Aus Sicht der Thematik einer Mehrheit von Schädigern oder der solidari-

376 OFTINGER/STARK, § 3 N 46 ff.

377 Vgl. für den Bereich des Selbstverschuldens etwa WEBER, Reduktion, S. 122, welcher die the-

oretischen Möglichkeiten aufzählt, dass das mitwirkende Selbstverschulden erstens unberück-

sichtigt bleiben und zu einer vollen Haftung des Schädigers führen kann, oder aber zweitens

zu einem Wegfall der Haftung des Schädigers oder drittens zu einer Aufteilung des Schadens

zwischen Schädiger und Geschädigtem, was der heute selbstverständlichen Lösung entspricht. 378

Vgl. hierzu die Ausführungen hinten S. 149 ff.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

107

schen Haftung stellt dies, d.h. das Hinzutreten von zusätzlichen Schädigern,

die eigentliche Grundkonstellation zur Schaffung einer Mehrheit Ersatz-

pflichtiger dar. Damit führt dieses Hinzutreten eines zweiten Schädigers nach

h.L. und Rechtsprechung, gemäss welcher sowohl die echte Solidarität ge-

mäss Art. 50 OR als auch die unechte Solidarität gemäss Art. 51 OR eine

Haftung aufs Ganze auslöst, grundsätzlich zur solidarischen Haftung379

. In

diesen Konstellationen wird der Schadenersatz für den einzelnen Schädiger

bemessen, wie wenn er alleine haften würde380

.

In diesem Kapitel soll nun aber auf der Basis, dass das Hinzutreten des

zweiten Schädigers nicht nur zur solidarischen Haftung, sondern auch zur

Anspruchskonkurrenz führt, dargestellt werden, inwiefern hinzutretende

Drittursachen zu einer Unterbrechung des Kausalzusammenhangs führen

können. Weiter wird behandelt, ob und in welchem Umfang eine Drittursa-

che, welche zu schwach ist, um den rechtlich relevanten Kausalzusammen-

hang zu unterbrechen, individuell oder gesamthaft für alle Schädiger zur Re-

duktion des Schadenersatzes führen kann.

Vorausgesetzt ist dabei, dass die Schädiger komplementär-kausal zusammen-

gewirkt haben. Denn haben sie in additiver Kausalität einen „Gesamtscha-

den“ verursacht, liegen in Wirklichkeit getrennte Einzelschäden vor, welche

ihnen auch getrennt zuzurechnen sind381

.

III. Selbstverschulden

Als zweite kausale Ursache für eine Schädigung ist an das Setzen einer Ursa-

che durch den Geschädigten selbst zu denken382

. Von der Grundkonstellation

mit nur einem Schädiger aus betrachtet, würde es an einem Haftungsfall feh-

len, wenn eine Person sich selbst schädigt. Denn eine Selbstschädigung ist

379 BREHM, BK-OR, N 81 zu Art. 43 OR; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 858; OFTINGER/STARK,

§ 7 N 40; MERZ, S. 223; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 19 zu Art. 43 OR. 380

Urteil des BGer 6B_861/2008 vom 22. Juni 2009, E. 5.3; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 19

zu Art. 43 OR; KELLER/GABI, S. 104. 381

Vgl. hierzu vorne S. 91 ff. zur additiven Kausalität sowie hinten zum Begriff des einheitlichen

Schadens S. 168 ff. 382

Vgl. hierzu die Ausführungen allgemein zur Berücksichtigung des Selbstverschuldens als Re-

duktionsgrund hinten S. 119 ff. sowie speziell im Rahmen einer Mehrheit Ersatzpflichtiger

hinten S. 156 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

108

nicht verboten und auch nicht rechtswidrig383

. Setzt der Geschädigte aber

selbst nur eine Teilursache in komplementärer Kausalität neben einem oder

mehreren Schädigern, stellt sich die Frage, in welcher Weise sich dies auf die

Haftung des Schädigers auswirkt. Zu denken ist zum einen an Konstellatio-

nen, in welchen der Geschädigte durch Selbstverschulden an der Verursa-

chung der Schädigung mitwirkt, zum anderen insbesondere an Konstellatio-

nen, in welchen ein Geschädigter unter Verletzung seiner Pflicht zur Scha-

densminderung respektive Schadensvermeidung entweder nach der Schädi-

gung mit der Behebung des Schadens zuwartet und so den Schaden vergrös-

sert, oder aber vor der Schädigung durch sein Handeln oder Unterlassen die

Grundlagen dafür schafft, dass durch Setzen einer weiteren Teilursache ein

neuer, komplementär-kausal verursachter Schaden verursacht werden

kann384

.

IV. Zufall

Als dritte kausale Ursache werden in der Lehre und Rechtsprechung weder

durch einen Schädiger noch durch den Geschädigten gesetzte, sondern durch

den „Zufall“ verursachte Teilursachen behandelt385

. Es stellt sich die Frage,

was unter dem Zufall zu verstehen und wie er als Teilursache einzuordnen ist

sowie wie es sich mit der Haftung des Schädigers verhält, wenn zu seiner

schädigenden Teilursache eine durch den Zufall gesetzte Teilursache kom-

plementär-kausal hinzutritt386

.

383 BREHM, BK-OR, N 18 ff. zu Art. 44 OR; Urteil des BGer 4C.225/2003 vom 24. Februar

2003, E. 5.1. 384

Zu denken ist etwa an einen bei einem Verkehrsunfall verletzten Geschädigten, welcher erst

nach langem Abwarten zum Arzt geht, wodurch sich der Körperschaden in der Zwischenzeit

vergrössert hat und die Heilung wesentlich aufwendiger geworden ist, vgl. REY, N 641 f.; vgl.

weiter hinten S. 130 ff. die Ausführungen zur Schadenvermeidungspflicht sowie hinten

S. 185 ff. das Beispiel zum Einfluss der zeitlichen Komponente bei der Frage nach dem Vor-

liegen eines einheitlichen Schadens. 385

Vgl. etwa REY, N 417 ff. sowie N 635 ff.; zu beachten ist, dass häufig auch die konstitutio-

nelle Prädisposition als besondere Art des mitwirkenden Zufalls betrachtet wird, vgl. etwa

OFTINGER/STARK, § 3 N 95; REY, N 422 ff.; STARK, Haftpflichtrecht, N 366; vgl. zur konsti-

tutionellen Prädisposition hinten FN 474. 386

Vgl. hierzu hinten S. 143 ff.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

109

C. Der Einfluss der Teilursachen auf den (adäquaten)

Kausalzusammenhang (Abschwächung, Unterbrechung

der Adäquanz)

I. Einleitung

Ist eine Alleinursache oder eine genügend gewichtige Teilursache natürlich

und adäquat-kausal zur Verursachung einer Rechtsgutverletzung, führt dies

zur Begründung der Haftung des Schädigers durch Zurechnung seines Kau-

salanteils an den verursachten Schaden sowie weiter durch Festsetzung des

Schadenersatzes basierend auf dem errechneten Schaden387

. Der Umstand,

dass die Teilursachen durch eine Mehrheit Ersatzpflichtiger gesetzt werden,

ändert daran in den nachfolgenden Konstellationen aus Sicht der Beteiligten

im Aussenverhältnis nichts. Verursachen mehrere Schädiger in echter Solida-

rität oder durch komplementär-kausale Teilursachen einen Schaden, wird ih-

nen je der ganze Schaden solidarisch zugerechnet. Denn entweder trifft die

Schädiger ein gemeinsames Verschulden oder die Teilursachen lassen sich

nicht wegbedingen, ohne dass der ganze Schaden entfällt und stellen damit je

eine conditio sine qua non (Bedingung für den natürlichen Kausalzusammen-

hang) für den ganzen Schaden dar. Auch in diesen Konstellationen erfolgt

also im Aussenverhältnis eine volle Zurechnung und der Geschädigte kann

nach seiner Wahl den gesamten Schadenersatz bei jedem Schädiger einfor-

dern. Die Aufteilung unter den Schädigern erfolgt im Innenverhältnis und

nicht bereits im Aussenverhältnis.

Diese Überlegung behält ihre Gültigkeit aber bei der Berücksichtigung

zweier unterschiedlicher Aspekte nicht und hat zur Folge, dass aufgrund von

Reduktionsgründen der Schadenersatz gekürzt wird oder dass aufgrund von

Unterbrechungsgründen eine Haftung entfällt. Erstens ist dies der Fall, wenn

der Geschädigte selbst an der Schadensverursachung mitbeteiligt ist. In dieser

Konstellation kann mit der Aufteilung unter den mitwirkenden Schädigern

nicht bis zum Innenverhältnis zugewartet werden, denn der Geschädigte ist

selber Schädiger. Der Schaden muss also dem Geschädigten zu dem von ihm

zu verantwortenden Teil zugerechnet und der Schadenersatz entsprechend

387 Vgl. zum natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang vorne S. 75 ff.; vgl. weiter

BREHM, BK-OR, N 103 ff. zu Art. 41 OR; vgl. weiter Art. 42–44 OR.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

110

gekürzt werden388

. Je nach Intensität der vom Geschädigten gesetzten Ursa-

che führt diese nur zu einer Reduktion des Schadenersatzes oder aber zu ei-

nem Wegfall der Haftung aufgrund der Unterbrechung der Adäquanz389

.

Zweitens trifft dies zu wenn eine zusätzliche Teilursache (zusätzlicher Dritter

[oder eben der Geschädigte] oder höhere Gewalt) zum bisherigen Kausalver-

lauf hinzutritt, die stark genug ist, den Kausalzusammenhang zu unterbre-

chen390

. Auch in diesen Konstellationen ist zu unterscheiden, ob die Ursache

nur zu einer Reduktion oder zum Wegfall der Haftung führt.

II. Die Unterbrechung der Adäquanz

Mit der „Unterbrechung des Kausalzusammenhangs“ ist nicht der Abbruch

des natürlichen Kausalzusammenhanges gemeint391

. Denn wird der Kausalzu-

sammenhang tatsächlich unterbrochen, so dass er nicht mehr eine conditio

sine qua non für die Schädigung darstellt, entfällt auch die Haftung. Diesfalls

handelt es sich um eine Unterbrechung des natürlichen Kausalzusammen-

hangs und der Schädiger wird nicht zum Schädiger, da seine Handlung an ei-

nem Punkt einen Kausalverlauf nimmt, welcher nicht mehr schädigende Ur-

sache für den Erfolg ist. Somit handelt es sich streng genommen auch gar

nicht um eine Unterbrechung, sondern um einen Abbruch der Kausalkette, es

besteht kein Kausalzusammenhang zwischen schädigender Handlung und

Erfolg392

.

Eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs ist somit nicht möglich, hin-

gegen kann bei einer schädigenden Handlung eine zweite Kausalkette auf die

Schädigung mit einer derartigen Intensität Einfluss nehmen, dass sie die ur-

sprüngliche Handlung in den Hintergrund rücken lässt393

. Es handelt sich

dabei um eine Unterbrechung nicht des Kausalzusammenhangs, sondern der

388 Urteil des BGer 5C.63/2004 vom 9. Juni 2004, E. 3.1.2.

389 Vgl. zur Reduktion aufgrund des Selbstverschuldens BREHM, BK-OR, N 20 ff. zu Art. 44 OR;

vgl. zur Unterbrechung aufgrund des Selbstverschuldens REY, N 560 ff. 390

BREHM, BK-OR, N 136 zu Art. 41 OR; vgl. gleich nachfolgend. 391

ACKERMANN, S. 52 ff., m.w.H. 392

BGE 86 IV 153, E. 1; so auch STARK, Entlastungsgründe, S. 69 ff.; OFTINGER/STARK, § 3

N 132 ff. 393

Urteil des BGer 4C.193/2000 vom 26. September 2001, E. 4.d; Urteil des BGer 4C.379/2002

vom 22. April 2003, E. 2.1.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

111

rechtlich relevanten Adäquanz394

. Eine Unterbrechung der Adäquanz besteht

somit im „Hinzutreten einer anderen adäquaten Ursache, welche einen derart

hohen Wirkungsgrad (Intensität) aufweist, dass die an sich adäquate Ursache

nach wertender Betrachtungsweise als rechtlich nicht mehr beachtlich er-

scheint“395

. Die unterbrechenden Ursachen müssen somit von erheblicher

Intensität sein und alle anderen Faktoren in den Hintergrund drängen396

, sonst

stellen sie lediglich mitwirkende Teilursachen dar, welche nicht zu einer Un-

terbrechung und dem Wegfall der Haftung, sondern lediglich zu einer Reduk-

tion des Schadenersatzes (bei Selbstverschulden des Geschädigten) oder zur

Mithaftung des ursprünglichen Schädigers führen397

. In diesem letzteren Fall

führt die Mithaftung eines zusätzlichen Schädigers zur solidarischen Haftung

bei komplementärer Kausalität und zu Anspruchskonkurrenz bei additiver

Kausalität, wobei sich die Frage stellt, ob in diesen Konstellationen Reduk-

tionsgründe der einzelnen Schädiger zuzulassen sind398

. Um den adäquaten

Kausalzusammenhang zu unterbrechen, reicht es nicht aus, dass das Ver-

schulden des Geschädigten oder Dritten jenes des Schädigers übersteigt und

es reicht auch nicht, dass die Ursache unvorhersehbar war, vielmehr braucht

es in der Regel ein schweres Selbstverschulden des Geschädigten oder eines

Dritten399

.

394 OFTINGER/STARK, § 3 N 133; REY, N 552; BREHM, BK-OR, N 136 zu Art. 41 OR; ACKER-

MANN, S. 53. 395

BGE 130 III 182, E. 5.4; REY, N 552; KELLER, S. 83 ff.; OFTINGER/STARK, § 3 N 138. 396

Urteil des BGer 4C.379/2002 vom 22. April 2003, E. 2.1.; BREHM, BK-OR, N 136 ff. zu

Art. 41 OR. 397

BREHM, BK-OR, N 137a zu Art. 43 OR. 398

Vgl. ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 858, welcher allgemein ausführt, dass ein Drittverschulden

zur Solidarhaftung führt; OFTINGER/STARK, § 7 N 40, m.w.H.; vgl. zur Frage, ob bei einer

Schädigermehrzahl der einzelne Schädiger Reduktionsgründe geltend machen kann nachfol-

gend S. 146 ff. 399

BGE 116 II 519, E. 4.b: „Das Verhalten des Geschädigten oder eines Dritten vermag im Nor-

malfall den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Verhalten des Schädigers

nicht zu beseitigen, selbst wenn das Verschulden des Geschädigten oder des Dritten dasjenige

des Schädigers übersteigt […]. Auch wenn neben die erste Ursache andere treten und die

Erstursache in den Hintergrund drängen, bleibt sie adäquat kausal, solange sie im Rahmen des

Geschehens noch als erheblich zu betrachten ist, solange nicht eine Zusatzursache derart aus-

serhalb des normalen Geschehens liegt, derart unsinnig ist, dass damit nicht zu rechnen war

[…]. Entscheidend ist die Intensität der beiden Kausalzusammenhänge; erscheint der eine bei

wertender Betrachtung als derart intensiv, dass er den andern gleichsam verdrängt und als un-

bedeutend erscheinen lässt, wird eine sogenannte Unterbrechung des andern angenommen“;

vgl. auch die Ausführungen bei BREHM, BK-OR, N 138 ff. zu Art. 41 OR, m.w.H.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

112

Die Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhangs führt zum Wegfall

der Adäquanz und damit zum Wegfall der Haftung des ursprünglich adäquat-

kausal Schadensverursachenden (und damit zur Nichtanwendung der Erfül-

lungsmodalität einer solidarischen Haftung respektive der Anspruchskonkur-

renz) für einen Teil des Schadens oder den ganzen Schaden, je nachdem, ob

sich der Wegfall der Adäquanz des schädigenden Verhaltens nur auf einen

Teil des Schadens oder auf den ganzen Schaden bezieht. Denn die Haftung

ist sowohl bei einem einzelnen Schädiger als auch bei in Anspruchskonkur-

renz stehenden Schädigern durch die Reichweite des adäquaten Kausalzu-

sammenhangs beschränkt400

. Es ist aber anzumerken, dass aufgrund der stren-

gen Voraussetzungen zur Unterbrechung der Adäquanz das Hinzutreten einer

zusätzlichen adäquaten Ursache in der Praxis wohl häufiger zu einer Reduk-

tion des Schadenersatzes im Rahmen der Schadenersatzbemessung gemäss

Art. 43 und Art. 44 OR und nicht zu einer Unterbrechung der Adäquanz füh-

ren wird401

.

III. Unterbrechung der Adäquanz bei additiver und

komplementärer Kausalität

Im Bereich der Setzung von Teilursachen ist die Frage der Unterbrechung

des Kausalzusammenhangs dann relevant, wenn die Teilursachen in kom-

plementär-kausaler Konkurrenz stehen. Denn liegen mehrere additiv-kausale

und damit unterscheidbare und abgrenzbare Einzelhandlungen vor, beeinflus-

sen sich die schädigenden Handlungen nicht und die Anteile sind somit indi-

viduell zuzurechnen. Eine gegenseitige Einflussnahme mit unterbrechender

Wirkung auf die jeweils durch jeden Einzelschädiger gesetzte Ursache findet

nicht statt. Werden die schädigenden Teilursachen hingegen in komplemen-

tär-kausaler Weise gesetzt, stehen die Kausalketten in einem Bedingungsver-

hältnis und sind durch einen adäquaten Kausalzusammenhang mit der eintre-

tenden einheitlichen Schädigung, dem Gesamterfolg verknüpft. Tritt nun eine

zwar komplementäre, aber die Adäquanz unterbrechende, neue adäquat-

kausale Teilursache hinzu, führt dies dazu, dass nur noch die zweite Teilursa-

400 BREHM, BK-OR, N 25 f. zu Art. 51; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 550; REY, N 560 ff.

401 WEBER, einheitliche Lösung, S. 353 ff.; BREHM, BK-OR, N 27 ff. zu Art. 51; OFTINGER/

STARK, § 7 N 10 ff.; REY, N 555 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 840 ff.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

113

che zum Gesamterfolg in einer adäquat-kausalen Beziehung steht. Die Adä-

quanz zur anderen Kausalkette ist unterbrochen respektive abgeschwächt402

.

D. Die Schadenersatzbemessung (Art. 43 und Art. 44 OR)

bei einem Schädiger (Grundkonstellation)

I. Die Funktion der Schadenersatzbemessung

Hat der Geschädigte durch Handlung des Schädigers eine Rechtsgutverlet-

zung erlitten und wurden sodann gemäss Art. 42 OR sämtliche Auswirkun-

gen des Schadensereignisses auf das Vermögen des Geschädigten berechnet,

stellt dies den maximalen Schadenersatz dar, welchen der Geschädigte er-

halten kann, ansonsten er bereichert wäre403

. Wenn nun aber nicht nur der

Schädiger den Schaden verursacht hat, sondern auch noch weitere Teilursa-

chen (bspw. der mitwirkende Geschädigte) am Verletzungserfolg und dem

daraus entstehenden Schaden beteiligt waren, so erscheint es nicht als ge-

rechtfertigt, den Schädiger zur Bezahlung des vollen Schadenersatzes zu ver-

pflichten, denn schliesslich war er für die Schadensentstehung nicht allein

verantwortlich. Der Schritt vom errechneten Schaden zum vom Schädiger zu

bezahlenden Schadenersatz wird als Schadenersatzbemessung bezeichnet und

hat die Aufgabe, der neutraleren Schadenersatzberechnung zu Einzelfallge-

rechtigkeit zu verhelfen404,405

.

402 So ähnlich auch STARK, Entlastungsgründe, S. 82.

403 Urteil des BGer 5C.2001 vom 20. Juli 2001, E. 6; so auch BREHM, BK-OR, N 25 zu Art. 43

OR; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 6 zu Art. 43 OR. 404

Schadensberechnung und Schadenersatzbemessung sind klar zu trennen. Während bei der

Schadensberechnung der maximale Umfang der zugefügten Schädigung kalkulatorisch be-

stimmt wird, befasst sich die Schadenersatzbemessung mit der Frage, in welchem Umfang der

Schädiger den Schaden zu ersetzen hat und in welchem Umfang der Geschädigte selbst dafür

aufkommen muss. Bei der Schadenersatzbemessung wird der Schadenersatz m.a.W. im kon-

kreten Fall aufgrund von Reduktionsgründen wie Selbstverschulden des Geschädigten oder

geringen Verschuldens des Schädigers reduziert; vgl. hierzu OFTINGER/STARK, § 7 N 1 ff.;

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 837 ff.; LANDOLT, Sachschadenhaftung, S. 127; REY,

N 395 ff.; BREHM, BK-OR, N 24 ff. zu Art. 43 OR. 405

BGE 127 III 73, E. 5.d.: „Art. 43 OR ermächtigt das Gericht dagegen nicht, von einer korrek-

ten Schadensberechnung abzusehen; der Schaden ist vielmehr auch dort zunächst ziffernmäs-

sig so genau wie möglich zu bestimmen, wo der Ersatz unter Berücksichtigung der Besonder-

heiten des Einzelfalles bemessen wird“; vgl. auch WEBER, Reduktion, S. 113 f.; GUHL/KOL-

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

114

Liegt demnach ein Reduktionsgrund vor oder wird die rechtlich relevante

Adäquanz einer Schadensursache durch eine andere adäquat-kausale Ursache

abgelöst (unterbrochen), führt dies zur Reduktion (Herabsetzung) des vom

Schädiger zu bezahlenden Schadenersatzes respektive zum Wegfall der Haf-

tung. Im ausservertraglichen Haftungsrecht befassen sich Art. 43 OR und

Art. 44 OR mit der Thematik der Schadenersatzbemessung, respektive mit

der Herabsetzung des zuvor gemäss Art. 41 OR und Art. 42 OR berechneten

Schadens.

II. Wirkungsweise der Reduktionsgründe gemäss Art. 43

und Art. 44 OR

Gemäss Art. 43 OR bestimmt der Richter den Schadenersatz nach den Um-

ständen und der Grösse des Verschuldens406

. Art. 44 OR befasst sich demge-

genüber mit den Umständen (Einwilligung, Selbstverschulden), für welche

der Geschädigte selbst einzustehen hat, weil sie sich auf die Entstehung des

Schadens ausgewirkt oder für eine Vergrösserung des Schadens gesorgt ha-

ben. Ein weiterer Ermässigungsgrund liegt darin, dass der Ersatzpflichtige

durch die Leistung des Schadenersatzes in eine Notlage geraten würde407

.

Aufgrund dieser sogenannten Reduktionsgründe kann der Richter den Scha-

denersatz mässigen oder von einer Ersatzpflicht absehen.

Die Herabsetzungsgründe in Art. 43 OR und Art. 44 OR sind auf die Grund-

konstellation zugeschnitten, in welcher sich ein Schädiger und ein Geschä-

digter gegenüberstehen. Dabei zeigt sich, dass sich Art. 43 OR und Art. 44

OR zwar beide mit der Reduktion des Schadenersatzes befassen, jedoch aus

unterschiedlichen Gründen und in unterschiedlicher Wirkungsweise. Art. 43

LER, § 10 N 17; ROBERTO, Schadensrecht, S. 270; REY, N 210; BREHM, BK-OR, N 29 zu

Art. 43 OR. 406

Art. 43 Abs. 1 OR lautet: Art und Grösse des Ersatzes für den eingetretenen Schaden be-

stimmt der Richter, der hiebei sowohl die Umstände als die Grösse des Verschuldens zu wür-

digen hat. 407

Art. 44 OR lautet: 1Hat der Geschädigte in die schädigende Handlung eingewilligt, oder haben

Umstände, für die er einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung des Schadens

eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst erschwert, so kann der Richter die Er-

satzpflicht ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden.

2Würde ein Ersatzpflichtiger, der den Schaden weder absichtlich noch grobfahrlässig verur-

sacht hat, durch Leistung des Ersatzes in eine Notlage versetzt, so kann der Richter auch aus

diesem Grunde die Ersatzpflicht ermässigen.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

115

OR statuiert eine Reduktion aus unterschiedlich intensivem Bezug (Verschul-

densintensität) des Schädigers zum Schaden, woraus eine Herabsetzung des

Schadenersatzes aufgrund der sonst damit verbundenen Härte erfolgt408

.

Demgegenüber befasst sich Art. 44 OR mit einer Reduktion des Schadener-

satzes aufgrund der unterschiedlichen Beteiligungen an der Schädigung aus

kausaler Sicht, m.a.W. werden die Schadensursachen den verschiedenen Ver-

antwortlichkeitsbereichen zugewiesen, solchen für welche der Schädiger ein-

zustehen hat und solchen, für welche der Geschädigte aufkommen muss409

.

Damit zeigt sich also, dass sich Art. 43 Abs. 1 OR mit den im Verantwor-

tungsbereich („Sphäre“) des Schädigers stehenden Reduktionsgründen be-

fasst, Art. 44 Abs. 1 OR mit jenen, die im Verantwortungsbereich des Ge-

schädigten stehen410

.

In der Praxis kommt dem Gericht betreffend die Bemessungs- und Reduk-

tionsgründe bei der Bestimmung des Schadenersatzes respektive des Scha-

denersatzumfangs ein grosser Ermessenspielraum zu411

. Dies betrifft insbe-

sondere die Gewichtung des Verschuldens des Schädigers (Verantwortungs-

bereich des Schädigers) sowie des Selbstverschuldens des Geschädigten

(Verantwortungsbereich des Geschädigten)412

. Als wichtiges Unterschei-

dungsmerkmal zwischen Art. 43 Abs. 1 und Art. 44 Abs. 1 OR ist diesbe-

züglich aber die Grenze der möglichen Reduktion zu beachten. Während

nämlich in Art. 43 Abs. 1 OR aufgrund des Kriteriums der Verschuldensin-

tensität zwischen schädigendem Verhalten und verursachtem Erfolg nur eine

Kürzung des Schadenersatzes vorgesehen ist, kann in Art. 44 Abs. 1 OR der

Richter den Schädiger auch gänzlich von einer Schadenersatzpflicht entbin-

den. Dies ist kohärent mit der unterschiedlichen Zielsetzung der beiden Be-

stimmungen, denn Art. 43 Abs. 1 OR betrachtet wie gesehen die Verschul-

densintensität, Art. 44 Abs. 1 OR demgegenüber die Verantwortungsbereiche

des Schädigers und des Geschädigten, womit im Extremfall eine Zuweisung

408 WEBER, Reduktion, S. 116; ZELLWEGER, S. 63.

409 WEBER, einheitliche Lösung, S. 355.

410 WEBER, Reduktion, S. 115.

411 BGE 131 III 12, E. 4.2; Urteil des BGer 1C_351/2007, E. 7; vgl. auch HEIERLI/SCHNYDER,

BSK-OR, N 6 zu Art. 43 OR. 412

HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 6 zu Art. 43 OR; WEBER, Reduktion, S. 133 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

116

des gesamten Schadens in den Verantwortungsbereich des Geschädigten

möglich ist413

.

E. Der Verantwortungsbereich des Schädigers und

insbesondere das Verschulden als Reduktionsgrund

I. Reduktion gemäss Art. 43 OR

Verursacht ein Schädiger einem Geschädigten einen Schaden, so schuldet er

ihm in der Regel vollen Schadenersatz414

. Gemäss dem Ausgleichsprinzip

können aber Gründe, welche der Seite des Schädigers zuzurechnen sind, auf

die Bemessung des Schadenersatzes Einfluss nehmen415

. Es sind dies insbe-

sondere die Grösse des Verschuldens des Schädigers gemäss Art. 43 OR

(Verschuldensintensität im Vergleich zum verursachten Schaden), zudem ei-

ne drohende Notlage gemäss Art. 44 Abs. 2 OR416

. Dabei stellt bei der Be-

messung des Schadenersatzes die Grösse des Verschuldens den hauptsäch-

lichen Bemessungsfaktor dar417

. In der Lehre und Rechtsprechung wird über-

einstimmend die Meinung vertreten, dass der Schädiger bei einem schweren

Verschulden vollen Ersatz zu leisten hat418

. Nach herrschender Lehre kann

der Richter nur bei leichtem Verschulden des Schädigers, d.h. bei leichter

Fahrlässigkeit, den Schadenersatz reduzieren419

. Dabei ist zu berücksichtigen,

413 So auch WEBER, Reduktion, S. 133 f.; BREHM, BK-OR, N 49 zu Art. 43 OR; HEIERLI/

SCHNYDER, BSK-OR, N 6 zu Art. 43 OR; a.A. WERRO, CR-CO, N 15 zu Art. 43 OR sowie

dezidiert N 32 zu Art. 44 OR, gemäss welchem eine gänzliche Entbindung von der Schaden-

ersatzpflicht auch im Bereich von Art. 43 Abs. 1 OR möglich ist. 414

HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 6 zu Art. 43 OR. 415

OFTINGER/STARK, § 7 N 12; WEBER, Reduktion, S. 117; BREHM, BK-OR, N47 zu Art. 43

OR; GUHL/KOLLER, § 10 N 68. 416

BREHM, BK-OR, N 72 ff. zu Art. 43 OR; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 846 ff.; HEI-

ERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 8 ff. zu Art. 43 OR; REY, N 398 ff. 417

BREHM, BK-OR, N 72 zu Art. 43 OR; die drohende Notlage gemäss Art. 44 Abs. 2 OR

kommt in der Praxis kaum zur Anwendung, vgl. ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 850 ff.; als

weitere „Umstände“ gemäss Art. 43 Abs. 1 OR werden bspw. Gefälligkeitshandlungen, die

nahe persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem, der Zufall, der entfernte

Kausalzusammenhang oder die Unvorhersehbarkeit des Schadensumfangs genannt, vgl. aus-

führlich BREHM, BK-OR, N 51 ff. zu Art. 43 OR; vgl. weiter WEBER, Reduktion, S. 119 f. 418

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 846; BREHM, BK-OR, N 73 zu Art. 43 OR. 419

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 846; REY, N 399; MERZ, S. 220; OFTINGER/STARK, § 7

N 11 f.; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 264; WEBER, Reduktion, S. 116 f.; BGE 99 II 176,

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

117

dass der Richter zur Reduktion keineswegs verpflichtet ist, denn bei der Ver-

schuldenshaftung gemäss Art. 41 OR ist der volle Ersatz der Regelfall und

die Kürzung bildet die Ausnahme420

. Ohnehin ist festzuhalten, dass eine Kür-

zung aufgrund des leichten Verschuldens des Schädigers in der Praxis selten

ist, viel wichtiger sind Reduktionsgründe, welche im Verantwortungsbereich

des Geschädigten liegen, insbesondere das Selbstverschulden des Geschä-

digten421

.

Umstritten ist die Frage, ob eine Kürzung bei mittelschwerem Verschulden

zulässig ist. Sowohl Rechtsprechung als auch Lehre beantworten die Frage

uneinheitlich422

. Es erscheint jedoch richtig, dass es bei der Bewertung des

Verschuldens stark auf die Umstände des zu beurteilenden Falls ankommt

E. 2.a, wo das Bundesgericht festhielt, dass entscheidend sei, dass der eingetretene Schaden in

vollem Umfange die Folge pflichtwidrigen Verhaltens zurückzuführen sei; BGE 92 II 238,

E. 3.b: „Der Grad des Verschuldens, der nach Art. 43 OR bei der Bemessung des Schadener-

satzes zu würdigen ist, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nur dann zu einer

Ermässigung der Ersatzpflicht führen, wenn dem Schädiger bloss leichte Fahrlässigkeit vor-

zuwerfen ist.“; BGE 91 II 291, E. 4.b. 420

HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 8 zu Art. 43 OR; GUHL/KOLLER, § 10 N 72; VON

TUHR/PETER, S. 104; BREHM, BK-OR, N 76 zu Art. 43 OR, mit einer Übersicht über die

Rechtsprechung des Bundesgerichts; überzeugend WEBER, Reduktion, S. 117: „OR 43 liegt

der Gedanke zugrunde, dass die konkrete Art und die Intensität des Haftungsgrundes eine

Abweichung vom Grundsatz des Totalersatzes rechtfertigen können. Die durch die einzelnen

Haftungselemente vorgezeichnete generelle Interessensabwägung ruft bei einer Gesamtschau

des konkreten Ereignisses nach einer Korrektur. Dazu müssen aber gewichtige Gründe vorlie-

gen. Allein leichtes Verschulden darf nicht automatisch eine Minderung der Leistungspflicht

nach sich ziehen. Nach der in OR 41 vorgesehenen Rechtsfolge löst jeder Verschuldensgrad

vorbehaltlos die volle Haftpflicht aus. Voller Schadenersatz, das fordert das Ausgleichsprin-

zip, ist die Regel, Reduktion die zu begründende Ausnahme. Nebst der Geringfügigkeit des

Verschuldens müssen weitere Gründe für eine abweichende Rechtsfolge sprechen. Es ist zu

bedenken, dass der Geschädigte ohne die Unsorgfalt des Ersatzpflichtigen keinen Schaden er-

litten hätte. Ein allzu grosszügiges Entgegenkommen kann für den Geschädigten eine unbil-

lige Härte bedeuten. Anderseits ist die Grenze zwischen Verschulden und Nicht-Verschulden

fliessend.“; vgl. auch BREHM, BK-OR, N 26 zu Art. 43 OR. 421

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 864; BREHM, BK-OR, N 76 zu Art. 43 OR; WEBER, Reduktion,

S. 117. 422

Bejahend Urteil des BGer 4C.103/2005 vom 1. Juni 2005, E. 6; ablehnend: BGE 99 II 176,

E. 2.a; grundsätzlich bejahend BREHM, BK-OR, N 79 zu Art. 43 OR; HEIERLI/SCHNYDER,

BSK-OR, N 9 zu Art. 43 OR; ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 3 zu Art. 43 OR; zurückhaltend

MERZ, S. 218.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

118

und dass die Herabsetzung des Schadenersatzes umso geringer ausfallen

muss, je grösser das Verschulden des Schädigers wiegt423

.

Zu berücksichtigen ist weiter, dass das Verschulden naturgemäss nur bei

Verschuldenshaftungen relevant ist424

. Denn bei einer Kausalhaftung oder

Gefährdungshaftung muss der Schädiger definitionsgemäss gerade ohne dass

sein Verschulden berücksichtig wird, für einen Schaden einstehen425

. Das

Verschulden des Schädigers wird diesfalls nur berücksichtigt, wenn Herab-

setzungsgründe vorliegen, die nicht im Verantwortungsbereich des Schädi-

gers stehen, so bspw. das Selbstverschulden des Geschädigten426

.

II. Kriterien der Reduktion in Art. 43 OR

Gemäss Art. 43 Abs. 1 OR bestimmt der Richter in seinem Ermessen den

Umfang des Schadenersatzes, wobei er von Amtes wegen alle konkreten

Umstände und das Verschulden berücksichtigt427

. Hier ist aus kausaler Sicht

folgendes zu bemerken: Die Reduktion des Schadenersatzes erfolgt im Be-

reich von Art. 43 OR (im Gegensatz zur Reduktion bei Art. 44 OR) aus

Gründen der Billigkeit gegenüber dem Schädiger, konkret aufgrund des rela-

tiv geringen Verschuldens (Verschuldensintensität) im Vergleich zum ent-

standenen Schaden428

. Somit ist auch klar, dass die Reduktion nicht aus kau-

423 So auch BREHM, BK-OR, N 79 zu Art. 43 OR; vgl. auch WEBER, einheitliche Lösung,

S. 355 f. 424

BREHM, BK-OR, N 41 f. zu Art. 43 OR, welcher auf die nicht immer konsequente Rechtspre-

chung des Bundesgerichts hinweist. Weiter hält BREHM und mit ihm WEBER, Reduktion,

S. 116, fest, dass Art. 43 OR aber bei Kausal- und sogar Gefährdungshaftungen angewendet

werden kann, wenn andere Reduktionsgründe (insbesondere eine Mitwirkung des Geschädig-

ten) mitwirken; vgl. auch REY, N 398. 425

HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 11 zu Art. 43 OR; BGE 97 II 221, E. 5. 426

Vgl. zum Aufeinandertreffen von Kausalhaftung und Verschuldenshaftung gleich anschlies-

send S. 123 ff. 427

Ausführlich BREHM, BK-OR, N 46 ff. zu Art. 43 OR; WEBER, Reduktion, S. 116; HEI-

ERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 1 zu Art. 43 OR; BGE 111 II 156, E. 4 [noch unter altem Zivil-

prozessrecht]: „Die Vorschriften von Art. 43 und 44 OR sind als Bundesrecht von Amtes we-

gen anzuwenden […]. Ob eine Ermässigung der allfälligen Ersatzpflicht des Beklagten in Be-

tracht fällt, muss deshalb unbekümmert darum geprüft werden, ob der Herabsetzungsantrag

nach kantonalem Prozessrecht verspätet gestellt worden ist.“ 428

WEBER, einheitliche Lösung, S. 355 f.; WEBER, Reduktion, S. 133 ff.; BREHM, BK-OR,

N 25a ff. und N 48 zu Art. 43 OR, mit dem Hinweis, dass der Richter ein ausgewogenes

Verhältnis zwischen Verschuldensschwere und Höhe des Schadenersatzes zu berücksichtigen

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

119

salen Gründen erfolgt, der Schädiger setzt als Alleinschädiger die Gesamtur-

sache für die entstandene Schädigung. Dies hat zur Folge, dass sich die Re-

duktion immer auf den Gesamtschaden bezieht und in einer Quote des Ge-

samtschadens zum Ausdruck kommt429

. Festzuhalten bleibt aber, dass es sich

bei der Reduktion gemäss Art. 43 OR um eine Ausnahme vom Grundsatz

handelt, dass der Geschädigte, welchen kein eigenes Verschulden trifft, An-

spruch auf den vollen ihm verursachten Schaden hat430

.

F. Zwei getrennte Verantwortungsbereiche: Zusätzlich das

Selbstverschulden des Geschädigten (Mitwirkung des

Geschädigten an der Schadensverursachung) und die

Folgen aus Sicht der Kausalität

I. Das Selbstverschulden und die Reduktion im

Aussenverhältnis

Sind mehrere Ursachen an einer Schädigung beteiligt, berührt dies den Ge-

schädigten in den klassischen Fällen der Solidarität nicht, er kann im Aus-

senverhältnis, ohne auf das Verschulden der Schädiger zu schauen, von ei-

nem Schädiger den ganzen Schadenersatz verlangen. Das Verschulden wird

erst im Innenverhältnis bei der Schadenaufteilung unter den Schuldnern rele-

vant. Auch der Schädiger wird im Aussenverhältnis nicht anders behandelt,

als er behandelt worden wäre, hätte er den Schaden allein verursacht, er muss

auf Verlangen des Gläubigers ersetzen, was an Schaden verursacht wurde.

Hat nun aber der Geschädigte selbst eine Ursache für die entstandene Schä-

habe, sodass der Schädiger durch den Schadenersatz nicht schwerer belastet werde, als es

seinem Verschulden entspreche. 429

So überzeugend WEBER, Reduktion, S. 134; dies im Gegensatz zur Reduktion gemäss Art. 44

OR; in der Praxis werden Art. 43 und Art. 44 OR aber oft zusammen angerufen und der

Schadenersatz mit Hinweis auf beide Bestimmungen gekürzt, vgl. das Urteil des BGer

4C.75/2004 vom 16. November 2004, E. 4.2; vgl. auch BREHM, BK-OR, N 31 zu Art. 43 OR;

vgl. aber weiter ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 872, welcher eine Herabsetzung des Schaden-

ersatzes nur aufgrund des Selbstverschuldens des Geschädigten oder aufgrund mitwirkender

Kausalhaftung zulassen will. 430

OFTINGER/STARK, § 7 N 12, welcher festhält, dass Art. 43 OR für den Fall gedacht sei, wo ei-

nen leichtfahrlässigen Schädiger eine schwere Schadensbelastung treffen würde oder wo gar

nicht mehr klar sei, ob überhaupt ein Verschulden gegeben sei. Zudem sei zu berücksichtigen,

dass man den Schädiger nur zulasten des Geschädigten entlasten könne.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

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digung gesetzt, kann mit der Schadensaufteilung nicht bis zu einem vom Ge-

schädigten unabhängigen Innenverhältnis zugewartet werden, denn der Ge-

schädigte wäre ja aufgrund seines Mitverursachungsanteils wiederum Teil

dieses Verhältnisses. Heute erscheint es aber als selbstverständlich, dass der

Schaden nach den verursachten Anteilen verteilt wird, die Schadensauftei-

lung erfolgt gemäss Art. 44 Abs. 1 OR zwischen Schädiger und Geschädigten

nach den ihnen zurechenbaren Verantwortungsbereichen431

.

II. Risikoverteilung und Verantwortungsbereiche

Die Aufteilung erfolgt durch die Reduktion/Herabsetzung des Schadenersat-

zes, basierend auf der Begründung, dass die durch den Geschädigten gesetz-

ten Umstände den Schaden beeinflusst haben und diese somit seinem Ver-

antwortungsbereich zuzurechnen und von ihm zu verantworten sind432

.

Zum grundlegenden Verständnis der Schadensaufteilung zwischen Schädiger

und Geschädigtem legt WEBER treffend dar, dass das entscheidende Krite-

rium nicht in den Haftungsvoraussetzungen, sondern in der Risikoverteilung

zu suchen sei433

. Die Schadensüberwälzung vom Geschädigten auf den Schä-

diger werde damit legitimiert, dass mit der durch den Schädiger geschaffenen

Risikosteigerung betreffend einen Schadenseintritt die Verantwortung des

Geschädigten für seine Rechtsgüter aufhöre434

. Jedoch gibt es eine Ausnahme

dieser Ausnahme435

:

„Diese Ausnahme vom Grundsatz der Sachzuständigkeit kann dann nicht mehr

gelten, wenn der Geschädigte seinerseits die eigenen Rechtsgüter gefährdet

und damit sein Integritätsinteresse aufs Spiel setzt. Aus der Gefahrexponie-

rung erwachsen dem Schädiger keine Eingriffsbefugnisse, denn sie darf nicht

mit der Einwilligung gleichgesetzt werden, doch lässt sich die volle Risiko-

übernahme durch den Dritten im Umfang der daraus entstandenen Schädigung

nicht mehr rechtfertigen“.

Zu berücksichtigen ist diesbezüglich aber, dass diese Übertragung der Risi-

kotragung in den Verantwortungsbereich des Geschädigten nur stattfindet,

431 OFTINGER/STARK, § 7 N 11; WEBER, Reduktion, S. 122.

432 STARK, Haftpflichtrecht, N 314 ff.

433 WEBER, Reduktion, S. 123.

434 WEBER, Reduktion, S. 123.

435 WEBER, Reduktion, S. 123 f.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

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wenn die Gefahrensituation durch den Geschädigten mitverursacht oder in

Kauf genommen wurde. Denn es reicht nicht aus, wenn sich der Geschädigte

in einer vom Schädiger geschaffenen Risikosituation ungeschickt verhalten

und die Schädigung aus einer nachträglichen Betrachtung bei geschicktem

Verhalten des Geschädigten hätte verhindert werden können436

.

III. Verschuldenshaftungen (Umstände gemäss Art. 44 Abs. 1

OR)

Die Reduktionsgründe werden in Art. 44 OR nicht genannt, es ist nur von

„Umständen“ die Rede, für welche der Geschädigte einstehen muss. Als

wichtigste vom Geschädigten zu verantwortende Umstände gelten im Bereich

der Verschuldenshaftungen das Selbstverschulden des Geschädigten gemäss

Art. 44 Abs. 1 OR und die auf Geschädigtenseite stehenden Kausal- und Ge-

fährdungshaftungen, bspw. aufgrund der Betriebsgefahr eines vom Geschä-

digten betriebenen Motorfahrzeugs437

.

436 Vgl. bspw. den berühmten BGE 102 II 232, E. 3, in welchem ein Spaziergänger vor einem

bellenden Hund flieht und beim Versuch, eine Leiter zu einem Silo zu erklimmen in eine

Grube stürzt: „Selon l'art. 44 al. 1 CO, le juge peut réduire les dommages-intérêts ou n'en

point allouer lorsque des faits dont la partie lésée est responsable ont contribué à créer le

dommage, à l'augmenter, ou qu'ils ont aggravé la situation du débiteur. Cette disposition parle

de "faits" dont la victime est responsable. Mais, en vertu du principe de la faute qui prévaut en

responsabilité aquilienne, ces faits doivent pouvoir être imputés à faute à la victime; il faut

que celle-ci ait eu subjectivement un comportement répréhensible […]. La faute concomitante

suppose une négligence de la part du lésé, le degré de la diligence que l'on pouvait exiger de

lui s'appréciant objectivement d'après les circonstances concrètes […]. Ne commet dès lors

pas une telle faute la personne qui, pour échapper à un danger auquel elle est subitement ex-

posée, sans qu'il lui soit imputable, effectue sous la pression de l'événement, dans le laps de

temps très court dont elle dispose, une manœuvre qui se révèle après coup inopportune, ina-

daptée à la situation ou maladroite. Vu les circonstances défavorables dans lesquelles se

trouve soudainement cette personne et la hâte dans laquelle elle doit agir, on ne peut lui repro-

cher un manque de diligence si, pour se soustraire au péril dont elle se sent brusquement me-

nacée sans faute de sa part, elle opère dans la précipitation un mouvement qui, à la réflexion,

apparaît avoir été inapproprié, voire contre-indiqué […].“; vgl. auch OFTINGER, Haftpflicht-

recht, S. 162; vgl. weiter STARK, Haftpflichtrecht, N 215, welcher den Fall aus Sicht der adä-

quaten Kausalität als Grenzfall einordnet. 437

Vgl. REY, N 401 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 874 ff.; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR,

N 7 zu Art. 44 OR; BREHM, BK-OR, N 16 zu Art. 44 OR; LANDOLT, Sachschadenhaftung,

S. 102; in der Lehre (vgl. die Übersicht bei ROBERTO, Schadensrecht, S. 323 ff.; ROBERTO,

Haftpflichtrecht, N 894 ff.; OFTINGER/STARK, § 7 N 89 ff.; SCHAER, N 322 f.) werden neben

dem klassischen Selbstverschulden weitere vom Geschädigten gesetzte Teilursachen, welche

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

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Den Geschädigten trifft ein Selbstverschulden438

, wenn er eine Teilursache

für das Eintreten der Schädigung gesetzt hat und ihm ein Verschulden vor-

geworfen werden kann, er also zumindest fahrlässig zur Entstehung des

Schadens beigetragen hat, wobei die vom Geschädigten verlangte Sorgfalt

objektiv nach den konkreten Umständen des Falls zu bestimmen ist439

. Das

Selbstverschulden des Geschädigten bedeutet, dass ihn tatsächlich eine Mit-

verantwortung am entstandenen Schaden trifft440

. Dabei kann sich das Mit-

verschulden des Geschädigten auf die Entstehung des Schadens beziehen

oder aber auch auf eine Verschlimmerung des bereits entstandenen Scha-

dens441

. Ein Selbstverschulden des Geschädigten liegt insbesondere dann vor,

wenn er nicht genügend sorgfältig für den Schutz seiner Rechtsgüter besorgt

war, respektive diese einer Gefahr ausgesetzt hat442

. Dass der Geschädigte für

den von ihm verschuldeten Teil selber haftet, respektive dass in dieser Kon-

unter den Begriff der „Umstände, für die er einstehen muss“ gemäss Art. 44 Abs. 1 OR als

dem Verantwortungsbereich des Geschädigten zugehörend diskutiert. Es sind dies ausserge-

wöhnliche Schadenspotentiale aus dem Verantwortungsbereich des Geschädigten, so z.B. ein

ungewöhnlich hohes Einkommen des Geschädigten oder ein aussergewöhnlich hoher Scha-

den, bspw. wenn es bei einem durch leichte Fahrlässigkeit verursachten Verkehrsunfall durch

die Beteiligung eines Tanklastwagens zur Explosion und zahlreichen Personen- und Sach-

schäden kommt, vgl. das Beispiel bei ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 900. 438

Urteil des BGer 6P.58/2003 vom 3. August 2004, E. 12.1: „Das Selbstverschulden des Ge-

schädigten wird […] nach einem objektiven Massstab beurteilt. Das tatsächliche Verhalten

des Geschädigten wird verglichen mit dem hypothetischen Verhalten eines durchschnittlich

sorgfältigen Menschen in der Lage des Geschädigten […]. Ein Selbstverschulden liegt vor,

wenn dem Geschädigten vorgehalten werden kann, dass er die in seinem eigenen Interesse

aufzuwendende Sorgfalt nicht beachtet hat. Vorwerfbar ist ihm dieses Verhalten allerdings

nur, wenn er die Möglichkeit einer Schädigung voraussehen konnte und sein Verhalten dieser

Voraussicht nicht angepasst hat“; vgl. auch OFTINGER/STARK, § 5 N 140, N 146. 439

BGE 102 II 232, E. 3: „Selon l'art. 44 al. 1 CO, le juge peut réduire les dommages-intérêts ou

n'en point allouer lorsque des faits dont la partie lésée est responsable ont contribué à créer le

dommage, à l'augmenter, ou qu'ils ont aggravé la situation du débiteur. Cette disposition parle

de "faits" dont la victime est responsable. Mais, en vertu du principe de la faute qui prévaut en

responsabilité aquilienne, ces faits doivent pouvoir être imputés à faute à la victime; il faut

que celle-ci ait eu subjectivement un comportement répréhensible […]. La faute concomitante

suppose une négligence de la part du lésé, le degré de la diligence que l'on pouvait exiger de

lui s'appréciant objectivement d'après les circonstances concrètes […].“ 440

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 874. 441

VON TUHR/PETER, S. 112; ausführlich HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 7 ff. sowie N 13 ff.

zu Art. 44 OR; es ist aber zu beachten, dass die Verschlimmerung komplementär-kausal auf

Teilursachen des Schädigers und des Geschädigten zurückzuführen sind und der zusätzliche

Erfolg vom Geschädigten nicht hätte verhindert werden können. 442

ROBERTO, Schadensrecht, S. 304; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 875 f.; OFTINGER/STARK,

§ 5 N 146.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

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stellation der Schadenersatz des Geschädigten gekürzt wird, ergibt sich be-

reits aus der Überlegung, dass der Geschädigte für einen durch ein ebensol-

ches Verschulden verursachten, aber nicht bei ihm, sondern einem Dritten

eingetretenen Schaden ebenso haften würde, jedoch wäre es dann nicht ein

Selbstverschulden, sondern das „normale“ Verschulden als Haftungsvoraus-

setzung bei der Schadensverursachung zulasten eines Geschädigten443

.

IV. Kausal- und Gefährdungshaftung sowie

Zusammentreffen mit Verschuldenshaftung

Sowohl der Schädiger als auch der Geschädigte können eine schädigende

Teilursache für einen beim Geschädigten eingetretenen Schaden aufgrund ei-

ner Kausal- oder Gefährdungshaftung gesetzt haben444

. Wirkt die Kausalhaf-

tung auf der Seite des Geschädigten mit (z.B. bei einem Unfall mit zwei Mo-

torfahrzeugen), ist dies als Umstand, für welchen er gemäss Art. 44 Abs. 1

OR einstehen muss, zu qualifizieren445

. In diesen Konstellationen kann nicht

auf das Verschulden des Teilverursachers abgestellt werden, was zur Folge

hat, dass ein Vergleich des Verschuldens und des Selbstverschuldens und

443 So auch STARK, Haftpflichtrecht, N 317 f., mit dem Beispiel des Fussgängers, welcher unvor-

sichtig auf die Strasse tritt. Wird er selber verletzt, wird sein Schadenersatz wegen Selbstver-

schuldens gekürzt. Kann hingegen der Autofahrer ausweichen und es wird eine dritte Person

geschädigt, haftet der Fussgänger als Schädiger in komplementär-kausaler Weise solidarisch

mit dem ausweichenden Autofahrer; vgl. auch WEBER, Reduktion, S. 123, mit dem Hinweis,

dass dieser symmetrischen Konstruktion des Tatbestandes das Bemühen zugrunde liegt, den

Schädiger und den Geschädigten gleich zu behandeln. 444

Es ist in der schweizerischen Lehre umstritten, was die Folgen sind, wenn eine Kausalhaftung

mit einem Verschulden des Schädigers und ein Selbstverschulden des Geschädigten aufeinan-

dertreffen; vgl. BREHM, BK-OR, N 43 zu Art. 43 OR sowie N 34 ff. zu Art. 44 OR, mit einer

ausführlichen Darstellung der Lehrmeinungen und Rechtsprechung; zum Teil wird die An-

sicht vertreten, in dieser Konstellation müsse geschaut werden, inwiefern das Verschulden des

Kausalhaftpflichtigen die übrigen Reduktionsgründe (Selbstverschulden) zu neutralisieren

vermöge, sodass nur noch die Kausalhaftung des Schädigers für die Schadenersatzbemessung

überbleibe; so bspw. OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 269 f.; GUHL/KOLLER, § 10 N 74; KEL-

LER/GABI, S. 112; REY, N 400; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 12 zu Art. 43 OR; ableh-

nend demgegenüber STARK, Haftpflichtrecht, N 330 f.; ROBERTO, Schadensrecht, S. 319; OF-

TINGER/STARK, § 9 N 13 ff., welche zu Recht festhalten, dass aufgrund des Umstandes, dass

der Geschädigte weiterhin ein Verschulden respektive einen Mitverursachungsanteil an der

Schädigung trägt, eine sektorielle Verteilung von Verschulden und Verursachung gerechtfer-

tigter erscheint. Ein mitwirkendes Verschulden des Kausalhaftpflichtigen sei mit einer ge-

ringeren Reduktion des Schadenersatzes zu würdigen, vgl. OFTINGER/STARK, § 7 N 25 ff. 445

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 890 f.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

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eine darauf gestützte Reduktion des Schadenersatzes nicht möglich sind446

.

Stattdessen sollte in diesen Konstellationen auf einen Vergleich der Verursa-

cheranteile abgestellt werden447

, wobei allerdings nichts dagegen spricht,

auch das den Kausalhaftpflichtigen treffende Verschulden zu berücksichti-

gen.

Es ist schwierig, das Verschulden und das Haftungskriterium der Kausalhaf-

tung (Betriebsgefahr) einander gegenüberzustellen und zu gewichten, denn

das Kriterium des Verschuldens und das den Kausal- und Verschuldenshaf-

tung zugrundeliegende, dritte Rechtsgüter gefährdende Kriterium (bspw. die

Betriebsgefahr) lassen sich nicht direkt vergleichen. Auf der Suche nach ei-

nem Vergleichskriterium als gemeinsamem und vergleichbarem Nenner

nennt WEBER als zusätzliches Abwägungskriterium die „qualifizierte Gefähr-

dung“, welche sowohl den Kausalhaftungen als auch den Verschuldenshaf-

tungen (im Sinne der „verbotenen Gefährdung fremder Rechtsgüter“) gemein

ist448

. Die „Gefahr als Anknüpfungspunkt der Abwägung“ sei dann ein

brauchbares Kriterium, wenn sich die Wahrscheinlichkeit eines Scha-

denseintritts in Zahlen ausdrücken lasse. Aufgrund einer Untersuchung der

Schadensursachen werde abgeschätzt, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese

Einfluss auf den Erfolgseintritt genommen haben. Unter Berücksichtigung

von Fallgruppen und dem richterlichen Ermessen liesse sich anhand dieses

Kriteriums eine Entscheidung treffen bei der Quotenbildung, welche ansons-

ten aufgrund der Unvergleichbarkeit von Verschuldenshaftung und Kausal-

haftung sehr schwer fallen würde449

.

V. Umfang der Reduktion gemäss Art. 44 Abs. 1 OR

Da der Richter gemäss Art. 44 Abs. 1 OR bei Vorliegen von Umständen, für

welche der Geschädigte einstehen muss, die Ersatzpflicht des Schädigers

„ermässigen oder gänzlich von ihr entbinden“ kann, kann die Reduktion zwi-

schen null und hundert Prozent liegen, je nachdem ob den Geschädigten gar

kein Selbstverschulden oder aber ein das Verschulden des Schädigers völlig

446 ROBERTO, Schadensrecht, S. 313.

447 ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 884.

448 WEBER, Reduktion, S. 139 ff.

449 WEBER, Reduktion, S. 141 ff.; vgl. sogleich anschliessend zur Quotenbildung und sektoriellen

Aufteilung.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

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überwiegendes Selbstverschulden trifft450

. Denn im Gegensatz zu Art. 43

Abs. 1 OR sieht Art. 44 Abs. 1 OR auch eine gänzliche Entbindung von der

Schadenersatzpflicht vor. Dies ist aus kausaler Sicht logisch, denn die Re-

duktion gemäss Art. 44 Abs. 1 OR erfolgt wie gesehen aufgrund der Zuwei-

sung von Verursachungsteilen in den Verantwortungsbereich von Schädiger

und Geschädigtem451

. Dies hat aber auch zur Folge, dass im Bereich von

Art. 44 Abs. 1 OR eine Kürzung bei jedem Schadensposten separat zu prüfen

ist, denn insbesondere bei Folgeschäden kann das mitverursachende Selbst-

verschulden des Geschädigten ein anderes Ausmass annehmen als bei der ur-

sprünglichen Schädigung452

. Dies wäre bei einer Reduktion im Bereich von

Art. 43 Abs. 1 OR nicht möglich, da hier wie gesehen eine Schadenersatzre-

duktion aufgrund der Relation zwischen Verschulden und verursachtem

Schaden (Verschuldensintensität) erfolgt.

VI. Kriterien der Reduktion gemäss Art. 44 Abs. 1 OR aus

kausaler Sicht

1. Verschulden und Kausalanteil als Kriterium

Bei der Festlegung der Schadenersatzreduktion ist sowohl das Verschulden

des Schädigers und das Selbstverschulden des Geschädigten als auch die die

Schädigung mitverursachenden Kausalanteile je des Schädigers und des Ge-

schädigten anhand der Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichti-

gen453

. Die Folge des Selbstverschuldens respektive der Mitverursachung ist

wie gesehen eine Reduktion des Schadenersatzes454

.

450 BREHM, BK, OR, N 20 zu Art. 44 OR, mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des

Bundesgerichts. 451

So auch WEBER, Reduktion, S. 134. 452

WEBER, Reduktion, S. 134; vgl. dazu auch die Ausführungen betreffend die Pflicht zu Scha-

densvermeidung hinten S. 130 ff. 453

ROBERTO, Schadensrecht, S. 310 f., mit Hinweisen auf die deutsche und amerikanische Lehre

und Rechtsprechung; vgl. auch ZELLWEGER, S. 56 ff.; LANDOLT, Sachschadenhaftung,

S. 128. 454

Allerdings kann gemäss der Rechtsprechung das Selbstverschulden des Geschädigten durch

das grobe Verschulden des Kausalhaftpflichtigen ganz oder zum Teil neutralisiert werden,

vgl. BGE 128 III 390, E. 4.5; BGE 127 III 453, E. 8.c.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

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2. Abgrenzung von der Reduktion nach Art. 43 Abs. 1 OR

Bei einer Betrachtung des Schadensereignisses aus Sicht der Kausalität zeigt

sich bereits in der Konstellation mit einem Schädiger und einem Geschädig-

ten, dass die Folge der Zuweisung zu einem Verantwortungsbereich gemäss

Art. 44 Abs. 1 OR nicht einfach in einer Reduktion des Ersatzes wie in

Art. 43 OR liegt. Denn bei Art. 43 OR erfolgt eine allfällige Reduktion er-

messensweise nur anhand der Betrachtung der Verschuldensintensität, also

des grösseren oder kleineren Verschuldens des Schädigers und des damit ein-

hergehenden Bezugs dieses Verschuldens zum verursachten Schaden455

.

Demgegenüber erfolgt eine Reduktion des Ersatzes im Bereich von Art. 44

OR aufgrund des Selbstverschuldens respektive des Mitverursachungsanteils

des Geschädigten anhand von verschiedenen Verantwortungsbereichen zu-

weisbaren schädigenden Verhaltensweisen, jenen Teilursachen, für welche

der Schädiger einzustehen hat, und jenen, für welchen der Geschädigte selber

verantwortlich ist456

. Allerdings kann auch in diesen Konstellationen zusätz-

lich eine Reduktion über die Verschuldensintensität gemäss Art. 43 Abs. 1

OR erfolgen.

3. Additive und komplementäre Teilursachen

a. Additiv

Bei dieser Betrachtungsweise zeigt sich, dass auch bei Konstellationen mit

einem Schädiger und einem Geschädigten die Unterscheidung zwischen ad-

ditiver und komplementärer Teilursachenkonkurrenz relevant ist. Hat ein Ge-

schädigter bei einer Schadensverursachung in additiver Kausalität einen Teil

des Gesamtschadens verursacht457

, so ist ihm dieser Teilschaden als Einzel-

schaden zuzurechnen. Bei additiver Kausalität handelt es sich somit um ein

Problem der Zurechnung, nicht der Reduktion.

455 Vgl. auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 355 f.

456 Vgl. auch SCHAER, N 255 ff., welcher die Frage aufwirft, ob der adäquate Kausalzusammen-

hang nicht auch Schadenersatzbemessungsprobleme und damit einhergehend die Herabset-

zung des Schadenersatzes umfasst und dazu festhält: „Wenn schon ein grobes Selbstverschul-

den dazu führen kann, dass der adäquate Kausalzusammenhang „unterbrochen“ wird, so sollte

es auch zulässig sein zu sagen, nur der auf das Verhalten des Schädigers, nicht aber auf das

Verhalten des Geschädigten zurückzuführende Teil des relevanten Schadens sei der vom

Schädiger gesetzten Ursache angemessen, also adäquat.“ 457

Vgl. zur Thematik des einheitlichen Schadens hinten S. 168 ff.

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b. Komplementär

Nicht weiter hilft die Zurechnung hingegen, wenn Schädiger und Geschä-

digter in komplementär-kausaler Weise einen Schaden verursacht haben,

wenn also die Frage des Selbstverschuldens im Zusammenspiel mit einer von

einem Schädiger gesetzten Teilursache steht. Denn bei komplementär-kausal

entstandenen Schädigungen lassen sich die Kausalanteile nicht aufteilen, auf-

grund des Äquivalenzprinzips sind die kausalen Teilursachen als gleichwertig

anzusehen458

. Dieser Umstand (das Vorliegen der komplementären Kausali-

tät) stellt im Aussenverhältnis einer Mehrheit Ersatzpflichtiger (ohne mitwir-

kendes Selbstverschulden des Geschädigten) kein Problem dar, da dort die

Schadensaufteilung auf das Innenverhältnis verschoben ist. In der Konstella-

tion, wo die schädigenden Teilursachen aber zwischen Schädiger und Ge-

schädigten aufgeteilt werden müssen, stellt sich die Frage, wie eine Auftei-

lung in einem Bereich zu erfolgen hat, in welchem die Verursachungsanteile

als äquivalent eingestuft werden.

c. Beispiel

Hat bspw. ein Geschädigter als vorsichtiger Fussgänger bei einem Autounfall

(Kausalhaftung) durch das Verhalten des Schädigers eine Verletzung erlitten,

haftet grundsätzlich der Schädiger vollständig. Ist der Fussgänger aber unvor-

sichtig auf die Strasse getreten, ist dieser Schaden in komplementärer Kausa-

lität (weder die Unvorsichtigkeit des Geschädigten noch die Fahrt des Schä-

digers kann weggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfällt) entstanden

und eine Kürzung des Schadenersatzes erfolgt über das Selbstverschulden

gemäss Art. 44 Abs. 1 OR459

. Ist nun aber der Fussgänger von sich aus auf

der Strasse gestolpert, hat sich dabei verletzt und fährt ihn daraufhin ein Auto

an, was weitere Verletzungen verursacht und einen Teil der gerade selbstver-

schuldet entstanden Verletzungen verschlimmert, dann ist es richtig, dass der

Geschädigte die Folgen der beim Selbstunfall erlittenen Verletzungen, wel-

che durch den Zweitunfall nicht verschlimmert wurden, selber trägt. Bei den

458 Vgl. dazu vorne S. 75 ff. bei den Ausführungen zum natürlichen Kausalzusammenhang; vgl.

weiter STARK, Haftpflichtrecht, N 324; WEBER, Reduktion, S. 138. 459

So auch STARK, Haftpflichtrecht, N 319, welcher festhält, dass den Geschädigten eine Oblie-

genheit trifft, zumutbare Massnahmen zu ergreifen, welche geeignet sind den Schaden zu

vermeiden; vgl. weiter OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 266 ff.; VON TUHR/PETER, S. 112 ff.;

gleichzeitig stellt dieser Sachverhalt ein Beispiel für zeitversetzt gesetzte Teilschadensursa-

chen dar, vgl. dazu beim einheitlichen Schaden hinten S. 168 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

128

neu zugezogenen und den verschlimmerten Verletzungen kommt hingegen

eine Reduktion aufgrund des Selbstverschuldens infrage.

VII. Quotenbildung und sektorielle Verteilung (konkrete

Teilung) als Folge der Reduktion

1. Quotenbildung

Es stellt sich sodann die Frage, wie der Gesamtschaden unter Berücksichti-

gung der Beiträge des Schädigers und des Geschädigten konkret aufzuteilen

ist. Einigkeit herrscht in Lehre und Rechtsprechung darüber, dass der Ge-

samtschaden, welcher mit einhundert Prozent eingesetzt wird, auf die rele-

vanten schädigenden Ursachen aufzuteilen ist460

. Dies erfolgt nach dem über-

wiegenden Teil der Lehre und nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auf-

grund einer quotenmässigen Zuweisung gemäss mitursächlichem Anteil am

Gesamtschaden461

. Gemäss WEBER „liegt [es] nahe, den Ersatzanspruch um

diejenige Quote zu kürzen, die dem Anteil des Geschädigten an der Gesamt-

verursachung entspricht“, wobei klar sei, dass aufgrund der Haftungsvoraus-

setzung der Kausalität der kausale Verursachungsanteil Grundlage der Quo-

tenbildung sein müsse462

. Dieser Ansicht ist mit Verweis auf die vorstehen-

den Ausführungen zur Teilursachenkonkurrenz und insbesondere zur komp-

lementären Kausalität zuzustimmen.

2. Sektorielle Verteilung

Dabei sind die Quoten aufgrund der sog. sektoriellen Verteilung zu bilden,

bei welcher der Gesamtschaden als runder Kuchen (Kuchendiagramm) be-

460 STARK, Haftpflichtrecht, N 331; REY, N 395 ff., für Art. 59 SVG N 1328 ff.; OFTINGER/

STARK, § 9 N 12 ff.; BGE 132 III 249, E. 3.1. 461

BGE 132 III 249, E. 3.1; BGE 129 III 65 E. 7.3; BGE 113 II 323 E. 1c; WEBER, Reduktion,

S. 138 ff., S. 145; BREHM, BK-OR, N 34 ff., N 36a ff. zu Art. 44 OR; OFTINGER/STARK, § 9

N 12 ff.; WERRO, responsabilité civile, N 1297 ff.; der andere Teil der Lehre will bei Mitwir-

ken einer Kausalhaftung den Schaden grundsätzlich dem Kausalhaftpflichtigen zuweisen und

eine Reduktion des Schadenersatzes aufgrund eine mitwirkenden Selbstverschuldens des Ge-

schädigten zulassen, vgl. OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 269 f.; MERZ, S. 224 f.; GUHL/KOL-

LER, § 10 N 74. 462

WEBER, Reduktion, S. 138 f.; andere Autoren halten diese Lösung gerade wegen des Äquiva-

lenzprinzips für unmöglich, so STARK, Haftpflichtrecht, N 324; VON TUHR/PETER, S. 111;

OFTINGER/STARK, § 7 N 23, m.w.H.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

129

trachtet wird und dieser Kuchen in so viele Stücke zerschnitten wird, wie re-

levante Teilursachen bei der Schädigung mitgewirkt haben, wobei die für den

Schaden wesentlichen Teilursachen Kuchenstücke unterschiedlicher Grösse

ergeben463

. Diese Aufteilung erlaubt eine Aufteilung an sich nicht vergleich-

barer mitverursachender Teilgrössen wie Verschulden oder Betriebsgefahr464

.

Zu beachten ist dabei, dass anders als bei der Reduktion gemäss Art. 43 OR

im Bereich von Art. 44 OR eine Zuweisung zu den Verantwortungsbereichen

des Schädigers und des Geschädigten für jeden Schadensposten erfolgen

kann und muss465

. Dies ist damit zu begründen, dass sich das mitverursa-

chende Selbstverschulden des Geschädigten auch nur auf einen Teil des Ge-

samtschadens beziehen kann, so wenn das Selbstverschulden nur einen Fol-

geschaden betrifft466

.

VIII. Ergebnis

Die Reduktionsgründe gemäss Art. 44 Abs. 1 OR betreffen das Selbstver-

schulden respektive schädigende Mitursachen, welche dem Verantwortungs-

bereich des Geschädigten zuzurechnen sind und daher zu einem Schadener-

satz führen, welcher kleiner ist, als der gesamthaft entstandene Schaden. Wie

gesehen sind dabei sowohl das Element des Verschuldens als auch das Ele-

463 BGE 132 III 249, E. 3.1; Urteil des BGer 4A_479/2009 vom 23. Dezember 2009, E. 7; Urteil

des BGer 6S.13/2006 vom 30. August 2006, E. 4.3.3; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 10 zu

Art. 44 OR; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 889; STARK, Haftpflichtrecht, N 331: „Die Ge-

samtheit der rechtlich relevanten Ursachen ist mit 100 % einzusetzen und dann jeder Ursache,

sei sie nun vom Schädiger oder vom Geschädigten zu verantworten, je nach ihrem Gewicht

ihre Quote zuzuteilen (sektorielle Verteilung). Das Gewicht ergibt sich bei Verschulden aus

dessen Grösse, bei Kausalhaftungen aus deren Intensität.“; weiter führt STARK, Haftpflicht-

recht, N 331 aus, man solle sich die Gesamtheit der Ursachen am besten als Kuchen vorstellen

und dann dem Schädiger und dem Geschädigten die ihnen zukommenden Stücke zuteilen. Bei

massiver Intensität des Kausalhaftungsgrundes und gleichzeitig ganz geringem Verschulden

des Geschädigten könne dies dazu führen, dass das entsprechende Kuchenstück so klein

werde, dass ihm nicht mehr Rechnung zu tragen sei; demgegenüber könne es sein, dass das

Selbstverschulden so gross werde, dass der Kausalzusammenhang unterbrochen werde. Damit

würde eine Haftung entfallen; vgl. ausführlich auch die Analyse bei OFTINGER/STARK, § 9

N 12 ff.; BREHM, BK-OR, N 34 ff. zu Art. 44 OR. 464

Vgl. das Beispiel bei HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 10 zu Art. 44 OR. 465

WEBER, Reduktion, S. 146. 466

Man vgl. hierzu aber gerade nachfolgend S. 130 ff. auch die Abgrenzung des Selbstverschul-

dens zu Pflicht der Schadensvermeidung.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

130

ment der Mitverursachung zu berücksichtigen467

. Im Bereich der Verschul-

denshaftungen stehen sich das Verschulden des Schädigers und jenes des

Geschädigten gegenüber, womit aufgrund dieses vergleichbaren Kriteriums

die richtige Lösung darin liegt, den Schadenersatz über eine Bemessung ge-

mäss Art. 44 OR, welche den vom Geschädigten mitverursachten Teil be-

rücksichtigt, zu reduzieren468

. Ist zudem auf der einen Seite eine Kausalhaf-

tung beteiligt, wird anstelle oder zusätzlich zum Verschulden das der Kausal-

haftung zugrunde liegende, haftungsbegründende Kriterium, bspw. die Be-

triebsgefahr als Abwägungskriterium dem Verschulden respektive der Be-

triebsgefahr des Geschädigten gegenübergestellt469

.

Aus Sicht der Teilursachenkonkurrenzen ist dabei zu beachten, dass bei

komplementärer Schadensverursachung zwischen Verschulden/Kausalbeitrag

des Schädigers und des Geschädigten die Frage der Reduktion über eine

Quotenbildung und sektorielle Verteilung anhand der vorgestellten Zutei-

lungskriterien erfolgt. Bei additiv-kausaler Mitverursachung des Geschädig-

ten demgegenüber stellt sich die Frage des Verschuldens des Schädigers noch

gar nicht, denn der Schaden wird dem Geschädigten durch die alleinige

Selbstschädigung selbst zugerechnet.

G. Abgrenzung: Die Pflicht des Geschädigten zur

Schadensvermeidung/Schadensminderung in Abgrenzung

vom Selbstverschulden

I. Die Schadensvermeidungs- und die

Schadenminderungspflicht sowie die zeitliche Versetzung

Abzugrenzen sind die Fälle, in welchen der Geschädigte mit seinem

selbstverschuldeten Teilursachenbetrag die Schädigung mitverursacht hat von

jenen Konstellationen, wo der Geschädigte durch sein Verhalten oder seine

Unterlassung die Schadensentstehung, respektive eine Verschlimmerung des

bereits entstandenen Schadens (selbstverschuldet) überhaupt erst ermöglicht

467 So auch ROBERTO, Schadensrecht, S. 310 f.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 881 ff.; WEBER,

Reduktion, S. 123 f., S. 139 ff. 468

BREHM, BK-OR, N 20 ff. zu Art. 44 OR; STARK, Haftpflichtrecht, N 328. 469

STARK, Haftpflichtrecht, N 329.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

131

hat470

, oder wo der Geschädigte durch seine Handlung in der Lage gewesen

wäre, den Schaden zu verringern (Schadenminderungspflicht)471

. Ein solches

Ermöglichen, also die Möglichkeit den Schaden zu verhindern bedeutet, dass

die schädigenden Teilursachen zeitlich versetzt, die selbstverschuldete Ursa-

che also vor oder nach der Ursache des Schädigers gesetzt wurde472

, denn

ohne zeitlichen Unterschied wäre das Schaffen einer Voraussetzung nicht

möglich gewesen473

.

Diese Konstellationen werden praktisch häufig Fälle betreffen, in welchen

der Geschädigte durch sein Verhalten einen entstanden Schaden verschlim-

mert oder in welchen er ein in seinem Verantwortungsbereich stehendes

Rechtsgut in schlechtem oder gefährlichem Zustand gehalten und durch die-

sen Vorzustand die Schadensentstehung erst ermöglicht hat474

. Hat der Ge-

470 Vgl. ausführlich ROBERTO, Schadensrecht, S. 287 ff.; BREHM, BK-OR, N 47 ff. zu Art. 44

OR; OFTINGER/STARK, § 7 N 14. 471

BREHM, BK-OR, N 48 zu Art. 44 OR. 472

OFTINGER/STARK, § 5 N 138 subsumieren diese Konstellationen allgemein unter das Selbst-

verschulden. 473

Vgl. hierzu auch die Ausführungen hinten S. 168 ff. zum einheitlichen Schaden; vgl. ausführ-

lich BREHM, BK-OR, N 47 ff. zu Art. 44 OR. 474

Abzugrenzen sind diese Konstellationen, in welchen den Geschädigten ein Verschulden an

dem den Schaden begünstigenden Vorzustand oder an der Verschlimmerung des Schadens

trifft, von jenen Konstellationen, in welchen der Geschädigte ohne eigenes Verschulden den

Schaden verschlimmert oder einen Vorzustand schafft, welchen den Schadenseintritt oder die

Schadensvergrösserung begünstigt. Diese Frage wird insbesondere unter dem Titel der kon-

stitutionellen Prädisposition erörtert, bei welchem eine Person aufgrund eines Geburtsgebre-

chens oder einer Krankheit körperlich so geschwächt ist, dass schon bei einer geringen Ein-

wirkung auf den Köper überproportional schlimme Gesundheitsfolgen auftreten, mit entspre-

chend hohem Schadenspotential. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung – vgl. BGE

113 II 86, E. 3, bestätigt in BGE 131 III 12, E. 4 – sind die Folgen dieses unverschuldeten

Vorzustands, welcher sich auf eine Schädigung verschlimmernd ausgewirkt hat unterschied-

lich, je nachdem ob ein Schadenseintritt auch ohne die vom Schädiger gesetzte Teilursache in

der Zukunft wahrscheinlich gewesen wäre oder nicht. Im ersteren Fall würde die Prädisposi-

tion bei der Schadensberechnung, im zweiteren Fall bei der Schadenersatzbemessung berück-

sichtigt. So hält das Bundesgericht in BGE 131 III 12, E. 4 fest: „Die konstitutionelle Prä-

disposition der geschädigten Person kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als

mitwirkender Zufall zu einer Kürzung des Ersatzanspruchs führen und insofern die Schadens-

berechnung (Art. 42 OR) oder die Bemessung des Schadenersatzes (Art. 43/44 OR) beeinflus-

sen […]. Eine vorbestehende Gesundheitsschädigung, die sich auch ohne das schädigende Er-

eignis ausgewirkt hätte, ist bei der Schadensberechnung gemäss Art. 42 OR zu berücksichti-

gen; dem Haftpflichtigen ist nur der tatsächlich auf das Ereignis zurückzuführende Schaden

zurechenbar, für das er haftet. Daher sind die vermögensrechtlichen Folgen vorbestehender

Schwächen, die sich mit Sicherheit oder doch mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne das

schädigende Ereignis (z.B. in einer verkürzten Lebens- oder Aktivitätsdauer) ausgewirkt hät-

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

132

schädigte durch seine Handlungen oder Unterlassungen den Schadenseintritt

überhaupt erst ermöglicht oder hat er durch sein Verhalten einen entstande-

nen Schaden vergrössert, führt dies bereits unter dem Aspekt der Schadens-

vermeidung respektive der Schadensminderungspflicht des Geschädigten

dazu, dass dieser für den Schaden respektive für den auf seinen schädigenden

Anteil des Schadens entfallenden Teil keinen Ersatz fordern kann, denn es

liegt diesfalls kein ersatzfähiger Schaden vor475

. In dieser Konstellation liegt

gleichzeitig auch eine Unterbrechung des adäquaten Kausalzusammenhangs

vor, denn es liegt ein schweres Selbstverschulden des Geschädigten vor,

ten, von der Schadensberechnung anteilsmässig auszuscheiden […]. Wäre der Schaden dage-

gen ohne den Unfall voraussichtlich überhaupt nicht eingetreten, so bleibt der Haftpflichtige

dafür auch dann voll verantwortlich, wenn der krankhafte Vorzustand den Eintritt des Scha-

dens begünstigt oder dessen Ausmass vergrössert hat. Dem Anteil der Prädisposition kann in

diesem Fall im Rahmen von Art. 44 OR Rechnung getragen werden.“; vgl. weiter BGE 113 II

86, E. 3, mit zahlreichen Hinweisen auf Lehrmeinungen und Rechtsprechung.

Die Lehre ist in der Behandlung der Frage geteilt. Ein Grossteil der Lehre vertritt die Ansicht,

die konstitutionelle Prädisposition als Herabsetzungsgrund gemäss Art. 44 OR zu berücksich-

tigen und geht auf die Frage gar nicht ein, ob sie auch im Rahmen der Schadensberechnung zu

berücksichtigen wäre, vgl. MERZ, S. 223; KELLER, S. 56 und S. 101; VON TUHR/PETER,

S. 109; KELLER/GABI, S. 104 f.; begründet wird diese Position damit, dass es sich bei der

konstitutionellen Prädisposition um eine besondere Art des mitwirkenden Zufalls handelt,

welcher wie der Zufall als Herabsetzungsgrund zu berücksichtigen ist, vgl. REY, N 422 ff.;

OFTINGER/ STARK, § 3 N 95; STARK, Haftpflichtrecht, N 366; dabei ist aber umstritten, ob die

Herabsetzung unter die Umstände, für welche der Geschädigte einzustehen hat gemäss Art. 44

Abs. 1 OR zu subsumieren ist (so bspw. REY, N 423; BREHM, BK-OR, N 55 und N 57a ff. zu

Art. 44 OR) oder ob die Herabsetzung im Rahmen des Verschuldens gemäss Art. 43 OR er-

folgt (so bspw. STARK, Haftpflichtrecht, N 366; HONSELL, § 9 N 8); in der neueren Lehre

wird mit Hinweis auf die vorgenannte Rechtsprechung des Bundesgerichts anerkannt, dass

eine Unterscheidung in Konstellationen, in welchen sich die Prädisposition ohnehin ausge-

wirkt hätte und in solche, in welchen sie sich nur aufgrund der Schädigung bemerkbar machte,

sinnvoll ist, vgl. BREHM, BK-OR, N 57a ff. zu Art. 44 OR, mit zahlreichen Hinweisen; REY,

N 425; ROBERTO, Schadensrecht, S. 326; HONSELL, § 9 N 8; OFTINGER, S. 103; STUD-

HALTER, S. 63 f.; STARK, Haftpflichtrecht, N 369 f.; zurecht wird aber grundsätzlich darauf

hingewiesen, dass „wer […] widerrechtlich einen gesundheitlich geschwächten Menschen

verletzt, […] kein Recht darauf [hat], so gestellt zu werden, als ob er einen gesunden geschä-

digt hätte“, vgl. BGE 113 II 86, E. 1.b; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 167 f.; ein vorbestehen-

des Leiden des Geschädigten kann sich auf die Schadensberechnung oder Schadenersatzbe-

messung auswirken. Es muss aber eine gewisse Schwere haben, um adäquat-kausal Einfluss

zu nehmen. Ist der vorbestehende Zustand so schwer, dass es dem „Opfer an einem Minimum

an physischer oder psychischer Widerstandskraft“ fehlt und führt so die Handlung des Schä-

digers zu völlig unvorhersehbaren und überproportionalen Schädigungen, so fehlt es entweder

an der Adäquanz der schädigenden Handlung oder die Adäquanz wird unterbrochen, vgl. auch

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 168; BGE 113 II 86, E. 1.b. 475

ROBERTO, Schadensrecht, S. 289 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 803 ff., N 877 f.; BREHM,

BK-OR, N 47 zu Art. 44 OR.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

133

wenn er im Wissen um die Möglichkeit, den Schaden zu vermeiden, dies be-

wusst unterlässt476

.

II. Lehre

1. Herrschende Lehre

In der herrschenden Lehre wird die Schadenminderungspflicht meist unter

den Reduktionsgründen gemäss Art. 44 OR behandelt477

.

2. Ansicht von SCHAER und ROBERTO

Auf eine Einordnung bei der Schadensberechnung gepocht haben als erste

SCHAER und ROBERTO478

. SCHAER führt auf der Grundlage eines Schadens-

begriffs, welcher nur notwendige, nützliche und angemessene Aufwendungen

als relevant betrachtet, aus479

:

„Wird der Einzelschaden als notwendiger, nützlicher und angemessener Auf-

wand zur Behebung der durch das schädigende Ereignis herbeigeführten Be-

einträchtigung des rechtlich relevanten Beziehungsinteresses verstanden, so ist

im ‘relevanten’ oder ‘ersatzfähigen Schaden’ die Schadenminderung enthal-

ten.“

ROBERTO kommt in einer rechtsvergleichenden Betrachtung zum Schluss,

dass (zeitlich) vor- oder nachwirkende Formen des Selbstverschuldens tat-

476 BREHM, BK-OR, N 139b zu Art. 41 OR.

477 So explizit SCHNYDER/HEIERLI, N 6 ff., N 13a zu Art. 44 OR: „Die Beweislast für eine Ver-

letzung der Schadenminderungsobliegenheit trägt der Schädiger […]: ein Negativbeweis ist

dem Geschädigten nicht zumutbar. Verletzungen der Schadenminderungsobliegenheit sind

deshalb grundsätzlich im Rahmen von Art. 44 und nicht bei der Schadensberechnung zu be-

rücksichtigen […].“; SCHNYDER/HEIERLI, N 13a zu Art. 44 OR begründen dies weiter mit

dem Wortlaut von Art. 44 OR sowie der Nähe zum Selbstverschulden. Zu beachten sei aber,

dass bei grobem Selbstverschulden der adäquate Kausalzusammenhang unterbrochen werde,

und dass bei einer derart gravierenden Verletzung der Schadenminderungspflicht der zusätz-

lich entstandene Schaden dem Schädiger nicht zurechenbar und bereits bei der Schadensbe-

rechnung zu berücksichtigen sei; BREHM, BK-OR, N 48 ff. zu Art. 44 OR; HONSELL, § 9

N 18; offen gelassen bei OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 266 f. 478

SCHAER, N 313 ff.; N 333 ff.; ROBERTO, Schadensrecht, S. 290 ff.; vgl. auch ausführlich LU-

TERBACHER, S. 161 ff., S. 169 ff., welcher die Schadensminderungspflicht als Aspekt der

Schadensberechnung einordnet. 479

SCHAER, N 335 f.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

134

sächlich nicht einen Grund zur Schadenersatzreduktion im Rahmen der Scha-

denersatzbemessung darstellen, sondern vielmehr eine Verletzung der Pflicht

des Geschädigten zur Schadensvermeidung480

. Die Pflichtverletzung gründet

nach einer wertenden Betrachtung darauf, dass der Geschädigte angemessene

und ihm zumutbare, schadensvermeidende Massnahmen unterlässt481

. Die

unterlassene Schadensvermeidung wirkt sich daher bereits auf die Schadens-

entstehung aus und betrifft somit nicht mehr die Schadenersatzbemessung,

sondern die Berechnung des Schadens482

. Gestützt insbesondere auf einen

Vergleich mit dem US-amerikanischen Recht483

ergibt sich gemäss ROBERTO

als Folge der vom Geschädigten nicht vermiedenen Schadensentstehung oder

Schadensvergrösserung, dass der Schädiger dem Geschädigten aufgrund des

Fehlens eines ersatzfähigen Schadens keinen Schadenersatz schuldet484

. Eine

Ausnahme bilden einzig die Kosten, welche dem Geschädigten aufgrund der

Schadensminderungsmassnahmen anfallen und welche vom Schädiger zu

tragen sind. Dies bezieht sich aber nur auf Konstellationen der Schadensver-

grösserung, wenn also der Schädiger durch Setzen einer Teilursache bereits

eine Schädigung bewirkt hat.

480 ROBERTO, Schadensrecht, S. 290 ff., welcher darauf hinweist (S. 291 f.), dass die Unterschei-

dung zwischen Selbstverschulden und vermeidbarem Schaden auch praktisch relevant ist und

sich insbesondere darin zeigt, dass es bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger aufgrund des Quo-

tenvorrechts zu einer unterschiedlichen Schadensverteilung kommt. Eine weitere Folge be-

steht darin, dass weder das auf Seiten des Schädigers mitwirkende Verschulden, noch eine

beim Schädiger mitwirkende Betriebsgefahr relevant bleibt, einzig die Vermeidbarkeit des

Schadens führt für den betreffenden Schadensteil zu einer Schadensaufteilung zwischen Schä-

diger und Geschädigtem. 481

ROBERTO, Schadensrecht, S. 294; gleich auch SCHAER, N 333 ff., N 335 f. 482

ROBERTO, Schadensrecht, S. 292; gleich auch SCHAER, N 333 ff., N 335 f. 483

Vgl. PROSSER/KEETON, S. 458 ff., welche festhalten: „Somewhat similar to the doctrine of

contributory negligence is the rule of „avoidable consequences,“ which denies recovery for

any damages which could have been avoided by reasonable conduct on the part of the plain-

tiff. Both doctrines rest upon the same fundamental policy of making recovery depend upon

the plaintiff’s proper care for the protection of his own interests, and both require of him only

the standard of the reasonable person under the circumstances“; DOBBS, S. 275 f., welcher

festhält, dass es nicht darauf ankommt ob die vermeidbare Ursache von Seiten des

Geschädigten jener des Schädigers vorangeht oder nachfolgt; vgl. auch PROSSER/KEETON,

S. 459. 484

ROBERTO, Schadensrecht, S. 290.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

135

3. Ansicht von WEBER

Eine differenzierte („hybride“) Lösung vertritt WEBER, welcher ausführt, dass

die Schadenminderungspflicht je nach Konstellation bei der Schadensberech-

nung oder bei der Schadenersatzbemessung zu berücksichtigen sei485

. Bei der

Schadensberechnung seien zukünftige Schäden, welche noch nicht eingetre-

ten seien und welche unter Art. 42 Abs. 2 OR fallen würden, zu berücksichti-

gen. Demgegenüber seien bereits eingetretene und geldmässig bestimmte

Schäden im Rahmen der Schadenersatzbemessung zu korrigieren. Denn diese

Schäden könnten bei der Schadensberechnung nicht mehr ausgeklammert

werden, der entstandene Schaden sei immer auch der relevante Schaden486

.

Die von WEBER gewählte Lösung hat den Vorteil, dass bei den Rechtsfolgen

differenzierte Lösungen möglich sind, also eine blosse Kürzung des Scha-

denersatzes oder eine Ausschluss der Haftung für einen bestimmten Scha-

densteil, je nachdem ob der Schaden schon eingetreten ist oder erst einzutre-

ten droht487

. Da die Schadenminderungspflicht überwiegend den Zeitraum

nach eingetretener, erster Rechtsgutverletzung betreffe, betreffe die Verlet-

zung dieser Obliegenheit meist Fälle der Schadensvergrösserung. Die Kür-

zung könne sich aber in jedem Fall nur auf den zusätzlich entstandenen

Schaden beziehen. Aus kausaltheoretischer Sicht seien sowohl der Schädiger

als auch der Geschädigte an der Verursachung des Mehrschadens beteiligt,

weshalb ein gänzlicher Ausschluss der Haftung nur angemessen sei, wenn

der Tatbeitrag des Geschädigten eindeutig überwiege, er bspw. auf zumut-

bare, schadensmindernde Massnahmen verzichte. In den übrigen Fällen sei

der Zusatzschaden zu quotieren488

.

III. Rechtsprechung

Das Bundesgericht schien sich in den letzten Jahren nicht entscheiden zu

können, ob es die Schadenminderungspflicht der Schadensberechnung oder

der Schadenersatzbemessung zuordnen wollte. So hat es in den Jahren 2003-

2005 in den Entscheiden 4C.3/2004 und 4C.170/2005 jeweils die Schaden-

485 WEBER, Reduktion, S. 159 ff.

486 WEBER, Reduktion, S. 160.

487 WEBER, Reduktion, S. 160.

488 WEBER, Reduktion, S. 160 f.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

136

minderungspflicht der Schadensberechnung zugeordnet489

. Im Jahr 2006 hat

das Bundesgericht seine Ansicht gewechselt und die Schadenminderungs-

pflicht in den Urteilen 4C.177/ 2006 und 4C.83/2006 der Bemessung zuge-

ordnet490

.

Im Urteil 4C.263/2006 führte das Bundesgericht sodann aus, dass bei Verlet-

zung der Schadenminderungsobliegenheit durch grobes Selbstverschulden

des Geschädigten der adäquate Kausalzusammenhang unterbrochen werde,

und der Geschädigte für diesen Teil des Schadens keinen Ersatz verlangen

könne491

. Dies hatte im vorliegenden Fall die Konsequenz, dass der Geschä-

digte für den ihm zumutbar vermeidbaren Schadensteil das Quotenvorrecht

nicht beanspruchen konnte492

. Diese Rechtsprechung hat das Bundesgericht

im Entscheid 4A.464/2008 bestätigt, wo es entschied, dass bei einer durch

grobes Selbstverschulden unterlassenen Schadenminderung der adäquate

Kausalzusammenhang unterbrochen und der dadurch entstandene zusätzliche

Schaden nicht dem Schädiger zugerechnet werden könne und darum bei der

Schadensberechnung nicht zu berücksichtigen sei493

.

Im Urteil 4A.37/2011 hat sich das Bundesgericht von neuem mit der Thema-

tik auseinander gesetzt494

. Im Entscheid war im Rahmen der Tierhalterhaft-

pflicht (Reitunfall) umstritten, ob die Tierhalterin der Geschädigten Schaden-

ersatz zu leisten habe für ein aufgrund des Unfalls tieferes Erwerbseinkom-

men, welches aber darauf zurückzuführen war, dass die Geschädigte – ob-

489 Urteil des BGer 4C.3/2004 vom 22. Juni 2004, E. 1.2.2; Urteil des BGer 4C.170/2005, E.2.2.

490 Urteil des BGer 4C.177/2006 vom 22. September 2006, E. 2.4; Urteil des BGer 4C.83/2006

vom 26. Juni 2006, E. 4 f. 491

Urteil des BGer 4C.263/2006 vom 17. Januar 2007, E. 3.2: „Erfüllt er diese Obliegenheit zur

Schadensminderung nicht und entsteht ihm deshalb ein Schaden, so ist anzunehmen, diesbe-

züglich sei die adäquate Kausalität zur Körperverletzung nicht gegeben oder sie sei durch

grobes Selbstverschulden unterbrochen worden […] Daraus folgt, dass der Verletzte nur für

den Schaden Ersatz verlangen kann, der auch bei der Erfüllung seiner Obliegenheit zur Scha-

densminderung eingetreten wäre.“ 492

Urteil des BGer 4C.263/2006 vom 17. Januar 2007, E. 3.2: „Der Schaden, den der Verletzte in

zumutbarer Weise hätte verhindern können, ist ihm selber zuzuschreiben, weshalb insoweit

das Quotenvorrecht nicht zur Anwendung kommt.“ 493

Urteil des BGer 4A.464/2008 vom 22. Dezember 2008, E. 3 f. 494

Urteil des BGer 4A.37/2011 vom 27. April 2011, E. 4.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

137

wohl zumutbar – auf ein Vollpensum verzichtete495

. Das Bundesgericht prüf-

te den Fall im Rahmen der Schadenminderungspflicht und führte aus496

:

„Richtig besehen handelt es sich bei der Schadenminderungspflicht um eine

Obliegenheit, deren Berücksichtigung im Grunde genommen ein Problem der

Schadensberechnung ist, weil nicht als vom Haftpflichtigen verursachter

Schaden gelten kann, was durch zumutbare Massnahmen behoben werden

könnte […]. Der in Art. 44 Abs. 1 OR verankerte Grundsatz konkretisiert die

allgemein geltende Pflicht zur schonenden Rechtsausübung (Art. 2 Abs. 1

ZGB). Nach dem Grundgedanken dieser Vorschrift muss der Geschädigte den

Schaden selbst tragen, soweit er ihn selbstverantwortlich mitverursacht hat.

Dabei handelt es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des privaten

Haftungsrechts […]. Dessen Verletzung hat zur Folge, dass der Schaden nur in

dem Umfang zu ersetzen ist, in welchem er auch entstanden wäre, wenn der

Geschädigte der Obliegenheit nachgekommen wäre […]. Wer nach einer

Schädigung, die zu einer Beeinträchtigung seiner Erwerbsfähigkeit führt, seine

verbleibende Arbeitskraft nicht so gut als möglich verwertet, kann demnach

ein entsprechendes Mindereinkommen grundsätzlich nicht auf den haftbaren

Schädiger abwälzen […].“

Damit hat sich das Bundesgericht (vorerst) mit deutlichen Worten für die Be-

handlung der Schadenminderungspflicht im Rahmen der Schadensberech-

nung entschieden. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Geschädigte für

Handlungen oder Unterlassungen, welche den Schadenseintritt überhaupt erst

ermöglicht oder einen entstandenen Schaden vergrössert haben, unter dem

Aspekt der Schadensvermeidung respektive der Schadensminderungspflicht

für den auf seinen schädigenden Anteil des Schadens entfallenden Teil kei-

nen Ersatz fordern kann, denn es liegt diesfalls kein ersatzfähiger Schaden

vor.

IV. Massstab der Zumutbarkeit, den Schaden zu mindern

Massstab für die Verpflichtung des Geschädigten, die Entstehung oder Ver-

grösserung des Schadens zu vermeiden, ist das Verhalten, welches der Ge-

schädigte an den Tag legen würde, wenn er für den Schaden respektive die

Vergrösserung des Schadens selber aufkommen müsste497

. Zumutbare An-

495 Urteil des BGer 4A.37/2011 vom 27. April 2011, E. 2.

496 Urteil des BGer 4A.37/2011 vom 27. April 2011, E. 4.1.

497 OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 266 f.; BREHM, BK-OR, N 48; ROBERTO, Haftpflichtrecht,

N 803.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

138

strengungen sind darin zu sehen, wie sich der Geschädigte verhalten würde,

wenn er keinen Schadenersatz in Aussicht hätte498

. Zu beachten ist, dass für

die nachträgliche Beurteilung der vernünftigen Handlungsweise, wie sie der

Geschädigte hätte an den Tag legen müssen, auf die Umstände des konkreten

Einzelfalles und insbesondere auf das Wissen des Geschädigten abzustellen

ist, was die Berücksichtigung beinhaltet, dass es im Nachhinein und im Wis-

sen um die Gesamtumstände einfacher sein kann, ein allenfalls noch ver-

nünftigeres, als das vom Geschädigten im konkreten Fall angewandte Ver-

halten zu finden, welches diesfalls nicht als Argument für die Vermeidbarkeit

der Schädigung herangezogen werden kann499

.

V. Ergebnisse und Lösungsansatz aus kausaltheoretischer

Sicht

1. Grundsatz

Aus den dargelegten Gründen und in Übereinstimmung mit der neuesten

Rechtsprechung des Bundesgerichts ergibt sich, dass die Unterscheidung

zwischen Selbstverschulden (Mitverursachung der Schädigung) und der

Pflicht der Schadensvermeidung auch im schweizerischen Recht zu treffen

ist500

. Auch für das schweizerische Recht gilt grundsätzlich, dass die Proble-

matik der Verpflichtung zur Schadensvermeidung durch den Geschädigten

nicht wie beim mitwirkenden Selbstverschulden dem Bereich Schadenersatz-

bemessung bzw. der Reduktion des Ersatzes zuzuordnen ist, sondern der

Schadensberechnung und der kausalen Zurechenbarkeit schädigender Teil-

bzw. Gesamtursachen501

. Denn hätte der Schaden durch den Geschädigten

498 Urteil des BGer 4A.37/2011 vom 27. April 2011, E. 4.2: „Grenze dieser Obliegenheit zur

Schadenminderung bildet die Zumutbarkeit. Um den Schaden im Interesse des Haftpflichtigen

zu mindern, muss der Geschädigte nur jene Massnahmen ergreifen, die ihm billigerweise zu-

gemutet werden dürfen […]. Als Massstab gilt das Verhalten eines vernünftigen Menschen in

der gleichen Lage, der keinerlei Schadenersatz zu erwarten hätte […]. Welche Anstrengungen

vom Geschädigten verlangt werden können, ist in Würdigung sämtlicher Umstände zu beur-

teilen.“; vgl. auch OFTINGER/STARK, § 7 N 16; BREHM, BK-OR, N 48 zu Art. 44 OR. 499

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 805. 500

So weiter auch OFTINGER/STARK, § 6 N 37 ff. und § 7 N 16; SCHAER, N 313 ff.; N 333 ff. 501

So auch ROBERTO, Schadensrecht, S. 292; SCHAER, N 313 ff.; N 333 ff.; vgl. aber nachfol-

gend die Einschränkungen aus kausaltheoretischer Sicht; vgl. entgegen diesen Erkenntnissen

BREHM, BK-OR, N 23 zu Art. 42 OR, welcher zwar am Beispiel einer unverhältnismässig

teuren Reparatur einer beschädigten Sache und im Rahmen der Schadensberechnung ausführt,

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

139

ganz oder teilweise verhindert werden können, liegt diesbezüglich von vorn-

herein kein ersatzfähiger Schaden vor, der Schaden ist vom Geschädigten

ganz oder teilweise selbst verursacht502

.

2. Kausaltheoretische Perspektive

Mitwirkendes Selbstverschulden und die Schadensvermeidung können auch

unter dem Blickwinkel der Kausalität betrachtet werden, wobei das zuvor

beim Selbstverschulden gebrachte Beispiel des vorsichtigen respektive un-

vorsichtigen Fussgängers, welcher von einem Auto angefahren und dabei

verletzt wird, zur praktischen Erläuterung dient. Geht der verletzte Fussgän-

ger nicht zum Arzt und entzündet sich deswegen die Verletzung503

, worauf

höhere Heilungskosten entstehen, ist dies im Gegensatz zur beim Autounfall

zugezogenen Verletzung ein vermeidbarer zusätzlicher Teilschaden.

a. Grundsatz beim Selbstverschulden

Es ist im Bereich der Abgrenzung zwischen selbstverschuldeter Mitwirkung

an der Schädigung und der Vermeidbarkeit der Schädigung aus kausaler

Sicht Folgendes festzuhalten. Wie bei der Frage des selbstverschuldeten Mit-

wirkens gesehen, kann dieses Mitwirken bei komplementärer Kausalität zu

einer Reduktion oder zum Wegfall des Ersatzes durch das mitwirkende Ver-

schulden bis hin zur Unterbrechung der Adäquanz führen. Demgegenüber

führt eine Beteiligung mit additiver Kausalität zu Einzelschädigungen, wel-

dass der Geschädigte diesfalls die Schadenminderungspflicht verletze, dann aber zum Schluss

kommt, dass diese Konstellation zur Reduktion des Schadenersatzes gemäss der Umstände in

Art. 44 OR im Rahmen der Schadenersatzbemessung führe. 502

Vgl. SCHAER, N 316, welcher dazu ausführt: „Aus diesem „Standard“ des Massvollen als ein

dem Einzelschadensbegriff immanenten Konkretisierungselement geht hervor, dass die soge-

nannte Schadenminderungspflicht nicht ein Element der Schadenersatzbemessung im Sinne

von OR 44 sein kann und deshalb die häufig anzutreffende Argumentation, die Schadenmin-

derungspflicht müsse schuldhaft verletzt werden, unzutreffend ist. Ausschlaggebend ist, ob

ein bestimmtes Verhalten dem Geschädigten zumutbar ist, wobei von einem weitgehend ob-

jektivierten Massstab auszugehen ist. Das Verhalten eines Geschädigten ist demzufolge dar-

aufhin zu untersuchen, ob es sich im Zusammenhang mit der Haftungsbegründung im Sinne

eines Selbstverschuldens auswirkt, oder aber – und dies ist scharf von den haftungsbegrün-

denden Ursachen zu trennen – ob es sich im Sinne einer Haftungsausfüllung auf die Bestim-

mung des ersatzfähigen Schadens bezieht. Diesfalls steht die objektivierte Zumutbarkeit eines

Verhaltens im Hinblick auf den Schadensbegriff zur Diskussion“; so auch ROBERTO, Haft-

pflichtrecht, N 799 ff., N 802. 503

BGE 56 II 375; Beispiel bei STARK, Haftpflichtrecht, N 319.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

140

che den Schädigern oder Selbstschädigern individuell zugerechnet werden.

Somit wird der aus der Verletzung des Fussgängers entstandene Schaden ent-

weder aufgrund des fehlenden Selbstverschuldens allein dem Schädiger zuge-

rechnet, oder aber beim unvorsichtigen Fussgänger aufgrund des Selbstver-

schuldens und der komplementär-kausalen Schadensverursachung im Rah-

men der Schadenersatzbemessung gemäss Art. 44 Abs. 1 OR gekürzt.

b. Grundsatz bei der Schadensvermeidungspflicht

Anders ist die Ausgangslage, wenn ein von Seiten des Geschädigten ver-

meidbarer Schaden vorliegt. Die Vermeidbarkeit der Schadensentstehung

oder Schadensverschlimmerung führt aus wertender Betrachtungsweise

grundsätzlich dazu, dass kein zurechenbarer Schaden vorliegt. Aus kausaler

Sicht bedeutet dies, dass obwohl die natürliche Kausalität (conditio sine qua

non) gegeben ist, der rechtlich relevante Zusammenhang, die Adäquanz un-

terbrochen wird und daher kein ersatzfähiger Schaden vorliegt504

.

c. Die Versetztheit der Teilursachen

i. Komplementäre Teilursache des Geschädigten

Die zeitliche und logische Versetztheit der Teilursachen des Geschädigten

und des Schädigers führen dazu, dass in diesen Konstellationen von vornher-

ein nur komplementär-kausale Schadensverursachung in Frage kommt. Denn

die Handlung oder das Unterlassung des Geschädigten ist gerade Vorausset-

zung und damit conditio sine qua non für den Gesamtschadenseintritt, für

welchen der Schädiger die andere Voraussetzung setzt505

. Die Verschlimme-

rung der Verletzung des Fussgängers, weil dieser nicht zum Arzt geht, und

die daraus entstehenden Schadensfolgen sind zwar in komplementär-kausaler

Weise aus den vom Schädiger und dem Geschädigten gesetzten Teilursachen

entstanden (weder die Verletzung noch das Zuwarten kann weggedacht wer-

den, ohne dass der Erfolg entfällt), hätten aber aufgrund der Schadensminde-

rungs- respektive Schadensvermeidungspflicht des Geschädigten (es wäre

dem Geschädigten zumutbar gewesen, die Verletzung behandeln zu lassen)

ganz oder teilweise verhindert werden können.

504 OFTINGER/STARK, § 6 N 45; STARK, Haftpflichtrecht, N 216 ff., N 319; ROBERTO, Schadens-

recht, S. 287 ff., im Vergleich mit dem amerikanischen Recht S. 290, für das schweizerische

Recht S. 292. 505

Ähnlich auch WEBER, Reduktion, S. 161.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

141

Als weiteres Beispiel, in welchem der Geschädigte seine Teilursache vor der

schädigenden Teilursache des Schädigers gesetzt hat, diene der Fall des Lie-

genschaftsbesitzers, welcher sein Haus nicht ordnungsgemäss unterhält und

es dem Verfall preisgibt, wodurch das Gebäude schadensanfällig wird506

. Er-

stellt nun ein Bauherr auf dem Nachbargrundstück ein neues Haus und

kommt es aufgrund der Baufälligkeit zu Schäden am Haus des geschädigten

Liegenschaftsbesitzers, welche ganz oder teilweise nur aufgrund der Baufäl-

ligkeit entstehen konnten, hätte der Schaden in zumutbarer Weise vom Ge-

schädigten ganz oder teilweise verhindert werden können.

ii. Keine Relevanz der Reihenfolge der Teilursachensetzung vorher

oder nachher

Es stellt sich nun mehr die Frage, ob es einen Unterschied macht, ob der Ge-

schädigte durch eine Handlung oder ein Unterlassen vor Setzung der Teilur-

sache durch den Schädiger eine Voraussetzung für den Schadenseintritt

schafft (bspw. durch eine schlecht unterhaltene Liegenschaft), oder ob der

Geschädigte die Vergrösserung des Schadens respektive das Hinzutreten

neuer Schädigungen nicht vermeidet, indem er nach Setzen der schädigenden

Ursache durch den Schädiger und somit nach Eintritt einer Schädigung eine

Handlung unterlässt oder vornimmt (bspw. wenn er nicht zum Arzt geht).

Diese Frage nach dem Unterschied ist zu verneinen. Der entscheidende As-

pekt liegt nicht darin, ob die vermeidbare Teilursache vor oder nach der

schädigenden Teilursache durch den Schädiger gesetzt wurde. Vielmehr ist

entscheidend, dass in beiden Fällen der Geschädigte die Möglichkeit gehabt

hätte, den Schaden oder einen Teil des Schadens zu vermeiden507

. Da die

Schädigungen aber aus kausaler Sicht dennoch komplementär-kausal ent-

standen sind, wird diese Abgrenzung wohl praktisch in Fällen, in welchen der

Geschädigte den Schaden nachträglich verschlimmert, einfacher fallen, da

der Schädiger zuvor bereits eine abgrenzbaren Erstschädigung und somit ei-

nen abgrenzbaren Schadensposten geschaffen hat508

.

506 In Anlehnung an den Sachverhalt von BGE 127 III 257.

507 So auch ROBERTO, Schadensrecht, S. 306 f.; vgl. für das US-amerikanische Recht auch

DOBBS, S. 275 f. 508

Ähnlich auch ROBERTO, Schadensrecht, S. 307; vgl. auch WEBER, Reduktion, S. 160 f.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

142

iii. Ergebnis

Bei Konstellationen, in welchen der Geschädigte seine Teilursache zuerst ge-

setzt hat, gibt es keinen Erstschaden, für welchen der Schädiger aufkommen

muss. Es liegt nur ein komplementär-kausal entstandener Einzelschaden vor,

welcher auf der vermeidbaren Teilursache des Geschädigten und der schädi-

genden Teilursache des Schädigers beruht. In diesem Fall ist nicht klar, ob

die schädigende Handlung des Schädigers nicht auch einen Schaden verur-

sacht hätte, wenn der Geschädigte keine vermeidbare Teilursache gesetzt

hätte. Aufgrund dieser Überlegung zeigt sich, dass sich diese Frage auch bei

der Schadensverschlimmerung stellt, denn auch hier hätte eine Verschlimme-

rung auch ohne die nachträgliche, vermeidbare Teilursache des Geschädigten

eintreten können. Dies führt m.E. zum Ergebnis, dass auch beim vermeidba-

ren Schaden, welcher aus Sicht der Kausalität in einer Unterbrechung des

rechtlich relevanten Kausalzusammenhangs besteht, der Schädiger für jenen

Teil des Schadens einzustehen hat, welchen er verursacht hätte, wenn der Ge-

schädigte den tatsächlichen Schaden durch die von ihm gesetzte Teilursache

nicht entstehen lassen oder vergrössert hätte. Ein gänzlicher Wegfall der

Haftung ist nur gegeben, wenn die Ursache des Geschädigten jene des Schä-

digers gänzlich in den Hintergrund drängt.

Im Unterschied zum mitwirkenden Selbstverschulden, bei welchem bei kom-

plementär-kausaler Schadensverursachung eine Reduktion aufgrund von

Art. 44 Abs. 1 OR erfolgt, ist bei der Vermeidbarkeit der Schädigung durch

den Geschädigten aber nicht auf den Verschuldensgrad des Schädigers, eine

Verschuldensabwägung zwischen Schädiger und Geschädigtem oder eine

mitwirkende Betriebsgefahr abzustellen509

.

Somit führen auch ein Unterlassen der Schadensvermeidung respektive eine

Verletzung der Schadenminderungspflicht durch den Geschädigten nicht

immer zum Wegfall der Haftung mangels ersatzfähigen Schadens. Denn ein

Wegfall der Haftung rechtfertigt sich analog zur Unterbrechung der Adä-

quanz nur, wenn die vom Geschädigten gesetzte Teilursache in einem sol-

chen Mass überwiegt, dass ohne diese Teilursache kein Schaden entstanden

wäre510

.

509 Vgl. auch ROBERTO, Schadensrecht, S. 306.

510 So auch WEBER, Reduktion, S. 161.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

143

H. Unklarer Verantwortungsbereich: der Zufall

I. Der Zufall als mitwirkende Teilursache

Neben den Ursachen, die dem Schädiger oder dem Geschädigten zuzurech-

nen sind, betrifft nach h.L. eine dritte Gruppe von Ursachen, welche einen

Einfluss auf die Schädigung haben können, Faktoren, welche unabhängig von

den kausalen Handlungen des Schädigers oder des Geschädigten kausalen

Einfluss auf die entstehende Schädigung nehmen. Es sind dies insbesondere

der mitwirkende Zufall und das Drittverschulden511

. Bei diesen Ursachen

stellt sich die Frage, welchem Verantwortungsbereich sie zugerechnet werden

können und ob eine reduzierende Wirkung bei der Schadensberechnung oder

der Schadenersatzbemessung zu berücksichtigen ist.

Unter dem Zufall ist ein „vom menschlichen Verhalten unabhängiges Ereig-

nis“ zu verstehen, welches „von aussen auf die Kausalkette zwischen der

haftungsbegründenden, also adäquaten Ursache und dem Schaden einwirkt

und dessen Entstehung daher vom haftungsbegründenden Sachverhalt unab-

hängig ist“512

. Für ein durch Zufall eingetretenes Schadensereignis haftet ge-

mäss dem Grundsatz „nemo pro casu tenetur“ grundsätzlich niemand respek-

tive der Geschädigte selbst, denn es wird in der haftpflichtrechtlichen Grund-

konstellation der Schädiger durch den Zufall ersetzt513

.

II. Behandlung des Zufalls in Lehre und Rechtsprechung

Wird eine Person vom Zufall getroffen und entsteht dadurch und ohne Mit-

beteiligung eines Schädigers ein Schaden, dann hat der Geschädigte den

Schaden selber zu tragen (casum sentit dominus)514

.

Wirkt der Zufall demgegenüber in der haftpflichtrechtlichen Grundkonstella-

tion mit einem Schädiger und einem Geschädigten mit und wird durch diese

511 REY, N 398 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 840 ff.; das Drittverschulden wird anschlies-

send auf S. 156 ff. direkt bei der Schadenersatzbemessung bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger

behandelt. 512

OFTINGER/STARK, § 3 N 63, 89 f.; STARK, Entlastungsgründe, S. 133 ff. 513

REY, N 580. 514

REY, N 18 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

144

komplementär-kausale Teilursache erst ein Schaden verursacht oder aber ein

Schaden vergrössert, so stellt dies nach der h.L. einen Reduktionsgrund ge-

mäss Art. 43 Abs. 1 OR dar und der Richter kann den zuvor errechneten

Schadenersatz aufgrund der zufälligen „Umstände“ reduzieren515

. Im Bereich

der Verschuldenshaftung stellt der Zufall einen Umstand dar, welcher das

Verschulden des Schädigers als kleiner erscheinen lassen kann, was aufgrund

des Missverhältnisses zwischen Verschulden und Schaden zu einer Reduk-

tion des Schadenersatzes führen kann516

. Bei Kausalhaftungen ist demgegen-

über zu beachten, dass der Grund dieser Haftungsart gerade darin liegt, vor

gewissen Gefahren zu schützen (bspw. im Bereich des Strassenverkehrs), und

daher solche Zufälle von der Kausalhaftung mitabgedeckt werden, welche

zum Schutzbereich der betreffenden Kausalhaftung gehören517

. BREHM sieht

im Zufall einen Reduktionsgrund, welcher nicht im Bereich des Verschuldens

relevant sei, sondern bei der Adäquanz zu berücksichtigen sei. Da es aber

„keine Haftungsteilung wegen Teiladäquanz“ geben könne, könne der Zufall

erst bei der Bemessung als Mitursache berücksichtigt werden518

. Gemäss

GUHL/KOLLER muss der Zufall eine wesentliche Mitursache sein, damit er

vom Richter bei der Reduktion des Schadenersatzes berücksichtigt werden

kann519

. HONSELL demgegenüber lehnt eine Berücksichtigung des mitverur-

sachenden Zufalls gänzlich ab und sieht im „Zufall“ ein Problem der Vorher-

sehbarkeit im Rahmen der Adäquanz. Er begründet dies damit, dass entweder

bei vorhersehbarem Schaden der adäquate Kausalzusammenhang gegeben sei

und daher eine Reduktion nur aufgrund des leichten Verschuldens in Betracht

komme. Oder aber der Schaden sei nicht adäquat-kausal vorhersehbar und es

fehle daher an der Adäquanz520

. ROBERTO spricht dem Zufall (und den übri-

gen Reduktionsgründen, welche nicht den Verantwortungsbereich des Ge-

schädigten betreffen), die Bedeutung ab, es sei in der Praxis des Bundesge-

richts kaum je zur Reduktion des Schadenersatzes aufgrund der Reduktions-

gründe gemäss Art. 43 Abs. 1 OR gekommen, obwohl in der Lehre ein ande-

515 BREHM, BK-OR, N 52 zu Art. 43 OR, m.w.H.; STARK, Haftpflichtrecht, N 350; REY, N 417;

WERRO, CR-CO, N 36 ff. zu Art. 43 OR; MERZ, S. 232 f.; OFTINGER, Haftpflichtrecht,

S. 278 f.; vgl. auch BGE 109 II 304, E. 5. 516

REY, N 419; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 278. 517

WERRO, CR-CO, N 38 zu Art. 43 OR; STARK, Haftpflichtrecht, N 355; OFTINGER/STARK, § 7

N 36. 518

BREHM, BK-OR, N 52 zu Art. 43 OR. 519

GUHL/KOLLER, § 10 N 88. 520

HONSELL, § 9 N 7.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

145

rer Eindruck vermittelt werde, weshalb eine Herabsetzung des Schadenersat-

zes nur aufgrund des Selbstverschuldens des Geschädigten respektive auf-

grund von mitwirkenden Kausalhaftungen erfolgen solle521

.

III. Eigene Ansicht zur Behandlung des „Zufalls“

Grundsätzlich handelt es sich beim Zufall (aus juristischer Sicht) um in der

realen Welt angesiedelte Kausalflüsse, welche ohnehin (d.h. ohne menschli-

ches Zutun) vorhanden sind, welche im Grundsatz nicht mit dem menschli-

chen Verhalten interagieren, jedoch mit diesem kollidieren können. Der Zu-

fall kann (für das menschliche Empfinden) in unterschiedlich ausgeprägter

und daher in mehr oder weniger auffälliger Weise vorkommen, je nachdem

wie stark der Kausalfluss vom als normal definierten Standard abweicht522

.

Diese Kausalflüsse nehmen ohnehin Einfluss auf jeden durch menschliches

Verhalten mitbeeinflussten Kausalverlauf, sie sind immer zufällig vorhanden

und mehr oder weniger vorhersehbar. Zufälle erscheinen somit als solche,

weil sie mehr oder weniger schwierig vorhersehbar sind oder weil zwischen

der Ursache und der Wirkung scheinbar kein Kausalzusammenhang besteht.

Was den Zufall auffällig macht, ist eine bestimmte Abweichung von dem als

Normalfall empfundenen Standard. Diese Abweichung hat denn auch einen

Einfluss auf die Vorhersehbarkeit. So ist richtigerweise festzuhalten, dass der

Zufall an sich kein separates Kriterium für die Schadenersatzreduktion dar-

stellen kann.

Tritt ein zufälliger, äusserer Kausalfluss in additiver Kausalität mit einer an-

deren Teilursache (auf Seiten des Schädigers oder des Geschädigten) auf, lie-

gen getrennte Einzelschäden vor und der Geschädigte haftet aufgrund des

Grundsatzes „casum sentit dominus“ für den vom Zufall verursachten Scha-

den selber. Vereinigen sich die Kausalketten des Zufalls und der Teilursache

des Schädigers in komplementärer Kausalität, dann stellt sich die Frage, wel-

chen Einfluss dies auf die Haftung des Schädigers hat. Tatsächlich handelt es

sich bei zufälligen, äusseren Einflüssen um Umstände, welche das Verhalten

521 ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 853 ff., N 871 f.

522 Bspw. wird der Wind als stärker oder weniger stark empfunden, der Boden als mehr oder we-

niger rutschig, die Bodenbeschaffenheit von solcher oder anderer Qualität, die Strasse von be-

stimmter Beschaffenheit, die Temperatur höher oder tiefer, der Regen stärker oder schwächer.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

146

des Schädigers als weniger schuldhaft aussehen lassen523

. Waren die Um-

stände voraussehbar, kann aus kausaler Betrachtungsweise festgehalten wer-

den, dass der Kausalzusammenhang zwischen schädigender Ursache und

Rechtsgutverletzung erhalten bleibt und mit ihm die Haftung. Diesfalls ist der

Schadenersatz über das geminderte Verschulden (Verschuldensintensität im

Vergleich zum verursachten Schaden) gemäss Art. 43 Abs. 1 OR zu reduzie-

ren. Wenn nun aber die Folge aufgrund eines mitwirkenden Kausalflusses

nicht mehr vorhersehbar war, was insbesondere bei auftretender höherer Ge-

walt der Fall sein dürfte, fehlt es an einer rechtlich relevanten und äquivalent

zurechenbaren Kausalität, denn die Adäquanz wird unterbrochen, da die ei-

gentlich adäquate Kausalkette durch eine mitwirkende Kausalkette in den

Hintergrund gedrängt wird524

.

I. Die Schadenersatzbemessung (Teilursachen; Reduktion;

Unterbrechung) bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger

I. Einleitende Bemerkungen

Im Gegensatz zum vorangehenden Kapitel, wo das Hinzutreten von schädi-

genden Teilursachen insbesondere im Rahmen der haftpflichtrechtlichen

Grundkonstellation mit einem Schädiger und einem Geschädigten betrachtet

wurde, steht hier wieder die Schädigermehrzahl im Vordergrund. Es wird auf

Konstellationen eingegangen, bei welchen zu einer Mehrzahl an Schädigern

weitere schädigende Teilursachen (das Drittverschulden eines weiteren Schä-

digers sowie das Selbstverschulden des Geschädigten) hinzutreten.

Einzugehen ist auf die Wirkung der hinzutretenden Teilursache auf die Haf-

tung der Mehrzahl Ersatzpflichtiger gesamthaft und auf die Haftung der ein-

zelnen Schädiger. Es stellt sich die Frage, welche Teilursachen ihren Einfluss

523 WEBER, Reduktion, S. 121, mit Hinweisen auf die alte Rechtsprechung des Bundesgerichts;

STARK, Haftpflichtrecht, N 347, N 353. 524

Vgl. auch HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 21 f. zu Art. 41 OR; ROBERTO, Haftpflichtrecht,

N 182; vgl. zur höheren Gewalt ausführlich STARK, Entlastungsgründe, S. 145 ff.; tritt der Zu-

fall in komplementärer Kausalität mit der vom Geschädigten zu vertretenden Teilursache oder

in komplementärer Kausalität zum vom Schädiger und Geschädigten in komplementärer Kau-

salität verursachten Gesamtergebnis auf, so ist er entweder basierend auf Art. 44 OR dem Ge-

schädigten zuzurechnen oder es ergeben sich Konstellationen der Schadenvermeidungspflicht,

vgl. S. 138 ff., S. 164 ff. und S. 185 ff.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

147

bereits im Aussenverhältnis ausüben, sodass mit der Aufteilung auf die ein-

zelnen „Teilursachensetzer“ nicht bis ins Innenverhältnis gewartet werden

kann. Weiter stellt sich die Frage, ob die Schädiger Reduktionsgründe indivi-

duell oder kollektiv geltend machen können und ob sich Unterschiede erge-

ben, je nachdem ob die Schädiger in echter Solidarität haften oder in An-

spruchskonkurrenz stehen. Es soll also geklärt werden, welchen Einfluss die

Teilursachen auf den Kausalzusammenhang, die Adäquanz, die kausale Zu-

rechnung und die Herabsetzung des Schadenersatzes haben und welches die

Folgen einer solchen das Verschulden mindernden oder die Adäquanz des

Kausalzusammenhangs unterbrechenden Teilursache sind.

Dabei ist von der Grundlage auszugehen, dass gemeinsam verschuldet zuge-

fügte Schädigungen ungeachtet des Kausalzusammenhangs zu solidarischer

Haftung führen, sowie, dass im Bereich der Anspruchskonkurrenz die zu-

grundeliegenden Kausalzusammenhänge zu beachten sind. Zudem werden

die zuvor dargestellten Unterschiede im Mechanismus von Art. 43 und

Art. 44 OR (Verschuldensintensität und abgrenzbar zurechenbare Verantwor-

tungsbereiche) vorausgesetzt.

II. Ausgangslage aus kausaler Sicht

1. Grundsatz der Solidarität in der Lehre und Rechtsprechung

Grundsätzlich genügt das Setzen einer Teilursache unter dem Blickpunkt der

natürlichen und adäquaten Kausalität zur Zurechnung des gesamten Scha-

dens525

. Deshalb wird das Hinzutreten einer weiteren Teilursache durch das

schädigende Verhalten eines Dritten an sich keinen Einfluss auf die Zurech-

nung haben526

. In der Lehre und Rechtsprechung wird regelmässig darauf

verwiesen, dass das Hinzutreten eines Drittverschuldens unter dem Blick-

punkt der Solidarität zu würdigen sei und daher im Aussenverhältnis keinen

Einfluss auf die Haftung habe. Wenn eine Drittperson an der Schadensverur-

525 BREHM, BK-OR, N 109a zu Art. 41 OR; REY, N 518; Urteil der BGer 4C.108/2005, E.3.1;

vgl. vorne S. 75 ff. zur natürlichen und adäquaten Kausalität. 526

WEBER, Reduktion, S. 120 f. sowie WEBER, einheitliche Lösung, S. 353 f., je mit dem Hin-

weis, dass die mitwirkenden Ursachen aber in die Verschuldensprüfung mit einfliessen und

dass Verschulden des Schädigers als geringer erscheinen lassen können. Da sich das Ver-

schulden aber nur auf die Haftungsbegründung beziehe, könne es genau genommen von ei-

nem später erfolgenden Verhalten eines Dritten gar nicht mehr beeinflusst werden; HEI-

ERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 19 zu Art. 43 OR; KELLER/GABI, S. 104.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

148

sachung mitgewirkt habe, gelte das Verschulden des Mithaftenden somit

nicht als Befreiungsgrund und führe nicht zu einer Herabsetzung des Scha-

denersatzes, sondern führe vielmehr zur solidarischen Haftung527

.

2. Differenzierte Betrachtungsweise

Richtigerweise ist aber aus kausaler Sichtweise zu differenzieren. Haben die

Schädiger gemeinsam verschuldet zusammengewirkt, dann haften sie gemäss

Art. 50 OR in echter Solidarität und damit in voller Zurechnung des verur-

sachten Schadens, ohne Berücksichtigung der Kausalanteile. Dies stellt aber

nicht den typischen Fall dar, bei welchem ein Drittverschulden hinzutritt.

Dieser tritt vielmehr auf, wenn die Schädiger gerade unabhängig voneinander

und ohne gemeinsames Verschulden im Sinne der Anspruchskonkurrenz ei-

nen Schaden verursacht haben. Dort ist aber wie dargestellt entscheidend, ob

die Schädiger in additiver Kausalität Einzelschäden oder aber in komple-

mentärer Kausalität einen nicht abgrenzbaren Gesamtschaden verursacht ha-

ben528

. Bei additiver Kausalität haftet jeder Schädiger für den von ihm verur-

sachten Schaden anteilsmässig, bei komplementärer Kausalität haften die

Schädiger aufgrund des nicht abgrenzbaren Schadens in Anspruchskonkur-

renz529

. Somit kann aus kausaler Betrachtungsweise festgehalten werden,

dass das hinzutretende Drittverschulden nicht automatisch zu solidarischer

Haftung führt, sondern in den erwähnten Konstellationen zu Anspruchskon-

kurrenz.

3. Unterbrechendes Drittverhalten

Als Extremfall einer hinzutretenden Drittursache kann jenes Drittverhalten

gesehen werden, welches den rechtlich relevanten Kausalzusammenhang

527 BGE 130 III 591, E. 5.5.1, welcher festhält, dass „der belangte Schuldner dem Geschädigten

grundsätzlich nicht entgegenhalten [kann], es hafte auch noch ein Dritter für den gleichen

Schaden […]. Die Haftung eines Solidarschuldners wird mit anderen Worten durch die Mit-

haftung Dritter nicht verringert. Ein Mitverschulden eines Dritten kann ausnahmsweise zu ei-

ner Haftungsreduktion führen, wenn es […] einen für den Schaden kausalen Umstand dar-

stellt, für den der Geschädigte gemäss Art. 44 Abs. 1 OR einzustehen hat. Dies ist dann der

Fall, wenn das Drittverschulden von einer Hilfsperson des Geschädigten ausgeht, deren Ver-

halten er sich gemäss Art. 101 Abs. 1 OR anrechnen lassen muss.“; BREHM, BK-OR, N 81 ff.

zu Art. 43 OR; MERZ, S. 223; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 858, OFTINGER/STARK, § 3

N 83, § 7 N 40; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 98 f.; VON TUHR/PETER, S. 93; REY, N 633. 528

So auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 353 f. 529

Vgl. zur additiven und komplementären Kausalität vorne S. 91 ff.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

149

unterbricht530

. Wird der rechtlich relevante Kausalzusammenhang unterbro-

chen, führt dies zum Wegfall der Haftung531

. Es ist zu beachten, dass sowohl

ein einzelner Schädiger als auch eine Schädigermehrheit durch eine Unter-

brechung entlastet werden können. In allen Konstellationen der echten Soli-

darität oder der Anspruchskonkurrenz (additive und komplementäre) Kausa-

lität können zum bereits verursachten Einzel- oder Gesamtschaden eine wei-

tere, unterbrechende Teilursache hinzutreten, welche aus Sicht der natürli-

chen Kausalität eine conditio sine qua non darstellt, aber eben den rechtlich

relevanten Kausalzusammenhang unterbricht.

III. Reduktion gemäss Art. 43 Abs. 1 OR bei einer Mehrzahl

Ersatzpflichtiger

1. Allgemein

Basierend auf der gerade dargelegten Ausgangslage, stellt sich die in der

Rechtsprechung und Lehre umstrittene Frage, ob ein einzelner Schädiger aus

dem Kollektiv einer Schädigermehrheit sich im Aussenverhältnis auf den

Reduktionsgrund der geringen Verschuldensintensität im Vergleich zur mit-

verursachenden Teilursache gemäss Art. 43 OR berufen und individuell eine

Reduktion des geschuldeten Ersatzes fordern kann.

Zu beachten ist, dass in der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung die

Schadenersatzbemessung häufig ohne Unterscheidung der Reduktionsgründe

gemäss Art. 43 und Art. 44 OR erfolgt und eine Zulassung oder Ablehnung

der individuellen Reduktion eines Schädigers bei einer Mehrheit Ersatz-

pflichtiger meist pauschal mit Berufung auf die Reduktionsgründe begründet

wird532

. Somit beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen nicht aus-

schliesslich auf die Herabsetzung aufgrund der geringen Verschuldensinten-

sität eines Schädigers, sondern teilweise auch auf die Herabsetzung aufgrund

von im Verantwortungsbereich des Schädigers liegenden Gründen533

.

530 Vgl. zur Unterbrechung der Adäquanz vorne S. 110 ff.

531 BREHM, BK-OR, N 140 zu Art. 41; REY, N 633; OFTINGER/STARK, § 3 N 152.

532 Vgl. etwa HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 9 zu Art. 51 OR

533 Vgl. zur Herabsetzung aufgrund von im Verantwortungsbereich des Schädigers liegenden

Gründen nachfolgend S. 116 ff.

Page 188: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

150

2. Folgen der Zulassung

Wird eine Geltendmachung individueller Reduktionsgründe zugelassen, so

hat dies zur Folge, dass jeder Schädiger nur noch den für ihn individuell be-

rechneten Schadenersatz zu leisten hat und der Geschädigte sich für die Rest-

forderung an einen anderen Schädiger wenden muss534

. Wird eine Geltend-

machung der Reduktionsgründe demgegenüber nicht zugelassen, führt dies

dazu, dass der Geschädigte von jedem Schuldner ungeachtet der Verschul-

densintensität die ganze Schadenssumme einfordern kann und der Schädiger

für die Reduktion auf das Innenverhältnis verwiesen wird. Damit wird der

Geschädigte besser gestellt und der Schädiger trägt für die individuelle Re-

duktionsdifferenz das Insolvenzrisiko der übrigen Schädiger535

.

3. Rechtsprechung

Die bundesgerichtliche Rechtsprechung differenziert bei der Zulassung per-

sönlicher Reduktionsgründe zwischen echter Solidarität gemäss Art. 50 OR

und Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR. Im Bereich von Art. 50 OR

lehnt das Bundesgericht die Berufung auf persönliche Reduktionsgründe

durchgehend ab536

. Demgegenüber werden individuelle Reduktionsgründe

bei der Anspruchskonkurrenz in zurückhaltender Weise und unter Berück-

sichtigung des Geschädigtenschutzes zugelassen. So führte das Bundesge-

richt im bereits mehrfach erwähnten BGE 127 III 257 aus537

:

„Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist eine Herabsetzung nach

Art. 43 Abs. 1 OR im externen Verhältnis der unechten Solidarität zwar nicht

ausgeschlossen, doch ist dabei grosse Zurückhaltung angezeigt, weil andern-

falls der Grundsatz der Solidarität, der es dem Geschädigten auszuwählen er-

laubt, gegen welchen Schädiger er vorgehen will, in Frage gestellt würde […].

Macht beispielsweise die Insolvenz eines anderen Haftpflichtigen den Rück-

griff illusorisch, lehnt die Rechtsprechung eine Herabsetzung ab, da es noch

unbilliger wäre, statt des belangten Haftpflichtigen den Geschädigten den

Schaden tragen zu lassen.“

534 REY, N 1462; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 11 zu Art. 50 OR; KELLER/SCHMIED-SYZ,

S. 123. 535

REY, N 1462a; OFTINGER/STARK, § 10 N 12. 536

BGE 113 II 323, E. 2.b; BGE 97 II 339, E. 3 f. 537

BGE 127 III 257, E. 6.b.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

151

Die bundesgerichtliche Zurückhaltung führt dazu, dass eine Begrenzung der

individuellen Haftung aufgrund einer Herabsetzung wegen individueller Re-

duktionsgründe nur in Ausnahmefällen möglich ist, was bspw. bei einem Ge-

genüberstehen von sehr leichtem Verschulden des einen Schädigers gegen-

über sehr schwerem Verschulden des anderen Schädigers der Fall sein dürf-

te538

. Grundsätzlich führt diese Rechtsprechung jedoch in die Nähe einer

Gleichbehandlung der Reduktionsgründe bei echter und unechter Solidari-

tät539

, respektive führt sie im Entscheid 6B_861/2008 tatsächlich zu einer

Gleichbehandlung und Nichtberücksichtigung der Reduktionsgründe im Aus-

senverhältnis540

:

„Bei einer allfälligen zusätzlichen Haftung weiterer Personen besteht Solidar-

haftung im Aussenverhältnis (vgl. Art. 50 und 51 OR), sofern das Drittver-

schulden nicht den Kausalzusammenhang unterbricht. Die solidarische Mit-

haftung des Dritten schliesst eine Herabsetzung der Haftpflicht des anderen

Verursachers wegen des Drittverschuldens aus. Die Verteilung des Schadener-

satzes ist aufs Innenverhältnis, d.h. auf den Regressweg verschoben.“

Weiter ist zu beachten, dass gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung eine

hinzutretende Drittursache zum Wegfall der Haftung führt, wenn sie den

rechtlich relevanten Kausalzusammenhang unterbricht. Dieser Grundsatz so-

wie die Rechtsprechung zur unechten Solidarität ist in BGE 93 II 317 tref-

fend zusammengefasst541

:

538 Vgl. auch HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 9 zu Art. 51 OR; BREHM, BK-OR, N 27 ff. zu

Art. 51 OR. 539

So führt das Bundesgericht in BGE 112 II 138, E. 4.a. aus: „La jurisprudence a du reste pré-

cisé clairement qu'une limitation de la responsabilité fondée sur la faute concurrente d'un tiers

ne doit être admise qu'avec la plus grande retenue, si l'on veut éviter que la protection du lésé

que vise, d'après sa nature, la responsabilité solidaire de plusieurs débiteurs, ne soit rendue en

grande partie illusoire. L'octroi d'un droit de recours dans le rapport interne liant les divers dé-

biteurs tient compte suffisamment de la protection légitime du débiteur actionné. Il est sans

doute possible que l'insolvabilité de l'autre débiteur rende vain un recours, mais ce n'est pas un

motif qui puisse justifier une limitation de la responsabilité du débiteur recherché; il serait en

effet encore plus injuste qu'en lieu et place de l'un des auteurs du dommage, ce soit le lésé qui

doive supporter une perte […]. L'éventualité théorique évoquée par le Tribunal fédéral ne peut

donc viser qu'une situation tout à fait exceptionnelle; il en irait peut-être ainsi dans l'hypothèse

où la faute de l'auteur recherché apparaîtrait si peu grave et dans une telle disproportion avec

celle du tiers qu'il serait manifestement injuste et choquant de faire supporter au défendeur

l'entier du dommage en appliquant à la lettre les rigueurs propres à la solidarité“. 540

Urteil des BGer 6B_861/2008 vom 22. Juni 2009, E. 5.3. 541

BGE 93 II 317, E. 2.e.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

152

„Gleich wie bei echter Solidarität wird auch bei blosser Anspruchskonkurrenz

die Haftung eines Schädigers gegenüber dem Geschädigten grundsätzlich

nicht dadurch vermindert, dass für den gleichen Schaden auch noch ein Dritter

einzustehen hat. Jeder der beiden Verantwortlichen haftet dem Geschädigten

für den ganzen Schaden. Diese gesetzliche Regelung will dem Geschädigten

eine möglichst vollständige Befriedigung für seinen Anspruch sichern. Solida-

rität bedeutet in jeder Form Stärkung der Stellung des Gläubigers. Dieser kann

jeden Schuldner für die volle Forderung belangen, wobei er in der Auswahl

des Prozessgegners freie Hand hat. Wie im Innenverhältnis die Zahlungs-

pflicht auf die einzelnen Schuldner zu verteilen sei, berührt ihn nicht. Der be-

langte Schuldner kann ihm daher in der Regel nicht entgegenhalten, es hafte

auch noch ein Dritter für den gleichen Schaden. Dieser Grundsatz erfährt aus-

nahmsweise dann eine Einschränkung, wenn der vom Dritten zu verantwor-

tende Haftungsgrund den rechtserheblichen Kausalzusammenhang zwischen

der Handlung des Belangten und dem Schaden unterbricht, oder wenn das

mitwirkende Verschulden des Dritten dasjenige des Belangten als gemindert

erscheinen lässt.“

Ist die hinzutretende Drittursache nicht stark genug, um die rechtlich rele-

vante Kausalität zu unterbrechen, führt dies bei einer Mehrzahl Ersatzpflich-

tiger entweder zu solidarischer Haftung (bei gemeinsamem Verschulden), zu

Anspruchskonkurrenz (bei komplementärer Kausalität) oder zu anteilsmässi-

ger Haftung (bei additiver Kausalität)542

.

4. Lehre

a. Zulassung der Reduktion bei echter und unechter Solidarität

Ein Grossteil der Lehre will zulassen, dass sich ein Schädiger individuell auf

einen Reduktionsgrund berufen kann543

. Dies wird damit begründet, dass der

Schädiger nicht schlechter gestellt werden dürfe, als wenn er allein für den

Schaden einzustehen hätte. In dieser Konstellation könnte sich der Schädiger

auf den Reduktionsgrund der geringen Verschuldensintensität im Vergleich

zum verursachten Schaden berufen544

, weshalb dem Schädiger sowohl bei der

echten Solidarität als auch bei der Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR

542 A.A. HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 21b zu Art. 41 OR.

543 So bspw. OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 345; HONSELL, § 11 N 20; SCHAER, N 503;

SCHWENZER, § 88.19; OFTINGER/STARK, § 10 N 33; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/EMMENEG-

GER, N 3728 f.; KELLER/GABI, S. 133, S. 137, S. 139; JANSEN, S. 96 ff.; GUHL/KOLLER, § 13

N 32; CORBOZ, S. 94; PETITPIERRE, S. 104 f.; ZAHND, S. 89 ff.; KRAMER, Multikausale

Schäden, S. 60 f. 544

BREHM, BK-OR, N 42 zu Art. 50 OR.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

153

die Berufung auf individuelle Reduktionsgründe zu gewähren sei. Im Ergeb-

nis führt dies dazu, dass sich die gemeinsame Haftungsquote sowohl bei der

echten als auch bei der unechten Solidarität auf den kleinsten gemeinsamen

Betrag beschränkt, was grundsätzlich zu einer Einschränkung des Geschä-

digtenschutzes führt545

.

b. Keine Zulassung von Reduktionsgründen

Der andere Teil der Lehre will eine Berufung auf individuelle Reduktions-

gründe weder bei der echten noch bei der unechten Solidarität zu lassen546

.

Dies wird damit begründet, dass die Berücksichtigung individueller Reduk-

tionsgründe nicht im Aussenverhältnis, sondern im Innenverhältnis zu erfol-

gen habe. Weiter dürfe das Drittverschulden nicht als Reduktionsgrund ge-

mäss Art. 43 OR berücksichtigt werden, denn das Verhalten einer Drittperson

könne das Verschulden respektive die Schadenersatzbemessung nicht beein-

flussen. Eine Berücksichtigung würde somit zu einer Durchlöcherung des

Grundsatzes der Solidarhaftung bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger führen

und sei daher abzulehnen547

. Zudem hätte sich der Geschädigte in diesem Fall

an mehrere Schädiger zu wenden, um den Rest der Forderung einzuklagen.

Dass ein einzelner Schädiger dabei über Massen beschwert sein könnte,

müsse in Kauf genommen werden, denn der Geschädigte habe immerhin ei-

nen Schaden erlitten, welchen der in Anspruch genommene Schädiger ver-

schuldet mitverursacht habe548

.

c. Differenzierte Betrachtungsweise

Ein dritter Teil der Lehre differenziert bei der Zulassung von Reduktions-

gründen zwischen echter und unechter Solidarität549

. Während Reduktions-

gründe bei der echten Solidarität nicht zugelassen werden, können sich unab-

hängig voneinander handelnde Schädiger auf individuelle Reduktionsgründe

545 SCHAER, N 503; REY, N 1465.

546 BREHM, BK-OR, N 43 zu Art. 50 OR, N 29 f. zu Art. 51 OR; ZELLWEGER, S. 74 f.; MERZ,

S. 107 ff.; ENGEL, S. 566; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 12 zu Art. 50 OR, N 9 zu Art. 51

OR. 547

BREHM, BK-OR, N 85 zu Art. 43 OR, N 43 zu Art. 50 OR; MERZ, S. 107 ff. 548

BREHM, BK-OR, N 43 ff. zu Art. 50 OR. 549

WEBER, einheitliche Lösung, S. 356 ff.; JANSEN, S. 105 f.; ENGEL, S. 563 ff.; BRUNNER,

N 328 ff., N 331 ff.; KOLLER, § 75 N 35; CASANOVA, S. 33; ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 1

zu Art. 50 OR.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

154

berufen. Als Hauptgrund wird dabei angeführt, dass die Schädiger bei der

echten Solidarität durch das gemeinsame Verschulden viel stärker verbunden

sind als bei der unechten Solidarität550

. Dieser Ansicht ist zuzustimmen, wo-

bei nachfolgend dargestellt wird, aus welchen Gründen diese Zustimmung er-

folgt.

5. Eigene Ansicht betreffend Berufung auf individuelle

Reduktionsgründe gemäss Art. 43 OR bei kausaler

Betrachtungsweise

a. Kausale Betrachtungsweise

Die Begründung, warum einer differenzierenden Zulassung von Reduktions-

gründen zuzustimmen ist, fusst auf der in der vorliegenden Arbeit getroffe-

nen Unterscheidung zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkurrenz,

und damit einhergehend auf der Unterscheidung der der Anspruchskonkur-

renz zugrundeliegenden Kausalitäten. Der Lehre ist insofern zuzustimmen,

dass die Verbindung zwischen den Schädigern im Bereich der Anspruchs-

konkurrenz tatsächlich viel schwächer ist, als bei einer gemeinsam verschul-

det verursachten Schädigung. Entscheidend ist aber nicht einzig das fehlende

gemeinsame Verschulden, sondern die fehlende Verbindung der zugrundelie-

genden Kausalität.

b. Echte Solidarität gemäss Art. 50 OR

Im Bereich der echten solidarischen Haftung gemäss Art. 50 OR ist eine in-

dividuelle Berufung auf Reduktionsgründe nicht zuzulassen. Es ist daran zu

erinnern, dass echte Solidarität sowohl gemeinsame Verursachung als auch

gemeinsames Verschulden fordert. Deshalb ist dem Argument nicht zuzu-

stimmen, der Schädiger würde schlechter gestellt im Vergleich zur Einzel-

haftung, wo er sich auf individuelle Reduktionsgründe berufen könnte. Denn

die Erfüllungsmodalität der Solidarität greift im Bereich der echten Solidari-

tät gerade aufgrund des Geschädigtenschutzes in den Mechanismus der Kau-

salität ein, ignoriert die Kausalität und „sanktioniert“ das verschuldete Zu-

sammenwirken. Entscheidend ist dabei, dass gemäss Art. 50 OR der Grad des

Verschuldens gerade keine Rolle spielt, denn die Schädiger haften solidarisch

ungeachtet des Umstandes, dass sie als Anstifter, Urheber oder Gehilfen den

Schaden verursacht haben. Individuelle Reduktionsgründe sind somit nicht

550 JANSEN, S. 100 ff.; REY, N 1470; ENGEL, S.563, S. 566; CASANOVA, S. 31.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

155

zuzulassen551

. Da die Schädiger aufgrund der echten Solidarität wie eine Ein-

heit zu behandeln sind, ergibt sich eine Ausnahme von diesem Grundsatz.

Wenn sich die Solidargemeinschaft als Einheit auf den Reduktionsgrund des

geringen Verschuldens im Vergleich zum verursachten Schaden berufen

kann, ist die Reduktion zuzulassen. In dieser Konstellation liegt aber kein in-

dividueller, sondern ein kollektiver Reduktionsgrund vor. Die Schädiger

erscheinen dabei in die gleiche Konstellation gerückt wie ein einzelner Schä-

diger, der sich auf einen individuellen Reduktionsgrund berufen kann552

.

c. Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR

Im Bereich der Anspruchskonkurrenz ohne gemeinsames Verschulden und

ohne Zusammenwirken der Schädiger und somit bei Schadenseintritt zufälli-

gerweise beim gleichen Geschädigten ist demgegenüber eine Berufung auf

individuelle Reduktionsgründe zuzulassen. Wie gesehen sind bei der An-

spruchskonkurrenz die einzelnen Teilursachenkonkurrenzen zu unterschei-

den. Bei additiver Kausalität liegen separate Einzelschäden vor, welche je-

dem Schädiger separat zugerechnet werden. Somit kann sich auch jeder

Schädiger auf die ihm zustehenden Reduktionsgründe berufen, denn dem

Ersatzpflichtigen stehen betreffend den additiv-kausal verursachten Scha-

densteil gar keine weiteren Schädiger zur Seite553

. Bei komplementärer Kau-

salität lassen sich die Kausalanteile an der Gesamtschädigung zwar nicht auf-

schlüsseln, was zu einer Haftung aufs Ganze für den komplementär-kausal

verursachten Schadensteil (gemeinsame Schadensschnittmenge) führt554

. Je-

doch handelt es sich aufgrund des fehlenden gemeinsam verschuldeten

Zusammenwirkens um eine Konstellation der Anspruchskonkurrenz gemäss

Art. 51 OR, gemäss welcher die zugrundeliegenden Kausalitäten zu beachten

sind und jeder Schädiger nach dem Grundsatz der anteilsmässigen Haftung

als Einzelschädiger gilt555

. Damit ergibt sich, dass sich im Bereich der An-

551 Gleich auch WEBER, Reduktion, S. 136; JANSEN, S. 100 ff.; BRUNNER, N 328 ff.; ZELLWE-

GER, S. 70. 552

So auch BREHM, BK-OR, N 49 zu Art. 50 OR; ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 1 zu Art. 50

OR; JANSEN, S. 100 ff.; BRUNNER, N 331 f.; ENGEL, S. 563 ff.; das gleiche gilt auch, wenn

den solidarisch haftenden Schädigern das Selbstverschulden des Geschädigten gemäss Art. 44

Abs. 1 OR gegenüber steht, vgl. ENGEL, S. 562. 553

Vgl. die Ausführungen zur additiven Kausalität vorne S. 91 ff. 554

Vgl. die Ausführungen zur komplementären Kausalität vorne S. 95 ff. 555

WEBER, Reduktion, S. 136 f.; vgl. die Ausführungen zur Anspruchskonkurrenz sowie zum

Grundsatz der anteilsmässigen Haftung vorne S. 22 ff. und S. 67 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

156

spruchskonkurrenz von Art. 51 OR die einzelnen Schädiger individuell auf

den Reduktionsgrund der geringen Verschuldensintensität berufen können556

.

IV. Reduktion gemäss Art. 44 Abs. 1 OR bei einer Mehrheit

Ersatzpflichtiger

1. Einleitung

Genau wie in der haftpflichtrechtlichen Grundkonstellation mit einem Schä-

diger und einem Geschädigten, kann den Geschädigten auch in Konstellatio-

nen mit einer Mehrzahl Schädiger einen Umstand gemäss Art. 44 Abs. 1 OR

treffen, welcher in seinem Verantwortungsbereich liegt und für welchen er

einzustehen hat557

. In diesen Konstellationen stellt sich wiederum die Frage,

inwiefern den Schädigern zusammen oder individuell eine Berufung auf Re-

duktionsgründe zuzugestehen ist. Weiter stellt sich sodann die Frage, wie mit

Teilschäden zu verfahren ist, die aufgrund der Mitverursachung durch den

Geschädigten teilweise oder gänzlich nur einem Teil der Schädiger zuzurech-

nen ist.

2. Die Behandlung im deutschen Recht

a. Der Grundsatz des Mitverschuldens in § 254 BGB

Das deutsche BGB kennt mit § 254 BGB eine Bestimmung, welche dem Mit-

verschulden des Geschädigten gewidmet ist. Gemäss § 254 Abs. 1 BGB gilt:

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mit-

gewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu

leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit

der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht

worden ist. Im deutschen Recht wurde die Problematik erkannt, dass sich die

556 So auch WEBER, Reduktion, S. 136 f.; BREHM, BK-OR, N 26 zu Art. 51 OR, welcher dies al-

lerdings mit der fehlenden Adäquanz für einen Teil des Schadens begründet; KELLER/GABI,

S. 140; VON BÜREN, S. 65 f., S. 105 f.; vgl. auch ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 550, gemäss

welchem „eine Begrenzung der Solidarität dann sachgerecht [ist], wenn sich einzelne Schädi-

gungsfolgen [Hervorhebung im Original] unterscheiden lassen. In diesen Fällen sollte dem

Mitverursacher der Nachweis offenstehen, dass ihm nur ein Teil der Schäden zuzurechnen ist

[…].“ 557

Vgl. BREHM, BK-OR, N 49 zu Art. 50 OR; JANSEN, S. 99; WEBER, Reduktion, S. 147; RO-

BERTO, Haftpflichtrecht, N 550.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

157

Bestimmung des BGB grundsätzlich auf die Grundkonstellation des Haft-

pflichtrechts mit einem Schädiger und einem Geschädigten bezieht sowie,

dass sich bei einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger die Frage stellt, wie das Mit-

verschulden des Geschädigten die Haftung der Schädigermehrzahl beein-

flusst558

.

b. Behandlung von Nebentätern im Grundsatz

Gemäss Rechtsprechung des BGH sowie h.L. erfolgt bei einer Mehrheit von

Schädigern im Grundsatz die Mitverschuldensabwägung gemäss § 254 BGB

für jeden Schädiger separat, die Anteile werden für jeden Schädiger individu-

ell zugerechnet559

. Dabei werden die Anteile der Nebentäter einander nicht

zugerechnet560

. Dies hätte grundsätzlich zur Folge, dass der Geschädigte den

Schaden nur im Umfang der höchsten Haftungsquote ersetzt erhalten würde

und für den Restbetrag selber einstehen müsste561

. An folgendem Beispiel

zeigt sich die Problematik562

: Haben drei Schädiger je zu 25 Prozent und der

Geschädigte selbst zu 25 Prozent einen Schaden verursacht, so wurde der

Schaden gesamthaft gesehen zu 75 Prozent von den Schädigern verursacht.

Da aber bei einer Betrachtung zwischen jedem Schädiger und dem Geschä-

digten der Anteil des Schädigers und des Geschädigten gleich gross ist,

müsste jeder Schädiger nur für 50 Prozent des Schadens einstehen. Dies hätte

zur Folge, dass der Geschädigte gesamthaft nur 50 Prozent des Schadens er-

setzt erhalten würde (höchste Haftungsquote). Dies wird jedoch zu Recht als

unbefriedigend empfunden.

c. Behandlung von Nebentätern gemäss der modifizierten

Kombinationstheorie

Diese grundlegenden Überlegungen haben in der deutschen Rechtsprechung

zu einer kombinierten Lösung geführt, welche als „Gesamtschau mit Einzel-

abwägung“ bezeichnet wird und welche für den Fall der Nebentäterschaft

(wenn mehrere Schädiger ohne verschuldetes Zusammenwirken einen Scha-

558 Vgl. statt aller BGB-Staudinger/SCHIEMANN, N 137 ff. zu § 254 BGB.

559 BGHZ 30, 203, 205; MünchKommBGB/OETKER, N 119 zu § 254 BGB.

560 BGHZ 30, 203, 206.

561 MünchKommBGB/OETKER, N 119 zu § 254 BGB.

562 Beispiel nach MünchKommBGB/OETKER, N 119 zu § 254 BGB; gleich auch BGB-Staudin-

ger/SCHIEMANN, N 139 zu § 254 BGB.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

158

den verursacht haben) zur Anwendung gelangt563

. Voraussetzung für eine

Gesamtschau ist, dass jeder der Schädiger eine eigene Ursache (Teilursache)

gesetzt hat, „wobei entweder jede von ihnen für den Schadenseintritt uner-

lässlich war oder den Schaden auch für sich allein herbeigeführt hätte“564

.

Der Geschädigte hat entsprechend dem vorerwähnten Beispiel im Rahmen

der Gesamtschau insgesamt Anspruch auf 75 Prozent des entstandenen Scha-

dens (Gesamtschaden reduziert um den durch Mitverschulden selbst verur-

sachten Anteil), kann aber vom einzelnen Schädiger aufgrund der Einzelab-

wägung (Vergleich des individuellen Schädigerbeitrags mit dem Geschädig-

tenbeitrag) nur 50 Prozent (höchste Haftungsquote) verlangen565

. In Bezug

auf die gemeinsame Haftungsquote von 50 Prozent haften die Schädiger soli-

darisch als Gesamtschuldner, für den darüber hinausgehenden Teil von

25 Prozent haftet jeder Schädiger anteilsmässig (sog. „modifizierte Kombi-

nationstheorie“)566,567

.

d. Behandlung von Mittätern („echte“ Solidarität)

Hat die Mehrheit von Schädigern als Mittäter bewusst zusammengewirkt,

muss sich jeder Schädiger im Sinne der Gesamtschuld den Tatbeitrag der an-

deren Schädiger anrechnen lassen und haften gesamtschuldnerisch auf den

gesamten Betrag. Diesbezüglich lautet § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB: Haben

mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen

Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich.

Auch in diesen Konstellationen ist das Mitverschulden des Geschädigten zu

berücksichtigen. Wiederum wird der zu ersetzende Haftungsanteil durch eine

563 BGHZ 30, 203, 207 ff.; BGHZ 54, 283, 284 f.; BGHZ 61, 351, 354; BGB-Staudinger/SCHIE-

MANN, N 141 zu § 254 BGB; MünchKommBGB/OETKER, N 120 zu § 254 BGB. 564

MünchKommBGB/OETKER, N 122 zu § 254 BGB. 565

MünchKommBGB/OETKER, N 120 zu § 254 BGB. 566

BGHZ 30, 203, 207 ff.; MünchKommBGB/OETKER, N 120 zu § 254 BGB. 567

Dabei ist aber umstritten, wie aus dem Gesamtschaden der Anteil am Schaden zu bestimmen

ist, für welchen die Schädiger solidarisch haften. Es besteht nämlich zum einen die Möglich-

keit, zuerst den Verursacheranteil des Geschädigten abzuziehen (im Beispiel 25 Prozent) und

auf dem Rest (75 Prozent) die Schädiger zu 50 Prozent (höchste Haftungsquote) solidarisch

haften zu lassen, was einem solidarischen Haftungsanteil von 37.5 Prozent am Gesamtschaden

entspricht. Zum anderen besteht die Möglichkeit, zuerst die höchste Haftungsquote vom Ge-

samtschaden her zu bestimmen (50 Prozent) und diesen als solidarische Haftungsquote festzu-

legen. Bei dieser Berechnungsmethode beträgt der solidarische Haftungsanteil somit 50 Pro-

zent; vgl. die Ausführungen dazu bei MünchKommBGB/OETKER, N 120 zu § 254 BGB.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

159

Gesamtschau festgelegt568

. Im Gegensatz zur Nebentäterschaft bleibt es bei

der Mittäterschaft aber bei der Gesamtschau. Eine Einzelabwägung und somit

eine Festlegung der höchstmöglichen Haftungsquote entfällt, weil der um das

Mitverschulden reduzierte Gesamtschaden direkt dem von jedem Schädiger

gesamtschuldnerisch zu tragenden Schadenersatz entspricht569

.

e. Ausnahme von der Gesamtschau: Behandlung von

Haftungseinheiten

Eine Ausnahme von der modifizierten Gesamtschautheorie ergibt sich, wenn

die Mehrheit von Schädigern als Haftungseinheit gehandelt hat570

. Denn wie

gesehen besteht eine Voraussetzung der Gesamtschau darin, dass jeder Schä-

diger eine eigene Ursache zum Schadenseintritt gesetzt hat. Wenn nun aber

die Schädiger durch ihre jeweiligen Teilursachen zusammen einen Ursachen-

beitrag setzen, welchen auch ein einzelner Schädiger hätte verursachen kön-

nen, dann wird dieser Ursachenbeitrag als eine Einheit behandelt571

. Dem

liegt der Zweck zugrunde, zu vermeiden, „dass im wesentlichen identische

Verursachungsfaktoren zum Nachteil der Schädiger doppelt in Ansatz ge-

bracht werden“572

. Wenn nun (zeitlich versetzt) durch hinzutretende Teilursa-

che des Geschädigten ein Schaden entsteht, so wird diesfalls der Beitrag der

Schädiger als Einheit behandelt. Entwickelt wurde das Institut der Haftungs-

einheit basierend auf dem Sachverhalt, dass vier Personen dafür verantwort-

lich waren, dass nachts ein Anhänger auf einer unbeleuchteten Strasse stehen

gelassen wurde. Der Geschädigte kollidierte mit dem Anhänger. Bei diesem

Sachverhalt sollte der Geschädigte nicht im Rahmen einer Gesamtschau da-

von profitieren, dass ihm nicht ein Schädiger, sondern deren vier gegenüber

standen573

. Das gleiche gilt bspw. auch, wenn im Bereich des Strassenver-

kehrsrechts Halter und Lenker für die gleiche Haftungsursache einzustehen

haben574

.

568 MünchKommBGB/OETKER, N 122 zu § 254 BGB.

569 BGHZ 30, 203, 206; BGB-Staudinger/SCHIEMANN, N 140 zu § 254 BGB.

570 BGHZ 54, 283, 285; BGHZ 61, 213, 220.

571 MünchKommBGB/OETKER, N 122 zu § 254 BGB.

572 BGB-Staudinger/SCHIEMANN, N 142 zu § 254 BGB.

573 BGHZ 54, 283; vgl. auch BGB-Staudinger/SCHIEMANN, N 142 zu § 254 BGB.

574 WEBER, Reduktion, S. 149.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

160

3. Schweizerische Lehre und Rechtsprechung

a. Lehre

Auch die schweizerische Lehre und Rechtsprechung befasst sich mit dem

Selbstverschulden des Geschädigten bei einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger und

behandelt es im Rahmen von Art. 44 Abs. 1 OR. Grundsätzlich ist eine Re-

duktion des Schadenersatzes anerkannt, wenn sich das Selbstverschulden des

Geschädigten auf den ganzen Schaden bezieht, mithin die Reduktion allen

Schädigern auf die gleiche Art und im gleichen Umfang zugutekommt, und

so für die solidarische Haftung der von jedem Schädiger geschuldete Betrag

zwar reduziert ist, jedoch für jeden Schädiger gleich gross bleibt575

. Ein

Grossteil der Lehre äussert sich nicht zur Problematik des Selbstverschuldens

des Geschädigten bei einer Mehrzahl Ersatzpflichtiger, behandelt diese nur

grundsätzlich im Rahmen der Schadenersatzbemessung gemäss Art. 44 OR,

respektive erwähnt, dass das Selbstverschulden des Geschädigten als Herab-

setzungsgrund der Gesamtheit der Schädiger zusteht576

.

b. Bundesgericht

Wie zuvor gesehen, beziehen sich die vom Geschädigten zu vertretenden

Umstände aber nicht nur auf den Gesamtschaden und somit auf alle Schädi-

ger gleichmässig. Vielmehr sind sie auf die einzelnen Teilschäden separat

anzuwenden und führen bei den Schädigern zur individuellen Reduktion auf-

grund unterschiedlicher grosser Zurechnung respektive Bemessung577

. Auch

das Bundesgericht hat dies grundlegend bestätigt. In BGE 97 II 339 führte

das Bundesgericht aus, dass das Selbstverschulden des Geschädigten bei den

Schädigern getrennt zu prüfen und individuell zu berücksichtigen sei578

:

„Daher ist die Frage, inwieweit jeder Beklagte dem Kläger Ersatz schulde, für

jeden von ihnen getrennt zu prüfen. Das ist übrigens auch deshalb nötig, weil

das Selbstverschulden des Klägers nicht notwendigerweise gegenüber jedem

Beklagten gleich zu begründen ist und die Ersatzpflicht prozentual gleich stark

ermässigt.“

575 JANSEN, S. 98 f.; ZELLWEGER, S. 80; BREHM, BK-OR, N 49 zu Art. 50 OR.

576 BREHM, BK-OR, N 40 ff., N 49 zu Art. 50 OR; N 27 ff. zu Art. 51 OR; REY, N 1459 ff.;

GAUCH/ SCHLUEP/SCHMID/EMMENEGGER, N 3728 ff. 577

JANSEN, S. 99; ZELLWEGER, S. 78; ENGEL, S. 562; WEBER, Reduktion, S. 147. 578

BGE 97 II 339, E. 3.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

161

Es ist aber anzumerken, dass das Bundesgericht zuvor und in der Folge auch

von diesem Grundsatz abgewichen ist579

.

c. Differenzierende Lehre auf Basis der Lösung gemäss § 254 BGB

Ein Teil der Lehre und insbesondere WEBER haben sich mit der Problematik

der Berücksichtigung des Selbstverschuldens des Geschädigten (Verantwor-

tungsbereich des Geschädigten) gemäss Art. 44 Abs. 1 OR bei einer Mehrheit

von Ersatzpflichtigen im schweizerischen Haftpflichtrecht befasst und kom-

men – teilweise basierend auf einer Analyse der Handhabung der Problema-

tik im deutschen Haftungsrecht gemäss § 254 BGB – zum Schluss, dass Um-

stände, für welche der Geschädigte nach Art. 44 Abs. 1 OR einzustehen hat,

grundsätzlich auch bei Konstellationen mit einer Mehrzahl an Schädigern zu

berücksichtigen und den Schädigern individuell zuzurechnen sind580

.

Dabei wird analog zur Unterscheidung zwischen Mittäter und Nebentäter im

deutschen Recht zwischen Konstellationen mit echter und unechter Solidari-

tät unterschieden.

Im Rahmen der echten Solidarität, bei welcher die Schädiger gemeinsam ver-

schuldet zusammenwirken, soll das Selbstverschulden des Geschädigten im-

mer nur gegenüber allen Schädigern zusammen berücksichtigt und der Scha-

denersatz entsprechend der Grösse des Mitverursachungsanteils pauschal für

alle Schädiger zusammen gekürzt werden581

. Aufgrund der durch Art. 50 OR

ausgeschalteten individuellen Verantwortlichkeit und der damit statuierten

kollektiven Haftung, werde das Gefährdungspotential sämtlicher Schädiger

als Einheit gegen den Anteil des Geschädigten abgewogen582

. Dies hat zur

Folge, dass im Aussenverhältnis der Umfang des Schadenersatzes für alle

Schädiger gleich gross bleibt und der Geschädigte weiterhin von allen Schä-

digern Schadenersatz mit je gleich grossem Haftungsumfang fordern kann583

.

Bei unechter Solidarität oder Anspruchskonkurrenz hingegen wird entspre-

chend der „Gesamtschau mit Einzelabwägung“ in § 254 BGB die Ansicht

579 So in BGE 117 II 50, E. 4; BGE 104 II 184, E. 3; BGE 93 II 329, E. 3; BGE 89 II 118, E. 5.

580 JANSEN, S. 99, S. 101; WEBER, Reduktion, S. 148; KELLER/GABI, S. 139; OFTINGER, Haft-

pflichtrecht, S. 345; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 550; vgl. neuestens auch KÖRNER,

N 431 ff., N 453. 581

ZELLWEGER, S. 80; JANSEN, S. 101; WEBER, Reduktion, S. 148. 582

WEBER, Reduktion, S. 148. 583

JANSEN, S. 99.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

162

vertreten, dass das Selbstverschulden des Geschädigten den Schädigern auf-

grund des Umstandes, dass sie kein gemeinsames Verschulden oder Zusam-

menwirken trifft, individuell zuzurechnen ist und die Schadenersatzansprüche

des Geschädigten für jeden Schädiger individuell zu bestimmen sind584

.

4. Eigene Ansicht betreffend die Reduktion aus im

Verantwortungsbereich des Geschädigten liegenden Gründen

(Art. 44 Abs. 1 OR) bei kausaler Betrachtungsweise

a. Kausale Betrachtungsweise des Reduktionsmechanismus bei einer

Mehrheit Ersatzpflichtiger

Da bei den im Verantwortungsbereich des Geschädigten liegenden Reduk-

tionsgründen (insbesondere das Selbstverschulden sowie die Schadenvermei-

dungspflicht) das reduzierende Element nicht auf Seiten der Schädiger res-

pektive des einzelnen Schädigers liegt, ergibt sich im Vergleich mit der Gel-

tendmachung der geringen Verschuldensintensität gemäss Art. 43 Abs. 1 OR

eine umgekehrte Situation betreffend das Auftreten des Reduktionsgrundes.

i. Vergleich mit Art. 43 Abs. 1 OR

Bei der Reduktion nach Art. 43 Abs. 1 OR kann ein Schädiger individuell ei-

nen Herabsetzungsgrund in Bezug auf den gesamten Schaden (oder einen

Teilschaden bei komplementärer-kausaler Verursachung eines Teilschadens

im Rahmen der Anspruchskonkurrenz) geltend machen. Da dieser Reduk-

tionsgrund speziell auf den einzelnen Schädiger zugeschnitten ist, betrifft er

die anderen Schädiger nicht, wenn sie unabhängig voneinander einen Scha-

den in komplementär-kausaler Weise verursacht haben. Diese individuelle

Reduktion führt aus Sicht des Geschädigten zu unterschiedlich hohen An-

sprüchen betreffend den ganzen, diesbezüglich relevanten Schaden. Ein Be-

zug auf einzelne Schadensteile ist nicht möglich, weil sich das Verschulden

auf den ganzen für den einzelnen Schädiger relevanten Schaden bezieht. Je-

doch erfährt der für den einzelnen Schädiger berechnete Schaden keine Än-

derung, da die individuellen Reduktionsgründe die Schadenersatzbemessung

betreffen. Bei komplementärer Kausalität bedeutet dies, dass der Geschädigte

bei jedem Schädiger maximal die individuell berechnete Schadenersatzquote

584 WEBER, Reduktion, S. 148; WEBER, einheitliche Lösung, S. 360; WEBER, Kausalität und Soli-

darität, S. 124; JANSEN, S. 99; so neuestens auch KÖRNER, N 453, welche auch für eine Diffe-

renzierung zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkurrenz eintritt.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

163

einfordern kann. Die kleinste Haftungsquote bestimmt den gemeinsam (soli-

darisch) geschuldeten Schadenersatz585

. Den Rest wird der Geschädigte bei

den weiteren Schädigern einfordern können. Denn da der Schadenersatz nicht

aufgrund eines Umstandes reduziert wurde, für welchen der Geschädigte ein-

zustehen hat, sondern bloss aufgrund der individuellen geringen Verschul-

densintensität des Schädigers, hat der Geschädigte gesamthaft gesehen An-

spruch auf den vollen ihm zustehenden Schadenersatz586

. Diesbezüglich ist

der Geschädigte aufgrund des Vorhandenseins der Schädigermehrheit besser

gestellt, als wenn ihm bloss ein Schädiger für den Schaden haften würde.

Eine Haftungsbefreiung der übrigen Schädiger tritt im Aussenverhältnis so-

mit erst ein, wenn der gesamte Schaden ersetzt wurde587

.

ii. Beim Selbstverschulden des Geschädigten gemäss Art. 44 Abs. 1

OR

Umgekehrt stellt sich die Situation bei den Reduktionsgründen dar, welche

dem Verantwortungsbereich des Geschädigten anzurechnen sind. Das Selbst-

verschulden des Geschädigten ist aus kausaler Sicht Teil der Schädigung, der

Geschädigte schädigt sich selber. Die Schädigung ist jedoch aus Sicht der Zu-

rechnung nicht Teil des von den Schädigern zu tragenden Schadens respek-

tive Schadenersatzes. Bei dieser Fragestellung sind die verschiedenen Arten

der Ersatzpflicht einer Mehrzahl von Schädigern genau auseinander zu hal-

ten.

Bei echter solidarischer Haftung wird im Sinne der zuvor dargestellten Ge-

samtschau und wie auch in der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung

anerkannt, der mitverursachende Anteil des Geschädigten gesamthaft vom

Gesamtschaden abgezogen. Eine Individualisierung betreffend die einzelnen

Schädiger findet nicht statt.

Bei Anspruchskonkurrenz ist zwischen komplementärer und additiver Kau-

salität zu unterscheiden. Bei additiv zurechenbaren Einzelschäden erfolgt die

Reduktion wie gesehen analog zur Behandlung der Konstellation mit einem

585 So auch WEBER, Reduktion, S. 136 f.

586 So auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 357 f., welcher dies als limitierte Anspruchskumula-

tion bezeichnet; vgl. auch KELLER/GABI, S. 140; VON BÜREN, S. 105 f.; a.A. ZELLWEGER,

S. 70; JANSEN, S. 104. 587

WEBER, einheitliche Lösung, S. 358; vgl. auch OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 345; STUCKI,

S. 104.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

164

Schädiger und einem Geschädigten. Bei komplementärer Kausalität ist der

Lösung anhand einer Gesamtschau mit Einzelabwägung zuzustimmen. Diese

Lösung berücksichtigt sowohl das Verhältnis der Geschädigtenursache zu

den addierten Schädigerursachen in Bezug zum Gesamtschaden, als auch die

individuellen Schädigerbeiträge (die Schädiger haben nicht zusammenge-

wirkt) in Bezug auf die Haftungsquote sowie den solidarischen Anteil der

Haftung am zu ersetzenden Schaden. Aufgrund des Geschädigtenabzugs er-

hält der Geschädigte den ihm tatsächlich zustehenden Schadenersatz. Der be-

rechnete Schaden bleibt nach Abzug des Anteils des Geschädigten zur Be-

stimmung der maximalen Haftungsquote für alle Schädiger gleich gross. Eine

Gegenüberstellung des Verursacheranteils des Geschädigten mit jenem des

Schädiger ergibt zuletzt für den den solidarisch zu tragenden Haftungsanteil

übersteigenden Rest die individuelle Haftungsquote und somit den anteils-

mässig zu tragenden Schadensteil.

b. Schadenvermeidung bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger

i. Allgemein

Eine spezielle Problematik stellt die zuvor behandelte Schadenminderungs-

pflicht respektive Pflicht zu Schadenvermeidung bei einer Mehrheit Ersatz-

pflichtiger dar588

. Der Schädiger hat wie gesehen für einen komplementär-

kausal verursachten Schaden, bestehend aus Kausalbeitrag des Schädigers

und des Geschädigten, welchen der Geschädigte aufgrund der Schadenmin-

derungspflicht hätte vermeiden können, nur insoweit einzustehen, als dass

und soweit tatsächlich ohne den Beitrag des Geschädigten ein Schaden ent-

standen wäre589

.

Da bei der Schadenvermeidungspflicht vorausgesetzt ist, dass die schädigen-

den Teilursachen zeitlich versetzt eintreten, sind bei einer Mehrheit Ersatz-

pflichtiger verschiedene Konstellationen auseinander zu halten. Geht man

von der kleinsten möglichen Anzahl einer Schädigermehrheit von zwei Schä-

digern aus (Grundkonstellation einer Schädigermehrheit), so kann der Ge-

schädigte seine Teilursache vor den beiden Schädigern, sie zwischen den

beiden Teilursachen der Schädiger oder nachdem die Schädiger ihre Teilur-

588 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zu den Komponenten eines einheitlichen Schadens hinten

S. 183 ff. 589

Vgl. dazu vorne S. 130 ff. bei der Schadenminderungspflicht.

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

165

sache gesetzt haben, setzen. Die Teilursachenreihenfolge wäre demgemäss

S/S/G, G/S/S oder S/G/S590

.

ii. Konstellationen: S/S/G, G/S/S und S/G/S

Im Vergleich zu Konstellationen mit einem Schädiger und einem Geschä-

digten sind bei der Schadenvermeidungspflicht bzw. Schadenminderungs-

pflicht des Geschädigten folgende Grundkonstellationen denkbar. Erstens

können zuerst beide Schädiger ihre Teilursachen setzen (S/S/G). Weiter sind

Konstellationen denkbar, in welchen die Teilursachen der Schädiger jener des

Geschädigten folgen (G/S/S). Zuletzt sind Konstellationen möglich, in wel-

chen zuerst der eine Schädiger eine Teilursache setzt, danach folgt komple-

mentär-kausal eine Schadensursache des Geschädigten, welche entweder be-

reits zu einem weiteren Schadenseintritt führt oder aber bei einer unterlasse-

nen Wiederherstellung des Grundzustands zur Schadenanfälligkeit des

Rechtsguts führt. Dies ist als Verletzung der Schadenminderungspflicht ein-

zustufen. Als drittes tritt sodann eine schädigende und zu beiden Vorursachen

komplementär-kausale Teilursache des zweiten Schädigers hinzu. Gesamt-

haft entsteht ein Schaden, welcher nicht oder nicht in dieser Grösse entstan-

den wäre, wenn man die schädigende Ursache des eines der Schädiger oder

jene des Geschädigten wegdenkt (S/G/S).

Wie gesehen macht es im Rahmen der Schadenvermeidungspflicht keinen

Unterschied, ob der Geschädigte seine Ursache vor oder nach der Teilursache

der Schädiger setzt. Zudem macht es auch keinen Unterschied, ob der Ge-

schädigte seine Teilursache zwischen den Schädigern setzt591

. Es ist vielmehr

entscheidend, dass der Geschädigte in beiden Konstellationen die Möglich-

keit gehabt hätte, den Schaden oder einen Teil des Schadens zu vermeiden.

Dies trifft klarerweise auch auf Konstellationen mit mehr als einem Schädi-

ger zu.

Es stellt sich die Frage, wie die verschiedenen Konstellationen mit mehreren

Schädigern zu behandeln sind:

590 Vgl. dazu auch die Ausführungen zu den Teilschadenkausalitäten hinten S. 175 ff.

591 Vgl. dazu die Ausführungen zu den Komponenten eines einheitlichen Schadens hinten

S. 183 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

166

iii. Echte solidarische Haftung

Eine Mehrzahl von Schädigern, welche gemeinsam verschuldet zusammen-

wirkt, ist als Einheit zu behandeln. Jeder haftet auf die ganze Forderung. Im

Aussenverhältnis können nach der hier vertretenen Ansicht nur allen zuste-

hende Reduktionsgründe geltend gemacht werden. Dies führt dazu, dass die

Solidarschuldner analog zur Konstellation mit einem Schädiger und einem

Geschädigten behandelt werden. Es hat im Bereich der Schadensvermei-

dungspflicht zur Folge, dass die Haftung für die Schädiger entfällt, bzw. dass

sie bloss für jenen Teil des Schadens einstehen müssen, welcher auch ohne

die verletzte Schadenminderungspflicht des Geschädigten eingetreten wäre.

iv. Additive Kausalität

Additiv-kausale Teilursachen sind als Einzelschäden zu behandeln. Setzen

zwei Schädiger je eine additiv-kausale Teilursache und hätte der Geschädigte

einen der Schäden vermeiden können, bezieht sich die Schadenvermeidungs-

pflicht auf diesen Schaden und beeinflusst den anderen nicht. Setzt der Ge-

schädigte eine additiv-kausale Teilursache zu einer der zwei von den Schädi-

gern gesetzten Teilursachen, berührt dies wiederum nur den betreffenden

Einzelschaden. Jedoch führt dies nicht zu einem Wegfall der Haftung des

Schädigers, sondern lässt dessen Haftung insofern unberührt, als dass der

Schädiger weiterhin für den genau gleich grossen Schadensteil aufkommen

muss. Denn es liegen zwischen Schädiger und Geschädigtem abgrenzbare

Einzelschäden vor. Haben die beiden Schädiger eine komplementäre Teilur-

sache gesetzt, führt die additive Teilursache des Geschädigten genauso zu

keinem Wegfall der Haftung für die in Anspruchskonkurrenz stehenden

Schädiger, denn der additiv-kausal verursachte Teilschaden ist wiederum als

Einzelschaden zu qualifizieren.

v. Komplementäre Kausalität

Komplementäre Teilursachenkonkurrenz führt zu Anspruchskonkurrenz. Zu-

dem können die Schädiger individuelle Reduktionsgründe geltend machen.

Zu beachten ist, dass eine komplementär-kausale Teilursache des Geschä-

digten, welche unter Verletzung der Schadenvermeidungspflicht in Konkur-

renz zu einer in komplementär-kausaler Weise gesetzten Schadensursache

durch eine Mehrzahl von Schädigern tritt, zu einem Wegfall der Haftung der

Schädiger führt, mit Ausnahme jenes Schadensteils, welcher auch ohne die

schädigende Ursache des Geschädigten entstanden wäre. Insofern ist die

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§ 14 Teilursachen des Geschädigten und Dritten (Schadenersatzbemessung)

167

Konstellation gleich zu behandeln wie bei der solidarischen Haftung. Anders

als bei der solidarischen Haftung stehen aber den Schädigern auch individu-

elle Reduktionsgründe zu für den Teil des Schadens, welcher ohnehin ent-

standen wäre, auch wenn der Geschädigte die Schadenminderungspflicht

nicht verletzt hätte. Zudem ist zu beachten, dass bereits die komplementär-

kausale Teilursache des zweiten Schädigers einen Unterbrechungsgrund dar-

stellen könnte. In diesem Fall entfällt die Haftung des ersten Schädigers, da

es am rechtlich relevanten Kausalitätsbezug zum entstandenen Schaden fehlt.

Diesfalls bezieht sich die unterlassene Schadensvermeidung des Geschädig-

ten bloss auf die Haftung des Zweitschädigers.

vi. Gemischte Konstellationen

Denkbar sind auch gemischte Konstellationen, in welchen der eine Schädiger

eine additive und der zweite Schädiger eine komplementär mit dem Selbst-

verschulden des Geschädigten koinzidierende Teilursache setzt. An der Ein-

schätzung ändert sich jedoch nichts. Relevant ist einzig, dass additive Kausa-

litäten als Einzelschäden anteilsmässig zu behandeln sind, komplementäre

demgegenüber zu Anspruchskonkurrenz führen. Im gerade aufgeführten Bei-

spiel würde der erste Schädiger als Einzelschädiger haften. Dem zweiten

Schädiger und dem Geschädigten würde der Schaden gemäss ihren Verant-

wortungsbereichen zugerechnet, womit aus der Mehrheit Ersatzpflichtiger

(bei nur drei Beteiligten) eine Grundkonstellation mit einem Schädiger und

einem Geschädigten entstanden ist. Auch diesfalls sind die Schadenvermei-

dungspflicht und die Reduktionsgründe gemäss Art. 43 f. OR zu berücksich-

tigen.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

168

§ 15 Die Zurechnung schädigender Handlungen:

Teilschadensverursachung; einheitliche

Rechtsgutverletzung; einheitlicher Schaden

A. Einleitung

In der Grundkonstellation des Haftpflichtrechts steht dem Geschädigten ein

Schädiger gegenüber. Somit entspricht der dem Geschädigten entstandene

Gesamtschaden dem maximal vom Schädiger geschuldeten Schadenersatz592

.

Der berechnete Schaden wird aus Sicht des Geschädigten betrachtet und führt

nach der Schadenersatzbemessung gemäss Art. 43 OR und Art. 44 OR zum

vom Schädiger geschuldeten Schadenersatz.

Während der Schaden schon in der allgemeinen Haftpflichtrechtslehre Ge-

genstand vielfältiger Diskussionen ist593

, ergeben sich aufgrund des Um-

stands, dass bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger eine Schuldnermehrheit „ei-

nen“ Schaden verursacht hat, zusätzliche Problembereiche, welche nachfol-

gend behandelt werden. Dabei ist die nur auf den ersten Blick einfache Frage

zu beantworten, was denn im Haftpflichtrecht als „ein“ Schaden betrachtet

werden kann. Denn jeder Schaden gliedert sich in Teilschäden, die je nach

Definition und Betrachtungsweise als nebeneinanderstehende Einzelschäden

oder als zusammengehöriger Gesamtschaden wahrgenommen werden594

.

Die Problematik ist darin zu sehen, dass nicht alle schädigenden Handlungen

dem gleichen Schädiger, sondern einer Mehrzahl von Schädigern zugerechnet

werden müssen. Es sollen somit nachfolgend die Fragen, was unter einem

einheitlichen Schaden zu verstehen ist und wie man Teilschäden respektive

Teilursachen den einzelnen Schädigern zurechnet zum einen im Zusammen-

hang mit Art. 50 OR („Haben mehrere den Schaden gemeinsam verschuldet,

[…]“) und Art. 51 OR („Haften mehrere Personen aus verschiedenen Rechts-

gründen […] dem Verletzten für denselben Schaden, […]“) und zum anderen

592 HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 6 zu Art. 43 OR.

593 Die Diskussion dreht sich um den Schadensbegriff, die Schadensarten, die Schadensberech-

nung und Schadenersatzbemessung sowie grundsätzlich die Einordnung des Schadens respek-

tive der Schädigung in den Haftungsaufbau als Haftungsvoraussetzung oder als Haftungs-

folge; vgl. dazu ausführlich ROBERTO, Schadensrecht, S. 9 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht,

N 248, 253, 584 ff. 594

LOSER, S. 125; STARK, Entlastungsgründe, S. 46; WECKERLE, S. 91.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

169

in allgemeiner Weise im Rahmen der Diskussion um Solidarität, Anspruchs-

konkurrenz und Kausalität beantwortet werden.

B. Der Schadensbegriff im Haftpflichtrecht aus Sicht der

haftpflichtrechtlichen Grundkonstellation respektive der

Sicht des Geschädigten

I. Wirtschaftlicher Schadensbegriff

Grundsätzlich ergibt sich der Schaden für das ausservertragliche Haftungs-

recht aus Art. 41 OR595

. Das Obligationenrecht enthält aber keine Definition

des Schadensbegriffs596

. Der Schaden wird wirtschaftlich definiert und ist als

Vermögensschaden (unfreiwillige Vermögenseinbusse) zu sehen, wobei un-

ter das Vermögen alle einer Person zustehenden geldwerten Güter (bspw.

dingliche oder obligatorische Rechte) fallen597

. Bei Verletzungen des

menschlichen Körpers liegt ebenfalls ein Schaden (i.S. eines vermögensmäs-

sigen Ausdrucks der Verletzung) vor, wenn sich die Verletzung wirtschaft-

lich auswirkt, bspw. durch anfallende Heilungskosten598

. Aus Sicht des wirt-

schaftlichen Schadensbegriffs soll der Geschädigte so gestellt werden, wie

wenn er nach der unerlaubten Handlung keine Vermögenseinbusse erlitten

hätte599

. Dabei gilt jede Vermögenseinbusse (Verminderung der Aktiven, Er-

595 Art. 41 Abs. 1 OR lautet: „Wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Ab-

sicht, sei es aus Fahrlässigkeit, wird ihm zum Ersatze verpflichtet.“ 596

ROBERTO, Schadensrecht, S. 9. 597

REY, N 151 ff.; SCHAER, N 239. 598

BREHM, BK-OR, N 69 zu Art. 41 OR; REY, N 157; SCHAER, N 239 führt treffend aus: „Nicht

das Zerschlagen einer Scheibe, nicht die Körperverletzung als solche ist ein Schaden, sondern

diese Tatsache verbunden mit einer Vermögensminderung. D.h. der Substanzschaden ist nur

primäre Voraussetzung, erforderlich ist aber immer noch eine sekundäre, nämlich die wirt-

schaftliche Beeinträchtigung.“ 599

BGE 127 III 403, E. 4, welcher festhält: “Als Schaden zu ersetzen sind die wirtschaftlichen

Auswirkungen einer schädigenden Handlung beim Geschädigten, die unfreiwillig erlittene

Vermögensminderung oder der entgangene Gewinn, während die Beeinträchtigung persön-

lich-ideeller Rechtsgüter an sich keinen (Vermögens-)Schaden darstellt […]. Schaden im

Rechtssinne ist die Differenz zwischen dem gegenwärtigen, nach dem schädigenden Ereignis

festgestellten Vermögensstand und dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Er-

eignis hätte […] bzw. den Einkünften, die nach dem schädigenden Ereignis tatsächlich erzielt

worden sind und denjenigen, die ohne dieses Ereignis zugeflossen wären […]. Die Körper-

verletzung an sich ist noch kein Schaden im Rechtssinn, sondern es sind allein die wirtschaft-

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

170

höhung der Passiven) als Schaden600

, bzw. ist als Schaden im Rechtssinn eine

Vermögensminderung (damnum emergens) oder ein entgangener Gewinn

(lucrum cessans) zu verstehen601

.

II. Differenztheorie

Gemäss der üblicherweise angewendeten Differenztheorie besteht der Scha-

den in der Differenz zwischen dem Stand des Vermögens vor und nach dem

schädigenden Ereignis, respektive dem Stand, welcher ohne Eintritt des

schädigenden Ereignisses erreicht worden wäre602

.

In der Lehre wird kritisiert, dass die Berechnung des Schadens anhand der

Differenztheorie (Gesamtvermögensvergleich) an der Realität vorbeigehe, da

es niemandem in den Sinn kommen würde, bei einem Schaden das Gesamt-

vermögen des Geschädigten mit und ohne Schädigung zu vergleichen. Viel-

mehr würden konkret die einzelnen Schadensposten addiert603

. Zudem beste-

hen bei der Differenztheorie im Bereich der Vorteilsausgleichung auch dog-

matische Nachteile. Denn während dem Geschädigten Vorteile, die er wegen

der Schädigung erfährt, an den Schaden anzurechnen sind, gilt dies selbstver-

ständlich nicht für Vorteile, die in keinem Zusammenhang mit der Schädi-

gung stehen. Betreffend diese zweitgenannten Vorteile würde die Differenz-

theorie zu einem falschen Ergebnis führen und ist daher nicht zu beachten604

.

lichen Nachteile zu ersetzen, welche die Verletzung für den Geschädigten zur Folge hat.“;

BREHM, BK-OR, N 69 zu Art. 41 OR. 600

BGE 129 III 331, E. 2; BGE 128 III 22, E. 2.e.aa. 601

BGE 104 II 198, E. a. 602

BGE 127 III 73, E. 4.a; BREHM, BK-OR, N 70b zu Art. 41 OR; vgl. ausführlich ROBERTO,

Haftpflichtrecht, N 590 ff.; ROBERTO, Schadensrecht, S. 9 ff.; NEUWALD, S. 6 ff. 603

MERZ, Obligationenrecht, S. 187; OFTINGER/STARK, § 2 N 9, FN 13; REY, N 169; HONSELL,

§ 1 N 32; BREHM, BK-OR, N 70b zu Art. 41 OR; vgl. zur Kritik an der Differenztheorie aus-

führlich ROBERTO, Schadensrecht, S. 9 ff., 18, 45 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 631 ff. 604

BGE 112 Ib 322, E. 5.a; REY, N 211 ff.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 785.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

171

C. Dogmatische Unterscheidungen zu Schaden,

Rechtsgutverletzung und Kausalzusammenhang

Zu beachten ist, dass die Mehrheit der schweizerischen Lehre im Haftpflicht-

recht dem traditionellen Haftungsaufbau (Schaden, Rechtswidrigkeit, Kau-

salzusammenhang, eventuell Verschulden) folgt605

. Dabei werden unter dem

Schadensbegriff sowohl der wirtschaftliche Schaden als Vermögenseinbusse

als auch die verschiedenen Schadensarten (Sachschaden, Personenschaden,

Vermögensschaden) diskutiert, ohne klar zwischen schädigendem Ereignis

(Schädigung, Rechtsgutverletzung) und dem Schaden als Rechtsfolge der

Schädigung (Vermögenseinbusse, rechtlicher Schaden) zu unterscheiden606

.

Diese Unterscheidung muss m.E. getroffen werden. Denn damit eine Person

für eine Schädigung haftet, muss sie diese durch eine rechtswidrige Handlung

verursacht haben. Dabei wird für die Begründung (und Begrenzung) der

Haftung ein Kausalzusammenhang verlangt. Die traditionelle Lehre stützt

sich dabei auf den Kausalzusammenhang zwischen Verhalten und Erfolg, re-

spektive Ursache und Wirkung („Relation zwischen der Schadensursache und

dem eingetretenen Schaden, dem sog. ‘Erfolg’“607

), respektive schuldhafter

Handlung und Schaden608

. In der neueren Lehre wird (basierend auf der deut-

schen Haftungslehre) zwischen haftungsbegründender und haftungsausfül-

lender Kausalität unterschieden609

. Während die haftungsbegründende Kausa-

lität den Kausalzusammenhang zwischen der schädigenden Handlung und der

Rechtsgutverletzung herstellt, befasst sich die haftungsausfüllende Kausalität

mit dem Kausalzusammenhang zwischen der Rechtsgutverletzung und dem

605 Vgl. statt aller OFTINGER/STARK, § 1 N 145 ff., N 152; REY, N 35 ff. (Schaden), N 517 ff.

(Kausalzusammenhang); N 666 ff. (Widerrechtlichkeit); N 805 ff. (Verschulden). 606

Vgl. mit seiner Kritik ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 253, N 584 ff.; BGE 127 III 403, E. 4. 607

REY, N 517. 608

GUHL/KOLLER, § 10 N 18 und N 21; REY, N 517; HONSELL, § 3 N 15; BREHM, BK-OR,

N 103 zu Art. 41 OR. 609

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 150; SCHWENZER, §19.01; BREHM, N 103 zu Art. 41 OR;

ROMERIO, Toxische Kausalität, S. 11; OFTINGER/STARK, § 3 N 20: „Die Funktion des juristi-

schen Kausalbegriffes ist eine doppelte: Steht die adäquate Verursachung eines bestimmten

schädigenden Ereignisses durch eine bestimmte Ursache fest, so lässt sich im weiteren das zu-

rechenbare Ausmass des Schadens wiederum nach der Adäquanztheorie bestimmen. Der Kau-

salbegriff dient also nicht nur zur Bestimmung der Haftungsvoraussetzungen, sondern auch

zur Abgrenzung des zurechenbaren Schadens im Einzelfall. Man unterscheidet dementspre-

chend zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität.“; REY,

N 522a, welcher die Unterscheidung aus systematischen Gründen ablehnt; ablehnend auch

HONSELL, § 3 N 15.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

172

dadurch bewirkten (finanziellen) Schaden (Schaden im Rechtssinne)610

. Um

bei einer Schädigermehrheit im Bereich der Anspruchskonkurrenz von den

tatsächlichen Handlungen der Schädiger zum Schaden zu gelangen, für wel-

chen jeder Schädiger haftet, muss m.E. der Zwischenschritt über die dem

Geschädigten zugefügte Schädigung (Rechtsgutverletzung) eingeschaltet

werden. Denn eine korrekte Zurechnung kausaler Teilursachen betrifft nicht

(nur) den Schritt von der Schadensursache zum rechtlichen Schaden, sondern

vielmehr die Zurechnung einzelner, schädigender Handlungen (Teilursachen,

welche für die bewirkte Schädigung kausal sind) zur (von der in Anspruchs-

konkurrenz stehenden Schädigermehrheit) verursachten Schädigung (Rechts-

gutverletzung). Dabei zeigt sich, ob bei einem Geschädigten bspw. eine „zu-

sammenhängende“ Gesamtschädigung oder mehrere einzelne und nicht zu-

sammenhängende Einzelschädigungen entstanden sind. Basierend auf diesem

Gedankengang wird nun die Fragestellung betrachtet was unter einer einheit-

lichen Schädigung zu verstehen ist und wie sie zu einem einheitlichen Scha-

den i.S. von Art. 50 und Art. 51 OR führt.

D. Ein (einheitlicher) Schaden bzw. eine (einheitliche)

Schädigung aus Sicht der Schädigermehrheit und der

Kausalität

I. Grundkonstellation bei einem Schädiger

In der klassischen Haftungskonstellation des Haftpflichtrechts, bei welcher

ein Schädiger einem Geschädigten einen Schaden zufügt, ergeben sich aus

dem Mangel an Unterscheidung zwischen Schädigung und Schadensfolge

keine nachteiligen Konsequenzen. Der Schädiger schädigt den Geschädigten

und schuldet ihm für den Schaden Schadenersatz, welcher berechnet und be-

messen wird611

. Der berechnete Schaden entspricht dem vom Schädiger ma-

ximal geschuldeten Schadenersatz. Eine Reduktion erfolgt über die Reduk-

tionsgründe gemäss Art. 43 OR und Art. 44 OR.

Beispielsweise werden bei Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück aufgrund

der veränderten Statik Risse in einer Mauer verursacht und der schädigende

Bauherr muss für die Sanierung der Mauer aufkommen. Oder ein Graffiti-

610 ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 150; ROMERIO, Toxische Kausalität, S. 11.

611 Vgl. bspw. REY, N 196 ff. (Schadensberechnung) und N 395 ff. (Schadenersatzbemessung).

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

173

Künstler versprayt eine Hauswand und muss für die Kosten der Wiederher-

stellung des ursprünglichen Zustands aufkommen. In diesen Fällen reicht die

Definition des Schadens als Vermögenseinbusse gemäss der Differenztheorie

im Zusammenhang mit dem Kausalzusammenhang zwischen schädigender

Handlung und verursachtem Schaden grundsätzlich aus, um je das schädi-

gende Ereignis und den daraus entstehenden Schaden zu umschreiben612

.

Selbst wenn ein Schädiger einem Geschädigten durch mehrere schädigende

Handlungen mehrere unterscheidbare Einzelschäden verursacht, lässt sich der

Schaden gesamthaft als Vermögenseinbusse gemäss der Differenztheorie

darstellen.

II. Grundkonstellation bei mehreren Schädigern

Anders stellt sich die Situation dar, wenn ein oder mehrere Schädigun-

gen/Schäden durch eine Mehrzahl an Schädigern verursacht werden. In die-

sen Konstellationen müssen im Bereich der Anspruchskonkurrenz die Hand-

lungen der einzelnen Schädiger basierend auf den zugrundeliegenden Kausa-

litäten den einzelnen Teilschädigungen/Teilschäden bzw. die verursachten

Teilschädigungen über die tatsächlichen Handlungsketten anhand der Kausa-

litäten den einzelnen Schädigern zugerechnet werden. Eine Betrachtung der

Vermögensverhältnisse anhand der Differenztheorie und des Kausalzusam-

menhanges zwischen Schadensursache (schädigender Handlung, Schädigung)

und bewirktem Schaden reicht nicht mehr613

. Diese Betrachtung zeigt zwar

612 Respektive reicht eine Addition der Schadensposten, um den Schaden zu bestimmen.

613 Vgl. auch SCHAER, N 301 ff., welcher festhält: „Solange von der Differenzhypothese als rein

kalkulatorischem Vorgang ausgegangen wird, besteht die Gefahr, dass jede Veränderung im

Gesamtvermögen ‘ohne Rücksicht auf ihre Entfernung von Ort und Zeit des schädigenden

Eingriffs’ berücksichtigt werden muss. Wird aber das ‘quod interest’ nicht nur formal, son-

dern wertend aufgefasst, so folgt daraus zwangsläufig eine Gliederung des Schadens, verbun-

den mit einer von dieser Gliederung ausgehenden Bestimmung, welcher Teil dieses Einzel-

schadens nun ersatzfähig sein soll oder nicht. Die Differenzhypothese ist keine Rechenformel,

sondern eine – allerdings unvollständige – Anleitung zu Wertung im Einzelfall. Diese unvoll-

ständige Wertungsanleitung wird durch die Rechtsfortbildung mittels Konkretisierung, ausge-

hend vom Einzelfall und vom Einzelschaden, immer mehr ausgefüllt und kann in eine Typi-

sierung, Pauschalisierung und Standardisierung des Einzelschadens ausmünden, sodass die

besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls und des Einzelschadens [FN: Niemals eines

Gesamtschadens.] weitgehend zurücktreten […]. Weiterhin ergeben sich bei der Annahme ei-

nes Vermögensgesamtschadens erhebliche Schwierigkeiten mit Leistungen Dritter, die durch

das gleiche Schadenereignis ausgelöst werden, beeinflussen diese doch das Vermögen im ge-

samten.“

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

174

den im Vermögen des Geschädigten gesamthaft entstandenen Schaden an,

hilft jedoch bei der Zurechnung der einzelnen schädigenden Handlungen

nicht weiter. Denn die schädigenden Einzelhandlungen der (nicht zusam-

menwirkenden) Schädiger stehen in einem Zusammenhang, es gibt Scha-

densteile die sich einem Schädiger additiv zurechnen lassen, andere, welche

komplementär verursacht wurden sowie weitere, bei welchen die Kausalursa-

che oder der Kausalanteil unklar ist. Somit führen dann die unabhängigen

Handlungen der verschiedenen Schädiger zu einer oder mehreren Rechtsgut-

verletzungen und diese wiederum zu einem oder mehreren (finanziellen)

Schäden. Mit Bezug auf die haftpflichtrechtlichen Bestimmungen in Art. 50

und Art. 51 OR stellt sich bei einer Mehrheit von Ersatzpflichtigen somit die

Frage, was unter der Verursachung eines Schadens (Art. 50 OR) respektive

unter der Haftung für denselben Schaden (Art. 51 OR) zu verstehen ist und

wie diese Verursacheranteile aus kausaler Sicht zuzurechnen sind614

.

E. „Ein Schaden“ in Art. 50 OR

Im Bereich der echten Solidarität ergibt sich im Aussenverhältnis der Haf-

tung kein Unterschied zur Situation mit einem einzelnen Schädiger. Da die

Schädigermehrheit gemeinsam verschuldet zusammenwirkt, müssen die Kau-

salanteile der einzelnen Schädigungshandlungen nicht unterschieden werden

und die Schädiger verursachen dem Geschädigten einen einheitlichen Ge-

samtschaden. Im Bereich der echten Solidarität erfolgt die Zurechnung somit

gleich wie bei einem einzelnen Schädiger und es kann vom gleichen Scha-

densbegriff ausgegangen werden, wie bei einem einzelnen Schädiger615

.

Wenn beispielsweise zwei Graffitsprayer zusammen eine Hausmauer be-

sprayen, haften sie für den entstandenen Schaden in echter Solidarität.

614 Vgl. hierzu BYDLINSKI, Haftung, S. 7 f., 12; LOSER, S. 125 f.

615 Vgl. auch WEBER, einheitliche Lösung, S. 348 ff.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

175

F. Teilschadenskausalität, Komponenten einer einheitlichen

Schädigung („Derselbe Schaden" in Art. 51 OR)

I. Anerkennung der Teilschadenskausalität in Lehre

Schwieriger stellt sich die Lage im Bereich der Anspruchskonkurrenz gemäss

Art. 51 OR dar. In diesen Konstellationen wirken die Schädiger nicht zu-

sammen und sie trifft auch kein gemeinsames Verschulden. Hier stellt sich

die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine einheitli-

che Schädigung („derselbe Schaden“) vorliegt.

Wie bereits ausgeführt, entspricht es in Deutschland der h.L., dass jeder Ne-

bentäter einer Mehrzahl Schädiger im Sinne der Anspruchskonkurrenz im

Grundsatz anteilmässig haftet616

. Dazu führt WECKERLE treffend aus617

:

„Bei der Teilschadenskausalität, bei der jeder der mehreren, unabhängig von-

einander handelnden Deliktstäter, einen ganz bestimmten, feststehenden Teil

des dem Verletzten insgesamt entstandenen Schadens verursacht hat, kommt

eine Zusammenfassung von der Schadensseite her nicht in Betracht, weil kein

einheitlicher Schaden vorliegt, sondern nur mehrere Einzelschäden. Jeder haf-

tet nach ganz einhelliger und nicht zu bestreitender Auffassung nur für den

von ihm angerichteten Teilschaden. Die Tatsache, dass der Betroffene entwe-

der zur gleichen Zeit oder am selben Ort und möglicherweise an demselben

Rechtsgut geschädigt wurde, ändert nichts daran, dass es sich um mehrere

voneinander völlig unabhängige Einzelschäden handelt. Das Risiko, dass einer

der Schädiger insolvent ist, trifft den Verletzten wie bei jeder normalen Ein-

zeltäterschaft. Ein Grund, es ihm abzunehmen, besteht nicht. Denn anders als

bei der an den subjektiven Zusammenhang anknüpfenden Zusammenfassung

von der Handlungsseite greift die Zusammenfassung von der Schadensseite

her nur Platz, wenn ein einheitlicher Schaden gegeben ist, der sich nicht sinn-

voll auf die mehreren aufteilen lässt.“

In der schweizerischen Lehre wird auf die Unterscheidung der Teilschadens-

ursachen zur Definition eines einheitlichen Schadens respektive zur Unter-

scheidung mehrerer Einzelschädigungen wenig eingegangen bzw. werden aus

der Unterscheidung kaum Konsequenzen betreffend die Haftungsfolge gezo-

gen, was wohl insbesondere damit zusammenhängt, dass für die „unechte

616 MünchKommBGB/WAGNER, N 1, 29, 44 zu § 830 BGB; vgl. auch BGB-RGRK/STEFFEN,

N 1 zu § 830 BGB; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 65, 90 zu § 830 BGB; WECKERLE,

S. 91. 617

WECKERLE, S. 91.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

176

Solidarität“ in Art. 51 OR die gleiche Rechtsfolge angenommen wird wie für

die echte Solidarität in Art. 50 OR618

. Für eine Unterscheidung tritt BREHM

ein619

:

„Solidarität besteht nur, sofern jeder Täter für das gemeinsame Verschulden

mithaftet […]. Trifft den einen Täter kein Verschulden, dann ist dieser von der

Solidarität ausgenommen […]. Ebenso entfällt die Solidarität, wenn verschie-

dene Täter unabhängig voneinander einem Geschädigten klar trennbare Schä-

den zugefügt haben […] oder wenn sich der Schadenserfolg in bestimmte An-

teile zerlegen lässt. Es besteht in diesem Fall nur eine anteilsmässige Haf-

tung.“

Bereits OSER/SCHÖNENBERGER traten für eine Einzelhaftung/Anteilshaftung

für den Fall von klar unterscheidbaren Teilschäden ein, und dies sogar im Be-

reich der echten Solidarität620

:

„Jedenfalls besteht eine solidarische Haftung nicht, wenn die Schädigung

durch eine von mehreren Personen erfolgte, ohne dass feststeht durch welche,

falls kein einheitlicher Vorgang vorlag […]. Abs. 1 trifft nur zu, wenn ein Ge-

samtschaden vorliegt, der nicht auf die verschiedenen Urheber verteilt werden

kann. Lässt sich der Schaden […] zu messbarem Anteil auf die Tätigkeit jedes

einzelnen Urhebers zurückführen, so besteht bloss anteilsmässige Haftung.“

Auch STARK hält in seiner Dissertation fest, dass die solidarische Haftung

aufgrund einer Mehrheit zur Herbeiführung eines Gesamterfolgs geeigneter

Bedingungen voraussetzt, dass „die verschiedenen Bedingungen nicht in der

gleichen Kausalkette liegen und zu einem einheitlichen Erfolge zusammen-

gewirkt haben.“ Hingegen würde keine solidarische Haftung vorliegen, wenn

„jede generell geeignete Bedingung zu einem bestimmten selbständigen Er-

folg geführt hat […].“ Es müsse deshalb unterschieden werden, ob ein be-

stimmter Erfolg ein einheitlicher sei, der sich allerdings eventuell aus ver-

schiedenen Teilstücken zusammensetze, oder ob eine Mehrzahl selbständer

618 Vgl. bspw. REY, N 1440; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 337; KELLER, S. 153, 156 f.; OFTIN-

GER/STARK, § 10 N 4, N 10 f., N 13; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 8 zu Art. 50 OR sowie

N 2, N 6 und N 8 zu Art. 51 OR; GUHL/KOLLER, § 26 N 10; BREHM, BK-OR, N 18 zu Art. 51

OR; HONSELL, § 11 N 12 ff. 619

BREHM, BK-OR, N 33 ff. zu Art. 50 OR, welcher aber ansonsten der Einteilung in echte und

unechte Solidarität gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zustimmt. 620

ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 5 ff., N 9 zu Art. 50 OR; einer anteilsmässigen Haftung im

Bereich der echten Solidarität kann nicht zugestimmt werden, dies würde dem eigentliche

Zweck der echten Solidarität zuwiderlaufen.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

177

Teilerfolge vorliege621

. Gemäss STARK liegt somit ein einheitlicher Schaden

dann vor, wenn er auf komplementärer Kausalität oder auf gemeinsamem

Verschulden (echte Solidarität) beruht622

:

„Sie [die Einheit des Erfolgs] liegt vor bei einer Wirkung im Sinne einer qua-

litativen Veränderung, fehlt aber bei den bloss quantitativen Veränderungen

ohne gemeinsame Verschuldung; denn in diesem letzteren Fall ist nicht die

Gesamtwirkung mit jeder Bedingung kausal verbunden, sondern jede Teilwir-

kung steht nur zu ihrer Teilursache in Beziehung. Verschiedene gleichartige

Erfolge sind gleichzeitig vorhanden. Es ist nicht nötig, sie wegen ihrer Gleich-

artigkeit – die das einzige verbindende Moment zwischen ihnen darstellt – ju-

ristisch als eine Einheit zu betrachten. Vom Standpunkt des Rechts aus handelt

es sich um mehrere Erfolge, für die das Verantwortlichkeitsproblem gesondert

behandelt werden kann. […] Die Einheit des Erfolges fehlt deshalb selbstver-

ständlich, wenn verschiedene voneinander unabhängige Ursachen zu gleicher

Zeit verschiedene Verluste im selben Vermögen bewirken. Es ist vom rechtli-

chen Standpunkt aus irrelevant, dass das gleiche Vermögen von zwei Schäden

gleichzeitig getroffen wurde.“

Der Meinung von STARK schliesst sich auch QUENDOZ an, welcher ausführt,

dass ohne gemeinsames Handeln eine solidarische Haftung dem Kausalgesetz

widersprechen würde, denn es läge kein einheitlicher Erfolg vor623

. Auch

gemäss VON TUHR/PETER haftet jeder für seinen Anteil des Schadens, wenn

„sich der Schadenserfolg zu bestimmten Anteilen auf die Tätigkeit der ein-

zelnen mitwirkenden Menschen zurückführen [lässt] 624

.“ Diesen Grundsät-

zen schliessen sich eine Reihe weiterer Autoren wie BECKER, SCHAZMANN,

JANSEN, KRAMER, OFTINGER/STARK, SCHAER, WIDMER/WESSNER oder

HABLÜTZEL an625

.

621 STARK, Entlastungsgründe, S. 42.

622 STARK, Entlastungsgründe, S. 46 f.

623 QUENDOZ, S. 78.

624 VON TUHR/PETER, S. 93, FN 33.

625 KRAMER, Multikausale Schäden, S. 60; OFTINGER/STARK, § 10 N 4, welche festhalten, dass

wenn ein „Zusammenwirken mehrerer adäquater Ursachen zu einer qualitativen Veränderung

[führt], ohne dass ein gemeinsames Verschulden vorliegt, […] die für sie Verantwortlichen

ebenfalls solidarisch [haften] (51 OR).“; dieses „Zusammenwirken“ meint wohl den Fall einer

Schadenverursachung durch komplementäre Kausalität (vgl. vorne S. 95 ff.), für welche tat-

sächlich eine volle Zurechnung auf den Gesamtschaden zu erfolgen hat. OFTINGER/STARK,

§ 10 N 33, halten aber (in Bezug auf die Reduktionsgründe) auch fest, dass man „aus der Soli-

darität nicht schliessen [darf], dass jemand allein deswegen, weil neben ihm ein anderer haftet,

mehr an Schadenersatz schulde, als er zu leisten hätte, wenn er allein haften würde.“;

SCHAZMANN, S. 28: „Un partage de la responsabilité externe s‘impose là où il ya possibilité

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

178

Einer differenzierten Betrachtung unterzieht LOSER die Thematik in seiner

Dissertation626

. Er führt aus, dass für eine volle Zurechnung der schädigenden

Handlung und eine daraus folgende volle Haftung des Schädigers darauf ab-

gestellt werden muss, „ob ein einheitlicher Schaden vorliegt oder bloss eine

Summe von Einzelschäden, die als bestimmte und abgrenzbare Teile des

Ganzen je einem Verursacher zugeordnet werden können (Kriterium der

Teilbarkeit).“627

Dies führt gemäss LOSER als Lösung bei Teilschadenskau-

salität zu mehrfacher Einzeltäterschaft628

:

„Die bestimmten Anteile sind den einzelnen Verursachern zuzuordnen. Keiner

haftet für fremde Schäden. Bloss in einer Gesamtbetrachtung lässt sich von

anteiliger Haftung sprechen; tatsächlich liegt Einzeltäterschaft vor. Lassen sich

im Rahmen einer progressiven Schadenssteigerung bestimmte Anteile abgren-

zen, so tritt die solidarische Haftung aller nur für den verbliebenen einheitli-

chen „Teilschaden“ ein […].“

Eine differenzierte Analyse des Themenkomplexes liefert schliesslich WE-

BER. Zuerst befasst er sich mit der Teilhaftung aufgrund der additiven Kau-

salität, bei welcher sich „der Verletzungserfolg aus mehreren selbständigen

Teilwirkungen zusammensetzt“629

. Er führt aus, bei der Nebentäterschaft

würden selbständige Einzelhandlungen vorliegen, was dazu führe, dass auf-

grund des fehlenden inneren Zusammenhangs die allgemeinen Zurechnungs-

regeln zur Anwendung gelängen630

. In aller Deutlichkeit hält er sodann

fest631

:

„Da die Zurechnung grundsätzlich nicht weiter reicht als der Kausalzusam-

menhang, hat der Haftpflichtige nur für den verursachten Anteil einzustehen.

Die auf die einzelnen Urheber resp. Ursachen entfallenden Verletzungsanteile

resp. die daraus resultierenden Schäden können hier zugeordnet werden. Es

liegt kein einheitlicher Schaden vor.“

de diviser la part prise au dommage par chacun des participants, celle-ci étant nettement déli-

mitée.“; HABLÜTZEL, S. 15; WIDMER/WESSNER, S. 169; SCHAER, N 300 ff.; JANSEN, S. 70 f.;

BECKER, BK-OR, N 13 zu Art. 51 OR; BGE 68 II 369, E. 6. 626

LOSER, S. 123 ff. 627

LOSER, S. 125; vgl. auch STARK, Entlastungsgründe, S. 42 ff.; WECKERLE, S. 90; QUENDOZ,

S. 77 f. 628

LOSER, S. 125; so auch WECKERLE, S. 91; STARK, Entlastungsgründe, S. 46. 629

WEBER, einheitliche Lösung, S. 344; gleich auch WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 118 f. 630

WEBER, einheitliche Lösung, S. 352. 631

WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 119.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

179

Dies führt schliesslich zu WEBERS Behandlung der Anspruchskonkurrenz im

Rahmen vom Art. 51 OR632

:

„Die Anspruchskonkurrenz ist ein lediglich zufälliges Zusammentreffen von

gleichartigen Forderungen, das mit dem Solidarschuldverhältnis nur das Leis-

tungsinteresse gemeinsam hat. Die einzelnen Ersatzleistungen sind selbständig

zu bestimmen und haben ihr eigenes rechtliches Schicksal. Dies gilt […] für

Schadensberechnung, die innerhalb der verschiedenen Haftungsgründe variie-

ren kann und v.a. für die Schadenersatzbemessung. Ein Solidaritätseffekt be-

steht einzig bis zur Höhe der kleinsten Ersatzforderung, die damit den gröss-

ten, gleichzeitig aber auch einzigen gemeinsamen Nenner bildet.“

II. Anerkennung der Teilschadenskausalität in der

Rechtsprechung

Die Rechtsprechung ist bezüglich der Differenzierung von Gesamtscha-

den/einheitlicher Schaden und einer Mehrzahl an Einzelschäden respektive

der Zuordnung bestimmter Schädigungsanteile zu einzelnen Schädigern mit

daraus folgender anteiliger Haftung wenig ausgeprägt. Im alten BGE 68 II

369 hatte das Bundesgericht zwar noch anerkannt, dass bei Teilschäden auf

anteilige Haftung zu entscheiden sei, aber ausgerechnet in einer Konstella-

tion, in welcher aufgrund des additiven und komplementären Zusammenwir-

kens der Teilschadensursachen bei einem Teil des Schadens eine Haftung auf

das Ganze die korrekte Lösung gewesen wäre633

. Der Entscheid des Bun-

desgerichts wurde denn auch in der Lehre teils kritisiert und teils befürwor-

632 WEBER, einheitliche Lösung, S. 352 f.

633 BGE 68 II 369, E. 6: „Freilich gehen Theorie und Praxis von einem ‘ungeschriebenen Funda-

mentalsatz des Haftpflichtrechtes’ aus, wonach eine Mehrheit von Ersatzpflichtigen solida-

risch hafte […]. Es besteht aber bloss anteilsmässige Haftung, wenn sich der Schadenserfolg

zu bestimmten Anteilen auf die Tätigkeit der einzelnen mitwirkenden Personen zurückführen

lässt […]. Hier liegt allerdings ein einheitlicher Schaden vor, hervorgerufen durch das Zu-

sammenfliessen der beiden Wasserläufe mit ihren Zuläufen in einen einzigen Bach, der auch

bei trockenem Wetter stets Wasser führt. Gerade deshalb konnte sich das Land des Klägers

nicht wie früher jeweilen in Trockenzeiten erholen. Allein die einheitliche Schadenswirkung

hat nicht unabweislich solidarische Haftung der Eigentümer der einwirkenden Grundstücke

zur Folge. Zerfällt der dem Kläger erwachsene Schaden zunächst nicht in bestimmte, den ein-

zelnen oberhalb liegenden Grundstücken zuzuschreibende Teilschäden, so lässt sich doch

feststellen, in welchem Verhältnis der Zufluss aus den einzelnen Grundstücken zur Herbeifüh-

rung des Schadens beigetragen hat. Auf diesem Wege kann auf Teilhaftung erkannt und von

solidarischer Haftung abgesehen werden. Dies ist um so mehr angebracht, als nicht schuld-

haftes Verhalten, sondern reine Schadensverursachung (Kausalhaftung) in Frage steht.“

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

180

tet634

. Im späteren BGE 109 II 304, E. 5, ist das Bundesgericht auf die Unter-

scheidung nicht mehr eingegangen und ging von einer Haftung auf das Ganze

aus.

Im bereits mehrfach genannten BGE 127 III 257 machte einer der Beklagten

unter Hinweis auf BGE 68 II 369 geltend, dass keine Solidarität entstanden

sei, da mehrere Grundeigentümer je für sich den Nachbarn geschädigt hätten.

Er habe unabhängig von den anderen beiden Beklagten gehandelt, denn er

habe sein Bauvorhaben zweieinhalb Jahre später und unabhängig von diesen

begonnen. Zudem seien bereits zu Beginn seines Bauvorhabens Schäden vor-

handen gewesen. Somit hätten „die Beklagten […] durch ihre Bautätigkeit

nicht denselben Schaden herbeigeführt, sondern jeder Grundeigentümer habe

einen Schadensanteil verursacht“.635

Dazu hat das Bundesgericht explizit

Stellung genommen und festgehalten, dass es bei Vorliegen eines durch meh-

rere Schädiger verursachten, einheitlichen Schadens sowohl im Bereich der

echten Solidarität gemäss Art. 50 OR als auch im Bereich der Anspruchskon-

kurrenz im Bereich von Art. 51 OR basierend auf dem Geschädigtenschutz

keine Ausnahme vom Prinzip der solidarischen Haftung gebe636

:

„In der Tat ist nicht einzusehen, weshalb für solche Fälle eine Ausnahme vom

Solidaritätsprinzip gelten sollte. Im angeführten Entscheid des Bundesgerich-

tes aus dem Jahre 1942 ging es um die Versumpfung eines Grundstückes in-

folge übermässiger Wasserzufuhr von mehreren Nachbarliegenschaften. Ob-

wohl das Bundesgericht von einem einheitlichen Schaden ausging, verwarf es

eine solidarische Haftung der Schädiger. Es begründete dies damit, dass sich

ermitteln lasse, in welchem Verhältnis der Wasserzufluss von den Grundstü-

cken der Schädiger zur Schadensentstehung beigetragen habe, weshalb auf

eine Teilhaftung zu erkennen sei. Dies sei um so mehr angezeigt, als nicht eine

Verschuldens-, sondern eine Kausalhaftung in Frage stehe […]. Dieser Be-

gründung kann nicht mehr vorbehaltlos gefolgt werden […]. Liegt ein einheit-

licher Schaden vor, der durch mehrere verursacht worden ist, auferlegt das Ge-

setz den Schädigern eine solidarische Haftung (Art. 50 und 51 OR), und zwar

ungeachtet dessen, ob die Anspruchsgrundlage eine Verschuldens- oder Kau-

634 Den Entscheid (ohne seine Ansicht zu begründen) kritisierend OFTINGER, Haftpflichtrecht,

S. 337, FN 10, m.w.H.: „Die in BGE 68 II 375 f. statuierte Einschränkung, dass statt Solida-

rität anteilmässige Haftung gelte, „wenn sich der Schadenserfolg zu bestimmten Anteilen auf

die Tätigkeit der einzelnen mitwirkenden Personen zurückführen lässt“, ist nicht gerechtfer-

tigt“; OFTINGER/STARK, § 16 N 319, m.w.H.; befürwortend äussern sich KRAMER, Multikau-

sale Schäden, S. 60; VON TUHR/PETER, S. 93, FN 33; QUENDOZ, S. 78; differenziert LOSER,

S. 113 f. 635

BGE 127 III 257, E. 4.a f. 636

BGE 127 III 257, E. 4.b.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

181

salhaftung ist. Eigenheit der Solidarität ist es, dass sich der Geschädigte nicht

um das Innenverhältnis und damit die endgültige Aufteilung des Schadens

zwischen den Schädigern zu kümmern braucht […]. Demgegenüber trägt der

erwähnte Entscheid dem Innenverhältnis vorbehaltene Erwägungen ins Aus-

senverhältnis und versagt dadurch dem Geschädigten die ihm aufgrund der ge-

setzlich vorgesehenen Solidarität zustehende Vorzugsstellung. Der Umstand,

dass im vorliegenden Fall die schädigenden Einwirkungen der Beklagten 1

und 2 sowie der Beklagten 3 von verschiedenen Grundstücken ausgingen,

spricht daher nicht gegen ihre solidarische Haftung gegenüber der Klägerin.“

Das Bundesgericht hält (zu Recht) an der solidarischen Haftung fest, wenn

Schädiger einen „einheitlichen Schaden“ verursachen. Dies ist entweder eine

Schädigung aus gemeinsamem Verschulden (Art. 50 OR) oder im Bereich

von Art. 51 OR implizit eine einheitliche Schädigung aus komplementärer

Kausalität637

. Weiter beschäftigt sich das Bundesgericht sodann mit der

Frage, wann ein einheitlicher Schaden vorliegt und kommt zum Schluss, dass

dafür ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen der Handlung des Schä-

digers und dem entstandenen Schaden vorliegen muss. Zudem wird ersicht-

lich, dass ein Gesamtschaden durchaus in abgrenzbare Teilschäden respektive

Einzelschäden unterteilbar ist, soweit es am kausalen Bezug der Schädiger-

handlung zu den von den anderen Schädigern verursachten Schäden fehlt638

:

„Die Verantwortlichkeit als Solidarschuldner wird durch die Reichweite der

ihn treffenden Haftung beschränkt. Haftet jemand von vornherein überhaupt

nicht oder nur für einen Teil des Schadens, weil sein Verhalten nicht für den

gesamten eingetretenen Schaden adäquat-kausal ist, hat er auch nicht als Soli-

darschuldner neben anderen Mitschädigern für mehr einzustehen, als er auf-

grund seiner eigenen Haftung verpflichtet ist […]. Soweit daher der einge-

klagte Schaden ausschliesslich von den Beklagten 1 und 2 verursacht worden

ist und die Beklagte 3 auch nicht zu dessen Verschlimmerung beigetragen hat,

entfällt in diesem Ausmass von vornherein ihre solidarische Mithaftung. So-

weit aber der von der Beklagten 3 verursachte Schaden sich mit dem von den

Beklagten 1 und 2 zu vertretenden überschneidet, d.h. zu dessen Vergrösse-

rung geführt hat, haftet die Beklagte 3 hierfür solidarisch mit den anderen Be-

klagten. […] Die Vorinstanz hat festgestellt, zwischen der Bautätigkeit der Be-

klagten 3 und den auf dem Grundstück der Klägerin aufgetretenen Rissschä-

den bestehe ein natürlicher Kausalzusammenhang, allerdings mit Ausnahme

der Schäden, die vom Gutachter entweder alleine der Bautätigkeit der Be-

klagten 1 oder alleine jener der Beklagten 2 zugewiesen worden sind. Trotz-

637 So auch WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 118; WECKERLE, S. 96; FELLMANN, Solidari-

sche Haftung, S. 116 f.; STARK, Entlastungsgründe, S. 64; HABLÜTZEL, S. 8. 638

BGE 127 III 257, E. 5.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

182

dem hat die Vorinstanz den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem

Verhalten der Beklagten 3 und offenbar allen entstandenen Rissschäden be-

jaht. Aus den Feststellungen und Erwägungen der Vorinstanz geht gerade

nicht schlüssig hervor, ob die Bautätigkeit der Beklagten 3 in Bezug auf den

ganzen Schaden kausal ist, für den sie schliesslich haftbar erklärt worden ist.

Die Feststellungen der Vorinstanz liefern vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass

gewisse Schäden ausschliesslich von den Beklagten 1 und 2 verursacht wor-

den sind und das Verhalten der Beklagten 3 darauf keinen Einfluss gezeitigt

hat. Es liegt die Annahme nahe, dass nur diejenigen Schäden mit der Bautätig-

keit der Beklagten 3 in kausaler Beziehung stehen, die der Experte ihrer "Ein-

flussfläche" zugewiesen hat; denn wo kein Einfluss stattfindet, ist selbstredend

keine Schadensverursachung denkbar. […]. Ergibt sich dabei, dass das Ver-

halten der Beklagten 3 nicht für den ganzen Schaden kausal war, besteht Soli-

darität von vornherein nur in entsprechend reduziertem Umfang. Insoweit er-

weist sich die Berufung der Beklagten 3 als begründet.“

Auch wenn das Bundesgericht sich in BGE 127 III 257 nicht explizit mit den

der Anspruchskonkurrenz (unechten Solidarität) zugrundeliegenden Kausa-

litäten auseinandersetzt, so bestätigt es implizit, dass bei einer Mehrzahl

Schädiger als Rechtsfolge nicht per se solidarische Haftung eintritt. Weiter

bestätigt das Bundesgericht, dass die Differenzierung zwischen echter Solida-

rität und Anspruchskonkurrenz bei der Berücksichtigung der Kausalität für

den Fall der Anspruchskonkurrenz und diesfalls beim kausalen Zusammen-

spiel der schädigenden Handlungen und dem daraus folgenden Resultat des

einheitlichen Schadens oder der mehreren Schäden ansetzen muss639

. Dabei

zeigt sich aus kausaler Sicht, dass das entscheidende Kriterium darin liegt,

dass bei komplementärer Kausalität aufgrund der „conditio sine qua non“-

Formel ein einheitlicher Teilschaden und solidarische Haftung vorliegt, bei

additiver Kausalität aufgrund der Abgrenzbarkeit der Einzelschäden jedoch

anteilsmässige Haftung. Letzteres zeigt sich gemäss Bundesgericht aufgrund

der Kriterien, „ob die Bautätigkeit der Beklagten 3 in Bezug auf den ganzen

Schaden kausal ist“ und, „dass gewisse Schäden ausschliesslich von den Be-

klagten 1 und 2 verursacht worden sind und das Verhalten der Beklagten 3

darauf keinen Einfluss gezeitigt hat“, sowie, „dass nur diejenigen Schäden

mit der Bautätigkeit der Beklagten 3 in kausaler Beziehung stehen, die der

Experte ihrer ‘Einflussfläche’ zugewiesen hat“.640

639 Denn hätten die drei Schädiger in echter Solidarität gemeinsam verschuldet zusammenge-

wirkt, hätte die Setzung je einer Teilursache für die solidarische Haftung auf den Gesamtscha-

den gereicht. 640

BGE 127 III 257, E. 5.b.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

183

III. Einzelne Komponenten einer einheitlichen Schädigung

(„einheitlicher Schaden“)

1. Allgemein

Die Konstellation von BGE 127 III 257 zeigt, dass in der Praxis vielfach die

eine einheitliche Schädigung bzw. einen „einheitlichen Schaden“ ausma-

chenden Kausalitäten nicht erkannt werden. Gerade bei von verschiedenen

Schädigern unabhängig voneinander gesetzten Teilursachen wird statt auf die

kausalen Ursachen auf die tatsächliche Nähe der Einzelschäden zueinander

geschaut und daraus der falsche Schluss gezogen, es würde ein „einheitlicher

Schaden“ vorliegen. Eine einheitliche Schädigung liegt im Bereich der An-

spruchskonkurrenz wie gesehen nur vor, wenn aus kausaler Sicht ein kom-

plementär-kausales Zusammenwirken von Teilursachen gegeben ist. In den

anderen Fällen mag es erscheinen, dass eine Gesamtschädigung vorliegt.

Diese entpuppt sich aber bei genauerem Hinsehen als eine Mehrzahl an indi-

viduell zurechenbaren Einzelschädigungen641

.

Zur Abgrenzung wird nachfolgend aufgezeigt, dass beim „Zusammentreffen“

schädigender Handlungen beim gleichen Geschädigten weder die räumliche,

noch die sachliche Nähe, noch die Ähnlichkeit in der Schadensart ein geeig-

netes Kriterium darstellt, um beim durch eine Mehrzahl von schädigenden

Ursachen verursachten Schadenseintritt ein Indiz für einen einheitlichen

Schaden darzustellen642

. Einzig eine fehlende zeitliche Nähe stellt die Zu-

rechnung schädigender Handlungen aufgrund der Versetztheit der schädigen-

den Ursachen vor Probleme. Denn bei zeitlicher Versetztheit der Teilursa-

chen können bereits abgeschlossene Schädigungen vorliegen, womit sich die

Problematik in das Feld der Folgeverletzungen (Folgeschädigungen) ver-

641 LOSER, S. 125; so auch WECKERLE, S. 91; STARK, Entlastungsgründe, S. 46.

642 WECKERLE, S. 91: „Die Tatsache, dass der Betroffene entweder zur gleichen Zeit oder am sel-

ben Ort und möglicherweise an demselben Rechtsgut geschädigt wurde, ändert nichts daran,

dass es sich um mehrere voneinander völlig unabhängige Einzelschäden handelt“; BYDLINSKI,

Haftung, S. 12, welcher zur Begründung der Rechtslage in Deutschland unter § 830 BGB,

gemäss welchem eine Schädigermehrheit (entgegen der Rechtslage in der Schweiz) auch für

unklare Kausalanteile solidarisch haftet, festhält: „Jedoch glaubt man immerhin, dass jeder,

wenn schon nicht an einer gemeinschaftlichen, so doch wenigstens an einer Handlung betei-

ligt sein müsse […]. Es ist in keiner Weise einzusehen, warum die zufällige räumliche und

zeitliche Nähe mehrerer Handlungen („Einheitlichkeit des Vorganges“) irgendeine juristische

Bedeutung haben sollte.“

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

184

schiebt, welche eng mit der Frage der Begrenzung des Kausalzusammen-

hangs (Adäquanz und Risikoerhöhungstheorie) verknüpft sind643

.

2. Teilbare Schäden auch bei räumlicher oder sachlicher Nähe der

Schädigung

Als Erstes muss weder bei übereinstimmender sachlicher, noch räumlicher

Schädigung ein einheitlicher Schaden vorliegen. Es können teilbare Einzel-

schäden vorliegen, wie folgende Beispiele zeigen:

Beispiel (fehlende räumliche und sachliche Einheit): Beschädigt Schädiger A

bei Bauarbeiten die Mauer des Geschädigten X und beschädigt Schädiger B

gleichzeitig und bei der gleichen Liegenschaft mit seinem Auto das Ein-

fahrtstor des X, liegt kein einheitlicher Schaden vor (sachlicher und räumlicher

Unterschied, unterschiedliches Objekt im Gesamtvermögen des X betroffen).

Beispiel (fehlende räumliche Einheit): Beschädigt Schädiger A bei Bauarbei-

ten die nach Westen gerichtete Hausmauer (beschädigtes Objekt: Haus) des

Geschädigten X (Rissbildung infolge veränderter Statik) und beschädigt Schä-

diger B bei gleichzeitig stattfindenden Bauarbeiten die nach Osten gerichtete

Hausmauer (beschädigtes Objekt: Haus) des Geschädigten X (Wasserschaden

aufgrund eines Rohrbruchs), liegt aus räumlicher Sicht kein einheitlicher

Schaden vor. Das gleiche gilt, wenn beide Schädiger die gleiche Mauer (bspw.

die Ostmauer, beschädigtes Objekt: Mauer) beschädigen (bspw. beide durch

Wasser oder beide durch nicht gegenseitig beeinflusste Rissbildung oder durch

unterschiedliche Gründe), die Schädigungen jedoch an verschiedenen Stellen

der gleichen Mauer auftreten und räumlich somit keine Einheit vorliegt.

Ein einheitlicher Schaden würde nur vorliegen, wenn die Schädigung (bspw.

an der Mauer) einzig durch das komplementäre Zusammenwirken der Teil-

schadensursachen entstanden wäre.

643 Vgl. zur Adäquanz und zur Risikoerhöhungstheorie vorne S. 80 ff., S. 82 ff., S. 84 ff.; vgl.

weiter ausführlich ROBERTO, Schadensrecht, S. 70 ff. und S. 94 ff.; weiter ROBERTO/GRE-

CHENIG, S. 59 ff.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

185

3. Kritischer Aspekt der zeitlichen Nähe der Teilursachen und die

Zurechnung von Folgeschäden (Folgeschädigungen)

a. Keine Probleme bei additiver Kausalität oder neuer Schädigung

Eine aus kausaler Sicht kritische Voraussetzung für das Vorliegen eines ein-

heitlichen Schadens kann in der zeitlichen Nähe der durch die Schädiger ge-

setzten Schadensursachen bestehen644

.

Beispiel (fehlende zeitliche Einheit): Beschädigt Schädiger A durch Graffitis

die Hausmauer des Geschädigten X und tut ihm dies Schädiger B Tage, Wo-

chen oder Monate später gleich, indem er an der gleichen Hauswand ein Graf-

fiti anbringt und dabei das erste Graffiti zum Teil übersprayt, ist die Einheit

des Schadens aus zeitlicher Sicht fraglich645

.

Unproblematisch ist die Situation, wenn sich die Graffitis nicht überschnei-

den (additive Kausalität), denn diesfalls liegen getrennte Schädigungen und

Einzelschäden vor. Auch wenn der Geschädigte die Mauer in der Zwischen-

zeit saniert hat und der zweite Schädiger an der gleichen Stelle sprayt, liegen

zwei getrennte Schädigungen vor, denn die Kausalketten hatten nie die Mög-

lichkeit, sich in komplementär-kausaler Weise zu verbinden.

b. Zeitlich versetzte, komplementäre Verursachung unter

Schädigern und die Frage der Zurechnung von

Folgeschädigungen

i. Allgemein

Probleme bei der Zurechnung können sich allerdings ergeben, wenn sich bei

den beiden unabhängig verursachten und zeitlich klar versetzten, schädigen-

den Handlungen die Kausalketten aufgrund von komplementär-kausalen

Verursacheranteilen vereinigen und so eine (zusätzliche) Schädigung erst

entsteht, respektive ein bereits entstandener Schaden komplementär-kausal

vergrössert wird, weil der zweite Schädiger eine zweite Teilursache gesetzt

hat.

In diesen Konstellationen stellt die zeitliche Versetzung ein spezielles Prob-

lem dar. An sich hat Schädiger A im zuvor erwähnten Graffiti-Beispiel einen

abgeschlossenen Schaden verursacht, für welchen der Geschädigte bereits

644 BYDLINSKI, Haftung, S. 12.

645 Vgl. dazu auch vorne S. 91 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

186

hätte Schadenersatz verlangen können. Sicherlich ist die schädigende Hand-

lung und damit die Schädigung abgeschlossen, wenn der Geschädigte die

Mauer zwischenzeitlich saniert hat646

. Hätte er zur Sanierung die Möglichkeit

gehabt, liegt allenfalls eine Verletzung der Schadenvermeidungspflicht vor.

Steht nun die vom zweiten Schädiger gesetzte Schadensursache teilweise

oder ganz in komplementärer Kausalität zum erstgesetzten Schadenanteil

(bspw. übersprayt der zweite Schädiger das Werk des ersten, wodurch sich

die Fläche aufgrund der Vermischung der unterschiedlichen verwendeten

Farben nur viel schwerer wieder reinigen lässt), ergibt sich aus kausaler Sicht

einerseits, dass ein Teil oder eben der ganze Schaden nur durch die sich ge-

genseitig bedingenden Kausalketten entstehen konnte. Andererseits ist aus

Sicht des ersten Schädigers auch klar, dass er einen abgeschlossenen Schaden

verursacht hat.

Bei diesen Konstellationen mit zeitlich versetzten Teilursachen, bei welchen

die Teilursache des Erstschädigers bereits einen Schaden bewirkt hat, stellt

die komplementär-kausale Teilursache des Zweitschädiger typischerweise

eine m.E. im Bereich der Haftungsbegründung (haftungsbegründende Kau-

salität) anzusiedelnde Folgeschädigung oder Folgeverletzung dar647

.

Lehrbuchbeispiel648

: Autofahrer A. fährt den Fussgänger F. an, welcher sich

das Bein bricht. Beim nachfolgenden Spitalaufenthalt infiziert sich der Ge-

schädigte mit einem multiresistenten Keim und stirbt an den Folgen der Infek-

646 Ist dies nicht der Fall und setzt Schädiger B zeitlich versetzt eine neue Schadensursache, ist zu

unterschieden, ob die zweite Schädigung in additiver oder komplementärer Kausalität zur ers-

ten Schädigung entstanden ist. Lassen sich die zeitlich versetzt und additiv-kausal zugefügten

Schädigungen klar unterscheiden (bspw. vergrössert der zweite Sprayer das bereits bestehende

Werk nur flächenmässig), ist wie zuvor erwähnt ohnehin keine einheitliche Schädigung gege-

ben und jeder Schädiger haftet anteilsmässig respektive für den vom ihm verursachten Einzel-

schaden. 647

Vgl. zur Folgeschädigung schon vorne, S. 80 ff. und insbesondere S. 82; vgl. ROBERTO, Haft-

pflichtrecht, N 214 f., N 255; WEBER, Reduktion, S. 112 ff.; REY, N 522; OFTINGER/STARK,

§ 3 N 20, N 103 ff.; gemeint ist eine Folgeschädigung i.S. einer neuen, zusätzlichen oder den

ursprünglichen Schaden vergrössernden Schädigung, für welche in der Grundkonstellation das

Setzen einer zeitlich versetzten Teilursache notwendig war; nicht gemeint ist in diesem Zu-

sammenhang eine Schadensfolge (Folgekosten, auch mittelbarer oder indirekter Schaden),

welche direkt und ohne weitere, äussere Teilursache basierend auf der Erstschädigung entsteht

(bspw. Erwerbsausfall oder entgangener Gewinn), vgl. hierzu REY, N 333 ff.; ROBERTO,

Haftpflichtrecht, N 696. 648

Es lassen sich diesbezüglich beliebig komplexe Beispiele finden, bei welchen mit zunehmen-

der Komplexität auch die Beweisprobleme steigen; vgl. zu den Beweisproblemen (unklare

Kausalität) hinten S. 198 ff.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

187

tion. (Alternativ: Ein ärztlicher Kunstfehler führt zum Verlust des Beins und

zu Invalidität.)

Die beiden Schädiger stehen aus ihrem jeweiligen Blickwinkel betreffend die

Gesamtschädigung in einem Spannungsverhältnis. Aus der jeweiligen Sicht

des ersten und zweiten Schädigers stellt sich je die Frage, wie weit ihnen die

Erstschädigung bzw. die Folgeschädigung je zuzurechnen ist und daraus fol-

gend die Frage, wie weit eine Haftung in Anspruchskonkurrenz geht649

.

Aus übergeordneter Betrachtung stellt die hinzutretende Zweitteilursache ein

hinzutretendes Drittverschulden dar. Zwar herrscht in der Lehre und Recht-

sprechung die Ansicht vor, dass ein Drittverschulden in der Regel zu solidari-

scher Haftung führt und nicht etwa als Reduktionsgrund für den Erstschädi-

ger gilt650

. Dies berücksichtigt jedoch nicht die zeitliche Versetztheit der Teil-

ursachen bzw. die Problematik der Folgeschäden, welche gerade ein Problem

der Begrenzung des natürlichen Kausalzusammenhangs (durch die Adäquanz

oder die Risikoerhöhungstheorie) darstellen651

. Es stellt sich somit bei Folge-

verletzungen die berechtigte Frage, wie weit einem Schädiger die vorange-

hende oder die nachfolgende Schädigung noch zuzurechnen ist (Problem der

Begrenzung der natürlichen Kausalität; entfernter Kausalzusammenhang)652

.

Begründet werden kann dies auch mit einem Vergleich der analogen Situa-

tion der Verletzung der Schadenvermeidungspflicht durch den Geschädigten.

Wenn ein Schädiger eine Schädigung verursacht, die „von sich aus“ grosse

Folgen oder Folgeschäden zeitigt, dann sind diese dem Schädiger im Grund-

satz zuzurechnen, denn diese Folgen sind Resultat der schädigenden Hand-

649 Dies ist einerseits eine Frage der Begrenzung des natürlichen Kausalzusammenhangs, welcher

wie zuvor erläutert durch die Adäquanz oder gemäss Risikoerhöhungstheorie zu beschränken

ist, vgl. dazu vorne S. 78 ff.; andererseits stellt sich die Frage inwiefern zwischen den Schädi-

gern, welche kein gemeinsames Verschulden und keine gemeinsame Verursachung trifft, eine

gemeinsame Haftung in Anspruchskonkurrenz besteht. 650

Vgl. die Darstellung bei ROBERTO, Schadensrecht, S. 74 und S. 280; BREHM, BK-OR, N 87

zu Art. 43 OR; vgl. auch S. 106 ff. und S. 146 ff. 651

Vgl. dazu OFTINGER/STARK, § 3 N 103 ff.; ROBERTO/GRECHENIG, S. 62 ff.; vgl. zur Adä-

quanz und Risikoerhöhungstheorie vorne S. 78 ff. 652

Vgl. dazu vorne S. 80 ff.; vgl. weiter OFTINGER/STARK, § 3 N 103 ff.; REY, N 540, N 549 f.;

BREHM, BK-OR, N 128 zu Art. 41 OR, welcher darauf hinweist, dass aufgrund der Proble-

matik, dass der Kausalzusammenhang nur entweder adäquat oder inadäquat sein kann, es also

keine Teiladäquanz geben könne, ein schwacher oder entfernter Kausalzusammenhang in der

Praxis zu einer Haftungsreduktion über die Schadenersatzbemessung gemäss Art. 43 OR

führe.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

188

lung653

. Wenn nun aber den Geschädigten ein Selbstverschulden trifft oder er

später eine eigene Teilursache in Verletzung der Schadenvermeidungspflicht

setzt, dann wird der seinem Verantwortungsbereich zufallende Erfolg ihm

zugerechnet bzw. entfällt eine Haftung mit Ausnahme des ohnehin entstan-

denen Teilschadens654

. Hat nun der Erstschädiger eine abgeschlossene Schä-

digung verursacht, für welche er an sich schon haften würde, so stellt eine

Folgeschädigung, bei welcher ein Dritter beteiligt ist, nur insofern ein dem

Erstschädiger zurechenbarer Schaden dar, als der Folgeschaden bezogen auf

die von ihm verursachte Erstschädigung noch als adäquat-kausal oder als das

Lebensrisiko erhöhend erscheint655

.

Anzumerken ist, dass die zeitversetzt hinzutretende Teilursache nicht nur

durch einen Dritten, sondern ausschliesslich oder zur von Dritten gesetzten

Teilursache hinkommend auch durch den „Zufall“656

oder den Geschädigten

selbst (Selbstverschulden bzw. Verletzung der Schadenminderungs- oder

Schadenvermeidungspflicht)657

gesetzt werden kann, was zu einem zusätzli-

chen Einbezug der jeweils dafür geltenden Haftungs-, Zurechnungs- und Re-

duktionskriterien führt.

Es stellt sich nachfolgend die Frage, wie die genannte Grundkonstellation mit

zwei Schädigern, welche zeitversetzt und in komplementärer Kausalität ihre

Teilursache setzen (Folgeschädigung), gegenüber dem Geschädigten zu

handhaben ist.

ii. Anspruchskonkurrenz

Da die Schädiger nicht verschuldet zusammengewirkt haben, liegt kein Fall

von echter Solidarität vor, sondern lediglich ein Fall der Anspruchskonkur-

renz658

. Die Schädiger haften somit aufgrund des fehlenden gemeinsamen

653 Allenfalls ist eine Reduktion über Art. 43 oder Art. 44 Abs. 2 OR denkbar, vgl. ROBERTO,

Haftpflichtrecht, N 894 ff., N 904 ff.; WEBER, Reduktion, S. 116 ff. 654

Vgl. vorne S. 119 ff. sowie S. 130 ff. und insbesondere S. 140 ff. 655

Die Begrenzung folgt also über die Adäquanz bzw. Risikoerhöhung, vgl. ROBERTO, Haft-

pflichtrecht, N 211 ff., WEBER, Reduktion, S. 112 ff., und nicht wie zuvor gerade erwähnt

über Art. 43 OR (welche den geschuldeten Schadenersatz aufgrund einer geringen Verschul-

densintensität aus Billigkeitsgründen reduziert), vgl. vorne S. 116 ff. 656

Vgl. dazu vorne, S. 143 ff. 657

Vgl. dazu betreffend zeitversetzte Teilursachen gleich anschliessend S. 191 ff. sowie allge-

mein S. 119 ff., S. 130 ff., S. 138 ff., S. 146, S. 156, S. 162 und S. 164 ff. 658

Vgl. vorne S. 68 ff. und S. 71 ff.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

189

Verschuldens und der fehlenden gemeinsamen Verursachung aufgrund kau-

saler Zurechnung. Weiter können sich die Schädiger somit nach der hier ver-

tretenen Ansicht individuell auf Reduktionsgründe berufen659

.

iii. Zurechnung über die Kausalität?

Zuerst stellt sich die Frage, ob eine Zurechnung über die Kausalität möglich

ist. Es liesse sich aus Sicht des ersten Schädigers argumentieren, dass er ei-

nen abgeschlossenen und bezifferbaren Schaden verursacht hat660

. Daraus

folgt die Frage, ob eine anteilsmässige Haftung gerechtfertigt ist, oder ob die

Schädiger dennoch in Anspruchskonkurrenz stehen und eine allfällige Re-

duktion über die Schadenersatzbemessung erfolgt.

Es ist zu beachten, dass die zeitliche Versetztheit der Teilursachen der Schä-

diger eine ähnliche Konstellation darstellt wie die Problematik der unterlas-

senen Schadensvermeidung oder Schadensminderung durch den Geschädig-

ten. Der Unterschied besteht darin, dass die zeitlich versetzte Teilursache

nicht durch den Geschädigten, sondern einen Dritten gesetzt wurde, so dass

der Geschädigte in der vorliegenden Konstellation grundsätzlich nicht kom-

plementär-kausal an der Schädigung beteiligt ist. Somit ist eine anteilsmäs-

sige Haftung grundsätzlich nicht gerechtfertigt, denn im Aussenverhältnis

führt ein hinzutretendes Drittverschulden mit Ausnahme der Unterbrechung

der Adäquanz grundsätzlich zu Anspruchskonkurrenz661

. Der Erstschädiger

kann gegebenenfalls den Reduktiongrund der geringen Verschuldensintensi-

tät gemäss Art. 43 Abs. 1 OR geltend machen oder aber den Ausgleich im

Innenverhältnis suchen662

.

Weiter ist aber betreffend die Verletzung der Schadenvermeidungspflicht zu

berücksichtigen, dass mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen den

komplementär-kausalen Teilursachen die Obliegenheit des Geschädigte zu-

nimmt, den Zustand einer grösseren Schadensanfälligkeit eines seiner

Rechtsgüter zu beheben, da er sonst aufgrund der verletzten Schadenminde-

rungspflicht selbst für den Schaden verantwortlich wird663

.

659 Vgl. dazu vorne S. 154 ff.

660 Falls der Beweis der Kausalität scheitert, liegt alternative (unklare) Teilursachenkausalität vor,

vgl. dazu hinten S. 198 ff., S. 213 ff. und S. 231 ff. 661

Zur Unterbrechung der Adäquanz vgl. gleich anschliessend. 662

Vgl. BREHM, BK-OR, N 128 zu Art. 41 OR; vgl. weiter S. 116 ff. und S. 146 ff. 663

Vgl. zur Schadenvermeidungspflicht vorne S. 130 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

190

Da die Schädiger in komplementär-kausaler Teilursachenkonkurrenz stehen,

kann eine Zurechnung nicht über den natürlichen Kausalzusammenhang er-

folgen. Die weit entfernten Schadensfolgen, für welche eine Haftung des ei-

nen Schädiger „inadäquat“ erscheinen könnte, sind über die haftungsbegren-

zenden Institute der Adäquanz und der Risikoerhöhungstheorie vorzuneh-

men664

.

iv. Unterbrechungsgrund665

Tritt die Teilursache des zweiten Schädigers in einer Weise hinzu, dass sie

„einen derart hohen Wirkungsgrad (Intensität) aufweist, dass die an sich adä-

quate Ursache nach wertender Betrachtungsweise als rechtlich nicht mehr be-

achtlich erscheint“666

, fällt die Haftung des ersten Schädigers weg, da seine

Teilursache in den Hintergrund gedrängt wird. Denn die Haftung ist sowohl

bei einem einzelnen Schädiger als auch bei in Anspruchskonkurrenz stehen-

den Schädigern durch die Reichweite des adäquaten Kausalzusammenhangs

beschränkt667

. Zwar stehen die Kausalketten in einem Bedingungsverhältnis

und sind durch einen adäquaten Kausalzusammenhang mit der eintretenden

einheitlichen Schädigung, dem Gesamterfolg verknüpft. Aufgrund der Inten-

sität der zweiten Teilursache steht nur noch diese zum Gesamterfolg in einer

adäquat-kausalen Beziehung. Die Adäquanz zur anderen Kausalkette ist un-

terbrochen. Um den adäquaten Kausalzusammenhang zu unterbrechen, reicht

es wie gesehen nicht aus, dass das Verschulden des Geschädigten jenes des

Schädigers übersteigt bzw. dass die Ursache unvorhersehbar war. Es braucht

in der Regel vielmehr ein schweres Verschulden des Dritten668

.

664 So auch ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 211 ff. und N 255; vgl. auch BREHM, BK-OR, N 26 zu

Art. 51 OR. 665

Vgl. dazu vorne S. 110 ff. 666

BGE 130 III 182, E. 5.4; REY, N 552; KELLER, S. 83 ff.; OFTINGER/STARK, § 3 N 138. 667

BREHM, BK-OR, N 25 f. zu Art. 51 OR; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 550; REY, N 560 ff. 668

BGE 116 II 519, E. 4.b: „Das Verhalten des Geschädigten oder eines Dritten vermag im Nor-

malfall den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Schaden und Verhalten des Schädigers

nicht zu beseitigen, selbst wenn das Verschulden des Geschädigten oder des Dritten dasjenige

des Schädigers übersteigt […]. Auch wenn neben die erste Ursache andere treten und die

Erstursache in den Hintergrund drängen, bleibt sie adäquat kausal, solange sie im Rahmen des

Geschehens noch als erheblich zu betrachten ist, solange nicht eine Zusatzursache derart aus-

serhalb des normalen Geschehens liegt, derart unsinnig ist, dass damit nicht zu rechnen war

[…]. Entscheidend ist die Intensität der beiden Kausalzusammenhänge; erscheint der eine bei

wertender Betrachtung als derart intensiv, dass er den andern gleichsam verdrängt und als un-

bedeutend erscheinen lässt, wird eine sogenannte Unterbrechung des andern angenommen“;

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

191

v. Reduktionsgrund (Art. 43 OR)

Liegt kein Unterbrechungsgrund vor, führt das Hinzutreten einer Teilursache

eines Drittschädigers wie gesehen zur Anspruchskonkurrenz und somit nach

der hier vertretenen Ansicht dazu, dass der Schädiger im Aussenverhältnis

individuelle Reduktionsgründe geltend machen kann669

. Denn wie gesehen

sind bei der Anspruchskonkurrenz die zugrundeliegenden Kausalitäten zu

beachten und jeder Schädiger gilt nach dem Grundsatz der anteilsmässigen

Haftung als Einzelschädiger670

.

c. Zeitlich versetzte, komplementäre Verursachung, die

Mitbeteiligung des Geschädigten und die Frage der Zurechnung

von Folgeschädigungen

i. Allgemein

Ausgehend von den gerade geschilderten Konstellationen671

mit zeitlich ver-

setzten und komplementär-kausalen Teilursachen wird nun darauf aufbauend

auf Konstellationen eingegangen, bei welchen neben den Schädigern auch

der Geschädigte eine (zeitlich versetzte) Teilursache setzt. Ein Beispiel er-

hellt die Problematik:

Beispiel (fehlende zeitliche Einheit bei komplementärer Kausalität): Schädiger

A beschädigt bei Bauarbeiten das Haus des Geschädigten X (Rissbildung an

der Westwand sowie fortlaufend an der Nordwand durch veränderte Statik). X

unterlässt es in der Folge, das Haus zu sanieren. Zwei Jahre später schädigt

auch Schädiger B bei Bauarbeiten das Haus des X. Aufgrund veränderter Sta-

tik entstehen in additiver Kausalität neue Risse an der Ostwand sowie fortlau-

fend an der Nordwand. Zudem stürzt aufgrund komplementärer Kausalanteile

an der Stelle, wo die Risse zusammentreffen ein Teil der Nordmauer ein.

Aus kausaler Sicht ist neben den schädigenden Handlungen der beiden Schä-

diger auch die unterlassene Sanierung des Gebäudes komplementär-kausal

für einen Teil der Schädigung. Wiederum stellt sich die Frage, wie sich die

Zurechnung für die beiden Schädiger für den komplementär-kausal verur-

vgl. auch die Ausführungen bei BREHM, BK-OR, N 138 ff. zu Art. 41 OR, m.w.H.; REY,

N 569 ff. 669

Vgl. zur Reduktion aufgrund von Art. 43 OR vorne S. 116 ff. sowie 149 ff. 670

So auch WEBER, Reduktion, S. 136 f.; vgl. die Ausführungen zur Anspruchskonkurrenz sowie

zum Grundsatz der anteilsmässigen Haftung vorne S. 67 ff. 671

Vgl. S. 185 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

192

sachten Schadensanteil gestaltet. Weiter stellen sich auch die Fragen, wie

sich dies auf die kausale Zurechnung der Schadensanteile bzw. die Haftung

der Schädiger auswirkt, ob allenfalls der adäquate Kausalzusammenhang

unterbrochen wurde sowie, ob die Schädiger je persönliche Herabsetzungs-

gründe geltend machen können.

ii. Anspruchskonkurrenz

Wie im Kapitel zur komplementären Kausalität festgestellt672

, ist die An-

spruchskonkurrenz grundsätzlich die korrekte Lösung für eine durch zwei

unabhängig handelnde Schädiger herbeigeführte Schädigung. Da die Schädi-

ger nicht verschuldet zusammengewirkt haben, liegt kein Fall von echter So-

lidarität vor, sondern lediglich ein Fall der Anspruchskonkurrenz. Die Schä-

diger können sich somit nach der hier vertretenen Ansicht individuell auf Re-

duktionsgründe berufen673

.

iii. Unterbrechungsgrund

Eine Unterbrechung der rechtlich relevanten Kausalität ist ab Hinzutreten der

Teilursache des Geschädigten denkbar. Diese Teilursache allein hat aber

noch nicht zu einem weiteren Schaden geführt, sondern bloss zu einer grösse-

ren Schadensanfälligkeit. Erst das Hinzutreten der komplementär-kausalen

Teilursache des zweiten Schädigers führte zum Schadenserfolg. Aus Sicht

des ersten Schädigers sind somit allenfalls die komplementär-kausal zusam-

menwirkenden Schadensursachen des Geschädigten und des Zweitschädigers

als Unterbrechungsgrund einzuschätzen. In dieser Konstellation wäre dem

Erstschädiger die komplementär-kausal verursachte Schädigung nicht zuzu-

rechnen.

iv. Reduktion aufgrund von Art. 44 Abs. 1 OR und die Pflicht zur

Schadensvermeidung

In der vorliegenden Konstellation kommt aber zweierlei hinzu. Zum einen

hat der erste Schädiger bereits einen in sich geschlossenen und klar beziffer-

baren Schaden verursacht. Zum anderen hat es der Geschädigte unterlassen,

diesen Schaden zu beheben, womit er für den zweiten Schädiger auch eine

Grundlage geschaffen hat, seinen Schadensanteil in komplementärer Teilur-

672 Vgl. dazu vorne S. 95 ff.

673 Vgl. dazu vorne S. 154 ff.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

193

sache zu setzen. Somit hat auch der Geschädigte selbst einen kausalen Bei-

trag geleistet, ohne den sich der Gesamtschaden nicht verwirklicht hätte. Das

im gerade gezeigten Beispiel erwähnte Haus wäre durch eine rechtzeitige Sa-

nierung weniger schadensanfällig gewesen, womit der Teileinsturz hätte ver-

hindert werden können. Dieser kausale Beitrag des Geschädigten ist unter

dem Aspekt der Schadensvermeidung674

bzw. unter dem Aspekt des dem

Verantwortungsbereich des Geschädigten zurechenbaren Selbstverschul-

dens675

gemäss Art. 44 Abs. 1 OR zu würdigen. Zu beachten ist, dass die Ver-

letzung der Schadenvermeidungspflicht aus Sicht beider Schädiger je in

komplementär-kausalem Zusammenspiel mit der schädigenden Teilursache

des anderen Schädigers erfolgt.

v. Zurechnung über die Kausalität

Wiederum stellt sich die Frage, ob die Problematik der Zeitversetztheit der

Teilursachen und der Entferntheit der Kausalität über die kausale Zurechnung

gelöst werden kann.

Für den ersten Schädiger liesse sich argumentieren, dass ihm nur jener Scha-

densteil zugerechnet wird, welchen er unabhängig, abschliessend und bezif-

ferbar verursacht hat. Denn tatsächlich war die von ihm gesetzte Teilursache

vorerst eine Gesamtursache. Zu beachten ist aber weiter, dass die Schädiger

ohne das schädigende Zutun des Geschädigten in Anspruchskonkurrenz ste-

hen würden, wobei sich bloss die Fragen stellten, ob dem Verhalten des

zweiten Schädigers unterbrechende Wirkung innewohnen würde, sowie ob

sich die Schädiger gegebenenfalls auf den Reduktionsgrund der geringen

Verschuldensintensität gemäss Art. 43 OR berufen könnten.

Der zweite Schädiger hat durch seine komplementär-kausale Ursache den

Schadenserfolg eintreten lassen. Aus seiner Sicht ist aber zu bemerken, dass

dies nur aufgrund einer Verletzung der Schadenvermeidungspflicht des Ge-

schädigten möglich war bzw. zumindest aufgrund eines mitwirkenden

Selbstverschuldens.

Die Teilursache des Geschädigten ist somit je nachdem, welche Wirkung ihr

zuzuschreiben ist, unter dem Aspekt der Schadensvermeidung oder des mit-

wirkenden Selbstverschuldens zu würdigen. Bei einer Verletzung der Scha-

674 Vgl. zur Schadensvermeidung vorne S. 130 ff.

675 Vgl. zum Reduktionsgrund des Selbstverschuldens vorne S. 119 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

194

denvermeidungspflicht wäre die Folge, dass beiden Schädigern nur je jene

Teilschäden zugerechnet würden, welche sie ohne schädigende Teilursache

des Geschädigten verursacht hätten. Beide Schädiger könnten überdies

gleichzeitig mit einer Unterbrechung der rechtlich relevanten Kausalität ar-

gumentieren. Zudem könnte sich jeder Schädiger auf die fehlende Adäquanz

seiner Teilursache bzw. das nicht erhöhte Lebensrisiko gemäss der Risikoer-

höhungstheorie berufen. Zuletzt können die Schädiger auch individuell Re-

duktionsgründe gemäss Art. 43 Abs. 1 OR geltend machen.

4. Teilbare Schäden auch bei gleicher Schadensart

Als letzter Aspekt zeigt sich sodann, dass die gleiche Schadensart oder die

Schadensähnlichkeit (i.S. eines gleichartigen/ähnlichen Erscheinungsbildes

zweier oder mehrerer Einzelschäden) keine geeigneten Kriterien darstellen,

um auf einen einheitlichen Schaden schliessen zu können. Denn im Grund-

satz ist die Problematik zu beachten, dass sich der menschliche Verstand

(„das menschliche Auge“) bei der Betrachtung der beschädigten Sache(n) bei

der Frage, ob ein einheitlicher Schaden oder eben mehrere unabhängige Ein-

zelschäden vorliegen, von der tatsächlichen Unterscheidbarkeit von Teilschä-

den oder der „Nichtunterscheidbarkeit“ von scheinbaren Gesamtschäden täu-

schen lässt. Relevant ist auch immer der Abstraktionsgrad in der Betrachtung,

ob ein Schaden noch als ein Schaden respektive als ein einheitlicher Schaden

erscheint, oder ob von zwei oder mehr Schäden bei einem Geschädigten ge-

sprochen werden muss. Es stellt sich für die Schädigungsdefinition die Frage,

welche Masseinheit für die Schädigung herangezogen wird. Wurde die Schä-

digung am Gesamteigentum des Geschädigten oder an einem Objekt in sei-

nem Eigentum (Haus) verübt oder lässt sich das Objekt noch aufteilen

(Mauer, Bausubstanz der Mauer, Oberfläche der Mauer)?

Beispiel (fehlende Einheit der Schadensart bei vorhandener sachlicher, räumli-

cher und zeitlicher Übereinstimmung): Beschädigt Schädiger A bei Bauarbei-

ten das Haus des Geschädigten X (Rissbildung an der Westmauer) und be-

schädigt Schädiger B unabhängig davon sowie gleichzeitig die gleiche Mauer

durch Graffitisprayereien, liegt keine einheitliche Schädigung vor und die

Schädiger haften für die von ihnen je verursachte Schäden.

Niemand käme auf die Idee, in dieser Konstellation eine solidarische Haftung

anzunehmen, obwohl in diesem Beispiel in sachlicher (in den vorangehenden

Beispielen wurde als Unterscheidungseinheit (Masseinheit) das Objekt

„Mauer“ verwendet), räumlicher und zeitlicher Hinsicht ein „einheitlicher“

Schaden vorliegt. Das Objekt „Mauer“ lässt sich schlicht in kleinere Einhei-

Page 233: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

195

ten aufteilen: Einmal ist die Substanz der Mauer beschädigt, das andere Mal

die Oberfläche der Mauer verunstaltet. Zudem besteht zwischen den Schädi-

gungen kein ersichtlicher Zusammenhang, sie wurden in additiv-kausaler

Weise verursacht und sie lassen sich in jeder Hinsicht einfach trennen und

beziffern.

Beispiel (gleiche Schadensart bei vorhandener sachlicher, räumlicher und

zeitlicher Übereinstimmung): Beschädigt Schädiger A bei Bauarbeiten das

Haus des Geschädigten X (Rissbildung an der Westmauer) und beschädigt

Schädiger B unabhängig davon sowie gleichzeitig die gleiche Mauer durch

Bauarbeiten (Rissbildung, additiv-kausal, ohne komplementär-kausalen An-

teil), liegt keine einheitliche Schädigung vor und die Schädiger haften für die

von ihnen je verursachte Schäden.

Dieses letzte Beispiel führt die Problematik plastisch vor Augen. Alle Vor-

aussetzungen für einen einheitlichen Schaden sind scheinbar erfüllt, es liegt

dennoch kein einheitlicher Schaden im Sinne des Gesetzes vor. Auch wenn

beide unabhängig verursachten Schädigungen zu Rissbildungen führen, wur-

den sie (im Beispiel) in additiv-kausaler Weise verursacht und führen daher

nicht zu einem einheitlichen Schaden im Sinne des Gesetzes (Art. 51 OR).

IV. Fazit

1. Zurechnung durch kausale Betrachtungsweise

Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass bei der Herbeiführung

einer Schädigung durch eine Mehrzahl von Schädigern, welche jedoch unab-

hängig voneinander handeln, die Zurechnung der schädigenden Handlungen

zu einem Teilschaden nur über eine kausale Betrachtungsweise erfolgen

kann. Zudem hat sich gezeigt, dass nur über eine kausale Betrachtungsweise

bestimmt werden kann, ob ein „einheitlicher Schaden“ vorliegt.

Aus Sicht des Geschädigten erscheinen die ihm gesamthaft zugefügten Schä-

digungen unabhängig davon, ob sie durch einen oder mehrere Schädiger zu-

gefügt wurden, als „ein Gesamtschaden“, welcher sich anhand der Diffe-

renztheorie als Schaden ausdrücken lässt. Da eine Mehrheit von Schädigern

in Anspruchskonkurrenz steht, ist aus Sicht des einzelnen Schädigers bei der

Zurechnung der schädigenden Teilursachen aber auf die kausalen Verursa-

cheranteile abzustellen. Denn der Schädiger ist Einzelschädiger und haftet im

Grundsatz anteilsmässig; ein „Solidaritätseffekt besteht einzig bis zur Höhe

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

196

der kleinsten Ersatzforderung“676

. Aufgrund des Umstandes, dass der Schädi-

ger Einzelschädiger ist, müssen ihm die schädigenden Handlungen einzeln

zugerechnet werden. Aus diesen einzeln zugerechneten Teilursachen ergeben

sich einzeln zugerechnete Teilschädigungen aufgrund derer dann einzelne

Teilschäden berechnet werden. Zu berücksichtigen sind zudem die Reduk-

tionsgründe gemäss Art. 43 f. OR im Rahmen der Schadenersatzberechnung.

Zeitlich versetzte Teilursachen führen dazu, dass für Folgeschädigungen zu-

sätzlich die Aspekte der Entferntheit bzw. der Unterbrechung der rechtlich

relevanten Kausalität und der Verletzung der Schadensvermeidungspflicht zu

berücksichtigen sind. Eine Schädigung („ein Schaden“) mag aufgrund des Er-

scheinungsbildes als „einheitlicher Schaden“ erscheinen. Doch dies ändert

nichts daran, dass aus kausaler Sicht getrennte Schädigungen vorliegen, wel-

che auch getrennt zu behandeln und zuzurechnen sind677

.

2. Ein einheitlicher Schaden im Sinne von Art. 50 OR und Art. 51

OR

Ein einheitlicher oder „derselbe“ Schaden kann nur vorliegen, wenn die

Schädiger den Schaden entweder gemeinsam verschuldet verursacht haben

(echte Solidarität gemäss Art. 50 OR; Zurechnung über das Verschulden)

oder aber wenn der Schaden im Bereich der Anspruchskonkurrenz gemäss

Art. 51 OR in komplementärer Kausalität entstanden ist, wenn also jede Teil-

ursache conditio sine qua non für den Schaden ist. Denn nur wenn sich der

Schaden nicht in seine kausalen Einzelteile zerlegen lässt – und dies wäre bei

der additiven Kausalität möglich –, kann von einem einheitlichen Schaden

gesprochen werden678

. Somit ist unter der Formulierung „Haften mehrere

Personen aus verschiedenen Rechtsgründen […] dem Verletzten für densel-

ben Schaden, […]“ in Art. 51 OR die Schädigung durch eine nicht zusam-

menwirkende Mehrzahl an Schädigern in komplementär-kausaler Schadens-

verursachung gemeint.

Natürlich ist bei Mischformen der Kausalität ein einheitlicher Schaden als

Teil des Gesamtschadens denkbar und wird in der Realität oft vorkommen.

676 WEBER, einheitliche Lösung, S. 353.

677 So implizit auch BGE 127 III 257, E. 4.b.bb. sowie E. 5.a; WEBER, Kausalität und Solidarität,

S. 123 f.; WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 ff., S. 251 ff. 678

BGE 127 III 257, E. 4.b.bb. sowie E. 5.a; STARK, Entlastungsgründe, S. 50; WEBER, Kausali-

tät und Solidarität, S. 118, vgl. OFTINGER/STARK, § 3 N 79 ff. sowie HABLÜTZEL, S. 8; vgl.

auch HOFFMANN-NOWOTNY, S. 430.

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§ 15 Zurechnung schädigender Handlungen und einheitliche Schädigung

197

Dies ist dann der Fall, wenn Teile des Schadens komplementär-kausal und

Teile des Schadens additiv-kausal verursacht wurden.

3. Beweisschwierigkeiten?

Die korrekte Anerkennung der Zurechnung schädigender Teilursachen auf-

grund der Kausalität führt aus Sicht des Geschädigten zum neuen Problem,

dass er den Schädigern die von ihnen zu vertretenen Teilursachen bzw. den

Kausalzusammenhang zwischen Teilursache und verursachtem Teilerfolg

beweisen muss.

Es ist nicht bereits aufgrund der Schwierigkeit zu bestimmen, wer welche

Schädigungen verursacht hat (Beweisschwierigkeiten; unklare Kausalan-

teile), gerechtfertigt, einen Schädiger für einen Schaden haften zu lassen, den

er nicht verursacht hat. Denn eine Haftung auf den ganzen Schaden ist nur

bei gemeinsamem Verschulden oder mit Einschränkungen bei komplementä-

rer Schadensverursachung gerechtfertigt. Die Erfüllungsmodalität der solida-

rischen Haftung soll nur greifen, wenn auch deren Voraussetzungen erfüllt

sind679

.

Grundsätzlich hat der Geschädigte die Schädigung respektive deren Anteile

zu beweisen, mit der Folge, dass die nicht zusammenwirkenden Schädiger

bei komplementärer Schadensverursachung auf den ganzen komplementär-

kausalen Schadensteil, bei additiv-kausaler Schädigung je für ihren Einzel-

schaden haften. Wie mit der Problematik der unklaren Kausalanteile und den

damit zusammenhängenden Beweisproblemen umzugehen ist, wird Thema

des nächsten Kapitels sein680

.

679 Vgl. zur Solidarität als Erfüllungsmodalität vorne, S. 67 ff.; vgl. weiter KRAMER, Multikau-

sale Schäden, S. 64 f., 96; WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 120 f. 680

Vgl. zur Frage der Beweisprobleme bei unklarer Kausalität hinten S. 198 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

198

§ 16 Alternative/unklare kausale Gesamt- und

Teilursachen respektive der Kausalzweifel sowie

die gemischte Kausalität

A. Einleitung

I. Ausgangslage

Wenn es in der Realität zu Schadenskonstellationen mit einer Mehrzahl an

Schädigern kommt, lassen sich die Kausalketten zwischen den einzelnen

schädigenden Handlungen und dem Verletzungserfolg kaum je einheitlich ei-

ner Kausalitätsart zuordnen. Vielmehr werden die kausalen Anteile an der

Schädigung auf verschiedenen Kausalitätsformen basieren, bspw. fusst ein

Teil des Schadens auf additiver Kausalität, ein anderer Teil wird im Zusam-

menspiel zwischen den Handlungen zweier Schädiger komplementär verur-

sacht, bei einem dritten Schadensteil trifft den Geschädigten selbst eine Mit-

verantwortung. Solch komplexe Kausalkonstellationen können beispielsweise

bei Umweltschädigungen vorliegen, weiter bei Unfällen im Strassenverkehr,

im Extremfall Massenkarambolagen, bei Körperverletzungen aufgrund einer

Schlägerei oder bei Bauschäden, wie sie BGE 127 III 257 zugrunde liegen.

Hier spielt die Wirklichkeit allen theoretischen Kausalüberlegungen einen

Streich, die Kausalitäten sind zwar vorhanden, sie lassen sich aber nur sehr

schwierig oder gar nicht mehr bestimmen. Diese Konstellationen werden im

Haftpflichtrecht unter dem Begriff der alternativen Kausalität, der unklaren

oder unsicheren Kausalität oder den Kausalzweifeln behandelt.

II. Vorgehen

Auf genannte Konstellationen der unklaren Kausalität wird nun abschliessend

eingegangen. Dabei werden zuerst einige Grundlagen zur alternativen Kausa-

lität dargelegt, was Begriffsbestimmung, Konstellationen, Beispiele und kau-

sale Einordnung (B.) sowie einen Blick über die Grenze ins deutsche und ös-

terreichische Recht beinhaltet (C.). Weiter wird darauf eingegangen, wie mit

Konstellationen zu verfahren ist, in welchen die Kausalanteile an der Schädi-

gung unklar sind (D.). Da es sich bei der alternativen Kausalität um ein Be-

weisproblem und nicht um ein Problem der Zurechnung handelt, basieren die

Überlegungen zur alternativen Kausalität auf der in § 15 erfolgten Analyse,

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

199

was unter einer einheitlichen Schädigung bzw. einer abgrenzbaren Teilschä-

digung aus kausaler Sicht zu verstehen ist und wie diese die kausale Zurech-

nung beeinflussen. Denn bevor ein auf unklaren Kausalanteilen basierender

Schadenersatz einem der an der Schädigung Beteiligten zugeordnet werden

kann, muss bestimmt werden, welcher Teil des verursachten Schadens tat-

sächlich die zur Auswahl stehenden Schädiger betrifft (negative Selektion/

Abgrenzung des noch relevanten Schadens). Zudem muss bestimmt werden,

welche schädigenden Ursachen aus Sicht der Kausalität noch dem zuvor be-

stimmten relevanten Schaden zugerechnet werden können (positive Selektion

der Teilursachen aufgrund der Kausalität)681

. Somit erfolgt als nächstes die

Behandlung der alternativen Kausalität als Beweisproblem (E.). Sodann ist

zu klären, wer das Risiko der Unaufklärbarkeit (Beweislosigkeit) von Kausal-

anteilen zu tragen hat (F.). Weiter soll dargelegt werden, unter welchen Vor-

aussetzungen auch bei unklaren Kausalanteilen der Schädiger trotz Beweislo-

sigkeit für den entstandenen Schaden aufzukommen hat (G.). Zuletzt werden

als Lösungsmodelle die Beweismasserleichterung mit Beweislastumkehr und

eine Zuteilung nach Wahrscheinlichkeitsquoten präsentiert (H.).

B. Die alternative Kausalität

I. Begriff

Alternative Kausalität liegt klassischerweise vor, wenn eine Mehrzahl an

Schädigern unabhängig voneinander potentielle Gesamtursachen für einen

Schaden setzt, jedoch unklar bleibt, welche Ursache letztlich den Schaden

verursacht hat682

. So hält FREI treffend fest683

:

„Im Unterschied zu den vorherigen Fallgruppen des Zusammentreffens von

Ursachen besteht das Problem in diesen Konstellationen nicht darin, dass der

Schaden auf mehrere Ursachen zurückzuführen ist, sondern gerade darin, dass

keine Ursache vorhanden ist, weil sich die Ursächlichkeit für keine der in Be-

tracht fallenden Verhaltensweisen nachweisen lässt.“

681 Mit der Bestimmung der Zurechnung von Mitursachen aufgrund der Kausalität befasst sich

das Kapitel zu den Gesamt- und Teilursachen vorne S. 87 ff., S. 90 ff. 682

QUENDOZ, S. 3, 39, 75; LANDOLT, Kausalität, S. 153; WEBER, Kausalität und Solidarität,

S. 119; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 172 f.; REY, N 621; WYSS, Kausalitätsfragen, S. 317;

VON TUHR/PETER, S. 94; vgl. zur alternativen Kausalität als Gesamtursache auch vorne S. 88. 683

FREI, Kausalzusammenhang, S. 32.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

200

Wie die nachfolgenden Beispiele zeigen werden, ist die alternative Kausalität

aber in der Realität nicht notwendigerweise als Problem der Gesamtursachen-

konkurrenz aufzufassen. Tatsächlich betrifft es auch Teilursachenkonkurren-

zen. Alternative Gesamt- und Teilursachenkonkurrenz liegt zum einen im

Sinne von Urheberzweifeln vor, wenn ein Schaden aus kausaler Sicht auf Ge-

samt- oder Teilursachenkonkurrenz beruht und dabei bei den durch eine

Mehrzahl von Schädigern gesetzten Teilursachen unklar bleibt, ob und in

welchem Umfang welche Teilursache aus kausaler Sicht Einfluss auf die

Schädigung genommen hat684

. Zum anderen liegen auch unklare Teilursachen

vor, wenn zwar die Schädiger bekannt sind und somit sicher ist, dass diese

Mindestanteile an der Schädigung tragen, aber im Sinne von Anteilszweifeln

unklar bleibt, wie gross der Anteil der einzelnen Schädiger am Gesamtscha-

den ist685

.

II. Beispiele

Als Schulbeispiel für die alternative Kausalität wird die in BGE 113 IV 58 zu

beurteilende Schadensverursachung durch zwei Personen genannt, welche

beide einen schweren Steinbrocken den Abhang hinunterrollen liessen und

einer der Steine einen sich am Flussufer befindenden Fischer tödlich ver-

letzte, wobei nicht festgestellt werden konnte, welcher der Steine den Fischer

getroffen hatte686

.

Ein weiteres bekanntes Beispiel betraf die Jäger, welche beide auf ein Reb-

huhn schossen und einer der Jäger einen Passanten traf, wobei sich nicht fest-

stellen liess, welche Kugel die Verletzungen verursacht hatte687

.

Als praktisches Beispiel aus dem Bereich des Strassenverkehrs dient der

Motorradfahrer, welcher stürzt und danach von einem Fahrzeug überfahren

wird, wobei nach dem Sturz nur zwei Fahrzeuge die Stelle passieren. In ab-

geänderter Form wird der gestürzte Motorradfahrer von beiden Autos über-

684 Vgl. LOSER, S. 242 f.; MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830 BGB.

685 BYDLINSKI, Streitfragen, S. 27; LOSER, S. 127; MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830

BGB. 686

BGE 113 IV 58, Sachverhalt. 687

Summers v. Tice (1948), 33 Cal. 2d 80; vgl. Hinweise bei QUENDOZ, S. 4.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

201

fahren und es bleibt unklar, welche äusseren Einflüsse (Sturz, erstes Auto,

zweites Auto) die tödlichen Verletzungen verursacht haben688

.

Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich des Strassenverkehrsrechts betrifft die

Massenkarambolage, in welcher es in kurzer Zeit zu vielen Kollisionen

kommt und unklar bleibt, welcher Zusammenstoss nun eine bestimmte Ver-

letzung oder einen bestimmten Sachschaden am Fahrzeug verursacht hat689

.

Zudem kann der Diebstahl eines Schmuckstücks aus einem Zimmer, zu wel-

chem am Tag des Diebstahls nur genau zwei (oder drei etc.) Personen zutritt

hatten, als Beispiel genannt werden.

III. Diskutierte Konstellationen

Allen gerade genannten Beispielen ist gemein, dass unklar bleibt, welche

kausale Ursache zur Schädigung geführt hat. Die Lösung der Frage, wie mit

Fällen von alternativer Kausalität umzugehen ist, ist in der Lehre umstritten.

Allerdings muss betont werden, dass im Themenfeld der alternativen Kausa-

lität von der klassischen alternativen Kausalität abweichende Konstellationen

diskutiert werden, in welchen die kausalen Grundlagen gar nicht relevant

sind oder die gar nicht (ausschliesslich) die alternative Kausalität betreffen.

Diese Konstellationen sind aufgrund ihrer kausalen Unterschiede differen-

ziert zu behandeln. Es sind zu unterscheiden:

- Fälle der echten Solidarität gemäss Art. 50 OR (gemeinsames Verschul-

den und Zusammenwirken), bei welchen es auf die (alternative) Kausalität

nicht ankommt;

- Fälle der Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR (kein Zusammenwir-

ken, kein gemeinsames Verschulden), in welchen klar ist, dass jeder der

Schädiger einen Anteil an der Schädigung hat, aber unklar ist, welchen

Anteil jeder Schädiger an der Schädigung hat (sog. Anteilszweifel690

);

- Fälle der alternativen Kausalität (kein Zusammenwirken, kein gemeinsa-

mes Verschulden), bei welchen unklar ist, welcher der möglichen Schädi-

688 Vgl. HONSELL, § 3 N 66.

689 Beispiel nach WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 121.

690 MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830 BGB; LOSER, S. 127; BYDLINSKI, Streitfragen,

S. 27.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

202

ger den Schaden oder den Schadensteil verursacht hat (sog. Urheberzwei-

fel691

);

- Gemischte Fälle, welche verschiedene Formen der Kausalität in sich ver-

einen.

IV. Keine alternative Kausalität bei echter Solidarität

(Art. 50 OR)

1. Echte Solidarität und unklare Kausalität?

In den Fällen der echten Solidarität stellt sich das Problem der alternativen

Kausalität nicht. Denn Kausalzweifel sind bei der Beurteilung rechtlicher

Kausalzusammenhänge nur relevant, wo die Schädigungsanteile auch kausal

zugerechnet werden692

. So können nur in jenen Fälle Beweisprobleme auftre-

ten sowie überhaupt alternative Kausalität (als Gesamtursache) vorliegen, in

welchen die Schädiger nicht gemeinsam verschuldet zusammengewirkt ha-

ben. Denn wenn mehrere Schädiger ein gemeinsames Verschulden trifft,

haften sie nach Art. 50 OR ohnehin solidarisch, da das gemeinsame Ver-

schulden die Kausalanteile übertüncht. In diesem Fall ist in Bezug auf den

Kausalanteil der einzelnen Schädiger bloss zu klären, ob die Voraussetzung

der gemeinsamen Verursachung erfüllt ist, was bedeutet, dass das Verschul-

den der Beteiligten für den Schaden adäquat kausal ist693

. Somit stellt sich die

Frage der zugrundeliegenden Kausalitätsart nicht, es interessiert nicht, ob ein

Schädiger allenfalls nur möglicherweise eine kausale Teilursache zu einem

bestimmten Teilschaden gesetzt hat.

2. Echte Solidarität statt unklare Kausalität

Betrachtet man die vorgenannten Beispiele, ergibt sich bei einigen, dass sie

Konstellationen betreffen, in denen bewusst und gewollt zusammengewirkt

wurde. Insbesondere jene Schädiger, die gemeinsam einen Stein oder nach

gemeinsamem Entschluss nebeneinander je einen Stein den Hang hinunter-

rollen, trifft regelmässig ein gemeinsames Verschulden. Zudem hat in diesem

691 LOSER, S. 243; MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830 BGB.

692 Vgl. hierzu vorne S. 67 ff., insbesondere S. 68.

693 BREHM, BK-OR, N 16 zu Art. 50 OR.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

203

Sachverhalt jeder der Beteiligten einen kausalen Tatbeitrag geleistet und so-

mit eine (allenfalls sogar komplementäre) Teilursache gesetzt, womit die

Frage, welcher Stein den Geschädigten getroffen hat, offen bleiben kann694

.

Das gleiche gilt auch für jene zwei Jäger, die zusammen auf der Jagd sind

und beide (in gemeinsamer Absicht) auf das gleiche Rebhuhn anlegen und

schiessen und dabei (gemeinsam) den Spaziergänger übersehen. Folge dieser

gemeinsamen Handlung ist die solidarische Haftung gemäss Art. 50 OR695

.

C. Regelung im deutschen und österreichischen Recht

I. Regelung im deutschen Recht

1. Solidarische Haftung für Mittäter

Im deutschen Recht werden Konstellationen der Mittäterschaft mit § 830

Abs. 1 Satz 1 BGB abgedeckt696,697

. § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB lautet: Haben

mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen

Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. […].

Der Zweck dieser Regelung im deutschen Recht ist der gleiche wie bei der

solidarischen Haftung in Art. 50 OR. Es soll dem Geschädigten ohne Rück-

sicht auf die Kausalität aus der Beweisnot geholfen werden, welche dadurch

geschaffen wird, dass ihm der Schaden durch eine Mehrzahl an Schädigern

verursacht wurde. Betont wird aber, dass der Geschädigte durch eine Tat ge-

schädigt wurde sowie, dass die Schädiger bewusst zusammen auf einen Tat-

erfolg hinwirkten und so erst das Beweisproblem geschaffen haben. Aus die-

694 Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn zwei Personen unabhängig voneinander auf die Idee

kommen, Steine einen Abhang hinunterzurollen. 695

Dies entspricht der (extensiven) Interpretation der solidarische Haftung gemäss h.L., vgl.

vorne S. 33 ff.; BREHM, BK-OR, N 19 f. zu Art. 50 OR, m.w.H.; BGE 104 II 184, E. 2. 696

Vgl. hierzu schon vorne S. 72 ff. 697

MünchKommBGB/WAGNER, N 4 zu § 830 BGB; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 2, 7 ff.

zu § 830 BGB, welche festhält: „Die in § 830 Abs 1 S 1 und Abs 2 geregelte Fallgruppe […]

zeichnet sich durch das bewusste und gewollte Zusammenwirken mehrerer bei einer uner-

laubten Handlung aus. Die Norm bestimmt, dass Mittäter und Teilnehmer für den eingetrete-

nen Schaden verantwortlich sind, und entbindet auf diese Weise den Geschädigten von dem

Nachweis der Kausalität im Hinblick auf jeden einzelnen Mittäter und Gehilfen.“

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

204

sen gerade genannten Gründen ist es gerechter, die Schädiger solidarisch

haften zu lassen698

.

2. Solidarische Haftung für Alternativtäter

Auch die Konstellationen mit unklarer bzw. alternativer Kausalität sind im

deutschen BGB geregelt, wobei § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB einschlägig ist.

§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB lautet: […] Das Gleiche [Verantwortlichkeit für

den ganzen Schaden] gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren

Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat.

Somit wird angeordnet, dass in den Konstellationen, in welchen bei mehreren

Beteiligten die kausalen Verursacheranteile unklar sind, wiederum jeder für

den Schaden solidarisch verantwortlich ist. Am Schadensereignis müssen

mehrere Personen beteiligt sein, welche vom Gesetz als Beteiligte bezeichnet

werden, als Alternativtäter, nicht aber als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen zu

qualifizieren sind699

. Da unaufklärbar sein muss, wer den Schaden tatsächlich

verursacht hat oder welchen Anteil ein Schädiger daran hat, kommt auch die

Kategorie der Nebentäter nicht in Betracht, da es diesen zwar nicht an der

Unabhängigkeit der Handlung, wohl aber an der Unaufklärbarkeit der Kau-

salanteile fehlt700

. So hält EBERL-BORGES fest701

:

698 BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 7 f. zu § 830 BGB: „In den von § 830 Abs 1 S 1, Abs 2

erfassten Fällen ist der Anspruchsteller durch eine [Hervorhebung im Original] Tat geschädigt

worden […]. Da mehrere Personen an der Herbeiführung des Schadens teilgenommen haben

und somit mehre Kausalketten von verschiedenen Personen in Gang gesetzt worden sind und

zusammengewirkt haben, ist es oft schwierig festzugstellen, ob und inwieweit sich der Verur-

sachungsbeitrag einer Person in dem eingetretenen Schaden niedergeschlagen hat. In dieser

Situation hilft § 830 Abs 1 S 1 Abs 2 dem Geschädigten aus der Beweisnot. […] Mittäter

wollen die Tat als gemeinsame verwirklichen […]; der Vorsatz von Anstiftern und Gehilfen

ist nicht auf den eigenen Beitrag, sondern auch auf die Vollendung der Tat durch den Täter

gerichtet […]. Aus dieser zwischen den Beiträgen bestehenden Abhängigkeit ergibt sich die

Beweisschwierigkeit im Hinblick auf die Kausalität. Da gerade das eingetreten ist, was Mit-

täter, Anstifter und Gehilfen wollten und worauf sie auch bewusst hinwirkten, erscheint es ge-

rechter, diese mangels angetretenem oder gelungenem Entlastungsbeweis hinsichtlich der

Kausalität haften zu lassen als den Anspruch des Geschädigten abzuweisen […].“; vgl. auch

MünchKommBGB/WAGNER, N 4 f., N 17 ff. zu § 830 BGB. 699

Soergel/KRAUSE, N 14 zu § 830 BGB. 700

BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 65 zu § 830 BGB; vgl. auch MünchKommBGB/WAG-

NER, N 44 zu § 830 BGB. 701

BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 65 zu § 830 BGB.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

205

„Die Kategorie der Beteiligten iS des § 830 Abs 1 S 2 ähnelt […] der nicht im

Gesetz geregelten Kategorie der Nebentäter, die durch selbständige Einzel-

handlungen ohne bewusstes Zusammenwirken einen Schaden mitverursachen

[…]. Der Unterschied zwischen Nebentätern und Beteiligten besteht in fol-

gendem: Der Nebentäter hat für die Folgen seines eigenen rechtswidrigen

Verhaltens nach den allgemeinen Zurechnungsregeln einzustehen […]. Er

haftet also auf das Ganze, wenn sein Verhalten den Gesamtschaden mitverur-

sacht hat […], sonst auf den bestimmten, unterscheidbaren Teil des Schadens,

den sein Verhalten verursacht hat. Die Kausalität muss somit feststehen. Dem-

gegenüber ist das Handeln der Beteiligten iS des § 830 Abs 1 S 2 nur potenti-

ell kausal für den eingetretenen Schaden. Die Vorschrift ordnet die Verant-

wortlichkeit jedes Beteiligten an, wenn sich nicht ermitteln lässt, welcher Be-

teiligte ihn durch seine Handlung verursacht hat. Beteiligte sind potentielle

Nebentäter.“

Diese solidarische Haftung ist aber für Alternativtäter an eine Reihe von

Voraussetzungen geknüpft. Bei jedem potentiellen Schädiger, bei welchem

Anteils- oder Urheberzweifel bestehen, müssen bis auf die Kausalität alle

Haftungsvoraussetzungen gegeben sein. Es muss weiter klar sein, dass einer

der möglichen Schädiger den Schaden verursacht hat. Weiter darf nicht fest-

stellbar sein, wer den Schaden tatsächlich verursacht hat. Zuletzt muss sich

der Beitrag des potentiellen Schädigers dazu eigenen, den Schaden herbeige-

führt zu haben702

.

II. Regelung im österreichischen Recht

1. Solidarische Haftung

Ein wenig anders ist diesbezüglich die Regelung in Österreich, wo die Prob-

lematik einer Tätermehrheit und der unklaren Kausalität in §§ 1301 f. ABGB

behandelt wird. Im österreichischen Recht spielt die Kausalität direkt im Ge-

setzestext bereits eine grosse Rolle703

. § 1301 ABGB behandelt verschiedene

Konstellationen, in welchen mehrere Personen für einen widerrechtlich zuge-

fügten Schaden verantwortlich werden, wenn sie mittelbar oder unmittelbar

zur Schadensverursachung beigetragen haben704

. Aus kausaler Sicht ergibt

702 Soergel/KRAUSE, N 17 ff. zu § 830 BGB; MünchKommBGB/WAGNER, N 36 ff. zu § 830

BGB; vgl. zu diesen Voraussetzungen ausführlich hinten S. 227 ff. 703

BUMBERGER, S. 14. 704

§ 1301 ABGB lautet: Für einen widerrechtlich zugefügten Schaden können mehrere Personen

verantwortlich werden, indem sie gemeinschaftlich, unmittelbarer oder mittelbarer Weise

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

206

sich, dass jeder der Schädiger eine Ursache für den Gesamtschaden gesetzt

haben muss705

. Eine solidarische Haftung der Schädiger tritt ein, wenn sie die

Schädigung vorsätzlich (Verschulden) zufügen und sie gemeinschaftlich vor-

gehen706

.

2. Nebentäterschaft und bestimmbare Kausalität

Haben die Schädiger unabhängig voneinander in fahrlässiger Nebentäter-

schaft gehandelt und lassen sich die Kausalanteile bestimmen, dann haftet

jeder nur für den von ihm verursachten Anteil707

. Hier zeigt sich, dass im ös-

terreichischen Recht der Gedanke der kausalen Verursachung stark verankert

ist, denn eine Haftung geht nur soweit wie die kausale Beteiligung708

.

3. Nebentäterschaft und unklare Kausalität

Darüber hinaus ist im österreichischen Recht aber auch im Gesetzestext gere-

gelt, wie die Haftung ausfällt, wenn sich die Kausalanteile nicht bestimmen

lassen, bei unklarer Kausalität also. In dieser Konstellation haften die einzel-

nen Schädiger gemäss § 1302 ABGB grundsätzlich solidarisch709

. Es wird

aber bei unklarer Kausalität im österreichischen Recht unterschieden, ob die

Schädiger in Mittäterschaft vorgehen oder als Nebentäter unabhängig von-

einander handeln. Als Mittäter haften die Schädiger grundsätzlich solidarisch,

wenn die kausale Beteiligung zumindest als möglich erscheint710

. Bei fahrläs-

durch Verleiten, Drohen, Befehlen, Helfen, Verhehlen u. dgl.; oder, auch nur durch Unterlas-

sung der besonderen Verbindlichkeit, das Übel zu verhindern, dazu beigetragen haben. 705

BYDLINSKI, Haftung, S. 3; BUMBERGER, S. 14 f.; SCHWEIGHAUSER, S. 149. 706

BUMBERGER, S. 15; BYDLINSKI, Streitfragen, S. 28 ff.; SCHWEIGHAUSER, S. 147 ff. 707

§ 1302 S. 1 ABGB lautet: In einem solchen Falle verantwortet, wenn die Beschädigung in ei-

nem Versehen gegründet ist, und die Anteile sich bestimmen lassen, jeder nur den durch sein

Versehen verursachten Schaden. […]. 708

BYDLINSKI, Haftung, S. 7. 709

§ 1302 S. 2 ABGB lautet: […] Wenn aber der Schaden vorsätzlich zugefügt worden ist; oder,

wenn die Anteile der Einzelnen an der Beschädigung sich nicht bestimmen lassen; so haften

alle für einen und einer für alle; doch bleibt demjenigen, welcher den Schaden ersetzt hat, der

Rückersatz gegen die übrigen vorbehalten.; vgl. auch BUMBERGER, S. 15. 710

KRAMER, Multikausale Schäden, S. 76; BUMBERGER, S. 18; SCHWEIGHAUSER, S. 149; a.A.

BYDLINSKI, Mittäterschaft, S. 417 ff., welcher eine solidarische Haftung ihm Rahmen der

Mittäterschaft ablehnt, wenn der Mittäter beweisen kann, dass er keine kausale Ursache für

die Schädigung gesetzt hat, mithin also keine conditio sine qua non für die Schädigung be-

steht. Ein gemeinsamer Vorsatz genüge nicht, denn § 1301 ABGB sehe vor, dass es für eine

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

207

siger Nebentäterschaft ergibt sich aber aus §§ 1301 f. ABGB und insbeson-

dere § 1302 Satz 2 ABGB, dass zwar die unklare Kausalität der schädigenden

Teilursachen zu Solidarität führt, bei bestimmten Kausalanteilen aber anteil-

mässige Haftung eintritt. Haben also unabhängig voneinander handelnde

Schädiger ohne gemeinsames Verschulden abgrenzbare Einzelschäden verur-

sacht, haften sie dafür anteilsmässig711

. Besteht ein Gesamtschaden aus zuor-

denbaren Teilschäden und aus Teilschäden, welche aufgrund der unklaren

Kausalität nicht zugeordnet werden können, besteht anteilmässige Haftung

für jene Schadensteile, welche zugeordnet werden können und nur für den

durch unklare Kausalität verursachten Restschaden solidarische Haftung der

Mitschädiger712

. In den Fällen der klassischen alternativen Kausalität, in wel-

chen klar ist, dass nur entweder der eine oder der andere Schädiger den Scha-

den verursacht hat, tritt im österreichischen Recht eine solidarische Haftung

aller möglicher Schädiger ein713

. Dabei ist aber vorausgesetzt, dass jeder po-

tentielle Schädiger „in zurechenbarer Weise konkret gefährlich und scha-

densgeneigt gehandelt“ hat714

. In analoger Anwendung von § 1302 ABGB ist

das Unaufklärbarkeitsrisiko betreffend die Kausalität von den Schädigern zu

tragen, wobei jedem Schädiger der Beweis offen steht, dass er keinen kausa-

len Anteil an der Schädigung hatte715

.

Haftung einen kausalen Beitrag brauche, was bei bewiesener Nichtkausalität nicht gegeben

sei. 711

BUMBERGER, S. 20 ff., m.w.H.; SCHWEIGHAUSER, S. 151 f. 712

BYDLINSKI, Haftung, S. 8 f., mit ausführlicher Begründung, dass § 1302 ABGB seinem Sinn

und Zweck nach so auszulegen sei, dass die solidarische Haftung bei nur teilweiser unklarer

Kausalität entgegen dem Wortlaut auch nur jene Schadensteile betreffe, die selbst tatsächlich

von unklaren Kausalanteilen betroffen ist. 713

BYDLINSKI, Haftung, S. 8 ff.; KRAMER, Multikausale Schäden, S. 84 ff.; BUMBERGER,

S. 22 ff. 714

BUMBERGER, S. 22, welche festhält, dass der Mangel an feststehender Kausalität durch die

konkrete Gefährlichkeit aufgewogen werde; ähnlich auch BYDLINSKI, Haftung, S. 8 ff. 715

BYDLINSKI, Haftung, S. 8 ff.; KRAMER, Multikausale Schäden, S. 85; BUMBERGER, S. 25.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

208

D. Verschiedene Konstellationen der alternativen Kausalität

im Bereich der Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR

I. Allgemein

Anders als bei der echten Solidarität gemäss Art. 50 OR liegt die Situation im

Bereich der Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR (kein Zusammenwir-

ken und kein gemeinsames Verschulden der Schädiger). Betreffend die alter-

native oder unsichere Kausalität sind zwei Konstellationen zu unterscheiden,

welche wie gesehen im deutschen BGB für Konstellationen der Nebentäter-

schaft716

gemäss § 840 Abs. 1 BGB bei Konstellationen der Alternativtäter-

schaft717

in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB für den Bereich der alternativen Kausa-

lität unter dem Titel Urheberzweifel und Anteilszweifel auch unterschieden

werden718

.

II. Anteilszweifel

Zum einen kann im Sinne der Anteilszweifel eine Konstellation vorliegen, in

welcher eine Mehrzahl an Schädigern einem Geschädigten unabhängig von-

einander und in Teilursachenkonkurrenz einen Schaden verursacht hat (in ad-

716 Als Nebentäter werden jene an einer schädigenden Handlung beteiligten Personen bezeichnet,

die „durch selbständige unerlaubte Handlungen ohne bewusstes Zusammenwirken einen

Schaden verursacht haben“; BGB-Staudinger/VIEWEG, N 3 zu § 840 BGB; vgl. BGHZ 30,

203, 206. 717

BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 65 zu § 830 BGB hält zur Kategorie der Nebentäter und

den an einer Schädigung gemäss § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB Beteiligten fest „Die Kategorie der

Beteiligten iS des § 830 Abs 1 S 2 ähnelt […] der nicht im Gesetz geregelten Kategorie der

Nebentäter, die durch selbständige Einzelhandlungen ohne bewusstes Zusammenwirken einen

Schaden mitverursachen […]. Der Unterschied zwischen Nebentätern und Beteiligten besteht

in folgendem: Der Nebentäter hat für die Folgen seines eigenen rechtswidrigen Verhaltens

nach den allgemeinen Zurechnungsregeln einzustehen […]. Er haftet also auf das Ganze,

wenn sein Verhalten den Gesamtschaden mitverursacht hat […], sonst auf den bestimmten,

unterscheidbaren Teil des Schadens, den sein Verhalten verursacht hat. Die Kausalität muss

somit feststehen. Demgegenüber ist das Handeln der Beteiligten iS des § 830 Abs 1 S 2 nur

potentiell kausal für den eingetretenen Schaden. Die Vorschrift ordnet die Verantwortlichkeit

jedes Beteiligten an, wenn sich nicht ermitteln lässt, welcher Beteiligte ihn durch seine

Handlung verursacht hat. Beteiligte sind potentielle Nebentäter.“; vgl. für das österreichische

Recht BUMBERGER, S. 20 ff. 718

MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830 BGB; vgl. zur Entstehungsgeschichte im BGB

RGZ 58, 357, 360.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

209

ditiver, komplementärer etc. Kausalität) und dabei bei einem Teil des Scha-

dens Zweifel auftreten betreffend die Frage, welcher Schädiger welchen An-

teil an der Schädigung hatte719

. Hier stellt sich m.a.W. nicht die Frage, ob ein

Schädiger, sondern bloss, in welchem Umfang er an der Schädigung mitbe-

teiligt ist. In dieser Konstellation sind alle Haftungsvoraussetzungen (Wider-

rechtlichkeit, Rechtsgutverletzung und Verschulden) erfüllt, fraglich ist ein-

zig, in welchem Umfang die kausal zurechenbaren Anteile an der Schädigung

bestehen720

. Diese Konstellation ist bspw. bei den erwähnten Massenkaram-

bolagen anzutreffen oder wenn zwei Fahrzeuge eine Person überrollen und

nicht klar ist, welche Verletzungen durch welches Fahrzeug entstanden sind.

III. Urheberzweifel

Zum anderen kann im Sinne der Urheberzweifel eine Konstellation vorliegen,

in welcher die in Frage kommenden Schädiger nicht zusammengewirkt haben

und jeder eine mögliche Gesamtursache gesetzt hat (Urheberzweifel). Dies

entspricht dem klassischen Fall der alternativen Kausalität und zeigt sich in

den Beispielen, in welchen die Steineroller nicht zusammenwirken und unab-

hängig voneinander auf die Idee kommen, je einen Stein den Abhang hinun-

terzurollen, oder die Jäger sich unabhängig voneinander auf der Jagd befin-

den721

. Auch wenn zwei Fahrzeuge eine Person überrollen und nicht klar ist,

welche der Ursachen zum Tod geführt hat, besteht ein Urheberzweifel. Si-

cherlich liegt keine echte Solidarität vor, denn es fehlt sowohl am gemeinsa-

719 BYDLINSKI, Streitfragen, S. 26 ff.; LOSER, S. 31, S. 242; WEBER, Kausalität und Solidarität,

S. 120. 720

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173; MünchKommBGB/WAGNER, N 48 ff. zu § 830 BGB;

BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 71 ff. 721

So richtigerweise auch BGE 113 IV 58, E. 2, welcher aus strafrechtlicher Sicht festhält: „Vor-

liegendenfalls steht fest, dass beide Angeklagten gemeinsam die beiden Steine den Abhang

hinunterrollen lassen wollten. Bei einer derartigen Konstellation ist nicht danach zu fragen, ob

der jeweilige Einzelbeitrag für den tatbestandsmässigen Erfolg kausal geworden ist, sondern

ob die Kausalität zwischen der gemeinsam vorgenommenen Gesamthandlung und dem einge-

tretenen Erfolg zu bejahen ist. Jedenfalls muss dies gelten, wenn, wie vorliegendenfalls, die

sorgfaltswidrige Handlung gemeinsam beschlossen und in der Folge in einem nahen örtlichen

und zeitlichen Zusammenhang gemeinsam durchgeführt wird, wobei es der zufälligen Ar-

beitsteilung überlassen bleibt, wer welchen Stein ins Rollen bringt. Ist aber davon auszugehen,

dass jedenfalls einer der beiden Steine den Tod des Opfers bewirkt hat, genügt dies zur Fest-

stellung, dass das Verhalten des Beschwerdeführers für den eingetretenen Tod kausal gewor-

den ist. Anders zu entscheiden wäre dann, wenn die beiden Angeklagten unabhängig vonein-

ander gehandelt hätten.“; kritisch dazu HONSELL, § 3 N 68.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

210

men Verschulden als auch am Zusammenwirken. Jedoch muss innerhalb des

Bereichs der klassischen alternativen Gesamtursachenkonkurrenz nochmals

unterschieden werden.

IV. Keine Haftung für bloss mögliche Schädiger

Denkbar sind Konstellationen der alternativen Gesamtursachenkonkurrenz, in

welchen nicht nur der kausale Bezug der potentiellen Täterhandlung zum

Schaden nicht klar ist (Urheberzweifel), sondern auch die weiteren Haftungs-

voraussetzungen (Widerrechtlichkeit, Rechtsgutverletzung, Verschulden)

nicht belegt sind. Wenn sich beispielsweise zwei (drei, vier etc.) Personen an

einem Tag in einem bestimmten Raum aufgehalten haben und aufgrund der

Zutrittsberechtigung zum Raum klar ist, dass genau nur diese Personen sich

im Raum aufgehalten haben und am Ende des Tages fehlt ein Gegenstand

(bspw. eine Vase) im Raum, dann ist nicht nur die Kausalität nicht belegt,

sondern auch alle anderen Haftungsvoraussetzungen bleiben alternativ mög-

lich erfüllt.

Das gleiche gilt für das Beispiel, in welchem jemand überfahren auf einer

Strasse aufgefunden wird und zum Zeitpunkt des Unfalls nur gerade zwei

(drei, vier etc.) Fahrzeuge diese Stelle passiert haben. Ist bei einer gewissen

Anzahl Fahrzeuge belegt, dass sie den Geschädigten überfahren haben, dann

handelt es sich um Alternativtäter, denn diese haben alle Haftungsvorausset-

zungen erfüllt. Lässt sich dies aber nicht feststellen, handelt es sich bei pas-

sierenden Fahrzeugen um bloss mögliche Verursacher.

Weiter wäre auch eine Haftung aller Jäger aus den vorangehenden Beispielen

zu verneinen, wenn aus einer Jägergruppe nur ein Jäger in eine bestimmte

Richtung geschossen hat und somit klar ist, dass nur dieser Jäger den Scha-

den verursacht hat722

.

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe reicht nicht aus, um eine so-

lidarische Haftung zu begründen723

, denn es fehlt sowohl am Kausalbeitrag

722 Dies ist aber keine Frage der alternativen Kausalität mehr, denn es ist klar, welche Person den

Schaden verursacht hat. Diese Frage betrifft im Bereich der echten Solidarität die Frage der

Zurechnung psychischer Mitverursachung. 723

So auch ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173 ff., N 176; MünchKommBGB/WAGNER, N 48 f.,

welcher darauf hinweist, dass neben dem Vorhandensein der übrigen Haftungsvoraussetzun-

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

211

(respektive an der Eignung des Kausalbetrags zur Schadensverursachung) als

auch an der Erfüllung der übrigen Haftungsvoraussetzungen der je übrigen

Gruppenmitglieder für die Schädigung724,725

. Eine Haftung aller dieser nur

möglichen Schädiger wäre eine Haftung für blosse Anwesenheit. Die ge-

zeigten Beispiele haben zur logischen und richtigen Konsequenz, dass keiner

der möglichen Schädiger haftet, denn eine Haftung für eine bloss mögliche

Kausalität gibt es im schweizerischen Recht nicht726

. Dies entspricht der h.L.,

dass keiner der potentiellen Schädiger haftet, da ihm die Schädigung nicht

nachgewiesen werden kann727

. Der h.L. ist zuzustimmen.

Es kann festgehalten werden, dass bei bloss möglichen Schädigern die rich-

tige Lösung darin besteht, dass die möglichen Schädiger nicht haften728

. Denn

es ist zwar verständlich, dass es als ungerecht empfunden wird, wenn ein Ge-

schädigter nicht zu seinem Schadenersatz kommt, doch als noch ungerechter

erscheint es729

, einen Unbeteiligten für einen nicht von ihm verursachten

Schaden haften zu lassen730

.

gen auch der Kausalbeitrag des potentiellen Schädigers geeignet sein muss, den Schaden zu

verursachen. 724

BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 71 ff. und N 79 ff. zu § 830 BGB; MünchKomm-

BGB/WAGNER, N 37 ff., N 48 zu § 830 BGB; diese Konstellation unterscheidet sich im Übri-

gen auch von der von Teilen der Lehre mit einer psychischen Mitwirkung begründeten Mit-

haftung von Schädigern im Rahmen eines Krawalls. Denn während die Handlung der Schädi-

ger im Krawall bewusst auf eine Schädigung gerichtet ist, handelt der daneben schiessende

Jäger bloss fahrlässig. Die „Unterstützungsleistung“ der übrigen Jäger richtet sich denn auch

bloss auf den Jagderfolg und nicht auf die Schädigung eines Menschen; vgl. auch BYDLINSKI,

Haftung, S. 3, S. 5, S. 11, welcher festhält (S. 3): „Die blosse Teilnahme an einer Jagd ist nach

dem Rechtsempfinden doch zweifellos kein ausreichender Haftungsgrund. Für Schäden, die

ein nicht feststellbarer Jagdgenosse dabei anrichtet, kann man daher nicht in Anspruch ge-

nommen werden. Die Haftung bei alternativer Kausalität kommt nur bei solchen Personen in

Frage, die wenigstens durch ein schuldhaftes und gefährliches, wenn auch nicht nachweislich

kausales Verhalten belastet sind.“; vgl. auch WOLFF, S. 329 f. 725

Vgl. zu den Voraussetzungen, welche für eine Haftung bei unklarer Kausalität erfüllt sein

müssen nachfolgend S. 227 ff. 726

So auch ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 176. 727

BREHM, BK-OR, N 145 ff. zu Art. 41 OR; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 81 f.; KELLER,

S. 103; KELLER/GABI, S. 23 f.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 176. 728

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 176; BREHM, BK-OR, N 145, N 145c zu Art. 41 OR, N 57 ff.

zu Art. 42 OR; ZK-OSER/SCHÖNENBERGER, N 87 zu Art. 41 OR; WYSS, Kausalitätsfragen,

S. 317; FREI, Kausalzusammenhang, S. 32 f.; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 82. 729

Noch ungerechter ist es aufgrund folgender Begründung: Wenn zwei potentielle Schädiger je

eine Gesamtursache setzen, sind dies gesamthaft zwei Gesamtursachen. Den Schaden kann

nur eine verursacht haben. Wenn man beide als verursachend annimmt (Solidarität oder an-

Page 250: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

212

V. Haftung bei echter alternativer Ursachenkonkurrenz?

Weiter sind bei Konstellationen der Gesamt- oder Teilursachenkonkurrenz

Fälle mit Urheberzweifel denkbar, in welchen nur die Kausalität alternativ

unklar bleibt, jedoch ansonsten die in Frage kommenden Schädiger durch ihr

Verhalten alle Voraussetzungen für eine Haftung erfüllt haben (Widerrecht-

lichkeit, Rechtsgutverletzung, Verschulden). Es bleibt m.a.W. einzig unklar,

welcher der alle Haftungsvoraussetzungen (ausser die Kausalität) erfüllenden

potentiellen Schädiger den Schaden verursacht hat (Frage der Verursachung

der Schädigung). Zu denken ist in diesem Fall an das Beispiel, in welchem

zwei Autofahrer eine Person überfahren, und unklar bleibt, welches Auto die

tödlichen Verletzungen verursacht hat. Bei diesen Konstellationen erscheint

ein Ausschluss der Haftung aufgrund der Unaufklärbarkeit der Kausalanteile

als unangemessen, denn es ist klar, dass beide potentiellen Schädiger alle

Voraussetzungen für eine Haftung erfüllt haben. Die Haftung scheitert nur an

der Beweisnot des Geschädigten. Wer hier das Haftungsrisiko trägt und wie

eine Haftung in diesen Konstellationen zu gestalten ist, bildet Gegenstand der

nachfolgenden Ausführungen731

.

teilsmässige Haftung als modale Erfüllungsmöglichkeiten), dann nimmt man eine zu viel als

verursachend an. Wenn man davon ausgeht, dass keine Haftung eintritt, dann entspricht dies

im Resultat der Annahme, dass keine der Gesamtursachen eine conditio sine qua non war, also

hat man eine Gesamtursache zu wenig als verursachend angenommen, denn tatsächlich hat ja

nur eine Gesamtursache zum Schaden geführt. Somit herrscht grundsätzlich Ausgleich, beide

Lösungen sind gleich ungerecht; vgl. auch FREI, Kausalzusammenhang, S. 32 f., welche of-

fenbar im Gesamtresultat davon ausgeht, dass beide Resultate gleich ungerecht sind. Dies ist

jedoch nicht das Ende der Überlegung. Denn unter übergeordneter Betrachtung erscheint es

aufgrund des Prinzips „casum sentit dominus“ richtiger, keine Haftung eintreten zu lassen,

denn der Nichtbeteiligte an einem Rechtsverhältnis ist noch schützenswürdiger er als der Ge-

schädigte; ähnlich auch BREHM, BK-OR, N 145c zu Art. 41 OR; a.A. hingegen OFTINGER/

STARK, § 3 N 112, FN 138, welche zum Schluss kommen, dass es falscher sei, wenn keine

natürliche Kausalität angenommen wird, als wenn beide Gesamtursachen als natürlich-kausal

angenommen würden. Es ist jedoch m.E. nicht einleuchtend, warum ein „richtig eingestufter“

Verursacher richtiger sein soll, als ein „falsch eingestufter“ Verursacher, wie gesehen ist

beides gleich falsch oder richtig, das Zünglein an der Waage spielt aber der Grundsatz casum

sentit dominus. 730

So auch FREI, Kausalzusammenhang, S. 32 f.; BREHM, BK-OR, N 145c zu Art. 41 OR; HON-

SELL, § 3 N 66. 731

Vgl. hinten S. 225 ff.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

213

E. Alternative Kausalität als Beweisproblem

I. Beweisprobleme des Geschädigten

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass es sich bei der alterna-

tiven Kausalität nicht um ein Problem der kausalen Zurechnung handelt, son-

dern um ein Beweisproblem, da ein kausaler Zusammenhang gar nicht erst

bewiesen werden kann732

. In diesen Konstellationen stellt sich somit das

Problem, dass der Geschädigte, welcher gemäss Art. 8 ZGB die Beweislast

für den Nachweis des Schädigung bzw. des Schadens trägt, häufig nicht be-

weisen kann, welche der durch die Schädiger gesetzten Teil- oder Gesamtur-

sachen letztlich zur Schädigung geführt hat733

.

II. Kein Beweisproblem bei echter Solidarität

Es stellt sich die Frage, warum sich diese Beweisprobleme im Rahmen der

echten Solidarität nicht stellen. Beim gemäss Lehre und Rechtsprechung weit

verstandenen Solidaritätsbegriff und einer daraus folgenden Haftung auf das

Ganze ergeben sich für den Schädiger wenig Probleme bei der Beweisfüh-

rung, da es ausreicht, dass der Geschädigte ein gemeinsam verschuldetes Zu-

sammenwirken nachweist734

. Der Geschädigte kann für den Beweis somit auf

die tatsächliche Beteiligung und den natürlichen Kausalzusammenhang ab-

stellen, ohne den genauen Kausalanteil bestimmen zu müssen. Beim Nach-

weis des Verschuldens reicht es, dass die Schädiger in gemeinsamer Fahrläs-

sigkeit den Schaden verursacht haben und die Schädigung bei gehöriger

Aufmerksamkeit hätten verhindern können735

. Demgegenüber muss der Ge-

schädigte bei in Anspruchskonkurrenz stehenden Schädigern bei jedem Schä-

732 STARK, Entlastungsgründe, S. 54; WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 119 f.; ROBERTO,

Haftpflichtrecht, N 173 f.; FREI, Kausalzusammenhang, S. 32; WERRO, responsabilité civile,

N 218; WYSS, Kausalitätsfragen, S. 319; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 66 zu § 830

BGB; MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830 BGB. 733

QUENDOZ, S. 13 f.; REY, N 621; OFTINGER/STARK, § 3 N 117; ROBERTO, Haftpflichtrecht,

N 173; WECKERLE, S. 4; vgl. neuestens auch KÖRNER, N 219; der Geschädigte muss sich da-

bei auf die Solidarität berufen und die Schädiger solidarisch einklagen, vgl. BREHM, BK-OR,

N 54 zu Art. 50 OR. 734

Ähnlich auch KÖRNER, N 218. 735

BREHM, BK-OR, N 12 zu Art. 50 OR.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

214

diger einzeln das Verschulden, den Kausalzusammenhang und bei diesem die

Reichweite der Teilursache in Bezug zum verursachten Erfolg nachweisen.

III. Beweis der Kausalität (bei Anspruchskonkurrenz)

1. Grundvoraussetzung: Beweis der Haftungsvoraussetzungen

Bei einer Mehrheit in Anspruchskonkurrenz stehender Ersatzpflichtiger müs-

sen für die Haftbarkeit jedes Schädigers die Haftungsvoraussetzungen erfüllt

und nachgewiesen sein736

. Für die Kausalität bestätigt dies das Bundesgericht

explizit im bereits erläuterten BGE 127 III 257737

. Der Geschädigte muss so-

wohl gegenüber einem Einzelschädiger als auch gegenüber einer Schädiger-

mehrheit jedem Schädiger nachweisen, dass dieser die Haftungsvorausset-

zungen erfüllt hat738

.

2. Beweislast und Beweismass allgemein

a. Beweislast gemäss Art. 8 ZGB

Die Frage der Beweislastverteilung befasst sich damit, wer das Risiko und

die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen hat739

. Dies ist im Haftpflichtrecht

grundsätzlich der Geschädigte. Denn nach Art. 8 ZGB muss der Geschädigte

im Rahmen der Schadensberechnung, in welcher der Schaden zahlenmässig

festgelegt wird, den Schaden beweisen740

. Dabei trägt er die Beweislast so-

wohl für die Existenz des Schadens als auch für dessen Höhe741

.

Da der Geschädigte gemäss Art. 8 ZGB grundsätzlich beweisen muss, wer

ihm einen Schaden verursacht hat, besteht das Risiko, dass der Geschädigte

bei Misslingen dieses Beweises leer ausgeht, da diesfalls nicht festgestellt

736 OFTINGER/STARK, § 16 N 318; BREHM, Solidarité, S. 85; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173;

WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 121, FN 35, vgl. neuestens auch KÖRNER, N 215 ff.;

vgl. dazu ausführlich hinten S. 227 ff. und S. 234 ff. 737

BGE 127 III 257, E. 5.a; vgl. hierzu vorne bei FN 638. 738

KÖRNER, N 215 ff. 739

FELLMANN, Beweis, S. 48. 740

REY, N 198; BREHM, BK-OR, N 9 zu Art. 42 OR. 741

BGE 122 III 219, E. 3.a; REY, N 198; BREHM, BK-OR, N 9 zu Art. 42 OR.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

215

werden kann, wer tatsächlich der Schädiger ist742

. Diese Beweisprobleme des

Geschädigten und dazu der Umstand, dass aufgrund einer grösseren oder

kleineren Anzahl an möglichen Verursachern der Kreis der in Frage kom-

menden Schädigern schon eingeschränkt ist, haben dazu geführt, dass in der

Lehre und Rechtsprechung basierend auf unterschiedlichen Konstellationen

und resultierend in verschiedensten Lösungsvorschlägen diskutiert wird, wie

die Problematik gelöst werden kann743

.

b. Beweis der natürlichen Kausalität

Betreffend die Kausalität muss er dem Schädiger bzw. den Schädigern (je)

den natürlichen Kausalzusammenhang nachweisen744

. Der Nachweis des na-

türlichen Kausalzusammenhangs ist eine Tatfrage745

. Da dieser Nachweis

schwierig zu erbringen sein kann, reicht gemäss bundesgerichtlicher Recht-

sprechung für den Nachweis des natürlichen Kausalzusammenhangs das Be-

weismass746

der überwiegenden Wahrscheinlichkeit747

.

742 BREHM, BK-OR, N 145 zu Art. 41 OR; vgl. auch FREI, Kausalzusammenhang, S. 32, mit dem

Hinweis, dass im Strafrecht dieser Nachweis dem Staat obliegt und der Beschuldigte bei

Misslingen des Beweises freigesprochen wird. 743

Diese Konstellationen und Lösungsvorschläge werden hinten S. 233 ff. diskutiert. 744

Urteil des BGer 4C.449 vom 9. März 2006, E. 4.4; BREHM, BK-OR, N 117 ff. zu Art. 41 OR. 745

BGE 128 III 22, E. 2.d. 746

Mit dem Beweismass wird festgelegt, welche „Anforderungen an den Beweis zu stellen sind“,

damit er als erbracht gilt, vgl. FELLMANN, Beweis, S. 48; gemäss der Rechtsprechung des

Bundesgericht gilt im Sinne des Regelbeweismasses ein Beweis als erbracht, wenn „wenn der

Richter von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist. Er muss nach objektiven Ge-

sichtspunkten vom Vorliegen der Tatsache überzeugt sein. Die Verwirklichung der Tatsache

braucht indessen nicht mit Sicherheit festzustehen, sondern es genügt, wenn allfällige Zweifel

als unerheblich erscheinen. Nicht ausreichend ist dagegen, wenn bloss eine überwiegende

Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich die behauptete Tatsache verwirklicht hat.“; vgl. BGE

128 III 271, E. 2.b.aa; damit der Beweis als erbracht gilt, bedarf es keiner absoluten Gewiss-

heit, diese gibt es nicht, es dürfen aber auch keine ernsthaften Zweifel mehr bestehen; vgl.

FELLMANN, Beweis, S. 53. 747

BGE 130 III 321, E. 3.2: „Ein Beweis gilt als erbracht, wenn das Gericht nach objektiven Ge-

sichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist. Absolute Gewissheit

kann dabei nicht verlangt werden. Es genügt, wenn das Gericht am Vorliegen der behaupteten

Tatsache keine ernsthaften Zweifel mehr hat oder allenfalls verbleibende Zweifel als leicht er-

scheinen. Ausnahmen von diesem Regelbeweismass, in denen eine überwiegende Wahr-

scheinlichkeit als ausreichend betrachtet wird, ergeben sich einerseits aus dem Gesetz selbst

und sind andererseits durch Rechtsprechung und Lehre herausgearbeitet worden. Den Aus-

nahmen liegt die Überlegung zu Grunde, dass die Rechtsdurchsetzung nicht an Beweisschwie-

rigkeiten scheitern darf, die typischerweise bei bestimmten Sachverhalten auftreten.“; dies

Page 254: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

216

c. Beweis des adäquaten Kausalzusammenhangs

Der Nachweis des adäquaten Kausalzusammenhangs ist demgegenüber eine

Rechtsfrage748

. Das Bundesgericht prüft nach der bekannten Formel, ob der

natürliche Kausalzusammenhang rechtlich relevant ist. Danach gilt ein Er-

eignis als adäquate Ursache eines Erfolges, wenn es nach dem gewöhnlichen

Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet

ist, einen Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt

des Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint749

.

Auch die rechtliche Beurteilung der Adäquanz beruht somit auf dem Be-

weismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit750

.

3. Beweislast und Beweismass speziell betreffend eine

Schädigermehrheit

a. Beweismass

Wie gerade gesehen muss der Geschädigte den Kausalzusammenhang gegen-

über jedem Schädiger nachweisen, wobei grundsätzlich das Beweismass der

überwiegenden Wahrscheinlichkeit gilt. Dieses gegenüber dem Regelbe-

weismass tiefere Beweismass ist darauf zurückzuführen dass der Nachweis

des natürlichen Kausalzusammenhangs „etwas Abstraktes ist und der Vor-

gang im Zeitpunkt des Beweisverfahrens bereits abgeschlossen ist. Somit ist

es oft unmöglich, einen strikten Beweis zu erbringen.“751

bestätigt auch BGE 133 III 153, E. 3.3, in welchem es um den Nachweis eines erzielten Ge-

winns ging: „Zum Beweismass ist vorweg zu bemerken, dass an sich sowohl für den Gewinn

als auch für die Kausalität voller Beweis zu erbringen ist. Dieser gilt als erbracht, wenn das

Sachgericht nach objektiven Gesichtspunkten vom Vorliegen einer Tatsache überzeugt ist und

ihm allfällige Zweifel als unerheblich erscheinen […]. Was den Kausalverlauf anbelangt, ge-

nügt indes eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, soweit sich ein direkter Beweis aufgrund

der Natur der Sache nicht führen lässt […]. Mit Bezug auf den Gewinn besteht dort eine Be-

weiserleichterung, wo sich dieser ziffernmässig nicht strikt nachweisen lässt und der Richter

ihn deshalb gestützt auf Art. 42 Abs. 2 OR aufgrund einer Schätzung als ausgewiesen erachten

darf […]; diese Beweiserleichterung bezieht sich sowohl auf das Vorhandensein als auch auf

die Höhe des Gewinns.“ 748

BGE 123 III 110, E. 3.a; vgl. zur Abgrenzung HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 9a zu Art. 42

OR. 749

BGE 123 III 110, E. 3.a. 750

KÖRNER, N 122. 751

BREHM, BK-OR, N 117 zu Art. 41 OR; ROMERIO, Toxische Kausalität, S. 26 ff.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

217

Bei einer Mehrheit von Schädigern kommt mit der zuvor erläuterten Aus-

nahme der echten Solidarität erschwerend hinzu, dass die Schädiger ihren

Schadensbeitrag (im Bereich der Anspruchskonkurrenz) in Form einer Teil-

ursache setzen, womit der Geschädigte nicht den Bezug der Kausalursache

eines Schädigers zum verursachten Erfolg nachweisen muss, sondern viel-

mehr den Bezug verschiedener Kausalanteile in Bezug zu verschiedenen

Teilschäden. Dies führt dazu, dass es dem Geschädigten oft praktisch un-

möglich sein wird, den Kausalzusammenhang für jeden Schädiger und in

Bezug auf den jeweils relevanten Schadensteil nachzuweisen752

.

b. Beweislast

Der Mangel eines Nachweises hätte so aber zur Folge, dass dem Geschädig-

ten regelmässig der Schadenersatz ganz oder teilweise verwehrt bliebe753

.

Damit zeigt sich, dass die Frage des Beweises grundsätzlich und im Bereich

der alternativen oder unsicheren Kausalität im Speziellen eng mit der Frage

der Kausalität verbunden ist754

. Es ist durch die Schwierigkeit des Beweises

auch klar, dass es von entscheidender Bedeutung ist, welche Seite mit dem

Beweis belastet ist und somit die Folge der Beweislosigkeit zu tragen hat755

.

Spezielle Probleme stellen sich somit bei einer in Anspruchskonkurrenz ste-

henden Schädigermehrheit. Diese trifft kein gemeinsames Verschulden und

Zusammenwirken. Daher kann eine Haftung nicht wie bei der echten Solida-

rität gestützt auf das gemeinsame Verschulden im Sinne einer Erfüllungsmo-

dalität bejaht werden ohne auf die zugrundeliegenden Kausalitäten einzuge-

hen. Somit muss grundsätzlich der Geschädigte gemäss Art. 8 ZGB gegen-

über jedem Schädiger beweisen, welcher Schädiger ihm aus kausaler Sicht

welchen Teilschaden verursacht hat. Dabei besteht das Risiko, dass der Ge-

schädigte bei Misslingen dieses Beweises leer ausgeht, da der Schädiger bzw.

der Anteil eines Schädigers an der Gesamtschädigung nicht bestimmt werden

können756

.

752 KÖRNER, N 217.

753 VON BÜREN, S. 70; KÖRNER, N 217.

754 WYSS, Kausalitätsfragen, S. 315; STUDHALTER, S. 158.

755 STUDHALTER, S. 158.

756 BREHM, BK-OR, N 145 zu Art. 41 OR.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

218

4. Lösung gemäss Lehre und Rechtsprechung: Verzicht auf

Nachweis der Kausalität (Beweislastumkehr)

Die Lehre und Rechtsprechung handhaben diese Problematik dadurch, dass

sie die Konstellationen der Anspruchskonkurrenz als unechte Solidarität an-

nähernd gleich wie die echte Solidarität behandeln757

. Das Bundesgericht

weist zwar darauf hin, dass in den Konstellationen der unechten Solidarität

kein gemeinsames Verschulden und kein Zusammenwirken vorliegen. Mit

Hinweis auf den Geschädigtenschutz führen jedoch auch diese Konstellatio-

nen zu einer Haftung auf den ganzen Schaden758

:

„Ein gemeinsames Verschulden, das ihre passive Solidarität im Sinne von

Art. 50 bzw. Art. 143 OR begründen würde, fällt ihnen jedoch nicht zur Last.

Es liegt somit ein Fall sog. unechter Solidarität oder Anspruchskonkurrenz

gemäss Art. 51 OR vor […]. Gleich wie bei echter Solidarität wird auch bei

blosser Anspruchskonkurrenz die Haftung eines Schädigers gegenüber dem

Geschädigten grundsätzlich nicht dadurch vermindert, dass für den gleichen

Schaden auch noch ein Dritter einzustehen hat. Jeder der beiden Verantwortli-

chen haftet dem Geschädigten für den ganzen Schaden. Diese gesetzliche Re-

gelung will dem Geschädigten eine möglichst vollständige Befriedigung für

seinen Anspruch sichern. Solidarität bedeutet in jeder Form Stärkung der

Stellung des Gläubigers.“

Somit stuft das Bundesgericht den Schutz des Geschädigten höher ein als die

korrekte Feststellung der realen Kausalverläufe, was dazu führt, dass der Ge-

schädigte auch im Bereich der Anspruchskonkurrenz vom Nachweis der

Kausalität entbunden ist. Er muss nicht fürchten, dass ihm aufgrund eines

gescheiterten Kausalitätsnachweises der Schadenersatz verweigert wird759

.

Dies stellt de facto jedoch eine Beweislastumkehr dar. Will der Schädiger nur

für den von ihm verursachten Schaden aufkommen, liegt es an ihm nachzu-

weisen, dass sein Verhalten nicht adäquat-kausal für den Gesamtschaden ist.

Dass dieser Nachweis möglich (zulässig) ist, hat das Bundesgericht implizit

im schon vielfach genannten BGE 127 III 257 anerkannt, in welchem es aus-

führte, dass ein Solidarschuldner nicht für mehr einzustehen habe, als er auf-

757 So auch ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173.

758 BGE 93 II 317, E. 2.e.

759 So auch KÖRNER, N 219.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

219

grund seiner eigenen Haftung verpflichtet sei, wenn sein Verhalten nicht für

den gesamten eingetretenen Schaden adäquat-kausal sei760

.

Es stellt sich jedoch die Frage, wie eine ausgeglichene Lösung gefunden

werden kann761

, welche sowohl dem Schutz des Geschädigten gerecht wird,

aber auch die zugrundeliegenden Kausalitäten beachtet, sodass der Schädiger

bei nicht nachgewiesener Kausalität nicht zu Bezahlung von Schadenersatz

verpflichtet wird betreffend einen Schaden, den er gar nicht verursacht hat.

5. Lösung des Kausalitätsnachweises über Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2

OR?

a. Allgemein

Art. 42 OR befasst sich mit dem Beweis des Schadens und der Schadensbe-

rechnung, wobei die Bestimmung gemäss h.L. und Rechtsprechung auf der

Grundsatzregel des gerade behandelten Art. 8 ZGB basiert und diese wieder-

holt762

. Der Nachweis, ob und welcher Schaden eingetreten ist, stellt dabei

eine Tatfrage dar, die Berechnung des Schadenersatzes ist weitgehend Er-

messensfrage763

.

Nach überzeugender Auffassung von BÜHLER und FELLMANN betrifft Art. 42

OR jedoch die Frage des Beweismasses und nicht die Frage der Beweis-

last764

. Grundsätzlich sei der Schaden gemäss Art. 42 Abs. 1 OR vom Ge-

schädigten zu beweisen. Wenn dies nicht möglich sei, dann habe der Richter

den Schaden gestützt auf Art. 42 Abs. 2 OR zu schätzen, womit als Beweis-

mass eine gewisse Wahrscheinlichkeit genüge. Der Beweis gemäss Abs. 1

stelle somit die Regel, die Schätzung nach Abs. 2 die Ausnahme dar. Die

Frage der Beweislast gemäss Art. 8 ZGB greife erst ein, wenn der Schaden

760 BGE 127 III 257, E. 5.a; vgl. hierzu auch vorne bei FN 638.

761 Für den Schädiger ist der Nachweis der Nichtkausalität mindestens so schwierig wie für den

Geschädigten der Nachweis der Kausalität; vgl. auch BREHM, BK-OR, N 145 und insbeson-

dere N 145c zu Art. 41 OR. 762

BREHM, BK-OR, N 4 zu Art. 42 OR; REY, N 198; BRUNNER, N 189; BGE 131 III 360, E. 5.1. 763

Urteil des BGer 4C.101/2004 vom 29. Juni 2004, E. 3.2.1; BREHM, BK-OR, N 4 f. zu Art. 42

OR. 764

BÜHLER, S. 56; FELLMANN, Beweis, S. 55 ff.; dagegen stuft die h.L. Art. 42 Abs. 1 als Be-

weislastregel i.S. von Art. 8 ZGB ein, vgl. bspw. REY, N 198; BREHM, BK-OR, N 4 zu

Art. 42 OR; BRUNNER, N 189; BECKER, BK-OR, N 1 zu Art. 42 OR.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

220

weder nach Art. 42 Abs. 1 OR bewiesen noch nach Art. 42 Abs. 2 OR abge-

schätzt werden könne765

.

Es stellt sich nun die Frage, ob die Problematik, dass dem Geschädigten auf-

grund unklarer Kausalanteile (Anteilszweifel, Urheberzweifel) der Nachweis

der Schädigung (und daraus folgend der Nachweis des Schadens) nicht ge-

lingt, über die Anwendung von Art. 42 OR gelöst werden kann.

Diese Idee fusst auf dem Gedankengang, dass für den Nachweis des Scha-

dens der natürliche und adäquate Kausalzusammenhang als Bindeglied zwi-

schen Handlung und Rechtsgutverletzung/Schädigung (haftungsbegründende

Kausalität) und als Bindeglied zwischen Rechtsgutverletzung und Schaden

(haftungsausfüllende Kausalität) gegeben sein muss766

. Damit der Schaden

bewiesen werden kann, ist der Nachweis der natürlichen Kausalität vorausge-

setzt. Gelingt der Nachweis des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht,

weil sich die haftungsbegründende Kausalität zwischen Handlung und

Rechtsgutverletzung nicht beweisen lässt, misslingt auch der Nachweis des

Schadens. Im Rahmen der alternativen Teilursachenkonkurrenz als Beweis-

problem ist dieser Nachweis der Kausalität wie gesehen mit grossen Schwie-

rigkeiten behaftet. Ist aufgrund des Umstands, dass die Setzung einer Teilur-

sache zur Erfüllung des natürlichen Kausalzusammenhangs ausreicht767

, die-

ser gegeben, besteht weiter das Risiko, dass der Geschädigte die Adäquanz

zwischen seinem Verhalten und der verursachten Gesamtschädigung nicht

nachweisen kann. Da dem Geschädigten somit wie gesehen der Nachweis der

Kausalität nach der Beweislastverteilung gemäss Art. 8 ZGB regelmässig

misslingen dürfte768

, und da m.E. weiter in der faktischen Beweislastumkehr

zu Ungunsten der Schädigermehrheit gemäss h.L und Rechtsprechung keine

ausgewogene Lösung erblickt werden kann769

, muss die Lösung der unbestrit-

tenermassen vorhandenen Problematik anderweitig gesucht werden. Dabei

765 FELLMANN, Beweis, S. 55 ff.; BÜHLER, S. 56 ff.; vgl. auch HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR,

N 10 zu Art. 42 OR; OFTINGER/STARK, § 6 N 33; BREHM, BK-OR, N 46 zu Art. 42 OR. 766

Vgl. ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 150; BREHM, BK-OR, N 103 zu Art. 41 OR; vgl. dazu

auch vorne S. 171 f.; vgl. auch den ähnlichen Gedankengang bei LOSER, S. 161, gemäss wel-

chem für die Frage, ob Art. 42 Abs. 2 OR auch bei der Kausalitätsfrage Bedeutung hat, ent-

scheidend ist, was unter dem Begriff des Schadenseintritts (Schädigung) zu verstehen ist und

ob bei dessen Nachweis auch die zum Schaden führende Kausalität zu berücksichtigen sei. 767

BGE 129 V 181, E.3.1 f.; BREHM, BK-OR, N 109a zu Art. 41 OR. 768

Vgl. vorne S. 216 ff. 769

Vgl. vorne S. 218 f.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

221

könnte man versucht sein, das Problem über den Beweis des Schadens ge-

mäss Art. 42 Abs. 1 OR und insbesondere über die Schadensschätzung ge-

mäss Art. 42 Abs. 2 OR zu lösen770

.

b. Schadensbeweis gemäss Art. 42 Abs. 1 OR

Gemäss Art. 42 Abs. 1 OR muss der Geschädigte den Schaden beweisen,

wenn er Schadenersatz beansprucht. Der Beweis umfasst den „ziffernmässi-

gen“, auf „Franken und Rappen genauen“ Nachweis des Schadens771

. Gemäss

HEIERLI/SCHNYDER umfasst dies nicht nur eine substantiierte Schadensbe-

rechnung, sondern auch „den Nachweis der Legitimation des Geschädigten

und den Beweis des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen schädigen-

der Ursache und Schaden“772

.

Betreffend den Nachweis des Kausalzusammenhangs gilt das zuvor Ausge-

führte. Will der Geschädigte den natürlichen Kausalzusammenhang bewei-

sen, gilt, falls der Regelbeweis nicht zu erbringen ist, das Beweismass der

überwiegenden Wahrscheinlichkeit773

. Da im Bereich der Schadenszurech-

nung aus alternativer oder unklarer Kausalität der Nachweis der Teilursa-

chenkausalität zwischen den Schädigern und dem Schadenserfolg gerade

nicht möglich ist, wird ein Beweis nach Art. 42 Abs. 1 OR scheitern.

c. Schadensschätzung gemäss Art. 42 Abs. 2 OR

Gemäss Art. 42 Abs. 2 OR ist der nicht ziffernmässig nachweisbare Schaden

nach Ermessen des Richters mit Rücksicht auf den gewöhnlichen Lauf der

770 So bspw. VON TUHR/PETER, S. 99; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 176, m.w.H.; FORSTMO-

SER, N 381; BREHM, BK-OR, N 48 zu Art. 42 OR, gemäss welchem Art. 42 Abs. 2 OR so-

wohl für den Nachweis der Höhe als auch des Bestehens des Schadens anwendbar ist. Dies

gelte jedoch nur für die Festsetzung des Schadens, für die übrigen Haftungsvoraussetzungen,

insbesondere auch für die Kausalität blieben die normalen Beweisanforderungen bestehen. 771

BREHM, BK-OR, N 9 ff. zu Art. 42 OR; FELLMANN, Beweis, S. 57. 772

HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 1 zu Art. 42 OR; dies bestätigt auch BGE 127 III 365,

E. 2.b: „Nach allgemeinen Grundsätzen hat die Schadenersatz beanspruchende Partei den

Schaden zu beweisen […]. Wie weit die anspruchsbegründenden Tatsachen dabei inhaltlich

zu substanziieren sind, damit sie unter die massgeblichen Bestimmungen des materiellen

Rechts subsumiert werden können, bestimmt das materielle Bundesrecht […]. Die jeweiligen

Anforderungen ergeben sich einerseits aus den Tatbestandsmerkmalen der angerufenen Norm

und anderseits aus dem prozessualen Verhalten der Gegenpartei.“; vgl. auch Urteil des BGer

4C.137/2006 vom 17. Januar 2008, E. 3. 773

BGE 133 III 153, E. 3.3.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

222

Dinge und auf die vom Geschädigten getroffenen Massnahmen abzuschätzen.

Diese Bestimmung kommt als Ausnahme zu Art. 42 Abs. 1 OR zur Anwen-

dung, wenn eine genaue Berechnung und zahlenmässige Bestimmung des

Schadens unmöglich oder unzumutbar ist. Dies hält BGE 122 III 219 fest774

:

Art. 42 Abs. 2 OR enthält eine bundesrechtliche Beweisvorschrift, die dem

Geschädigten den Schadensnachweis erleichtern soll […]. Die Bestimmung

räumt dem Sachgericht für Fälle, in denen der strikte Nachweis des Schadens

ausgeschlossen ist, einen erweiterten Ermessensspielraum ein, indem sie ihm

gestattet, den Schaden aufgrund einer blossen Schätzung als ausgewiesen zu

erachten. Nach der Rechtsprechung ist Art. 42 Abs. 2 OR nicht nur bei Un-

möglichkeit des ziffernmässigen Nachweises der Schadenshöhe, sondern auch

dann anwendbar, wenn sich nicht strikte beweisen lässt, dass überhaupt ein

Schaden eingetreten ist […]. Damit soll dem Geschädigten jedoch entgegen

dem, was die Klägerin anzunehmen scheint, nicht die Möglichkeit eröffnet

werden, ohne nähere Angaben Schadenersatzforderungen in beliebiger Höhe

zu stellen. Art. 42 Abs. 2 OR zielt lediglich auf eine Beweiserleichterung und

nicht etwa darauf, dem Geschädigten die Beweislast generell abzunehmen.

Das Bundesgericht hält in seiner Rechtsprechung denn auch ausdrücklich fest,

dass der Geschädigte alle Umstände, die für den Eintritt eines Schadens spre-

chen und dessen Abschätzung erlauben oder erleichtern, soweit möglich und

zumutbar zu behaupten und zu beweisen hat.“

Damit setzt das Bundesgericht auch bei der Schadensschätzung die Hürde für

den Geschädigten relativ hoch an775

, denn es liegt an ihm, „alle Umstände,

die für den Eintritt eines Schadens sprechen und dessen Abschätzung erlau-

ben oder erleichtern, soweit möglich und zumutbar zu behaupten und zu be-

weisen“. Die Bestimmung hat somit nicht den Zweck, dem Geschädigten den

Beweis abzunehmen, sondern ihm den Beweis zu erleichtern776

. Zu beachten

ist, dass es am Kläger liegt, glaubhaft zu machen, dass die Voraussetzungen

von Art. 42 Abs. 2 OR erfüllt sind777

.

Wie gesehen betrifft die Schadensschätzung die Unmöglichkeit oder Unzu-

mutbarkeit, den Schaden berechnen zu können778

. In diesen Konstellationen

kommt Art. 42 Abs. 2 OR zur Anwendung. Dies betrifft aber nicht die übri-

gen Haftungsvoraussetzungen von Art. 41 OR; die Widerrechtlichkeit, der

774 BGE 122 III 219, E. 3.a; vgl. auch BGE 132 III 379, E. 3.1.

775 HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 10b zu Art. 42 OR.

776 BREHM, BK-OR, N 50 zu Art. 42 OR.

777 OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 177; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 11 zu Art. 42 OR.

778 FELLMANN, Beweis, S. 61.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

223

Kausalzusammenhang und das Verschulden müssen vom Geschädigten

nachgewiesen werden und unterliegen dem Regelbeweismass779

. Der Sinn

von Art. 42 Abs. 2 OR ist nicht darin zu sehen, dem Geschädigten jegliche

Beweisprobleme abzunehmen. Da der Beweis der Kausalität bzw. die Zu-

rechnung von kausalen Teil- und Gesamtursachen und die daraus entstehen-

den Beweisschwierigkeiten nicht die Schadensberechnung und Schadens-

schätzung, sondern den Nachweis einer Haftungsvoraussetzung betreffen, ist

Art. 42 Abs. 2 OR nicht anwendbar, wenn im Rahmen der alternativen Kau-

salität die der Schadenverursachung zugrundeliegenden Kausalitäten unklar

sind und somit die Schädiger nicht bestimmt werden können780

.

6. Fazit

Im Bereich der alternativen Teilursachenkonkurrenzen im Rahmen der An-

spruchskonkurrenz steht der Geschädigte vor der Problematik, den Schädi-

gern die von ihnen je zu vertretenen Teilursachen nicht beweisen zu können.

Diese Problematik lässt sich nicht über die Beweislastverteilung gemäss

Art. 8 ZGB lösen, da hier der Geschädigte die Beweislast tragen würde.

Weiter ist auch in der von der h.L. und Rechtsprechung praktizierten Lösung,

779 BREHM, BK-OR, N 48 zu Art. 42 OR; HEIERLI/SCHNYDER, BSK-OR, N 11 zu Art. 42 OR;

OSER/ SCHÖNENBERGER, N 4 zu Art. 42 OR; WERRO, CR-CO, N 28 zu Art. 42 OR; BGE 131

III 360, E. 5.1: „Ce principe n'est autre que la concrétisation de la règle selon laquelle la

preuve du dommage incombe en principe au lésé (art. 42 al. 1 CO et art. 8 CC). Certes,

l'art. 42 al. 2 CO prévoit que, lorsque le montant exact du dommage ne peut être établi, le juge

le détermine équitablement, en considération du cours ordinaire des choses et des mesures pri-

ses par la partie lésée. Cette disposition, qui tend à instaurer une preuve facilitée en faveur du

lésé, ne le libère cependant pas de la charge de fournir au juge, dans la mesure où c'est possi-

ble et où on peut l'attendre de lui, tous les éléments de fait constituant des indices de l'exis-

tence du dommage et permettant ou facilitant son estimation; elle n'accorde pas au lésé la fa-

culté de formuler sans indications plus précises des prétentions en dommages-intérêts de

n'importe quelle ampleur […]. Enfin, il n'est pas inutile de rappeler que l'estimation du dom-

mage d'après l'art. 42 al. 2 CO repose sur le pouvoir d'apprécier les faits; elle relève donc de la

constatation des faits, laquelle ne peut être revue en instance de réforme […]. Seules consti-

tuent des questions de droit le point de savoir quel degré de vraisemblance la survenance du

dommage doit atteindre pour justifier l'application de l'art. 42 al. 2 CO et si les faits allégués,

en la forme prescrite et en temps utile, permettent de statuer sur la prétention en dommages-

intérêts déduite en justice. Il n'en demeure pas moins que, dans la mesure où l'autorité canto-

nale, sur la base d'une appréciation des preuves et des circonstances concrètes, a admis ou nié

que la vraisemblance de la survenance du préjudice confinait à la certitude, elle a posé une

constatation de fait qui, sous réserve d'exceptions, est soustraite au contrôle de la juridiction

fédérale de réforme […].“ 780

WEBER, einheitliche Lösung, S. 344 f.; WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 120.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

224

die Schädigermehrheit analog zur echten Solidarität bei der Anspruchskon-

kurrenz ohne Nachweis der Kausalität solidarisch haften und zum Gegenbe-

weis antreten zu lassen, keine ausgewogenen Lösung zu erblicken. Zuletzt

kann auch im Rahmen von Art. 42 OR und insbesondere durch das Institut

der Schadensschätzung die Beweisproblematik nicht gelöst werden, da

Art. 42 OR den Geschädigten nicht vom Nachweis der Haftungsvorausset-

zungen entheben kann. Deshalb wird nachfolgend ein Blick auf die Lösung

der Problematik im deutschen Recht geworfen und sodann eine Lösung für

das schweizerische Recht erarbeitet.

IV. Beweislast und Beweismassreduktion im deutschen Recht

Die zuvor vorgestellte Regelung der Alternativtäterschaft in § 830 Abs. 1

Satz 2 BGB sieht schon gemäss seinem Wortlaut einen Verzicht auf den

Nachweis der Kausalität vor. Wenn sich nach dieser Bestimmung „nicht er-

mitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Hand-

lung verursacht hat“, tritt solidarische Haftung ein. Dazu ist anzumerken,

dass das deutsche Recht keine Beweislastumkehr, sondern lediglich ein redu-

ziertes Beweismass vorsieht781

. Zwar wird in der deutschen Lehre die Ansicht

vertreten, es handle sich bei § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB um eine Kausalitäts-

vermutung mit einhergehender Beweislastumkehr782

. Nach neuerer Recht-

sprechung des Bundesgerichtshofes und der herrschenden Lehre handelt es

sich bei der Regelung aber um eine Beweismassreduktion. Der Geschädigte

muss den potentiellen Schädigern nicht direkt den Kausalzusammenhang

nachweisen, sondern bloss beweisen, dass deren Ursachenbeitrag zur Herbei-

führung des Schadens geeignet erscheint783

. Somit haften die alternativen

(potentiellen) Schädiger, welche unabhängig einen Schaden verursacht ha-

ben, aber nur unter der engen Voraussetzung, dass die von den einzelnen

Schädigern gesetzten Ursachen geeignet waren, den ganzen Schaden zu ver-

ursachen (Gesamtkausalitätseignung) und weiter, dass die Schädiger ansons-

ten alle Haftungsvoraussetzungen erfüllt haben784

. Da der Geschädigte sonst

781 MünchKommBGB/WAGNER, N 48 zu § 830 BGB.

782 So MEHRING, S. 43 ff.; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 4, N 115 zu § 830 BGB; BGB-

RGRK/STEFFEN, N 26 zu § 830 BGB. 783

MünchKommBGB/WAGNER, N 31 zu § 830 BGB; BGB-RGRK/STEFFEN, N 16 und N 26 zu

§ 830 BGB; BGH JZ 1855, 29, 30; BGHZ 67, 14, 19; BGHZ 89, 383, 400. 784

BGHZ 101, 106, 111; BGHZ 89, 383, 399; MünchKommBGB/WAGNER, N 30 f. zu § 830

BGB; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 114 zu § 830 BGB.

Page 263: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

225

bei jedem Schädiger die Kausalanteile hätte nachweisen müssen, entspricht

dies einer Beweismassreduktion. Dem Schädiger steht aber der Nachweis

offen nachzuweisen, dass sein Verhalten für die Schädigung nicht ursächlich

war. Insofern steht dem Schädiger somit auch die Möglichkeit zu, sich zu

entlasten (Umkehr der Beweislast)785

. Für die Entlastung ist das

Regelbeweismass gemäss § 287 BGB gefordert786

.

F. Die Frage nach der Tragung des Risikos der

Unaufklärbarkeit

Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage, ob bei nicht nachweisbarer Kausali-

tät die potentiellen Schädiger haften oder der Geschädigte auf dem Schaden

sitzen bleiben soll. Es stellt sich somit die Frage, wer das Risiko der Unauf-

klärbarkeit tragen soll. Abweichend vom Grundsatz, dass der Geschädigte

seinen Schaden beweisen muss, wird in Deutschland dieses Risiko durch ein

reduziertes Beweismass mit Beweislastumkehr „in die Mitte“ geschoben, der

Geschädigte profitiert vom reduzierten Beweismass, der Schädiger hat die

Möglichkeit, sich zu entlasten. Darin ist denn auch der Zweck von § 830

Abs. 1 Satz 2 BGB zu sehen, in der Funktion die Beweisnot des Geschädig-

ten zu beheben787

. Es entspricht dem Gerechtigkeitsempfinden, den Schaden

ausgleichen zu wollen. Hinzukommt, dass der Schädiger bis auf die Voraus-

setzung der Kausalität den Haftungstatbestand erfüllt und sein Beitrag zur

Verursachung des gesamten Schadens geeignet erscheint788

. Dies führt zu ei-

ner Höherbewertung des Interesses des Geschädigten, Ersatz für den Schaden

zu erhalten789

:

„Ob sie [die Handlung des Schädigers] tatsächlich für ihn [den Schaden] kau-

sal wurde, war nur noch eine Frage des Zufalls. Wurde sie nicht kausal, so war

dies jedenfalls kein Verdienst des Beteiligten. Unter diesen Voraussetzungen

erscheint es gerechtfertigt, das Interesse des Geschädigten, überhaupt Ersatz

zu erlangen, gegenüber den Interessen der Beteiligten, nicht ohne Kausalitäts-

785 BGHZ 33, 286, 292; Soergel/KRAUSE, N 16 zu § 830 BGB; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES,

N 115 zu § 830 BGB; MünchKommBGB/WAGNER, N 31 zu § 830 BGB. 786

MünchKommBGB/WAGNER, N 31 zu § 830 BGB. 787

BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 66 zu § 830 BGB; MünchKommBGB/WAGNER, N 4 zu

§ 830 BGB. 788

Soergel/KRAUSE, N 14, N 16 zu § 830 BGB; MünchKommBGB/WAGNER, N 30 ff. zu § 830

BGB. 789

BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 66 zu § 830 BGB.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

226

nachweis haften zu müssen, höher zu bewerten und das Unaufklärbarkeitsri-

siko auf die Beteiligten zu verlagern.“

Der Ansicht, das Risiko der Unaufklärbarkeit nicht (ausschliesslich) dem Ge-

schädigten zu überbinden, wird auch in der Schweiz zugestimmt790

. Die

Schweiz kennt aber keine Bestimmung wie § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB, wel-

cher die alternative oder unsichere Kausalität regelt. In der Rechtsprechung

und Teilen der Lehre wird das Problem wie gesehen mit einem sehr weit ver-

standenen Solidaritätsbegriff gelöst, bei welchem der Nachweis der Kausali-

tät aufgrund des weit verstandenen gemeinsamen Verschuldens nicht zu er-

folgen braucht791

. Im Bereich der Anspruchskonkurrenz wird im Wissen um

die Unabhängigkeit der Handlungen der Schädiger dennoch solidarische

Haftung als Folge angenommen792

. Die Lehre schliesslich versucht mit einer

Reihe von Lösungsansätzen die Frage der Haftung bei unklarer oder alterna-

tiver Kausalität zu lösen. Diese Lösungsansätze sollen nachfolgend darge-

stellt werden. Zuerst wird aber auf die Voraussetzungen eingegangen, welche

erfüllt sein müssen, dass das Risiko der Unaufklärbarkeit von Kausalanteilen

auf die Schädiger übertragen werden kann.

790 WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 120; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173.

791 BGE 104 II 184, E. 2: „En participant ensemble à une activité dont ils pouvaient et devaient

reconnaître le caractère dangereux, les trois enfants ont commis une faute commune, dont

l'importance est certes sensiblement atténuée en raison de leur jeune âge, mais qui engage

néanmoins leur responsabilité solidaire selon l'art. 50 al. 1 CO, pour le dommage en relation

de causalité adéquate avec cette activité […]. Peu importe que la flèche qui a atteint l'œil du

demandeur ait été tirée par le défendeur seul. Ses deux camarades jouaient au même titre, cha-

cun à leur tour, le rôle de tireur et de cible; aucun n'était un simple spectateur. Par ailleurs, le

comportement de leur camarade n'a pas été tel qu'il eût interrompu la relation de causalité en-

tre leur activité commune et le dommage.“; in der Lehre REY, N 627; OFTINGER/STARK, § 3

N 121. 792

Vgl. BGE 130 III 591, E. 5.5.1: „Haben mehrere Personen einen Schaden gemeinsam ver-

schuldet, so haften sie dem Geschädigten solidarisch, d.h. für den ganzen Schaden (Art. 50

Abs. 1 OR; so genannte echte Solidarität). Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesge-

richts auch dann, wenn mehrere Personen aus verschiedenen Rechtsgründen haften, wie dies

namentlich bei der mangelhaften Ausführung eines Bauwerks regelmässig der Fall ist (Art. 51

Abs. 1 OR).“; OFTINGER/STARK, § 10 N 4; SCHNYDER, BSK-OR 2007, N 8 zu Art. 50 OR

sowie N 2, N 6 und N 8 zu Art. 51 OR; GUHL/KOLLER, § 26 N 10; REY, N 1440; BREHM,

BK-OR, N 18 zu Art. 51 OR; HONSELL, § 11 N 12 ff.; vgl. JANSEN, S. 62.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

227

G. Voraussetzungen für eine Risikoüberwälzung auf

Schädiger

Die deutsche Lehre und Rechtsprechung hat klare Voraussetzungen definiert,

welche erfüllt sein müssen, dass eine Mehrzahl von Schädigern bei alternati-

ver oder unsicherer Kausalität gemäss § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB solidarisch

haftet793

. Aufgrund des Umstandes, dass auch im schweizerischen Recht wie

gesehen eine Haftung für bloss mögliche Schädiger abzulehnen ist, erscheint

es sinnvoll, die Erfüllung der nachfolgend erläuterten Voraussetzungen zu

verlangen, um eine solidarische Haftung von Alternativtätern zu begründen.

I. Haftungsvoraussetzungen erfüllt

Als erste Voraussetzung muss bei jedem Schädiger der Nachweis aller Haf-

tungsvoraussetzungen ausser der Kausalität erbracht werden. Wie schon zu-

vor gesehen, sieht § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB im Sinne einer Beweismassre-

duktion lediglich vor, dass der Geschädigte den potentiellen Schädigern nicht

direkt den Kausalzusammenhang nachweisen, sondern bloss beweisen, dass

deren Ursachenbeitrag zur Herbeiführung des Schadens geeignet erscheint794

.

Dies beinhaltet den Nachweis, dass die Schädiger ansonsten alle Haftungsvo-

raussetzungen erfüllt haben795

. Gelingt der Nachweis einer anderen Haftungs-

voraussetzung ausser der Kausalität nicht, entfällt eine Haftung nach § 830

Abs. 1 Satz 2 BGB und es kommt allenfalls eine Schadensschätzung gemäss

§ 287 BGB in Betracht796

.

In der schweizerischen Lehre wird diese Voraussetzung auch gefordert, denn

die Erfüllung aller übrigen Haftungsvoraussetzungen ausser der Kausalität

unterscheidet den Alternativtäter vom bloss möglichen Schädiger797

. Somit

ist diese Voraussetzung auch im schweizerischen Recht anzuwenden.

793 BGHZ 101, 106, 108; BGHZ 72, 355, 358; vgl. die Übersicht bei MünchKommBGB/WAG-

NER, N 36 ff. zu § 830 BGB. 794

MünchKommBGB/WAGNER, N 31 zu § 830 BGB; BGB-RGRK/STEFFEN, N 16 und N 26 zu

§ 830 BGB; BGH JZ 1855, 29, 30; BGHZ 67, 14, 19; BGHZ 89, 383, 400. 795

BGHZ 101, 106, 111; BGHZ 89, 383, 399; MünchKommBGB/WAGNER, N 30 f. zu § 830

BGB; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 114 zu § 830 BGB. 796

WECKERLE, S. 139 ff.; BGHZ 89, 383, 399 f.; BGB-RGRK/Steffen, N 17 zu § 830 BGB. 797

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173; WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 121, FN 35.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

228

II. Schadensverursachung

Als zweite Voraussetzung muss einer der in Frage kommenden Schädiger

den Schaden mit Sicherheit verursacht haben, es darf lediglich unklar blei-

ben, welcher Schädiger die kausale Verursachung zu vertreten hat798

. Bei Ur-

heberzweifel muss eine der Handlungen den ganzen Schaden tatsächlich ver-

ursacht haben, bei Anteilszweifeln (komplementäre Kausalität) können auch

mehrere Handlungen (Teilursachen) die Schädigung zusammen verursacht

haben799

. An dieser Voraussetzung fehlt es ganz oder teilweise, wenn der

Schaden durch einen Dritten oder den Geschädigten selbst verursacht

wurde800

. Diesfalls bezieht sich die Haftung der Schädiger nur auf die ge-

ringste hypothetische Haftungsquote nach Abzug des Beitrags des Dritten

oder Geschädigten801

.

Auch bei dieser Voraussetzung erscheint eine Anwendung im schweizeri-

schen Recht sinnvoll. Ist nicht klar, dass einer der Schädiger mit Sicherheit

tatsächlich der Schädiger ist, handelt es sich um einen Fall der bloss mögli-

chen Kausalität und eine Haftung wäre zu verneinen. Mitwirkenden Ursachen

von Seiten eines Dritten oder von Seiten des Geschädigten ist Rechnung zu

tragen, indem die diesbezügliche Haftungsquote gemäss Art. 44 Abs. 1 OR

oder aufgrund der Pflicht der Schadensvermeidung des Geschädigten vorab

in Abzug zu bringen ist802

. Lässt sich der Anteil des Geschädigten aus kausa-

ler Sicht nicht bestimmen, ist dem mittels Schätzung des Anteils Rechnung

zu tragen803

.

798 MünchKommBGB/WAGNER, N 39 zu § 830 BGB.

799 BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 68, N 83 f. zu § 830 BGB.

800 BGB-RGRK/STEFFEN, N 18 zu § 830 BGB; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 83 f. zu

§ 830 BGB. 801

BGHZ 72, 355, 363; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 84 f. zu § 830 BGB; BGB-

RGRK/STEFFEN, N 19 zu § 830 BGB. 802

Vgl. zur Zurechnung von schädigenden Ursachen aufgrund von Verantwortungsbereichen

vorne S. 119 ff.; zur Schadenvermeidungspflicht des Geschädigten vgl. S. 130 ff. 803

Vgl. anschliessend den Lösungsansatz der anteilsmässigen Haftung aufgrund von Wahr-

scheinlichkeiten S. 234 ff.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

229

III. Unaufklärbarkeit der Verursachung bzw. Kausalanteile

Als dritte Voraussetzung muss unaufklärbar sein, welcher der infrage kom-

menden Schädiger die Schädigung tatsächlich verursacht hat bzw. welchen

kausalen Anteil jeder der infrage kommenden Schädiger tatsächlich an der

Schädigung hatte804

. Steht die Haftung eines Schädigers für den Schaden auf-

grund der ihm nachgewiesenen Kausalanteile tatsächlich fest, kommen wei-

tere mögliche Schädiger als Alternativtäter nicht mehr in Betracht805

.

Zu beachten ist diese Problematik vor allem bei Folgeschäden (Folgeschädi-

gungen)806

. Ein Folgeschadenfall liegt vor, wenn bspw. nach einem Verkehrs-

unfall der auf der Strasse liegende Geschädigte zeitlich versetzt noch von ei-

nem zweiten Fahrzeug angefahren wird und so weitere Verletzungen erleidet.

Der Erstschädiger haftet sowohl für den von ihm verursachten Schaden als

auch für den Folgeschaden, welcher durch den Zweitschädiger hervorgerufen

wurde, da der Folgeschaden immer noch als adäquat-kausale Folge der Erst-

schädigung anzusehen ist807

. Auch basierend auf der Risikoerhöhungstheorie

ergibt sich dieses Ergebnis808

. Ist beim Zweitschädiger unklar, ob er zur

Schädigung beigetragen hat (Urheberzweifel) oder in welchem Umfang er

beim Geschädigten Verletzungen verursacht hat (Anteilszweifel), entfällt

eine Haftung des Zweitschädigers809

. Dies ist damit zu begründen, dass die

dem Geschädigten im Falle der alternativen (unklaren) Kausalität zur Verfü-

gung gestellte Beweismassreduktion mit Beweislastumkehr810

anstelle des

grundsätzlich nötigen Kausalitätnachweises mit der Beweisnot des Geschä-

digten gerechtfertigt wird. Haftet aber ein Schädiger (der Erstschädiger) für

den ganzen Schaden, liegt betreffend die Schadenverursachung keine unklare

(alternative) Kausalität mehr vor. Da somit für den Geschädigten keine Be-

804 BGHZ 67, 14, 19; MünchKommBGB/WAGNER, N 39, N 44 ff. zu § 830 BGB; BGB-Staudin-

ger/EBERL-BORGES, N 90 zu § 830 BGB. 805

BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 90 zu § 830 BGB. 806

MünchKommBGB/WAGNER, N 46 f. zu § 830 BGB; vgl. hierzu auch vorne S. 82 f. und

S. 185 ff. 807

Vgl. BGHZ 33, 286, 286; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 91 zu § 830 BGB. 808

Vgl. zur Risikoerhöhungstheorie vorne S. 80 ff. 809

BGHZ 67, 14, 19 ff.; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 93 ff. zu § 830 BGB; Münch-

KommBGB/WAGNER, N 46 zu § 830 BGB; BGB-RGRK/STEFFEN, N 20 zu § 830 BGB. 810

Für den Nachweis der unklaren Kausalität gilt die zuvor behandelte Beweismassreduktion mit

Beweislastumkehr zur Entlastung des Schädigers, vgl. zur Beweismasserleichterung vorne

S. 224 f.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

230

weisprobleme mehr bestehen und da dem Geschädigten aber der Nachweis

der Kausalität betreffend den Zweitschädiger misslingt, haftet der Zweitschä-

diger nicht. Der Grund, dass man dem Geschädigten die Beweismassreduk-

tion mit Beweislastumkehr zugesteht liegt nämlich darin, die aufgrund der

Beweisprobleme des Geschädigten drohende Nichthaftung aller potentiellen

Schädiger abzuwenden, und nicht, dem Geschädigten eine Schädigermehrheit

zu besorgen811

.

Wiederum erscheint die Anwendung der Voraussetzung für das schweizeri-

sche Recht sachgerecht. Denn sind die Kausalanteile bestimmbar, besteht

kein Grund, den Geschädigten vom Nachweis der Kausalität zu befreien. Im

Bereich der Anspruchskonkurrenz in Alternativtäterschaft kann somit bei

klaren oder bestimmbaren Kausalverhältnissen keine solidarische Haftung

der Schädiger zur Anwendung gelangen. Bei additiver und komplementärer

Teilursachenkonkurrenz ist zu unterscheiden. Bei additiver Kausalität liegt

ein Einzelschaden vor, womit für den additiven Teil eines Schadens grund-

sätzlich kein Raum für alternative Kausalität bleibt. Ist hingegen unklar, ob

additive oder komplementäre Kausalität vorliegt, liegen keine klaren Kausal-

anteile vor und es stellt sich die Frage, wie mit den Anteilszweifeln umzuge-

hen ist. Dafür wird, wie nachfolgend dargetan, der Lösungsansatz einer Be-

weismassreduktion mit Beweislastumkehr bevorzugt812

.

IV. Gesamtkausalitätseignung

Als viertes Kriterium ist für eine solidarische Haftung von Alternativtätern

die bereits mehrfach erwähnte Gesamtkausalitätseignung vorausgesetzt813

. In

der deutschen Rechtsprechung ist es nicht ausreichend, dass die Haftungsur-

sache des potentiellen Schädigers geeignet war, den Schaden mit zu verursa-

chen. Die Eignung muss sich auf den Gesamtschaden beziehen, also die „Fä-

higkeit des einzelnen Ursachenbeitrags, den Gesamtschaden allein zu verur-

sachen814

. Anzumerken ist, dass sich die alternative Kausalität auch nur auf

811 Vgl. BGHZ 67, 14, 21 f.; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 93 ff. zu § 830 BGB; Münch-

KommBGB/WAGNER, N 46 zu § 830 BGB. 812

So auch WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 121; vgl. zum Lösungsansatz der Beweismass-

reduktion mit Beweislastumkehr hinten S. 234 ff. 813

Vgl. zur Gesamtkausalitätseignung vorne S. 224. 814

BGHZ 67, 14, 18 f.; MünchKommBGB/WAGNER, N 51 zu § 830 BGB, m.w.H.

Page 269: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

231

einen Teilschaden beziehen kann815

. Diesfalls bezieht sich die Eignung des

Verursachungsbeitrags nur auf einen Teil des Schadens, bei welchem auf-

grund der Kausalitätszweifel die Verursachung einem oder mehreren Schädi-

gern nicht zugeordnet werden kann816

.

Für das schweizerische Recht ist die Voraussetzung der Gesamtkausalitäts-

eignung zusammen mit dem Nachweis der übrigen Haftungsvoraussetzungen

ausser der Kausalität als Voraussetzung des Lösungsansatzes der Beweis-

massreduktion gefordert817

. Fehlt es der schädigenden Ursache an der Eig-

nung, den ganzen Schaden hervorzurufen, so kann sich bei Kausalitätseig-

nung bezogen nur auf einen Teil des Schadens der Lösungsansatz auch nur

auf den betreffenden Schadensteil beziehen. Ist eine Eignung demgegenüber

gänzlich ausgeschlossen, ist als Lösungsansatz eine anteilsmässige Haftung

aufgrund von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu bevorzugen818

.

H. Zurechnung unklarer Kausalanteile bei einer Mehrzahl

Schädiger

I. Konstellationen

1. Nicht relevante Konstellationen

Es sei daran erinnert, dass folgende Konstellationen nicht Teil der nachfol-

gend behandelten Problematik sind:

- Fälle der echten Solidarität gemäss Art. 50 OR (gemeinsames Verschul-

den und Zusammenwirken), bei welchen es auf die (alternative) Kausalität

nicht ankommt. Wie zuvor gesehen, stellt sich das Problem der alternati-

ven Kausalität in den Fällen der echten Solidarität nicht819

. Denn Kausal-

zweifel sind bei der Beurteilung rechtlicher Kausalzusammenhänge nur

relevant, wo die Schädigungsanteile auch kausal zugerechnet werden. Da

815 MEHRING, S. 69 ff.; MünchKommBGB/WAGNER, N 50 zu § 830 BGB.

816 So auch LOSER, S. 242 f.; QUENDOZ, S. 66; WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 120 f.;

WECKERLE, S. 165. 817

Vgl. zum Lösungsansatz der Beweismassreduktion anschliessend S. 234 ff. 818

Vgl. zum Lösungsansatz der anteilsmässigen Haftung aufgrund von Wahrscheinlichkeitsüber-

legungen hinten S. 237 ff. 819

Vgl. vorne S. 202 ff.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

232

bei der echten Solidarität die Zurechnung über das gemeinsame Verschul-

den erfolgt, stellt sich die Frage der zugrundeliegenden Kausalitätsart

nicht.

- Im Bereich der Urheberzweifel sind jene Konstellationen der alternativen

Gesamtursachenkonkurrenz nicht relevant, in welchen nicht nur der kau-

sale Bezug der potentiellen Täterhandlung zum Schaden nicht klar ist

(Urheberzweifel), sondern auch die weiteren Haftungsvoraussetzungen

(Widerrechtlichkeit, Rechtsgutverletzung, Verschulden) nicht belegt

sind820

. Wie gesehen reicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe

bloss möglicher Schädiger nicht aus, um eine solidarische Haftung zu be-

gründen821

. Eine Haftung aller dieser nur möglichen Schädiger wäre eine

Haftung für blosse Anwesenheit, welche es im schweizerischen Recht

nicht gibt822

. Dies entspricht der h.L., dass keiner der potentiellen Schädi-

ger haftet, da ihm die Schädigung nicht nachgewiesen werden kann823

.

2. Relevante Konstellationen

Die beiden folgenden Konstellationen mit alternativer bzw. unsicherer Kau-

salität bilden demgegenüber die Basis der nachfolgend präsentierten Lö-

sungsansätze:

- Fälle der alternativen Kausalität im Sinne der Anspruchskonkurrenz ge-

mäss Art. 51 OR (kein Zusammenwirken, kein gemeinsames Verschul-

den), in welchen klar ist, dass jeder der Schädiger einen Anteil an der

Schädigung hat, aber unklar ist, welchen Anteil jeder Schädiger an der

Schädigung hat (sog. Anteilszweifel824

). Es stellt sich nicht die Frage, ob

820 Vgl. dazu vorne S. 208 ff.

821 So auch ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173 ff., N 176; MünchKommBGB/WAGNER, N 48 f.

822 So auch ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 176; weder haften die Personen solidarisch, welche

sich in einem Raum aufhielten, aus dem ein Schmuckstück gestohlen wurde, noch haften alle

Autofahrer solidarisch, welche in einem bestimmten Zeitabschnitt die Sturzstelle eines Motor-

radfahrers passiert haben. Hier kommt, auch wenn die Lösung zugegebenermassen unschön

ist, aufgrund der Beweislosigkeit der Grundsatz „casum sentit dominus“ zum Tragen und der

potentielle Schädiger haftet nicht; vgl. auch BYDLINSKI, Haftung, S. 2, 6 f. 823

BREHM, BK-OR, N 145 ff. zu Art. 41 OR; OFTINGER, Haftpflichtrecht, S. 81 f.; KELLER,

S. 103; KELLER/GABI, S. 23 f.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 176. 824

MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830 BGB; LOSER, S. 127; BYDLINSKI, Streitfragen,

S. 27.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

233

ein Schädiger, sondern bloss, in welchem Umfang er an der Schädigung

mitbeteiligt ist.

- Fälle der alternativen Kausalität im Sinne der Anspruchskonkurrenz ge-

mäss Art. 51 OR (kein Zusammenwirken, kein gemeinsames Verschul-

den), bei welchen unklar ist, welcher der möglichen Schädiger den Scha-

den oder den Schadensteil verursacht hat (sog. Urheberzweifel825

). Damit

sind nicht die gerade genannten Konstellationen der bloss möglichen

Schädiger gemeint. Vielmehr geht es um Konstellationen der Gesamt-

oder Teilursachenkonkurrenz, in welchen nur die Kausalität alternativ un-

klar bleibt, jedoch ansonsten die in Frage kommenden Schädiger durch ihr

Verhalten alle Voraussetzungen für eine Haftung erfüllt haben (Wider-

rechtlichkeit, Rechtsgutverletzung, Verschulden).

II. Verschiedene Lösungsansätze bei alternativer/unsicherer

Kausalität

1. Keine Haftung?

Die Ansicht, dass bei alternativer Kausalität nicht gehaftet wird, beruht oft

auf der Verwechslung alternativer Kausalität mit bloss möglicher Kausalität

respektive der Einordnung der alternativen Kausalität als bloss mögliche

Kausalität826

. Wird zumindest der Umstand erkannt, dass bei der alternativen

Ursachenkonkurrenz die übrigen Haftungsvoraussetzungen durch den Ge-

schädigten nachzuweisen sind, sodass das Problem einzig auf ein Beweis-

problem betreffend die Kausalität reduziert wird, tritt die Literatur für eine

Reihe von Lösungen ein, welche nachfolgend vorgestellt werden.

2. Solidarische Haftung?

Für die Konstellationen der alternativen Solidarität wird neben der Nichthaf-

tung der bloss möglichen Schädiger die Lösung der solidarischen Haftbarkeit

825 LOSER, S. 243; MünchKommBGB/WAGNER, N 45 zu § 830 BGB.

826 So etwa BREHM, BK-OR, N 145 zu Art. 41 OR; vgl. auch OFTINGER, Haftpflichtrecht,

S. 81 f.; KELLER, S. 103; KELLER/GABI, S. 23 f.; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 176; ZK-

OSER/SCHÖNENBERGER, N 87 zu Art. 41 OR; WYSS, Kausalitätsfragen, S. 317; FREI, Kausal-

zusammenhang, S. 32 f.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

234

vertreten827

. Eine solidarische Haftung in Fällen der alternativen Kausalität ist

abzulehnen828

. Das schweizerische Recht kennt keinen § 830 Abs. 1 Satz 2

BGB829

, gemäss welchem in Fällen der alternativen oder unklaren Kausalität

solidarische Haftung angenommen wird. Ohnehin ist zu berücksichtigen, dass

das deutsche Recht die solidarische Haftung an verschiedene Voraussetzun-

gen knüpft, so den Nachweis der Haftungsvoraussetzungen und die Gesamt-

kausalitätseignung830

. Abzulehnen ist eine voraussetzungslose solidarische

Haftung, weil das Prinzip der Solidarität (als Erfüllungsmodalität zugunsten

des Geschädigtenschutzes) dem grundlegenden Prinzip der Verschuldens-

oder Kausalhaftung (Haftung nur bei Verschulden oder Kausalbeitrag) unter-

liegt und auf einem gemeinsamen Verschulden der Schädiger beruht831

. In

den Fällen der alternativen Kausalität ist es klar, dass einer der „Schädiger“

eben kein Schädiger, sondern ein (allenfalls zufällig anwesender) Nichtschä-

diger ist. Eine gemeinsame Verursachung basierend auf einem gemeinsamen

Verschulden liegt nicht vor und die Haftung kann nicht auf Art. 50 OR ge-

stützt werden832

.

3. Beweismasserleichterung und Beweislastumkehr

a. Beweislastumkehr

In der Lehre wird vorgeschlagen, bei alternativer oder unsicherer Kausalität

in Konstellationen, in welchen alle Haftungsvoraussetzungen erfüllt und nur

die Kausalität unsicher ist, die Beweislast für die Kausalität den Schädigern

zu überbinden und sie bei misslingender Entlastung solidarisch haften zu las-

sen833

.

827 HONSELL, § 3 N 67, mit Verweis auf die deutsche Lehre und § 830 BGB; LANDOLT, Kausali-

tät, S. 153 f. 828

So auch LOSER, S. 243 f. 829

Vgl. hierzu vorne, S. 203 ff. 830

Vgl. hierzu S. 230. 831

Dies ergibt sich aus dem grundlegenden haftpflichtrechtlichen Prinzip „casum sentit domi-

nus“, vgl. hierzu vorne bei FN 211 sowie vorne S. 73 f. und FN 334; vgl. auch OFTIN-

GER/STARK, § 1 N 10 ff.; REY, N 18 ff. 832

So auch KÖRNER, N 194; ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173 ff.; BREHM, BK-OR, N 145 zu

Art. 41 OR. 833

LOSER, S. 238 ff., m.w.H.; ROMERIO, Toxische Kausalität, S. 181 ff.; ROBERTO, Haftpflicht-

recht, N 173; WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 119, 121; vgl. zur Thematik ausführlich

LOSER, S. 175 ff., S. 191 ff., S. 198; S. 238 ff.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

235

Dabei ist betreffend die Beweislastumkehr zu bedenken, dass der Nachweis

der Kausalität oder Nichtkausalität, m.a.W. der Nachweis, wer den Schaden

durch seine gesetzte Gesamtursache tatsächlich verursacht hat, den Schädi-

gern genauso schwer fallen wird, wie dem Geschädigten, bzw. dass dem

Nichtschädiger der Nachweis der Nichtschädigung kaum möglich sein

wird834

. Da dem potentiellen Schädiger der Nachweis der Nichtbeteiligung

oft misslingen dürfte, läuft dies faktisch auf eine solidarische Haftung hinaus.

Dies ist aber aufgrund des Umstands, dass jeder der Schädiger alle Haftungs-

voraussetzungen ausser der Kausalität sicher erfüllt hat und es somit zufällig

ist, ob er den Schaden auch kausal verursacht hat, im Sinne der Verteilung

des Risikos für die Unaufklärbarkeit die richtige Lösung835

. So führt denn

auch LOSER treffend aus836

:

„Die Besonderheit der alternativen Täterschaft, welche diese von anderen

Konstellationen unsicherer Verursachung unterscheidet, liegt in der Gewiss-

heit, dass das Opfer selber „unschuldig“ ist und auch keinen Zufall oder sons-

tigen Umstand aus dem eigenen Risikobereich zu verantworten hat, womit die

haftpflichtrechtliche Gerechtigkeitswertung „casum sentit dominus“, der

blosse Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereig-

net, einer Absage des Haftungsanspruchs entgegensteht. Denn das Ersatzrecht

für den erlittenen Schaden ist von der Grundwertung her angemessen und auch

gerecht […]. Es ist daher das geringere Unrecht als die völlige Haftungsfrei-

stellung und entspricht der gesetzlichen Wertung, die gefährlich handelnden

Beklagten, welche sich hinter der Beweisnot des Opfers verstecken, verant-

wortlich zu machen und das „Unaufklärbarkeitsrisiko“ auf dem Regressweg zu

verteilen.“

Diese von LOSER vertretene Lösung ist m.E. im Bereich der alternativen

Kausalität durchaus sachgerecht, wenn die zuvor dargelegten Voraussetzun-

gen erfüllt sind.

b. Beweismasserleichterung und Beweislastumkehr

Richtigerweise liegt aber in Anlehnung an das deutsche Recht keine direkte

Beweislastumkehr vor, sondern lediglich eine Beweismasserleichterung837

.

834 So auch QUENDOZ, S. 14, welcher aber aus diesem Grund für anteilsmässige Haftung eintritt.

835 WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 120 f.

836 So im Bereich der Haftung für Umweltschäden dezidiert LOSER, S. 238 f.

837 Mit dem Vorwurf der direkten Beweislastumkehr statt einer Beweismasserleichterung setzt

sich das Urteil des BGer 4A_48/2010 vom 9. Juli 2010, E. 7.5.2 auseinander: „Haltlos ist auch

die Behauptung des Beschwerdeführers, die "Folgerung" der Vorinstanz führe zu einer Um-

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

236

Dies ist damit zu begründen, dass der Geschädigte zwar nicht die Kausalität

nachzuweisen hat, jedoch auch in diesen Konstellationen wie in jedem ande-

ren Haftpflichtfall die übrigen Haftungsvoraussetzungen beweisen muss. Zu-

dem hat er m.E. auch darzutun, dass sich der Beitrag der Schädiger je eig-

nete, den gesamten Schaden zu verursachen (Gesamtkausalitätseignung)838

.

Erst wenn dem Geschädigten dies gelingt – was einer Beweismasserleichte-

rung entspricht – liegt insofern eine Beweislastumkehr vor, als die Kausalität

vermutet und dem Schädiger gestattet wird, diese Vermutung zu widerle-

gen839

.

c. Eignung des Lösungsansatzes

Die Umkehr der Beweislast ist m.E. für jene Fälle geeignet, in welchen trotz

unabhängiger Schadensverursachung durch eine Mehrheit von Schädigern

feststeht, dass jeder der in Anspruch genommenen Schädiger an der Scha-

densverursachung mitbeteiligt war und selber den ganzen Schaden hätte ver-

ursachen können.

Anzumerken ist, dass sich die alternative Kausalität auch nur auf einen Teil-

schaden beziehen kann840

. In dieser Konstellation bezieht sich die Eignung

des Verursachungsbeitrags nur auf jenen Teil des Schadens, bei welchem

aufgrund der Kausalitätszweifel die Verursachung einem oder mehreren

Schädigern nicht zugeordnet werden kann841

. Diese Frage betrifft dann aber

wie ausgeführt Kausalitätszweifel für eine Teilursache und setzt zudem vor-

aus, dass die übrigen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind842

.

Festzuhalten ist, dass dieser Lösungsansatz das Problem aufgrund des

Versagens, die kausalen Anteile feststellen zu können, nicht durch die streng

logische Zurechnung durch Kausalität löst, sondern durch eine wertende Ent-

kehr der Beweislast, die weder im kantonalen noch im Bundesrecht ein Stütze finde. Die

Vorinstanz befürwortete lediglich eine weitergehende, das Beweismass der überwiegenden

Wahrscheinlichkeit reduzierende Beweiserleichterung für die Beschwerdegegner, nicht eine

Beweislastumkehr.“ 838

MünchKommBGB/WAGNER, N 30 f. zu § 830 BGB; BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 66,

N 114 zu § 830 BGB. 839

WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 121. 840

MEHRING, S. 69 ff.; MünchKommBGB/WAGNER, N 50 zu § 830 BGB. 841

So auch LOSER, S. 242 f.; QUENDOZ, S. 66; WEBER, Solidarität und Kausalität, S. 120 f.; für

das deutsche Recht WECKERLE, S. 165. 842

ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 173.

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§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

237

scheidung, das Risiko der Beweislosigkeit und der Unaufklärbarkeit der Kau-

salanteil den Schädigern aufzubürden. Diese Entscheidung zugunsten des

Geschädigten ist aber insofern gerechtfertigt, als feststeht, dass die Kausali-

tätszweifel nur gerade darum bestehen, weil eine Mehrheit an Schädigern

beteiligt ist843

. Hingegen wäre eine Beweislastumkehr für bloss mögliche

Schädiger, wie vorne ausgeführt, aus den dort erläuterten Gründen abzuleh-

nen.

4. Anteilsmässige Haftung aufgrund von

Wahrscheinlichkeitsanteilen?

a. Wahrscheinlichkeitshaftung nach QUENDOZ

In der neueren Lehre wird weiter die Ansicht vertreten, die potentiellen

Schädiger anteilsmässig nach Wahrscheinlichkeitsquote haften zu lassen844

.

Die möglichen Schädiger sollen demnach in der Höhe der Verursacherwahr-

scheinlichkeit haften845

. Diese Lösung wurde insbesondere von QUENDOZ

entwickelt846

. Gemäss QUENDOZ muss das Verhalten eines potentiellen Schä-

digers generell geeignet sein, einen „Schaden der vorliegenden Art“ zu verur-

sachen847

. Damit eine Person überhaupt potentieller Schädiger ist, muss ihm

ein „konkretes, schadensträchtiges Verhalten nachgewiesen werden“, wel-

ches „generell geeignet ist, einen solchen Schaden herbeizuführen.“848

Haben

die Schädiger den Schaden in alternativer Kausalität verursacht, kann das

Prinzip der solidarischen Haftung gemäss QUENDOZ keine Anwendung fin-

den, da die Schädiger sonst für einen viel grösseren Teil haften würden, als

aufgrund ihrer statistischen Verursacherquote wahrscheinlich ist. Im Resultat

müsste der Schädiger für viel mehr einstehen, als er gemäss Wahrscheinlich-

keit verursacht hat. Deshalb sei die Haftung eines potentiellen Schädigers

gemäss den Umständen des Einzelfalls auf die Quote der Verursacherwahr-

scheinlichkeit des Schadens zu beschränken849

.

843 LOSER, S. 239; WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 120 f.

844 OFTINGER/STARK, § 3 N 116 ff.; QUENDOZ, S. 69 ff.; REY, N 624.

845 REY, N 624.

846 QUENDOZ, S. 43 ff.

847 QUENDOZ, S. 54.

848 QUENDOZ, S. 54.

849 QUENDOZ, S. 80 f., S. 102.

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Teil 3: Haftungsmodell: Solidarität, Anspruchskonkurrenz und Kausalität

238

b. Eignung des Lösungsansatzes

Eine anteilsmässige Haftung nach Wahrscheinlichkeitsquote ist ein interes-

santer Ansatz im Bereich der alternativen oder unsicheren Kausalität. Er führt

dazu, dass statt einer solidarischen Haftung einer Mehrzahl Schädiger für ei-

nen Schaden die Haftung auf eine bestimmte Anzahl in Frage kommender,

potentieller Schädiger anteilsmässig verteilt wird. Vorauszusetzen ist aber

auch im Bereich der Wahrscheinlichkeitshaftung, dass den Schädigern die

übrigen Haftungsvoraussetzungen nachgewiesen werden und sich ihr Beitrag

im Sinne der Gesamtkausalitätseignung zur Verursachung des gesamten

Schadens eignet. Dies liefe sonst auf eine anteilsmässige Haftung für mögli-

che Kausalität hinaus, was abzulehnen ist850

. Zu berücksichtigen ist aber, dass

der Geschädigte im Rahmen einer anteilsmässigen Haftung seinen Anspruch

gegenüber jedem Schädiger einzeln durchsetzen müsste und somit auch das

Insolvenzrisiko tragen würde851

.

III. Fazit: Beweismasserleichterung, Beweislastumkehr und

subsidiär Wahrscheinlichkeitshaftung als Lösungsansätze

In Konstellationen der Anspruchskonkurrenz gelingt es dem Geschädigten

bei alternativen Gesamt- oder Teilursachen nicht, den Schädigern die zure-

chenbaren Kausalanteile nachzuweisen. Bei bloss möglichen Schädigern ist

eine Haftung denn auch zu verneinen. Gelingt dem Geschädigten aber mit

Ausnahme der Kausalität der Nachweis, dass jeder der Schädiger die Haf-

tungsvoraussetzungen gemäss Art. 41 OR erfüllt hat, erscheint ein Wegfall

der Haftung aus Sicht des Geschädigten nicht gerechtfertigt. Immerhin ist

klar, dass jeder der potentiellen Schädiger eine Teilursache gesetzt hat, die

geeignet war, den Schaden zu verursachen. Auf der anderen Seite kommt

aber auch eine solidarische Haftung nicht in Betracht, denn diese würde da-

rüber hinwegtäuschen, dass die Schädiger kein gemeinsames Verschulden

trifft. Unter den vorstehend erläuterten Voraussetzungen, von welchen insbe-

sondere der Nachweis der Erfüllung aller Haftungsvoraussetzungen ausser

der Kausalität sowie der Nachweis der Gesamtkausalitätseignung nochmals

erwähnt seien, erscheint eine Reduktion des Beweismasses in diesem Sinne

sowie die Möglichkeit des Nachweises der Schädiger, dass ihr Beitrag nicht

850 So auch ROBERTO, Haftpflichtrecht, N 176.

851 WEBER, Kausalität und Solidarität, S. 121.

Page 277: Das Aussenverhältnis der Haftung einer Mehrheit von ...FILE/... · Das Aussenverhältnis der Haftung einer. Mehrheit von Schädigern im Haftpflichtrecht. Ein Haftungsmodell basierend

§ 16 Alternative Kausalität, Kausalzweifel, gemischte Kausalität

239

kausal war (Beweislastumkehr) als Lösung der Problematik am besten geeig-

net. Ergänzend könnte eine anteilsmässige Haftung nach Wahrscheinlich-

keitsquoten zum Tragen kommen. Die Haftung nach Wahrscheinlichkeits-

quoten wäre in jenen Konstellationen für die Zurechnung geeignet, in wel-

chen sich die Kausalität nicht nachweisen lässt und in welchen weiter bewie-

sen ist, dass die potentiellen Schädiger alle übrigen Haftungsvoraussetzungen

erfüllt haben, zudem jedoch auch klar ist, dass keine Gesamtkausalitätseig-

nung vorliegt. Da sich diesfalls die Teilursachen der Schädiger nur zur Ver-

ursachung eines Teils des Schadens eignen, ist mithin klar, dass der Schädi-

ger nicht den ganzen Schaden verursacht haben kann852

. In solchen Konstel-

lationen erscheint die Aufteilung nach Wahrscheinlichkeitsquoten als die

beste Lösung.

852 Vgl. auch BGB-Staudinger/EBERL-BORGES, N 69 § 830 BGB, welche darauf verweist, dass

dies Konstellationen der Beweisnot ausserhalb des Bereichs von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB

sind, welche durch richterliche Schadensschätzung gemäss § 287 BGB gelöst werden; vgl.

BGHZ 101, 106, 113.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

Zu §§ 1-10:

In der vorliegenden Arbeit werden Konstellationen untersucht, in welchen ein

Geschädigter durch eine Mehrzahl von Schädigern geschädigt wird853

. Die in

der Praxis meist beachtete Konstruktion, welche eine Mehrheit von Ersatz-

pflichtigen verbindet, ist die Solidarität. Allgemein für das Obligationenrecht

ist sie in Art. 143 ff. OR854

, speziell für das Haftpflichtrecht in Art. 50 und 51

OR geregelt855

. Die Solidarität zeichnet sich durch die Hauptmerkmale aus,

dass einem Gläubiger mehrere Schuldner gegenüberstehen, wobei jeder der

Schuldner für die ganze Forderung einstehen muss und bis zur Tilgung der

ganzen Forderung verpflichtet bleibt. Der Gläubiger kann nach seiner Wahl

von jedem Schuldner einen Teil oder das Ganze fordern, gesamthaft wird ihm

die Forderung aber nur einmal ersetzt856

.

Nach h.L. und Rechtsprechung liegt echte Solidarität gemäss Art. 50 OR vor,

wenn die Schädiger den Schaden gemeinsam verschuldet und verursacht ha-

ben, wobei Art. 50 OR weit ausgelegt wird857

. Unechte Solidarität (An-

spruchskonkurrenz) soll basierend auf der analogen Anwendung der Regress-

regel in Art. 51 OR demgegenüber grundsätzlich dann vorliegen, wenn die

Schädiger aus verschiedenen Rechtsgründen haften858

.

In Lehre und Rechtsprechung herrscht Uneinigkeit um Art und Bedeutung

der Unterscheidung zwischen echter und unechter Solidarität. Das Bundesge-

richt und Teile der Lehre befürworten eine Unterscheidung vor allem gestützt

auf die Frage der Verjährung (Art. 136 OR) und der Subrogation (Art. 149

OR), welche je unterschiedlich zu beantworten seien859

. Ein Grossteil der

853 Vgl. S. 1 ff.

854 Vgl. S. 16 ff.; im Obligationenrecht behandeln Art. 144–147 OR als gemeinsame Bestimmun-

gen für das ganze Obligationenrecht das Aussenverhältnis der Solidarität. Aus Art. 145–147

OR ergibt sich, dass die Verpflichtungen der einzelnen Solidarschuldner voneinander unab-

hängig sind und ihr eigenes rechtliches Schicksal haben (Mehrheitstheorie), vgl. S. 17 f. 855

Vgl. S. 10 ff. 856

Vgl. S. 10 f.; vgl. auch Art. 144 OR sowie S. 16 f. 857

Vgl. S. 33 ff. 858

Vgl. S. 35 f. 859

Vgl. S. 39 und S. 40.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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Lehre lehnt die Unterscheidung ab und stützt sich dabei insbesondere auf das

Argument, dass die Unterscheidung praktisch bedeutungslos sei860

.

Mit als Hauptgrund für die Uneinigkeit ist der Umstand zu sehen, dass sich

Art. 50 und Art. 51 OR mit drei verschiedenen „Aufgaben“ befassen müssen,

nämlich mit dem Aussenverhältnis/Innenverhältnis, den gleichen und ver-

schiedenen Rechtsgründen sowie der Haftung aus gemeinsamen und ge-

trenntem Verschulden respektive dem gemeinsamen und unabhängigen Han-

deln der Schädiger. Damit fehlt es in der Diskussion um die Unterscheidung

zwischen echter und unechter Solidarität an einer einheitlichen Diskussions-

basis861

.

Eine Analyse dieser verschiedenen Unterscheidungskriterien erfolgt vor dem

Hintergrund, dass es sich bei Art. 51 OR seiner Formulierung nach um eine

Regressregel handelt862

, was dazu führt, dass in Art. 51 OR im Gegensatz zu

Art. 50 OR der Betrachtungszeitpunkt verschoben ist863

. Da Art. 51 OR aber

von der h.L. und Rechtsprechung nicht nur als Regressregel, sondern im Aus-

senverhältnis als Haftungsgrundlage für Schädigermehrheiten, welche kein

gemeinsames Verschulden trifft, verstanden wird, wird der Betrachtungszeit-

punkt wieder an Art. 50 OR angepasst. Damit stellt sich die Frage, ob die

Voraussetzungen für eine solidarische Haftbarkeit gegeben sind, im Rahmen

der unechten Solidarität erneut864

.

Häufig wird in der Lehre und Rechtsprechung als entscheidender Unterschied

zwischen echter und unechter Solidarität das Unterscheidungskriterium der

Haftung aus gleichen oder verschiedenen Rechtsgründen genannt. Tatsäch-

lich werden jedoch bei der unechten Solidarität auch Konstellationen der

Haftung aus gleichen Rechtsgründen unter Art. 51 OR subsumiert. Sodann

wird Art. 50 OR auch auf aus gleichen Rechtsgründen haftende, verschuldet

zusammenwirkende Schädiger angewendet. Damit erweist sich das Unter-

scheidungskriterium der gleichen oder verschiedenen Rechtsgründe als

Scheinargument und ist für die Unterscheidung nicht relevant865

.

860 Vgl. S. 41 ff.

861 Vgl. S. 31 ff.

862 Vgl. S. 47 ff.

863 Vgl. S. 48 ff.

864 Vgl. S. 49 f.

865 Vgl. S. 37 ff.; S. 50 ff.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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Als relevantes Unterscheidungskriterium ist vielmehr das gemeinsame re-

spektive unabhängigen Handeln und Verschulden der Schädiger zu erbli-

cken866

. Aufgrund dieses Unterscheidungsmerkmals zeigt sich, dass die

Rechtsfolge von Art. 51 OR nicht jene der echten Solidarität wie sie aus

Art. 50 OR folgt sein kann867

. Denn während Art. 50 OR die solidarische

Haftung auf dem gemeinsam verschuldeten Zusammenwirken der Schädiger

begründet und daher auf die Feststellung der von jedem Schädiger beigetra-

genen kausalen Teilursache verzichten kann, fehlt es bei der Anspruchskon-

kurrenz gemäss Art. 51 OR gerade am gemeinsamen Verschulden und Han-

deln. Aufgrund der Unabhängigkeit der Schädigerhandlungen muss deshalb

für die Frage, ob sich die unabhängigen Schädigerhandlungen in einer zu-

sammenhängenden Gesamtschädigung vereinigen, ein anderes Bindeglied

gefunden werden. Dieses Bindeglied ist die Haftungsvoraussetzung der Kau-

salität, welche ohnehin auf Schädigermehrheiten angewendet würde, wäre im

Obligationenrecht nicht das Konstrukt der Solidarität verankert868

.

Dass sich das Konstrukt der Solidarität und jenes der Anspruchskonkurrenz

unterscheiden und dass sich daraus unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben,

zeigt schon eine grundlegende Betrachtung der beiden Institute. Die Kon-

struktion der (echten) Solidarität gemäss Art. 50 OR ist als wertender Eingriff

des Gesetzgebers in den Mechanismus der Kausalität zu verstehen869

. Denn

aus kausaler Sicht würde ohne diese Konstruktion grundsätzlich jeder Schä-

diger anteilsmässig, d.h. für den von ihm kausal verursachten Schadensanteil

haften870

. Idee und Zweck der Konstruktion liegt im Schutz und in der Stär-

kung der Position des Geschädigten (Liquiditätsrisiko). Denn bei kausaler

Zurechnung der von den Schädigern gesetzten Teilursachen würde der Ge-

schädigte bei Konstellationen der echten Solidarität (gemeinsames Verschul-

den und gemeinsame Verursachung durch die Schädiger) vor schwerwiegen-

den Beweisproblemen stehen871

. Deshalb hat sich der Gesetzgeber für die

Konstruktion der Solidarität entschieden und stützt die Ganzhaftung auf das

vorhandene gemeinsame Verschulden der Schädiger872

. Die in Art. 51 OR ge-

866 Vgl. S. 37 ff.; S. 55 ff. sowie bspw. BGE 115 II 42, E. 1.b.

867 Vgl. S. 56 ff.

868 Vgl. S. 58 ff.; S. 67 f.

869 Vgl. S. 67 f.

870 Vgl. S. 11 f.

871 Vgl. S. 11 f. und S. 14 ff.

872 Vgl. S. 68.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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regelte unechte Solidarität wird meist in einem Atemzug mit dem Begriff der

Anspruchskonkurrenz genannt und auch als solche bezeichnet. Die Konkur-

renz besteht bei Schädigermehrheiten im Nebeneinander rechtlich selbständi-

ger Ansprüche gegenüber verschiedenen Schuldnern im Umfang des von

jedem einzeln verursachten Schadens873

.

Das Abstellen auf die Kausalität (Zusammenlaufen der einzelnen Kausalket-

ten) hat zur Folge, dass die Schädiger mangels gemeinsam verschuldeter

Verursachung nicht auf den ganzen Schaden haften, sondern nur auf jenen

Teil, welchen sie kausal und anteilsmässig (mit)verursacht haben. Eine ge-

meinsame Haftung besteht so grundsätzlich nur betreffend den kausal ge-

meinsam verursachten Schaden und damit nur bis zum kleinsten gemeinsa-

men Ersatzbetrag874

. Dies schränkt zwar den Geschädigtenschutz im Rahmen

von Art. 51 OR ein. Jedoch sollte dieser nur greifen, wenn die besonderen

Voraussetzungen der echten Solidarität (gemeinsam verschuldetes Zusam-

menwirken) gegeben sind. Andernfalls müsste ein scheinbarer Schädiger für

einen Schaden haften, welchen er gar nicht verursacht hat. Dies könnte auch

nicht durch eine im Innenverhältnis mögliche Rückgriffnahme gerechtfertigt

werden875

.

Zu §§ 11-13:

Die gemachten Ausführungen zu Anspruchskonkurrenz und Kausalität wer-

fen die Frage auf, wie die Schadensteile aufgrund der Kausalität den Schädi-

gern zugerechnet werden können. Die Ausgangslage bildet der natürliche

Kausalzusammenhang (haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kau-

salität; Setzung einer conditio sine qua non)876

, welcher in der schweizeri-

schen Lehre und Rechtsprechung durch den adäquaten Kausalzusammen-

hang auf seine rechtliche Relevanz begrenzt wird877

. Eine solche Begrenzung

kann jedoch auch durch die Anwendung der Normzwecklehre und der Risi-

koerhöhungstheorie erfolgen878

. In Konstellationen mit Folgeverletzungen

873 Vgl. S. 24 ff.; grundsätzlich wird unter Anspruchskonkurrenz das Nebeneinanderstehen kon-

kurrierender Ansprüche (rechtliche Möglichkeit, eine Forderung auf verschiedene Rechtsin-

stitute zu stützen, wobei die Forderung gesamthaft nur einmal ersetzt wird) eines Gläubigers

gegenüber einem Schuldner aus einem Sachverhalt verstanden, vgl. S. 22 ff. 874

Vgl. S. 25 ff., S. 59 ff. und insbesondere S. 71 ff., S. 73 f. 875

Vgl. S. 61 f. 876

Vgl. S. 75 ff. 877

Vgl. S. 78 ff. 878

Vgl. S. 80 ff.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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(Folgeschädigungen), bei welchen definitionsgemäss eine Schädigermehrheit

vorliegt, kommt für die Haftungsbegrenzung des Erstschädigers die Risiko-

erhöhungstheorie zur Anwendung879

. Bei einer Schädigermehrheit stellt sich

vor der adäquaten Begrenzung zusätzlich die Frage, ob aus Sicht des natürli-

chen Kausalzusammenhangs beim betreffenden Schädiger überhaupt ein Be-

zug zu einer existierenden Kausalkette besteht und ob der (Teil)Schaden bzw.

die (Teil)Schädigung einem bestimmten Schädiger zuzurechnen ist (Gesamt-

und Teilursachenkonkurrenz)880

.

Bei den Gesamtursachenkonkurrenzen werden die kumulative Kausalität, die

alternative Kausalität sowie die hypothetische Kausalität unterschieden881

.

Ihnen ist gemeinsam, dass die Haftungsursache jedes Schädigers das Poten-

tial hat, den Schaden allein herbeizuführen882

.

In der Realität werden Schäden häufig durch eine nicht zusammenwirkende

Schädigermehrheit verursacht, wobei die von jedem Schädiger gesetzte Ursa-

che nicht das Potential hat, den ganzen Schaden hervorzurufen. Es liegt dies-

falls Teilursachenkonkurrenz vor. Diese wird dadurch definiert, dass mehrere

Teilursachen einen Gesamtschaden bewirken, welcher bei Fehlen einer dieser

Ursachen nicht oder nicht in diesem Umfang entstanden wäre883

.

Die konkurrierenden Teilursachen können eine Schädigung in additiver oder

komplementärer Kausalität bewirken. Bei der additiven Kausalität setzt sich

die Schädigung (abgrenzbare Teilschäden) aus mehreren selbständigen Teil-

wirkungen zusammen. Denkt man sich eine Teilursache weg, entfällt nur der

auf dieser Teilursache beruhende Teilerfolg884

. Aus kausaler Sicht ist klar,

dass jeder Schädiger nur für einen Teilschaden verantwortlich ist. Damit ent-

fällt für die in Anspruchskonkurrenz stehenden Schädiger eine solidarische

Haftbarkeit, die Schädiger haften anteilsmässig885

. Bei der komplementären

Kausalität entsteht die Schädigung durch das Zusammenwirken der einzel-

nen, an sich unabhängigen Teilursachen. Im Unterschied zur additiven Kau-

879 Vgl. S. 82.

880 Vgl. S. 84 ff.

881 Vgl. S. 87 ff.

882 Vgl. zu den in alternativer bzw. unklarer Kausalität gesetzten Gesamt- und Teilursachen aus-

führlich S. 198 ff. 883

Vgl. S. 90 ff.; BGE 127 III 257. 884

Vgl. S. 91 ff. 885

Vgl. S. 92 f.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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salität stehen die Kausalketten in einer gegenseitigen Bedingtheit und führen

zu einem Verletzungserfolg, der nur durch die Vereinigung der zuvor ge-

trennt verlaufenden Kausalketten eintreten konnte. Denkt man eine Teilursa-

che weg, entfällt nicht nur ein Teilerfolg, sondern der Gesamterfolg886

. Ist ein

Schädiger in komplementärer Kausalität an einer Schädigung beteiligt, ist die

volle Zurechnung des Verletzungserfolges die richtige Rechtsfolge. Die

Schädiger haften für den ganzen in komplementärer Kausalität verursachten

Schaden, allerdings nach den Regeln der Anspruchskonkurrenz887

.

Eine besondere Problematik im Bereich der Teilursachenkonkurrenzen stellt

die minimale Kausalität dar, bei welcher eine sehr grosse Anzahl Schädiger

(z.B. bei Demonstrationsschäden oder bei Umweltschäden) in Teilursachen-

konkurrenz stehen. Die minimale Kausalität betrifft zwei Problembereiche.

Zum einen kann unklar sein, ob sich ein Schädiger an der Schädigung betei-

ligt hat (Urheberzweifel), zum anderen kann sich die Frage stellen, in wel-

chem Umfang eine Beteiligung stattgefunden hat (Anteilszweifel; Problem

der kausalen Zurechnung; Beweisproblem)888

. Es kommen verschiedene Lö-

sungsansätze in Frage. Die solidarische Haftung ist im Falle einer gemeinsam

verschuldeten Schadensverursachung durch eine eingrenzbare/bestimmbare

Anzahl Schädiger innerhalb einer grösseren Menge (z.B. bei Demonstratio-

nen oder Ausschreitungen) angemessen, nicht jedoch pauschal für die ganze

Menge potentieller Schädiger889

. Dies gilt allerdings auch bei der bestimmba-

ren Gruppe nur für klar zuordbar (Teil)Schäden innerhalb des Gesamtscha-

dens und nicht für weitere Schäden, an welchen die betreffenden Schädiger

nicht beteiligt waren890

. Bei einer sehr grossen Anzahl Schädiger (z.B. bei

Gewässerverschmutzungen), bei welchen der kausale Beitrag des Einzelnen

im Vergleich zum Gesamtschaden nahezu bedeutungslos ist und bei welchem

zudem die Beweisschwierigkeiten zunehmen, erscheint eine solidarische

Haftung unangemessen. Hier kommt je nach Konstellation eine anteilsmäs-

sige Haftung oder eine Lösung ausserhalb des Haftpflichtrechts in Frage891

.

886 Vgl. S. 95 ff.

887 Vgl. S. 98 f.

888 Vgl. S. 99 ff.; vgl. auch S. 198 ff.

889 Vgl. S. 101; für die Lösung von Beweisschwierigkeiten vgl. S. 213 ff. und S. 227 ff.

890 Vgl. S. 102.

891 Vgl. S. 102 ff.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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Zu § 14:

Schädigende Teilursachen können auch durch den Geschädigten selbst

(Selbstverschulden), den einer Schädigermehrheit hinzutretenden, unabhän-

gigen Dritten oder den Zufall gesetzt werden. Aus kausaler Sicht führen sie

zu einer Abschwächung (Reduktion) oder einem Wegfall (Unterbrechung der

Adäquanz892

) der Haftung der bereits vorhandenen Schädiger893

. Auszugehen

ist von der Grundkonstellation mit einem Schädiger und Geschädigten. Hier

führt das Hinzutreten eines Dritten entweder zu Solidarität, zu Anspruchs-

konkurrenz (wobei diesfalls zu unterscheiden ist, ob die Schädiger in additi-

ver (getrennte Einzelschäden) oder komplementärer Konkurrenz stehen) oder

zur Unterbrechung des Kausalzusammenhangs894

. Beim Selbstverschulden

oder der Verletzung der Schadenminderungs- oder der Schadenvermeidungs-

pflicht setzt der Geschädigte selbst eine Teilursache, welche zusammen mit

der Teilursache des Schädigers komplementär-kausal zu einem Gesamtscha-

den und zur Reduktion oder zum Wegfall der Haftung des Schädigers

führt895

.

Die Reduktion oder der Wegfall der Haftung erfolgen über die Schadener-

satzbemessung (Art. 43 und Art. 44 OR)896

. Dabei befasst sich Art. 43 OR mit

dem Verantwortungsbereich des Schädigers bzw. mit der Reduktion des

Schadenersatzes aufgrund eines geringen Verschuldens bzw. Bezugs des

Schädigers zum Schaden (Verschuldensintensität zwischen schädigendem

Verhalten und bewirktem Erfolg). Die Reduktion erfolgt somit nicht aus kau-

salen Gründen, sondern aus Gründen der Billigkeit897

. In Art. 44 OR ist die

Reduktion des Schadenersatzes oder der Wegfall der Haftung aufgrund des

Selbstverschuldens (Mitwirkung an der Schadensverursachung) des Geschä-

digten geregelt898

. Anders als in Art. 43 OR erfolgt eine Reduktion in Art. 44

OR nicht aufgrund des Verschuldens, sondern aufgrund kausaler Überlegun-

gen, konkret der durch den Geschädigten selbst gesetzten Teilursachen (ge-

892 Vgl. S. 110; die Unterbrechung der Adäquanz ist nur bei in komplementär-kausaler Weise ge-

setzten Teilursachen relevant, vgl. S. 112. 893

Vgl. S. 105 ff. und S. 109 ff. 894

Vgl. S. 106 f. 895

Vgl. S. 107. 896

Vgl. S. 118. 897

Vgl. S. 114 ff., S. 116 ff. und S. 118 f. 898

Vgl. S. 114 ff., S. 119 ff. und S. 124.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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trennte Verantwortungsbereiche von Schädiger und Geschädigtem)899

. Bei

additiv-kausaler Teilursachensetzung durch Schädiger und Geschädigten lie-

gen getrennte Einzelschäden vor, was ein Problem der Zurechnung dar-

stellt900

. Die komplementär-kausale Teilursachensetzung demgegenüber stellt

ein Problem der Schadenersatzbemessung (Reduktion bei äquivalenten Teil-

ursachen) dar901

, wobei die Reduktion durch Quotenbildung (sektorielle Ver-

teilung) erfolgt902

.

Vom Selbstverschulden des Geschädigten abzugrenzen ist die Verletzung der

Pflicht des Geschädigten zur Schadensminderung bzw. zur Schadensvermei-

dung, bei welcher die schädigenden Teilursachen zeitlich versetzt gesetzt

werden903

. Während die h.L. die Schadenminderungspflicht bei den Redukti-

onsgründen gemäss Art. 44 OR einordnet, gehört sie, wie vom Bundesgericht

und Teilen der Lehre anerkannt, grundsätzlich und richtigerweise zur Scha-

densberechnung und stellt damit eine Frage der Zurechnung schädigender

Teil- und Gesamtursachenkonkurrenzen dar. Dies hat zur Folge, dass der Ge-

schädigte für vermeidbare und mithin selbst verursachte Schäden (deren Ent-

stehung oder Verschlimmerung er durch die zeitlich versetzt gesetzte Teilur-

sache erst ermöglicht hat) im Grundsatz keinen Ersatz fordern kann, da kein

ersatzfähiger Schaden entstanden ist904

. Aus kausaltheoretischer Perspektive

ist zu ergänzen, dass bei Konstellationen, in welchen der Geschädigte seine

Pflicht zur Schadensvermeidung verletzt, die Teilursachen von Schädiger und

Geschädigtem immer in komplementärer Kausalität stehen905

. Dabei macht es

keinen Unterschied, ob die vom Geschädigten gesetzte Teilursache jener des

Schädigers vorangeht oder folgt, denn der entscheidende Aspekt ist der, dass

der Geschädigte die Möglichkeit gehabt hätte, den Schaden ganz oder zum

Teil zu vermeiden906

. Dies führt aber zum ergänzten Ergebnis, dass der Schä-

diger für jenen Teil des Schadens einzustehen hat, welchen er verursacht

hätte, wenn der Geschädigte seine Ursache nicht gesetzt hätte. Ein Wegfall

899 Vgl. S. 125 ff. und S. 120 ff.

900 Vgl. S. 126.

901 Vgl. S. 127 f.

902 Vgl. S. 128 ff.

903 Vgl. S. 130 ff.; gleichzeitig liegt in diesen Konstellationen auch eine Unterbrechung des adä-

quaten Kausalzusammenhangs vor, vgl. S. 132. 904

Vgl. S. 130 ff., S. 133 ff., S. 135 ff., S. 138. 905

Vgl. S. 140 ff. 906

Vgl. S. 141.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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der Haftung kommt somit nur in Frage, wenn die vom Geschädigten gesetzte

Teilursache zur Unterbrechung der Adäquanz oder deren Wegdenken zu ei-

nem Wegfall des Schadens führt907

.

In der Lehre und Rechtsprechung wird weiter der Zufall als hinzutretende

Teilursache diskutiert908

. Richtigerweise ist im Zufall ein nicht durch den

Menschen verursachter oder beeinflusster Kausalfluss zu sehen, welcher oh-

nehin und zufällig vorhanden ist und welcher aus menschlicher Optik vom

als Normalfall definierten Standard (mehr oder weniger) abweicht und darum

(mehr oder weniger) vorhersehbar ist. Ein zufälliger Einfluss welcher in ad-

ditiver Kausalität mit anderen Teilursachen steht, ist vom Geschädigten auf-

grund des Grundsatzes „casum sentit dominus“ selber zu tragen. Bei kom-

plementär-kausalem Auftreten des Zufalls ist er der Seite zuzurechnen, auf

welcher er auftritt909

.

Bei einer Schädigermehrheit stellen sich zusätzliche Fragen in der Diskus-

sion um die Wirkung des reduzierten Verschuldens des Schädigers (Art. 43

OR) bzw. die Wirkung von hinzutretenden Teilursachen, welche im Verant-

wortungsbereich des Geschädigten liegen (Selbstverschulden, Schadenmin-

derungspflicht und Schadenvermeidungspflicht, vgl. Art. 44 OR)910

. Dabei

gilt im Grundsatz, dass das Hinzutreten der Teilursache eines weiteren Schä-

digers bei gemeinsam verschuldetem Zusammenwirken zu Solidarität führt,

bei unabhängigem Handeln und Verschulden hingegen zu Anspruchskonkur-

renz. Dabei ist bei letztgenannten Konstellationen die Unterbrechung der

Adäquanz zu beachten911

.

Bei der Reduktion gemäss Art. 43 OR stellt sich die Frage, ob sich ein Schä-

diger aus dem Kollektiv einer Schädigermehrheit im Aussenverhältnis indi-

viduell auf den Reduktionsgrund des geringen Verschuldens berufen kann,

mit der Folge, dass im Aussenverhältnis jeder Schädiger nur noch den für ihn

907 Vgl. S. 142 f.

908 Vgl. S. 108 und S. 143 ff.

909 Vgl. S. 146; beim Auftreten im Verantwortungsbereich des Geschädigten kann der Zufall als

äusserer Umstand das Verschulden des Geschädigten als geringer erscheinen lassen, weshalb

er je nach Vorhersehbarkeit zu einer Reduktion des Schadenersatzes gemäss Art. 43 OR oder

zu einer Unterbrechung der Adäquanz und einem Wegfall der Haftung führen kann, vgl.

S. 145 f. 910

Vgl. S. 146 ff. 911

Vgl. S. 147 ff.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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individuell berechneten Schadenersatz zu leisten hat912

. Die Rechtsprechung

lehnt dies bei Art. 50 OR ab und lässt es für Art. 51 OR teilweise in zurück-

haltender Weise zu913

. Die Lehre ist sich uneinig, wobei die Meinungen von

der Zulassung oder Ablehnung individueller Reduktionsgründe sowohl bei

Art. 50 als auch bei Art. 51 OR und der Zulassung individueller Reduktions-

gründe nur bei Art. 51 OR reichen914

. Dieser letztgenannten Ansicht ist zuzu-

stimmen, was damit begründet wird, dass die Schädiger bei Art. 50 OR ein

gemeinsames Verschulden trifft, die Schädiger bei Art. 51 OR aber nur kau-

sal verbunden sind und in Anspruchskonkurrenz stehen915

.

Trifft den Geschädigten gegenüber einer Schädigermehrheit ein Selbstver-

schulden gemäss Art. 44 OR, stellt sich wiederum die Frage, inwiefern sich

die Schädiger einzeln oder kollektiv auf Reduktionsgründe berufen kön-

nen916

. Ein Blick ins deutsche Recht zeigt, dass dort gemäss § 254 BGB bei

einem Mitverschulden des Geschädigten Nebentäter und Mittäter unter-

schiedlich behandelt werden. Bei Nebentätern ohne gemeinsames Verschul-

den erfolgt die Zurechnung der Anteile an der Schädigung bei jedem einzel-

nen Schädiger individuell gemäss der modifizierten Kombinationstheorie

(Gesamtschau mit Einzelabwägung)917

. Bei zusammenwirkenden Mittätern

werden alle durch die Schädiger gesetzten Teilursachen im Sinne der Ge-

samtschuld jedem Mittäter gesamthaft zugerechnet und die Gesamtschuld um

den Anteil des Geschädigten reduziert918

. In der schweizerischen Lehre wird

eine Reduktion des Schadenersatzes bei Selbstverschulden des Geschädigten

(kollektiver Reduktionsgrund) auf den von der Schädigermehrheit zu bezah-

lenden Gesamtschaden anerkannt919

. Das Bundesgericht hat teilweise auch

eine individuelle Reduktion des Schadenersatzes je nach Verhältnis der vom

Geschädigten und vom jeweiligen Schädiger gesetzten Teilursache befür-

wortet920

. Ein Teil der Lehre differenziert und erlaubt in Anlehnung an das

deutsche Recht Kürzungen des Schadenersatzes aufgrund des Selbstver-

912 Vgl. S. 149 f.

913 Vgl. S. 150 ff.

914 Vgl. S. 152 f.

915 Vgl. S. 154 ff.

916 Vgl. S. 156 ff.

917 Vgl. S. 157 f.

918 Vgl. S. 158.

919 Vgl. S. 160.

920 Vgl. S. 160 f.

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schuldens des Geschädigten bei echter Solidarität nur basierend auf kollekti-

ven Reduktionsgründen für alle Schädiger, bei unechter Solidarität hingegen

auch basierend auf individuell Reduktionsgründen921

.

M.E. hat die Reduktion aus im Verantwortungsbereich des Geschädigten lie-

genden Gründen (Art. 44 OR) aufgrund einer kausalen Betrachtungsweise zu

erfolgen922

. Das Selbstverschulden des Geschädigten ist aus kausaler Sicht

eine Teilursache der Schädigung, aus Sicht der Zurechnung jedoch nicht Teil

des von den Schädigern zu tragenden Schadenersatzes. Daraus ergibt sich,

dass bei echter Solidarität eine Reduktion nur aus kollektiven Reduktions-

gründen betreffend den Gesamtschaden erfolgt. Bei Anspruchskonkurrenz

erfolgt die Reduktion bei additiver Kausalität analog der Situation mit einem

Einzelschädiger. Bei komplementärer Kausalität ist der modifizierten Kom-

binationstheorie (Gesamtschau mit Einzelabwägung) zuzustimmen923

.

Im Bereich der Verletzung der Schadenvermeidungspflicht durch den Ge-

schädigten ist bei einer Mehrheit Ersatzpflichtiger zu beachten, dass der Ge-

schädigte seine Teilursache vor, nach oder zwischen den Teilursachen der

Schädiger gesetzt haben kann924

. Bei echter Solidarität entfällt eine Haftung

der Schädiger bzw. wird die Haftung der Schädiger auf jenen Teil reduziert,

für welchen sie ohne Verletzung der Schadenminderungspflicht des Geschä-

digten haften müssten925

. Additiv-kausal konkurrierende Teilursachen der

Schädiger oder des Geschädigten sind als Einzelschäden mit entsprechend

beschränktem Einfluss auf die anderen Einzelschäden zu behandeln926

. Kom-

plementär-kausal konkurrierende Teilursachen sowie gemischten Konstella-

tionen führen in Verbindung mit der Verletzung der Schadenvermeidungs-

pflicht zu komplexen Kombinationsformen der Haftung927

.

Zu § 15:

Stehen einem Geschädigten mehrere Schädiger gegenüber, ist weiter die

schwierige Frage zu beantworten, was unter einer „einheitlichen Schädi-

921 Vgl. S. 161 f.

922 Vgl. S. 162 ff.

923 Vgl. S. 163 f.

924 Vgl. S. 164 ff.

925 Vgl. S. 166.

926 Vgl. S. 166.

927 Vgl. S. 166 f.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

251

gung“ („den Schaden“ gemäss Art. 50 OR; „denselben Schaden“ gemäss

Art. 51 OR) zu verstehen ist. Jeder Schaden gliedert sich in Teilschäden oder

wird als Gesamtschaden bzw. Gesamtschädigung wahrgenommen. Die

Problematik rührt daher, dass nicht alle schädigenden Handlungen einem

einzelnen Schädiger, sondern einer Mehrzahl von Schädigern zugerechnet

werden müssen928

. Allgemein ist die Frage zu beantworten, wie die Zurech-

nung schädigender Handlungen zu erfolgen hat.

Das Haftpflichtrecht folgt einen wirtschaftlichen Schadensbegriff. Der Scha-

den ist der vermögensmässige Ausdruck der Schädigung und wird anhand der

Differenztheorie berechnet929

. Für die Zurechnung schädigender Handlungen

ist die Unterscheidung zwischen Schädigung (Rechtsgutverletzung) und

Schaden, bzw. zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfül-

lenden Kausalität zentral930

. Bei einem Schädiger lässt sich der Schaden des

Geschädigten als Vermögenseinbusse gemäss Differenztheorie darstellen,

selbst wenn der Schädiger dem Geschädigten mehrere unabhängige Schädi-

gungen zugefügt hat931

. Stehen einem Geschädigten aber mehrere Schädiger

gegenüber, müssen die Handlungen der einzelnen Schädiger im Bereich der

Anspruchskonkurrenz den einzelnen Teilschäden aufgrund der zugrunde lie-

genden Kausalitäten individuell zugerechnet werden. Eine Feststellung des

Schadens basierend auf der Differenztheorie ist nicht mehr möglich. Auf-

grund additiv- oder komplementär-kausaler Betrachtungsweise ergeben sich

eine oder mehrere Rechtsgutverletzungen und daraus folgend einer oder meh-

rere Schäden932

.

Im Rahmen der echten Solidarität liegt „ein“ Schaden vor, da die Schädiger

ein gemeinsames Verschulden und Zusammenwirken trifft933

. Bei der An-

spruchskonkurrenz demgegenüber liegt ein einheitlicher Erfolg nur vor, wenn

er auf komplementärer Kausalität beruht934

. Das Bundesgericht bestätigt in

BGE 127 III 257 die Einheitlichkeit des Schadens (bzw. der Schädigung)

implizit für Fälle der echten Solidarität und der Anspruchskonkurrenz in

komplementärer Kausalität. Weiter bestätigt es implizit, dass bei einer Mehr-

928 Vgl. S. 168 ff.

929 Vgl. S. 169 f.

930 Vgl. S. 171 f.

931 Vgl. S. 172.

932 Vgl. S. 173 f.

933 Vgl. S. 174.

934 Vgl. S. 175 ff.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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zahl Schädiger als Folge nicht zwingend solidarische Haftung eintritt, sowie

dass die Unterscheidung zwischen echter Solidarität und Anspruchskonkur-

renz bei der Berücksichtigung der Kausalität für die Anspruchskonkurrenz

ansetzen muss. Dies führt bei additiver Kausalität zu anteilsmässiger Haf-

tung935

.

In der Praxis werden die einen einheitlichen Schaden bzw. eine einheitliche

Schädigung (Rechtsgutverletzung) ausmachenden Kausalitäten oft nicht er-

kannt. Es stellt sich deshalb die Frage, aufgrund welcher Kriterien eine ein-

heitliche Schädigung festgestellt werden kann. Es zeigt sich, dass weder die

räumliche noch die sachliche Nähe zweier oder mehrerer Teilschäden (Teil-

schädigungen) ein geeignetes Kriterium darstellen, um auf einen einheitli-

chen Schaden schliessen zu können936

. Vielmehr ist es das komplementär-

kausale Zusammenwirken der Teilursachen, welche zur Einheitlichkeit

führt937

. Demgegenüber kann die zeitliche Versetztheit der schädigenden

Teilursachen bzw. der bewirkten Schädigungen (Folgeverletzungen) bei

komplementärer Verursachung durch die Schädiger oder bei Mitbeteiligung

durch den Geschädigten ein kritisches Kriterium für die Abgrenzung zwi-

schen einheitlichem Schaden und getrennten Einzelschäden darstellen938

.

Wiederum kein geeignetes Kriterium für die Feststellung einer einheitlichen

Schädigung ist die gleiche „Schadensart“ oder Schadensähnlichkeit, denn

diese stellen vielmehr ein Abstraktionsproblem dar939

.

Zu § 16:

In der Realität werden Schädigungen, welche durch eine in Anspruchskon-

kurrenz stehende Schädigermehrheit verursacht werden, häufig auf einer Mi-

schung aus additiven, komplementären oder dem Geschädigten zuzurechnen-

den Teilursachen beruhen. Es entstehen Teilschädigungen und Teilschäden,

was die Bestimmung der Anteile der einzelnen Schädiger schwierig macht.

Diese mit Beweisproblemen behafteten Konstellationen werden unter dem

Titel der alternativen oder unklaren Kausalität behandelt940

.

935 Vgl. S. 179 ff.

936 Vgl. S. 184.

937 Vgl. S. 183.

938 Vgl. S. 185 ff.

939 Vgl. S. 194 f.

940 Vgl. S. 198 ff. und S. 213 ff.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

253

Wiederum lohnt sich ein Blick ins deutsche Recht. Das deutsche Recht regelt

die solidarische Haftung in § 830 BGB941

. § 830 BGB ordnet auch für Alter-

nativtäter ausdrücklich solidarische Haftung an, knüpft dies aber an eine

Reihe von Voraussetzungen (Erfüllung aller Haftungsvoraussetzungen,

Schadensverursachung durch einen der Schädiger, Nichtfeststellbarkeit des

tatsächlichen Verursachers, Gesamtkausalitätseignung)942

. Auch das österrei-

chische Recht regelt in § 1302 ABGB die Haftung der Alternativtäter, wobei

es stärker auf die kausalen Grundlagen der Schadensverursachung fokus-

siert943

.

Bei der Anspruchskonkurrenz gemäss Art. 51 OR müssen im Bereich der un-

klaren Kausalität Anteilszweifel (Unklarheit betreffend Anteil eines Schädi-

gers an der Schädigung) und Urheberzweifel (Unklarheit betreffend Urheber-

schaft der infrage kommenden Schädiger) unterschieden werden944

. Sind bei

einer Schädigermehrheit nicht nur die Kausalitäten unklar, sondern auch die

übrigen Haftungsvoraussetzungen nicht bewiesen, liegen nicht alternative

Schädiger, sondern bloss mögliche Schädiger vor, welche mangels Nachwei-

ses der Schadensverursachung nicht haften945

.

Bei der echten alternativen Teilursachenkonkurrenz (unklare Kausalität), bei

welcher nur die Kausalanteile unbewiesen bleiben, scheitert die Haftung fak-

tisch an der Beweisnot des Geschädigten. Somit ist klar, dass die alternative

Kausalität kein Zurechnungs- sondern ein Beweisproblem darstellt. Es stellt

sich die Frage, wer das Risiko der Beweislosigkeit zu tragen hat946

.

Gemäss Art. 8 ZGB muss grundsätzlich der Geschädigte den Schaden bewei-

sen und trägt dabei die Beweislast für Existenz und Höhe des Schadens. Da-

bei muss der Geschädigte insbesondere auch den Kausalzusammenhang

(beim natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang gilt das Beweismass

der überwiegenden Wahrscheinlichkeit) beweisen947

. Bei einer Schädiger-

mehrheit muss der Geschädigte darüber hinaus den Kausalzusammenhang

zwischen Teilursachen und Teilschäden sowie die Schadensentstehung basie-

941 Vgl. S. 203 ff.

942 Vgl. S. 204 f.

943 Vgl. S. 206 f.

944 Vgl. S. 201 ff. und S. 208 f.

945 Vgl. S. 210 ff.

946 Vgl. S. 212 f.

947 Vgl. S. 214 ff.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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rend auf verschiedenen Kausalitätsarten nachweisen, was ihm regelmässig

misslingen dürfte948

. Lehre und Rechtsprechung lösen das Problem damit,

dass sie die Schädiger in unechter Solidarität praktisch gleich behandeln wie

bei der echten Solidarität. Dies stellt aber faktisch eine Beweislastumkehr

dar, bei welcher der einzelne Schädiger nachweisen muss, dass sein Beitrag

für den Schaden nicht adäquat-kausal war949

. Da diese Behandlung von Kon-

stellationen der Anspruchskonkurrenz gemäss der hier vertretenen Auffas-

sung nicht angemessen ist, stellt sich die Frage, wie die Problematik gelöst

werden kann.

Eine Lösung basierend auf Art. 42 OR (aufgrund des Gedankens, dass für ei-

nen Nachweis des Schadens auch der Nachweis der Kausalität nötig ist) ist

nicht möglich. Der Beweis nach Abs. 1 wird aufgrund der unklaren Teilursa-

chen gerade scheitern. Zudem lässt sich die Beweisproblematik auch nicht

über das Institut der Schadensschätzung gemäss Abs. 2 lösen, da Art. 42 OR

den Geschädigten nicht vom Nachweis der Haftungsvoraussetzungen enthe-

ben kann950

.

Ein Blick ins deutsche Recht zeigt, dass § 830 BGB auf einen Nachweis der

Kausalität bei Alternativtäterschaft verzichtet. Zu beachten ist aber, dass

§ 830 BGB keine Beweislastumkehr, sondern lediglich eine Beweismassre-

duktion (Gesamtkausalitätseignung und Erfüllung aller übrigen Haftungsvor-

aussetzungen) kombiniert mit der Möglichkeit zum Entlastungsbeweis vor-

sieht951

. Diese Lösung berücksichtigt die Interessen des Geschädigten und der

Schädiger. Weder soll der Geschädigte auf dem Schaden sitzen bleiben, noch

die Schädiger grundsätzlich den ganzen Schaden tragen. Es stellt sich die

Frage, unter welchen Voraussetzungen auch im schweizerischen Recht eine

entsprechend ausgewogene Lösung möglich ist952

.

Damit bei alternativer oder unklarer Teilursachenkonkurrenz nicht ein bloss

möglicher Schädiger haftet, müssen folgende vier Voraussetzungen erfüllt

sein, damit eine Haftung im Bereich der alternativen Kausalität befürwortet

werden kann: Bei jedem Schädiger müssen alle Haftungsvoraussetzungen

948 Vgl. S. 216 ff.

949 Vgl. S. 218 f.

950 Vgl. S. 219 ff.

951 Vgl. S. 224 f.

952 Vgl. S. 225 f.

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Schlussbetrachtung und Ergebnisse

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ausser der Kausalität nachgewiesen sein953

; der Schaden muss von einem

Schädiger (Urheberzweifel) oder von den in Frage kommenden Schädigern

zusammen (Anteilszweifel) tatsächlich verursacht worden sein954

; die Scha-

densverursachung bzw. Kausalanteile müssen tatsächlich unaufklärbar

sein955

; die von jedem Schädiger gesetzte Ursache muss sich eignen, den ge-

samten Schaden (bzw. bei alternativer Teilursachenkausalität den gesamten

Teilschaden) verursacht zu haben (Gesamtkausalitätseignung)956

.

Zuletzt ist die Frage zu beantworten, wie die Haftung der Schädiger bei un-

klarer Kausalität modal auszugestalten ist. In der Lehre werden die Ansichten

vertreten, dass bei alternativer Kausalität gar nicht oder solidarisch gehaftet

wird957

. Diese Ansichten sind abzulehnen. Weiter wird in der Lehre die Lö-

sung einer Beweislastumkehr betreffend den Nachweis der Kausalität vorge-

schlagen958

. Dieser Lösung ist in Anlehnung an das deutsche Recht und mit

der Präzisierung zuzustimmen, dass tatsächlich eine Beweismassreduktion

mit einhergehender Beweislastumkehr vorliegt959

. Dieser wertende Lösungs-

ansatz ist für jene Fälle von Schäden oder Teilschäden geeignet, in welchen

klar ist, dass jeder Schädiger an der Schädigung mitbeteiligt war und auch

den ganzen Schaden hätte selbst verursachen können960

. Weiter wird in der

Lehre die Ansicht vertreten, die Schädiger anteilsmässig nach der Quote der

(statistischen) Verursacherwahrscheinlichkeit haften zu lassen961

. Dieser An-

satz könnte ergänzend für jene Konstellationen zur Anwendung gelangen, in

welchen eine grosse Anzahl Schädiger zwar je alle Haftungsvoraussetzungen

erfüllt hat, jedoch betreffend die von ihnen gesetzten Teilursachen keine Ge-

samtkausalitätseignung vorliegt962

.

953 Vgl. S. 227.

954 Vgl. S. 228 f.

955 Vgl. S. 229 f.

956 Vgl. S. 230.

957 Vgl. S. 233 f.

958 Vgl. S. 234 f.

959 Vgl. S. 235.

960 Vgl. S. 236 f.

961 Vgl. S. 237 ff.

962 Vgl. S. 238 f.

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Lebenslauf

Maurin Schmidt

Geboren am 26. September 1981 in Davos/GR

Bürgerort Niederlenz AG

1996 – 2000 Kantonsschule Sargans/SG, Maturatypus B

2001 – 2006 Studium der Rechtswissenschaft an der Universität

St. Gallen (HSG)

2004 B.A. HSG in Law

2006 M.A. HSG in Law

2006 – 2011 Doktoratsstudium an der Universität St. Gallen (HSG)

2006 – 2010 Wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Dr. Dr.h.c. René

Schaffhauser (IRP-HSG)

2006 – 2007 CAS IRP-HSG in Haftpflicht- und Versicherungsrecht

2010 – 2012 Gerichtspraktikum (Auditoriat) am Kreisgericht

St. Gallen

Sept. 2012 Promotion zum Doktor der Rechtswissenschaft

(Dr. iur. HSG)