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Das Motivations-Volitions-Konzept Reinhard Fuchs Ziel des Motivations-Volitions (MoVo)- Konzepts ist es, Menschen dabei zu helfen, einen gesundheitsfo ¨rderlichen Lebensstil aufzubauen und fest in den Alltag zu integrieren. Das MoVo-Kon- zept wurde in den letzten 10 Jahren an der Universita ¨t Freiburg entwickelt, in der Praxis vielfach erprobt und in meh- reren Studien evaluiert (Fuchs et al., 2010, 2011; Fuchs et al., 2012; Gerber et al., 2010; Go ¨hner et al., 2009, 2012). Es ist heute psychologische Grundlage u.a. des bundesweiten Adipositas-Pro- gramms M.O.B.I.L.I.S. (Berg et al., 2008, 2010). Das MoVo-Konzept be- steht aus zwei Komponenten: dem MoVo-Prozessmodell und der MoVo- Intervention. Das MoVo-Prozessmo- dell liefert die theoretischen Grundla- gen. In ihm werden die wichtigsten Erkenntnisse aus den verschiedenen Gesundheitsverhaltenstheorien (Ban- dura, 2000; Ajzen, 1991; Deci and Ryan, 2000; Schwarzer, 2008) zusam- mengefasst und in einen Gesamtzusam- menhang gebracht (Abbildung 1). Es wird postuliert, dass die Initiierung und Aufrechterhaltung des Gesundheitsver- haltens (z.B. Bewegung oder gesunde Erna ¨hrung) im wesentlichen von fu ¨nf psychologischen Bedingungen abha ¨n- gig ist, na ¨mlich vom Vorliegen einer starken Zielintention, von einer mo ¨g- lichst hohen Selbstkonkordanz (Ich- Na ¨he) dieser Zielintention (Sheldon und Elliot, 1999), von realistischen Handlungspla ¨nen (Gollwitzer, 1999), von wirksamen Strategien des Barrie- renmanagements (Kra ¨mer und Fuchs, 2010) und schließlich von der Existenz positiver Konsequenzerfahrungen mit dem neuen Verhalten (ausfu ¨hrlich: Fuchs, 2007). Die an diesem theoretischen Modell orientierte MoVo-Intervention geht von der Beobachtung aus, dass es vie- len Mensch schwer fa ¨llt, das, was sie sich vorgenommen haben, auch in die Tat umzusetzen. Auch dann, wenn Menschen hoch motiviert sind, gelingt es ihnen oft nicht, die entsprechenden Handlungen folgen zu lassen. Was diesen Personen fehlt, ist nicht noch eine weitere ,,Motivierungseinheit‘‘, sondern konkrete Unterstu ¨tzung bei der volitionalen Umsetzung ihrer Ab- sichten. Mit dem psychologischen Be- griff der Volition (Kuhl, 2001) werden – in Abgrenzung zum Begriff der Mo- tivation – jene Prozesse der Selbst- regulation bzw. Selbstkontrolle be- zeichnet, die es dem Menschen er- mo ¨glichen, auch dann ihre Absicht in die Tat umzusetzen, wenn a ¨ußere oder innere Hindernisse auftreten (wenn man z.B. ,,keine Lust‘‘ hat, jetzt zum Sport zu gehen und sich ,,selbst u ¨berwinden‘‘ muss). Betrachtet man die bisher u ¨blichen Programme zur Gesundheitserziehung bzw. Lebens- stila ¨nderung, so ist festzustellen, dass diese zumeist mit motivationalen Abbildung 1. MoVo-Prozessmodell (vgl. Fuchs et al., 2012). Public Health Forum 21 Heft 79 (2013) http://journals.elsevier.de/pubhef 32.e1

Das Motivations-Volitions-Konzept

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Public Health Forum 21 Heft 79 (2013)http://journals.elsevier.de/pubhef

Das Motivations-Volitions-Konzept

Reinhard Fuchs

Ziel desMotivations-Volitions (MoVo)-

Konzepts ist es, Menschen dabei zu

helfen, einen gesundheitsforderlichen

Lebensstil aufzubauen und fest in den

Alltag zu integrieren. Das MoVo-Kon-

zept wurde in den letzten 10 Jahren an

der Universitat Freiburg entwickelt, in

der Praxis vielfach erprobt und in meh-

reren Studien evaluiert (Fuchs et al.,

2010, 2011; Fuchs et al., 2012; Gerber

et al., 2010; Gohner et al., 2009, 2012).

Es ist heute psychologische Grundlage

u.a. des bundesweiten Adipositas-Pro-

gramms M.O.B.I.L.I.S. (Berg et al.,

2008, 2010). Das MoVo-Konzept be-

steht aus zwei Komponenten: dem

MoVo-Prozessmodell und der MoVo-

Intervention. Das MoVo-Prozessmo-

dell liefert die theoretischen Grundla-

gen. In ihm werden die wichtigsten

Erkenntnisse aus den verschiedenen

Gesundheitsverhaltenstheorien (Ban-

dura, 2000; Ajzen, 1991; Deci and

Ryan, 2000; Schwarzer, 2008) zusam-

Abbildung 1. MoVo-Prozessmodell (vgl. Fuchs

mengefasst und in einenGesamtzusam-

menhang gebracht (Abbildung 1). Es

wird postuliert, dass die Initiierung und

Aufrechterhaltung des Gesundheitsver-

haltens (z.B. Bewegung oder gesunde

Ernahrung) im wesentlichen von funf

psychologischen Bedingungen abhan-

gig ist, namlich vom Vorliegen einer

starken Zielintention, von einer mog-

lichst hohen Selbstkonkordanz (Ich-

Nahe) dieser Zielintention (Sheldon

und Elliot, 1999), von realistischen

Handlungsplanen (Gollwitzer, 1999),

von wirksamen Strategien des Barrie-

renmanagements (Kramer und Fuchs,

2010) und schließlich von der Existenz

positiver Konsequenzerfahrungen mit

dem neuen Verhalten (ausfuhrlich:

Fuchs, 2007).

Die an diesem theoretischen Modell

orientierte MoVo-Intervention geht

von der Beobachtung aus, dass es vie-

len Mensch schwer fallt, das, was sie

sich vorgenommen haben, auch in die

et al., 2012).

Tat umzusetzen. Auch dann, wenn

Menschen hochmotiviert sind, gelingt

es ihnen oft nicht, die entsprechenden

Handlungen folgen zu lassen. Was

diesen Personen fehlt, ist nicht noch

eine weitere ,,Motivierungseinheit‘‘,

sondern konkrete Unterstutzung bei

der volitionalen Umsetzung ihrer Ab-

sichten. Mit dem psychologischen Be-

griff der Volition (Kuhl, 2001) werden

– in Abgrenzung zum Begriff derMo-

tivation – jene Prozesse der Selbst-

regulation bzw. Selbstkontrolle be-

zeichnet, die es dem Menschen er-

moglichen, auch dann ihre Absicht

in die Tat umzusetzen, wenn außere

oder innere Hindernisse auftreten

(wennman z.B. ,,keine Lust‘‘ hat, jetzt

zum Sport zu gehen und sich ,,selbst

uberwinden‘‘ muss). Betrachtet man

die bisher ublichen Programme zur

Gesundheitserziehung bzw. Lebens-

stilanderung, so ist festzustellen,

dass diese zumeist mit motivationalen

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Strategien operieren. Unzutreffender-

weise wird hier davon ausgegangen,

die Anderung des Gesundheitsverhal-

tens sei allein eine Frage der richtigen

Motivierung. Das MoVo-Konzept be-

schreitet hier einen anderen Weg:

Auch hier spielt der Motivationsauf-

bau (z.B. durch Starkung der Selbst-

wirksamkeit und durch selbstkonkor-

dantes Goal-Setting) eine wichtige

Rolle; aber dabei wird nicht stehen

geblieben. Das Konzept umfasst

auch volitionale Interventionen (z.B.

Hilfe bei der Handlungsplanung und

Verbesserung des Barrierenmanage-

ments), die der Starkung der selbst-

regulativen Kompetenzen dienen.

Diese ermoglichen es der Person,

aus einer zunachst nur vagen Hand-

lungsbereitschaft konkretes Handeln

hervorgehen zu lassen.

In den vergangen Jahren sind ver-

schiedene MoVo-Interventionspro-

gramme fur unterschiedliche Ziel-

gruppen (adipose Personen, orthopa-

dische Patienten, Firmen-Mitarbeiter)

und Settings (Betrieb, Reha, ambulan-

te Gruppen) entwickelt worden. Eines

dieser speziellen Programme tragt die

Bezeichnung MoVo-LISA. Es ist eine

Kurzintervention, die speziell auf den

Bereich der stationaren Rehabilitation

abgestimmt ist. Ziel von MoVo-LISA

ist es, dem Patienten dabei zu helfen,

nach Abschluss der stationaren Reha-

bilitation zuhause mit einem regelma-

ßigen Bewegungs- bzw. Trainingspro-

gramm zu beginnen und dieses zu

einem festen Bestandteil seines All-

tags zu machen. Das Programm be-

steht aus funf Modulen: zwei Grup-

pengesprachen und einem Einzelge-

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sprach (in der Klinik) sowie einer

Erinnerungskarte und einem Kurzte-

lefonat (drei bzw. funf Wochen nach

der Klinikentlassung). In den Grup-

pengesprachen definieren die Teilneh-

mer ihre personlichen Gesundheits-

ziele (z.B. Schmerzfreiheit); sie ent-

wickeln erste Sport- und

Bewegungsideen, mit denen sie diese

Ziele erreichen konnten. Im Folgen-

den werden diese Ideen weiter kon-

kretisiert und in einen moglichst kon-

kreten Sport- und Bewegungsplan

(was, wann, wo, mit wem) uberfuhrt.

Die Teilnehmer prasentieren ihre per-

sonlichen Plane den anderen Patienten

(Public Commitment). Es werden in-

nere und außere Barrieren identifi-

ziert, die die Umsetzung dieser Plane

gefahrden konnten, und anschließend

– im Sinne der Ruckfallpravention –

moglichst wirkungsvolle Gegenstrate-

gien zurechtgelegt. Eine detaillierte

Beschreibung des MoVo-LISA Curri-

culums findet sich bei Gohner und

Fuchs (2007).

Die Ergebnisse einer Vergleichsstudie

mit insgesamt 220 Patienten bestati-

gen, dass durch MoVo-LISA ein sub-

stanzieller Beitrag zum Aufbau eines

korperlich-aktiven Lebensstils geleis-

tet werden kann. Auch noch 12 Mo-

nate nach der Klinikentlassung waren

die Teilnehmer am MoVo-LISA-Pro-

gramm um durchschnittlich 28 Minu-

ten proWoche sportlich aktiver als die

Nicht-Teilnehmer (Fuchs et al., 2010,

2011). Sogenannte ,,Mediatoranaly-

sen‘‘ zeigten außerdem, dass dieser

Verhaltenseffekt von MoVo-LISA

vor allem auf die interventive Beein-

flussung der volitionalen Variablen

(Handlungsplanung, Barrierenma-

nagement) zuruckzufuhren ist (Fuchs

et al., 2012).

Mit dem MoVo-Konzept liegt somit

eine psychologische Interventions-

konzeption vor, mit der sich das Ge-

sundheitsverhalten zumindest kurz-

und mittelfristig substanziell verbes-

sern lasst. Das MoVo-Konzept zeich-

net sich vor allem durch drei Merk-

male aus: es ist theoriegeleitet

(MoVo-Prozessmodell); es ist stan-

dardisiert (als Manual verfugbar);

und es ist evidenzbasiert (Wirkungs-

nachweis auf der Grundlage langs-

schnittlicher Kontrollstudien). Fur

die zukunftige Arbeit am MoVo-

Konzept stehen insbesondere zwei

Punkte auf der Agenda: Zum einen

die Uberprufung der Interventionsef-

fekte auf der Basis randomisierter

Kontrollstudien (RCT), um die tat-

sachliche Programmwirkung noch

besser abschatzen zu konnen; und

zum anderen die Entwicklung von

Booster-Strategien (z.B. unter Ein-

satz moderner elektronischer Me-

dien) zur langfristigen Verstetigung

der erzielten Verhaltenseffekte.

Der korrespondierende Autor erklart, dasskein Interessenkonflikt vorliegt.

Literatur siehe Literatur zum Schwerpunkt-thema.http://journals.elsevier.de/pubhef/literatur

http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2013.03.004

Prof. Dr. Reinhard FuchsUniversitat FreiburgInstitut fur Sport und SportwissenschaftSchwarzwaldstr. 17579117 [email protected]

Public Health Forum 21 Heft 79 (2013)http://journals.elsevier.de/pubhef

Einleitung

Ziel des Motivations-Volitions (MoVo)-Konzepts ist es, Menschen dabei zu helfen, einen gesundheitsforderlichen

Lebensstil (ausreichend Bewegung, ausgewogene Ernahrung) aufzubauen und fest in den Alltag zu integrieren. Das

MoVo-Konzept besteht aus zwei Komponenten: dem MoVo-Prozessmodell (liefert den theoretischer Rahmen) und der

MoVo-Intervention (standardisierte Programme fur spezifische Zielgruppen). In mehreren Studien wurde die kurz- und

langerfristige Wirksamkeit (12 Monate Follow-up) der beiden wichtigsten MoVo-Interventionsprogramme (MoVo-LISA,

M.O.B.I.L.I.S.) gut belegt.

Summary

The Motivation-Volition (MoVo) Concept was designed to help people set up and maintain a health-enhancing lifestyle

(enough physical exercise, balanced nutrition). The MoVo-concept consists of two components: the MoVo process model

(provides the theoretical framework) and the MoVo intervention (standardized programs for specific target groups).

Several studies have proved the short- and long-term efficacy (12 month follow-up) of the two most important MoVo-

intervention programs (MoVo-LISA, M.O.B.I.L.I.S.).

Schlusselworter:

Intervention = Intervention, Bewegung = physical exercise, Ernahrung = dietary behavior, Handlungsplanung = action

planning, Barrierenmanagement = barrier management

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