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Dipl. Soziologe Werner Hartl Das Oberland-Gedenken am Schliersee als umkämpfter Erinnerungsort

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  • Dipl. Soziologe

    Werner Hartl

    Das Oberland-Gedenken am Schliersee

    als umkämpfter Erinnerungsort

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    2

    Herausgeber:

    Gemeinnützige Respekt! Kein Platz für Rassismus GmbH Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt am Main [email protected] www.respekt.tv

    Autor:

    Werner Hartl studierte Diplom Soziologie, Volkswirtschaftslehre sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er arbeitet als Bildungsreferent im IG Metall Bildungszentrum Lohr am Main und leitete von 2007 bis 2016 das IG Metall Jugendbildungszentrum am Schliersee. Kontakt: [email protected]

    Frankfurt und München – 27. Januar 2019

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    3

    1 Um was es geht ...................................................................................... 4

    2 Hintergründe zur Geschichte des Freikorps Oberland ....................................... 6

    2.1 Niederschlagung der Münchner Räterepublik im April und Mai 1919 ....................6

    2.2 Gründung des Freikorps Oberland und dessen Rolle in München 1919 ................. 10

    2.3 Die Kämpfe in Oberschlesien 1921 ........................................................... 11

    3 Phasen des Oberland-Gedenkens von 1921 bis heute ....................................... 17

    3.1 Von der Grundsteinlegung 1921 bis 1945 ................................................... 17

    3.2 Neuerrichtung gegen Widerstände und Einweihung – 1951 bis 1956 .................... 18

    3.3 Etablierung im Schlierseer Festkalender – 1960er Jahre ................................. 21

    3.4 Ehre und Treue – 1968 bis 1990 .............................................................. 24

    3.5 Gärung und Klärung – 1990 bis 2010 ......................................................... 27

    3.6 Ausgrenzung und Distanzierung – 2010 bis heute.......................................... 32

    4 Exkurs: vom Oberland über Oberschlesien nach Auschwitz ............................... 35

    5 Perspektiven des Gedenkortes am Schlierseer Weinberg .................................. 39

    Quellen- und Literaturverzeichnis ................................................................ 43

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    4

    Der vorliegende Text basiert auf einem Vortrag, der im Rahmen der Veranstaltungsreihe „gedenken – umdenken – versöhnen. Das Annabergdenkmal in Schliersee“ des katholischen Bildungswerks im Landkreis Miesbach e.V. gehalten wurde. Titel der Veranstaltung, auf der Dr. Thomas Schlemmer und Dipl. Soziologe Werner Hartl sprachen, lautete „Die beiden Denkmäler von 1923 und 1956. Wie wirken sie in der Nachkriegszeit fort?“.

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    5

    1 Um was es geht

    Dem Freikorps Oberland, das 1919 aus der republikfeindlichen und antisemitischen Thule-

    Gesellschaft hervorging, ist am Schliersee eine Gedenktafel gewidmet. Dieses Denkmal,

    sowie die jährlich stattfindende Ehrung der Gefallenen Freikorps-Kämpfer beim „Sturm auf

    den Annaberg“ in Oberschlesien, sorgen seit vielen Jahren für Kritik und Protest.

    Der vorliegende Text soll einen Beitrag dazu leisten, sich ein Bild vom Charakter und der

    politischen Bedeutung des belasteten Gedenkortes machen zu können. Ziel ist es, eine

    kritische Meinungsbildung auf Grundlage historischer Quellen und der vorliegenden

    Rechercheergebnisse zu fördern.

    Für ein Verständnis der Zusammenhänge ist es wichtig, die Gründungsgeschichte des

    Freikorps Oberland und dessen Rolle in der Frühphase der Weimarer Republik zu kennen. Es

    werden daher zu Beginn die Ereignisse des revolutionären Umbruchs bei Kriegsende 1918,

    zur Zeit der Münchner Räterepublik 1919 und bei der Auseinandersetzung in Oberschlesien

    1921 in gebotener Kürze dargestellt und in Verbindung mit dem Freikorps Oberland gebracht.

    Es folgt ein schlaglichtartiger Blick auf die Geschichte des Oberland-Gedenkens am

    Schliersee. Einzelne Phasen, mit dem sich über die Zeit wandelnden Charakter des

    Gedenkens, werden skizziert und benannt. Der Kategorisierung der Phasen liegt eine Analyse

    der Berichterstattung der regionalen sowie überregionalen Presse, Veröffentlichungen in der

    rechtsextremen Szene und Rechercheergebnisse des Autors zugrunde. Beleuchtet wird

    weiterhin das mit dem Oberland-Gedenken verbundene politische Umfeld der

    „Kameradschaft Freikorps Oberland – Bund Oberland“.

    Aus der Sichtung der Literatur und dem Aufspüren historischer Dokumente werden

    exemplarisch einzelne Rechercheergebnisse vorgestellt. Sie zeigen, wie ideologische und

    politische Verbindungslinien zu einer Verstrickung des Freikorps- und Bund Oberland mit dem

    Nationalsozialismus und dem System des „Dritten Reiches“ führten.

    Im Schlusskapitel soll der Versuch unternommen werden die Bedeutung des Gedenkortes im

    politisch rechtsstehenden Lager zusammen zu fassen. Für die Diskussion zur möglichen

    Neugestaltung des Gedenkortes am Schliersee werden Eckpunkte benannt, die als

    Orientierung für Gestaltungsvorschläge dienen können.

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    6

    2 Hintergründe zur Geschichte des Freikorps Oberland

    Um das Oberland-Gedenken am Schlierseer Weinberg verstehen und bewerten zu können,

    sind grundlegende Kenntnisse über die Geschichte des Freikorps Oberland und dessen

    Aktionen in der Frühphase der Weimarer Republik erforderlich. Zwei Ereignisse spielen bei

    der Herausbildung der Ziele und des Charakters sowie den späteren politischen Aktionen des

    Freikorps Oberland eine entscheidende Rolle. Über die gewaltsame Niederschlagung der

    Münchner Räterepublik 1919 und die Grenzkämpfe in Oberschlesien 1921 wird daher im

    Folgenden ein kurzer Überblick gegeben und mit der Geschichte des Freikorps Oberland in

    Verbindung gesetzt.

    2.1 Niederschlagung der Münchner Räterepublik im April und Mai 1919

    Angesichts der immensen Zahl an

    Gefallenen nach vier Jahren Stellungskrieg

    und der immer schlechter werdenden

    Versorgungslage, waren große Teile der

    Bevölkerung kriegsmüde. Die anfängliche

    Begeisterung für den Waffengang schlug

    nach und nach in ihr Gegenteil um. Schon

    im Frühjahr 1918 wurde beispielsweise

    durch die Streiks in Munitionsfabriken

    offensichtlich, dass Teile der Bevölkerung

    die Sinnhaftigkeit des Krieges

    anzweifelten. Im Herbst 1918 waren viele

    Soldaten nicht mehr bereit, sich sinnlos an der Front zu opfern. Sie wollten zurück zu ihren

    Familien, in denen sie schmerzlich vermisst wurden.

    Den militärischen Oberbefehlshabern war die aussichtslose militärische Lage längst bewusst.

    Den drohenden Zusammenbruch an den Fronten vor Augen, drängte die Oberste

    Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff den militärischen Oberbefehlshaber Kaiser

    Wilhelm II. im Spätsommer 1918 zu Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten.

    Anfang November begann mit den Matrosenaufständen in Kiel ein revolutionärer Umbruch

    des gesellschaftlichen Systems. Die revolutionäre Stimmung griff nun auch auf Bayern über.

    Am 7. November 1918 wurde mit der Ausrufung des Freistaates die Monarchie in Bayern

    gestürzt und eine provisorische Regierung unter dem Ministerpräsidenten Kurt Eisner

    gebildet.

    Zentrale Ziele der Politik Eisners waren permanente Mitbestimmung weiter Teile der

    Bevölkerung und Verwirklichung des Friedens nach Ende der Kampfhandlungen im November

    1918. Kurt Eisner war der Meinung, der Weg für Frieden sei für immer sicher, da

    Bild 2: Kundgebung auf der Münchner Theresienwiese am 7. November 1918.

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    7

    „wir die Schuldigen an diesem Weltverbrechen (…) so menschlich beiseite schoben, wie noch

    niemals, mit einer Rücksicht, die jene nicht verdient haben“1

    Eisner versuchte in den folgenden Wochen zwischen Mehrheitssozialdemokraten (MSPD), die

    eine parlamentarische Demokratie anstrebten und unabhängigen Sozialdemokraten (USPD),

    den Verfechtern einer Rätedemokratie, zu vermitteln. Er glaubte, Rätesystem und

    Parlament könnten als unabhängige demokratische

    Institutionen nebeneinander bestehen. Die Räte würden

    sich mit der Zeit ganz von selbst durchsetzen und die

    Parlamente in der Machtausübung ablösen.2

    Bei den ersten demokratischen Wahlen zum bayerischen

    Landtag im Januar 1919 erlitt die USPD, die Partei Kurt

    Eisners, jedoch eine herbe Niederlage. Am 21. Februar

    1919 wurde Eisner, bereits auf dem Weg zur Bekanntgabe

    seines Rücktritts, von dem nationalistisch gesinnten

    Attentäter Anton Graf von Arco auf Valley erschossen. Über

    die Motive des Attentäters gibt ein überliefertes Zitat

    Auskunft:

    „Eisner strebt nach Anarchie, er ist Bolschewist, er ist Jude,

    er ist kein Deutscher, er fühlt nicht deutsch, er untergräbt

    jedes deutsche Gefühl, er ist ein Landesverräter. (…) Ich hasse den Bolschewismus“3

    Der Ermordung Kurt Eisners ging eine Welle antisemitischer Hetze und Verleumdungen

    voraus. Eine herausragende Rolle spielte hierbei die völkisch-antisemitische und republik-

    feindliche Thule-Gesellschaft, der auch der Attentäter Graf von Arco zugeordnet wird. Die

    Thule-Gesellschaft war eine Geheimorganisation, die im August 1918 aus dem

    antisemitischen Germanenorden4 hervorging. Sie wurde nach dem Sturz der Monarchie 1918

    zur wichtigsten gegenrevolutionären Kraft in München und entwickelte sich weiter zur

    zentralen Wegbereiterin der nationalsozialistischen Bewegung. Aus der Thule-Gesellschaft

    sollte auch das Freikorps Oberland hervorgehen.

    Nach der Ermordung Eisners kam es zu einer Zuspitzung der Ereignisse. Der Zentralrat der

    bayerischen Republik, legitimiert durch den Rätekongress5, übernahm die Regierungsgewalt.

    Am 17. März 1919 bildete der bayerische Landtag eine weitere, von der SPD geführte und

    von der Bayerischen Volkspartei (BVP) tolerierte Minderheitsregierung unter Einschluss von

    1 Auszug aus der Rede Kurt Eisners vom 17. November 1918. Zitiert nach Weidermann 2017, Seite 72. 2 Vgl. Weidermann 2017, Seite 72. 3 Zitiert nach: Weyerer 1993, Seite 78 f. 4 Der 1912 gegründete Germanenorden war eine anti-jüdische Geheimorganisation, hatte eine rassisch reine deutsche Nation zum Ziel und

    forderte schon früh die Deportation von „Juden, anarchistischen Mischlingen und Zigeunern“. Goodrick-Clarke 2004, S. 114 ff. 5 Der bayerische Rätekongress setzte sich aus Mitgliedern der MSPD, USPD und der KPD zusammen.

    Bild 3: Attentatsstelle Kurt Eisner im

    Februar 1919.

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    USPD-Vertretern. Die Mitglieder des von den Münchner Arbeiter- und Soldatenräten

    eingesetzten Zentralrats der bayerischen Republik riefen daraufhin, gestützt durch die

    Mehrheit der in Gewerkschaften und Parteien organisierten Arbeiterschaft, am 7. April die

    „Münchner Räterepublik“ aus.

    Der revolutionäre Umbruch 1918, die erste Phase der Demokratisierung Bayerns, bis zu den

    Ereignissen unmittelbar nach der Ermordung Eisners, verlief bis dahin beachtlich unblutig.

    Dies änderte sich, als die von der SPD geführte Regierung unter Johannes Hoffmann nach

    Bamberg auswich und versuchte, die zuvor gebildete Räteregierung durch einen Angriff der

    „Republikanischen Soldatenwehr“ zu stürzen.

    Dieser Angriff, der am 13. April 1919 begann, scheiterte am Widerstand der zur Verteidigung

    der Räteregierung gegründeten Münchner „Roten Armee“ 6 . Nach diesem militärischen

    Zwischenerfolg der Räterepublik übernahm der als gemäßigt geltende Führer der USPD, Ernst

    Toller, die Regierungsgewalt in München. Er drängte angesichts der katastrophalen

    Ernährungslage in der Stadt auf Verhandlungen. Die Bamberger Regierung unter Hoffmann

    lehnte jedoch jeden Kompromiss ab und wollte die Räteregierung in München nach wie vor

    militärisch niederringen. Zu diesem Zweck ging Hoffmann ein Bündnis mit reaktionären

    Kräften, unter ihnen auch die Freikorps, ein.

    Am 30. April 1919 startete ein zweiter Vormarsch auf München. Der Beginn dieser

    militärischen Aktion war geprägt durch Gewaltexzesse und Morde durch Freikorps- und

    Reichswehreinheiten. Bereits im Münchner Umland fielen ganze Gruppen willkürlichen

    Erschießungen und Hinrichtungen zum Opfer. Beispielsweise wurden in Gräfelfing 52

    russische Kriegsgefangene und in Perlach 12 Räteanhänger ermordet.

    Unter diesem Eindruck der Bedrohung durch die vorstoßenden Freikorps- und

    Reichswehreinheiten, exekutieren Anhänger der Räterepublik im Hof des Luitpold-

    Gymnasiums zehn Gefangene, denen Spionagetätigkeit und Sabotage der Räteregierung

    vorgeworfen und teils nachgewiesen wurde. Bei den zehn Hingerichteten handelte es sich

    überwiegend um Mitglieder der Thule-Gesellschaft und deren Umfeld. Infolge dieser

    Ereignisse trieb die antisemitisch-antibolschewistische Hetze auf einen neuen Höhepunkt zu

    und heizte die Stimmung in den ohnehin radikalisierten und gewaltbereiten Freikorps weiter

    an.

    Am 1. Mai 1919 wurde von Rudolf Egelhofer, dem Oberkommandierenden der Münchner

    „Roten Armee“, der Befehl erteilt, die Waffen niederzulegen. Ungeachtet dessen rückten

    an diesem 1. Mai Reichswehr- und Freikorpstruppen, so auch das Freikorps Oberland, in

    München ein. Während der Kämpfe um die Stadt waren Erschießungen von Gefangenen und

    6 Diese Militäreinheiten wurden im April 1919 nach sowjetrussischem Vorbild gebildet und nach der dort bestehenden Roten Armee benannt. Sie sollten die Errungenschaften der Räterepublik verteidigen.

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    gezielte Morde an Führungsfiguren der Rätebewegung an der Tagesordnung. Insgesamt

    schwanken die Angaben zu den Zahlen der Getöteten zwischen 557 und 1.200 Personen. Als

    sicher gelten etwa 650 Opfer, darunter allein 335 Zivilpersonen. Die meisten von ihnen

    starben infolge von sogenannten „Säuberungsaktionen“ 7 und nicht infolge der

    Kampfhandlungen. Diesen etwa 650 Getöteten standen bei den Reichswehr- und

    Freikorpstruppen gerade einmal 38 Gefallene gegenüber8.

    Terror und Willkür setzten sich noch den ganzen Mai hindurch fort. Bei der Durchsuchung

    von Häusern nach Waffen und Räteanhängern waren Plünderungen, Beschlagnahmungen und

    Gewalt üblich. Berichte der Münchner Polizei belegen den Umfang solcher Übergriffe aus

    den Reihen der Freikorps. Anfang Mai wurden bis zu 100.000 Personen zeitweilig festgesetzt9.

    Das entsprach etwa einem Sechstel der Münchner Bevölkerung, wobei zunächst kaum

    zwischen aktiven Anhängern der Räterepublik, Mitläufern und unbeteiligten Arbeitern

    unterschieden wurde. Ihre Verhaftung war regelmäßig von Beschimpfungen und körperlichen

    Misshandlungen begleitet. Wohnungen wurden willkürlich aufgebrochen, oftmals vollständig

    verwüstet und Sachwerte entwendet. Gerade diese Hausdurchsuchungen zählten zum

    zentralen Aufgabenbereich des Freikorps Oberland. Erst Anfang Juni 1919 kehrten wieder

    gesicherte Rechtsverhältnisse in der Landeshauptstadt ein.

    7 Als „Säuberungsaktionen“ gelten Maßnahmen, bei denen politische Gegner, aber auch unbeteiligte, in der Regel ohne rechtlich abgesichertes Verfahren „beseitigt“, also ermordet wurden.

    8 Zahlen siehe Hillmayr 1973, Seite 120 f. 9 Vgl. Hillmayr 1973.

    Bild 4: Plakat der Bayerischen Volkspartei von 1919. Bild 5: Lithographie von George Grosz von 1919 mit

    dem Titel „Feierabend“.

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    10

    Ein Plakat der Bayerischen Volkspartei von 1919 bringt das in der Weimarer Zeit weit

    verbreitete diffamierende Bild von angeblichen „anarchistischen Zuständen“ während der

    Münchner Räterepublik zum Ausdruck (Bild 4). Die verharmlosende Darstellung eines „Ur-

    Münchners“ relativiert die tatsächlich stattgefundenen Übergriffe seitens der Freikorps- und

    Reichswehreinheiten. In politisch aufgeklärteren Kreisen wurden die Ereignisse durchaus

    kritischer gesehen. Eine Lithographie des Künstlers George Grosz ist Ausdruck dieser

    anklagenden Sichtweise (Bild 5). Zu sehen ist in der rechten Bildhälfte ein Vertreter der

    „Befreier“ Münchens. Dieser Reichswehr- oder Freikorpskämpfer blickt vor der düsteren

    Stadt-Silhouette auf einen leblosen, am Isarufer liegenden, offensichtlich misshandelten,

    Körper.

    Der Schriftsteller Oskar Maria Graf, Augenzeuge der gewaltsamen Niederschlagung der

    Münchner Räterepublik, beschreibt die Stimmung in seinem autobiografischen Roman „Wir

    sind Gefangene“:

    "jetzt fing bei den Soldaten eine wahre Treibjagd auf verdächtige Zivilisten an. Ein

    furchtbares Denunzieren setzte ein. Kein Mensch war mehr sicher. Wer einen Feind hatte,

    konnte ihn mit etlichen Worten dem Tod überliefern. Jetzt waren auf einmal wieder die

    verkrochenen Bürger da (…). Wahrhaftig gierig suchten sie mit den Augen herum, deuteten

    dahin und dorthin, rannten einem Menschen nach (…), spuckten, stießen wie wild geworden

    und schleppten den Halbtot geprügelten zu den Soldaten."10

    2.2 Gründung des Freikorps Oberland und dessen Rolle in München 1919

    Das Freikorps Oberland wurde im April 1919, unmittelbar vor der gewaltsamen Nieder-

    schlagung der Räterepublik, von dem Gründer der Thule-Gesellschaft, Rudolf von

    Sebottendorf, gegründet. Dem Freikorps gehörten zunächst vorwiegend Mitglieder des

    Thule-Kampfbundes, der Kampforganisation der Thule-Gesellschaft, an. Neu angeworbene

    Freiwillige stammten zum Teil aus der Gegend um Miesbach. Der Namenszusatz Oberland

    nimmt Bezug auf die geographische Lage Miesbachs, dem „Oberland“ im Süden Münchens.

    Die Zentrale des Freikorps Oberland wurde in den Räumen der Thule-Gesellschaft im Hotel

    Vier Jahreszeiten eingerichtet. Dort residierten auch andere nationalistische Gruppen wie

    etwa der „Alldeutsche Verband“ oder die „Deutsche Arbeiterpartei“ (DAP), die sich kurz

    darauf in NSDAP umbenennen sollte. Die Redaktionsräume des „Münchner Beobachter“, der

    sich etwas später „Völkischer Beobachter“ nannte, waren ebenso dort untergebracht.

    Nach Abschluss der eigentlichen Kampfhandlungen in München wurde das auf 1.000 Soldaten

    angewachsene Freikorps Oberland zur Sicherung von Straßen und Plätzen sowie für

    10 Graf 1994, Seite 448.

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    11

    Hausdurchsuchungen eingesetzt. Der Kopf der Thule-

    Gesellschaft, Rodolf von Sebottendorf, hielt die

    Fäden des Freikorps Oberland in der Hand. Sein Ziel

    war keineswegs die Republik zu retten. Es ging ihm

    vielmehr darum, seine vermeintlichen Feinde, also

    „Juden“ und „Bolschewisten“, zu bekämpfen und

    eine völkische Diktatur zu errichten. Der Charakter

    und die politische Motivation des Freikorps Oberland

    wurzelt in diesem tiefsitzenden Antisemitismus und

    Antibolschewismus.

    Ein Zitat eines Oberland-Aktivisten aus den frühen

    1920er Jahren verdeutlicht, um was es der Führungs-

    riege des Freikorps Oberland tatsächlich ging:

    „Da sammelte ein Beherzter handfeste Burschen um sich, um (…) das Land von dieser

    Gottesgeißel des jüdischen Mammons zu befreien (…) ‚Oberland‘ heißt sich die Schar (…). Die

    wahrhaft Schuldigen an Münchens Räteherrschaft, die Führer = Schürer und Hetzer, die

    Juden, (…) das sind unsere wahren Feinde, ihnen gilt unser Kampf!“11.

    Die organisatorisch und inhaltlich ausgesprochen enge Verbindung zur Thule-Gesellschaft

    und zur frühen nationalsozialistischen Bewegung findet sich auch in der Symbolik des

    Freikorps Oberland wieder: das Erinnerungszeichen für den Einsatz in München 1919 zeigt

    ein stilisiertes Hakenkreuz, gekreuzte Schwerter und die Runenkombination der Thule-

    Gesellschaft (Bild 6).

    Das Gedenken an die Taten des Freikorps Oberland beschränkte sich nicht nur auf

    Erinnerungszeichen wie diese Anstecknadel. Der antidemokratischen Motivation des

    Freikorps Oberland wurde bei den jährlichen Gedenkfeiern auch am Schliersee gefolgt.

    2.3 Die Kämpfe in Oberschlesien 1921

    Nach der Niederlage im ersten Weltkrieg musste das Deutsche Reich territoriale Verluste

    akzeptieren. Der neu gebildete polnische Staat erhob Anspruch auf Oberschlesien. Aufgrund

    der Bestimmungen des Versailler Vertrags fand in Oberschlesien, das nach Kriegsende dem

    Völkerbund unterstellt worden war, am 20. März 1921 eine Volksabstimmung über die

    11 Zitiert nach: Traditionsgemeinschaft des Freikorps und Bundes Oberland 1974, Seite 27 f.

    Bild 6: Das Erinnerungszeichen des Freikorps

    Oberland an dessen Einsatz in München 1919

    mit stilisiertem Hakenkreuz.

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    12

    staatliche Zugehörigkeit des Gebiets statt. Wie das Bild 7 zeigt, waren im Jahr 1905/06 vor

    allem die ländlichen Gebiete Oberschlesiens polnischsprachig geprägt (blaue Farbe).

    Lediglich in den Städten und Industriezentren Oberschlesiens hatte die deutschsprachige

    Bevölkerung einen höheren Anteil (rote Farbe).

    Der Volksabstimmung ging ein propagandistisch aufgeheizter

    Abstimmungskampf voraus. Die aus polnischer Sicht seit

    Jahrhunderten währende deutsche Unterdrückungspolitik

    gegenüber der polnischsprachigen Bevölkerung war ein

    wichtiges Element in der polnischen Propaganda. Ein Plakat

    aus dieser Zeit arbeitet mit diesem populären Bild. Es zeigt

    einen polnischen Arbeiter, der auf seinem Rücken je einen

    Vertreter des deutschen Großbürgertums, des preußischen

    Militärs und der deutschen Justiz trägt (Bild 8). Der in

    polnischer Wahrnehmung seit jeher in Richtung Osten

    ausgreifende deutsche Expansionsdrang wurde ebenso

    thematisiert. Für das wirtschaftliche Überleben des neuen

    polnischen Staates war die durch Bergbau und Stahlindustrie

    geprägte Region, vor allem im Osten Oberschlesiens, von

    größter Bedeutung.

    Auf deutscher Seite kamen in der Abstimmungspropaganda

    völkisch-nationalistische sowie rassistische Argumente zum

    Bild 7: Sprachen in Schlesien 1905/06: deutschsprachige Mehrheiten (rot) und polnischsprachige Mehrheiten (blau).

    Bild 8: Polnisches Plakat zur

    Abstimmung in Oberschlesien

    1921. Ein polnischer Arbeiter

    trägt auf seinem Rücken je einen

    Vertreter des deutschen

    Bürgertums, des preußischen Militärs und der Justiz.

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    13

    Tragen. „Den Polen“ wurden negative Eigenschaften wie etwa Arbeitsunwilligkeit

    unterstellt. Während der folgenden Kämpfe in Oberschlesien wurden zudem Instrumentarien

    antijüdischer und antibolschewistischer Propaganda erprobt und perfektioniert. Gegen das

    sogenannte „Ostjudentum“ wurde mit Hetzkampagnen Stimmung gemacht. Juden in aller

    Welt wurden als die wahren Provokateure und

    Profiteure der Kämpfe hingestellt.

    Hakenkreuzfahnen und antisemitische Parolen

    waren zu sehen und zu hören. In einem Aufruf zur

    Unterstützung der freiwilligen Kampfeinheiten in

    Oberschlesien heißt es:

    „Oberschlesien brennt! Die wohlbekannten

    Gaukler sind wieder am Werke. (…) Wer hätte die

    Stirn diese Tatsachen zu leugnen? Nur das

    schmutzige Volk der Schieber und Wucherer, das

    keine Not und kein Elend kennt!“12

    Mit den „wohlbekannten Gauklern“ und dem

    „schmutzigen Volk der Schieber und Wucherer“ sind

    unzweifelhaft und in abwertender Absicht Juden

    gemeint. Es kommt auch Angst vor einer diffusen

    Bedrohung durch „unzivilisierte Horden“ aus dem

    Osten zum Vorschein. Thematisch dargestellt ist

    dies auf einem Plakat mit der Überschrift „Die

    Heimat ist in Gefahr!“. Ein asiatisch anmutender

    Schädel mit stilisierter Pelzmütze bedroht die

    „heimische“ Bevölkerung (Bild 9).

    Im Ergebnis der Auseinandersetzung stimmten etwa 60% der Abstimmungsberechtigten für

    den Verbleib beim Deutschen Reich. Das Abstimmungsergebnis scheint allerdings nur auf den

    ersten Blick eindeutig. Sieht man sich das Abstimmungsverhalten in einzelnen Orten oder

    Verwaltungsbezirken an, ergibt sich ein weit weniger eindeutiges Bild eines Flickenteppichs

    mit sich abwechselnden Mehrheiten (Bild 10 und Bild 11).

    Zur Abstimmung waren auch deutsche Staatsbürger zugelassen, die aus der Region

    Oberschlesien stammten, ihren Wohnsitz mittlerweile aber in anderen Teilen des Reiches

    hatten. Dies sorgte für Unmut auf polnischer Seite. Kurz nach Bekanntgabe des

    12 Zitiert nach: Traditionsgemeinschaft des Freikorps und Bundes Oberland 1974, Seite 29 f.

    Bild 9: Plakat der „Osthilfe“ von 1919. „In den

    Kämpfen an der deutschen Ostgrenze, die bis in die

    20er Jahre dauern, brechen alte Wunden auf. Polen

    geht es um nationale Selbstbestimmung, bei den

    Deutschen zeigt sich eine uralte Angst vor

    Einbrüchen aus dem Osten.“

  • ••••••••••••

    14

    Abstimmungsergebnisses begann am 3. Mai 1921 der sogenannte „dritte Aufstand“ 13

    polnischer irregulärer Einheiten, um den Anschluss an Polen gewaltsam durchzusetzen.

    Durch die Mobilisierung aufgelöster Freikorps bildeten sich auch deutsche Kampfverbände,

    unter denen sich das Freikorps Oberland befand. Am 21. Mai 1921 nahm das Freikorps

    Oberland den St. Annaberg ein, der als

    wichtige Befestigung der polnischen Auf-

    ständischen galt. Bei den Kämpfen in Ober-

    schlesien wurden auf beiden Seiten zahlreiche

    Verbrechen, auch an der Zivilbevölkerung,

    begangen.

    Das Reichskommissariat für Überwachung der öffentlichen Ordnung stufte das Freikorps

    Oberland als hochgefährlich und kriminell ein:

    „Die Angehörigen des Freikorps Oberland vor allem waren es, die (…) die große Anzahl

    strafbarer Handlungen begangen haben (…). Vor allem aber hat sich in den aus dem Korps

    Oberland hervorgegangenen Nachrichtenstellen ein reines Verbrechertum ausgebildet.“14

    Ihnen wurde vorgeworfen, Diebstähle, Veruntreuungen, Unterschlagungen und Raub-

    überfälle begangen zu haben. Die Angehörigen dieser „Nachrichtenstellen“ sollen mit

    gefälschten Polizeiausweisen Beschlagnahmungen durchgeführt und von Dorfbewohnern

    13 Im Gebiet Oberschlesien kam es von 1919 bis 1921 zu drei „polnischen Aufständen“. Aus Sicht der polnisch-nationalistischen Freischärler

    ging es jeweils um nationale Selbstbestimmung der Polen und die Befreiung von der Unterdrückung durch die deutsche politische und wirtschaftliche Elite. Ziel dieser Bewegung war es, Oberschlesien an die polnische Republik anzugliedern. Auslöser des ersten „Aufstands“

    war ein von der deutschen „Schwarzen Reichswehr“ durchgeführtes Massaker an streikenden Bergarbeitern, bei dem 10 polnische Arbeiter ums Leben kamen. Anlass für den zweiten „Aufstand“ waren gewaltsame Übergriffe von prodeutschen Demonstranten gegenüber polnischen Geschäften und Einrichtungen.

    14 Sauer 2010, Seite 1.

    Bild 11: Abstimmungsergebnis nach Orten in einer

    zeitgenössischen Darstellung. Blau: Mehrheit für einen

    Verbleib im deutschen Reich. Rot: Mehrheit für die

    Angliederung an Polen.

    Bild 10: Abstimmungsergebnis nach Kreisen: Orange:

    Mehrheit für einen Verbleib im Deutschen Reich,

    Gelbgrün: Mehrheit für eine Angliederung an Polen. Der

    Ort St. Annaberg liegt im Kreis „Groß Strehlitz“.

  • ••••••••••••

    15

    Geld erpresst haben. Sie führten außerdem „standrechtliche Exekutionen“ an vermeint-

    lichen polnischen Spionen durch. So etwa geschehen im Fall des Krappitzer Hoteliers Wilhelm

    Walenczyk, der als mutmaßlicher polnischer Spion verhaftet und in einem Wald hingerichtet

    wurde.15

    Hans Weber, der in den 1970er Jahren die „Kameradschaft Freikorps Oberland – Bund

    Oberland“ führen sollte, schreibt in einem Erlebnisbericht über die Einsätze des Freikorps

    Oberland in Oberschlesien:

    „In jeder Stadt, in jedem Ort, welche wir erstürmten, von den polnischen Banden säuberten

    und befreiten, war stets die erste Frage bei den Einwohnern, beim Bürgermeister, ‚wie war

    die Abstimmung?‘, wieviele deutsche und polnische Stimmen? Von dieser Auskunft war

    weitgehend unser Verhalten, unsere Sicherungsmaßnahmen bestimmt.“16

    Das Reichskommissariat stellte

    zudem eine äußerst bedrohliche

    Ansammlung rechtsradikalen

    Potentials im Freikorps Oberland

    fest, die im Falle eines Rechts-

    putsches Verwendung finden

    würden.

    Die in ihrer politischen Program-

    matik noch recht vagen Freikorps

    aus der gesamten Republik trafen

    nach den Kämpfen von 1919, dem

    „Kapp-Putsch“ 1920, der Nieder-

    schlagung des „Ruhr-Aufstands“

    1920 und den Kämpfen im Baltikum

    1919/1920 in Oberschlesien wieder

    zusammen. Die völkisch-nationalistischen Einflüsse hätten, so Bernhard Sauer, besonders im

    Fall des Freikorps Oberland als militärischer Ableger der Thule-Gesellschaft gefruchtet.17

    Einige Oberländer in führenden Positionen waren bereits vor den Ereignissen in

    Oberschlesien Mitglied der jungen bayerischen NSDAP geworden. So etwa der spätere

    Kommandeur der „SS-Leibstandarte Adolf Hitler“, Josef „Sepp“ Dietrich oder der spätere

    künstlerische Berater Heinrich Himmlers, Karl Diebitsch. Zeugnis hiervon ist beispielsweise

    auch die Verwendung des Hakenkreuzes auf einem Gedenkstein zu Ehren der „Erstürmer“

    15 Sauer 2010, Seite 20. 16 Traditionsgemeinschaft des Freikorps und Bundes Oberland 1974, Seite 55. 17 Sauer 2010, Seite 10.

    Bild 12: Bereits bei ihrem Kampfeinsatz in Oberschlesien 1921 standen

    die „Oberländer“ der NS-Bewegung nahe. Gedenkstein zu Ehren der

    „Erstürmer“ des Annaberges.

  • ••••••••••••

    16

    des Annaberges (Bild 12). Einer der wichtigsten Organisatoren des oberschlesischen

    Selbstschutzes, Heinz Oskar Hauenstein, beschrieb dessen Gesinnung:

    „Das Freikorps Oberland verbreitete als einziges die Idee des Nationalsozialismus bereits

    während des 3. polnischen Aufstandes in O[ber]S[chlesien] zu einer Zeit, als die anderen

    Freikorps nicht einmal Hitlers Namen kannten.“18

    Fasst man den Werdegang des Freikorps

    Oberland zusammen, so ist festzu-

    halten, dass es in seiner Gründungs-

    phase durch die Thule-Gesellschaft

    politisch dominiert wurde. Bei den

    Kämpfen in Oberschlesien war die Nähe

    des Freikorps zum Nationalsozialismus

    offensichtlich bereits bekannt. Das

    Freikorps Oberland trug zur Verbreitung

    des Antisemitismus und der NS-Ideologie

    unter den Freikorps in Oberschlesien

    bei.

    Nach seinem Einsatz in Oberschlesien wurde das Freikorps Oberland aufgelöst und gegen

    Ende des Jahres 1921 als Bund Oberland e.V. neu gegründet. In der Folge kam es zu diversen

    Richtungsstreitigkeiten und Abspaltungen. Der Veterinärarzt Friedrich Weber übernahm die

    Führung der übriggebliebenen Oberländer. Er verfolgte nun einen Kurs der Annäherung an

    die radikalen nationalen Kräfte im Umfeld von Ernst Röhm und Adolf Hitler. 1923 ging der

    Bund Oberland im „Deutschen Kampfbund“ ein Bündnis mit der NSDAP ein und unterstellte

    sich der Befehlsgewalt Hitlers. Die aktive Beteiligung am Hitler-Ludendorff-Putsch im

    November 1923 führte schließlich zum Verbot des Bund Oberland und zur Inhaftierung

    Friedrich Webers in der Festung Landsberg.

    Nach der Aufhebung des Verbots wurde der Bund Oberland 1925 neu gegründet. Wieder

    auftretende Richtungsstreitigkeiten führten zu weiteren Abspaltungen. Ein Teil der

    ehemaligen Oberländer schloss sich dem Nationalbolschewisten Ernst Niekisch an. Unter der

    Führung des ehemaligen Stabschefs des Freikorps Oberland beim Einsatz in Oberschlesien,

    Josef „Beppo“ Römer, suchte ein anderer Teil die Nähe zum national gesinnten Flügel der

    KPD.

    18 Zitiert nach: Institut für Zeitgeschichte München – Berlin. Aktenzeichen ZS-1134, Seite 4. Aktennotiz Heinz Förster zu einem Gespräch mit Heinz Oskar Hauenstein vom 18.07.1956 in München.

    Bild 13: Königsplatz in München, 10. Jahrestag des Hitler-

    Ludendorff-Putsches von 1923. Freikorps übergeben ihre

    Fahnen an den Stabsführer der SA, Ernst Röhm.

  • ••••••••••••

    17

    Der Bund Oberland versank spätestens ab 1930 in der politischen Bedeutungslosigkeit. Er trat

    1933 zum letzten Mal offiziell in Erscheinung. In einer feierlichen Zeremonie zum 10.

    Jahrestag des Hitler-Ludendorff-Putsches wurden die Oberland-Fahnen dem Stabsführer der

    SA, Ernst Röhm, übergeben (Bild 13).

    3 Phasen des Oberland-Gedenkens von 1921 bis heute

    3.1 Von der Grundsteinlegung 1921 bis 1945

    Enge persönliche Verbindungen des Schlierseer Bürgermeisters Hans Miederer zum Bund

    Oberland führten zur Wahl des Gedenkortes in der Marktgemeinde Schliersee. Schon im Juli

    1920, also bereits 10 Monate vor den Kämpfen in Oberschlesien, gab es die ersten Pläne für

    ein Denkmal. Beachtlich ist also, dass sich der Bund Oberland weit vor dem heute bekannten

    Gedenkanlass, dem „Sturm auf den Annaberg 1921“, schon um ein Denkmal für ihre Kämpfer

    bemühte. Die Inschrift des geplanten Denkmals sollte lauten:

    „Den 53 im Kampf für deutsche Erde anno 1920 in Oberschlesien gefallenen Oberländern zum

    andauernden Gedenken.“

    Unklar bleibt, welchen Gefallenen eigentlich gedacht werden sollte. Die Namen der Kämpfer

    und die Umstände ihres Todes oder gar das zugrundeliegende Ereignis sind nicht bekannt.

    Die Formulierung „Kampf für deutsche Erde“ verrät die Intention des Gedenkens. Den

    Akteuren ging es nicht um Totengedenken im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr um eine

    ideologische Verklärung im Geiste des Freikorps Oberland. Es sollte eine Weihestätte für

    dessen Kampf um das Deutschtum geschaffen werden.

    Unklar war zudem, wie der Gedenkort gestaltet werden sollte. Um Zeit zu gewinnen, fand

    im Herbst 1921 lediglich die Grundsteinlegung statt. Es vergingen noch zwei weitere Jahre,

    bis das nötige Geld zusammengesammelt und die Pläne zur Errichtung von den Behörden

    genehmigt wurden. In dieser Zeit tauchten weitere Gestaltungsvorschläge auf, die wiederum

    verworfen wurden. Zur Ausführung kam der ursprünglich von Willy Maurer skizzierte Entwurf

    von 1920. Die damals geplante Inschrift wurde leicht modifiziert und mit dem Zusatz „Sie

    werden wieder auferstehen“ ergänzt.

    Zur Einweihung im September 1923 waren Oberland-Kämpfer, Angehörige rechtsextremer

    Organisationen wie dem Stahlhelm sowie Einheiten der SA angetreten. Hans Miederer sorgte

    dafür, dass Schliersee festlich geschmückt und die Gäste freundlich empfangen wurden.

    Unter anderem nahmen Erich Ludendorff, Hermann Göring und Bund Oberland-Führer

    Friedrich Weber die Paraden ab. Nur wenige Wochen nach der Einweihung des Oberland-

    Denkmals marschierte der Bund Oberland am 8. und 9. November 1923 an der Seite der

    Putschisten Hitler und Ludendorff zur Feldherrnhalle.

  • ••••••••••••

    18

    Zu den Jahrestagen der Kampfhandlungen am

    oberschlesischen Annaberg trafen sich in den

    Folgejahren Oberland-Kämpfer, national

    gesinnte Kameraden sowie Abordnungen von

    SA und SS. Auch Adolf Hitler selbst stattete

    dem Oberland-Denkmal 1927 einen Besuch ab.

    Wie das Bild 14 zeigt, wurde die

    Gedenktradition auch zusammen mit

    Abordnungen der allgemeinen SS fortgeführt.

    Der Freikorps-Oberland-Mythos wurde 1933

    bis Kriegsende 1945 gepflegt und in nationalsozialistischem Sinne überhöht: Die

    „Oberländer“ und die NS-Bewegung konnten schließlich auf gemeinsame völkisch-

    nationalistische Wurzeln zurückblicken.

    Nach Friedrich Webers Interpretation wurden die Oberland-Kameraden zu Blutzeugen der

    nationalsozialistischen Bewegung. Er fasste in einem 1936 herausgegebenen Schliersee-

    Reiseführer die Rolle des Freikorps Oberland beim Aufstieg der NSDAP wie folgt zusammen:

    „Zum Gedenken an seine 52 im Frühjahr 1921 bei den Abwehrkämpfen in Oberschlesien

    gefallenen Kameraden hat Oberland in den schwersten Monaten des Jahres 1923 diesen

    Gedenkstein auf dem Weinberg in Schliersee errichtet. Der Opfertod dieser und seiner

    anderen Toten in München, an der Ruhr und in der Pfalz hat seine Erfüllung im

    Nationalsozialismus durch die Schaffung des Dritten Reiches gefunden.“19

    Die enge Verbindung zur NS-Bewegung sorgte wohl auch dafür, dass das 1923 errichtete

    Denkmal nach Kriegsende 1945 entfernt wurde. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war die

    Rede davon, dass „die Polen“ mit ihren deutschen „Helfershelfern“ das Denkmal zerstört

    hätten. Behauptet wurde auch, die Amerikaner hätten den Steinquader „gesprengt“. Es

    kursierten später Aussagen SPD-naher Zeitzeugen, die gesagt haben sollen: „Das waren wir

    schon selber!“. Die genauen Umstände der Entfernung und Zerstörung des Denkmals konnten

    in den Archiven nicht ermittelt werden. Klar ist, dass das Denkmal bereits wenige Wochen

    nach Kriegsende nicht mehr existierte.

    3.2 Neuerrichtung gegen Widerstände und Einweihung – 1951 bis 1956

    Ab etwa 1951 wurde die Errichtung eines neuen Denkmals am Schlierseer Weinberg von

    national gesinnten betrieben. Gemeinderat und Bürgermeister sperrten sich gegen ein

    Oberland-Gedenken am Ursprungsort des Denkmals am Weinberg um „politische Tendenzen“

    19 Müllner 1936, Seite 19. Die Auflistung der Regionen nimmt Bezug auf folgende Ereignisse: Niederschlagung der Räteregierung in

    München 1919, Niederschlagung des sogenannten Ruhraufstandes im Frühjahr 1920 sowie die Bekämpfung separatistischer Bestrebungen in der Pfalz 1923/1924.

    Bild 14: Allgemeine SS bei der Gedenkfeier 1935

  • ••••••••••••

    19

    zu vermeiden. In Einigkeit mit alten Oberland-Kämpfern setzte sich die Kirchengemeinde

    über diese Bedenken hinweg und ermöglichte die Anbringung einer neuen Gedenktafel an

    der Südmauer der St. Georgs Kapelle.

    Als wichtigste treibende, scheinbar überparteiliche, Kraft in der Auseinandersetzung um die

    Wiedererrichtung trat der Redakteur des Miesbacher Merkur, August Bierling in Erscheinung.

    Er bemühte sich im Landkreis Miesbach um Unterstützung des Gedenkprojekts. Mit Bierling

    habe man allerdings, so Dr. Thomas Schlemmer vom Institut für Zeitgeschichte, „den Bock

    zum Gärtner gemacht“20. Bierling war NS-Funktionär und in den Jahren 1932/33 Kreisleiter der

    NSDAP in Bad Aibling. Somit kann er keineswegs als un- oder überparteilich angesehen

    werden.

    Am Pfingstmontag, den 21. Mai 1956 fand die Einweihung des neuen Denkmals am Schlierseer

    Weinberg statt. Die Gedenktafel wurde, wie es in der Regionalzeitung „Neuer Miesbacher“

    vom 22. Mai 1956 heißt, der Pfarrgemeinde St. Sixtus „in treue Obhut“ übergeben. Die Inschrift

    lautet nun:

    „Freikorps Oberland. Dem Gedenken seiner 52 im Freiheitskampf um Oberschlesien anno

    1921 gefallenen Kameraden. Sie werden wieder auferstehen.“

    Zu der Veranstaltung hatte Ernst Horadam, ehemaliger Führer des Freikorps Oberland,

    eingeladen. Die Festfolge sah zum Auftakt eine Feldmesse vor. Die beiden offiziellen

    Ansprachen hielten Viktor Tschauder, Vorsitzender der bayerischen Landsmannschaft der

    Oberschlesier sowie Karl Diebitsch. Letzterer

    hatte auch den Auftrag für die Gestaltung der

    Gedenktafel erhalten. Mit dabei waren, laut

    Miesbacher Merkur, Angehörige des ehemaligen

    Freikorps Oberland, „die da zum Teil aus weitem

    Umkreis zusammenkamen“. Ebenso anwesend

    waren Oberschlesier, die „zahlreich an der Feier

    teil[nahmen]“.

    Auf Bild 15 ist zu sehen, wie die Gedenktafel

    wieder als Weihestätte inszeniert wird. Pfarrer Wiedholz hielt von nun an bis in die 1990er

    Jahre den Feldgottesdienst ab. Der Grund für sein offensichtlich starkes Engagement ist

    sicherlich in Wiedholz’ familiärer Geschichte zu suchen. Sein um fünf Jahre älterer Bruder,

    Ludwig Wiedholz, war 1921 bei den Kämpfen in Oberschlesien als 16-Jähriger dabei. Zum

    Zeitpunkt der Rückkehr seines älteren Bruders aus Oberschlesien war Josef Wiedholz erst 11

    Jahre alt.

    20 Zitat Dr. Thomas Schlemmer: aus Miesbacher Merkur vom 20. Juli 2018

    Bild 15: Einweihung des Denkmals am 21. Mai 1956

    durch Pfarrer Josef Wiedholz.

  • ••••••••••••

    20

    Um der Frage näher zu kommen, welche Intention die Träger des Oberland-Gedenkens

    verfolgten, lohnt sich ein Blick auf die Lebensläufe der bei der Einweihung wichtigen Akteure

    aus dem Kreis der Oberländer:

    Ernst Horadam führte bereits bei der gewaltsamen Niederschlagung der Münchner

    Räterepublik das Freikorps Oberland an. Ebenso wie 1919 in München war er als Kommandeur

    an den Aktionen in Oberschlesien 1921 beteiligt. Horadam war es auch, der im Herbst 1921

    mit dem Schlierseer Bürgermeister Miederer die Grundsteinlegung des ersten Denkmals

    vornahm. Zur Einweihung desselben nahm er 1923 zusammen mit Hermann Göring, Erich

    Ludendorff und Friedrich Weber die Parade von Freikorps- und SA-Einheiten ab. Horadam

    beteiligte sich am Aufbau des Bund Oberland als Nachfolgeorganisation des Freikorps

    Oberland. 1921 wurde er in dessen Bundesleitung gewählt und 1922 stellvertretender

    Geschäftsleiter. Der Bund Oberland war in dieser Phase enger Verbündeter und Unterstützer

    der noch jungen nationalsozialistischen Bewegung in Bayern. Horadam hatte in den späten

    1920er Jahren auch bei dem als republik- und demokratiefeindlich anzusehenden „Stahlhelm

    – Bund der Frontsoldaten“ eine führende Position inne. In der Zeit des NS-Regimes war er

    Obersturmbannführer der SA und später Stabsführer der SA-Brigade Unterfranken.

    Karl Diebitsch war ebenso wenig wie August Bierling und Ernst Horadam ein unbeschriebenes

    Blatt. Er trat bereits 1920 in die NSDAP ein und war 1921 Kompanieführer des „Sturmzug

    Tirol“ bei den Kämpfen in Oberschlesien. Durch seine heroisierenden zeichnerischen

    Darstellungen des Soldatentums beim „Sturm auf den Annaberg“ trug er zur Ausgestaltung

    des Oberland-Mythos bei. Diebitsch war während der Zeit des Nationalsozialismus eine

    erstaunlich steile Karriere vergönnt. Er trat 1933 in die SS ein, stieg zum engen

    künstlerischen Berater Heinrich Himmlers auf, leitete die Porzellanmanufaktur Allach, einem

    Außenlager des KZ Dachau, durchlief weitere Karrierestufen und war zuletzt SS-Oberführer

    der allgemeinen SS.

    Als ehemalige Führungsfiguren des Freikorps Oberland und des Bund Oberland waren Ernst

    Horadam und Karl Diebitsch die antidemokratischen Ziele, die völkisch-antisemitische

    Agitation sowie die brutale militärische Praxis des Freikorps bei seinen Einsätzen bestens

    bekannt.

    Das Gedenken am Schliersee in den 1950er Jahren ist von den ideologisch gefestigten

    Ansichten der Oberland-Akteure dieser Zeit nicht zu trennen. Zum 25. Jahrestag des „Sturms

    auf den Annaberg“ wird dem von der Täter-Generation überlieferten verklärenden Erzählung

    gefolgt. Der „Neue Miesbacher“ wärmt diesen Oberland-Mythos im Mai 1956 neu auf:

    „…durch das heiße Gefecht am Annaberg [wurde] das freie Selbstbestimmungsrecht in dem

    von polnischen irregulären Banden überfallene Oberschlesien wiederhergestellt.“

  • ••••••••••••

    21

    3.3 Etablierung im Schlierseer Festkalender – 1960er Jahre

    Um das Oberland-Gedenken auf Dauer wieder etablieren zu können, wurde es nötig, neue,

    positive Bezüge herzustellen. In den 1960er Jahren wurde ein Teil des altbekannten

    Oberland-Mythos in scheinbar unpolitischer Weise mit neuen Themen verbunden und

    reaktiviert. Wichtigstes Element war der Bezug zur oberschlesischen Heimat und der dort

    geflohenen oder vertriebenen Bevölkerung.

    Die alten Kameraden der Oberländer

    suchten neue Unterstützer und die aus

    Oberschlesien Geflüchteten oder Ver-

    triebenen suchten Anschluss an die

    Bevölkerung ihrer neuen Heimat. Diese

    Verbindung der Freikorps- und Bund

    Oberland-Kameraden zu Vertriebenen-

    verbänden konnte genutzt werden, um sich

    selbst als „Kameradschaft“ und das

    Oberland-Gedenken wieder zu etablieren.

    Auch ideologisch standen sich die beiden

    Lager nahe. Das Thema „Erinnerung an, Verteidigung und Rückgewinnung der

    oberschlesischen Heimat“ konnte von allen ohne Vorbehalte vertreten werden. In der Charta

    der Heimatvertriebenen des Bundes der Vertriebenen (BdV) wird die Forderung erhoben:

    „Wiedervereinigung aller Teile Deutschlands in Freiheit und Frieden (…), für die Erhaltung des

    Volkstums der Deutschen unter fremder Herrschaft.“21

    Die Anerkennung der bestehenden Grenzen in Europa wurde vom BdV entschieden abgelehnt.

    Die revisionistische Programmatik des BdV, dem auch die Landsmannschaft der Oberschlesier

    angehörte, war bei den alten Freikorps-Kameraden sowie den Vertretern des neo-

    faschistischen Lagers von Deutscher Volksunion (DVU) und Nationaldemokratischer Partei

    (NPD) anschlussfähig. Ein Zeitungsausschnitt aus dem DVU-Blatt National-Zeitung gibt einen

    Eindruck von der revisionistischen Haltung dieser Zeit (Bild 16).

    Um die Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft nicht zu verspielen, wurde zumindest in

    öffentlichen Bekundungen ein allgemeinerer Ton angeschlagen. In Meldungen der regionalen

    Presse aus den 1960er Jahren finden sich, im Gegensatz zur Einweihung 1956, versöhnliche

    Töne. Zwar wurde der Anspruch auf die verlorenen Gebiete nicht aufgegeben, der Kampf um

    die Heimat aber dürfe

    21 Mecklenburg 1996, Seite 348.

    Bild 16: Zeitungsausschnitt aus der Schlesischen

    Landesausgabe der Deutschen National-Zeitung aus dem

    Jahr 1971. Die National-Zeitung war die Wochenzeitung des

    DVU Gründers Gerhard Frey.

  • ••••••••••••

    22

    „nicht mehr mit der blanken Waffe aus Eisen, sondern nur mit den friedlichen Mitteln der

    Diplomatie und dem überzeugenden Argument des Rechtes geführt werden“.22

    Die Bildunterschrift im dazugehörenden Artikel des Miesbacher Anzeiger vom 26. Mai 1966

    lautete: „Gebet um Frieden und Brüderlichkeit in blühender Wiese.“

    Dies passte auch gut zum herrschenden Zeitgeist. Weithin akzeptiert war ein Gedenken an

    gefallene Soldaten und Kämpfer für die nationale Sache. Im konservativen Milieu wurde auch

    in dieser Zeitspanne über die NS-Vergangenheit im Allgemeinen sowie die der anwesenden

    Akteure im Besonderen, großzügig hinweggesehen.

    Die Teilnahme von Persönlichkeiten sowie Abordnungen von Vereinen des Ortes, wie etwa

    dem Bürgermeister Ludwig Bachhofer, dem 2. Bürgermeister Lorenz Leitner oder der

    historischen Gebirgsschützen-Kompanie zeugen davon, dass das Oberland-Gedenken in den

    Schlierseer Festkalender Einzug fand.

    Gleichwohl zeigen die überlieferten

    Teilnehmerzahlen, dass die Veranstaltung

    mehr von „Auswärtigen“ als von

    „Einheimischen“ Schlierseern getragen

    wurde. Der Merkur beziffert die Zahl der

    Teilnehmer für das Jahr 1966 auf

    insgesamt 300 Personen, davon etwa 250

    Oberschlesier und zwei Dutzend aus der

    „Kameradschaft Freikorps Oberland –

    Bund Oberland“. Es bleiben also maximal

    25 Personen aus Schliersee.

    Die zweifelhafte Rolle des Freikorps Oberland in München 1919, Oberschlesien 1921 und beim

    Aufstieg des Nationalsozialismus wurde verschwiegen. Eine kritische Auseinandersetzung

    oder gar Distanzierung vom völkischen Rassismus oder dem der Nation untergeordneten

    Opferkult, fand offensichtlich nicht statt. Die scheinbar gelungene Integration des

    Gedenkens in die Schlierseer Gesellschaft darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die

    Führungsriege der „Kameradschaft“ in den 1950er und 1960er Jahren aus frühen NSDAP-

    Mitgliedern und bereits in der Frühphase der Weimarer Republik aktiven Rechtsextremisten

    zusammensetzte.

    22 Miesbacher Anzeiger vom 26. Mai 1966

    Bild 17: Oberland-Gedenkfeier Ende der 1960er Jahre.

  • ••••••••••••

    23

    Max Grünwald etwa, Kameradschaftsführer von 1957-1964, war Teilnehmer am Hitler-

    Ludendorff-Putsch und Träger des „Blutorden“23. Von 1922 bis 1932, also auch in der Phase

    der engen Kooperation mit der NSDAP, war er Mitglied im Bund Oberland. Von 1932 bis

    Kriegsende war er Mitglied der allgemeinen SS. In den Unterlagen seines Spruchkammer-

    verfahrens24 vom Mai 1948 heißt es:

    „Der Betroffene hat aber durch seine langjährige und freiwillige Mitgliedschaft in der NSDAP

    und der Allg.SS, sowie durch seine Teilnahme – wenn auch unbewusst – am Hitlerputsch 1923

    wesentlich mitdazubeigetragen [sic!], die nat.soz. Bewegung zu fördern und zu

    unterstützen.“25

    Er wurde in diesem Spruchkammerverfahren in die Gruppe III der Minderbelasteten

    eingestuft. Im Nachverfahren des Jahres 1949 wurde er in die Gruppe IV – Mitläufer

    eingereiht.

    Heinrich Hauck, der Max Grünwald im Amt des Kameradschaftsführers 1964-1968 folgte,

    wurde bereits 1920 NSDAP-Mitglied, trat aber 1923 wieder aus. 1933 wurde er erneut Mitglied

    der NSDAP. Von diesem Jahr an bis Kriegsende war er, wie viele seiner ehemaligen Oberland-

    Kameraden, Angehöriger der Allgemeinen SS.26

    Wilhelm Runck, Mitglied des Kameradschaftsrates in den 1970er Jahren, war von 1929 bis

    1945 Mitglied der NSDAP und ebenso von 1933 bis 1945 Mitglied der allgemeinen SS. In den

    Unterlagen seines Spruchkammerverfahrens ist zu lesen:

    „[Es] konnte festgestellt werden, daß derselbe [Wilhelm Runck] bereits 1924 in der damaligen

    Oberland-Uniform verhaftet worden ist und unter dieser Uniform das Hakenkreuz und einen

    Revolver trug. Er wurde auch bei einem damaligen Umzug der Nationalsozialisten in der

    Ludwigstraße verhaftet. (…) Aus der Einsichtnahme [in Polizeiprotokolle] geht hervor, daß

    sich Runck bereits seit 1924 für den Nationalsozialismus interessierte und in seiner Ansicht

    ein Fanatiker gewesen ist.“27

    Bei einer Hausdurchsuchung in seiner Wohnung, ebenso im Jahr 1924, wurden Waffen mit

    ausreichend Munition sowie weitere Militaria gefunden und beschlagnahmt.

    Das Oberland-Gedenken wurde in diesen Jahren also von Rechtsradikalen aus der Weimarer

    Zeit und Anhängern der frühen nationalsozialistischen Bewegung getragen, die auch ab 1933

    Funktionen im NS-Apparat übernahmen.

    23 Der Blutorden wurde Teilnehmern des Hitler-Ludendorff-Putsches vom 9. November 1923 verliehen und war eine der bedeutendsten

    Auszeichnungen der NSDAP. 24 Die Verfahren hatten die „Entnazifizierung“ der deutschen Nachkriegsgesellschaft zum Ziel. Rechtsgrundlage für die durchgeführten

    Spruchkammerverfahren waren die Beschlüsse der Alliierten bei der Potsdamer Konferenz. Die Spruchkammern stellten fest, ob der

    Betroffene Hauptschuldiger (Gruppe 1), Belasteter (Gruppe 2), Minderbelasteter (Gruppe 3), Mitläufer (Gruppe 4) oder Entlasteter (Gruppe 5) ist.

    25 Staatsarchiv München. Spruchkammerakte Max Grünwald, geboren 05.08.1900. Karton Nr. 573. Spruchkammer München VII.

    Aktenzeichen VII-9179 vom 10.05.1948. 26 Staatsarchiv München. Spruchkammerakte Heinrich Hauck, geboren 14.02.1900. Karton Nr. 639. Spruchkammer München VI 24.11.1948. 27 Staatsarchiv München. Spruchkammerakte Wilhelm Runck, geboren 30.10.1904. Karton Nr. 1476. Spruchkammer München XI,

    Ermittlungsakten vom 22.07.1948.

  • ••••••••••••

    24

    3.4 Ehre und Treue – 1968 bis 1990

    Ungeachtet dieser Vorbelastung der Organisatoren des Gedenkens scheint die Etablierung im

    Schlierseer Festkalender auch Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre nach wie vor

    geglückt. Allerdings ändert sich der Tonfall in der Berichterstattung ab dem Ende der 1960er

    Jahre deutlich. Der Kern des Oberland-Mythos, also die einseitige Betonung des heldenhaften

    Kampfes der Oberländer, rückt wieder in den Vordergrund:

    „Sonne von Annaberg scheint auf weiße Häupter“ titelt der Miesbacher Anzeiger im Jahr 1968

    und weiter heißt es: „In dem heißen Gefecht am St. Annaberg schlugen sie die Korfanty-Leute in die

    Flucht.“28

    Möglicherweise trugen die persönlichen Verbindungen aus der „Kampfzeit“, etwa beim

    Hitler-Ludendorff-Putsch oder bei den früheren Aktionen des Bund Oberland dazu bei, dass

    der Oberland-Mythos wieder stärker gepflegt wurden. Denn in den Jahren 1968 bis 1990

    prägen zwei alte Oberland-Kämpfer mit eindeutig rechtsextremer Gesinnung den Charakter

    der „Kameradschaft“. Ihr Lebensweg war, wie der von vielen anderen Oberland-Kameraden,

    eng mit dem Erstarken der rechtsextremen Bewegung der 1920er Jahre und dem Aufstieg

    des Nationalsozialismus verknüpft:

    Hans Weber, Kameradschaftsführer von 1968 bis 1979, kämpfte 1921 in Oberschlesien, war

    Teilnehmer am Hitler-Ludendorff-Putsch und trat 1926 in die NSDAP ein. Zwischenzeitlich

    war er Pförtner in der Empfangshalle des

    Braunen Hauses, der NSDAP-Parteizentrale in

    München. Er betätigte sich nach dem Krieg als

    Archivar der „Kameradschaft“ und half bei der

    Erstausgabe der „Bildchronik zur Geschichte

    des Freikorps und Bund Oberland“29.

    Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wurde

    Hans Weber von den Alliierten interniert.

    Welche Gesinnung er selbst kurz nach seiner

    Entlassung hatte, zeigt ein Blick in die Akten

    seines Spruchkammerverfahrens. Er wurde

    zunächst in die „Gruppe 3 – Minderbelasteter“

    eingestuft. Beachtlich ist, dass er 1949 in einem Revisionsverfahren in die „Gruppe 2 –

    Belasteter (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer)“ hochgestuft wurde. Üblicherweise endeten

    28 Miesbacher Anzeiger vom 21. Mai 1968. 29 In dem Band werden die „Kämpfer für die nationale Sache“ geehrt und die Verbindungen der Oberländer zur NS-Bewegung unreflektiert

    und mit einem durchaus stolzen Unterton dargestellt. Dem Oberland-Mythos der extremen Rechten der Weimarer- und NS-Zeit wird in dieser Publikation ungebrochen gefolgt.

    Bild 18: Publikation einer rechtsextremen

    Splittergruppe, die den Kameradschaftsführer Hans

    Weber verehrt und dem Oberland-Mythos der

    neofaschistischen Szene folgt.

  • ••••••••••••

    25

    Revisionsverfahren dieser Zeit in einer Herabstufung in die Gruppe der Mitläufer. Im

    Protokoll des Verfahrens heißt es:

    „Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht fest, dass der Betroffene im Jahre

    1948 seinen jüdischen Mitbürgern gegenüber eine äußerst gehässige Haltung eingenommen

    hat. Er betonte u.a., dass er nach wie vor gegen das Judentum kämpfe. Er bezeichnete es als

    untragbar, dass Juden unter Deutschen wohnen und vertrat die Ansicht, dass Hitler nicht

    genügend Juden umgebracht hätte.“30

    Fridolin von Spaun, Kameradschaftsführer

    von 1979 bis 1990, war Oberschlesien-

    Kämpfer des Freikorps Oberland, lernte in

    den 1920er Jahren Adolf Hitler kennen,

    war seither dessen Verehrer und schloss

    sich der NS-Bewegung vorbehaltlos an. In

    der Nachkriegszeit war er Funktionär der

    als rechtsextremistisch einzustufenden

    „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit

    der Angehörigen der ehemaligen Waffen-

    SS“ (HIAG). Die HIAG ehrte Spaun etwa

    anlässlich seines Geburtstages in ihrer Zeitschrift „Der Freiwillige“. Auf einem dort

    abgedruckten Bild wird die enge Verbindung der HIAG zur Kameradschaft deutlich: Es ist zu

    sehen, wie die Oberland-Kameraden Glückwünsche anlässlich seines Geburtstages

    überbringen (Bild 19).

    In der Führung der „Kameradschaft“ treten also völkisch-antisemitisch gesinnte ehemalige

    Nationalsozialisten stärker in den Vordergrund und befeuern die Erzählung vom Oberland-

    Mythos. Sie halten die Ehre der Kameraden aus der Kampfzeit der Bewegung hoch und

    bekunden die Treue zu Vertretern der NS-Bewegung und Wegbegleitern während der Zeit

    des „Dritten Reiches“.

    Für was die Inschrift der Gedenktafel aus Sicht dieser Kameraden der Kampfzeit stehen soll,

    macht das Geleitwort des Herausgebers der oben erwähnten „Bildchronik“ von 1974

    deutlich:

    „Unsere Generation darf hoffen, daß sich die Worte auf der Gedenktafel für die Gefallenen

    in Schliersee auch hinsichtlich des Oberland-Geistes erfüllen werde: ´Sie werden

    auferstehen´.“31

    30 Staatsarchiv München. Spruchkammerakte Hans Weber, geboren 16.4.1901. Karton Nr. 1912. Aktenzeichen H/IV/1034/49 v. 19.5.1949. 31 Traditionsgemeinschaft des Freikorps und Bundes Oberland 1974, Seite 6.

    Bild 19: Links: Fridolin von Spaun (Kameradschaftsführer

    1978-1990), Mitte: Jürgen Popp (Kameradschaftsführer

    2001-2017), zweiter von rechts: Rudolf Hüfner

    (Kameradschaftsführer 1990-2001).

  • ••••••••••••

    26

    Es geht aus Sicht der Initiatoren und Träger des Oberland-Gedenkens keineswegs um ein

    Totengedenken in herkömmlichem Sinne. Die Hoffnung und die Sehnsucht nach einer

    Rückkehr der alten reaktionär-nationalistischen Werte nährt ganz offensichtlich das

    Engagement der Oberland-Kameraden dieser Zeit. Der Geist dieses Gedenkens kommt

    selbstredend ohne Distanzierung gegenüber der Gedenktradition während der Zeit des

    Nationalsozialismus aus.

    Einen Eindruck vom Charakter der Veranstaltungen der 1970er und 1980er Jahre vermittelt

    ein Blick in die Tageszeitung „Passauer Neue Presse“ vom 3. Juni 1981:

    „Bei der weltlichen Feier (…) wurden die Namen der im letzten Jahr verstorbenen

    Freiheitskämpfer von ‚Oberland‘ verlesen. Besonders wurde der verdienten Schwester Pia

    gedacht, die kurz vor dem Treffen starb (…) mit dem Deutschlandlied schloss die Feier.“

    Doch so besonders verdient, im Sinne einer demokratischen Gesellschaft, war Eleonore Baur,

    alias „Schwester Pia“, nicht. Die glühende Verehrerin Adolf Hitlers unterstützte den „Kampf

    um das Deutschtum“ bei den Einsätzen des Freikorps Oberland in München und

    Oberschlesien, später mit dem Bund Oberland. Als erster Frau wurde ihr der im

    Nationalsozialismus höchst angesehene

    „Blutorden“ für ihre Teilnahme am Hitler-

    Ludendorff-Putsch 1923 verliehen. Auf

    eigenen Wunsch wurde sie zur SS-Ober-

    führerin ernannt und erhielt privilegierten

    und uneingeschränkten Zugang zum Gelände

    des KZ Dachau. Auch aufgrund ihrer dortigen

    Tätigkeit wurde sie 1949, unter anderem

    wegen der Beteiligung an Unterkühlungs-

    versuchen von Häftlingen, zu 10 Jahren

    Internierung verurteilt. Bis zu ihrem Tod blieb

    sie überzeugte Nationalsozialistin. Die

    „Kameradschaft“, die zu diesem Zeitpunkt von Fridolin von Spaun geführt wurde, ließ in der

    Traueranzeige den Wahlspruch der SS abdrucken: „Ihre Ehre hieß Treue – Ihr Leben galt

    Deutschland!“32.

    Hans Weber hielt bei der Beisetzung im Mai 1981 die Trauerrede. Auch hier war Prominenz

    aus der rechtsextremen Szene zugegen. Vertreter der „Hilfsgemeinschaft der Angehörigen

    der ehemaligen Waffen-SS“ (HIAG), Flugkapitän Baur, bekannt als „Hitlers Chefpilot“ sowie

    Gudrun Burwitz, die Tochter Heinrich Himmlers und Ikone der rechtsextremen Szene, gaben

    ihr die letzte Ehre (Bild 20). Zum Ausdruck kommt auch hier die enge Verbundenheit der

    32 Weber 1982, Seite 458.

    Bild 20: Beisetzung Eleonore Baur alias „Schwester Pia“

    Mitte Mai 1981 in München. Vorne: Hans Weber, mit

    Sonnenbrille: Hitler-Pilot Hans Baur, am rechten

    Bildrand: Gudrun Burwitz.

  • ••••••••••••

    27

    Oberländer mit einem Netzwerk aus gläubigen Nationalsozialisten sowie Leugnern und

    Relativierern von NS-Verbrechen.

    Das Oberland-Gedenken und seine Vertreter fanden in dieser Zeitspanne beachtlichen

    Widerhall in der rechtsextremen Szene von Alt- und Neofaschisten wie NPD, DVU,

    Burschenschaften, Kameradschaften und rechtsextremen Splittergruppen, wie auch in

    Bild_18 zu sehen ist. Die national gesinnte Presse berichtete regelmäßig über die

    „Feierstunde des Freikorps Oberland“, wie etwa im „Nationalanzeiger - Deutsche Wochen-

    Zeitung“ vom 12. Juni 1981 und pflegte in bekannter Manier den verklärenden Oberland-

    Mythos.

    3.5 Gärung und Klärung – 1990 bis 2010

    Die letzten an den Auseinander-

    setzungen in München 1919 und

    Oberschlesien 1921 beteiligten

    Mitglieder der „Kameradschaft“

    waren bereits verstorben oder

    traten in den Hintergrund. Es

    begann eine Phase der Gärung und

    Klärung innerhalb des Kreises der

    Träger des Gedenkens sowie im

    Verhältnis zur Öffentlichkeit. Als

    Pfarrer Wiedholz, der bis 1997 die

    Feldmesse am Weinberg hielt,

    verstarb, ging ein wichtiger Anker

    für das Oberland-Gedenken in der Schlierseer Marktgemeinde verloren.

    Rudolf Hüfner, der ebenso als HIAG-Funktionär agierte, leitete die „Kameradschaft“ von

    1990 bis zum Jahr 2001. In enger Verbindung mit Gertrud Müller, der Vorsitzenden der

    Landsmannschaft der Oberschlesier München, prägte er das Oberland-Gedenken dieser

    Jahre. Das Bild 21 aus der HIAG-Publikation „Der Freiwillige“ vom August 2001 gibt einen

    Eindruck davon, wie die Verbindungen im rechtsextremen Lager ungebrochen weitergeführt

    werden. Zu sehen ist, wie die Fahnen der Oberschlesier und der Oberländer die Gedenktafel

    einrahmen.

    Beachtlich ist, dass die Gedenkfeier im Miesbacher Merkur bereits 1995 der rechten Szene

    zugeordnet wird und die Polizei betont, dass es zu keinen Straftaten oder Störungen kam.

    Durch das offene Auftreten offensichtlich rechtsgerichteter Extremisten, wurde später auch

    die überregionale Öffentlichkeit auf die Veranstaltung aufmerksam. In ihrem Buch „Stille

    Hilfe für braune Kameraden“ aus dem Jahr 2001 schreiben die Autoren Schröm und Röpke:

    Bild 21: „Der Freiwillige“ vom August 2001. In der Mitte Gertrud

    Müller, Vorsitzende der Landsmannschaft der Oberschlesier

    Kreisgruppe München, rechts daneben Rudolf Hüfner, Oberland-

    Kameradschaftsführer.

  • ••••••••••••

    28

    „Die alljährlichen Gedenkfeiern der Kameradschaft und Bund Oberland waren immer etwas

    Besonderes, so auch 1999. Hier trafen sich die Spitzen der braunen Gesellschaft, über das

    Treffen wurde in allen wichtigen rechten Blättern berichtet.“33

    Die Süddeutsche Zeitung titelte am 8. Dezember 2000:

    „Als ‚Patrioten‘ pflegen sie stolz den unseligen Geist. Bei den Kameraden vom ‚Freikorps und

    Bund Oberland‘ sind auch Skinheads aus den neuen Ländern gern gesehene Gäste.“

    Seit den 1990er Jahren nahmen auch Abordnungen rechtsgerichteter Burschenschaften, wie

    die Münchner Burschenschaft Danubia, an den Oberland-Gedenkfeiern teil. Die Danubia wird

    dem „radikal-völkischen“ Flügel der burschenschaftlichen Gemeinschaft zugeordnet und

    vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet. Sie war immer wieder in rechtsextreme

    Übergriffe verwickelt.

    Einigen Schlierseern, so auch dem neuen Gemeindepfarrer Alfred Gigglberger, war die

    Veranstaltung nicht mehr ganz geheuer. Gigglberger nahm für die „Kameradschaft“

    unerkannt und lediglich noch als stiller Beobachter teil. Der Feldgottesdienst wurde nun von

    einem Geistlichen abgehalten, den die Landsmannschaft der Oberschlesier engagierte. Die

    Feierlichkeiten liefen zu dieser Zeit, wie in den Jahren davor, in stark ritualisierter Form ab

    und folgten dem eingespielten Ablauf:

    ‣ Feldgottesdienst am Weinberg

    ‣ Verlesen der Namen verstorbener Kameraden

    ‣ Niederlegung von Kränzen, kurze Ansprachen auch rechtsextremer Gruppierungen

    ‣ Oberschlesier-Lied

    ‣ Gemeinsames Essen in einer Schlierseer Gastwirtschaft

    ‣ Fahneneinmarsch mit musikalischer Begleitung

    ‣ Festvortrag

    ‣ Singen des Deutschlandliedes, auch der ersten Strophe34

    Mit dabei waren stets die an die Farben des Kaiserreichs erinnernde schwarz-weiß-rote

    Oberland-Fahne sowie die Reichskriegsflagge, die in der rechtsextremen Szene als

    Ersatzsymbol für verbotene NS-Symbole verwendet wird. Wie Beteiligte berichten, wurde

    am Biertisch im weiteren, inoffiziellen Verlauf der Veranstaltung die Gelegenheit genutzt,

    sich in den einflussreichen Zirkeln der rechten Szene kameradschaftlich auszutauschen. Mit

    geschichtsrevisionistischen Positionen sowie den Themen „Asylantenflut“ oder „Über-

    fremdung der deutschen Gesellschaft“ gab es genügend verbindenden völkisch-

    nationalistischen Gesprächsstoff.35

    33 Schröm, Oliver/Röpke, Andrea 2006, Seite 181. 34 Das Singen der ersten Strophe (Deutschland, Deutschland über alles“) in der Öffentlichkeit gilt als Ausdruck nationalistischer Gesinnung. 35 Auskunft von Teilnehmern der Veranstaltungen gegenüber dem Autor.

  • ••••••••••••

    29

    Das Machtzentrum der Kameradschaftsszene im Hinterzimmer des Oberland-Gedenkens

    bekam schon ab den 1980er Jahren eine neue Identifikationsfigur. Gudrun Burwitz löste die

    bis zu ihrem Tod umschwärmte Eleonore Baur als „Grande Dame“ der Treffen ab. Die Tochter

    Heinrich Himmlers hatte sich zur Aufgabe gemacht, ihren Vater, den Organisator des

    Holocaust, zu rehabilitieren und war in den 1990er Jahren unangefochtener „Star der

    rechten Szene“. Sie kümmerte sich im Rahmen der Organisation „Stille Hilfe“ um die

    Unterstützung von NS-Verbrechern.

    Auch in der Schlierseer Gesellschaft gärte es unter der Oberfläche. Jedoch erst mit der

    Berichterstattung in der Presse wurde Kritik aus der Bevölkerung laut. Das Mitte der 2000er

    Jahre gegründete „Bündnis gegen rechtsextreme Umtriebe im Oberland“ aus

    Gewerkschaften, SPD, Die Linke, Grüne Jugend sowie der Infogruppe Rosenheim versuchte

    über die Hintergründe und Zusammenhänge des Oberland-Gedenkens aufzuklären. Es wurden

    Informationsabende durchgeführt, zu der die Schlierseer Bürger eingeladen waren.

    Einigen Staub wirbelte eine Protest-Demonstration im Mai 2007 auf. Der Bayerische Rundfunk

    berichtete in zwei Sendungen der „Abendschau“ darüber, während das Nachrichtenmagazin

    „Der Spiegel“ einen Artikel samt Interview mit Pfarrer Alfred Gigglberger abdruckte. Teile

    des Gemeinderates sowie auch der Schlierseer Bürgermeister sahen den Ruf der

    Tourismusgemeinde gefährdet und gingen auf Distanz zum offen rechtsextremen Umfeld des

    Gedenkens.

    Die „Kameradschaft“ sagte aus Sorge vor

    Konfrontation mit den Demonstrierenden

    kurzerhand die Gedenkveranstaltung am

    Weinberg ab. Auf diese Weise unter Druck

    geraten, gärte es nun auch hinter den

    Kulissen der „Kameradschaft“ und deren

    Unterstützer. Das Verhältnis zur Schlierseer

    Öffentlichkeit wurde neu geklärt und erhielt

    einige Risse. Die Frage, wie mit den Kritikern

    umgegangen werden soll, entzweite die

    Kameraden. Die militant und aktivistisch

    auftretenden jüngeren Kameraden warfen den älteren, eher auf NS-Traditionspflege und

    Kameradschaftsabende abzielenden Kameraden fehlende Standhaftigkeit vor.

    Die Vorsitzende der Landsmannschaft der Oberschlesier, Gertrud Müller, verteidigte den

    Oberland-Mythos vehement und identifizierte sich zunehmend mit den rechtsextremen

    Akteuren. Sie tauchte immer wieder in der Berichterstattung der einschlägigen Presse,

    beispielsweise in der Zeitschrift der HIAG, auf und nahm an gemeinsamen Treffen teil, etwa

    an der von der HIAG abgehaltenen alt-germanischen „Julfeier“ im Raethenhaus in München.

    Bild 22: Teilnehmer der Oberland-Gedenkfeier Anfang der 2000er Jahre. Mit dabei die Reichskriegsflagge.

  • ••••••••••••

    30

    Im Ergebnis der Auseinandersetzungen verlor die „Kameradschaft“ Anhänger in ihrem

    Umfeld. Es kam zu einem Schulterschluss zwischen den übriggebliebenen alten Kameraden,

    der treu zum Oberland-Mythos stehenden Landsmannschaft der Oberschlesier und einem Teil

    der jüngeren rechtsextremen Aktivisten. Darunter war auch die rechtsextreme Junge

    Landsmannschaft Ostdeutschlands (JLO). Die JLO machte es sich zur Aufgabe, das Oberland-

    Gedenken in den Reihen jüngerer Kameraden wiederzubeleben.

    Die JLO war in den 1990er Jahren die Jugendorganisation der Landsmannschaft Ostpreußens.

    Nachdem sie sich klar rechtsextrem ausrichtete und Kontakte zur NPD offensichtlich wurden,

    trennte sich die Landsmannschaft von ihrer bisherigen Jugendorganisation. Die JLO

    organisierte die jährlich stattfindenden Aufmärsche europäischer Faschisten anlässlich des

    Jahrestages der Bombardierung Dresdens und war Sprungbrett auf der Karriereleiter junger

    Neonazis im Umfeld der NPD sowie militanter Neonazis.

    Ein Blick in Ausgaben des Mitgliedsblattes „Der Oberländer“ zeigt, welches Gedankengut die

    „Kameradschaft“ in diesen Jahren verbreitete (Bild 23). Abgedruckt wurden Artikel aus

    einschlägigen Publikationen des rechten Lagers. Völkischer Nationalismus gehörte ebenso

    zur inhaltlichen Ausrichtung wie die Relativierung und Leugnung von Verbrechen des

    deutschen Faschismus. Gespickt war das Mitgliedsblatt mit nationalsozialistischer Symbolik.

    Verwendung fanden etwa die SS-Lebensrunen als Zeichen für Geburt und Tod.

    In dem Mitgliedsblatt wird über das Oberland-Gedenken am Weinberg sowie über weitere

    Aktionen der „Kameradschaft“ berichtet. Sie beteiligte sich etwa am rechtsextremen

    Bild 23: Titelblatt (rechts) und Rückseite (links) des Mitteilungsblattes der „Kameradschaft“ aus dem Jahr 2007.

  • ••••••••••••

    31

    Ullrichsberg-Treffen in Österreich und anderen Veranstaltungen aus dem neofaschistischen

    Spektrum. Oberländer waren unter anderem bei Gedenkveranstaltungen anlässlich der

    Ehrung spanischer oder italienischer Faschisten in deren Heimatländern vertreten.

    Eine aggressiv revisionistische Haltung kam auch bei den Oberland-Gedenkfeiern dieser Zeit

    zum Tragen. Im Mai 1994 etwa ging es dem Festredner weniger um die Gefallenen des

    Freikorps, sondern vielmehr um völkisch motivierte Tagesforderungen, wie sie ebenso von

    Vertretern der NPD oder DVU hätten formuliert werden können:

    „Verehrte Gäste, Freunde unserer Kameradschaft, liebe Oberland-Kameraden, (…) so ist uns

    dieser Gedenktag (…) ein Anlaß zur Pflege einer nationalen Tradition. (…) [Es ist geboten,]

    sich auf Werte zu besinnen, die Grundlage, Voraussetzung für die Erhaltung des Lebens

    unseres Volkes sind. Ein Gedenktag wie der heutige soll unser Bewußtsein vertiefen, daß nur

    gemeinschaftliche Opferbereitschaft Heimat und Leben zu sichern vermag. (…) Wir

    verwahren uns gegen die Bildung eines Völkerbreies. (…) Bekennen uns (…) zur nationalen

    Eigenständigkeit der Völker Europas, zu einem Europa der Vaterländer. Und seien wir wieder

    stolz, Deutsche zu sein.“36

    Das Mitgliedsblatt „Der Oberländer“ kommentiert seine Rede mit den Worten:

    „Ich glaube, ER hat ALLEN aus der Seele gesprochen, der Aplaus [sic!] zeugte davon.“37

    Der von den Oberschlesiern engagierte Geistliche sagte während seiner Ansprache bei der

    Oberland-Gedenkfeier 2001:

    „‚Schlesien bleibt unser‘ lautete in den 80er Jahren das Motto eines Deutschlandtreffens der

    Schlesier und es gab damals viel Freude darüber.“38

    Bei den Kranzniederlegungen sparten ältere Kameraden nicht mit markigen Worten:

    „Schlesien wird wieder deutsch werden“39 war ein Ausruf eines Gedenkredners. Jürgen Popp,

    Kameradschaftsführer ab 2001 schreibt in „Der Oberländer“:

    „Ich möchte noch eine Richtigstellung zu Oberschlesien vorbringen: Rechtlich ist Schlesien

    auch nach Abschluß der sogenannten Ostverträge Teil des Deutschen Reiches.“ 40

    Im Übrigen wird der Erzählung vom heldenhaften Kampf um das Deutschtum und dem

    heroisierenden Oberland-Mythos von München 1919 und Oberschlesien 1921 gefolgt.

    36 Der Oberländer Nr. 8 – 1994. 37 Der Oberländer Nr. 8 – 1994. Hervorhebungen im Original. 38 Informationsportal blick nach rechts. www.bnr.de vom 13.06.2001. 39 Antifaschistische Nachrichten. Nr. 4, 18. Jahrgang vom 14.02.2002. 40 Der Oberländer Nr. 46 – 2007.

  • ••••••••••••

    32

    3.6 Ausgrenzung und Distanzierung – 2010 bis heute

    Die Gemeinde Schliersee distanzierte sich in Folge der Protestaktionen des Bündnis gegen

    rechtsextreme Umtriebe im Oberland und der kritischen Berichterstattung in den Medien

    nach und nach von der Gedenkveranstaltung. Um ein erneutes Auftreten von

    Rechtsextremisten zu verhindern, wurde 2009 der Weinberg von der Gemeindeverwaltung

    an dem betreffenden Wochenende, unter dem Vorwand Baumfällarbeiten durchzuführen,

    gesperrt.

    Die Landsmannschaft der Oberschlesier beteuerte im Folgejahr ihre Integrität gegenüber der

    Gemeinde Schliersee und führte 2010 im prominentesten öffentlichen Saal des Ortes, dem

    Terofal-Saal, das Oberland-Gedenken durch. Doch auch hier traten die rechtsextremen

    Akteure „Junge Landsmannschaft Ostdeutschlands“ (JLO), Burschenschaften und Aktivisten

    der Kameradschaftsszene auf. Edda Schmidt, Vorsitzende der Frauenorganisation der NPD,

    berichtete auf einer Online-Plattform der „Nationaldemokraten“ (NPD) von dem „Gedenken

    des Bundes Oberland“41.

    Infolge dieses Vertrauensbruches verlor das

    Oberland-Gedenken den letzten Rückhalt in der

    Gemeindeverwaltung. Eine offizielle Kooperation

    oder Duldung in öffentlichen Räumen findet

    seither nicht mehr statt.

    Auch das katholische Pfarramt St. Sixtus

    beschäftigte sich intensiver mit der Angelegenheit,

    stellte in Aussicht, eine zweite, erklärende Tafel

    neben dem bisherigen Denkmal anzubringen und

    lud dazu ein, sich mit einem „Entwurf, sprachlich-

    inhaltsmäßig und grafisch“ 42 zu beteiligen.

    Vorschläge von Schlierseer Bürgern und des Bündnisses wurden wegen inhaltlicher

    Differenzen allerdings teilweise in einem unsachlich forschen Ton zurückgewiesen. Die vom

    erzbischöflichen Ordinariat angestrengten Bemühungen zur Lösung des Problems verliefen

    daher letztlich im Sande.

    Die Landsmannschaft der Oberschlesier war in den Jahren nach dem Bruch mit der Gemeinde

    vorübergehend mit nur noch wenigen Personen am Oberland-Gedenken beteiligt. Doch selbst

    als der harte Kern der völkisch-nationalistischen Kameraden zusammen mit militanten

    41 Url: http://www.ring-nationaler-frauen.de/netzseiten/index2.php?option=com_content&task=view&id=233&pop=1&page=0&Itemid=1,

    eingesehen am 11. Mai 2010 42 Schreiben Pfarramt St. Sixtus an das Bündnis gegen rechtsextreme Umtriebe vom 26.03.2009.

    Bild 24: Oberland-Gedenken im Jahr 2016. In der

    Mitte ist die gelb-blaue Fahne der Oberschlesier

    zu sehen. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte

    wurden vom Autor die Gesichter der Betroffenen

    unkenntlich gemacht.

  • ••••••••••••

    33

    Rechtsextremisten als aktive Träger des Oberland-Gedenkens übrigblieb, hielt die

    Vorstandschaft der Kreisgruppe München an der zweifelhaften Kooperation fest (Bild 24).

    Auch 2016 hielt Gertrud Müller die Festansprache vor den Kameraden, die ihre

    Veranstaltungen nunmehr im Verborgenen abhalten. Die Vorstandschaft der

    Landsmannschaft der Oberschlesier München scheut

    sich nicht, inmitten der rechtsextremen Kameraden,

    stolz ihre Fahnen zu präsentieren (Bild 24 und 25).

    Die Auseinandersetzung um den zukünftigen Kurs

    sorgt bei der „Kameradschaft“ und in dessen Umfeld

    für Konfliktstoff. Auf der einen Seite sind die den

    alten Kämpfern nahestehenden Bewahrer der

    Tradition zu finden, die das Gedenken als

    nationalistische Traditionspflege und Anlass für

    Kameradschaftsabende ansehen. Auf der anderen

    Seite versuchen rechtsextreme Aktivisten, das

    Oberland-Gedenken zur Agitation für ihre Ziele im

    nationalistischen Lager und am rechten Rand der

    Gesellschaft zu nutzen.

    Es kommt offensichtlich zu weiteren Streitigkeiten und Abspaltungen. Ab Mitte der 2010er

    Jahre firmiert der Zusammenschluss der übrig gebliebenen Oberland-Kameraden unter dem

    Namen „Traditionsverband Freikorps/Bund Oberland“. Das Mitgliedsblatt „Der Oberländer“

    erscheint weiterhin und zeichnet sich wie bisher durch seine extrem rechte Ausrichtung aus.

    Ab dem Jahr 2017 fungieren der Gmunder Aktivist Vinzenz J.43 und der Alt-Nazi Erwin Arlt

    als Kameradschaftsführer des „Traditionsverbandes“.

    Erwin Arlt machte schon in den 1970er Jahren als revisionistischer Aktivist auf sich

    aufmerksam. Er war Bundesvorsitzender der „Aktion Oder-Neiße AKON e.V.“, die mit den

    Mitteln aggressiver Agitation das Ziel verfolgte, die nach den beiden Weltkriegen verlorenen

    Gebiete wieder zurückzuerlangen. Welche Landesgrenzen sich der AKON e.V. vorstellte,

    zeigt Bild 26. Erwin Arlt war Mitbegründer der Neo-Faschistischen Partei „Deutsche

    Volksunion“ (DVU) des Verlegers Gerhardt Frey und deren 2. Vorsitzender in den 1970er

    Jahren. Artikel aus seiner Feder sind regelmäßig in der rechtsextremen Presse und in den

    letzten Jahren auch verstärkt im Mitgliedsblatt „Der Oberländer“ zu finden.

    43 Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen wird hier der Name nicht vollständig angegeben. Anders verhält es sich bei Erwin Arlt, der als Mitgründer der Partei DVU als Person der Zeitgeschichte gilt.

    Bild 25: Oberland-Gedenken im Jahr 2016.

    Präsentiert wird auch das von der

    „Kameradschaft“ gestiftete grüne Gedenkband

    des Freikorps Oberland. Die Oberschlesier

    führen dieses Fahnenband bei all ihren

    Veranstaltungen mit.

  • ••••••••••••

    34

    Vinzenz J. wurde bekannt durch seine

    Verurteilung zu zwei Jahren Haft wegen

    Verstoßes gegen das Waffengesetz. Er hatte ein

    umfangreiches Waffenlager angelegt, darunter

    Schusswaffen sowie Sprengblöcke mit insgesamt

    zwei Kilogramm TNT. Das Gericht stellte seine

    Nähe zum Rechtsextremismus fest. Er ist in der

    militanten rechtsextremen Szene bis heute

    bestens vernetzt. So wurde er beispielsweise bei

    einem Treffen der rechtsterroristischen Orga-

    nisation „Objekt 21“ aus Österreich angetroffen. Diese erregte einiges Aufsehen wegen ihrer

    brutalen Vorgehensweise, der Verquickung mit dem Rotlichtmilieu und durch das Auffliegen

    ihres umfangreichen Waffenarsenals inklusive 10 Kilogramm Sprengstoff. Die

    rechtsterroristische Organisation „Objekt 21“ wurde von österreichischen Behörden

    verboten und aufgelöst. Es bestanden ihrerseits zahlreiche Verbindungen in die rechts-

    extreme Kameradschaftsszene Deutschlands.

    Auffällig ist nicht nur die Affinität des Kameradschaftsführers Vinzenz J. zum gewaltbereiten

    rechtsextremen Lager. Auch die JLO, die sich seit dem Anfang der 2000er Jahre um das

    Oberland-Gedenken kümmert, unterhielt Kontakte zu der rechten Terror-Organisation aus

    Österreich. 44 Einzelpersonen des rechtsterroristischen „Objekt 21“ statteten der JLO

    regelmäßig Besuche ab. 45 Das „Objekt 21“ hatte

    wiederum zu bayerischen Aktivisten der

    gewaltbereiten Kameradschaft „Freies Netz Süd“

    Kontakt. 46 Fünfzehn der „Objekt 21“-Aktivisten

    sind für bayerische Staatsschützer alte Bekannte.

    Sie zählen zum festen Bestandteil der süddeutschen

    Kameradschaftsszene, darunter der verurteilte

    Rechtsterrorist Martin Wiese und der militant

    rechtsextremistische Norman Bordin.47 In Bild 27 ist

    zu sehen, wie in der rechtsextremen Subkultur des „Objekt 21“ die Verbrechen des

    Nationalsozialismus verharmlost werden. Das T-Shirt mit der Aufschrift „University

    Auschwitz. Est. 1941“ stellt eine Verhöhnung der Opfer des Holocaust dar.

    Das Oberland-Gedenken erfüllte seit den 1990er aber auch noch in den 2010er Jahren ganz

    offensichtlich eine wichtige Scharnierfunktion zwischen nationalkonservativem Umfeld und

    44 Informationsportal blick nach rechts. www.bnr.de vom 13.06.2001. 45 Informationsportal blick nach rechts. www.bnr.de vom 17.09.2010. 46 Informationsportal blick nach rechts. www.bnr.de vom 10.08.2010. 47 Informationsportal blick nach rechts. www.bnr.de vom 04.07.2013.

    Bild 26: Anzeige des „Aktion Oder-Neiße (AKON) e.V.“

    in den 1970er Jahren.

    Bild 27: Teilnehmer eines „Balladenabends“ in

    den Räumen des „Objekt 21“.

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    dem gewaltbereit-militanten rechtsextremen Lager. Die Treffen am Schliersee sorgten und

    sorgen auch weiterhin für eine gute Vernetzung innerhalb der Kameradschaftsszene. Mit der

    Ausgrenzung dieser Szene durch die Schlierseer Öffentlichkeit verlor die Scharnierfunktion

    zum bürgerlichen Lager des Oberland-Gedenkens im Lauf der Zeit an Bedeutung.

    4 Exkurs: vom Oberland über Oberschlesien nach Auschwitz

    Bei der Recherche zum vorliegenden Text ist der Autor auf Berichte, Dokumente und

    Informationen gestoßen, die Auskunft über die Ausgrenzung und Verfolgung von Bürgern aus

    Schliersee und dem Landkreis Miesbach geben. Die Verbindung und Verstrickungen der

    radikalen Rechten in der Weimarer Republik, auch im Umfeld des Freikorps- und Bund

    Oberland, endeten im Holocaust und dem Mörder-Lager Auschwitz. Einige Belege aus der

    Recherche werden im Folgenden vorgestellt.

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    Bei den Aktionen in Oberschlesien 1921 verbreitete sich Antisemitismus und völkischer

    Nationalismus unter den beteiligten Kampfverbänden und Freikorps. Das Freikorps Oberland

    hatte Anteil an dieser Entwicklung. Der Autor Lohalm schreibt in seiner Publikation

    „Völkischer Rassismus“:

    „Als Folge des außerordentlich schnell um sich greifenden Antisemitismus setzte in den vom

    Selbstschutz besetzten oberschlesischen Gebieten eine intensive antijüdische Hetze ein. Es

    kam zu Ausschreitungen, die sich insbesondere gegen Ostjuden richteten. Hakenkreuze

    prangten auf schwarz-weiß-roten Fahnen, an Uniformen, Fahrzeugen und Häusern.“48

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    Bei der Einweihung des Schlierseer

    Oberland-Denkmals im September 1923

    fand eine öffentlichkeitswirksame

    Verbrüderung zwischen Oberland und der

    NSDAP statt. Auch SA-Einheiten erwiesen

    dem Bund Oberland die Ehre. Bild 28 zeigt

    den Vorbeimarsch an Bund Oberland-

    Führer Friedrich Weber sowie Erich

    Ludendorff und Hermann Göring. Wenige

    Wochen danach marschierte der Bund

    Oberland in den Reihen der Putschisten an

    48 Lohalm 1970, Seite 220.

    Bild 28: Vorbeimarsch der SA bei der Einweihung des

    Denkmals im September 1923. Friedrich Weber, Führer des

    Bund Oberland, Erich Ludendorff und Hermann Göring

    nehmen die Parade ab.

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    der Seite Hitlers zur Münchner Feldherrnhalle. Die Putschisten nahmen in München auch

    jüdische Geiseln.

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    Einheiten des Bund Oberland waren aktiv am „Hitler-Ludendorff-Putsch“ im Bürgerbräu-

    keller und beim „Marsch auf die Feldherrnhalle“ beteiligt. In den Morgenstunden des 9.

    November 1923 formierte sich in Miesbach ein zusätzlicher Trupp des Bund Oberland, um die

    Putschisten in München zu unterstützen. Der Miesbacher Trupp fuhr mit der Bahn zum

    Ostbahnhof, kam dort allerdings erst an, als der Putsch schon erfolglos zusammengebrochen

    war. Glaubt man dem Bericht, waren auch Männer aus Hausham und Schliersee beteiligt:

    „Die Nachricht über die Vorgänge, die durch die nationale Erhebung durch unseren Führ