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Das neue Erwachsenenschutzrecht
insieme18. März 2013
Dr.iur. Yvo BiderbostKESB Stadt Zürich
• Ausgangslage / Revisionsziele
• Organisation
• Massnahmesystem gestern und heute
• Einzelfälle / Fragen ??
Yvo Biderbost
100 Jahre ZGB
„Das geltende Vormundschaftsrecht […] entspricht unseren heutigen Verhältnissen und Anschauungen nicht mehr …“ (Botschaft, S. 7002)
Ausgangslage
• Trias:
Beistandschaft / Beiratschaft / Vormundschaft• Typengebundenheit (Rechtssicherheit)
• Zu viel / zu wenig / unpassend
• Yvo Biderbost
Kritik / Reformziele
yb – 5. Juni 2012
Massnahmesystem (bisher)
Vormund Beirat Beistand
Mitwirkungs-beiratschaft
Verwaltungs-beiratschaft
Vertretung Verwaltung Eigenes Begehren
Einschränkung Handlungsfähigkeit (abnehmend)
Vormundschaftl.Rechtsinstitute
Komb. Beiratschaft Komb. Beistandschaft
Yvo Biderbost
Was soll denn ändern ?
• Hochkonjunktur der Selbstbestimmung
• Betonung der Familiensolidarität
• Massschneiderung
• Organisation / Rechtsschutz
• Terminologie (wordlifting?)
Yvo Biderbost
Aber:
In der Sache geht es – heute wie in Zukunft – darum, hilfsbedürftigen Personen zur Seite zu stehen, ihnen eine Stimme zu verleihen, wenn ihre Interessen nicht anderweitig ausreichend gewahrt sind. Es geht um (teilweise oder vollumfängliche) Unterstützung, um Beistand im wahrsten Sinn des Wortes an (häufig) vulnerable Menschen – ohne über sie zu verfügen.
Weder in Zukunft noch heute soll einfach unangepasstes, nonkonformes Verhalten bestraft, Eigensinnigkeit belehrt werden oder dergleichen.
Yvo Biderbost
Hierarchie der „Massnahmen“
• Eigene Massnahmen („hors d‘ouevre“)
• Gesetzliche Massnahmen
• Behördliche Massnahmen
Yvo Biderbost
Instrumentarium
Nicht behördliche Massnahmen Behördliche
Massnahmen
Eigene VorsorgeMassnahmen
für Urteilsunfähige
Eigene Massnahmen Gesetzl. Massnahmen
VA PV
Partner-vertretung
Pflege-einrichtungen
Vertretung bei med.
Massnahmen
ZGB 392
Beistand-schaft
FU
Yvo Biderbost
Eigene Vorsorge
• Do it yourself !
• Vorsorgeauftrag (ZGB 360 ff.):– Eine handlungsfähige Person – beauftragt (Eigenhändigkeit oder öff. Beurkundung)– für den Fall ihrer Urteilsunfähigkeit – eine natürliche oder juristische Person – mit Personen-, Vermögenssorge oder Rechtsverkehr
• Patientenverfügung (ZGB 370 ff.):– Für den Fall ihrer Urteilsunfähigkeit
o legt eine urteilsfähige Person (schriftlich) fest, welchen medizinischen Massnahmen sie zustimmt
o bezeichnet (schriftlich) eine urteilsfähige Person eine natürliche Person, welche bezüglich medizinischer Massnahmen für sie entscheiden soll
• Rolle der KESB
Yvo Biderbost
Gesetzliche Massnahmen für Urteilsunfähige
• Hypothetisierte Selbstbestimmung
• Partnervertretung (ZGB 374 ff.):– Ehe- oder eingetragene Partner– gemeinsamer Haushalt oder regelmässiger Beistand– subsidiär zu Vorsorgeauftrag und (entsprechender) Beistandschaft– Vertretungsrecht für ordentliche Verwaltung
• Vertretungskaskade bei med. Massnahmen (ZGB 377 ff.):– Soweit keine entsprechende Patientenverfügung besteht, ist unter Beizug einer Vertretung ein
Behandlungsplan aufzustellen– weitestmöglicher Einbezug der urteilsunfähigen Person– Vorbehalt: Dringliche Fälle / psych. Störungen (ZGB 379 f.)
• Heimgesetzfragment (ZGB 382 ff.)– Betreuungsvertrag / bewegungseinschränkende Massnahmen– Vertretung analog ZGB 378– Meldepflicht an KESB
• Rolle der KESB
Yvo Biderbost
Behördliche Massnahmen
(1) „Vormassnahmen“ (ZGB 392) Das Erforderliche Auftrag an Dritte Einsicht und Auskunft
(2) Beistandschaften (ZGB 393 ff.) Massschneiderung Verzicht auf erstreckte elterliche Sorge
(3) Fürsorgerische Unterbringung (FU) (ZGB 426 ff.)
• Unterbringung in einer Einrichtung• Medizinische Massnahmen bei psych. Störung• Nachbetreuung / ambulante Massnahmen
• Ausbau Rechtsschutz
Yvo Biderbost
Beistandschaft (Arten)
Begleit-beistandschaft
Vertretungs-beistandschaft
Mitwirkungs-beistandschaft
umfassende Beistandschaft
-Vertretungslose, rein begleitende Unterstützung- von Gesetzes wegen keine Einschränkung der Handlungsfähigkeit- Einverständnis der betroffenen Person
-gesetzlicher Vertreter im Umfang der Aufgaben- Handlungsfähigkeit bliebt grundsätzlich bestehen, kann aber punktuell eingeschränkt werden
-Mitwirkung, nicht Vertretung!(also nur Urteilsfähige)- Von Gesetzes wegen entspr. Einschränkung der Handlungsfähigkeit
Nachfolgeinstitut der Vormundschaft-Vollumfängliche gesetzl. Vertretung-Vollumfängliches Entfallen der Handlungsfähigkeit
Genaue Aufgabenbereiche
Kombinationen möglich
392 FU
• Erstreckte elterliche Sorge
altArt. 385 III ZGB:
Wenn mündige Kinder entmündigt werden, so tritt anstelle der Vormundschaft in der Regel die elterliche Sorge.
• Angehörige als Beistand
neuArt. 420 ZGB:
Werden der Ehegatte, die eingetragene Partnerin …, die Eltern, ein Nachkomme, ein Geschwister, die faktische Lebenspartnerin … der betroffenen Person als Beistand … eingesetzt, so kann die KESB sie von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und der Pflicht, für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, ganz oder teilweise entbinden, wenn die Umstände es rechtfertigen.
Yvo Biderbost
Übergangsrecht
Art. 14 II SchlT ZGB:
Personen, die nach bisherigem Recht entmündigt worden sind, stehen mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts unter umfassender Beistandschaft. Die KESB nimmt von Amtes wegen so bald wie möglich die erforderlichen Anpassungen vor. So lange die Behörde im Fall erstreckter elterlicher Sorge nicht anders entschieden hat, sind die Eltern von der Inventarpflicht, der Pflicht zur periodischen Berichterstattung und der Pflicht , für bestimmte Geschäfte die Zustimmung einzuholen, befreit.
Yvo Biderbost
Voraussetzungen
• Schwächezustand (ZGB 390):– geistige Behinderung, psychische Störung oder ähnlicher in
der Person des Betroffenen liegender Schwächezustand– bei FU: + schwere Verwahrlosung– vorübergehende Urteilsunfähigkeit oder Abwesenheit
• Schutzbedürfnis– Angelegenheiten nur teilweise oder gar nicht besorgen
(ZGB 390 I 1)– Subsidiarität / Alternativen (ZGB 389 / 392)
• Verhältnismässigkeit
„Behindertentestament“
Art. 492a ZGB
Ist ein Nachkomme dauernd urteilsunfähig und hinterlässt er weder Nachkommen noch einen Ehegatten, so kann der Erblasser eine Nacherbeneinsetzung auf den Überrest anordnen.
Die Nacherbeneisetzung fällt von Gesetzes wegen dahin, wenn der Nachkomme wider Erwarten urteilsfähig wird.
Art. 531 ZGB
Eine Nacherbeneinsetzung ist gegenüber einem pflichtteilsgeschützten Erben im Umfang des Pflichtteils ungültig; vorbehalten bleibt die bestimmung über urteilsunfähige Nachkommen.
Yvo Biderbost
Organisation / Verfahren• Fachbehörde (ZGB 440)
– mindestens 3 Mitglieder– interdisziplinär– regional (von ca. 1420 VB zu ca. 150 KESB)
• Gerichtliche Beschwerdeinstanz (ZGB 450)• Aufsicht (ZGB 441)
• Verfahrensordnung:
(insb.) ZGB 443 ff.Kantonales
VerfahrensrechtZPO
(ZGB 450f)
Yvo Biderbost
Behördenorganisation (1)
• Bis Ende 2012:– Kanton ZH: Gemeindeebene (171 VB)– Stadt Zürich:
• 7 vollamtliche, (politisch) gewählte Mitglieder („Waisenräte“)
• Präsident: Vorsteher/in Sozialdepartement• Ca. 70 Mitarbeitende
Yvo Biderbost
Behördenorganisation (2)
• Seit 1.1.2013:
– (regionalisierte) – interdisziplinäre Fachbehörde– Stadt Zürich:
• 9 vollamtliche Behördenmitglieder• 2 Ersatzmitglieder• Fachlichkeit: Recht / Sozialarbeit (+ 3. Disziplin)• Ca. 90 Mitarbeitende
Yvo Biderbost
Organigramm
Yvo Biderbost
• Also:
– Geregelte Hierarchie (Subsidiarität / Selbstbestimmung)
mit (neuem) Instrumentarium (VA / PV / VvGw)– Neues und flexibles Massnahmesystem (Massschneiderung)– Neuorganisation (Professionalisierung)– Punktuelle Verbesserungen / Anpassungen (terminologisch und inhaltlich)
• Aber:– Es ist nicht alles Neuland / grüne Wiese. – Es wurde hier und dort an Bewährtes angeknüpft.– Und bisweilen findet einfach die praxiserprobte Rechtswirklichkeit eine
Fortschreibung im Gesetz.
• Mehrwert?– Materiell: Möglichkeiten der Individualisierung– Balance Selbst-/Fremdbestimmung– Formell: Ausbau Rechtsschutz Yvo Biderbost
Neuer Geist und fortschrittliche Neukonzeption
Yvo Biderbost
Die Frage zum Schluss
Kann denn Betreuung
Sünde sein ?
Yvo Biderbost
Statt einer Antwort
• Wagen wir den Erwachsenenschutz mit dem Primat der Selbstbestimmung und dem Gebot zur Massschneiderung !
• Lassen wir uns nach dem Abenteuer Rechtsetzung nun endlich auf das Abenteuer Umsetzung ein !
• In diesem Sinne: Die Beistandschaft tun und neu denken – aber Bewährtes nicht lassen !
• Mithin: Es ist nicht Moses vom Berg Sinai gestiegen, aber moderner Erwachsenenschutz ist es geworden
Yvo Biderbost
Fragen ???
Märssi boggu !!!