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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit Broschüre zur Ausstellung des Fritz-Erler-Forums der Friedrich-Ebert-Stiftung Christoph Busch Die rechte Szene „Neue Rechte“ (Rechtsintellektuelle) Ideologie Kampf um die Köpfe Macht Kampf um die Parlamente Kampf um den organisierten Willen Aktionen Kampf um die Straße Subkultur Freie Kräfte (Kameradschaften, autonome Nationalisten und freie Nationalisten) Rechte Skinheads sowohl Kooperation, z. B. Unterstützung bei Demos als auch Abgrenzung NPD DVU Pro Heilbronn Junge Nationaldemokraten (Jugendorganisation der NPD) Re: voll krass hey jojo schon krass... das hört man immer im radio, aber ich wusst nicht dass das wirklich so passiert...mutig von dir...und da hat wirklich NIEMAND geholfen? bei uns war letztlich n bulle in der klasse und der hat gesagt die nazis ziehn sich gar nicht mehr wie nazis an und dass man die inzwischen voll schlecht erkennt. jo reden wir morgen. hey manu, ich musst grad ne aussage bei der polizei machen, weil ich stress mit son paar nazis hatte. ich war an der bushaltestelle vorm bahnhof und da warn son paar typen die ham die ganze zeit ne afrikanerin dumm angemacht und irgendwann ham die angefangen die rumzuschubsen und da konnt ich nich mehr zuschaun - bin halt hin und hab gesagt, dass die das lassen sollen und die sind total ausgetickt und ham mir eine reingehauen. des hat mich richtig genervt, dass erst da alle anderen aufmerksam geworden sind. Nachricht schreiben An: Jo Jo Betreff: Nachricht: Abschicken Doch nicht Letzte Nachricht anzeigen Jo Jo schrieb 05.02.2010 um 12:17 Uhr Betreff: voll krass

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfenBaden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

Broschüre zur Ausstellung des Fritz-Erler-Forumsder Friedrich-Ebert-Stiftung

Christoph Busch

Die rechte Szene

„Neue Rechte“

(Rechtsintellektuelle)Ideologie

Kampf um die Köpfe

MachtKampf um di

e Parlamente

Kampf um den organisierte

n Willen

AktionenKampf um di

e Straße

Subkultur

Freie Kräfte

(Kameradschaften, autono

me Nationalisten

und freie Nationalisten)

Rechte Skinheads

sowohl Kooperation, z.B.

Unterstützung

bei Demos als auch Abgr

enzung

NPD DVU Pro Heilbronn

Junge Nationaldemokrate

n

(Jugendorganisation der N

PD)

Re: voll krass

hey jojoschon krass... das hört man immer im radio, aber ich wusst nicht

dass das wirklich so passiert...mutig von dir...und da hat wirklich

NIEMAND geholfen?bei uns war letztlich n bulle in der klasse und der hat gesagt die

nazis ziehn sich gar nicht mehr wie nazis an und dass man die

inzwischen voll schlecht erkennt.jo reden wir morgen.

hey manu,ich musst grad ne aussage bei der polizei machen, weil ich stress mit son paar nazis

hatte. ich war an der bushaltestelle vorm bahnhof und da warn son paar typen die ham

die ganze zeit ne afrikanerin dumm angemacht und irgendwann ham die angefangen

die rumzuschubsen und da konnt ich nich mehr zuschaun - bin halt hin und hab gesagt,

dass die das lassen sollen und die sind total ausgetickt und ham mir eine reingehauen.

des hat mich richtig genervt, dass erst da alle anderen aufmerksam geworden sind.

Nachricht schreibenAn:Jo Jo

Betreff:

Nachricht:

Abschicken Doch nichtLetzte Nachricht anzeigen

Jo Jo schrieb05.02.2010 um 12:17 UhrBetreff: voll krass

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Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht ein Tisch.Der Tisch ist ein Ort der Kommunikation, um den sich Menschenversammeln. Familienmitglieder berichten einander ihren Tag,Konferenzen werden abgehalten, oder Argumente ausgetauscht.Er ist aber auch Studienort, auf dem die Zeitung ausgebreitet,Bücher aufgeschlagen und Dinge abgelegt werden.

Dieser Tisch könnte überall stehen.Vielleicht war es ein solcher Tisch, an dem am 20.12.2003

Leonhard S. saß, bevor er mit Freunden nach Heidenheim auf-brach. Dort erstach er noch am selben Tag die drei jungen Aus-siedler Waldemar, Aleksander und Viktor.

Vielleicht werden auch an einem solchen Tisch die rechts-radikalen Inhalte der Bücher des Tübinger Grabert-Verlagesverfasst oder es wird an einem solchen Tisch, irgendwo in Baden-Württemberg, bei mehreren Bieren den Vorurteilen gegenMigranten und Migrantinnen freien Lauf gelassen.

Vielleicht sitzen an diesem Tisch aber auch Menschen, diederartigen Vorurteilen etwas entgegen setzen, oder Menschen,die in Projekten und Initiativen planen, wie man sich gegenRassismus und Gewalt und für Demokratie und Menschlichkeitengagieren kann.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung breitet nun auf ihrem Aus-stellungstisch Informationsmaterialien zum Thema Rechts-extremismus aus, denn Informationen sind für ein Engagementgegen Rechtsextremismus genauso wichtig wie das Bewusst-sein für das demokratische Fundament unserer Gesellschaft.

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4 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

Rechtsextreme kommen immer dann in die Schlagzeilen, wennsie Gewalttaten verüben. Auch wenn die Anzahl ihrer Straf- undGewalttaten in den letzten Jahren auf hohem Niveau stagniert,sind diese Übergriffe nur die Spitze des Eisbergs.

Rechtsextremismus ist vielerorts in Baden-Württembergkein Randphänomen mehr. Der Erfolg einer rechtsgerichtetenJugendkultur und die Akzeptanz rechtsextremen Gedanken-guts in weiten Teilen der Bevölkerung machen deutlich,dass Rechtsextremismus ein vielschichtiges Problem unsererGesellschaft ist.

Hinzu kommen die Bemühungen Rechtsextremer,immer mehr in die Zivilgesellschaft vorzudringen. Sie wissenrhetorisch geschickt öffentliche Diskussionen mit ihren eige-nen Themen zu besetzen und greifen hierfür zunehmendbürgernahe sozialpolitische und kapitalismuskritische Fragenauf. Sie engagieren sich in Bürgerinitiativen, Elternvertretun-gen von Schulen oder in der Jugendarbeit und werbenverstärkt Jugendliche über eher unpolitische Angebote inSportclubs oder bei Straßenfesten für die Szene.

Sie nutzen dieses Engagement jedoch, um rechtsextremesGedankengut zu verbreiten und die Demokratie Stück für Stückzu diskreditieren. So wenden Sie sich gegen den Gedankengleicher, unveräußerlicher Rechte für alle Menschen.

Die Ausstellung „Demokratie stärken – Rechtsextremis-mus bekämpfen“ der Friedrich-Ebert-Stiftung weist auf die Ge-fahren hin, die vom Rechtsextremismus für demokratischepolitische Systeme und die in ihnen lebenden Menschen aus-gehen und informiert über die verschiedenen Facetten desRechtsextremismus – immer mit speziellem Fokus auf dieEntwicklung in Baden-Württemberg.

Es werden die Grundlagen für rechtsextreme Einstel-lungen und das dazugehörige Verhalten dargestellt undaufgezeigt, welche Formen rechtsextreme Weltbilder undArgumentationsweisen annehmen können. Dabei wird derBogen von rechtsextremen Einstellungen über das Engage-ment in rechtsextremen Organisationen und Parteien bis hinzur rechtsextrem motivierten Straftat geschlagen.

Obwohl in Baden-Württemberg die Anzahl der Gewaltde-likte mit 56 Gewalttaten gegenüber den Vorjahren (99 Gewalt-taten im Jahr 2006 und 78 im Jahr 2007) gesunken ist, verdoppeltesich die Anzahl rechtsextrem motivierter Straftaten von 614 imJahr 1991 auf 1209 im Jahr 2008. Diese Zahlen verdeutlichen dieunterschiedlichen Erscheinungsformen von Rechtsextremismusund zeigen an, dass trotz quantitativer Schwankungen Hand-lungsbedarf besteht. Wenn man Rechtsextremen nichts entge-gensetzt, gibt man ihnen eine Chance, ihren Aktionsradiusauszudehnen, als „normale“ Akteure aufzutreten und letztenEndes Demokratie und Menschenrechte auszuhöhlen. Daher istes wichtig, sich gegen Rechtsextremismus zu engagieren, Betrof-fene rechtsextremer Gewalt zu unterstützen und deutlich zumachen, dass sämtliche Elemente rechtsextremer Einstellungenwie beispielsweise Antisemitismus, Rassismus und Gewaltbe-jahung keinen Platz in unserer Gesellschaft haben dürfen.

Die Verantwortung darf hierbei jedoch nicht nur denstaatlichen Institutionen alleine zugewiesen werden. Sie mussin Politik und Gesellschaft, konkret und konsequent vor Ort an

Liebe Besucherinnen und Besucher

Schulen, Universitäten und in der Erwachsenenbildung, denParteien, Medien, am Stammtisch, in den Vereinen oderauch in Leserbriefen auf kommunaler und regionaler Ebenewahrgenommen werden. Jede und jeder kann etwas gegenDiskriminierung, Rassismus und Gewalt tun. Die Achtungder Menschenwürde und der Erhalt von Demokratie sind aufdie Unterstützung Aller angewiesen.

Ein besonderer Fokus der Ausstellung liegt deshalb imAufzeigen von Möglichkeiten eines Engagements gegen Rassis-mus und Gewalt und für Demokratie und Menschlichkeit. DieAusstellung regt an, über eigene Einstellungen nachzudenkenund die des eigenen Umfeldes zu hinterfragen. Sie möchte gegeneine Normalisierung rechter Einstellungen und Übergriffe in derNachbarschaft wirken und zu Zivilcourage ermutigen.

Das Fritz-Erler-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung wünschtIhnen einen informativen Ausstellungsbesuch.

Dr. Christine Arbogast

Fritz-Erler-Forumder Friedrich-Ebert-Stiftung

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 5

Zudem bietet diese Ausstellung eine wichtige Kontrastie-rung rechtsextremistischen Gedankenguts mit den Errungen-schaften unserer Demokratie und des Grundgesetzes. Umdiese Verfassung beneiden uns viele. Sie stellt die Würde deseinzelnen Menschen in den Mittelpunkt und steht für einGemeinwesen, das Vielfalt, Sozialstaatlichkeit und Freiheitgarantiert und Konflikte gewaltfrei, demokratisch, d.h. diskursivund kompromissorientiert, lösen will. Es reicht nicht aus,wenn die Verfassungsorgane und die staatlichen Institutionenihre Pflicht tun. Ebenso wichtig ist, dass sich die Gesellschaftund möglichst viele Bürgerinnen und Bürger für unsereDemokratie engagieren. Eine starke Demokratie brauchtstarke Demokraten.

Hinhören, nachfragen, informieren und rechtsextremisti-schen Gefahren engagiert widerstehen. Dafür soll diese Aus-stellung eine Hilfe bieten. Ich wünsche Ihnen einen interessantenund informativen Ausstellungsbesuch, neue Anregungen undEinsichten. Unabhängig davon, welche Hautfarbe, welche Religionund welche soziale oder ethnische Herkunft ein Mensch hat:„Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Stephan Braun, MdL

Stephan Braun ist Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg und Sprecher der SPD-Fraktion für Fragen desVerfassungsschutzes und des Extremismus sowie Vorsitzenderdes Gremiums nach Artikel 10 Grundgesetz, das für die parla-mentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes Verantwor-tung trägt. Er leitet die Gesprächsreihe Rechtsextremismusbeim Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg und hat beimVS Verlag für Sozialwissenschaften folgende Bücher veröffent-licht: Rechte Netzwerke – eine Gefahr, Wiesbaden 2004 (zus.mit Daniel Hörsch); Die Wochenzeitung „Junge Freiheit“.Kritische Analysen zu Programmatik, Inhalten, Autoren undKunden, Wiesbaden 2007 (zus. mit Ute Vogt) sowie Strategiender extremen Rechten. Hintergründe – Analysen – Antworten,Wiesbaden 2009 (zus. mit Alexander Geisler undMartin Gerster).

Die extreme Rechte hat sich gewandelt. Sie ist in ihrenErscheinungsformen vielfältiger geworden und längst nichtmehr auf das Bild des kahlköpfigen Schlägers reduziert. Auchwenn die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straf- undGewalttaten alarmierend hoch bleibt und Opferverbände auf140 Todesopfer durch rechte Gewalt seit 1990 hinweisen. Dieextreme Rechte hat sich neue gesellschaftliche Potenzialeerschlossen und erprobt auf der Suche nach Unterstützungneue strategische Vorgehensweisen. Rechtsextremismuspräsentiert sich heute als planvoll ausgestaltete Erlebniswelt,deren Angebote passgenau auf die Bedürfnisse einer in sichheterogenen, jungen Zielgruppe zugeschnitten sind. Die Szenehat das Web 2.0 für sich entdeckt. Ihr Medienangebot umfasstlängst Musik, Comics und Computerspiele.

Gleichzeitig versuchen Parteien wie die NPD ihre Wahl-erfolge in die Fläche zu tragen. Gezielt kandidieren siebei Kommunal-, Kreistags- und Regionalwahlen. Präsent istauch ihr Nachwuchs. Die NPD-Jugendorganisation, die„Jungen Nationaldemokraten“ (JN), listet auf ihrer Internetseite13 sogenannte „Stützpunkte“ für Baden-Württemberg (2009)auf und hat ihre Mitgliederzahl innerhalb von drei Jahrenverdoppelt. Inzwischen stellt Baden-Württemberg mehr alsein Viertel aller JN-Mitglieder bundesweit.

Rechtsextreme Einstellungsmuster sind nicht nurFolgen wachsender allgemeiner gesellschaftlicher Fehlent-wicklungen und zunehmender „gruppenbezogener Menschen-feindlichkeit“ (Heitmeyer). Vielmehr ist darin auch dasErgebnis strategischen Wirkens gesellschaftlicher Kräfte zusehen, die sich aktiv bemühen, eine Normalisierung rechts-extremer Denk- und Handlungsweisen herbeizuführen.Rechtsradikale bis rechtsextreme Parteien spielen im strate-gischen Denken dieser „Neuen Rechten“ kaum eine Rolle.Die „Neue Rechte“ will den Weg in die gesellschaftliche Mitteebnen. Ihre radikalsten Protagonisten arbeiten daran, dieGrenzen zwischen Rechtskonservativismus und Rechtsextre-mismus zu verwischen und den Meinungstenor gesellschaftli-cher Diskurse nach rechts außen zu verschieben. Wissen-schaftler wie Wolfgang Gessenharter sprechen dieser Bewe-gung eine Scharnierfunktion zwischen demokratischemSpektrum und dem Rechtsextremismus zu und halten siefür die einflussreichste Strömung der extremen Rechten inden vergangenen dreißig Jahren.

Im Umgang mit modernen rechtsextremen Strategien istmehr denn je Aufklärungsarbeit zu leisten. Es gilt, das Handeln,die inhaltlichen Bezüge und die Argumentationsmuster derextremen Rechten offen zu legen. Diese Ausstellung leistetdafür einen wichtigen Beitrag. Wichtig, gerade weil die Gefahrenfür die freiheitlich-demokratische Grundordnung und für ihregrößte Errungenschaft, die Menschenrechte, nicht immergleich zu erkennen sind. Die Schautafeln sollen helfen, Sieals Ausstellungsbesucher für alle Erscheinungsformen desmodernen Rechtsextremismus zu interessieren und zu sensibi-lisieren. Die Ausstellung will Ihnen helfen, rechtsradikale bisrechtsextreme Ereignisse und Entwicklungen in Ihrem Umfelddeutlich wahrzunehmen und zivilgesellschaftlich engagiertdarauf zu reagieren.

Begleitwort von Stephan Braun

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 7

Inhaltsverzeichnis

Gefahren für Demokratie und Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Menschenwürde und Demokratie im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Stationen der deutschen Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .12

Das rechtsextreme Weltbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Gegenüberstellung von rechtsextremem und demokratischem Weltbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

Rechte Aktivitäten und Wahlergebnisse in Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Gewalt als Kitt für den Zusammenhalt der rechten Szene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

Ursachen des Rechtsextremismus und Gegenstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Rechtsextreme und rechtsgerichtete Parteien und Wählerinitiativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Strategien rechter Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

„Neue Rechte“ – Die intellektuelle rechte Szene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

Entwicklung rechtsextremer und rechtsgerichteter Organisationen in Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Die „88“ auf dem T-Shirt – Politische Aussage oder sportliches Design? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Die rechtsextreme Jugendszene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

Frauen und Mädchen in der rechtsextremen Szene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Erlebniswelt Rechtsextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

Liederbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

Der Ausstieg als Lebensentscheidung – Ein Aussteiger aus der Szene berichtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Argumentieren gegen Stammtischparolen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Stammtischparolen und Gegenargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Was tun gegen Rechtsextremismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

Rosenberg – Eine Gemeinde wehrt sich gegen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Initiativ werden gegen Rechts – Einige Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

Literaturauswahl zum Weiterlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Unterrichtsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

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„Nationalismus heißt Revolution.

Und unsere Revolution findet

im 21. Jahrhundert statt.Unsere Revolution ist keinekleine Veränderung, sondernwir müssen uns ein komplettanderes politisches Systemerkämpfen!“

„Es gibt nach

meiner Auffassu

ng

nichtdie Mensc

hheitan sich,

sondern Rassen

und Völker.“

„[...] die Grundrechtsbestim-mungen (des Grundgesetz)triefen vor Menschenrechts-tümelei und stellen Deutscheim eigenen Land de facto mitAusländern gleich."

Rechtsextreme wollen

die parlamentarische Demokratie abschaffen

den Einparteienstaat und eine nicht durch das Volk gewählte Elite

die Abschaffung einer unabhängigen Rechtsprechung

die Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte

eine Volksgemeinschaft mit dem Streben nach Gleichmacherei

die Überwachung der (politischen) Gesinnung

die Abschaffung der Presse- und Meinungsfreiheit

die Verfolgung z.B. von Andersdenkenden, Andersaussehenden,

die Durchsetzung ihrer Interessen, wenn nötig auch mit Gewalt

ein völkisch-nationalistisches Frauenbild durchsetzen

Rechtsextreme lehnen Demokratie und Menschenwürde ab!

Behinderten, Jüdinnen und Juden oder Homosexuellen

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 9

Gefahren für Demokratie und Menschenrechte

Deutschland ist eine gefestigte Demokratie. Dazu trägtzum einen unser Grundgesetz bei, das das Verhältnis vonBürgerinnen und Bürgern und Staat sowie die Organisation desStaates regelt. Hierbei spielen die Achtung und der Schutz derMenschenwürde als zentrale Aufgabe des Staates (Artikel 1 GG)sowie die Festlegung, dass Deutschland eine Demokratie ist(Artikel 2 GG), eine besondere Rolle.

Aber die Demokratie ist kein Selbstläufer. Eine Neigungzu Politikverdrossenheit, die sich in einer geringen Wahlbe-teiligung und dem Rückzug von Bürgerinnen und Bürgern vonpolitischem Engagement äußert, schadet der Demokratie undgibt undemokratischen Tendenzen Nahrung.

Ebenso sind Politikerinnen und Politiker sowie die gesell-schaftliche Elite neben allen Anderen im besonderen Maße inder Verantwortung, jederzeit im Sinne der Demokratie und derAchtung der Menschenwürde zu agieren.

Demokratie und die Achtung der Menschenwürde sinddurch politischen Extremismus gefährdet. Politischer Extremis-mus meint Gesinnungen und Bestrebungen, die die Demokratiebekämpfen und ihre fundamentalen Werte Freiheit und Gleich-heit ablehnen. Rechtsextremismus ist der Teil des rechtenSpektrums, der außerhalb des verfassungskonformen Bereichsliegt. Er ist mit seinen Denkmustern, dem Bekenntnis zueiner rechtsautoritären Diktatur und den in seinem Namenbegangenen Verbrechen eine besondere Gefahr für Demokratieund Menschenrechte.

Viele Rechtsextreme lehnen das demokratische Systemder Bundesrepublik Deutschland offen ab. Alexander Neidlein,Vorsitzender der Jungen Nationaldemokraten (JN) Baden-Württembergs drückte es zum Landeskongress 2006 wie folgtaus: „Nationalismus heißt Revolution. Und unsere Revolutionfindet im 21. Jahrhundert statt. Unsere Revolution ist keinekleine Veränderung, sondern wir müssen uns ein komplettanderes politisches System erkämpfen!“

Der Demokratie gegenüber steht die autoritäre Diktaturmit einer nicht legitimierten herrschenden Elite, in der Wider-spruch verboten und Herrschaft und Verwaltung willkürlichsind. Im Grundgesetz der Bundesrepublik ist die Achtung derWürde des Menschen in Artikel 1 verankert. Im Parteipro-gramm der NPD heißt es dagegen: „Volkstum und Kultur sinddie Grundlagen für die Würde des Menschen“. Das würde be-deuten, dass Würde nicht mehr jedem Menschen zugesprochenwird, sondern nur denen, die zu einem bestimmten „Volk“gehören – wobei diese Zugehörigkeit nach den Kriterien derRechtsextremen festgelegt würde.

Grundlage des rechtsextremen Weltbildes ist die Vorstel-lung von der Ungleichwertigkeit der Menschen. Rechtsextremelehnen den Anspruch auf gleiche Rechte für alle Menschenund damit die universellen Freiheits- und Gleichheitsrechte ab.Somit stehen rechtsextreme Bestrebungen im Widerspruch zudem in Artikel 3 des Grundgesetzes verbrieften Gleichheits-gebot, einem Fundamentalprinzip der Demokratie. Die Werteder Aufklärung und die damit einhergehenden zivilisatorischenFortschritte verachten Rechtsextreme.

Damit verbunden sind ein ideologisch begründeter Ras-sismus und die bereits im Nationalsozialismus propagierte Idee

der Volksgemeinschaft, nach der eine auf einer rassistischenDefinition beruhende Gesellschaft das Ideal darstellt. Vielfalt wiein unserer Gesellschaft, in der jeder nach seiner Façon glücklichwerden darf, und Chancengleichheit für alle Bürgerinnen undBürger gibt es nach dieser Vorstellung nicht mehr. Rechtsextremefordern den Kollektivismus. Damit hat die Gemeinschaft ein-seitig Vorrang vor dem Einzelnen. Die Bürgerinnen und Bürgermüssen sich dem Staat unterordnen und haben keine individu-ellen Persönlichkeitsrechte mehr – sie sind demnach nur nochUntertanen. Der rigorose Nationalismus der Rechtsextremenbeinhaltet zudem außenpolitisch ein rücksichtsloses undüberhebliches Verhalten, das die friedliche Nachbarschaft inEuropa beenden würde.

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Menschenwürde und Demokratie im Grundgesetz

Das Individuum steht im Mittelpunkt

Der Menschenwürde liegt die Vorstellung zugrunde, dass jederMensch einen Wert an sich hat, der nicht angetastet werdendarf. Dieser Wert ist absolut. Er muss durch nichts verdientwerden und wird durch nichts relativiert. Menschen ohne Be-hinderung besitzen die gleiche Menschenwürde wie Menschenmit Behinderung, Frauen wie Männer, Migranten wie Deutsche,Christen wie Muslime, Juden wie Atheisten, Kranke wie Gesunde,Kinder wie Erwachsene, Blauäugige wie Braunäugige. Achtungder Menschenwürde bedeutet, dass es keine Menschen „zwei-ter Klasse“ oder gar „unwertes“ Leben gibt.

Die Idee der Menschenwürde hat eine lange Tradition.Sie geht sowohl auf das christlich-jüdische Menschenbild zu-rück, wonach der Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen istund deshalb alle den gleichen Wert besitzen, als auch auf dieIdeen der Aufklärung, in der die Freiheit und Gleichheit desMenschen Grundpfeiler sind. Der große Philosoph der Aufklä-rung, Immanuel Kant, drückt dies Ende des 18. Jahrhundertsmit den Worten aus, dass der Mensch ein „Zweck an sich“ undniemals „Mittel zum Zweck“ sei. Daraus ergeben sich für unserZusammenleben folgende Prinzipien:1. Die Achtung vor dem Anderen2. Die Anerkennung des Existenzrechtes des Anderen3. Die Anerkennung der Gleichwertigkeit aller Menschen

Im Grundgesetz ist die Achtung der MenschenwürdeLeitlinie allen staatlichen Handelns. Bereits im ersten Artikelheißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zuachten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichenGewalt.“ Mit der Achtung und dem Schutz der Menschenwürdewird im Grundgesetz das Individuum in den Mittelpunkt desStaatsverständnisses gestellt und nicht irgendwelche Kollektivewie Volk oder Nation. Das war 1949 von den Verfassungsmütternund -vätern eine gewollte Abkehr von den Prinzipien des National-sozialismus, bei dem der Einzelne nichts galt – nach dem Motto„Du bist nichts, Dein Volk ist alles!“

Die Menschenwürde ist also der zentrale Wert unseresGrundgesetzes, aus dem sich dann die einzelnen Grundrechtewie Meinungsfreiheit, Gleichheit aller vor dem Gesetz, Ver-sammlungsfreiheit, Berufsfreiheit oder auch Religionsfreiheitableiten. Unser Staat erhält seine Legitimation dadurch, dasser die Achtung der Menschenwürde gewährleistet. Da esschwierig ist, die Menschenwürde zu konkretisieren, hat dasBundesverfassungsgericht die sogenannte Objektformelgeprägt, in der es zumindest bestimmt, wann die Menschen-würde verletzt wird:

„Mit der Menschenwürde als oberstem Wert des Grund-gesetzes und tragendem Konstitutionsprinzip ist der sozialeWert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden,der es verbietet, ihn zu einem bloßen Objekt des Staates zumachen oder ihn einer Handlung auszusetzen, die seineSubjektqualität in Frage stellt.“

Mit dieser Formel hat das Bundesverfassungsgerichtoffensichtlich auf die Gedanken Kants zurückgegriffen.

Warum Demokratie Kritik verträgt

Unser Grundgesetz betont neben der Achtung der Menschen-würde die Demokratie als zentrales Herrschaftsprinzip, dasauch gegen seine Gegner verteidigt werden soll. Das Bundes-verfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Verbot der Sozialis-tischen Reichspartei 1952 diese freiheitlich demokratischeGrundordnung präzisiert:

„Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinnedes Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschlussjeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatlicheHerrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmungdes Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und derFreiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegendenPrinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: dieAchtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschen-rechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben

Grundgesetz Art.1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zuachten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ „Die eigene Nation, die moralisch nicht über anderen Nationen steht,

aber gegen diese ihre kulturelle Identität zu bewahren und ihreLebensinteressen zu behaupten hat, ist der höchste ethische Wert.“Quelle: NPD-Parteivorstand (Hg.) :Argumente für Kandidaten&Funktionsträger, 2. Auflage., Berlin 2006

z.B.: „Gleichwertigkeit“ bei den Rechtsextremen

z.B.: Gleichwertigkeit aller Menschen

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 11

und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltentei-lung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßig-keit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, dasMehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für allepolitischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßigeBildung und Ausübung einer Opposition.“

„Herrschaftsordnung“ bedeutet dabei, dass auch in einerdemokratischen Gesellschaft Herrschaft ausgeübt wird. DieVerunglimpfung von Demokratie als „nicht lebensfähig“, weilsie sich nicht durchsetzen könne, ist also unangebracht. Jedochmuss die „Herrschaft“ immer durch Kritik und Konsens ge-rechtfertigt sein – etwa indem Gesetze, bevor sie in Krafttreten können, im Parlament diskutiert werden, indem dortGegenpositionen gehört und Mehrheiten gefunden werdenmüssen. Und dies auf strikter Grundlage von Freiheit undGleichheit der Bürgerinnen und Bürger. In autoritären Herr-schaftsstrukturen dagegen geben die Herrschenden vor,gegenüber den Untertanen bevorrechtigt zu sein, z.B. auf-grund besonderen Wissens, besonderer moralischer Eigen-schaften, besonderer Herkunft o.ä. Kritik an dieser elitärenSelbsteinschätzung ist dabei absolut untersagt.

In der Politik geht es darum, das Zusammenleben in einerGesellschaft mit all seinen Konflikten zu regeln. DemokratischePolitik berücksichtigt dabei die Achtung der Menschenwürdeund ermöglicht die Teilhabe aller in Freiheit und Gleichheit beider Konfliktregelung. Häufig wird Demokratie ausschließlich aufdie Herrschaft im Staat bezogen, die vom Volk durch Wahlen aufZeit zu legitimieren ist. Jedoch hat der Einzelne darüber hinausin einer Demokratie vielfältige Möglichkeiten, sich über Parteien,Verbände oder beispielsweise Bürgerinitiativen sowie überdirektes Engagement wie Demonstrationen, Petitionen undUnterschriftensammlungen an der Politik zu beteiligen. Trotzdemist die Demokratie kein perfektes System. Der frühere britischePremierminister Winston Churchill hat das in einem berühmtenAusspruch verdeutlicht: „Demokratie ist die schlechteste allerRegierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen,die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“ Kritik an derDemokratie ist durchaus erlaubt und sogar ein Bestandteil vonihr. Damit unterscheidet die Demokratie sich fundamentalvon der Diktatur, die jeglichen Widerspruch und jegliche Formvon Mitbestimmung unterbindet. Die Diktatur organisiert dieBegeisterung, die Demokratie dagegen die Kritik!

Demokratie kann also in Theorie und Praxis immer nochverbessert werden und jeder Einzelne ist dazu aufgerufen, seinenTeil beizutragen. Dabei findet dieser Verbesserungsprozess nieein Ende. Denn wo jeder seine eigene Meinung haben darf,ändern sich auch immer wieder die Meinungen darüber, wie diebestmögliche Demokratie auszusehen habe – allein schon durchdie Generationenfolgen.

Warum Demokratie alle angeht

Die Idee der Demokratie bezieht sich allerdings nicht nur aufstaatsförmige Herrschaft, die das Zusammenleben von Menschenregelt, sondern ebenso auf andere Gemeinschaften, derenRegeln die Menschen selbst bestimmen. Demokratie beginnt

bereits in der Familie, wenn Eltern und Kinder sich gegenseitigrespektieren, gemeinsame Angelegenheiten miteinander be-sprechen und zusammen nach Lösungen suchen, um schließlichgemeinsam Entscheidungen zu treffen.

Demokratie als Gesellschaftsform geschieht auch in Verei-nen, in denen die Mitglieder ihren Vorstand für eine begrenzteZeit wählen, damit er Regelungen für das Zusammenlebenbestimmt. Je nachdem, ob die Mitglieder mit der Tätigkeit desVorstands zufrieden sind, wird der Vorstand wiedergewählt odereben nicht. Demokratie geschieht auch in Betrieben. Sofern eseinen Konflikt um einen neuen Tarifvertrag gibt, entscheidendie Gewerkschaftsmitglieder in einer Urabstimmung, ob sie zurDurchsetzung ihrer Interessen in den Streik treten. Demokratiehat übrigens auch in Schulen ihren Platz. Es gibt Schülerver-tretungen, welche für die Interessen der Schülerschaft eintreten.Oder aber Schülerinnen und Schüler erstellen selbst Regeln fürdas Zusammenleben und den Umgang in der Schule.

Was Demokratie vom Einzelnen verlangt

Wenn sich an der Regelung ihres Zusammenlebens alleBetroffenen als Freie und Gleiche beteiligen können, verlangtdies auch dem Einzelnen einiges ab. Insofern ist Demokratieauch eine Lebensform. Sie setzt eine bestimmte Haltung desIndividuums voraus. Zunächst geht es darum, den anderenanzuerkennen und ihm die gleichen Rechte wie sich selbstzuzugestehen. Das bedeutet auch, sich andere Meinungen undInteressen anzuhören und zu tolerieren, auch wenn man sienicht teilt. Denn zu der Frage, wie das Zusammenleben geregeltwerden soll, gibt es keine Antworten mit absolutem Wahrheits-anspruch. Ihre Grenze findet die Toleranz gegenüber derIntoleranz. Wer dem anderen die Anerkennung und gleichbe-rechtigte Mitsprache verweigert, kann nicht seinerseits aufMitspracherechte pochen.

Demokratie ist somit auf ein spezifisches Können ihrerBürgerinnen und Bürger angewiesen. Dieses besteht auchdarin, eigene Interessen zu erkennen und anderen mitzuteilen.Da in einer Demokratie jedoch jeder andere Interessen habenkann und darf, sollte man, wenn es um Angelegenheiten geht,die nicht nur einen selbst betreffen, auch die Sichtweisen vonanderen anerkennen, diese diskutieren und nach Abgleich mitder eigenen Position zu einem tragfähigen Kompromisszusammenführen können.

Weiterhin ist Demokratie auf die Bereitschaft des Einzelnenangewiesen, sich daran zu beteiligen. Denn ohne Engagementstirbt die Demokratie. Demokratische Gesinnung zeichnet sichdeshalb durch ein Mindestmaß an Interesse für die Belangedes Zusammenlebens aus.

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12 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

Freiheit, Demokratie und die Achtung der Bürger- und Menschen-rechte, als Grundlage für ein friedliches Zusammenleben,gab es nicht schon immer. Sie wurden oft mühsam erkämpft.

Der Einsatz für die Demokratie reicht vom Widerstand gegenDiktatur bis hin zu den vielfältigen Möglichkeiten, sich politischzu beteiligen.

Stationen der deutschen Demokratie

1848/1849Die Frankfurter Nationalversammlung, die vom 18. Mai 1848 bis zum 31. Mai 1849 inder Frankfurter Paulskirche tagte, war das erste frei gewählte Parlament für ganz Deutsch-land. Ihr Zustandekommen war Bestandteil und Ergebnis der Märzrevolution in den Staatendes Deutschen Bundes.

19. Januar 1919Vertreterinnen der Frauenbewegung hatten bereits Mitte des 19. Jahrhunderts dasFrauenwahlrecht gefordert. Nach jahrzehntelangem Einsatz errangen die Frauen inder Weimarer Republik erstmals das Wahlrecht in Deutschland.

6. Februar 1919Die vom Volk gewählten Vertreter treten in der Nationalversammlung in Weimarzusammen. Am 11. Februar 1919 wählte die Nationalversammlung den bisherigenReichskanzler Friedrich Ebert (SPD) zum vorläufigen Reichspräsidenten.

1942/43Unter Einsatz ihres Lebens leistete die Gruppe der Weißen Rose um die Geschwister Hansund Sophie Scholl wie auch einige andere in dieser Zeit Widerstand im Dritten Reich undsetzten sich gegen das menschenverachtende nationalsozialistische Regime ein.

23. Mai 1949Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland als rechtliche und politischeGrundordnung (Verfassung) des deutschen Staates tritt in Kraft. Erarbeitet hat esder Parlamentarische Rat von September 1948 bis Mai 1949.

14. November 1952Das Betriebsverfassungsgesetz tritt in Kraft. Die Betriebsverfassung ist die grundlegendeOrdnung der Zusammenarbeit von Arbeitgebern und der von den Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmern gewählten betrieblichen Interessenvertretung.

17. Juni 1953Arbeiter und Arbeiterinnen demonstrieren während des Arbeiteraufstands in der DDRgegen die Erhöhung der Arbeitsnormen, wobei der Protest politische Forderungen aufgreiftund letztlich mit Gewalt niedergeschlagen wird.

Ende der 1960erDie 68er-Bewegung wurde vor allem von Studierenden geprägt. Sie setzten sich für mehrFreiheiten und für die Gleichstellung von Minderheiten ein.

1980erMassendemonstrationen der Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss,das heißt gegen die zusätzliche Stationierung von Waffen.

9. November 1989Die Bürgerinnen und Bürger der DDR erreichen den gewaltfreien Umsturz des undemokra-tischen Systems der DDR und den Fall der Mauer in Berlin.

Dezember 1992 und Januar 1993In Deutschland beteiligen sich über eine Million Menschen an Lichterketten gegenRechtsextremismus, um nach dem Brandanschlag in Mölln ein Zeichen für Toleranz undMenschlichkeit zu setzen.

2007 und 2009In Baden-Württemberg gingen auch in jüngster Zeit immer wieder viele Menschen auf dieStraße, um gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt zu demonstrieren. So zumBeispiel am 12.5.2007 in Horb, am 21.7.2007 in Tübingen, am 1.5.2009 in Ulm, alsüber 5000 Menschen gegen den Aufmarsch von rund 700 Rechtsextremen demonstrierten.Auch am 3.10.2009 in Friedrichhafen und am 20.5.2009 in Reutlingen gingen Menschengegen Rechtsextremismus auf die Straße.

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Das rechtsextreme Weltbild

Mit Rechtsextremismus wird der Teil des rechtenSpektrums bezeichnet, der nicht mehr auf derBasis unseres Grundgesetzes agiert. DieGrenzlinie zwischen Verfassungskonformitätund Extremismus ist jedoch nicht immerleicht zu bestimmen. Der Übergang ist zu-meist fließend. Zu diesem Zweck kennt dasAmtsdeutsch den Begriff Radikalismus. Im Folgendenunterscheiden wir daher zwischen rechtsextremen und dennoch verfassungskonformen rechtsgerichteten (rechtsradikalen)Aktivitäten und Organisationen.

Das Weltbild Rechtsextremer setzt sich, wie jedes Weltbild,aus mehreren Ideologieelementen zusammen. Wenn eine Personalle Ideologieelemente teilt, besitzt sie ein geschlossenes rechts-extremes Weltbild. Teilt die Person jedoch nur einzelne Elementedieses Weltbilds, spricht man bei ihr von einer Nähe (Affinität) zumRechtsextremismus, die nach Stärke und Inhalt variieren kann.

Was zeichnet die rechtsextreme Ideologie aus? –Eine Definition

In der Rechtsextremismusforschung wird diskutiert, wel-che Ideologieelemente unbedingt zu einem rechtsextremenWeltbild gehören. Dass das Weltbild letztlich nicht abschlie-ßend zu bestimmen ist, lässt sich, neben den unterschiedli-chen wissenschaftlichen Auffassungen, auf zwei Ursachenzurückführen. Erstens hat Rechtsextremismus in verschiede-nen Ländern unterschiedliche Ausprägungen. Zum Beispiel giltdie belgische Partei „Vlaams Belang“ als rechtsextrem, obwohlsie sich ausdrücklich vom Antisemitismus distanziert. Zweitensverändert sich das rechtsextreme Weltbild im Laufe der Zeit.Lange Zeit gehörte etwa der Antikommunismus zum klarenMeinungsbild. Nachdem allerdings um das Jahr 1990 der Kom-munismus in Osteuropa zusammenbrach, verlor dieser Teil derIdeologie seine Bedeutung.

Rechtsextremismusforscher einigten sich auf folgendeDefinition: „Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster,dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvor-stellungen darstellen. Diese äußern sich in der Neigung zudiktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstel-lungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung desNationalsozialismus. Sie sind gekennzeichnet durch antise-mitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistischeEinstellungen.“

Rechtsautoritäre Diktatur – Der Abschied vonDemokratie und Menschenwürde

Wer diese Position teilt, lehnt zugleich mehrere grundlegendeBestandteile demokratischer Herrschaft ab. Nach der Vorstel-lung der rechtsautoritären Diktatur soll über die Bevölkerungregiert werden, ohne dass diese über Mitsprache verfügt. Dazugehört auch, die Gleichförmigkeit der Gesellschaft zu erzwin-gen und Interessengegensätzen ihre Berechtigung abzuspre-chen. Bei der Wahl der Mittel nimmt die Diktatur keine

Rücksicht auf die Achtung der Menschenwürde und der Men-schenrechte, denn das Kollektiv hat stets Vorrang. Gerechtfer-tigt wird diese diktatorische Herrschaft nicht durch Wahlen,sondern durch ein Konstrukt wie „Rasse“ oder „Nation“, dasabsolut gesetzt und für nicht verhandelbar erklärt wird. Umge-setzt werden soll dies durch eine Einparteienherrschaft, anderen Spitze ein Führer steht, der niemandem Rechenschaftschuldig ist.

Vertreterinnen und Vertreter einer solchen Positionstimmen beispielsweise folgenden Aussagen zu:a) Wir sollten einen Führer haben, der Deutschlandzum Wohle aller mit starker Hand regiert. b) WasDeutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei,die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.

Chauvinismus –Die eigene Nation als allen anderen überlegenUnter Chauvinismus wird ein aggressiver Nationalismus ver-standen, der keine Rücksicht auf die Demokratie nimmt. Dieeigene Nation gilt dabei als anderen Nationen überlegen. Einübersteigertes nationales Selbstbewusstsein entspricht alsoeiner Abwertung anderer Länder. Während bei der Volksge-meinschaft ein vorgeblich gemeinsames Interesse ohne Rück-sicht auf die Achtung der Menschenwürde innerhalb einesStaates durchgesetzt wird, geht es beim Chauvinismus um dieIdee eines nationalen Interesses nach außen. Dieses gelte esgegenüber anderen Ländern durchzusetzen, was auch gewalt-same Auseinandersetzungen einschließt.

Wer diese Position teilt, befürwortet etwa die Aus-sagen: a) Deutschland sollte aufgrund seiner Stärke vorallen anderen Nationen der Welt stehen. b) Das obersteZiel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschlanddie Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit –Ablehnung einer heterogenen GesellschaftDarunter werden feindselige Einstellungen gegenüber Migran-tinnen und Migranten erfasst. Diese Vorurteile basieren zumeinen auf der Ablehnung einer heterogenen und der Befürwor-

Befürwortung einerrechtsautoritären Diktatur

Verharmlosung und Leugnungdes Nationalsozialismus

Chauvinismus

Ausländer- undFremdenfeindlichkeit

Antisemitismus

Sozialdarwinismus

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tung einer homogenen Gesellschaft. Zum anderen liegt ihnender Gedanke von geschlossenen, unabänderlichen kollektivenIdentitäten zugrunde, der auf dem Nationalismus aufbaut:„Wir Deutsche“ und „die Ausländer“. Ausländerfeindlichkeitfindet in verschiedenen Ausprägungen statt. Der biologischeRassismus behauptet, dass das „Volk“ über „Blutsbande“verbunden sei. Insofern würden Migranten und Migrantinnendiese „Blutsbande“ zerstören. Diese Auffassung drückt sichin der Aussage aus: „Die Deutschen sterben aus.“ Es wirdvon der Existenz von Rassen und von einer Höherwertigkeitder eigenen Rasse ausgegangen. Beim kulturellen Nationa-lismus steht der Gedanke im Mittelpunkt, dass sich unter-schiedliche nationale Kulturen, die jeweils als unabänderlichbetrachtet werden, unvereinbar gegenüberstehen. Deswegenmüsse man die eigene Kultur – wenn nötig auch aggressiv –verteidigen. Die anthropologische Fremdenfeindlichkeitgeht von einer „natürlichen Ordnung“ aus, wonach das„Fremde“ stets eine Gefahr darstelle und man sich gegenGefahren wehren müsse. Häufig wird dabei das „Fremde“sogar mit dem Feind gleichgesetzt. Die feindselige Einstellunggegenüber Migranten und Migrantinnen äußert sich unter an-derem in der Unterstellung von negativen Attributen und inder Vorenthaltung von Rechten und kann bis zur Ausübungvon Gewalt reichen.

Beispielhafte Aussagen hierfür sind: a) Die Auslän-der kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat aus-zunutzen. b) Die Bundesrepublik ist durch die vielenAusländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.

Antisemitismus –Feindselige Einstellungen gegenüber JudenAntisemitismus ist der Sammelbegriff für feindselige Einstel-lungen gegenüber Juden und Jüdinnen. Antisemitismus reichtbis ins frühe Christentum zurück. Ab der zweiten Hälfte des18. Jahrhunderts kamen rassistische und kulturanthropologi-sche Begründungsmuster auf, die den religiösen Antisemitis-mus, den Antijudaismus, weitgehend ablösten. Antisemitensehen Juden als minderwertig, aber auch als Bedrohung an,weswegen sie Feinde seien, die man bekämpfen müsse.In mancherlei Hinsicht ähnelt Judenfeindlichkeit deshalbder Ausländerfeindlichkeit: Antisemiten unterstellen Judenund Jüdinnen schlechte Eigenschaften und rechtfertigen zumTeil sogar Gewalt. Bemerkenswert ist seit einigen Jahren inDeutschland ein sogenannter sekundärer Antisemitismus:Dieser nimmt den Holocaust zum Anlass für antisemitischeRessentiments. Demnach würden „die Juden“ Auschwitzbenutzen („Auschwitzkeule“), um den Deutschen ein schlech-tes Gewissen zu machen und Geld zu verdienen – sie seienalso selbst dafür verantwortlich, wenn ihnen Ablehnungentgegenschlägt.

Antisemiten erheben zum Beispiel diese beiden Vor-würfe: a) Die Juden arbeiten mehr als andere Menschenmit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen.b) Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigen-tümliches an sich, sie passen nicht so recht zu uns.

Sozialdarwinismus – Unterscheidung zwischen„wertvollem“ und „unwertem“ LebenBeim Sozialdarwinismus wird die Gesellschaft, wie beim Rassis-mus, biologisch verstanden. Dabei beziehen Sozialdarwinistensich auf Charles Darwin (1809–1882). Dieser entwickelte dieTheorie, dass die Mitglieder einer Art überleben, die am bestenan die Umweltbedingungen angepasst sind. Mit seinem be-rühmten Ausspruch „survival of the fittest“ bezog er sich aufdie Auslese in der Natur, welche über die Anpassungsleistungdes Einzelnen erfolge. Der Sozialdarwinismus verfälscht diesenGedanken, indem er den Ausspruch als „Überleben der Stärksten“auslegt und damit meint, dass eine Art (Spezies) nur über-leben könne, wenn die Stärksten überleben. Diese Annahmeüberträgt der Sozialdarwinismus nun auf die menschlicheGesellschaft und spricht damit „schwachen“ Mitgliedern dieExistenzberechtigung ab, weil sie die eigene Spezies angeblicham Überleben hinderten. Folglich trifft dieses Gesellschafts-verständnis eine Unterscheidung zwischen „wertvollem“ und„unwertem“ Leben.

Sozialdarwinisten bejahen zum Beispiel die beidenAussagen: a) Wie in der Natur sollte sich in der Gesell-schaft immer der Stärkere durchsetzen. b) Es gibt wert-volles und unwertes Leben.

Die Verharmlosung und Leugnungder Verbrechen der Nationalsozialisten

Rechtsextremisten leugnen entweder den Holocaust zurGänze oder versuchen, ihn zu verharmlosen. Dies beziehtsich neben dem Holocaust außerdem auf die Kriegsschuld undKriegsverbrechen der Deutschen sowie auf die menschenver-achtende nationalsozialistische Diktatur. Die Verharmlosunggeschieht durch eine Gleichsetzung der nationalsozialistischenVerbrechen mit Verbrechen anderer Staaten (z.B. des Holocaustsmit anderen Genoziden in der Geschichte), durch Bagatellisie-rung der Verbrechen, durch Verweis auf Ursachen, die nichtvom Nationalsozialismus zu verantworten seien und schließlichdurch das Hervorheben von vermeintlich „guten Seiten“ desRegimes, ohne die Missachtung von Demokratie und Menschen-würde zu berücksichtigen.

Diese Einstellung spiegelt sich zum Beispiel inden folgenden zwei Aussagen wider: a) Die Verbrechendes Nationalsozialismus sind in der Geschichtsschrei-bung weit übertrieben worden. b) Der Nationalsozialis-mus hatte auch seine guten Seiten.

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 15

Führung

Entscheidungsfindung

Parteien

GesellschaftlicheOrganisationen

Parlament

Justiz

Menschenbild

Gesellschaft

Bürger/-innen

Frauenbild

Grundrechte

Meinungsfreiheit

Presse

Minderheiten

Rechtsextremes Weltbild

Führung legitimiert sich selbst als Vollstreckereines angeblichen Volkswillens

Eine Elite bestimmt durch Diktatur

Einheitspartei

Die Einheitspartei steuert alle gesellschaftlichenOrganisationen

Ort der Unterstützung für die Diktatur

Politik bestimmt Rechtsprechung

Der Volkswillen wird ohne Rücksicht aufIndividualrechte festgelegt

Volksgemeinschaft: Wer von der Norm derIdeologie abweicht gehört nicht dazu, wirddiskriminiert und gegen den darf, wenn nötig,mit Gewalt vorgegangen werden

Bürger/-innen haben sich unterzuordnen

Frauen haben in erster Linie den Mann zu unter-stützen und die Kinder großzuziehen

Eine Elite entscheidet, welche Freiheitengewährt werden

Überwachung der politischen Gesinnung –Meinungsdiktatur

Zensur und keine freie Presse

Minderheiten werden verfolgt

Demokratisches Weltbild

Volk wählt Abgeordnete auf Zeit

Diskussion, Konsenssuche und Abstimmung –Jeder und jede kann sich einmischen

Mehrere Parteien

Gesellschaft organisiert sich selbst in vielfältigenVereinen, Initiativen etc.

Ort der Diskussion um beste Politik

Unabhängige Rechtsprechung

Menschenwürde und gleiches Recht für alle

Offene Bürgergesellschaft: Jeder Mensch hateinen Wert an sich und kann seine Persönlich-keit frei entfalten, sofern er dadurch die Freiheitdes anderen nicht einschränkt

Bürger/-innen können und sollen sich durchWahlen, Abstimmungen und politischesEngagement einmischen

Frauen entscheiden selbst über ihre Rolle

Durch das Menschsein besitzt jeder unveräußer-liche Grundrechte

Meinungsfreiheit und öffentliche Diskussionen

Pressefreiheit und Kontrolle der Mächtigen

Schutz von Minderheiten durch Grundrechte

Gegenüberstellung von rechtsextremem unddemokratischem Weltbild

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Rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen

Wähleneiner rechtsextremen Partei

Mitgliedschaft in einer rechtsextremenGruppe oder Organisation

Politische Aktivitätenim rechtsextremen Milieu

Straftatenmit rechtsextremem Hintergrund

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 17

Ein rechtsextremes Weltbild kann einen Menschen in unter-schiedlicher Weise beeinflussen. Üblicherweise unterscheidendie Forscher/-innen dabei zwischen rechtsextremen Einstellun-gen und Verhalten. Diese Unterscheidung bezeichnen sie auchals latenten (im Denken) und manifesten (im Handeln) Rechts-extremismus. Dabei gehen die Einstellungen dem Verhaltenvoraus. Einstellungen beeinflussen die Wahrnehmung derWirklichkeit. Wer beispielsweise von einer Straftat einesMigranten hört und rassistisch eingestellt ist, verallgemeinertdiese Information und könnte zu dem Ergebnis kommen: DieAusländer sind allesamt Kriminelle. Diese durch Einstellungengesteuerte Wirklichkeitswahrnehmung ist deshalb wichtig,weil jeder Mensch so handelt, wie er die Wirklichkeit wahr-nimmt. Insofern sind die Einstellungen Grundlage für dasVerhalten. Grundlage heißt aber auch, dass rechtsextreme Ein-stellungen zwar eine Bedingung für rechtsextremes Verhaltensind, gleichwohl sich nicht jeder und jede mit rechtsextremenEinstellungen auch rechtsextrem verhält. Neben den Ein-stellungen müssen Motiv und Gelegenheit vorliegen. Personenmit rechtsextremen Einstellungen, die in einem demokratischgefestigten Umfeld leben, werden eher nicht durch rechts-extreme Handlungen auffallen. Zudem ist nur ein Teil derBürgerinnen und Bürger politisch aktiv. Deswegen verwundertes nicht, dass rechtsextreme Einstellungen wesentlich ver-breiteter sind als rechtsextremes Verhalten. Allerdings falleneinige Personen auch durch rechtsextreme Handlungen – wiedas Wählen von rechtsextremen und rechten Parteien – auf,ohne dass sie rechtsextreme Einstellungen besitzen. Dabeihandelt es sich um ein Protestverhalten, um zum Beispiel dieUnzufriedenheit mit der Politik der etablierten Parteien auszu-drücken und die Öffentlichkeit zu schockieren.

Wie tief sind rechtsextreme Einstellungenin der Gesellschaft verankert?Wie hoch der Anteil von Bürgerinnen und Bürgern mit rechts-extremen Einstellungen eingeschätzt wird, hängt auch davonab, ab wann man bestimmte Einstellungen als rechtsextremeinstuft. Deswegen weisen die Ergebnisse verschiedener Un-tersuchungen zum Teil erhebliche Unterschiede auf. Die erstegroße Studie dazu erstellte das Sinus-Institut 1981 im Auftragder Bundesregierung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass rund13 Prozent der repräsentativ Befragten ein geschlossenesrechtsextremes Weltbild aufweisen, ein Weltbild also, das allewesentlichen rechtsextremen Ideologieelemente aufweist.Eine repräsentative Erhebung im Jahr 2003 durch Forsa imAuftrag einer Forschergruppe am Otto-Suhr-Institut fürPolitikwissenschaft der Freien Universität Berlin ermittelte16 Prozent mit rechtsextremen Einstellungen in Deutschland.Diese Untersuchung zeigt auch auf, dass rechtsextreme Ein-stellungen bei Frauen ungefähr so häufig anzutreffen sindwie bei Männern.

Wie verbreitet Einstellungen zu den im rechtsextremenWeltbild angeführten sechs Ideologieelementen sind, habendie Forscher Elmar Brähler und Oliver Decker zwischen 2002und 2008 im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht.

Anhand eines Fragenkatalogs wurde die Zustimmung zu be-stimmten einschlägigen Aussagen gemessen. Die überwiegendeund die totale Zustimmung (Ankreuzen der letzten beidenAntworten einer 5-er oder 7-er Skala) wurden als Befürwortungaufgefasst. Dabei zeigten sich in Baden-Württemberg (und imBund) folgende Ergebnisse:– Eine rechtsautoritäre Diktatur befürworten

3,7 Prozent (5,4 Prozent).– Chauvinismus befürworten 14 Prozent (18,1 Prozent).– Ausländerfeindlichkeit befürworten

17,8 Prozent (24,5 Prozent).– Antisemitismus befürworten 13,3 Prozent (9 Prozent).– Sozialdarwinismus befürworten 1,8 Prozent (4,7 Prozent).– Verharmlosung des Nationalsozialismus

befürworten 7,2 Prozent (4 Prozent).Diese Erhebung wurde zwischen 2002 und 2008 mehrfachdurchgeführt, die Forscher kamen dabei immer wieder zu ähn-lichen Ergebnissen. Daraus lässt sich schließen, dass diese Ein-stellungen über die Jahre relativ stabil sind.

Von der rechtsextremen Einstellungzum rechtsextremen HandelnDie Forschung schlüsselt das Verhalten üblicherweise in ver-schiedene Handlungen auf, die man als Rangfolge darstellt,wobei ein zunehmendes Engagement unterstellt wird:1. Wählen einer rechtsextremen oder rechtsgerichteten Partei,2. Mitgliedschaften in rechtsextremen und rechtsgerichteten

Organisationen,3. politische Aktivitäten im rechtsextremen Milieu,4. Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund.

Die erste Handlungsebene – Wählen einerrechtsextremen oder rechtsgerichteten ParteiDas Wählen einer rechtsextremen oder rechtsgerichteten Parteiist die erste Handlungsebene. Hier findet noch am ehestenProtestverhalten statt, ohne dass dieses zwangsläufig einenrechtsextremen Hintergrund haben muss. Die Übergänge sindallerdings fließend. Besonders schwierig ist die Einschätzung beirechtspopulistischen Parteien, die in einer Grau(Braun)-zonezwischen Rechtsextremismus und demokratischem Spektrumagieren, wie in Hamburg die Schill-Partei. Bei den Bundestags-und Europawahlen haben die rechtsextremen Parteien NPD,DVU und die rechtsgerichteten Republikaner seit der Wiederver-einigung zusammen nie 5 Prozent erreicht – maximal gewannensie 4,1 Prozent, bei der Europawahl 1994. Bei Landtagswahlenhingegen schafften sogar die einzelnen Parteien mehrfach dieÜberwindung der 5-Prozent-Hürde und damit den Einzug in denLandtag. In Baden-Württemberg gelang dies den Republikanernzweimal. Ferner gewannen rechtsextreme und rechtsgerichteteParteien immer wieder bei Kommunalwahlen Mandate. Bei derKommunalwahl 2009 in Baden-Württemberg errangen sie zu-sammen 4 Mandate. Da auf dieser Ebene keine Sperrklauselngelten, konnten sie bereits mit wenigen Prozentpunkten Sitzein den kommunalen Parlamenten erringen.

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18 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

Bei der Bundestagswahl 2009 bekam die NPD allein inBaden-Württemberg 89204 Erststimmen was knapp 1,6 Prozententspricht. Die Wahlergebnisse der rechten Parteien stehenmeist im Gegensatz zur Akzeptanz ihrer Positionen. So ergabeine Untersuchung des Otto-Suhr-Instituts aus dem Jahr 2003,dass etwa 9 Prozent der Befragten in Deutschland sich vorstellenkönnten, rechtsextreme Parteien zu wählen, dies aber nicht tun.

Die zweite Handlungsebene –Mitgliedschaft in rechtsextremen OrganisationenDie Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Organisationsignalisiert eine dauerhafte, stabile Bindung und Zustimmungzu den in der Organisation vertretenen Positionen. Währenddiese Mitgliedschaften bei den Parteien noch relativ leicht zu er-mitteln sind, stellt sich dies in der subkulturellen rechtsextremenJugendszene anders dar. Diese ist ausdrücklich informellorganisiert – auch um staatliche Repressionsmaßnahmen zuerschweren. Insofern sind die Angaben der statistischen Erhe-bung als Trendangaben zu verstehen. Aktuell wird die Anzahlder Mitglieder des gesamten bundesweiten rechten Spektrumsvon den Behörden auf mehr als 30 000 Mitglieder geschätzt.Hierbei kommt es immer wieder zu Verschiebungen zwischenden Organisationen. Die DVU hat in den vergangenen Jahrenerhebliche Verluste zu verzeichnen, während die NPD sowieparteilos organisierte Neonazis, allen voran die sogenannten„Autonomen Nationalisten“, einen deutlichen Zulauf feststellenkonnten. Dies zeigt, dass die Anzahl der radikaleren Mitgliederzu-, und die der gemäßigteren abnahm. Ähnlich verlief die Ent-wicklung in Baden Württemberg, wo die Anzahl der Mitgliederund Aktiven auf rund 2700 geschätzt wird und die Jugendszeneim bundesweiten Vergleich sehr stark ist, wie zum Beispiel inder rechten Skinheadszene oder bei der NPD-Parteijugend,den „Jungen Nationaldemokraten“ (JN).

Die dritte Handlungsebene –Politische Aktivitäten im rechtsextremen MilieuMit politischen Aktivitäten ist jedwede Aktivität gemeint, obDemonstrationen, Organisation von Infoständen, Betreiben einerWebsite, Vorsitz eines Kreisverbandes, Schreiben von Leser-briefen oder Ähnliches. Da gerade die rechtsextremen Parteienunter ihren Mitgliedern zahlreiche „Karteileichen“ haben,machen die politisch aktiven Rechtsextremen nur einen Bruch-teil der Mitglieder aus, insbesondere bei der DVU. Die neona-zistischen Kameradschaften hingegen sind gerade durchAktionismus geprägt, insofern existieren dort kaum passiveMitglieder. Bei den rechtsextremen Skinheads bezieht sichder Aktivismus eher auf den Besuch von subkulturellen Veran-staltungen wie Konzerten oder „Saufabenden“. Zwar handelt essich dabei nicht um politische Aktivitäten im engeren Sinne,jedoch stärken diese das Zusammengehörigkeitsgefühl derSzene. Verlässliche Zahlen existieren nur für einzelne Aktivitäten.So fanden im Jahr 2008 laut Verfassungsschutzbericht bundes-weit 155 angemeldete neonazistische Demonstrationen statt,gut die Hälfte von der NPD angemeldet. Laut dem Landesverfas-

sungsschutzbericht 2008 fanden davon 12 Demonstrationen inBaden-Württemberg statt. Die Teilnehmerzahlen schwanktenhierbei zwischen Veranstaltungen mit weniger als zwanzig Leutenbis hin zu Veranstaltungen mit bis zu 6000 Teilnehmern aus ganzEuropa, wie bei dem sich alljährlich im Februar wiederholenden„Trauermarsch“ in Dresden. In Baden-Württemberg fand diegrößte Demonstration von Rechtsextremen am 1. Mai 2008 mitca. 1000 Teilnehmern statt. 2009 marschierten zum 1. Mai alleinein Ulm 700 Rechtsextreme aus dem süddeutschen Raum auf.(Quelle: Angabe des Polizeipräsidiums Ulm)

Die vierte Handlungsebene –Straftaten mit rechtsextremem HintergrundIm Jahr 2008 zählte das Bundesinnenministerium bundesweit19 894 rechtsextrem motivierte Straftaten. 2007 waren es noch17176 Straftaten. Auch die Zahl der Gewalttaten ist gestiegen.Im Jahr 2007 waren es noch 980, 2008 bereits 1042. Im Jahr2007 verzeichnete man in Baden-Württemberg 1062 Straftaten,ein Jahr später 1209. Die rechtsextremen Gewalttaten sankenvon 78 in 2007 auf 56 in 2008. Obwohl bundesweit seit einigenJahren eine Zunahme gezielter Aktionen gegen politischeGegner/-innen zu beobachten ist, sind die Gewalttaten insge-samt nur in seltenen Fällen geplante Aktionen. In der Regelverüben sie kleine Gruppen, die nicht dem organisiertenRechtsextremismus angehören und häufig unter Alkoholein-fluss stehen. Auch wenn auf der Handlungsebene zwischenlegalen und illegalen Aktivitäten unterschieden werden kann,sei darauf hingewiesen, dass eine Trennung in nicht gewalt-tätige – und damit vermeintlich harmlose – und gewalttätigeRechtsextreme den ideologischen Zusammenhang außer Achtlässt. Denn die Missachtung der Menschenwürde ist elementarerBestandteil des Rechtsextremismus. Insofern sind die gewalt-tätigen Rechtsextremen „Vollstrecker“ der auch von den nicht-militanten Rechtsextremen geteilten Ideologie. Die Behördengehen davon aus, dass fast ein Drittel aller Personen desrechtsextremen Spektrums gewaltbereit sind.

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Rechtsextremismus in Baden-Württemberg hat viele Gesichter:Von der Arbeit rechtsextremer und rechtsgerichteter Parteien,die Wählerinnen und Wähler für sich zu mobilisieren versu-chen, über rechte Musikvertriebe, Zeitschriften und Bildungs-

einrichtungen bis hin zu Organisationen und Subkulturen derrechten Szene, die auch Gewalt als Mittel zur Durchsetzungihrer Interessen einsetzen.

Rechte Aktivitäten und Wahlergebnisse in Baden-Württemberg

Rechte Aktivitäten

Gewalttaten mit Todesopfern 1991–2003Hochburgen von rechten SkinheadsHochburgen der Freien KräfteStützpunkte der Jungen NationaldemokratenKonzerteMusikvertriebeVerlageDemonstrationenFund von Sprengstoffen

19.07.1996 Werner Weickum | Eppingen

08.07.1992 Sadri Berisha | Ostfildern-Kemnat

Göppingen

Hohenlohe

Ostalb

Reutlingen-Esslingen

Stuttgart

Ulm/Heidenheim

Ludwigshafen

Mannheim

Heidelberg

StuttgartWaiblingen

Schwäbisch Gmünd

Göppingen

Villingen-Schwenningen Sigmaringen

Laupheim

Friedrichshafen

Singen

Grabert-VerlagHohenrain-Verlag

05.04.2008 Brigachtal-Klengen

26.04.2008 Birkenfeld

26.04.2008 Böhmenkrich-Treffelhausen

23.08.2009 Alfdorf

08.11.2008 Gäufelden-Öschelbronn

Der 20 Jahre alte Tim Maier war mit mit F

reunden ausländischer

Herkunft unterwegs. Nach einer Ause

inandersetzung mit einem

ehemaligen NPD-Mitglied wurde er vo

n diesem erstochen.

Am 20. Dezember 2003 wurden die drei j

ugendlichen Aussiedler

Aleksander S. (17),Viktor F. (15) und W

aldemar I. (16) von

einem bekanntem Rechtsextremen, nach einem Wortgefecht

in Heidenheim erstochen.

Der Russlanddeutsche Arthur Lampel

bekam auf einem Fest in

Bräunlingen von einem rechten Skinhead

ein Bierglas

an den Kopf geworfen. Er verstarb, w

eil ein Splitter in die

Halsschlagader eindrang.

Der 44-jährige Werner Weickum wird am 19. Juli 1996 am Bahnhof

von Eppingen voneiner rechten Juge

ndbande überfallen,

ausgeraubt und zuTode geprügelt.

Der 56-jährige Kosovo-Albaner Sadri

Berisha wird am 8. Juli 1992

in Ostfildern-Kemnat von rechten Skin

heads mit einem Base-

ballschläger erschlagen, nachdem diese sich Hitler-R

eden

anhörten und danach in seine Wohnu

ng eindrangen.

In der Nacht zum 17. Juni 1991 wirdder Angolaner Ago

sthino

Comboio in Friedrichshafen von einen

Rechtsextremen verprügelt

und erstochen.

Quelle: www.Opfer-rechter-Gewalt.de

20.12.2003 Waldemar I. | Heidenheim

20.12.2003 Aleksander S. | Heidenheim

20.12.2003 Viktor F. | Heidenheim

09.09.2001 Arthur Lampel | Bräunlingen

16.06.1991 Agostinho Comboio | Friedrichshafen

06.04.2008 Mannheim

01.05.2009 Ulm

23.02.2008 Pforzheim

Chaos Crew

RACords

Main-Tauber

Heilbronn

Schwäbisch HallKarlsruhe

Bodensee

KonstanzLörrach

Die hier aufgeführten Aktivitäten(Stand 2009) haben beispiel-haften Charakter und könnenaufgrund der sich schnelländernden Szene nicht denAnspruch auf dauerhafteAktualität erfüllen.

26.08.2009 Weil am Rhein

26.11.2005 Tim Maier | Bad Buchau

Rems-Murr-Kreis

Waiblingen

Rhein-Neckar

Rastatt

Karlsruhe

Karlsruhe

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20 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

In Freiburg hat es die rechte Szene schwer. Eine wach-same, linksliberale Öffentlichkeit und mehrereengagierte Antifagruppen sorgen dafür, dass offeneNeonazi-Strukturen erst gar nicht entstehen können.Dieser Umstand, der Migranten, Homosexuellen,alternativen Jugendlichen und anderen Menschen,die nicht in das enge Weltbild der Fanatiker passen,ein Leben ohne Angst beschert, ist den Rechten selbstein Dorn im Auge:

„Freiburg ist bislang noch unser Sorgenkind“, hieß esEnde August vergangenen Jahres auf der rechtsextremenInternetplattform „Altermedia“ […] „Wir müssen hier weitausentschlossener und zielstrebiger vorgehen als dies in derVergangenheit der Fall war. […] Ein Sturmgewehr imSchrank ist völliger Blödsinn – viel zu schwer und zu auf-fällig. Armee- und Polizeipistolen sind viel effektiver und vonLaien auch ohne intensive Schießausbildung nach kurzerEinweisung passabel zu bedienen.1“

Das linke Veranstaltungszentrum KTS sei ein lohnendesZiel, hieß es weiter. Kurz darauf wurde am 9. September 2009tatsächlich ein Brandanschlag auf die KTS verübt.

Der Anschlag war wohl nicht zuletzt ein Racheakt für diekurzzeitige Inhaftierung des JN-Stützpunktleiters von Lörrach.Zwei Wochen zuvor war Thomas B. aus Weil am Rhein festge-nommen worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits genü-gend Chemikalien, Zünder etc. beisammen, um damit hoch-explosive Bomben bauen zu können. Er hatte wohl auch schonein Ziel ausgemacht: Die Freiburger KTS.

Seit dem 27. August 2009, dem Tag der Festnahme Bs., isterstmals auch einer breiten Öffentlichkeit bewusst geworden,dass in Baden-Württemberg eine gewalttätige rechtsextremeSzene agiert, die offenbar vor nichts zurückschreckt.

Ausmaße rechter Gewalt inBaden-WürttembergNicht nur qualitativ scheint mit den Vorbereitungen zueinem Sprengstoffanschlag eine neue Dimension erreicht.Auch die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftatenhat sich in Baden-Württemberg weiter erhöht. Die Behördenregistrierten anno 2008 1209 Fälle – 167 mehr als im Jahrzuvor. Der Höchstwert aus dem Jahr 2006 ist damit in Reich-weite. Diese Summe hat allerdings auch eine erfreulicheKomponente. So ist die Zahl der registrierten Gewalttatenzurückgegangen; von 78 (2007) auf 56 (2008). Das dürfteallerdings nicht auf eine etwaige gesunkene Militanz derSzene zurückzuführen sein, sondern primär auf den Umstand,dass die Szene 2008 aufgrund eines Strategiewechsels deut-lich weniger öffentliche Aufmärsche und Demonstrationenangemeldet hat als in den Jahren zuvor. Dementsprechendreduzierte sich naturgemäß die Zahl gewalttätiger Zusammen-stöße mit Gegendemonstranten. Doch auch fernab derAufmärsche stellte die Szene ihre Gewaltbereitschaft auferschreckende Art und Weise unter Beweis. Gewalt ist für dierechte Szene konstitutiv, sie gehört zur Corporate Identity –zunächst einmal habituell.

Gewalttätige Übergriffe durch Rechtsextreme –eine Auswahl2:

Biberach, 25. Januar 2009Am Morgen des 25. Januar wurden ein 17- und ein 23-jährigerPunk von vier Neonazis grundlos attackiert. Auf den 23-Jäh-rigen wurde mit einem Metallrohr eingeschlagen. Außerdemerhielt er Faustschläge und Fußtritte. Das Opfer musste mitstark blutenden Kopfverletzungen mehrere Tage stationär ineiner Klinik verbringen. Das jüngere Opfer kam mit leicht-eren Verletzungen davon.(Schwäbische Zeitung v. 7. März 2009)

Weinheim, 27.03.2009Acht junge mit Sturmhauben vermummte Männer habenam Abend des 27. März Schüler, die auf dem Weg zu eineralternativen Kneipe unterwegs waren, nach einer verbalenAuseinandersetzung angegriffen und zum Teil verletzt.Zum Einsatz kamen unter anderem ein Teleskopschlagstock,eine Holzlatte, ein Metallrohr und fliegende Bierflaschen.Zwei Opfer erlitten Schürfwunden, Hämatome, Prellungenund Platzwunden.(Rheinpfalz v. 9. April 2009)

Pforzheim, 16.05.2009Am Abend des 16. Mai wurde in Pforzheim ein dunkelhäutigerJugendlicher von drei Skins attackiert. Ein Täter schlugdem 14-jährigen Opfer von hinten mit der Faust ins Genick.Einer der Täter soll der Anführer des „Heidnischen SturmsPforzheim“ sein.(Pforzheimer Zeitung v. 19. Mai 2009 und v. 30. Mai 2009)

Ravensburg/Baden-Württemberg 11.09.2009Fünf polizeibekannte junge Neonazis haben am 11. Septemberin Ravensburg bei zwei Übergriffen vier junge Leute mitSchlägen und Flaschenwürfen verletzt. Ein 17-jähriges Mäd-chen erlitt eine Platzwunde am Kopf.(AP v. 18. September 2009)

Politische Funktion der GewaltWerwölfe, Pitbulls mit gefletschten Zähnen, allerlei Waffen,Slogans wie „Rotfront, verrecke“ bis „Run, Nigger, run“ – dieÄsthetik der in der Szene favorisierten Shirts vermarktetAggression. Gleiches gilt selbstredend für die Musik: Die Texteder wichtigsten Szenegrößen kreisen geradezu pathologischum das Thema Gewalt, mittels derer „die Ausländer“, „Schwule“,„Neger“, „ Juden“, der politische Gegner („Zecken“) und letzt-lich „das System“ zu rechnen hätten. Wer sich den Rechtenund ihren Barden entgegenstellt – das ist der Tenor einesGroßteils der Songs – muss mit allem rechnen.

Mit der NPD hat die mit Abstand radikalste rechtsextremePartei als faktisches Sammelbecken der Szene überlebt. Auchdas ist keine gute Nachricht für Demokraten. Nach der fort-schreitenden Erosion der Republikaner, die im Südwesten aller-dings bei allem Schwund noch vergleichsweise stark sind und

Gewalt als Kitt für den Zusammenhalt der rechten SzeneEin Beitrag von Christoph Ruf

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 21

dem faktischen Ende der Deutschen Volks Union (DVU) istdie NPD die mit Abstand militanteste rechtsextreme Partei,auch in Baden-Württemberg die unangefochtene Führerin imrechten Lager. Das hat Folgen – nicht nur an der Wahlurne,sondern in dem Bereich, den NPD-Strategen als „vorpolitischenRaum“ bezeichnen.

Unter ihrem Vorsitzenden Udo Voigt hat sich die NPD zu-sehends von einer Partei klassischen Typs zu einer „Bewegungdes nationalen Widerstandes“ gewandelt, wie Voigt selbstformuliert. Trotz mancher Streitigkeiten und der Tatsache,viele lose organisierte Rechtsextreme die NPD mit Skepsisbeäugen, ist der von Voigt ausgerufene Schulterschluss mitder gewaltbereiten Kameradschaftsszene noch ziemlich intakt.So übernehmen Kameradschaftsaktivisten nicht nur wichtigeFunktionen (Saalschutz, Wahlkampf), sie erledigen auch aufder Straße das Geschäft der Partei, die dabei nur eine Sorgehat: Dass der Parteiname mit Gewalttaten in Verbindunggebracht werden kann.

Das „Vier-Säulen-Modell“Ziel der NPD ist es, an mehreren Fronten parallel zu agieren(„Vier-Säulen-Modell“): Den Kampf um die Parlamente, denKampf um die Köpfe und den Kampf um die Straße zugewinnen. Die NPD versteht sich als „nationalrevolutionäre“Formation, nicht als klassische Wahlpartei. Seit Ende 2004 isteine vierte „Säule“ hinzugekommen, der „Kampf um denorganisierten Willen“.

Der „Kampf um die Straße“ bezieht sich in offiziellenVerlautbarungen der Partei auf die Ausrichtung von Demons-trationen und Aufmärschen. De facto ist damit aber weit mehrgemeint. Man strebt die Hegemonie für die eigenen Themenan, die Schaffung rechtsfreier Räume, in denen die rechts-extreme Szene ihre eigenen Gesetze schafft und durchsetzt.In ausgewählten Gebieten hat sich die Partei vorgenommen,eine Parallelgesellschaft zu formen, in der nicht mehr dieGesetze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dasZusammenleben der Menschen bestimmen. In ihren Hoch-burgen, beispielsweise in Ostsachsen oder Vorpommern ist derrechte Lifestyle nicht zuletzt aufgrund massiver physischerGewalt schon dominant („National Befreite Zone“). In Baden-Württemberg, wo die Bewegung in manchen Regionen weitge-hend inexistent, in anderen wiederum gut vernetzt ist, ist esdas Ziel, den eigenen Status auszubauen. Ziel ist auch hier dieSchaffung rechtsfreier Räume, in denen das rechtsextremeWeltbild der JN, nicht das des Grundgesetzes, das Zusammen-leben der Menschen prägt (siehe Seite 26/27).

WortergreifungEbenfalls im Zusammenhang mit dem „Vier-Säulen-Modell“ist die so genannte „Wortergreifungsstrategie“ zu sehen, diebereits 2003 entwickelt wurde. NPD-Parteichef Udo Voigtfordert seine Kameraden seither immer wieder dazu auf, Ver-anstaltungen des politischen Gegners zu unterwandern:„Drängen wir ihnen unsere Gedanken auf, ja zwingen wirsie dazu, sich mit uns, unseren Forderungen und Zielsetzun-gen zu beschäftigen.3“

Die Strategie ist nicht unlogisch: Da Gegendemonstrantenregelmäßig die Durchführung ihrer Veranstaltungen behindernund der klammen Partei zunehmend das Geld für eigene Vor-träge fehlt, sollen die NPD-Anhänger Treffen des politischenGegners besuchen und Thema und Diskussion in ihrem Sinnebeeinflussen. Auch so könne man auf die eigenen Themenaufmerksam machen und neue Sympathisanten gewinnen(siehe Seite 29).

In Baden-Württemberg kam es im vergangenen Jahrallein bei Aufklärungsveranstaltungen des Rechtsextremismus-experten der SPD-Landtagsfraktion, Stephan Braun, zweimal zumassiven Störungen durch Rechtsextreme, die versuchten,seinen Veranstaltungen ihren Stempel aufzudrücken. Bei Ver-anstaltungen in Waiblingen und Böblingen fanden sich 40 bzw.15 Sympathisanten der rechten Szene ein.

AkteureAuch nach Angaben des Landesverfassungsschutzes hat sichdie Anzahl der Neonazis im Lande noch einmal erhöht. Offiziel-len Angaben zufolge sind in Baden-Württemberg 400 Personen(2007: 340, bundesweit 4 800 [4 400]) der neonazistischenSzene zuzurechnen. Die Anzahl autonomer Nationalisten da-runter liege bei 100, heißt es in der Antwort auf eine KleineAnfrage von Stephan Braun (MdL) – eine extrem defensiveSchätzung. In der gleichen Antwort werden für Baden-Würt-temberg 18 „neonazistische Kameradschaften“ aufgezählt,darunter elf, die der Autonomen-Nationalisten-Szene zuzurech-nen seien. Die Szene gilt auch dem Landesverfassungsschutzals extrem gewaltbereit – auch gegenüber der Polizei.

„Die politischen Soldaten“ der JN„Der politische Raum außerhalb des Parlaments braucht einestrukturierte Kampfformation, denn das Parlament ist unsnicht genug und darf es auch nicht werden.“(Michael Schäfer, Bundesvorsitzender der JN und MatthiasGärtner, JN-Schulungsleiter: „Die organisierte Volksfront“,zitiert nach: Der rechte Rand, Dez. 2009)

Bemerkenswert ist die relative Stärke des baden-württem-bergischen JN-Landesverbandes. Er konnte personell im Jahr2008 wiederum von etwa 90 (2007; 2006: circa 60) auf rund110 Mitglieder zulegen. Damit wohnt jedes vierte JN-Mitgliedim Südwesten. Die mittlerweile 13 Stützpunkte dieser extremradikalen, aktivistischen Gruppierung sind teils funktionsfähig,teils bestehen sie weitgehend als leere Hülle.

Die JN in Baden-Württemberg sind – bei allen Streitigkei-ten auch innerhalb der Subszenen – für alle Unterfamilien dermilitanten rechtsextremen Szene (Nazi-Skinheads, AutonomeNationalisten, Freie Kräfte) grundsätzlich ein Bündnispartner.Auch das ist in anderen Bundesländern nicht der Fall.

Der Aufschwung der JN steht in engem Zusammenhangmit ihrer Radikalisierung. Unter der Ägide ihres Bundesvorsit-zenden Michael Schäfer aus Sachsen-Anhalt, einem Kamerad-schaftsaktivisten, gelang den JN der Schulterschluss mit denlose organisierten, meist offen neonazistischen Aktivisten-verbänden der Rechtsextremen, denen die Inhalte und die

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22 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

Organisationsform der JN zu Pass kommen. So spricht Schäferstets von den JN als „Bewegung“. Was ihm vorschwebt, ist keinePartei im klassischen Sinne, sondern eine Organisation, „in derman Gemeinschaft wirklich lebt, eben ein höheres Ideal“.

Dass dieses „Ideal“ keine Beitragszahler erfordert,sondern das, was die JN recht unverhohlen als „politischenSoldaten“ klassifiziert, liegt auf der Hand, wie es denkbarunverklausuliert im Internetauftritt heißt:

„Die Aktivisten streben danach, das Leitlied (sic) despolitischen Soldaten zu verkörpern. Der politische Soldat istder Mensch, der von seinen Idealen angetrieben wird, derunzweideutig handelt, wenn es gilt unseren politischen Auftragtapfer zu erkämpfen. Niemals in der europäischen Geschichtewar die Notwendigkeit ganzer Bataillone politischer Soldatenentscheidend wie heute. Für ein Engagement in unserer na-tionalistischen Bewegung ist der hundertprozentige politischeAktivismus unabdingbare Voraussetzung.“

Darauf, dass diese Maxime in Baden-Württemberg haar-genau umgesetzt wird, achten die beiden starken Figureninnerhalb der aufstrebenden baden-württembergischen JN-Formation. Lars Gold aus Schwäbisch Hall und Alexander Neidleinaus Crailsheim, der als Landesgeschäftsführer und stellver-tretender Vorsitzender fungiert. Gold bezeichnet die Zusam-menarbeit mit den „Freien Kräften“ als „in Baden-Württembergdurchwegs gut. Im Gegensatz zu anderen Bundesländernklären wir die Probleme miteinander und nicht überSpaltermedia (das Portal Altermedia, d. Verf.) oder andereDritte, die sich daran ergötzen, wie sich das NationaleLager zerfleischt.“ 4

Dass der wegen Postraubs verurteilte Neidlein, der auchstellvertretender Bundesvorsitzender der JN ist, als ehemaligerKroatien-Söldner durchaus das Leitbild des „politischen Solda-ten“ verkörpert, darf vermutet werden. Nach Informationender Journalistin Andrea Röpke wohnte Neidlein bis vor kurzemin der ehemaligen Landesgeschäftsstelle in Rosenberg-Hohen-berg, nun in einem ehemaligen Motorradclub in Elpersheim(Main-Tauber-Kreis).5

Die JN sagen an vielen Stellen völlig unverblümt, wasihnen vorschwebt. Nicht mehr und nicht weniger als einenational-sozialistische Revolution: Neidlein, der als eine derFührungsfiguren der baden-württembergischen Rechtsextremengilt, sagte 2006 auf einem Kongress des baden-württembergi-schen Landesverbandes:

„Nationalismus heißt Revolution. Und unsere Revolu-tion findet im 21. Jahrhundert statt. Unsere Revolution istkeine kleine Veränderung, sondern wir müssen uns ein kom-plett anderes politisches System erkämpfen.“. Der „bedin-gungslose Wille, dieses kranke System auf die Müllhalde derGeschichte zu katapultieren“, werde die JN immer weiter vo-ranbringen.

Noch schadet es ihrem Ansehen, wenn sie als Organisa-tion mit Straftaten wie Körperverletzung in Verbindung gebrachtwerden. Es ist deshalb nicht nur eine taktisch motivierte Aus-sage, wenn der stellvertretende JN-Chef Philipp Valenta mittreuem Augenaufschlag zur Gewalttätigkeit seiner Organisationbekundet: „Wir achten wirklich peinlichst darauf, dass so

etwas nicht passiert, wir würden uns damit nur selbst scha-den.“ Die JN arbeiten auf den Tag hin, an dem ihre Positionenmehrheitsfähig werden. Darüber, wie sie dann mit ihren Geg-nern verfahren, sollte man sich keine Illusionen machen. Inso-fern hat B., der Stützpunktleiter aus Lörrach, den zweitenSchritt vor dem ersten gemacht.

1 zitiert nach http://npd-blog.info/2009/09/09/racheak-von-neonazis-brandanschlag-auf-autonomes-zentrum-in-freiburg

2 zitiert nach Anton Maegerle, Rechte Gewalt in Deutschland, 2009,eine Chronik. Hrsg. von: Bildungsvereinigung Arbeit und Leben,Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt

3 alle Zitate, die nicht anderweitig gekennzeichnet sind,aus, Christoph Ruf/Olaf Sundermeyer: In der NPD,Reisen in die National Befreite Zone, BSR, München, 2009

4 http://nidinfo.wordpress.com/2009/05/20/lars-gold-jn-landesvorsitzender-von-baden-wurttemberg-im-gesprach

5 „Kampfgemeinschaft“, Die Jungen Nationaldemokratenin Baden-Württemberg sind völkisch-national geprägt –in ihren Reihen findet sich auch ein mutmaßlicher Bombenbauer.In „Blick nach rechts“, 8.10.2009

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Ursachen des Rechtsextremismus und Gegenstrategien

Die Soziologen Erwin K. Scheuch und Hans-Dieter Klingemannhaben in den 1960er Jahren Rechtsextremismus als eine„normale Pathologie moderner Industriegesellschaften“ be-zeichnet. Dies wird manchmal fälschlicherweise so verstanden,dass man gegen etwas, was normal sei, nichts machen könneund auch nichts zu machen brauche. Der Vergleich vonmehreren Ländern hinsichtlich rechtsextremer Einstellungenund Verhaltensweisen zeigt jedoch, dass es zwar in allenLändern Rechtsextremismus gibt, das Niveau sich jedochgravierend unterscheidet. Daraus folgt, dass kein „normales“Verbreitungsniveau existiert und man dieses Niveau beein-flussen kann.

Die Neigung zu Straftaten wird oftmals gesondert vonden rechtsextremen Einstellungen untersucht. Während esbei Straftaten um die Motive der Täter und Täterinnen imrechtsextremen Milieu geht und Hintergründe für die Tatengesucht werden, sind Ursachen für rechtsextreme Einstellun-gen oft sehr viel schwieriger zu ermitteln. Das gilt insbeson-dere, wenn die Einstellungen nur subtil in Erscheinung tretenund eine Ursachenforschung zugleich mit dem Wunsch nacheiner konstruktiven Handhabung verbunden ist. Beim „hei-lenden“ Umgang mit rechtsextremen Einstellungen konkur-rieren mehrere Ansätze miteinander, wobei diese sich nichtausschließen, sondern vielmehr ergänzen.

Zunehmende Enthemmung in Bezug aufdie Gewaltbereitschaft der TäterEine Untersuchung aus den Jahren 1991 bis 1993 stellte imHinblick auf Tatverdächtige und Tatmerkmale von rechts-extremen Straftaten fest, dass 36 Prozent der Verdächtigenunter 18 Jahre, über 75 Prozent 20 Jahre und jünger und ins-gesamt 90 Prozent jünger als 25 Jahre sind. Die Studie derTrierer Forschungsgruppe um Helmut Willems offenbarteauch, dass die Straftaten zu 90 Prozent von jungen Männernverübt wurden.

Die Tendenz der empirischen Daten bestätigte 1997eine Wiederholungsstudie des „Deutschen Jugendinstituts“.Als unmittelbarer Urheber von fremdenfeindlichen Tatenmachen die Sozialforscher größtenteils erneut kleinereGruppen von jüngeren Männern aus. In ihren Untersuchun-gen stellte die Sozialwissenschaftlerin Renate Bitzan fest:„Wenn Frauen an gewalttätigen Aktionen teilnehmen, sotun sie das in der Regel aus gemischten Gruppen heraus.“Einige würden selbst handgreiflich, andere unterstützen ihremännlichen Komplizen durch Zurufe und Klatschen – eineAnfeuerung, die die Männer aufstacheln kann, jetzt erst recht„richtig reinzuhauen“ oder „voll zuzutreten“.

Um die Gewaltbereitschaft zu erklären, wird oft auf diesoziale Situation und/oder die individuelle Biographie hinge-wiesen. Doch Automatismen wie „schlechte Kindheit gleichfieser Nazischläger“ sind zu einfach. Eine Untersuchung von1400 Fällen ergab, dass nur wenige Täter zur Tatzeit familiäreoder berufliche Sorgen hatten. Die meisten aktenkundigenTäter waren Schüler, Auszubildende, Facharbeiter und Wehr-pflichtige. Seit Anfang der 1990er Jahre zeigen Untersuchungen

Psychologischer Ansatz

Soziologischer Ansatz

Politikwissenschaftlicher Ansatz

„’Wie ich zum Nazi geworden bin? (…) Ich hab’ dir ja schon mal

erzählt, dass sich damals meine Eltern trennten. Ich wollte

irgendwie protestieren. (…) Der Zusammenhalt den ich in der

Gruppe gefunden habe war halt einfach genial. Es macht sehr viel

aus, wenn man eine Clique hat, in der man sich auf jeden absolut

verlassen kann.’ Außerdem, fügt er hinzu, hätte jeder Angst

vor ihm gehabt, als er mit Bomberjacke, Springerstiefel

und Glatze durch die Stadt lief."

Politische Bildung

trägt

dazu bei, Bewusstsei

n für

demokratische Abläufe

und

Partizipation

zu schaffen.

Die Bilder zeigenJugend

liche

bei Planspiele

n der Friedrich-

Ebert-Stiftun

g zum Thema

Kommunalpolitik und Europa

.

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24 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

der Polizei immer wieder: Bis zu der ersten Tat waren die Täterunauffällige Mitschüler oder Nachbarsjungen. Die meistenfremdenfeindlichen Gewalttaten werden von Tätern mit niedri-gem bis mittlerem Bildungsabschluss verübt oder von Auszu-bildenden. Dabei beobachten Kriminologie und Staatsschutzeine zunehmende Enthemmung in Bezug auf die Gewaltbereit-schaft. Der Angegriffene wird im Verlauf der Auseinanderset-zung immer weniger als menschliches Wesen wahrgenommen.

Verschiedene Erklärungsansätzezu rechtsextremen EinstellungenDer sozialpsychologische Ansatz bezieht sich auf den„autoritären Charakter“. Hier wird die Persönlichkeit des einzel-nen Menschen und dessen Entwicklung im Kontext modernerIndustriestaaten in den Mittelpunkt gestellt. Demnach kannein schlechtes Verhältnis zu den Eltern und fehlendes Selbst-vertrauen eine Neigung zu autoritären Einstellungen fördern.Dies äußert sich in einer Anlehnung an Starke und Mächtigesowie in aggressivem Verhalten gegenüber Schwachen undMinderheiten. Eine solche Persönlichkeitsstruktur führt zwarnicht zwangsläufig zu einer rechtsextremen Einstellung, machteinen Menschen aber für diese empfänglich.

Für die Prävention heißt das, im Einzelfall das Selbstwert-gefühl zu stärken. Dazu zählen Maßnahmen, die die Anerken-nung des Einzelnen fördern oder Verhaltenstrainings, die dasVertrauen in die eigenen Fähigkeiten auf- und Ängste abbauen.

Der soziologische Ansatz stellt nicht den Einzelnen mitseinen Einstellungen in den Vordergrund, sondern befasst sichmit dem gesellschaftlichen Umfeld. Abnehmender Zusammen-halt von Familien und Freundeskreisen sowie nachlassendeBindungen an gesellschaftliche Milieus, wie Arbeiterschaft oderKirchengemeinden, führen bei manchen Menschen zu Verein-zelung und Verunsicherung. Die Suche nach Ersatzidentitätenund Anerkennung führt bei einigen dazu, sich einer vermeintlichstarken Gruppe, wie Rechtsextremen, anzuschließen. WelcheIdentitätsangebote die Jugendlichen annehmen, hängt auch vonden Alternativen in ihrem Umfeld ab. Demzufolge kann Rechts-extremismus eine Reaktion auf mangelnde Integration undAnerkennung durch die Gesellschaft sein.

Als weitere Ursache wird in der Soziologie gesellschaftli-che Modernisierung genannt. Von den wirtschaftlichen Entwick-lungen profitieren Menschen in einigen Regionen, Branchenund Berufsgruppen, während andere zu den Verlierern zählen.Das heißt jedoch nicht, dass die „Verlierer“ zwangsläufig arbeits-los oder von Armut bedroht sein müssen. Sie sehen jedoch ihreLeistungen und Qualifikationen entwertet, Andere an sich vor-beiziehen und ihre eigenen Sicherheiten gefährdet. Die Problem-lagen dieser Modernisierungsverlierer gehen mit Frustrationenund Ängsten einher, die für einfache Erklärungsmuster wiebeispielsweise „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätzeweg“ oder „Die Politiker stecken nur in die eigene Tasche, tunaber nichts für uns“ empfänglich machen.

Prävention bedeutet in diesem Zusammenhang, einenBeitrag zum sozialen Frieden zu leisten, indem man die Risikender Individualisierung und Modernisierung durch sozialstaatli-

che Politik abfedert und Maßnahmen zur gesellschaftlichenIntegration ergreift. Dazu gehört mit Blick auf Jugendliche anvorderster Stelle die Bereitstellung von genügend Ausbildungs-und Arbeitsplätzen sowie gezielte Jugendarbeit. Gesellschafts-politisch ist eine Debatte über moderne Solidarität notwendig,die zum Ziel hat, Alternativen zwischen der individuellen, aufLeistung beruhenden Identität einerseits und kollektivenIdentität andererseits aufzuzeigen.

Der politikwissenschaftliche Ansatz konzentriertsich auf die politische Kultur einer Gesellschaft. Dazu gehörendann Forschungsprojekte, die zum Beispiel zu klären versuchen,ab wann und aus welchen Beweggründen jemand bereit ist,eine rechtsextreme Partei zu wählen. Dass etwa Arbeitslosig-keit einer von vielen Gründen sein kann, aus denen Menschensich rechtsextremen Ideologien zuwenden, ist eine politikwis-senschaftliche These. Es wird auch untersucht, welche Rollepolitische Eliten spielen und inwiefern andere öffentlichePersonen oder Berühmtheiten Einfluss auf die Gesellschaftnehmen. Auch historische Erfahrungen einer Gesellschaftwerden in die Betrachtung mit einbezogen. KriegerischeAuseinandersetzungen in der Vergangenheit spielen z.B. eineRolle bei der Frage, welche Lösungen für politische Problemein einem Land gesehen werden. Allerdings geschieht diekonkrete Vermittlung von Einstellungen und Sichtweisenmeist in zwischenmenschlichen Beziehungen, also vor allemüber Eltern und Freundeskreise. Insofern trägt jede und jederVerantwortung für eine gelebte Demokratie.

Die entsprechende Präventionsstrategie setzt deswegenauf Erziehung und Bildung, um das Engagement für die Ach-tung der Menschenwürde und für Demokratie in der Mitte derGesellschaft zu stärken. Diese Strategie zielt insbesondere aufJugendliche ab, da sich bei ihnen das politische Bewusstseingerade herausbildet. Als Mittel stehen dazu die politische Bil-dung und eine Ausweitung von Partizipation im Vordergrund.Letztere wird sogar als eine Form von politischer Bildung ange-sehen, im Sinne von „learning by doing“. Denn die Erfahrun-gen, die man durch Teilhabe und Mitwirkung an politischenProzessen sammelt, festigen in der Regel demokratische Ein-stellungen und Handlungsbereitschaften. Zugleich wird manmisstrauisch gegenüber vermeintlich einfachen Lösungen fürkomplexe Probleme. Teilhabe bezieht sich dabei nicht nur aufden Staat, sondern auf jegliche soziale Organisation, in derKonflikte durch das Zusammenleben entstehen: Gemeinden,Betriebe, Schulen, Vereine etc.

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Rechtsextreme und rechtsgerichtete Parteien und Wählerinitiativen

Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands –die aktivste rechtsextreme ParteiDie Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) istdie älteste der derzeit aktiven rechtsextremen Parteien. Siewurde 1964 gegründet und ist heute zwar nicht die mitglie-derstärkste, aber die aktivste rechtsextreme Partei. In denersten Jahren ihres Bestehens gelang ihr der Einzug in siebenLandtage. Nachdem die Partei bei der Bundestagswahl 1969mit 4,3 Prozent der Stimmen knapp an der 5-Prozent-Hürdegescheitert war, verschärften sich die internen Streitigkeitenund die NPD versank für über zwei Jahrzehnte in der Bedeu-tungslosigkeit.

Erst als 1996 der noch heute amtierende Bundes-vorsitzende Udo Voigt die Parteiführung übernahm, erholtesich die Partei und gewann an Einfluss. Sie suchte zuneh-mend die Nähe und Zusammenarbeit mit der neonazisti-schen Szene, stärkte ihre Jugendorganisation Junge National-demokraten (JN) und setzte auf eine bessere Vernetzungdurch das Internet. Dies schlug sich dann in punktuellenKooperationen nieder, etwa bei gemeinsamen Veranstaltun-gen von NPD und nicht-parteilich organisierten Neonazis,die sich gegen die Ausstellung „Vernichtungskrieg – DieVerbrechen der Wehrmacht 1941–1944“ richteten.

Inhaltlich profiliert sich die NPD mehr und mehr übersoziale Themen, die sie freilich weiterhin nationalistisch in-terpretiert. Dieser „deutsche Sozialismus“ zielt nicht etwaauf die „Diktatur des Proletariats“, sondern auf eine „Diktaturder Volksgenossen“ ab. So schreibt die NPD 2006 in ihrerArgumentationshilfe für Funktionäre: „Deshalb sind auslän-dische Arbeitsplatzdiebe und Sozialschnorrer auszuweisen,um Deutsche wieder in Lohn und Brot zu bringen und denSozialstaat sichern zu können.“

Dieser autoritäre, fremdenfeindliche „Lösungsvorschlag“beachtet weder Menschenrechte noch andere demokratischeGrundsätze. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn etwasweiter im Text kritisieren die Autoren unverhohlen die ent-sprechenden Bestimmungen des Grundgesetzes: „[…] dieGrundrechtsbestimmungen [des Grundgesetzes] triefen vorMenschenrechtstümelei und stellen Deutsche im eigenenLand de facto mit Ausländern gleich, und das Grundgesetzhat einem gemeinwohlschädigenden Individualismus undParteienregime den Weg geebnet.“

Unterbrochen wurde der Aufschwung der NPD 2001durch den Verbotsantrag von Bundestag, Bundesrat und Bun-desregierung beim Bundesverfassungsgericht. Als Begründungführten die Antragsteller zum einen die aktiv-kämpferischeGrundhaltung gegen die freiheitliche demokratische Grund-

Kampf um die Straße

Kampf um die Köpfe

Kampf um die Parlamente

Kampf um den organisiertenWillen

„Wortergreifungsstrategie“Rechtsextreme melden sich in öffentlichen Diskussionen zu Wort und möchten die anderenAnwesenden zwingen, sich mit ihren rechtsextremen Positionen auseinander zu setzen.Das ist ein Mittel der Selbstinszenierung der extremen Rechten, aber auch eine Möglichkeit,ungefragt rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten.

„Ich bin kein großer Anhänger dieser Form des Parlamentarismus. Aber das macht man so, dassman da reingeht und provoziert mit Präzision. Dann werden Sie sehen, wie diese ganzen Viren,diese Parasiten, wach werden, dann sehen die, dass die Axt kommt, dass man das bis aufsGesunde herausseziert. Das ist die Aufgabe eines nationalen Menschen.“Udo Pastörs, NPD Mecklenburg-Vorpommern

Die Vier-Säulen-Strategie der NPD

Erinnerungen werden

wach

1928 erklärte Joseph Goebbels,

der spätere Reichspropaganda-

minister: „Wir gehen in den

Reichstag hinein, um uns im

Waffenarsenal der Demokratie

mit deren eigenen Waffen zu

versorgen. […] Wenn die

Demokratie so dumm ist, uns

für diesen Bärendienst Freifahrkarten u

nd Diäten

zu geben, so ist dasihre Sache. […] Uns

ist jedes

gesetzliche Mittel recht, den Zustand vo

n heute

zu revolutionieren. […] Wir kommen als

Feinde!

Wie der Wolf in dieSchafherde einbrich

t,

so kommen wir.“

Joseph Goebbels, in der NSDAP-Zeitsc

hrift „Der Angriff“,

30.04.1928

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26 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

ordnung sowie die Wesensverwandtschaft mit der NSDAP an.Das Bundesverfassungsgericht stellte das Verfahren aus forma-len Gründen ein, weil eine größere Zahl von Vertrauensperso-nen (auch V-Männer bzw. V-Personen) des Verfassungsschutzesseit längerem in der Partei Funktionen einnahmen. Die ableh-nenden Richter argumentierten, dass man nicht mehr unter-scheiden könne, welche Aktivitäten auf die NPD und welcheauf die Verfassungsschutzämter zurückzuführen seien. Ein un-erwünschter Nebeneffekt des Verbotsverfahrens war, dass diePartei durch die Berichterstattung der Medien ihre Popularitätin der rechtsextremen Szene stärken und eine Märtyrerrolleeinnehmen konnte. Allein von 2004 bis 2007 stieg die Anzahlder Mitglieder von 5300 auf 7 200; in Baden-Württemberg hatdie NPD derzeit mehr als 450 Mitglieder.

Die Vier-Säulen-Strategie der NPD –Wie arbeitet die Partei?Der Aufschwung der NPD ist auch mit der von ihr seit 1998 ver-folgten und später ausgebauten Vier Säulen-Strategie verbunden:

1. „Kampf um die Straße“,2. „Kampf um die Parlamente“,3. „Kampf um die Köpfe“ und4. „Kampf um den organisierten Willen“.

Kampf um die Straße – ÖffentlichkeitswirksamePropaganda durch Demonstrationen„Kampf um die Straße“ bedeutet für die NPD die Durchfüh-rung von Demonstrationen, auf denen sie möglichst öffent-lichkeitswirksam politische Propaganda verbreiten kann. DieAnlässe für Demonstrationen liefern oftmals aktuelle politi-sche Diskussionen. In den letzten Jahren demonstrierten ihreAnhänger schwerpunktmäßig gegen die Wehrmachtsaus-stellung, Hartz IV, Globalisierung, den Krieg im Irak oder denBau von Moscheen sowie im Gedenken an bestimmte Perso-nen oder Ereignisse wie die Bombardierung Dresdens amEnde des Zweiten Weltkriegs. Gerade bei dieser Strategie gabes vielfältige Zusammenarbeit mit den Kameradschaften. Sofand z.B. am 1. Mai 2009 eine von der NPD unterstützterechtsextreme Demonstration in Ulm statt. Bei solchen Veran-staltungen treten immer wieder gezielt NPD-Parteivorständemit führenden Neonazi-Aktivisten gemeinsam als Redner auf,um mehr Leute zu locken und um Geschlossenheit zudemonstrieren. Aufgrund der Zusammenarbeit zwischenNPD und Neonazis war die Veranstaltung mit rund 700 Teil-nehmenden relativ gut besucht.

Kampf um die Parlamente – Verbreitungvon Propaganda und GeldeinnahmequelleDer Popularitätsschub durch das gescheiterte Verbotsver-fahren kam der NPD bei ihrem „Kampf um die Parlamente“zugute. Dieser Strategie gab sie in der Folgezeit den Vorzug.Dabei geht es ihr darum, möglichst viele Wählerstimmen zugewinnen, um die 5-Prozent-Hürde zu überspringen und

ins Parlament zu kommen. Sie präsentiert sich in den Wahl-kämpfen vor allem als wählbare Protestpartei mit gemäßigtemAuftreten. Allerdings strebt die NPD die Parlamentssitze nichtan, um durch parlamentarische Arbeit als Regierungs- oderOppositionspartei an der Demokratie mitzuwirken. UnterParlamentsarbeit verstehen Abgeordnete der NPD vor allem,Landtagsdebatten als Forum für gezielte menschenverach-tende Tabubrüche und die Infrastruktur des Landtags fürdie Parteiarbeit zu nutzen. Udo Pastörs, der NPD-Fraktions-vorsitzende im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern,brachte dieses Verständnis ungeschönt in einem Interviewzum Ausdruck: „Ich bin kein großer Anhänger dieser Formdes Parlamentarismus. Aber das macht man so, dass manda reingeht und provoziert mit Präzision. Dann werdenSie sehen, wie diese ganzen Viren, diese Parasiten wachwerden, dann sehen die, dass die Axt kommt, dass man dasbis aufs Gesunde herausseziert. Das ist die Aufgabe einesnationalen Menschen.“

Der „Kampf um die Parlamente“ verläuft für die NPDzum Teil erfolgreich. Zunächst erreichte sie bei den Landtags-wahlen in Sachsen 2004 9,2 Prozent 2009 5,6 Prozent und2006 in Mecklenburg-Vorpommern 7,3 Prozent. Zwar schafftedie Partei bei zahlreichen anderen Wahlen nicht den Einzugins Parlament, jedoch verbesserte sie in den letzten Jahrenfast durchweg ihre Ergebnisse. Bei der Bundestagswahl 2009erzielte sie 1,8 Prozent und bei mehreren Landtagswahlenmehr als 1 Prozent der Stimmen, wodurch sie Ansprüche aufstaatliche Zuschüsse erwarb. In Baden-Württemberg konntennur vereinzelte NPD-Mitglieder Mandate erringen. ImSchwarzwald-Baar-Kreis hat der NPD-LandesvorsitzendeJürgen Schützinger für die „Deutsche Liga für Volk undHeimat“ ein Mandat im Kreisrat und als Stadtrat in Villingen-Schwenningen. Der stellvertretende NPD-LandesvorsitzendeJanus Nowak sitzt im Kreistag Böblingen. Die Strategie lautet:„Der Weg in die Parlamente führt über die Rathäuser.“ Dazuversuchen die NPD-Kader, ihre Organisation zu stärken undneue Kreis- und Ortsverbände zu gründen. Ziel ist es, diePartei flächendeckend zu verankern und damit die Basis zuverbreitern. Im Rahmen der Kommunalwahl 2009 versuchtedie NPD auch mit Hilfe anderer rechter Gruppen, ihre Präsenzin der Öffentlichkeit zu intensivieren. Sie führte eigene Veran-staltungen durch oder beteiligte sich an Demonstrationender Neonaziszene.

Die NPD versteht es, ihre Kräfte und Ressourcen fürWahlen mit einem „Wahlkampftourismus“ zu bündeln. Vertreteraus unterschiedlichen Bundesländern beteiligen sich an denjeweils anstehenden Kommunal- oder Landtagswahlkämpfen.Die NPD täuscht damit strategisch eine nicht vorhandenepersonelle Stärke in dem Bundesland vor, in dem gerade gewähltwird. Hinzu kommt in den letzten Wahlkämpfen ein aggressi-ves Auftreten, um politische Gegner zu provozieren und einzu-schüchtern. Vertreter/-innen demokratischer Parteien bekamenunliebsamen Besuch von rechtsextremen Störern zum Beispielan Wahlkampfständen oder bei öffentlichen Diskussionen.Dabei sind Rechtsextreme längst nicht mehr unbedingt äußer-lich sofort als solche zu erkennen. (Siehe Seite 37)

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 27

festschrieben. Einer der wichtigsten Punkte darin betraf Wahl-absprachen. Demnach traten die beiden Parteien nicht gleich-zeitig bei Wahlen an, sondern unterstützen die jeweils anderePartei und legen in dem Vertrag fest, wer bei welcher Wahlantritt, um sich nicht gegenseitig Stimmen streitig zu machen.Dieser Pakt ist inzwischen bundesweit zerbrochen.

Die „Volksfront von rechts“ umfasst ebenfalls die Zusam-menarbeit mit den neo-nationalsozialistischen „Freien Kame-radschaften“. Wenngleich die Kameradschaftsszene heterogenist und nicht alle bereit zur Kooperation mit der NPD sind,haben sich Hauptfiguren wie Thomas Wulff (früher Hamburg,jetzt Mecklenburg-Vorpommern), Thorsten Heise (Thüringen)und Ralph Tegethoff (Nordrhein-Westfalen) dafür ausgespro-chen. In personeller Hinsicht bestätigte die NPD ihre Öffnungzu den Neonazis unter anderem durch die Wahl von ThomasWulff als Beisitzer des NPD-Bundesvorstandes. In Baden-Würt-temberg erfolgte dieser personelle Schulterschluss mit demNeonazi Andreas Thierry, der seit 2007 als einer von aktuellzwei stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden fungiert. Auchbei der 1.Mai-Demonstration 2009 in Ulm funktionierte dieZusammenarbeit der verschiedenen Organisationen zumindestnach außen hin gut. Mit dieser vermeintlichen „Volksfront vonrechts“, sollen nicht zuletzt die Grabenkämpfe zwischen denOrganisationen überdeckt und Einheit vorgetäuscht werden.Auch an anderer Stelle wird mit personellen Verflechtungendie Zusammenarbeit mit rechtsextremen Organisationen ver-stärkt. Der baden-württembergische NPD-LandesvorsitzendeJürgen Schützinger aus Villingen-Schwenningen bekleidet auchführende Funktionen in der „Deutschen Liga für Volk und Hei-mat“ (DLHV) sowie als Vorstandsmitglied bei der „Gesellschaftfür freie Publizistik e.V.“ (GfP).

In den letzten Jahren hat die NPD diese „Vier-Säulen-Strate-gie“ relativ flexibel angewandt und sich mal auf die eine, mal aufdie andere Säule konzentriert. Zudem treibt die NPD die kom-munale Verankerung in den ostdeutschen Bundesländern voran,die ihr durch den Einzug in Kommunalparlamente und Mitarbeitin örtlichen Vereinen zunehmend gelingt. Vor allem in den ost-deutschen Bundesländern nimmt der Versuch, in die Zivilgesell-schaft vorzudringen, sehr konkrete Formen an – so etwa imProjekt Schöner Wohnen in Ueckermünde, bei Bürgerinitiativengegen den Braunkohle-Abbau oder Gen-Mais-Anbau in Mecklen-burg-Vorpommern, aber auch bei der Mitarbeit im Elternbeirateiner Kindertagesstätte im Kreis Oranienburg bei Berlin. Die NPDwill damit erreichen, als eine normale politische Partei angese-hen zu werden. Sie strebt, wie es der Journalist Toralf Staud aus-drückt, „die Faschisierung der Provinz“ an. Auch in Baden-Württemberg lassen sich solche Bestrebungen beobachten. DiePartei versucht sich als Vertreterin des „anständigen Bürgers“ dar-zustellen, die eine wählbare Alternative zu den „unfähigen“ etab-lierten Parteien sei. Dies möchte sie dadurch unterstreichen, dasssie bürgernahe Themen wie Hartz IV aufgreift und sich als Protest-partei präsentiert. In diesem Zusammenhang bot sie auch eineHartz IV-Beratung an. Eine jüngere Entwicklung ist die Gründungeiner NPD-Frauenorganisation. Angesichts der bisherigen Domi-nanz von Männern unter Mitgliedern und Wählern versucht dieNPD auf diesem Weg, neue Potenziale zu erschließen.

Kampf um die Köpfe – Die Deutungshoheitin politischen Diskussionen gewinnenMit der dritten Strategie „Kampf um die Köpfe“ beabsichtigtdie NPD, sich in die politische Diskussion einzumischen, umim Sinne ihrer ideologischen Orientierung Einfluss auf diepolitische Meinungsbildung zu gewinnen und die Deutungs-hoheit über Themen zu erringen. Zu diesem Zweck nahm2006 in Dresden das „Bildungswerk für Heimat und nationaleIdentität e.V.“ seine Arbeit auf. Es soll schwerpunktmäßig derIntellektualisierung und Professionalisierung der NPD dienen.Mitarbeitende der sächsischen Landtagsfraktion gründetenaußerdem die von ihnen so bezeichnete „Dresdner Schule“,um die Theorieentwicklung in der NPD voranzutreiben oder,wie es der NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen W. Ganselbezeichnet, eine „geistig-politische Gegenfront aufzubauen“.Allerdings beschränken sich die Aktivitäten der „DresdnerSchule“ im Wesentlichen auf Publikationen von Gansel. DerKampf um die Köpfe konzentriert sich insbesondere auf dieZielgruppe der Jugendlichen. Die NPD-Jugendorganisation„ Junge Nationaldemokraten“ (JN) verteilte die Schülerzeitung„Rebell“ an einigen Schulen und zu den letzten Wahlkämpfendie sogenannte „Schulhof-CD“ mit Rechtsrock in hohen Auf-lagen. Neuerdings versucht die JN auch über Comics ihre Ideo-logie zu verbreiten. Seit Juli 2009 kursiert der Comic „Entengegen Hühner“. In der als Fabel aufbereiteten Geschichtestehen die Hühner für „ausbeuterische“ Migrant/-innen undAsylbewerber/-innen, die den „fleißigen“ Enten angeblich dasLeben zur Hölle machten.

Erste Erfolge motivierten die Partei zu der von ihr sobezeichneten „Wortergreifungsstrategie“, die Bestandteil des„Kampfes um die Köpfe“ ist. Die Strategie besteht darin, politi-sche Veranstaltungen des demokratischen „Gegners“ zu be-suchen und sich dort massiv in die Diskussion einzumischen(Siehe Seite 29). In einem Schulungspapier der NPD von 2006„Argumente für Kandidaten & Funktionsträger“ schreibt derNPD-Vorsitzende Voigt dazu:

„Es wird immer schwieriger, eigene NPD-Veranstaltun-gen in Deutschland durchzuführen. Besuchen wir daherim Sinne der Wortergreifungsstrategie die Veranstaltungendes politischen Gegners. Dieser hat hier die Arbeit derVorbereitung, Planung und Durchführung. Doch sobald ereine öffentliche Veranstaltung macht, müssen Nationaldemo-kraten vor Ort sein, um etablierte Politiker und Kandidatenzur Rede zu stellen.“

Kampf um den organisierten Willen –Kooperation rechtsextremer OrganisationenSeit Herbst 2004 hat die NPD ihre Strategie um eine vierteSäule erweitert: „Der Kampf um den organisierten Willen“.Darunter versteht sie Absprachen und Kooperation mit ande-ren rechtsextremen Organisationen in einer Art „Volksfront vonrechts“. Auf Parteienebene manifestierte sich dies in der ver-traglich geregelten Zusammenarbeit mit der DVU, die die bei-den Parteivorsitzenden im sogenannten „Deutschlandpakt“

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28 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

Die Deutsche Volksunion –Die PhantomparteiNeben der NPD spielt derzeit noch die „Deutsche Volks-union“ (DVU) als rechtsextreme Partei eine relevante Rolle.Vorläufer der Partei war der 1971 in München gegründeteVerein „Deutsche Volksunion e.V.“, der ein Sammelbeckensowohl rechtsextremer als auch rechtskonservativer Akteuredarstellte. Inhaltlich positionierte sie sich durch fremden-feindliche, nationalistische und den Nationalsozialismusrelativierende Aussagen. Von Beginn an führte der VerlegerDr. Gerhard Frey den Verein autoritär. Unter Freys Vorsitzgründete sich dann 1987 die „DVU-Liste D“. Seit 1991 nenntsich die Partei „DVU“. Das Besondere an der DVU war vonAnfang an, dass sie zwar formal eine Partei darstellt, de factoaber als Ein-Mann-Unternehmen Gerhard Freys existiert. Sogibt es kaum Parteileben, an dem die Mitglieder teilnehmenund etwa über Inhalte oder Personalfragen diskutieren. DerVorsitzende bestimmt autoritär alle wesentlichen politischenEntscheidungen und finanziert sämtliche Aktivitäten. Nachaußen hin wird die Partei hauptsächlich durch die Wochenzei-tung „National Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung“ aus FreysVerlag sichtbar. Sie greift tagespolitische Themen auf undversucht sie in ihrem ideologischen Sinne darzustellen. Bei-spielsweise berichtet sie über Migration häufig im Zusammen-hang mit Kriminalität, um das Pauschalurteil zu verstärken,wonach „alle Ausländer kriminell“ seien.

Obwohl die DVU aufgrund von Freys Führungsstil und desmangelnden Parteilebens auch als „Phantompartei“ bezeichnetwurde, bestritt sie einige Landtagswahlkämpfe erfolgreich undkonnte in mehrere Landtage einziehen. In Schleswig-Holsteinüberwand sie bei der Landtagswahl 1992 die 5-Prozent-Hürdemit 6,3 Prozent und zog mit sechs Parlamentariern in denLandtag ein. Vier Jahre später scheiterte sie mit 4,3 Prozent nurknapp. Ihr größter Erfolg gelang ihr bei den Landtagswahlen1999 in Sachsen-Anhalt mit 12,9 Prozent. Im Jahr 2007 war dieDVU in den Landtagen von Brandenburg und Bremen vertre-ten, wo sich ihre Parlamentarier wenig engagiert zeigten.Außer in Brandenburg spalteten sich die Fraktionen nachkurzer Zeit. Inhaltlich fielen die Abgeordneten lediglich durchrechtsextreme Propaganda auf. In Baden-Württemberg sinddie Kreisverbände weitgehend inaktiv und auch die Mitglieder-zahlen sind in den letzten Jahren von 700 (2007) auf 600 (2008)gesunken. Seit Januar ist Gerhard Freys WunschkandidatMatthias Faust neuer Vorsitzender der DVU.

Die Republikaner – Der Konflikt um einengemäßigten oder extremen KursDie Partei „Die Republikaner“ (REP) wurde in den frühen 1980erJahren als bayrische rechte Protestpartei gegründet und radika-lisierte sich ab Mitte der 1980er Jahre. Bundesweit erlangtesie von Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre unter ihremdamaligen Vorsitzenden Franz Schönhuber die Führungsrolleim rechten Parteienspektrum. So konnte sie 1989 bei denEuropawahlen 7,1 Prozent erzielen.

In Baden-Württemberg zogen die REP 1992 und 1996 mit10,9 bzw. 9,1 Prozent zweimal nacheinander in den Landtagein. Bereits vorher gab es zahlreiche interne Streitigkeiten, dieeinerseits persönlicher Natur waren, andererseits um die Fragekreisten, ob die Partei sich in Richtung Rechtskonservatismusoder Rechtsextremismus orientieren sollte. Nach dem Ausblei-ben weiterer Wahlerfolge verlor sie massiv an Bedeutung undbefindet sich in den letzten Jahren in einer Krise. Regional warsie hauptsächlich in Baden-Württemberg und Bayern verankert.Bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 2005 erreich-ten die REP 2,5 Prozent der Stimmen und verloren seitherweiterhin an Zustimmung. Bei der Europawahl 2009 erreichtendie Republikaner nur noch 1,9 Prozent und bei der Bundes-tagswahl im gleichen Jahr fuhren sie mit 0,1 Prozent ein desolatesErgebnis ein. Seit den Kommunalwahlen sind sie „nur“ noch insechs Kreisen vertreten. Seit 2007 sieht der Verfassungsschutzkeine gewichtigen Anhaltspunkte rechtsextremer Bestrebungender Partei mehr. Die Republikaner werden daher auch im Ver-fassungsschutzbericht nicht mehr erwähnt.

„Pro Bewegungen“ – Wie sich rechts-populistische Gruppen positionierenMittlerweile sind die so genannten „Pro-Bewegungen“ keinneues Phänomen mehr und spätestens mit den „Antiislamisie-rungskongressen“ von „pro Köln“ auch bundesweit bekannt.Die Pro-Bewegungen, -Gruppen oder -Wähleralternativen –wie sie sich variierend nennen – schließen die Lücke zwischender demokratischen Rechten und den rechtsradikalen- undextremen Parteien. Die vom Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen beobachtete „Bürgerbewegung pro Köln e.V.“ ist imformalen Sinne keine Partei, sondern ein eingetragener, leidererfolgreicher Verein mit europaweiten Kontakten zu anderenrechtsradikalen oder rechtspopulistischen Parteien. DiesesModell findet mit „PRO Heilbronn“ auch in Baden-Württem-berg Nachahmer. „PRO Heilbronn“ gewann bei der letztenGemeinderatswahl 2009 mit 4,8 Prozent der abgegebenenStimmen zwei Mandate im Rat. Neue Gesichter sieht man dortaber nur bedingt, da der Vorsitzende Alfred Dagenbach, dergute Kontakte nach Köln pflegen soll, früher bei den Republi-kanern engagiert war. Inhaltlich gibt man sich als bürgernaheOpposition, die sich im Gegensatz zu den anderen Parteienum die „wahren“ Bedürfnisse der Bürger kümmere. „PROHeilbronn“ gibt sich vor allem als ordnungspolitische Kraft,die gegen „organisierte- und Ausländerkriminalität“ vorgehenwill, welche sie als Produkt der EU-Erweiterung begreift.Multikulturelle Gesellschaften werden für gescheitert erklärt;„PRO Heilbronn“ spricht sich gegen jegliche Zuwanderungaus und fordert Assimilation der hier lebenden Migrantenund Migrantinnen.

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 29

„Wortergreifung“ und MimikryMit dem Mittel der sogenannten „Wortergreifung“ inter-venieren Rechte in öffentlichen Diskussionen und möch-ten die Diskutanten und Anwesenden zwingen, sich mitihren rechten Positionen auseinanderzusetzen. DiesesVorgehen intellektuell zu unterfüttern, ist eine Aufgabeder „Neuen Rechten“. Denn die „Wortergreifung“ istpraktisch zwar ein Mittel der Selbstinszenierung derRechten, spielt aber auch inhaltlich eine Rolle. Rechtenutzen die Strategie nicht nur, um sich selbst zu themati-sieren, sondern auch, um damit die Ächtung einigerrechter Positionen im öffentlichen Diskurs, wie z.B. dieLeugnung des Holocaust, zu kritisieren. In diesem Fallverweisen sie auf eine angebliche „Meinungsdiktatur“oder einen durch Politik und Medien vermittelten„Schuldkomplex“, der der Normalisierung eines deut-schen Nationalbewusstseins entgegenstehe. Zum ande-ren ist die „Wortergreifung“ Mittel des kalkuliertenTabubruchs. Nach Meinung der Rechten seien sie dieeinzigen, die Sachverhalte thematisierten, die sich sonstniemand als Wahrheit zu benennen traue. Sie wollenerreichen, dass man nicht mehr nur über sie spricht,sondern mit ihnen diskutiert. Damit wollen sie in derÖffentlichkeit bestehende Blockaden gegenüber rechtenPositionen schrittweise überwinden.

Da Rechte wissen, dass sie mit manchen ihrerThemen keine öffentliche Akzeptanz erreichen können,greifen sie oftmals zur Form der Verstellung – der Mimikry.Äußerlich versucht man, das Klischeebild des kahlköpfigenSchlägers zu vermeiden und als vermeintlich normalerpolitischer Akteur aufzutreten, der angeblich berechtigte

Interessen innerhalb des demokratischen Meinungs-spektrums artikuliert. In öffentlichen Auftritten, zu denenUnterschriftensammlungen, Mahnwachen und Flugblatt-aktionen genauso gehören wie das Auftreten in Eltern-beiräten und in öffentlichen Diskussionen, greifen sienicht nur bürgernahe Themen auf, sondern bedienensich auch irreführender Eigennamen wie „Bürgerinitia-tive gegen Drogen“. Äußerlich wie inhaltlich versteckenRechte somit ihre ideologischen Interessen und Ziel-setzungen. Sie versuchen, öffentliche Diskussionenbeispielsweise mit rassistischen Argumenten zu unter-füttern und dabei die Achtung der Menschenwürde Stückfür Stück zu diskreditieren. Die Strategien der Wort-ergreifung und der Mimikry gehören nicht zur demokra-tischen Streitkultur, denn sie versuchen, die Meinungs-freiheit dafür zu nutzen, auf lange Sicht demokratischeRechte auszuhebeln.

Neben Einschüchterungen, Ausgrenzung und Ge-waltanwendungen ist die subtile Konfrontation der Bür-ger/-innen mit rechter Ideologie durch die „Neue Rechte“die zweite Strategievariante, um die Demokratie, ihreVertreter/-innen und Institutionen zu delegitimieren.

Strategien rechter Öffentlichkeitsarbeit

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„Neue Rechte“ – Die intellektuelle rechte Szene

bestimmt, wird die Basis für den Angriff auf die eigentlichepolitische Sphäre geschaffen.“ Dieser Ansatz folgt der vomitalienischen Marxisten Antonio Gramsci entwickeltenFormel: Die kulturelle Hegemonie geht der politischenHegemonie voraus. Ein Beispiel dafür ist das Ringen um dieDeutungshoheit: Werden Minderheiten als Bedrohung an-geblicher „Volksgemeinschaft“ gesehen oder als Ausdruckeiner vielfältigen Gesellschaft, in der jeder seine Persönlich-keit verwirklichen darf, solange er dabei die Freiheit anderernicht einschränkt? Die erste Sichtweise möchte die „NeueRechte“ kulturell weitgehend verankern. Denn erst wenn einesolche Sicht Allgemeingut ist, kann man eine entsprechendePolitik durchsetzen, in der die Achtung der Menschenwürdedem Kollektiv untergeordnet wird.

Die „Neuen Rechten“ können nicht dem manifestenRechtsextremismus zugeordnet werden. Dies hängt damitzusammen, dass diese Szene zum einen relativ heterogen

Taktik und Bedeutung der„Rechtsintellektuellen“ – Worum geht es ihnen?Bei der intellektuellen „Neuen Rechten“ handelt es sich nichtum eine festgefügte Organisation oder gar um eine Partei.Vielmehr handelt es sich um ein eher loses Netzwerk ausPersonen, politischen Projekten, Publizisten und Verlagen.Deren Ziel ist es, verstärkt Einfluss darauf zu gewinnen, wiedie Gesellschaft die Wirklichkeit wahrnimmt. Ein Autor derrechtsintellektuellen Wochenzeitung „ Junge Freiheit“ hatdies 1994 so beschrieben: „In den fortgeschrittenen unddifferenzierten Gesellschaften des Westens [...] ist die Struk-tur der Macht diffus. Sie konzentriert sich nicht auf dasRegierungsgebäude, vielmehr ist sie in tausend Instanzenverteilt: in den Köpfen und Herzen der Beamten, Lehrer,Journalisten usw. Erst durch die Eroberung des kulturellenÜberbaus, der die Mentalität und Wertewelt eines Volkes

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ist, zum anderen vermeiden die „Neuen Rechten“ bewussteindeutig rechtsextreme Aussagen, um den demokratischenGegnern und Gegnerinnen keine Angriffsflächen zu bieten.Denn es gilt nach wie vor die Empfehlung des in neurechtenKreisen einflussreichen Geschichtslehrers Karlheinz Weiß-mann an seine Gesinnungsgenossen, sich bei öffentlichenÄußerungen durchaus angepasst zu verhalten, je nachdem,„ob hier der offene Angriff oder politische Mimikry gefor-dert ist“. Mit Mimikry meint er nichts anderes als Verstellungund Anpassungsverhalten. Dies ist auch deshalb wichtig, weildie „Neue Rechte“ auf die Mitte der Gesellschaft zielt undsich nicht auf den rechten Rand beschränken möchte.

Schon in den 1970er Jahren riet in der vom ehemaligenPressereferenten von Josef Goebbels herausgegebenenZeitung „La Plata Ruf“ eine Autorin: „Wir müssen unsere Aus-sagen so gestalten, dass sie nicht mehr ins Klischee des ‚Ewig-Gestrigen’ passen [...] Der Sinn unserer Aussagen mussfreilich der gleiche bleiben. [...] In der Fremdarbeiter-Frageetwa erntet man mit der Argumentation ‚die sollen dochheimgehen’ nur verständnisloses Grinsen. Aber welche Linkewürde nicht zustimmen, wenn man fordert: ‚Dem Großkapi-tal muss verboten werden, nur um des Profits willen ganzeVölkerscharen in Europa zu verschieben.’ [...] Der Sinn bleibtder gleiche: Fremdarbeiter raus! Die Reaktion der Hörer wirdaber grundverschieden sein.“

Die „Neuen Rechten“ bewegen sich in einer Grauzonezwischen demokratischem und rechtem Spektrum. Der Politik-wissenschaftler Wolfgang Gessenharter versucht, die demokra-tische Zwiespältigkeit der „Neuen Rechten“ mit dem Bild des„Scharniers“ zu erfassen, welches die demokratische Mitte unddas rechte Spektrum verbindet:

„Scharniere trennen sowohl zwei Gegenstände voneinan-der und verbinden sie beweglich miteinander; als auch stellensie selbst eigenständige Elemente dar.“ Das bedeutet, dass die„Neue Rechte“ der Mitte rechte Gedanken nahebringt und um-gekehrt die Themen der Mitte in die Diskussionen der Rechteneinspeist. Sie betreibt damit eine „Erosion der Abgrenzung“ vonDemokraten zum rechten Spektrum.

Der ideologische Hintergrund der „NeuenRechten“– Woher stammt ihr Gedankengut?Ideologisch beruft sich die „Neue Rechte“ auf die „Konserva-tive Revolution“. Darunter versteht man eine Gruppe vonIntellektuellen in der Weimarer Republik, die der Vorstellungvon freien und gleichen Individuen mit einer universellenMenschenwürde sowie der Demokratie, insbesondere demParlamentarismus und Pluralismus, ablehnend gegenüberstan-den. Stattdessen sei alles gerechtfertigt, was zum Wohle desKollektivs geschehe. Das Individuum sei lediglich Mittel zumZweck. Mit „Revolution“ bezogen sich diese Intellektuellenauf die Weimarer Republik, welche sie überwinden wollten.Prominente Vertreter waren: Arthur Moeller van den Bruck(dessen Buchtitel „Das dritte Reich“ später eine unheilvolleKarriere nahm), Ernst Jünger („Ich hasse die Demokratie wiedie Pest!“), Edgar Julius Jung (nach Ständen organisierte Volks-

gemeinschaft statt Menschenwürde), Othmar Spann (Demo-kratie als „Eiterbeule“) und Oswald Spengler (der die Einrich-tung der Weimarer Republik „den sinnlosesten Tag in derdeutschen Geschichte“ nannte).

Den größten Einfluss auf die „Neue Rechte“ hat derumstrittene Staatsrechtler Carl Schmitt (1888–1985). Schmittentwickelte die Vorstellung, dass als politische Akteure nurKollektive wie das Volk oder die Nation zu gelten hätten. DieseKollektive müssten homogen sein, Andersartigkeit bedeutedeswegen, die Existenzberechtigung zu verlieren. Somit spieltdie Menschenwürde bei ihm keine Rolle. Politik besteht für ihndarin, dass man zwischen Freund und Feind unterscheidet. Dieaus dieser Sicht zwischen den Kollektiven resultierendenKonflikte werden stets als Ernstfall angesehen, in denen manständig um das eigene Überleben kämpft. Deswegen könneKonfliktregelung nicht unter der Voraussetzung der Anerken-nung des anderen stattfinden. Die Folgen dieses Denkens hatder Politikwissenschaftler Kurt Lenk auf die Formel gebracht:„Bataille statt Debatte“. Diesen ideologischen Hintergrundversucht die „Neue Rechte“ auf aktuelle politische Diskussio-nen zu übertragen.

Dies geschieht etwa in der Wochenzeitung „JungeFreiheit“, einer der wichtigsten Publikationen der „NeuenRechten“. Die professionell produzierte Zeitung, 1986 gegrün-det, stellte sich zunächst unverblümt in die Nachfolge der„Konservativen Revolution“ und Carl Schmitts im Besonderen.In den letzten Jahren mäßigte die Zeitung ihren Ton, obgleichsie weiterhin autoritäres Elitedenken vermittelt und die Ach-tung der Menschenwürde und Demokratie rhetorisch ge-schickt – gemäß der politischen Mimikry – in Frage stellt. Einwichtiges Element der Zeitung im Sinne der Scharnierfunktionsind umfangreiche Interviews. Dabei bemüht sich die Redak-tion zum einen um anerkannte Persönlichkeiten des gesell-schaftlichen Lebens als Gesprächspartner, zum anderen gibtsie Neurechten Gelegenheit, ihre Ideen zu verbreiten.

Die Bedeutung der „Neuen Rechten“ –Wie ist ihre Wirkung einzuschätzen?Da die „Neue Rechte“ nur schwer fassbar ist, diskutieren Exper-ten, inwieweit sie Einfluss auf politische Diskurse nehmen kann.Während einige nur einen sehr geringen gesellschaftlichen Ein-fluss auf die politische Mitte konstatieren, stellen andere anhandausgewählter Diskurse bei einschlägigen Themen wie Asylpolitik,Vergangenheitspolitik, innere Sicherheit, Zuwanderungspolitiketc. die Übernahme neurechter Argumentationsmuster in Teilenvon Politik und Medien fest.

Neben der „Neuen Rechten“ verstehen sich die Revisio-nisten ebenfalls als Intellektuelle. Ihnen geht es darum, dieSchrecken der Naziherrschaft mit pseudo-geschichtswissen-schaftlichen Argumenten zu relativieren. In diesem Sinneagiert auch der in Tübingen ansässige Grabert-Verlag mit sei-nem Tochterunternehmen, dem Hohenrain-Verlag. Die veröf-fentlichten Werke waren schon mehrmals wegenVolksverhetzung und anderer rechtsextremer Tatbestände ein-gezogen oder wegen Jugendgefährdung indiziert. Die bekann-

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32 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

teste Publikation des Hauses, „Deutschland in Geschichte undGegenwart“, eine pseudowissenschaftlich aufgemachte Zeit-schrift, wird mittlerweile durch den bekannten Rechtsextremis-ten Rolf Kosiek vertrieben, der in der Vergangenheit schrieb,dass seit Jahrzenten an der deutschen Bevölkerung ein syste-matischer Massenmord verübt werde.

Auch das Studienzentrum Weikersheim galt viele Jahrelang als Institution, die eine Art Scharnierfunktion zwischenRechtskonservatismus und der Neuen Rechten ausübte.

Gegründet vom ehemaligen baden-württembergischenMinisterpräsidenten Hans Filbinger fiel es immer wieder durchKontakte zu Personen auf, die jenseits der demokratischenGrenzen stehen. So hatte etwa der REP-Vorsitzende Rolf Schlie-rer eine führende Funktion im Kuratorium des Zentrums inne,musste es aber nach öffentlichem Druck verlassen. Neben vie-len Persönlichkeiten aus dem demokratischen Spektrum wur-den auch Referenten mit eher zweifelhaftem Ruf eingeladen.So zum Beispiel der im Jahr 2000 verstorbene Lothar Bossle,der neben seinen Kontakten zum Pinochet-Regime und derchilenischen Folterkolonie Colonia Dignidad sowie der Mun-Sekte in Südkorea auch regelmäßig in der rechtsextremen Ver-lagsgruppe Grabert/Hohenrain publizierte.

Die Mischung aus demokratischer Prominenz undrechtsextremer Intelligenz birgt die Gefahr, dass durch die He-ranziehung eindeutiger Demokraten zur Legitimation des Stu-dienzentrums die Aufmerksamkeit abfällt von den Inhalten unddenjenigen, welche die Inhalte gestalten.

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Die 1960er Jahre: Entstehung undAufschwung der NPD

Parteien:– Deutsche Reichspartei (DRP)– Deutsche Freiheits-Partei (DFP)– Deutsche Gemeinschaft (DG)– Freie Sozialistische Volkspartei (FSVP)– Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD)als Zusammenschluss von DFP und DG

– NPD als Sammlungspartei des rechtsextremen Lagers,erste Wahlerfolge ab 1966

Nazistische Organisationen oder Gruppen:– Wiking-Jugend– Aktion Oder-Neiße (AKON)– Bundesverband der Soldaten der ehemaligenWaffen-SS (HIAG)

– Reichsverband der Soldaten (RdS)

Sonstige Organisationen:– Deutsches Kulturwerk Europäischen Geistes (DKEG)– Bund Heimattreuer Jugend (BHJ)

Die 1970er Jahre: Entstehung des Neo-nationalsozialismus mit zeitweiligemBedeutungsverlust der NPD

Parteien:– NPD im Niedergang– Deutsche Volksunion (DVU) entsteht zunächst als Verein

Neonazistische oder aktionistische Organisationenoder Gruppen:

– Deutsche Bürgerinitiative– Wiking-Jugend– NSDAP/Auslands- und Aufbauorganisation– Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene– Verschiedene lokale Gruppen: Bund der Aufrechten,Demokratische National-Sozialistische Gemeinschaft

Sonstige Organisationen:– Aktion Neue Rechte– Bund Heimattreuer Jugend (BHJ)– Deutsches Kulturwerk europäischen Geistes

Die 1980er bis Mitte der 1990er Jahre:Wahlerfolge von Parteien und Verbotevon neonazistischen Gruppen

Parteien:– NPD stagniert– DVU wird 1987 Partei und hat erste Wahlerfolge– Republikaner gründen sich 1983 und werden Ende der1980er Jahre zur führenden rechtsgerichteten Partei

Neonazistische oder aktionistische Organisationenoder Gruppen:

– Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP)– Wiking-Jugend (1994 verboten)– Rechte Skinhead-Subkultur (etwa ab 1983)– Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene

Sonstige Organisationen:– Bund Heimattreuer Jugend– Deutsches Kulturwerk europäischen Geistes– Rechte Verlage und Vertriebsdienste

Strukturwandel in der Mitte der1990er Jahre nach der Verbotswelle

Parteien:– NPD ab Mitte der 1990er Jahre im Aufschwung– DVU feiert punktuelle Erfolge– Republikaner verlieren bundesweit an Bedeutung.In Baden-Württemberg feiern sie hingegen zweimalden Einzug in den Landtag

Neonazistische oder aktionistische Organisationenoder Gruppen:

– Bildung der weniger verbotsgefährdeten„Kameradschaften“ durch sogenannte„Freie Nationalisten“ als Nachfolger der Neonazi-Orga-nisationen (Steuerungsinstrumente: Info-Telefone,Schaffung einer Internetplattform für Projekte;Annäherung zwischen NPD und Neonazis)

– Rechte Skinhead-Subkultur überschneidet sichin Teilen mit Neonazis

– Hilfsorganisation für „nationale politische Gefangene“

Rechtsextremismus in der Gegenwart

Rechtsextreme Parteienkonkurrenz:– Erstarken der NPD– Bedeutungsverlust für DVU und Republikaner– Gründung von rechtspopulistischen „Pro-Gruppen“nach dem Vorbild von „pro Köln“ und von „pro NRW“

Bildung der „Volksfront von Rechts“:– Organisatorische Verflechtung zwischen NPD undFreien Nationalisten

– „Kameradschaften“ in einigen Regionen sehr präsent,Entstehung der „Autonomen Nationalisten“

– Rechte Skinhead-Subkultur bleibt stark und gewalttätig

Verlage, Vertriebsdienste und Internetangebote:– Scharnierfunktion zwischen Rechtsextremen und derMitte der Gesellschaft

– Webangebote präsentieren die „Erlebniswelt“Rechtsextremismus

Entwicklung rechtsextremer und rechtsgerichteter Organisationenim Bund und in Baden-Württemberg

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Rechtsextremismus ist in Deutschland ein stigmatisierenderBegriff. Wer jemanden als rechtsextrem bezeichnet, grenztdiesen aus dem politischen Diskurs aus. Umgekehrt signalisiertdie Selbstbeschreibung eines Bürgers als Rechtsextremist, dassdieser sich deutlich von der politischen Mitte abgrenzenmöchte. Indem er sich in eine Fundamentalopposition be-gibt, verneint er eine gemeinsame Diskussionsgrundlage.Wegen dieser Begriffsverwendung entsteht in der Öffentlich-keit häufig der Eindruck, dass Rechtsextremismus einProblem ist, das nur einige wenige betrifft und am Rand derGesellschaft auftritt. Aus dieser Sicht reichen ein funktions-fähiger Verfassungsschutz bzw. eine tatkräftige Polizei aus,um Demokratie und Menschenrechte zu schützen. DieseWahrnehmung verkennt jedoch, dass die Übergänge vomRand zur Mitte und vom latenten zum manifesten Rechts-extremismus fließend sind. Die Mitte der Gesellschaft istkeineswegs vor Rechtsextremismus gefeit. Damit handelt essich um ein gesellschaftspolitisches Problem, das nicht nurdie Strafverfolgungsbehörden angeht. Achtung der Menschen-würde und Demokratie sind auf die Unterstützung allerBürgerinnen und Bürger angewiesen.

Sind rechtsextreme Einstellungen inder Gesellschaft verankert?Laut der FES-Studie „Bewegung in der Mitte“ haben 7,6 Prozentaller Bundesbürger eine gefestigt rechtsextreme Einstellung.Bei einzelnen Einstellungsmerkmalen wie Fremdenfeindlich-keit sind es gar mehr als ein Viertel, laut einer Studie desKriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsens e.V.

sind es mehr als 40 Prozent bei Schülern und Schülerinnen.Viele Studien weisen auf die Übergänge zwischen Rand undMitte hin. Eine Wissenschaftlergruppe des Otto-Suhr-Institutsanalysierte 2003, wie sich Befragte mit rechtsextremen Einstel-lungen auf einer Links-Rechts-Skala einschätzen. Zehn Prozentder Befragten, die sich links einstufen, sind rechtsextremeingestellt. Jeweils 15 Prozent, die sich der linken bzw.der rechten Mitte zuordnen, denken ebenfalls rechtsextre-mistisch und 36 Prozent verorten sich direkt rechts. Diesbelegt, dass ein Teil der Bevölkerung zumindest teilweiserechtsextreme Einstellungen aufweist, ohne sich selbst alsrechtsextrem wahrzunehmen.

Hinsichtlich einzelner rechtsextremer Haltungen ist dieMitte der Gesellschaft sehr anfällig. Dies zeigen die empiri-schen Befunde der Erziehungswissenschaftler Klaus Ahlheimund Bardo Heger aus dem Jahr 1999 am Beispiel des rechts-extremen Ideologems der Fremdenfeindlichkeit. Zunächstuntersuchten sie die Einstellungen von Bürgerinnen undBürgern in Bezug auf Fremdenfeindlichkeit. Sie überprüftendann bei denjenigen mit überwiegend fremdenfeindlichenEinstellungen, für welche Parteien sie sich bei der Wahlentscheiden würden. Lediglich 5 Prozent würden die Republi-kaner (und 1 Prozent sonstige Parteien) wählen; der überwie-gende Teil aber demokratische Parteien: 34 Prozent CDU/CSU,29 Prozent SPD, 7 Prozent FDP, 7 Prozent Bündnis 90/Die Grü-nen und 3 Prozent PDS. Niedrige Wahlergebnisse für rechteParteien bedeuten also nicht automatisch, dass rechtesGedankengut nur in geringem Maße existiert. Diese Parteienschöpfen lediglich ihr Wählerpotenzial nicht aus. Das gilt auchfür Baden-Württemberg.

Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft

Befürwortung einer Diktatur: 3,7%

Ausländerfeindlichkeit: 17,8%Chauvinismus: 14%Antisemitismus: 13,3%

Sozialdarwinismus: 1,8%

VerharmlosungNationalsozialismus: 7,2%

7,6%rechtsextremeEinstellungen(im Bund)

Quelle: „Bewegung in der Mitte – RechtsextremeEinstellung in Deutschland 2008“,Oliver Decker und Elmar Brähler, im Auftragder Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2008

Rechtsextreme Einstellungenin Baden-Württemberg (2002–2008)

Diese Zahlen deuten darauf hin, dass Demokratie undMenschenwürde keine Selbstverständlichkeit sind. Hinzukommen die Bemühungen von Rechtsextremen, immermehr in die Mitte der Gesellschaft zu drängen und vondieser akzeptiert zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen,treten sie immer öfter als Wölfe im Schafspelz auf.

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Welche rechtsextremen Denkmustergreifen politische Eliten auf?Aber die Übergänge zwischen Rand und Mitte lassen sich nichtnur an Zahlen festmachen. In den letzten Jahren stießenPolitikerinnen und Politiker sowie Intellektuelle immer wiederDiskussionen an, bei denen sie auf rechtsextreme Inhalte zu-rückgriffen – ob aus Überzeugung oder um Wählerstimmenzu gewinnen, sei dahingestellt.

Dafür gibt es viele Beispiele. Im Bundestagswahlkampf2005 sprach Oskar Lafontaine, „Die Linke“, auf einer Kundge-bung in Chemnitz davon, „dass Familienväter und Frauenarbeitslos werden, weil Fremdarbeiter mit zu niedrigen Löhnenihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“. Damit bediente Lafontainerassistische Vorurteile, indem er zum einen eine grundlegendeDifferenz zwischen Einheimischen – „Familienvätern“ und„Frauen“ – sowie „Fremden“ unterstellte. Zum anderen dämoni-sierte er „den Fremden“, der Einheimischen mit Tricks wie„niedrigen Löhnen“ etwas wegnehmen wolle. Der Fremde wirdnicht als „Familienvater“ oder „Frau“, sondern eben nur alsLohndrücker vermittelt. Von dieser Äußerung distanzierte sichOskar Lafontaine danach.

Ein zweites Beispiel ist die Rede des Bundestagsabgeord-neten Martin Hohmann, CDU, zum Nationalfeiertag im Okto-ber 2003. Darin bezeichnete er Juden und Jüdinnen indirektals „Tätervolk“. Es entspricht der Ideologie des Nationalsozialis-mus, Juden und Jüdinnen als Volk und nicht als Religionsge-meinschaft zu definieren. Der Ausdruck könnte zudemantisemitische Vorurteile wecken und die nationalsozialisti-schen Verbrechen relativieren, indem der Begriff „Täter“ aufdie vormals Verfolgten und Vernichteten des Nationalsozialis-mus angewandt wird.

Bei seiner Rede erntete er zunächst keinen Protest derZuhörenden. Im Nachhinein jedoch wurde die Rede Hohmannsheftig kritisiert und führte dazu, dass die CDU/CSU ihn als erstenAbgeordneten überhaupt aus der Bundestagsfraktion und späterauch aus der Partei ausschloss.

Festzuhalten bleibt, dass solche Äußerungen Vorurteileverstärken können und eine politische Kultur beschädigen, inder Achtung der Menschenwürde und Demokratie obersteRichtschnur sein sollten.

Der Wolf im Schafspelz – Wie rechtsextremeIdeen gesellschaftsfähig werden sollenAuch wenn in der Öffentlichkeit häufig der Eindruck entsteht,Rechtsextremismus sei ein Problem am Rande der Gesellschaft,das nur wenige betrifft, machen vorhandene rechtsextremeEinstellungen in unserer Gesellschaft sowie der Rückgriff aufrechtsextreme Versatzstücke des einen oder anderen Politikersder „Mitte“ deutlich, dass Demokratie und Menschenwürdekeine Selbstverständlichkeit sind.

Hinzu kommen die Bemühungen von Rechtsextremen,immer mehr in die Mitte der Gesellschaft zu drängen. Dies ge-schieht, indem sie sich scheinbar unpolitisch zum Beispiel inBürgerinitiativen, Elternvertretungen von Schulen oder in der

Jugendarbeit engagieren und dort versuchen, rechtsextremesGedankengut zu verbreiten und Anhänger für die rechte Szenezu gewinnen. Rhetorisch zeigen sie sich dabei gemäßigt,ihre Inhalte sind jedoch radikal und gegen die Achtung derMenschwürde und die Demokratie gerichtet.

Im Folgenden soll anhand von Beispielen aufgezeigtwerden, wie Rechtsextreme agieren und argumentieren undwas wirklich dahintersteckt:

Rechtsextreme und rechtsgerichtete Parteiennehmen an demokratischen Wahlen teil und arbeitenim Parlament mit.

Das bedeutet jedoch nicht, dass sie das demokratischeSystem akzeptieren. Da Rechtsextreme von der Ungleichwer-tigkeit der Menschen ausgehen und einen rechtsautoritärenFührerstaat anstreben, lehnen sie das politische SystemDeutschlands grundsätzlich ab. Sie nutzen ihre Arbeit im Parla-ment nicht dafür, das demokratische System zu verbessern,sondern es abzuschaffen und durch ein neues, menschenver-achtendes System in ihrem ideologischen Sinne zu ersetzen.Uwe Leichsenring, verstorbener parlamentarischer Geschäfts-führer der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, brachte dasin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (21.9.2004) auf denPunkt: „Natürlich sind wir verfassungsfeindlich. Wir wolleneine andere Gesellschaftsordnung.“

Rechtsextreme kritisieren oft, dass sie von„sogenannten Demokraten“ ständig daran gehindertwürden, ihre Meinung frei zu äußern, obwohl dieMeinungsfreiheit ein garantiertes Recht im Grundge-setz ist. Sie stellen sich als Kämpfer für „echte“Meinungsfreiheit dar.

Richtig ist, dass die Meinungsfreiheit ein wichtigesGrundrecht ist, das durch das Grundgesetz geschützt wird.Der Schutz der Menschenwürde gebietet es jedoch, die Mei-nungsfreiheit zu beschränken, sobald sie zur Verletzung derMenschenwürde missbraucht wird. Diese Begrenzung derMeinungsfreiheit ist ebenfalls im Grundgesetz verankert. Weildie Propaganda von Rechtsextremen oft genug die Menschen-würde verletzt, ist die Einschränkung der Meinungsfreiheitin diesen Fällen gerechtfertigt und verstößt nicht gegendas Grundgesetz.

Rechtsextreme engagieren sich zunehmend zumBeispiel in Bürgerinitiativen, Elternvertretungen vonSchulen oder in der Jugendarbeit.

Dieses scheinbar unpolitische Engagement nutzen Rechts-extreme, um ihr Gedankengut zu verbreiten und Anhänger fürdie rechte Szene zu gewinnen:

„Nach außen wollten wir mit unserer Jugendarbeit eingesellschaftsfähiges Image vermitteln, so dass man uns nichtsofort als Rechte erkennt. Das hat auch erschreckend gutfunktioniert: Die Jugendlichen kamen mit ihren Problemen,und wir haben sie in allen Lebenslagen unterstützt, bei Um-zügen oder Ämtergängen. Die waren nicht unbedingt rechts,sind dann aber über uns so reingerutscht. Wir sind zusam-men Fußball spielen gegangen und zu Neonazidemos ge-fahren.“, so ein Aussteiger aus der rechten Szene in SpiegelOnline am 15.9.2006.

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Rechtsextreme nutzen immer öfter rhetorisch ge-mäßigte Slogans, denen auf den ersten Blick nicht an-zusehen ist, was sich genau dahinter verbirgt.

Auch wenn Rechtsextreme immer häufiger versuchen,rhetorisch gemäßigt aufzutreten, und ihre Ansichten auf denersten Blick harmlos erscheinen, verbergen sich dahinter oftrechtsextreme Inhalte, die gegen die Achtung der Menschen-würde und die Demokratie gerichtet sind. Mit dieser Strategiewollen sie rechtsextreme Begriffe und Gedanken gesellschafts-fähig machen und als normale politische Akteure angesehenund akzeptiert werden:

NPD in ihrem Partei-Programm: „NationaldemokratischeSozialpolitik fühlt sich auch den sozial Schwachenunseres Volkes verpflichtet. Ausländer sind aus demdeutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern.Asylanten dürfen keinen einklagbaren Anspruch aufdeutsche Sozialleistungen besitzen.“ Dagegen hat derdeutsche Sozialstaat die Aufgabe, den Schutz der Men-schenwürde auch in materieller Hinsicht zu verwirklichenund für jeden zumindest das Existenzminimum zu sichern.Darüber hinaus hat jeder einen Anspruch darauf, dassihm die Solidargemeinschaft in der Not (z.B. Krankheitoder Arbeitslosigkeit) hilft – unabhängig von seinerHerkunft oder Nationalität.

–––– In Bezug auf die Europäische Union sprechensich Rechte rhetorisch geschickt für ein „Europa derVaterländer“ aus. Da Nationalismus ein Kernelementihrer Ideologie ist, können sie der europäischen Integra-tion nichts abgewinnen. In einer gemeinsamen Erklärungvon NPD, DVU, den Republikanern und „pro Köln“ mitder Identitäts-Traditions-Souveränitäts-Fraktion derrechten Parteien im Europaparlament forderten sie imSeptember 2007: „Anerkennung der nationalen Interes-sen, Souveränitäten, Identitäten und Unterschiedlich-keiten“. Damit betonen sie das Trennende und „vergessen“das Gemeinsame der Europäer. In ihr nationalistischesDenkmuster passt nicht hinein, dass sich jemand zu-gleich als Deutscher und Europäer und vielleicht auchnoch als Badener oder Schwabe oder Türkin versteht.Zudem zeichnen die Rechten ein Zerrbild von Europa.In der Erklärung verpflichten sie sich zur „Opposition zueinem vereinheitlichten und bürokratischen europäi-schen Superstaat“. Dass die europäische Integration zueiner einzigartigen Friedensperiode auf dem Kontinentbeigetragen und den einzelnen Bürgerinnen und Bür-gern zahlreiche Freiheiten gebracht hat, spielt für siekeine Rolle. Sie interessieren sich nur für das „Vaterland“.

–––– Hinter dem harmlos wirkenden Slogan „Wirlieben das Fremde in der Fremde“ verbirgt sich bei-spielsweise die Parole „Ausländer raus!“ Die Idee hinterdem Slogan wird auch unter dem gebildet anmutendenBegriff „Ethnopluralismus“ verbreitet. Dabei gehenRechtsextremisten davon aus, dass es viele „Völker“ gibt,die ein Existenzrecht haben und deswegen nebeneinan-der existieren dürfen. Andererseits sollte jedoch jedesVolk homogen sein. Rechtsextremisten vertreten dabeiden Mythos, dass Völker etwas Natürliches seien, die esschon immer gegeben habe und die über die Zeit gleichgeblieben seien. Darum müsse eine „Vermischung“ vonVölkern verhindert werden. Verschiedenartigkeit undIndividualität innerhalb eines Volkes lehnen sie damit ab.Der Einzelne besitze nur dann eine Würde, wenn er sichim Land seines Volkes befinde, ansonsten sei er rechtlos.Ein türkischstämmiger Mitbürger hätte demnach keiner-lei Rechte, wenn er in Deutschland lebt. Folglich verbirgtsich hinter dieser Idee die Ablehnung der Menschen-würde. Denn Menschenwürde bedeutet, dass jederMensch überall eine Würde besitzt, allein dadurch, dasser Mensch ist.

–––– Rechtsextreme Organisationen haben nun auchdie Sozialpolitik für ihre Propaganda entdeckt und insze-nieren sich als Anwalt und Interessenvertreter der soge-nannten „kleinen Leute“. Aber auch dahinter verbirgtsich eine menschenverachtende Politik. Denn wenn siesich dafür aussprechen, dass es den „kleinen Leuten“besser gehen sollte, sprechen sie nur von denjenigen,die in ihr Weltbild passen. Das zeigt auch der Slogan„Sozial geht nur national“, der sich in seiner Wort-wahl bereits an den historischen Nationalsozialismusanlehnt. Hiermit sprechen sie sich vordergründig füreine solidarische Gesellschaft aus: „Mensch kann derMensch nur da sein, wo er unter seinesgleichen ist undeine solidarische Gesellschaft ausbilden kann.“ (NPD:Argumente für Kandidaten und Funktionsträger, 2006).Allerdings gehen sie von einem völkisch-rassistischenVerständnis von Gesellschaft aus. Die Solidarität gilt nichtfür Menschen, die nicht in das völkische Weltbild hinein-passen, beispielsweise Migranten und Migrantinnen.Solidarität unter Menschen verzerren Rechtsextreme zurSolidarität unter Deutschen. Zum Beispiel schreibt die

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Das Hakenkreuz kennen alle, den Gruß „Heil Hitler“auch. Doch was macht man, wenn solche Inhalte ver-steckt werden, wenn aus „Heil Hitler“ die Zahlenkombi-nation 88 wird? Es gibt mehr als 120 bekannte Symboleund Codes, die verschlüsselt oder offen eine rechte poli-tische Orientierung ausdrücken. Sie sind für Außenste-hende häufig schwer erkennbar. Jedoch sind sie mehrals nur Erkennungsmerkmal für Gleichgesinnte: Sie ver-mitteln ein Gruppengefühl und sie transportieren eineeindeutige politische Botschaft.

Dabei gibt es zwei Kategorien von Zeichen – dieje-nigen mit offenen und diejenigen mit verdeckten Bot-schaften. Die Ersten dienen der offenen politischenSelbstdarstellung des Trägers und sind oft aus einemhistorischen Bezug zum Nationalsozialismus erklärbaroder beziehen sich auf rechtsextreme Parteien.

Die versteckten Glaubensbekenntnisse funktionie-ren anders. Ihre Codes sind nur Eingeweihten bekanntund tragen somit vor allem zur Bildung einer Gruppen-identität der rechten Szene nach innen bei. Nur durchKenntnis des zugeordneten Inhalts kann das Symbolverstanden werden. Ein Außenstehender weiß kaum,dass die Zahlenkombination 28 für das in Deutschlandverbotene Neonazi-Skinhead-Netzwerk „Blood & Honour“(B&H) steht.

„Die Wehrmacht“ und „Der Landser“ sind dieam häufigsten verwendeten Vorbilder in der rechtenJugendszene. Aus dem militärischen und kriegerischenSpektrum stammen ein Großteil der Bezeichnungen vonBands und Zeitschriften. Zu der Heroisierung von Krie-gern und Kämpfern gehört auch die Darstellung desSkinheads.

Ähnlich beliebt ist die Bezugnahme auf germani-sche Kämpfer und Wikinger. Viele rechte Jugendlichedefinieren sich selbst auf diese Weise als jüngstes Gliedin einer angeblich historisch begründeten Identitätslinie.Weite Verbreitung hat zum Beispiel die Irminsul, dasSymbol für den Lebensbaum oder die Weltenesche,die das Dach der Welt trägt. Sie gilt als Gegensymbolzum christlichen Kreuz und war das Zeichen des „Ahnen-erbe“, der zentralen SS-Forschungseinrichtung.

Bei der Beschreibung des Kleidungsstils und derSymbolik in der rechten Jugendszene lässt sich längstnicht mehr nur das Bild des martialischen Neonazi-Skinszeichnen. Die optischen Abgrenzungen zu anderen Szenenwerden zusehends unscharf und es vermischen sich Stil-elemente, Symbole und ästhetische Vorstellungen.

Die (versuchte) Übernahme linker oder vermeint-lich linker Symbolik ist ein anderes Problemfeld. DasTragen von „Palästinenser-Tüchern“ und die Nutzungschwarzer Fahnen gehören bei neonazistischen Auftrittenbeinahe schon zum Standardrepertoire, Symbole antifa-schistischer Gruppen und Kampagnen erfahren eineVerfremdung und werden ins Gegenteil verkehrt. Selbstder Irokesen-Schnitt, weithin als Punk-Frisur verstanden,ist heute unter den Neonazis kein Tabu mehr.

Obwohl die extrem rechte Jugendkultur die „Braun-hemden“ im Schrank lässt und stattdessen – modischauf dem neuesten Stand – mit Piercings auftritt, hat dasInteresse an Symbolen mit NS-Bezug nichts an Populari-tät verloren. Das Eiserne Kreuz und die Reichskriegs-fahne sind sogar die am häufigsten und in vielfältigenProduktvarianten angebotenen Symbole der diversenextrem rechten Versandhändler. Auch andere Zeichenaus dem Nationalsozialismus, wie die Schwarze Sonneoder die Kombination Hammer und Schwert, werden inder Szene immer beliebter. Die farbliche Gestaltungvon Fahnen und Symbolen in der extrem rechten Szenewird nur wenig wahrgenommen. Dabei stellen geradedie Farben schwarz-weiß-rot einen wichtigen Eckpfeilerder Identifikation innerhalb der extremen Rechten dar.

Zahlencodes dienen der Verschlüsselung strafrecht-lich relevanter Begriffe, Grußformeln oder Organisa-tionszeichen. Sie werden in einer Vielzahl von T-Shirt-Motiven, Emblemen, Gruppen- und Bandnamen ver-wendet. Dabei stehen die Zahlen synonym für die ent-sprechenden Buchstaben im Alphabet. Bereits für dieunmittelbare Nachkriegszeit lässt sich der heute popu-läre Code „88“ als Verschlüsselung für „Heil Hitler“ nach-weisen. Da Zahlenaufdrucke auf T-Shirts oder Jackengenerell beliebt sind und von führenden Markenherstel-lern ohne politischen Hintergrund angeboten werden,sollte unbedingt darauf geachtet werden, in welchemKontext sie auftauchen.

Für den Umgang mit extrem rechten Jugendkultu-ren ist das Wissen um Symbole, Codes und Kleidungsstilwichtige Voraussetzung. Verbote allein greifen zu kurz.

Entnommen aus:„Lern- und Arbeitsbuch gegen Rechtsextremismus –Handeln für Demokratie“, Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2008

Die „88“ auf dem T-Shirt –Politische Aussage oder sportliches Design?

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Zahlreiche Jugendszenen existieren neben- und miteinander,einige davon bekämpfen sich auch gegenseitig. Für Jugend-liche gewinnen Gruppen von Gleichaltrigen während ihrerSozialisation enorm an Bedeutung. Dort finden sie verschie-dene Möglichkeiten, sich zu entfalten und zu erproben. Aufder überregionalen Ebene ordnen sich die verschiedenenCliquen bestimmten Szenen zu, die sich durch soziokultu-relle Gemeinsamkeiten auszeichnen. Dazu gehören ästheti-sche Ausdrucksformen sowie die Übernahme von Welt- undSelbstdefinitionen. Neben Subkulturen wie Gothic oderMetal, die in Teilen für rechtsextreme Einflüsse offen sind,sind die Neonazis und die rechten Skinheads zwei Jugend-szenen, deren Welt- und Selbstdefinitionen ausdrücklichrechtsextrem geprägt sind. Beide Szenen vermitteln den Ju-gendlichen in der Gemeinschaft ein trügerisches Gefühl vonStärke und Anerkennung.

Der Versuch, rechtsextreme Gruppen trennscharf voneinan-der zu unterscheiden, fällt schwer. Jede Gruppe besteht ausIndividuen, die in ihrer jeweils eigenen Ideologie unterschied-liche Schwerpunkte legen. Die einen fühlen sich dem klassi-schen Nationalsozialismus nahe, die anderen leben eher einemoderne Form des Rechtsextremismus aus. Daher können diefolgenden Kategorisierungen nur Leitmarken sein, aber nichtfür jede Person im rechtsextremen Milieu sprechen.

Neue Nazis mit alten Zielen –Wofür treten Neonazis ein?Neonazis berufen sich ideologisch auf den historischenNationalsozialismus, wobei die Bezugspunkte innerhalb derSzene variieren. In jedem Fall vertreten sie einen völkischenNationalismus, den sie durch „Überwindung des Systems“

Die rechtsextreme Jugendszene

NeoNazis-- Gefestigte rechtsextreme Gesinnung

-- Sind in kleinen unabhängigen Gruppen organisiert,meist in Kameradschaften die untereinandervernetzt sind

-- Uneinheitlicher Kleidungsstil, zum Teil unauffällig,Szenemarken und Symbole spielen aber eine Rolle

-- Aktivistische Orientierung – Demonstrationen,gemeinsame Abende mit Schulungen undpolitische Aktionen spielen eine große Rolle

Freie– undAutonome Nationalisten

-- Sind die neueste Erscheinungsform undbekommen viel Zulauf, auch aus anderenrechtsextremen Gruppen

-- Gefestigte rechtsextreme Einstellung

-- Aktivistische Orientierung – Demonstrationen,gemeinsame Abende mit Schulungen undpolitische Aktionen spielen eine große Rolle

-- Regionale Gruppen die im Regelfall überregionalvernetzt sind

-- Sind betont jugendlich und verwenden verstärktneue Medien

-- Fallen oft durch ihre Gewaltbereitschaft, vor allemauf Demonstrationen auf

-- Ihr Kleidungsstil passt sich den verschiedenenJugendszenen an, sie kopieren seit vielen Jahrenden Kleidungsstil linksautonomer Gruppen undtreten auf Demonstrationen als sogenannter„Schwarzer Block“ auf

RechteSkinheads

-- Lose organisiert, man trifft sich auf Konzerten etc.

-- Hohe Akzeptanz von Gewalt gegen andere,aber auch innerhalb der Gruppe

-- Alkohol spielt eine große Rolle, aber auchgemeinsame Fahrten zu Demonstrationenoder zu Konzerten

-- Dumpfe rassistische Einstellung

-- Meist an stereotypen Merkmalen zu erkennen:Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke undbetont männlich-aggressives Auftreten

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verwirklichen wollen. Mit dem Begriff „System“ verschleiern sienur schwach, dass sie sich gegen die Achtung der Menschen-würde und Demokratie richten. Menschen, die nach der neo-nazistischen, rassistischen Definition nicht dem „deutschenVolk“ angehören, bezeichnen sie als minderwertig. Damitrechtfertigen sie Diskriminierung und sogar Gewalt gegendiese Gruppen. Viele Neonazis sind – trotz vermehrter Zusam-menarbeit mit der NPD in jüngster Zeit – parteiförmig unge-bunden, weil ihrer Meinung nach Parteien zur Anpassung andas zu überwindende System neigen. Bis zu Beginn der 1990erJahre waren die Neonazis häufig in Vereinen organisiert. Diesänderte sich dann allerdings. Denn als nach der Wiedervereini-gung Deutschlands rechtsextreme Straftaten, insbesondere ge-walttätige Übergriffe auf Migranten und Migrantinnen sowieandere Minderheiten, drastisch zunahmen, erhöhten die In-nenministerien des Bundes und der Länder den Verfolgungs-druck auf neonazistische Organisationen. Mit zahlreichenVereinsverboten störten sie die rechtsextreme Infrastrukturempfindlich. Zuletzt wurde 2009 der Verein „HeimattreueDeutsche Jugend“ (HDJ) verboten, der seine Jugendarbeit anden NS-Jugendorganistationen „Hitlerjugend“ (HJ) und dem„Bund Deutscher Mädel“ (BDM) orientierte.

Wie sind Neonazis heute organisiert?Freie KameradschaftenAls Folge dieser Politik entwickelten Vordenker der Neonazi-Szene, wie Thomas Wulff, Christian Worch und ThorstenHeise, eine neue Organisationsstrategie, die vornehmlichdurch eine informelle Struktur gekennzeichnet ist – die soge-nannten „freien Kameradschaften“. Demnach bilden sich auflokaler Ebene kleine, autonome Gruppen. Meistens umfassensie 5 bis 25 Mitglieder mit einem Durchschnittsalter zwischen20 und 25 Jahren. Sie sind aktionistisch orientiert und deswe-gen hochgradig mobilisierungsfähig. Dies geschieht mittelsInternet und Handy für gemeinsame überregionale Aktivitätenwie Demonstrationen. Ungeachtet der dezentralen Organisa-tion sind die örtlichen Kameradschaftsführer untereinandervernetzt, wobei auch hier wiederum einige wenige den Tonangeben. Die Vernetzung fördern die sogenannten Aktions-büros in mehreren Regionen Deutschlands. Für Nordrhein-Westfalen ist z.B. das „Aktionsbüro Westdeutschland“ zuständig.Dieses hält auf seinen Webseiten unter anderem Propaganda-material und Informationen für Kampagnen bereit. Da dieKameradschaften ohne Vereinsstatut, offiziellen Mitglieder-status und Vereinsvermögen auskommen, fehlen den staatli-chen Behörden Ansatzpunkte für repressive Maßnahmen.Damit besitzen die Neonazis unter dem Motto „Organisierungohne Organisation“ einen jederzeit mobilisierbaren, gemein-schaftlich agierenden Verbund.

Das Kameradschaftsleben zeichnet sich durch gemein-same Treffen mit Stammtischcharakter aus, zum Teil findenaber auch „politische Bildungsveranstaltungen“ in Form vonVorträgen statt. Häufig ist die Existenz einer Kameradschaftvon einem Führer abhängig, ohne den die Gruppe zerfällt.Weiterhin wird das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt

durch Demonstrationstourismus und den dabei zumeist auf-tretenden Kontakten mit den eigenen Feindbildern: linkeGegendemonstranten und Polizei. In Baden-Württembergzählten 2008 rund 400 Personen zur Kameradschaftsszene.Regionale Schwerpunkte sind vor allem der Rems-Murr-Kreis,Rastatt, Karlsruhe und das Rhein-Neckar-Gebiet, auch jenseitsder Landesgrenze.

Autonome und Freie NationalistenSie sind die jüngste und am schnellsten wachsende Gruppie-rung innerhalb des rechtsextremen Spektrums. Ihre ungebun-dene Organisation ist ähnlich strukturfrei wie die derKameradschaften und ermöglicht es ihren Mitgliedern, sichauch in anderen rechtsextremen Kreisen zu engagieren. Diesehr heterogenen Gruppen sind im Regelfall aktionistisch aus-gerichtet und haben eher jüngere Mitglieder, Personen überMitte zwanzig findet man eher selten. In ihrem Auftreten undihren Aktionen heben sie sich bewusst von den rechten Par-teien ab und bieten so eine für Jugendliche attraktive Alterna-tive. Bewusst wird der Erlebnisfaktor in den Vordergrundgestellt und jugendliche Auflehnung gegen das gesellschaftli-che System genutzt. Optisch sichtbar wird dies auch am Klei-dungsstil. Im Gegensatz zu den Neonazis alter Schule laufensie nicht mit Seitenscheitel und Hemd herum, sondern kleidensich bewusst jugendlich und weniger angepasst. Auf Demons-trationen traten Autonome Nationalisten in den letzten Jahrenvermehrt als schwarzer Block auf. Damit kopieren Rechts-extreme das Auftreten linker Autonomer. Auch Hooligans füh-len sich mitunter angezogen von den eher erlebnisorientiertenAutonomen Nationalisten. Politisch geben sich diese gerneantiamerikanisch, antiimperialistisch und antikapitalistisch.Inhaltlich bedienen sie sich mitunter auch beim politischenGegner von links außen. Durch ihre Militanz und ihr öffentli-ches Auftreten kam es in der Vergangenheit zu Zwistigkeitenzwischen der NPD und den autonomen Gruppen. Mit der Aus-sage „unsere Fahnen sind schwarz, unsere Blöcke sind esnicht“, distanzierte sich Udo Voigt von den Autonomen Natio-nalisten, die bereits auf Demonstrationen auffällig gewordenwaren. Seine Kritik musste er aber kurze Zeit später zurück-nehmen. Längst arbeiteten regionale NPD-Kräfte und JungeNationaldemokraten (JN) erfolgreich mit ihnen zusammen.Trotzdem betonen die Autonomen ihre Eigenständigkeit ge-genüber der NPD. Ihre Zahl in Baden-Württemberg kann leidernicht eindeutig quantifiziert werden, der Verfassungsschutzgeht von ca. 100 Personen aus. Klar ist, dass es längst keinemilitante Randerscheinung mehr ist, sondern das bevorzugteBetätigungsfeld junger Rechtsextremisten.

Alte Gefahr in neuen Kleidern –Welche Symbole und Codes spielen eine Rolle?Als Erkennungszeichen haben Rechtsextreme verschiedeneSymbole und Codes entwickelt, die sich häufig auf den National-sozialismus beziehen (Siehe auch Seite 37). Dazu gehörttypischerweise das Hakenkreuz. Da die Verwendung aber ver-

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boten ist, versuchen Rechtsextreme solche Verbote mit Zahlen-codes zu umgehen. Zum Beispiel steht der Code 88 jeweils fürden achten Buchstaben im Alphabet. HH ist ein Kürzel für„Heil Hitler“. Weitere Zahlencodes sind 18 für „Adolf Hitler“oder 198 für „Sieg Heil“.

In öffentlichen Stellungnahmen sprechen sich bisweilenNeonazis gegen Gewalt aus. Angesichts ihrer ablehnenden Hal-tung zur Achtung der Menschenwürde, die Gewalt legitimiert,geschieht dies jedoch aus taktischen Gründen. Denn um dieÖffentlichkeit nicht abzuschrecken, bemühen sie sich teilweiseum ein bürgerliches Auftreten, gerade bei Demonstrationen,wo sie am ehesten nach außen sichtbar sind. So legen dieOrganisatoren mitunter Wert auf eine halbwegs seriöseKleidung. Zum „Trauermarsch“ in Lübeck am 29. März 2007schrieb beispielsweise der Veranstalter im Aufruf auf seinerInternetseite:

„Alliierte Kleidungsstücke wie Bomberjacken und Sprin-gerstiefel sind nicht nur von der Versammlungsbehörde un-tersagt, sondern auch vom Veranstalter unerwünscht. Dazuzählen auch Halbschuhe mit Stahlkappe. [...] Am sinnvollstenist, Bekleidungsstücke zu tragen, die überhaupt keinen Auf-druck haben. Bedenkt bitte: Es ist ein Trauermarsch, alsokleidet Euch entsprechend!!!“

Eine neuere Entwicklung in der rechtsextremenJugendszene ist eine zunehmende Bandbreite an Dresscodes.So tragen die rechtsextremen „autonomen Nationalisten“schwarze Kapuzenpullover, Sonnenbrillen, Baseballmützenund Palästinenser-Tücher. Damit sind sie äußerlich nichtvon Links-Autonomen zu unterscheiden. Sie können aberauch andere Kleidungsstile der Hardcore-Szene adaptierenund sind nur noch an wenigen Merkmalen zu erkennen. ZumTeil können dies die Ohrringe sein oder die Gürtelschnalle.Die Szeneshops im Internet haben für jeden etwas im Angebot.

Kahle Köpfe in der rechtsextremen Szene –Welche Bedeutung haben Skinheads?Die Auflösung fester Dresscodes betrifft teilweise auch dieSkinheadszene – so wird nun auch hier etwas modischere Klei-dung getragen und die Haare werden nicht immer geschoren.Ursprünglich stammt die Skinheadbewegung aus Großbritan-nien und war dort zunächst eher unpolitisch. Als Gegenbewe-gung zu den Hippies entstand sie Ende der 1960er Jahre imArbeitermilieu. Hauptsächlich zählten sich junge Männer dazu,von denen etliche prekäre Zukunftsaussichten besaßen. Ästhe-tisch legten sie mit Jeanshose, Bomberjacke, Springerstiefelnund Glatzkopf Wert auf eine aggressive Männlichkeit. Herausra-gende Freizeitaktivitäten waren Fußball, Randale bis zu Schläge-reien, exzessive Saufgelage und Konzerte, insbesondere vonSka-Bands. Ab den 1970er Jahren setzte dann eine Politisierungder Skinheads ein. Während ein Teil rassistische Ideen über-nahm, schwenkte ein anderer Teil der Szene, die Sharp- oderRed-Skins nach links, ein dritter Teil wiederum, die „Oi!-Skins“,blieb betont unpolitisch. In dieser Zeit verbreiteten sich Skin-heads auch in Deutschland. Inzwischen dominieren inDeutschland die rechten Skinheads.

Die rechte Skinhead-Szene ist durch eine gewisse Hete-rogenität gekennzeichnet. Es gibt keine festen Strukturen. JedeClique ist anders. Für das Zusammengehörigkeitsgefühl spieltneben dem beschriebenen Dresscode Musik eine herausra-gende Rolle. Zum einen stabilisieren Konzerte die Szene durchpositive gemeinsame Erlebnisse, zum anderen dienen sieder Rekrutierung neuer Mitglieder und der Verbreitung rassisti-scher Botschaften. Ferner festigen die genannten rechtsextre-men Symbole und Codes die kollektive Identität der Skinhead-Gruppen. Ideologisch ist die Szene in weiten Teilen nichtgefestigt. Es herrscht eher ein dumpfer Rassismus vor, häufigAntisemitismus, dem autoritäre Orientierungen beigemischtsind. Zudem besteht eine hohe Gewaltbereitschaft, die bereitszahlreiche Opfer gefordert hat: in erster Linie Migranten,Schwarze, Homosexuelle und Linke. In Baden-Württemberggab es laut Schätzungen des Landesverfassungsschutzes imJahr 2008 etwa 700 rechtsextreme Skinheads. Damit setzt sichein Abwärtstrend seit 2005 fort, als die Szene noch mehr als1040 Personen zählte. In wie fern dieser Rückgang auf Ver-schiebungen innerhalb der Szene zurückzuführen ist, z.B.durch Abwanderungen zu den Autonomen Nationalistenoder zur JN, lässt sich nur vermuten, aber nicht quantifizieren.Auch die Krise der rechtsextremen Skinheadmusik, die inBaden-Württemberg als traditionell stark galt, scheint dafürursächlich zu sein.

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„Bundesvorsitz der NPD–Frauenorganisation in baden-würt-tembergischer Hand“ meldete das Landesamt für Verfassungs-schutz im November 2009 und berichtete über die Wahl derrechtsextremen Multifunktionärin Edda Schmidt aus Bisingen/Zollernalbkreis an die Spitze des „Ring-Nationaler-Frauen“(RNF). Die 61-Jährige, deren politisches Spezialgebiet Brauch-tumspflege ist, sei eine „fulminante Fehlbesetzung“ und nichtdazu geeignet, eine moderne nationale Frauengruppe zu re-präsentieren, hieß es in NPD-kritischen rechtsextremen Dis-kussionsforen. Andere unkten, Frau Schmidt mache aus demRNF einen Häkelverein oder gar eine „Waffel-SS“.

Szenenwechsel: „Wer kennt diese Frau?“, fragten über-regionale Zeitungen im Jahr 2007. Vermummt und mit Molo-tow-Cocktail in der Hand warb Anne-Marie Doberenz, ehemals

Stützpunktleiterin der Jungen Nationaldemokraten (JN) inFriedrichshafen und „Autonome Nationalistin“, auf Internet-portalen für einen Aufmarsch der Rechtsextremen. DieserAuftritt verhalf Frau Doberenz zu bundesweiter Bekanntheit,er wurde intern jedoch kritisiert, konterkariert er dochdas Bestreben der NPD, vom Image einer rechtsextremenSchlägertruppe loszukommen.

Edda Schmidt und Anne-Marie Doberenz verkörperngegensätzliche Frauentypen, Betätigungsfelder und Rollen-bilder, die in der rechtsextremen Szene nebeneinander exis-tieren. Frauen und Mädchen wirken heute auf verschiedenenEbenen des rechtsextremen Spektrums mit und sind in un-terschiedlichen Strömungen der rechten Szene aktiv: vomvölkisch-traditionalistischen Lager bis hin zur militanten Neo-

Frauen und Mädchen in der rechtsextremen SzeneEin Beitrag von Ellen Esen

Als politische Akteurinnen werden Frauen häufigverkannt und haben es deswegen leicht, ihreIdeologie unter das Volk zu bringen. Sie tun dasoft ganz subtil, etwa wenn sie sich einbringen inEhrenämter für örtliche Vereine oder in Eltern-vertretungen von Schulen.Mit der steigenden Präsenz von Frauen bekommtder Rechtsextremismus ein freundlicheresGesicht und normalisiert sich in der öffentlichenWahrnehmung.

Ein wachsender Frauenanteil trägt dazu bei, dasssich die braune Szene stabilisiert. RechtsextremeMänner finden gleichgesinnte Partnerinnen, siegründen „nationale Familien“, die sich vernetzenund soziale Parallelwelten in Deutschland schaffen.

„Natürlich müssen wir nicht auf die Teilhabe am politischen Kampfverzichten. Frauen […] sind bewusst aus dem Schatten frühererMännerdominanz getreten, um nun selbst anzumelden, auszu-führen, durchzuklagen, zu kämpfen und zu führen! Wir Frauen inder Bewegung Nationaler Sozialisten werden nicht von Partei undVereinigungen missbraucht, sondern sind selbst schon stark genug,der Bewegung eine Richtung zu geben!“

Aktivistin des Freien Netz Jena

Ob Parfum, Schmuck oder

Reizwäsche: Im Warenangebot

rechtsextremer Händ ler

spiegelt sich die wachsende

und damit auch kommerziell

interessante Bedeutung von

Frauen in der rechten Szene.

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nazi-Szene. Sie sind damit auch eingebunden in Richtungs-kämpfe der permanent verstrittenen Rechtsextremen. Eineinheitliches Rollenbild trifft man in der extremen Rechtennicht an. Obwohl Rechtsextreme am Ideal der Mutterschaftals die „naturgegebene Aufgabe der Frau“ festhalten, vollziehtsich im praktischen Leben der Rechtsextremistinnen ein Bruchmit dem Mutterkult und verstaubten Ideologien. Unter demDach eines modernen Rechtsextremismus finden heute kon-servativ-traditionell orientierte Frauen ihren Platz, aber auch„nationale Feministinnen“. Dabei können Frauen ihren Beitragfür das übergeordnete „Projekt Volksgemeinschaft“ frei wäh-len: Als Mutter, die durch das Gebähren und die Erziehungmöglichst vieler Kinder dem „nationalen Volkstod“ entgegen-steuert oder als politische Akteurin, die sich aktiv für die„nationale Sache“ engagiert – oder beides. In der Vielfalt mög-licher Rollenbilder liegt letztendlich eine Stärke des Rechts-extremismus. Er umschmeichelt diejenigen, die aufgehen inihrer Rolle als Hausfrau und Mutter und bietet ihnen Identitätund Rückhalt. Für politische Aktivistinnen bringt er heutezunehmend Anerkennung als geschätzte Mitkämpferinnengegen das verhasste „System“ der Demokratie.

Schon lange wirken Frauen und Mädchen in den ver-schiedenen Spektren des Rechtsextremismus mit. Neu istallerdings, dass sie vermehrt offen auftreten und stärker inden politischen Vordergrund drängen. Dies wird seit kurzemvon rechtsextremen Parteistrategen auch explizit gefördert.Man hat erkannt, dass Frauen eine wichtige Rolle als Tür-öffnerinnen auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaftspielen können.

Kaum eine Veranstaltung der rechten Szene kommtheute ohne spezielles Begleitprogramm für Kinder undJugendliche aus. Solche Feste und die steigende Präsenz vonFrauen verleihen der rassistischen Ideologie einen freundli-chen Anstrich. Sie dienen der Rekrutierung neuer Anhänger/-innen und sollen das angeschlagene Image der Rechtsextre-men aufpolieren. Zugleich stabilisieren Frauen die Szene, dennsie entbinden den stolz-deutschen Mann von einer Brautschauaußerhalb des eigenen ideologischen Umfelds und es kommtzur Gründung „nationaler Familien“.

Als ehrenamtlich Tätige wirken Rechtsextremistinnen inElternbeiräten mit, geben Unterricht in Sportvereinen, orga-nisieren Mutter-Kind-Treffen, Sonnenwendfeiern, etc. und gel-ten als engagierte Mitbürgerinnen, die sich in kommunaleAngelegenheiten einbringen. Um ein Beispiel aus Baden-Württemberg zu nennen: Nelly Rühle, Direktkandidatin derNPD bei den Bundestagswahlen 2009 und Friseurmeisterin,beteiligt sich an einer Gewerbeschau in ihrer Kommune. Siebietet Kinderschminken und -styling an. Den Erlös dieser Ak-tion spendet sie für die Neugestaltung eines Schulhofs. Damitsteht sie in der Presse, nicht als Rechtsextremistin, sondernals engagierte Frau.

Ihre politische Ideologie verstecken Rechtsextremistin-nen zwar nicht, aber mit offensiven und plakativen Aussagenüben sie zunächst Zurückhaltung. Klischeevorstellungen überrechtsextreme Frauen machen ihr Wirken leicht. Kaum eineder aktiven Rechtsextremistinnen sieht aus wie aus einem

BDM-Film entsprungen mit Zöpfen und langen Röcken oderläuft martialisch gekleidet als Skingirl durch die Gegend. Essind erschreckend normale Mädchen und Frauen, die sichganz rechts engagieren. Sie entstammen allen Gesellschafts-schichten und Berufsgruppen, bilden einen Querschnittdurch die Bevölkerung. Gemeinsam ist ihnen ein völkischesWeltbild: Sie sind Rassistinnen, Antisemitinnen, extremeNationalistinnen. Sie bekämpfen den demokratischen Staat,das von ihnen verhasste System. Doch so lange sich das Bildder friedfertigen Frau hält, die resistenter ist gegenüberrechtsextremen Welterklärungsmodellen, werden die brau-nen Kameradinnen als politische Akteurinnen nicht wahr-und ernstgenommen.

Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen werdenFrauen in der Politik grundsätzlich eher als Randfigurenbetrachtet. Zum anderen ist der Fokus in der öffentlichenBerichterstattung über Rechtsextremismus verengt aufspektakuläre Gewalttaten. Als Täter tritt der stolz-deutscheRecke, glatzköpfig, stiernackig, sozial randständig undbildungsfern medial in Erscheinung. Dieses Klischeebestimmt unsere Vorstellung vom Rechtsextremismus als„frauenfreie Zone“.

Empirische Befunde zur Beteiligung von Frauenim Rechtsextremismus

Untersuchungen über politische Einstellungen lassen hingegenkeinen Zweifel daran, dass Frauen und Männer gleichsamrechtsextremen Einstellungsmustern anhängen. Die Ge-schlechter erreichen in solchen Umfragen durchweg und überJahre hinweg eine Parität. Im Ausleben jener Einstellungen –vom Gedanken zur Tat – haben jedoch Männer die Nase vorn.Bei der Beteiligung an Straf- und Gewalttaten ist der Anteil vonFrauen beständig gestiegen, aber er ist mit 5 bis 10 Prozentimmer noch marginal. Dabei darf nicht übersehen werden,dass Mädchen und Frauen nicht zuletzt als Anstifterinnen imHintergrund sehr wohl an Straftaten mitwirken. Diese Formvon Beihilfe wird jedoch meist nicht aktenkundig. Eine bemer-kenswerte Veränderung zeigt sich aktuell im Wahlverhalten vonFrauen. Stellten sie in der Vergangenheit maximal ein Drittelder Wählerschaft rechtsextremer Parteien, so ist dieser Wertdeutlich angestiegen. Eine Repräsentativerhebung LeipzigerWissenschaftler ergab, dass der Anteil von Frauen, die ihrKreuz bei einer rechtsextremen Partei machen (NPD, DVU,REP) von 26,5 Prozent (2006) auf 36,4 Prozent (2009) in dieHöhe geschnellt ist. Eine Ursache dieser Entwicklung könntesein, dass die NPD verstärkt auf soziale Themen setzt, Frauenein Müttergehalt offeriert und zudem ein Kindergeld in Höhevon 500 Euro in Aussicht stellt. Solche Vergünstigungen sindjedoch ausschließlich für deutsche Frauen und Familien ge-dacht und offenbaren das rassistische Gesicht der Partei. Esmag auch sein, dass die „taktische Zivilisierung“ erste Früchteträgt und ein damit verbundenes moderateres AuftretenFrauen zur Stimmabgabe bewegt.

Über die Partizipation von Frauen in rechtsextremen Or-ganisationen existieren kaum belastbare, nachprüfbare Zahlen.

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Eigenangaben zufolge verfügt die NPD bundesweit über einenFrauenanteil von etwa 25 Prozent. Bei Neueintritten sollen essogar 50 Prozent sein. Das baden-württembergische Landes-amt für Verfassungsschutz beziffert den Frauenanteil amrechtsextremistischen Personenpotenzial im „Ländle“ auf18,5 Prozent im Jahre 2008. Wie sich dieser Anteil in denverschiedenen Bereichen (Parteien, Kameradschaften, etc.)ausprägt, wird nicht erläutert. Die Partizipation von Frauenlässt sich bei Kandidaturen für rechtsextreme Parteien bele-gen. Von den 38 NPD-Direktbewerbern zur Bundestagswahl2009 waren in Baden-Württemberg sieben weiblich, waseinem Anteil von 18,4 Prozent entspricht. Das Durchschnitts-alter der Kandidatinnen lag bei ca. 54 Jahren. Dies zeigt, dassdie weibliche Seite des Rechtsextremismus keinesfalls alsein Jugendphänomen gelten kann. Überwiegend jungeFrauen trifft man vor allem im Kameradschaftsspektrum,rechtsextremen Cliquen und natürlich bei der Jugendorgani-sation der NPD, der JN. Über den Frauenanteil in diesemBereich kursieren ganz unterschiedliche Zahlen. Von Verfas-sungsschutzämtern und sonstigen Experten wird er zwischen10 und 30 Prozent angesiedelt. Dabei gibt es erheblicheregionale Unterschiede. Jenseits der Parteistrukturen entwi-ckelt sich zudem eine nahezu entgrenzte rechte Jugendkul-tur. Mit der Abkehr von der Skinhead-Szene wird sie fürMädchen und Frauen attraktiv, die sich vorher abgeschrecktfühlten vom martialischen und sexistischen Auftreten dertrinkfesten, rechtsextremen Glatzenträger.

Eine verstärkte Präsenz von Frauen im rechtsextremenSpektrum zeigt sich am augenfälligsten bei Aufmärschen,Kinder- und Familienfesten und beispielweise auch im Ver-sandangebot rechtsextremer Händler. Seit der Jahrtausend-wende kommt kein Anbieter rechter Devotionalien mehrohne eine Girlie-Abteilung aus, in der Bekleidungsstücke,Schmuck, etc. für Frauen und Mädchen angeboten werden.Zurzeit wird das Marktsegment auf Artikel für den „nationalenNachwuchs“ ausgeweitet.

Nimmt man alle quantitativen Befunde und Einschät-zungen zusammen, so verbietet es sich, Rechtsextremismusals ein Männerphänomen anzusehen. Frauen und Mädchenmischen in allen Bereichen mit. Die Tendenz geht in dieRichtung von mehr weiblicher Beteiligung - leider auch anStraftaten. Auf eine größere Beteiligung und stärkere Aktivie-rung von Mädchen und Frauen zielen auch rechtsextremeFrauengruppen ab.

Organisatorische Einbeziehung von Frauenim Rechtsextremismus

Die wichtigsten und mitgliederstärksten rechtsextremenFrauenorganisationen sind gegenwärtig die seit 2000 beste-hende „Gemeinschaft Deutscher Frauen“ (GDF) und die 2006gegründete Frauenorganisation der NPD, der „Ring Nationa-ler Frauen“ (RNF). Beide Organisationen sind im Gegensatzzu den meisten anderen Frauengruppen überregional organi-siert und sie unterhalten regionale Ableger auch in Baden-Württemberg.

„Gemeinschaft Deutscher Frauen“

Die „Gemeinschaft Deutscher Frauen“ (GDF) trat 2000 dieNachfolge des „Skingirl-Freundeskreises Deutschland“ (SFD)an. In ihrer Tätigkeit wirkt die GDF eher innerhalb, dennaußerhalb der rechtsextremen Szene. Ähnlich wie ihre Vorläu-ferorganisation ist die GDF eine Gruppierung, die den Zu-sammenhalt und Gedankenaustausch ihrer Anhängerinnenpflegt, die interne Schulungen und Treffen durchführt, die esaber nicht so sehr an die Öffentlichkeit drängt. Die GDF hegtein sehr elitäres Bewusstsein. In einem Werbeflyer heißt es:„Wir brauchen nicht jede, aber vielleicht gerade Dich!“ Aufihrer Homepage schreibt die GDF: „Wir sind etwas Besonde-res! Nein, nicht Du und ich – unsere Gemeinschaft!“ VonFrauen wird erwartet, sich unterzuordnen, der Sache zudienen und dem „geliebten deutschen Volk“ zu helfen. Ideal-typisch erwartet die GDF dies durch das Gebären von Kindernund eine entsprechende Erziehung des Nachwuchses im völ-kischen Sinn. Dementsprechend erstrecken sich die Themender GDF vornehmlich auf Brauchtum, Kultur und Kinderer-ziehung, alles gespickt mit einer völkisch nationalistischenNote. Seit dem Sommer 2008 besteht in Baden-Württembergeine Regionalgruppe der GDF, die sich monatlich im Groß-raum Stuttgart trifft. In ihrer Selbstdarstellung heißt es: „Wirsind eine Gemeinschaft von Mädels, Frauen und Müttern imAlter von 18 bis 55 Jahren. […] Auch sind einige Mütterunter uns, die hin und wieder ihre Kinder mitbringen. […]Trotz der Unterschiedlichkeiten der Frauen eint uns unsernationaler Grundgedanke.“

„Ring Nationaler Frauen“

Anders als die GDF richtet der im September 2006 gegründete„Ring Nationaler Frauen“ (RNF) seine Tätigkeit nach außen hinaus. Einerseits geht es ihm darum, Frauen auch jenseits derNPD mit ins „nationale Boot“ zu holen. Andererseits soll ernational eingestellte Frauen dazu ermutigen, politisch aktivzu werden und Mandate zu übernehmen. Geleitet wird derRNF von der baden-württembergischen NPD-FunktionärinEdda Schmidt. Im Herbst 2009 übernahm sie das Amt vonGitta Schüßler aus Sachsen, die als einzige Frau ein Landtags-mandat für die NPD bekleidet. In Baden-Württemberg verfügtder RNF neben der Landesgruppe über eine Regionalgruppeim Schwarzwald-Baar-Kreis. Diese wird von Reinhild Ufermann-Schützinger, der Ehefrau des NPD-Landesvorsitzenden, ge-leitet. Politische Impulse, die über das hinausgehen, was dieNPD ohnehin fordert, sind vom RNF bisher nicht ausgegangen.Mittlerweile hat der RNF vier Flugblätter herausgegeben. Zweidienten der Selbstdarstellung und Mitgliederwerbung, ein an-deres forderte Müttergehalt statt Elternzeit. Ein viertes Flug-blatt beschäftigt sich mit dem Thema Gender Mainstreaming.Ein Ansatz, der von rechtsextremen Frauen als Umerziehungstrikt abgelehnt wird.

Zum Thema „Feminismus und Gender Mainstreaming –gelten Naturgesetze nicht mehr?“ organisierte der baden-würt-tembergische Ableger des RNF 2008 im Raum Heilbronn eine

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Vortragsveranstaltung mit Bringfriede Jung, einer hochbetag-ten Dame mit NS-Vergangenheit. Politische Vorträge gehörenansonsten weniger zum Repertoire der Südwestlerinnen. Ihreinternen Aktivitäten, so sie an die Öffentlichkeit dringen, be-ziehen sich eher auf Brauchtumspflege, Ausflüge und Feiern.Zudem scheint der RNF immer noch stark beansprucht zusein mit dem Auf- und Ausbau seiner Organisation. Seinebisherigen Veranstaltungen führte der RNF an verschiedenenOrten und in verschiedenen Ecken Baden-Württembergsdurch, was darauf schließen lässt, dass ein landesweites Netz-werk am Entstehen ist.

Ob gemeinsam mit oder ohne Männer, Frauen habendie Qual der Wahl, wie sie sich im rechtsextremen Spektrumorganisieren möchten. Und wer sich nicht entscheiden kann,dem steht es offen, gleich in mehreren Organisationen dabeizu sein. Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften sind imRechtsextremismus nicht die Ausnahme, sondern die Regel.Ob es rechtsextremen Frauengruppen gelingt, über die ei-gene Szene hinaus mehr weibliche Anhänger zu rekrutierenund für die „nationale Sache“ zu gewinnen, ist fraglich. Einwichtiger Teilerfolg solcher Gruppierungen ist es jedoch, dassihre Organisationen geschulte weibliche Kader hervorge-bracht haben, die heute mehr und mehr vom Hintergrund inden politischen Vordergrund treten. Das über Jahre verfolgteEmpowerment-Konzept scheint aufgegangen zu sein. Inso-fern sind Frauenorganisationen wie der „Ring nationalerFrauen“ weit mehr als ein Aushängeschild, mit dem die NPDihr Image aufpolieren will.

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Der Einstieg in die rechte Szene –Was macht sie so attraktiv für Jugendliche?Der Einstieg in eine rechtsextreme Jugendszene erfolgt nichtimmer als bewusste Entscheidung für die rechtsextremeIdeologie. Oftmals sind das alternativlose Umfeld mit nurwenigen Jugendgruppen oder Freizeitangeboten, der nichterlernte kritische Umgang mit rechtsextremem Gedankengutoder die Suche nach Anerkennung ein Grund, sich leicht-fertig einer solchen nach außen geschlossen und stark auf-tretenden Jugendclique anzuschließen.

Zudem bemühen sich Rechtsextreme mit ihren Ange-boten in den letzten Jahren verstärkt um Jugendliche, daihnen diese leichter beeinflussbar erscheinen. Hierbei zielensie auf die Lebenswelt ihrer potenziellen Anhänger ab. Mitder Verbindung von Lebensgefühl, Freizeit- und Unterhal-tungsangeboten und politischen Botschaften versuchen sie,neue Anhänger für die Szene zu gewinnen und sie in derSzene zu halten.

Zunehmend werden Jugendliche über eher unpoliti-sche Angebote in Sportclubs oder bei Straßenfesten vonjugendlichen Szeneanhängern angesprochen und mit der„Erlebniswelt“ dieser Jugendszene geködert. Uniforme Klei-dung und einschlägige Symbole, Codes und Geheimsprache,die Zugehörigkeit zur Gruppe symbolisieren, ziehen jungeMenschen zusätzlich an. Neben Demonstrationen, Sport-events (Fußballturniere) und Zeltlagern, die innerhalb derSzene organisiert werden und den Zusammenhalt derGruppe stärken, sind interaktive Webangebote sowie Musikund Konzerte für Jugendliche sehr attraktiv.

Rechtsextreme Musik –Menschenverachtung mit UnterhaltungswertIn der rechtsextremen Jugendkultur spielt, wie in den meistenJugendkulturen, Musik eine wichtige Rolle, um dem Lebens-gefühl ästhetisch Ausdruck zu verleihen. Hier dominiert vorallem der Rechtsrock. Einen musikalischen Stil „Rechtsrock“

Erlebniswelt Rechtsextremismus

Einstieg in die rechtsextreme Jugendszene

Aktivitäten mit rechtsextremem Hintergrund

„Erlebnischarakter“: RechtsextremeMusik

Internet und Freizeitaktivitäten, wiez.B.:

Zeltlager und Sportevents

Mitläufer

Mittäter

Aussteigertelefon 0711-54013600LKA Baden-Württemberg

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gibt es jedoch nicht. Rechtsrock steht als Sammelbegriff für dasWirken rechter Bands in verschiedenen Musikbereichen. Sowerden mittlerweile von Gothic, Heavy Metal bis hin zu Volks-musik und mittlerweile sogar HipHop viele Musikrichtungenfür Rechtsrock genutzt.

Rechtsrock ist menschenverachtend, fremdenfeindlich,rassistisch oder antisemitisch und ruft zu Straftaten auf. Be-reits die Namen vieler rechtsextremer Bands sowie die Ge-staltung der CD-Cover deuten darauf hin, was mit der Musikausgedrückt werden soll. Bandnamen wie Blitzkrieg, Gestapo,Division Wiking, Jagdstaffel, Nordfront und Stahlgewitter ver-herrlichen den Krieg und zeigen den Bezug der Szene zumNationalsozialismus. An der germanischen Götterwelt bzw.der nordischen Mythologie orientiert sich die Namensgebungvon Bands wie Nordwind, Legion of Thor und Sleipnir. VieleBands bestehen nur für kurze Zeit und lösen sich schnell wie-der auf. Für ihre Lieder nutzen Bands häufig bekannte undeingängige Melodien. Mit einschlägigen Vergleichen und un-zweifelhaften Anspielungen werden ihre rechtsextremen In-halte gleichwohl deutlich. Wenn Texte gewaltverherrlichendsind, erkennt man die Absichten umso früher.

Musik als Propagandawaffe –Wie überzeugend ist Rechtsrock?Rechtsextremen Strategen geht es weniger darum, mit Rechts-rock Lebensgefühl auszudrücken. Für sie steht besonders diePropagandafunktion der Musik im Vordergrund. So äußertesich der Band-Leader der rechtsextremen Skinhead-Band„Words of Anger“ in einem Interview: „Also ich sehe die Musikwirklich als unberechenbare Waffe und als die beste Propa-ganda, die es gibt.“ Dieser Anspruch entspricht der im Rechts-rock weitverbreiteten Form des Message-Rock, der inhaltlichseine gegen Juden, Ausländer und Linke gerichteten Feind-bilder verbreiten will und sich dazu eines relativ schlichten,gleichwohl aggressiven musikalischen Stils mit eingängigenRefrains bedient. Mit dem Titel „NS-Macht“ der Berliner Skin-head-Band „D.S.T.“ agitiert die Band gegen Juden und Schwarze:„Schlagt sie doch nieder, haut einfach drauf; legt sie in Kettenund hängt sie auf. Erst wenn das Pack sein Blut vergießt,weißt du genau, die NS-Macht, die siegt.“

Ein Großteil der produzierten CDs hat keine strafbarenInhalte, nicht zuletzt um die finanziellen Interessen derProfiteure nicht durch Indizierungen zu gefährden. Trotzdemverbieten die Gerichte zahlreiche Rechtsrock-CDs wegenVolksverhetzung. Das Berliner Kammergericht verurteilte 2003die Band „Landser“ sogar wegen Bildung von/und Mitglied-schaft in einer kriminellen Vereinigung. In ihrem „Afrika-Lied“heißt es beispielsweise „Afrika für Affen, Europa für Weiße[…] Steckt die Affen in ein Klo und spült sie weg wie Scheiße.“Um dem Verbot und der Beschlagnahmung von CDs mit straf-barem Inhalt auszuweichen, produzieren einige rechtsextremeMusikunternehmer inzwischen international, wie Sven Pötsch,ein Kenner der rechtsextremen Musikszene, nachweist: „Sowurde zum Beispiel die CD ‚Rock gegen oben‘ der BerlinerBand Landser bei Marcel Schilf in Dänemark aufgenommen,

in Schweden abgemixt, von einer taiwanesischen Firma inden USA gepresst, dann über Dänemark an die HamburgerB&H (Blood & Honour)-Struktur um Torben Klebe weiterge-leitet, welche die CDs nach festen Kontingenten auf die weite-ren deutschen B&H-Sektionen verteilte.“ Wenn es um ihrefinanziellen Vorteile geht, wissen die Ultra-Nationalisten plötz-lich doch die Globalisierung zu schätzen.

Dass rechtsextreme Aktivisten Rechtsrock als geeignetesPropagandainstrument bei Jugendlichen betrachten, sieht manauch am Projekt „Schulhof-CD“. In Deutschland produziertenzunächst Aktivisten der Freien Kameradschaften 2004 eine CDmit 20 Songs, die überwiegend dem Rechtsrock zuzuordnensind, mit einer pathetischen Ansprache, die rechtsextremeKernelemente wie Ausländerfeindlichkeit und Verharmlosungdes Nationalsozialismus aufgriff. Zudem enthielt sie Post- undInternetadressen von rechtsextremen Organisationen. Dieinzwischen verbotene CD verteilten Rechtsextremisten imUmfeld von Schulen und Jugendeinrichtungen. Diese Ideeübernahm die NPD und brachte eine eigene CD mit Musikund Parteiwerbung heraus. Unter anderem mit dem Namen„Der Schrecken aller linken Spießer und Pauker“ wurden dieverschiedenen Auflagen der Schulhof-CD in den vergangenenBundestags- und Landtagswahlkämpfen verteilt und sorgtenan vielen Orten für einen Eklat.

Auch die Zwistigkeiten zwischen den verschiedenenrechtsextremen Gruppierungen finden in den Liedtexten ihrenNiederschlag. Dies kann man gut an einem Text der Band „Jagd-staffel“ aus dem Großraum Stuttgart ablesen, in dem es heißt:„[…] so mancher Szeneguru auch nur über uns hetzt. Ja, wir,wir wären Scheiße und wir wär’n Dreck. Ja, wir, wir wärenAssis und wir saufen Tag für Tag. Doch leiste erstmal mehr,mein kleiner Kamerad!“

Mittlerweile hat sogar der US-amerikanische Rechts-rock-Vertrieb „Panzerfaust Record“ das Projekt der Schulhof-CD kopiert und preist es auf seiner Website mit dem Slogan an:„We don’t just entertain racist kids: We create them.“ – „Wirunterhalten rassistische Kinder nicht nur: Wir schaffen sie.“Bei aller Bedeutung von Rechtsrock zur Stabilisierung rechts-extremer Jugendkulturen und Bestätigung des Einzelnen inseiner Gesinnung, ist die Wirkung auf die Jugendlichen begrenzt.Gefestigte Demokraten werden auch durch rechtsextremeIdeologie in der ästhetischen Aufmachung von Rockmusik nichtverunsichert; der Jugend-forscher Kurt Möller formulierte esso: „Seemannslieder machen keine Seemänner und Liebes-lieder bringen nicht die Liebe in die Welt.“

Rechtsextreme Rockmusik –Menschenverachtende GeldquelleDie rechte Rockmusik hat sich bereits seit einigen Jahren„etabliert“, wie man unter anderem an der professionellproduzierten Zeitschrift und Website „RockNord“ sieht. Sieberichtet, wie einige andere Musikmagazine auch, über Bands,Konzerte und neu erschienene CDs aus dem Rechtsrock-bereich. Inzwischen bestreiten viele Rechtsextremisten alsMusiker, Produzenten oder Verkäufer ihren Lebensunterhalt

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 47

mit Rechtsrock. So zählt der Verfassungsschutz für das Jahr2008 bundesweit 146 Bands die etwa 127 Konzerte gaben. DieQuantifizierung ist schwierig, da die meisten Konzerte illegalstattfinden und als Privatfeiern getarnt werden. So kommt es,dass viele der Konzerte von den Behörden gar nicht erstregistriert werden.

In Baden-Württemberg gaben in den vergangenen Jahrenetliche rechte Bands mit so sprechenden Namen wie z.B.„Propaganda“ (Horb), „Tobsucht“ (Göppingen), „Racheakt“(Mutlangen), „White Voice“ (Villingen-Schwenningen) oder„Schutt und Asche“ (Friedrichshafen) Konzerte. Die Gruppe„Race War“ aus Schwäbisch Gmünd, die seit 2000 verbotenist, machte mit unverhohlenem Bezug zum Neonazismus undmit rassistischen Liedern auf sich aufmerksam. Neben derGruppe „Landser“ war dies die zweite Band, die als kriminelleVereinigung verboten wurde. Einen gewissen Bekanntheitsgraderlangten auch die Bands „Noie Werte“, „ Jagdstaffel“ und„Kommando Skin“, die nach wie vor aktiv sind. Eine größereRolle spielt vor allem die Band „Noie Werte“ um den Rechts-anwalt Steffen Hammer, der gemeinsam mit anderen auch denVersandhandel und das Plattenlabel „German-British-Friendship“(G.B.F. Records) betreibt. Die Band ist mit dafür verantwortlich,dass sich das rechtsextreme Musiknetzwerk „Blood&Honour“in Deutschland ausbreiten konnte. „Noie Werte“ wird nunJugendlichen auch auf der jüngsten Schulhof-CD „BRD vs.Deutschland“ angepriesen.

Für Rechtsrockbands ist es in den letzten Jahren jedochzunehmend schwierig geworden, Konzerte in Deutschland zuveranstalten, unter anderem weil die Polizei potenzielle Ver-mieter von Räumlichkeiten über den politischen Charakterder Konzerte informiert. In Baden-Württemberg fanden 20089 Konzerte (2007 waren es noch 13 Konzerte) rechtsextremisti-scher Skinheadbands statt. Bands und Zuschauer reisten aberebenso zu zahlreichen Konzerten in andere Bundesländer oderins benachbarte Ausland, denn im Ausland kann der deutschenStrafverfolgung entgangen werden.

Das Internet – Umschlagplatzfür rechtsextreme Produkte und PropagandaFür die Rechtsrockszene ist inzwischen auch das Internet mitBlick auf den Vertrieb immens wichtig geworden. Fast alleMusikvertriebe besitzen Websites, aber auch rechtsextremeDevotionalien wie beispielsweise T-Shirts, Fahnen und Militaria,etc. werden überwiegend über das Internet verkauft. Dadurchhat sich eine „New-Nazi-Economy“ herausgebildet. Ihr gelingtes, vor allem weil ein Online-Shop 24 Stunden erreichbar ist,potenzielle Kunden besser zu erreichen.

In Baden-Württemberg existieren momentan mindestens5 Internet- Vertriebe. Hinzu kommt, dass Vertriebe aus demAusland strafbare Produkte, zum Beispiel CDs mit volksverhet-zendem Inhalt oder T-Shirts mit Hakenkreuz, anbieten undsomit deutsche Gesetze umgehen.

Das Internet spielt ebenso wie die Musik für die Propa-ganda der rechtsextremen Szene eine zentrale Rolle. Nachdem1995 die erste rechtsextreme Website „Stormfront“ in den

USA online ging, stieg die Anzahl der deutschen rechtsextre-men Websites von 1996 bis 2001 von 32 auf rund 1300. In denletzten Jahren stagniert die Anzahl bei rund 1000 Websites.Alle bedeutsamen Organisationen und Personen der rechts-extremen Szene sind im Internet präsent. Die einfache Bedie-nung, die multimedialen Möglichkeiten, die Interaktivität unddie geringen Kosten ermöglichen es quasi jedem, ein eigenesattraktives Informations- und Kommunikationsangebot zuentwickeln. Zudem ist es möglich, anonym strafbare Inhalteüber Server im Ausland in Deutschland zu verbreiten und sichdadurch der Strafverfolgung zu entziehen. Dies nutzen vor allemNeonazis zu massiver Volksverhetzung. Aber auch für legalePropaganda setzen Rechtsextreme intensiv auf das Internet.Dies gilt insbesondere für die NPD, die frühzeitig das Internetin ihren Kommunikationsmix einband. Inzwischen besitzt fastjeder Kreisverband eine eigene Website – oder „Weltnetzseite“,wie es die Rechtsextremen mitunter in ihrer germanisiertenForm nennen. Sowohl der Landesverband Baden-Württembergals auch die Stadt- und Kreisverbände haben eine im CorporateDesign der Partei gestaltete Website. Auf der Website des Lan-desverbandes findet man aktuelle Informationen zu dortigenAktivitäten. Weiterhin kommt man über Links zum Medienser-ver des Bundesverbandes, wo Rechtsrock- oder Werbevideosder Partei bereitgestellt werden.

Wie verbessert das Internet dieHandlungsfähigkeit der Szene?Rechtsextreme innerhalb der Szene nutzen das Internet vorallem auch zur Koordinierung und zur Mobilisierung für Akti-vitäten wie Demonstrationen und Konzerte. Dafür bestandgerade bei den Kameradschaften nach ihrem StrategiewechselMitte der 1990er Jahre zur „Organisierung ohne Organisation“immenser Bedarf.

Angesichts des geringen Organisationsgrades der Szenenehmen sogenannte Aktionsbüros eine Schlüsselrolle beideren Vernetzung, Mobilisierung und damit Steuerung ein.Die Websites der jeweiligen Aktionsbüros und Gruppen zeigenzudem auf, welche „Erlebniswelt“ Jugendlichen in der Szene ge-boten wird. Neben Informationsmaterialien, Terminen künftigerVeranstaltungen, Berichten und Videos über Demonstrationenund einem Servicebereich mit „Rechtshilfe-Archiv“ sind Druck-vorlagen für Aufkleber und Sprühschablonen mit Motiven ausder Kameradschaftsszene zu finden.

Zudem findet ein reger Informationsaustausch in rechts-extremen Internet-Foren statt. In den Foren bekannter rechts-extremer Betreiber von Websites fanden sich häufiger volks-verhetzende Äußerungen. Um sich vor Anzeigen zu schützen,sahen diese sich deshalb gezwungen, ihre „Kameraden“ zuzensieren, worunter die Popularität der Betreiber in derSzene massiv litt. Dennoch tauschen sich im wahrscheinlichwichtigsten Forum der Freien Kameradschaften, dem „FreienForum“, Nutzer darüber aus, bei welchen ausländischenContent-Providern man zu welchen Preisen seine Websitesanonym einstellen kann, um der deutschen Strafverfolgungzu entgehen.

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Insgesamt trägt das Internet zur Handlungsfähigkeit derrechtsextremen Szene bei, ohne dass sich bislang eine wirksamestaatliche oder zivilgesellschaftliche Gegenstrategie abzeichnet.

YouTube – Was machen Rechtsextremein unpolitischen Portalen?Neben den eigenen Websites entdecken immer mehr Rechts-extreme auch andere Portale im Internet zur Verbreitung ihrerPropaganda. Insbesondere erhoffen sich rechtsextreme Strate-gen davon, auch Jugendliche zu erreichen, die bislang nichtzur rechtsextremen Szene gehören. Im Videoportal YouTubenehmen vor allem Videos mit Rechtsrock ständig zu. Meistenssind es szenekundige Fans, die die Musik mit einigen hinterei-nander geschnittenen Standbildern illustrieren. Mittels diesesPortals umgehen die Rechtsextremisten zudem in Deutschlandgültige Verbote von Liedern wegen Volksverhetzung bzw. Indi-zierungen durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdendeMedien. Da YouTube seine Website bei Content-Providern inden USA ins Netz stellt, wo rassistische Hetze nicht verbotenist, stehen deutsche Behörden diesem Problem einigermaßenmachtlos gegenüber. Beispielsweise findet man ein Video der„Zillertaler Türkenjäger“ zu ihrem massiv antisemitischen Lied„So ist er“. Es stammt von der wegen Volksverhetzung ver-botenen und dennoch weitverbreiteten rechtsextremen CD„12 Doitsche Stimmungshits“. Die Macher des Videos habenden Text „So ist er, der Jud, Jud, ...“ unter anderem mit Bildernunterlegt, in denen vermutlich israelische Soldaten auf mitSchleudern bewaffnete Palästinenser schießen bzw. auf einenam Boden Liegenden treten. Das Video verstärkt den hetzeri-schen Text, indem es scheinbar die Behauptungen beweist.Dabei ist das Video „professionell“ produziert. Die Szenen sindKopien von Nachrichtensendungen und deswegen technischvon hoher Qualität. Und aufgrund der schnellen Schnittespricht das Video ästhetisch durchaus die Sehgewohnheitender MTV-Generation an.

Auch die Stuttgarter Band „Noie Werte“ findet sich beiYouTube. Die politische Herkunft der Band lässt sich zwischenden Balladen und den Rockliedern nicht immer genau erken-nen. In den Foren der Videos outen sich dann oft Fans als Nazis.In einem Kommentar zu dem Video „Opa ich vermisse dich“der rechtsextremen Band „Sleipnir“, das mit allerlei Bildern ausdem Zweiten Weltkrieg ausgestattet war, fand sich folgenderKommentar: „wir haben es nicht unserem führer zu verdanken,dass wir den krieg verloren haben, sondern den generälen inder wehrmacht! die haben uns verraten und verkauft?!badehosen in russland und wasser anstatt benzin für panzer!deutschland wird niemals untergehen?!?!?! wir stehenwieder auf?!?!?! -88-“ Die rechtsextreme Ideologie wird gleich-sam an jugendliche Subkulturen angepasst transportiert,was bei entsprechend eingestellten Jugendlichen Wirkungzeigen dürfte.

Insofern dienen solche Portale den Rechtsextremenerstens dazu, sich der Strafverfolgung zu entziehen und zwei-tens dazu, durch eine jugendgemäße Ansprache Propagandazu verbreiten und Sympathisanten zu rekrutieren.

Vom Mitläufer zum Mitwisser und Mittäterin der rechten SzeneNach einem meist eher unpolitischen Einstieg in die rechteSzene werden die Jugendlichen dann mehr und mehr mit denideologischen Ansichten der Rechtsextremen konfrontiert,auch wenn der politische Anspruch auf den ersten Blick nichtimmer zu erkennen ist. Diese münden dann schrittweise inentsprechende Aktivitäten mit rechtsextremem Hintergrund,die von der Teilnahme an rechten Demonstrationen, demVerteilen von Propaganda bis hin zu gewaltsamen Auseinander-setzungen mit Menschen, die nicht in das Weltbild der Rechts-extremen passen, reichen. Die „Erlebniswelt Rechtsextremis-mus“ unterstützt dies. Reinhard Koch, Leiter der ArbeitsstelleRechtsextremismus und Gewalt (ARuG) in Braunschweig,beschreibt das folgendermaßen: „Keine andere Jugendszenebietet ein so umfassendes Angebot wie die rechte. Der Jugend-liche kann 24 Stunden täglich Neonazi sein. [...] Rechtsrockzum Wecken, in der Schule mit einem ‚Thor-Steinar‘-Pulloverauffallen, am Nachmittag in der Innenstadt die linken‚Zecken‘ mit den Punkfrisuren einschüchtern, abends mitden ‚Kameraden‘ saufen, und als ‚Highlight‘ am Wochenendevielleicht noch ein Aufmarsch mit zahllosen Polizisten undGegendemonstranten oder ein hoch konspiratives und daherauch als hoch spannend erlebtes Konzert.“

Vom Mitläufer wird man zum Mitwisser und irgendwannauch zum Mittäter. Aber ein Ausstieg aus der Szene ist schwer,denn dieser bedeutet zum einen, den „sicheren“ Hort derGruppe zu verlassen, und zum anderen, mit der Bedrohungdurch die „Kameraden“, die einst Anerkennung zollten,zu leben.

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„Unsere Antwort“,Band: Weiße Wölfe, CD: „Weisse Wut“

„Und dann haben wir die alleinige FührungDann weinen viele, doch nicht vor RührungFür unser Fest ist nichts zu teuer10.000 Juden für ein FreudenfeuerIhr tut unserer Ehre wehUnsere Antwort Zyklon B“

Das Lied, das musikalisch im Metal-Stil gehaltenist, enthält eine selbst für rechtsextremistische Kreiseungewöhnlich offene Menschenverachtung. Es leugnetden Holocaust nicht, sondern verherrlicht ihn:Das Giftgas „Zyklon B“ wird als Antwort auf dieSituation der Gegenwart präsentiert, der Mord an Judenals ein „Fest“, der Massenmord als ein „Freudenfeuer“.Der Text verweist darauf, dass der Antisemitismus auch60 Jahre nach Auschwitz ein zentrales ideologischesElement des Rechtsextremismus ist. Ein weiteres Feind-bild und ein eher noch stärkerer Zynismus tauchen aufin dem Lied:

„Niemals“,Band: Landser, CD: „Ran an den Feind“

„Irgendwer wollte den Niggern erzählen,sie hätten hier das freie Recht zu wählenRecht zu wählen haben sie auchStrick um den Hals oder Kugel in den Bauch“

Die Band kleidet diesen Text in schlichte, eingän-gige Country-Musik. Wenn sie auch alle Register derProvokation zieht, macht der Text doch deutlich, dassdie grundlegende Botschaft ernst gemeint und ernst zunehmen ist. In der ersten Strophe nimmt er Bezug aufdie Französische Revolution und den Gedanken einergrundlegenden Gleichheit der Menschen („Bei derRevolution im alten Frankreich erfand man diesen Blöd-sinn, alle Menschen wären gleich“). Diese Idee, die dieeuropäische Aufklärung prägte, hat sich im Grundgesetzbeispielsweise in Artikel 1 („Die Würde des Menschen istunantastbar“) niedergeschlagen. Rechtsextremistenlehnen eine grundlegende Gleichheit, somit auch allge-meine Menschenrechte, vielfach ausdrücklich ab.

Aus: Pfeiffer, Thomas: Menschenverachtung mit Unterhaltungswert.Musik, Symbolik, Internet – der Rechtsextremismus als Erlebniswelt, in:Glaser/Pfeiffer: Erlebniswelt Rechtsextremismus,Schwalbach i.T. 2007, S.42

„Europa, Jugend, Revolution“,Band: Carpe Diem, CD: „Der Schrecken allerlinken Spießer und Pauker!“ „Schulhof-CD“

„Ich schließe meine Augen undlass die Gedanken ziehenUnd denk an das Erbe Europas undwas uns davon blieb.Der Traum von Frieden und Einigkeitunter eine Fahne gebrachtDoch darauf die falschen Zeichen unddahinter die falsche MachtEine Macht, der das Geld gehörtseit viel zu langer Zeit.Eine Macht, die Konflikte schürt;gemeinsam machen wir uns frei!Refrain:Europa – Jugend – RevolutionFür Profit und ihren Herrschaftsplanhaben sie die Völker verkauftUnsere Väter auf einander losgehetzt undihre Loyalität missbrauchtHinter Humanität und Scheinmoralverstecken sie ihr wahres GesichtDoch wir sehen, wer hinter den Kulissen steht;Ihr führt uns nicht mehr hinters Licht.“

Als Ursachen für den Ersten und Zweiten Weltkriegbegreifen Carpe Diem nicht den [...] deutschen Nationa-lismus und Rassismus, sondern „eine Macht, der dasGeld gehört ... (habe) die Konflikte geschürt“. Deshalbhätten sich die Nationen bekämpft, die eigentlich Ver-bündete seien („Bruderkrieg“). Unschwer ist in diesemZitat und im weiteren zu erkennen, dass antisemitischeStereotypen bedient werden. So heißt es in der zweitenStrophe: „Für Profit und ihren Herrschaftsplan“ hättenMächte, die „hinter den Kulissen stehen“, „die Völkerverkauft“ und die „Väter auf einander losgehetzt“.Damit werden die Täter des Nationalsozialismus zuOpfern einer internationalen Verschwörung. Wenn„Carpe Diem“ diesem Bild ein völkisches Europa entge-gensetzt, greifen sie dabei auf Europavorstellungenzurück, wie sie einst die SS mit ihren Ideen vom „groß-germanischen Reich“ entwarf. Ein solches im Kampf ge-eintes „weißes Europa“ soll in einem revolutionärenUmsturz von der Jugend errichtet werden.

Aus: Argumentationshilfe gegen die „Schulhof-CD“ der NPD, hrsg. von:Arbeitsstelle Neonazismus und Argumente & Kultur gegen Rechts e.V.

Liederbeispiele

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Aussteiger aus der rechten Szene werden von ihren früherenKameraden als „Verräter“ verunglimpft. Persönliche Beziehun-gen zu den Aussteigern werden abgebrochen. „Wer nicht füruns ist, ist gegen uns“ lautet das Motto der Rechtsextremen.Gewalt spielt ohnehin innerhalb der Szene eine große Rolle.Umso mehr müssen Aussteiger mit gewalttätigen Racheaktenrechnen. Um die Sicherheit des hier interviewten Aussteigersnicht zu gefährden, wurde das Interview anonymisiert undAussagen, die auf die Person schließen lassen, gestrichen.

C. Busch: Wenn Du zu Beginn einmal schildernkönntest, wie Du in die Szene reingerutscht bist?Aussteiger: Im Alter von 12, 13 Jahren bekam ich zum erstenMal Kontakt zu rechtsorientierten Jugendlichen. Aus meinerheutigen Sicht würde ich sagen, dass ich nicht nach einerpolitischen Heimat für Rassismus oder Nationalismus suchte.Es war eher so, dass ich bedürfnisorientiert war. Ich hatteviele Probleme zu Hause und suchte eine Plattform für er-lebte Gewalterfahrungen, für Anerkennung, für Familiener-satz, um mein Selbstwertgefühl aufzuwerten. So stieß ich aufeine rechtsorientierte Jugendgruppe. Nicht wirklich politischaktiv, aber sie hörte rechte Musik, ging mit rechten Symbo-len um, machte den Hitlergruß, und so weiter und so fort.Das war für mich nicht so sehr wichtig. Ein Hauptgrund warfür mich die Gewaltbereitschaft, also meine Gewalterfahrun-gen dort auch ausleben zu können. Den rechtsradikalenTouch der Gruppe nutzte ich ganz massiv zu Provokations-zwecken. Damit konnte ich provozieren und den Fokus aufmich selbst lenken.

Wieso bist Du genau bei dieser Gruppe gelandet?Es gab schon noch andere Gruppen in meinem Umfeld, aberdie erfüllten diese Attribute, nach denen ich – unwissentlich –suchte, nicht. Die wichtigen Parts: provokativ, gewaltbereit,trafen nur auf diese Gruppe ausreichend zu.

Wie reagierten denn Deine Eltern auf DeineProvokationen?Meine Eltern waren zu diesem Zeitpunkt bereits geschieden,ich lebte bei meiner Mutter. Da sie alleinerziehend war undVollzeit arbeitete, hatte sie wenig Zeit. Als Pädagogin fuhr sieeher die Schiene des Verstehens und Begreifens, anstatt zusagen: Bis hierhin und nicht weiter. In diesem Punkt hätteeine autoritäre Erziehung nicht geschadet.

Wie reagierte Dein bisheriger Freundeskreis?Die meisten meines Freundeskreises waren in die Gruppeinvolviert oder kamen aus dem näheren Umfeld der Gruppe.Meine damalige Freundin stand der Gruppe allerdings kri-tisch gegenüber, nicht unbedingt wegen der Parolen oderSymbole, sondern wegen der Gewaltbereitschaft, den Aus-einandersetzungen, den Straftaten, der Polizei und denProblemen, die das mit sich brachte.

Gegen wen richtete sich die Gewaltbereitschaft?Gegen alles und jeden, die nicht zu der Gruppe gehört

haben. Wir hatten eine türkische Jugendgruppe vor Ort. Mitder hatten wir Auseinandersetzungen, die Leute in der Tanz-schule waren Ziel unserer Übergriffe, die Gymnasiasten, an-dere Treffpunkte von Jugendlichen. Die Auswahl war eherwillkürlich als politisch gesteuert.

Gab es auch innerhalb der Gruppe Gewalt?Die gab es auch. Wir hatten eine Altersspanne von 12 bis un-gefähr 35 Jahren, so dass es aufgrund von verschiedenen An-sichten oder hierarchischen Strukturen, die nicht eingehaltenoder anders gesehen wurden, zu Auseinandersetzungen kam.Das kam nicht häufig vor, aber es gehörte dazu.

Welche Rolle spielte die Musik für Euch?Musik war sehr wichtig. Das verband uns und es war wiederein Mittel der Provokation. Wir hörten z.B. Lieder der Band„Radikal“. Die hatte einen in der Szene sehr bekannten Song.Das Lied heißt „Hakenkreuz“. Dort wird gesungen, „hängtAdolf Hitler den Nobelpreis um“. Das ist ja sehr widersprüch-lich. Hitler hätte damals die Annahme des Nobelpreises unter-sagt. Aber das Lied ist natürlich unheimlich provokant. Daswar auch der Grund, warum ich das Lied hörte, nicht dass ichunbedingt eine Identifikation mit Hitler oder Hakenkreuzhatte. Wir haben außerdem Bands wie „Böhse Onkelz“ oder„Endstufe“ gehört. Das war schon sehr wichtig für uns.

Spielte auch die Kleidung eine Rolle?Es gab schon die Anleihen sich szenenah zu kleiden; also:Bomberjacke, Lonsdale. Sachen, die in gewissem Maße sehreinfach verfügbar waren, weil man sie in ganz normalenGeschäften kaufen konnte. Anfangs Springerstiefel, weil mandie als 13-Jähriger bezahlen konnte. Später kamen dannDocMartens oder Ranger hinzu, die ja wesentlich teurer sind.Das Outfit hat sich ein bisschen am Skinhead-Stil orientiert.

Welche Symbole wurden in der Gruppe benutzt?Hakenkreuz und alles was bekannt war.

Habt ihr daraufhin Probleme mit der Polizeibekommen?Ja, massive. Die Polizei war überhaupt nicht begeistert überdas, was wir machten. Einmal wegen der Straftaten, die wir ver-übten: Körperliche Auseinandersetzungen, auch ein hohes Maßan Sachbeschädigung. Die merkten auch, dass sich das zuneh-mend politisch orientierte innerhalb der Gruppe. Die Polizeiversuchte schon dagegen zu setzen. Sie kam ganz oft und guckte,was passiert da. Es gab viele Verurteilungen von Mitgliedernder Gruppe. Wir wurden nicht uns selbst überlassen.

Wie hat denn das sonstige Umfeld reagiert: Lehrer,Nachbarschaft, lokale Öffentlichkeit?Es gab schon Reaktionen. Weniger in der Schule, weil ein Teilder Gruppe nicht mehr hinging. Auch die Nachbarschaft rea-gierte, aber nicht unbedingt so negativ, weil viele Gruppen-mitglieder aus der Nachbarschaft stammten. Und deswegenherrschte die Meinung vor, wenn von außen jemand kommt,

Der Ausstieg als Lebensentscheidung –Ein Aussteiger aus der Szene berichtet

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wie ein Polizeibeamter und sagt, „die Jungs bauen Scheiße“,verstehen die Eltern, „deine Kinder benehmen sich schlecht“.Dann neigten viele Eltern dazu zu sagen: „Du brauchst mirnicht zu erklären, wie ich mein Kind erziehe. Mach Du erstmalDeine Arbeit besser.“ Das war eher der Ton, der dort herrschte,anstatt dass jemand mal aufforderte, zu gucken, was wir denganzen Tag machten. So etwas wurde von uns sehr wohlwollendaufgenommen, das bestärkte uns schon.

Wie hat sich Dein Selbstwertgefühl verändert,nachdem Du in der Gruppe aktiv wurdest?Es hat mir auf der einen Seite sehr viel Halt gegeben, auchIdentifikationsmöglichkeiten, mich mit einem bestimmtenKreis zu identifizieren, zu sagen, ich gehöre zu dieser Gruppe.Im Umkehrschluss hatte ich durch die vermeintliche Ideologiedie Möglichkeit, andere noch abzuwerten und mich gleichsamaufzuwerten. Auch wenn ich mich von außen betrachtet durch-aus negativ verhalten habe, machte ich sehr viele positiveErfahrungen in der Gruppe. Ich sah das nicht so: Ich benehmemich schlecht, mein Leben ist schlecht und ich mache schlechteErfahrungen. Das Gegenteil war der Fall. Natürlich gefiel es mirnicht, wenn ich mit der Polizei viele Probleme hatte, aber einStück weit war der Fokus, den die Polizei auf mich hatte, auchAnerkennung, die ich bekam.

Hat sich Deine Einstellung dann im Laufe der Zeitgeändert?Meine Politisierung geschah während meines ersten Gefängnis-aufenthaltes. Kurz nach meiner Strafmündigkeit kam ichwegen verschiedener Gewaltdelikte und szenetypischer Straf-taten für etliche Monate in den Jugendvollzug. Dort stieß ichzum ersten Mal auf junge Erwachsene, die teilweise sehrpolitisch engagiert waren. Ich schloss mich dieser Gruppe an,weil ich ähnliche Strukturen von draußen kannte. Die äußer-ten sich ähnlich, die liefen ähnlich rum. Es war für mich einevertraute Geschichte und sie agierten in einer Gruppe. Hierfand ich wieder Familienersatz. Und das waren nun vornehm-lich Leute, die nicht nur wegen normaler krimineller Delikte,sondern auch wegen politischer Delikte saßen. So bekam icherste Kontakte zur Skinhead-Gruppe „Blood & Honour“, zuMitgliedern rassistischer Gruppen, zu Bands. Und das ineinem Alter, in dem ich mich sehr daran orientiert habe. Ichbegann damit, mich persönlich über diese Ideologie undZugehörigkeit zu definieren. Im Jugendalter auf der Suchenach mir selber, hatten einige der Insassen für mich eine Vor-bildfunktion.

War diese Phase dann ausschlaggebend für denweiteren Verlauf?Ja, da wurden für mich die ersten politischen Weichen gestelltund auch das erste Verstehen, dass rechter Skinhead zu seinin Wirklichkeit eine ganz andere Dimension hat, als das, waswir draußen in der Jugendgruppe gelebt hatten oder dachtenzu sein. Im Gefängnis erkannte ich, es gibt eine Fläche fürEngagement, für Anerkennung, für „Karriere“ im weitestenSinne. Das war mir vorher so gar nicht klar.

Bist Du dann in Deine alte Gruppe zurück, als Duwieder aus der Haft entlassen wurdest?Ich bin weniger in die alte Gruppe zurück, als dass ich dieneuen Ressourcen, die ich mir im Gefängnis erschlossen hatte,nutzte. Ich hielt die Kontakte aufrecht und baute sie aus, z.B.zu Blood & Honour. Ich versuchte mein Engagement ernsthaf-ter zu betreiben – nicht bewusst – es hat mir einfach mehrgefallen mit Leuten, die aus meiner Sicht wirklich politischüberzeugt waren, auch bereit waren, noch weiter zu gehen,was ja auf die Leute zutrifft, die im Gefängnis gesessen hatten.Ich suchte dann eher an diese Gruppierungen Anschluss alsunbedingt an die alte Gruppe.

Wie verlief Deine „Karriere“ dann weiter?Ich war viel unterwegs, fast im ganzen Bundesgebiet. Aber be-reits nach kurzer Zeit bin ich wieder inhaftiert worden. Wegeneiner politisch motivierten Straftat bekam ich eine lange Haft-strafe. Die Zeit im Gefängnis nutzte ich dann dazu, mich poli-tisch „zu perfektionieren“. Ich las unheimlich viel, vornehmlichBücher zu Themen, die mich interessierten, z.B. zu Freimaure-rei oder Illuminaten, deutsche Geschichte und Mythologie.Das filterte ich. Das heißt, ich las das unter rechten Aspekten.Oder ich bildete mich weiter durch Literatur, die aus derrechten Szene kam. Die besorgten wir uns unter der Hand imKnast. Offiziell gab es die dort natürlich nicht. Im Grunde ge-nommen nutzte ich die gesamte Zeit, und das sah ich damalsauch so, um mich politisch weiterzubilden und zu verstehen,wofür ich mich engagiere: Was ist Nationalismus? Was istRassismus? Wir schufen innerhalb des Gefängnisses Kamerad-schaftsstrukturen, sehr feste und waren auch sehr aktiv.

Wie entwickelte sich denn Deine Orientierungin der Haft, ging es in Richtung Skinhead-Szeneoder in Richtung von Parteien?Skinhead zu sein, hatte damals für mich eine große Bedeu-tung. Partei eher weniger. Hauptsächlich aus dem Grund, weilich die NPD damals nicht für die politische Antwort hielt, dieauf meine aggressiv-rassistischen Ideologien gepasst hätte. DieNPD war zu dem Zeitpunkt für mich der Alt-Herren-Verein. Dasspiegelt nach meinem Gefühl auch den Zustand in der Szenedamals so wider. Die Kluft zwischen Freien Kameradschaftenund der Partei war so groß, dass ein Zusammengehen proble-matisch gewesen wäre. Die Partei hatte einen biederen Status.Teilweise vermittelte sie das Gefühl, sie wolle aus Imagegründenkeine Skinheads in ihren Reihen. Das ist ja heute total anders.Ein Großteil der Kameradschaftsaktivisten hat führende Funktio-nen in der NPD. Deswegen war die Partei damals nicht so meinDing. Ich hatte Kontakt zu Parteimitgliedern, aber das war nichtso sehr meins. Insgesamt hatte ich viele persönliche, internatio-nale Kontakte bis zu ganz vielen Leuten in der Bundesrepublik,wovon ich später auch viel profitierte.

Wie veränderte sich Dein Leben nach der zweiten Haft-entlassung? Gab es eine Rückkehr ins bürgerliche Leben?Ich versuchte es. Nicht weil ich es wollte, sondern weil es dieNotwendigkeit mit sich brachte. Anfänglich übte ich meinen

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Beruf aus, hatte eine große Wohnung. Aber irgendwann merkteich, dass das Maß an politischem Engagement das Maß anBürgerlichkeit überschritt. Das hieß also, ich bekam Problemein meinem Beruf. Nicht weil ich Nazi war, sondern wegen desZeitaufwandes, den ich in diese Aktivitäten steckte. Das machtemich unzuverlässig für die flexible Einteilung in Schichten, wennpersonelle Engpässe eintraten. Das hätte ich gewährleistenmüssen, das wollte ich aber nicht. Ich hatte schon das Bedürf-nis, sehr viel politisch zu machen, sehr viel mich auch mitKameraden zu umgeben. Nicht nur für politischen Aktivismus,sondern eben auch für Freizeit, Partys und Konzerte. Ich warnicht bereit Einschnitte in mein Kameradschaftsleben für mei-nen Beruf hinzunehmen. Das stellte mich vor das Problem,dass mein Arbeitgeber das nicht mit sich machen lassen wollte.Daraufhin musste ich mich fragen, wie orientiere ich mich be-ruflich, ohne dass sich das mit meiner politischen Arbeit über-schneidet. Ich wollte weiter aktiv sein, aber ich wollte michauch finanzieren und von irgendwas leben können. Ich gingdann in Berufe, die dem entgegenkamen.

Gab es denn mal Probleme im Berufsleben,weil Du Rechtsextremist warst?Es war nicht unbekannt. Allerdings bin ich auch nicht offen ras-sistisch oder nationalistisch aufgetreten, weil das bei der Arbeitkein Thema war. Da war es wichtig zu funktionieren. Aber ichdenke, es war schon bekannt.

Was war für Dich denn so attraktiv in der Szene zubleiben? Gerade wenn man einen gesicherten Job hat,in dem man ordentlich verdient und dann vor die Wahlgestellt wird, ob man doch lieber politisch arbeitet.Das war genau das, was ich zu dem Zeitpunkt wollte. Was michalso komplett erfüllte, was mich bestätigte, was mir eine rich-tige Aufgabe im Leben gab, was mich im Leben positionierte.Ich hatte Anerkennung in der Gruppe, in der ich aktiv war. Esmachte mir auch Spaß, mich in diesem Bereich aktiv zu zeigen.Zu planen, zu organisieren, Strukturen zu erschaffen, das wardas, was ich gewollt hatte. Der finanzielle Aspekt, der meinLeben natürlich auch mit beeinflusst, war eher sekundär. Dashatte nachher noch mehr nachgelassen. Das war nicht so wich-tig wie dieses Leben. Geld war natürlich wichtig zum Überle-ben, zum Leben und zum Ermöglichen vieler dieser Aktionen.Aber die Sache an sich war wesentlich wichtiger.

Welche Aktivitäten hattest Du betrieben?Ich war in mehreren Sachen aktiv. Ich war in den Freien Kame-radschaften aktiv und auch in einigen anderen Strukturen.Dabei organisierte ich Konzerte – natürlich nicht ich alleine.Das ist ein immenser Planungsaufwand, gerade wenn eine aus-ländische Band spielt. Die Bands müssen unauffällig einreisen,ohne dass der Staats- oder Verfassungsschutz davon Wind be-kommen. Wir mussten fiktive Veranstaltungsorte organisierenund Treffpunkte für die Leute, die zu den Konzerten wollten.Das war ein unheimlicher Organisationsaufwand, aber dasmachte unheimlich viel Spaß. Das ist ein bisschen dieses„Räuber und Gendarm“-Verhalten. Weiterhin organisierten wir

politische Kundgebungen, Demonstrationen, Ordnerdienste,Internetauftritte sowie Transparente und Flugblätter zu einembestimmten Thema, die in der ganzen Region verteilt wurden.Wir beteiligten uns auch an der Jugendoffensive. Das heißt, eswurde versucht Jugendliche für rechte Strukturen zu begeis-tern, ohne dabei wirklich Politik zu betreiben, sondern sie an-zusprechen und zu fragen: „Habt ihr nicht Bock mit Fußball zuspielen?“ Oder: „Wir haben noch ein paar Plätze im Bus frei,wollt ihr nicht mitfahren, was erleben und einen Kick kriegen –auch mit der Polizei?“ Das ist auch spannend für Jugendliche.Gegen die Eltern revoluzzen, was machen, was auf keinen Fallgewollt ist von denen.

Welchen Nutzen hatte das Internet für Euch?Ohne das Internet wäre es sehr schwer. Das Internet brachteein unheimliches Maß an politischer Vernetzung. Das bedeutetKontakte, die anders nie zustande gekommen wären. Was einweiterer Vorteil für die rechte Szene ist: Ideologie und Propa-ganda und rechte Inhalte kommen nahezu ungefiltert in fastjedes Wohnzimmer und auch fast jedes Kinderzimmer. Daist keiner mehr, der das zwischenfiltert. Wenn einer schreibt,Deutschland hat den Krieg nicht angefangen und fundiert dasscheinbar auch wissenschaftlich, hört sich das für einen 16-Jähri-gen durchaus plausibel an und bestärkt ihn vielleicht noch inder eigenen Rolle, weil es provokant ist, so etwas zu sagen. Daserreicht die Jugendlichen und ich glaube schon, dass das einProblem ist. In Deutschland ist es ein Vorteil für die rechteSzene, dass über E-Mail, Downloadbörsen und so weiter eineziemliche Verbreitung von Material stattfinden kann. Wenn Siedas Beispiel Musik nehmen. Eine CD ist indiziert und trotzdemsind die geschätzten Angaben bei einer Veröffentlichung einerrechten Band immer noch 2000 plus X. X sind dann vielleicht10000 gebrannte CDs. Gerade weil es verboten ist, wird darübergeredet, es wird interessant und per Google mit einem Klickverfügbar. Das ist für Rechtsextremisten durchaus von Vorteil.Außerdem gibt es Mailinglisten oder der Massenversand perSMS, der eine Zeitlang über das Internet erledigt wurde.

Wie war das Verhältnis zu Deinen Kameraden?Es gab definitiv Konflikte. Das wurde von mir aber nicht sogesehen. Ich war sehr überzeugt von dem, was ich machte,und sehr radikal in dem, wie ich das machte. Dementspre-chend unnachgiebig war ich auch gegenüber den Leuten, diein meinem Umfeld aktiv waren. Später wurde mir mal vonaußen gesagt, dass die Leute weniger mit mir befreundet seinwollten als Angst vor mir hatten. Das hat mich sehr verletzt,weil es natürlich nicht schön ist, wenn man so etwas über sichhört. Am Anfang habe ich versucht das wegzudiskutieren undgesagt, „das ist Spinnerei, wir sind freundschaftlich verbundengewesen“. Heute bin ich aber der Meinung, dass es Freund-schaft innerhalb der rechten Szene nicht gibt. Wohl gibt esdiesen Kameradschaftsverbund. Aber der Platzanweiser, wenner denn vorhanden sein muss, ist die Ideologie. Wenn ich diewegnehme und das politische Engagement einstelle oder diepolitische Einstellung ändere, dann wird sich früher oderspäter auch die Freundschaft auflösen.

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 53

Hattest Du in dieser Zeit noch Kontakte außerhalbder Szene?Nein. Ausgenommen die Familie. Die hatten irgendwann auf-gegeben. Sie versuchten nicht, sich mit meinem politischenEngagement auseinanderzusetzen, sondern es wurde nichtthematisiert.

Wie hast Du Deine Entwicklung wahrgenommen?Ich war zufrieden. Ich empfand das nicht als verschiedenePhasen einer politischen „Karriere“. Es war etwas Fließendes.Das war ich persönlich. Ich bin morgens aufgestanden undmusste mich nicht vorm Spiegel entscheiden, heute bin ichNazi oder ich bin keiner, sondern es war eine Selbstverständ-lichkeit der Überzeugung, wie man die Welt um sich herumbeurteilt. Sicher gab es immer Punkte, die teilte ich nicht, undquatschte sie doch immer nach. Zum Beispiel ist die Leugnungdes Holocaust nahezu eine Notwendigkeit in der Nazi-Szene.Es lässt sich schwer eine Ideologie vermarkten, die für Millio-nen von Toten steht. Das heißt, im Umkehrschluss muss derHolocaust wegdiskutiert werden und das wird ja auch seitJahren versucht. Das habe ich nie wirklich geglaubt, weil dieBeweislast, die Klarheit, die Eindeutigkeit zu groß ist. Aber:Ich erzählte es trotzdem. Ich verarbeitete es in Vorträgen. Ichverbreitete es weiter, ohne wirklich daran zu glauben.

Wie ist es denn dazu gekommen, dass Du ausgestiegenbist?Es fand eine Veränderung in meinem privaten Leben statt, dieließ mich überdenken, ob ich mein Leben weiter so gestaltenmöchte. Ich hatte dann eine längere räumliche Trennung vonder rechten Szene, weil ich im Ausland war. Dadurch bekamich die Chance, aus dem alltäglichen Trott herauszukommenund nachzudenken. Soll mein Leben so weitergehen, kann ichdas verantworten, gibt es Alternativen dazu? Am Ende entschiedich mich, dass ich mein Leben so nicht weiter gestalten kannund auch nicht möchte. Das war der Anfang vom Ende, dermich dazu motivierte, mich von der Szene zu trennen. Ganzdeutlich muss ich hinzufügen: Die politische Auseinanderset-zung kam erst danach. Der Ausstieg war keine politische Ent-scheidung, dass ich sagte, ich komme politisch damit nichtzurecht, sondern eher eine Lebensentscheidung.

Wie hat denn daraufhin Dein rechtsextremes Umfeldreagiert?Ich war weg und bin seitdem nie wieder zurückgekehrt.Das war für mich sehr gut.

Was fiel Dir bei Deinem Ausstieg schwer?Ich habe vor einem Loch gestanden, und ich wusste nicht, wieich das wieder füllen würde. Das betraf alles, meine Musikvor-lieben, meinen Kleidungsstil, auch meine Formulierungen.Ich hatte ja bestimmte Argumentationsstrukturen und eine Artund Weise mich auszudrücken, Dinge zu benennen. MeinFreundeskreis, mein Tagesablauf, meine Hobbys sind letztend-lich weggebrochen. Mit dieser neuen Situation musste ichmich erst mal auseinandersetzen. Das war nicht leicht.

Hast Du denn noch irgendwann mal etwas gehörtvon früheren Kameraden?Ich beobachte die Strukturen, auch weil sie bundesweit sehraktiv sind. Es interessiert mich politisch, was dort passiert,in welchen Bahnen das weitergeht. Inzwischen habe ich ein-mal zwei frühere Kameraden auf der Straße getroffen, dieaber nicht zu meinem engeren Umfeld gehörten. Das hat aberweiter keine Konsequenzen gehabt. Bedrohlich ist eher einMob-Verhalten. Wenn gesoffen wird und die Stimmung aufge-heizt ist und dann einer sagt, der xy wohnt hier in der Nähe.Dann hätte ich ein Problem. Aber dass ich offen angegriffenwerde, halte ich nicht für so wahrscheinlich. Ich bin nicht sowichtig, dass man mich umbringen müsste. Ich bin ein Ärger-nis für die rechte Szene, weil es zeigt, dass es auch einenAusweg gibt, möglicherweise auch, weil ich mich hinsetze unddarüber berichte, was ich erlebt habe und wie ich es erlebthabe und ich appelliere auch an Alternativen. Das heißt, ichhabe mich nicht politisch links orientiert, das ist nicht meinepolitische Richtung. Ich finde es aber wichtig, sich zu positio-nieren und diesen Leuten zu sagen, wir sind Deutschland, wirsind die Gesellschaft, wir sind 80 Millionen und ihr habt nichtdas Recht für uns zu sprechen. Das ärgert die Rechten, weil esdas trifft, was die verinnerlicht haben. Dass sie für Deutschlandsprechen und die Zukunft gestalten möchten. Ich möchtenicht so leben und ich möchte es auch niemanden zumuten soleben zu müssen. Deswegen stelle ich mich heute hin undsage, dass wir die Position Deutschland besetzen müssen. DieFußballweltmeisterschaft ist ein gutes Beispiel. Patriotismuswar ohne nationale Attitüden besetzt. Das hat den Rechtennicht gefallen und war sehr schlecht für sie. Das ist unsereGesellschaft. Es ist wichtig sich dafür einzusetzen, egal welcheHaarfarbe oder Hautfarbe man hat. Das dürfen wir nicht denRechten überlassen.

Danke für das Gespräch.

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Argumentieren gegen Stammtischparolen

Der Begriff „Stammtischparole“ ist ein Sammelbegriff für ein-deutige weltanschauliche, vorzugsweise politische Botschaf-ten, für platte Sprüche und meist auch menschenverachtendeRechthabereien. In Stammtischparolen kommt eine Gesinnungzum Ausdruck, die vorurteilsbeladen, emotionalisiert undaggressiv ist.

Deutlich werden in Stammtischparolen häufig ein auto-ritäres Politikverständnis, Vorurteile, eine Verharmlosung oderVerklärung des Nationalsozialismus und Benachteiligungs-ängste sowie Ausländerfeindlichkeit.

Wie man solchen Stammtischparolen begegnet, kommtauch auf die Situation an. Handelt es sich um einen Kreisvon Personen, in dem lediglich Vorurteile wiedergegebenwerden, ohne diese genauer zu reflektieren, und bei denenkein geschlossenes rechtsextremes Weltbild vorliegt – wiebei vielen rechtsorientierten Jugendlichen – so kann einpartnerschaftlicher Gesprächsstil mit guten Gegenargumenten

nützlich sein. Handelt es sich dagegen um (öffentliche)Diskussionen, in denen geschulte Rechtsextremisten dasWort ergreifen und mit Wiederholungen von inhaltlich undrhetorisch gedrechselten Schlagworten und Parolen Themendiktieren und andere demokratische Diskutanten zu Recht-fertigungen zwingen wollen, sollte man vorsichtig reagieren.Doch sollte man auf jeden Fall intervenieren, um Rechtsextre-men nicht widerspruchsfrei das Forum zu überlassen. Es lohntsich jedoch keine Diskussion darüber, ob der Holocaust statt-fand oder nicht. Ebenso wenig muss man Abstriche an seinereigenen Menschenwürde machen und sich in der Diskussionmit Rechtsextremisten herabwürdigen lassen. Nicht Helden-tum ist gefragt, sondern Zivilcourage.

Wie verhält man sich jedoch konkret im Alltag, wennman mit Stammtischparolen konfrontiert wird, die rechtsextre-mes Gedankengut enthalten? Wer die Welt erklären will, mussdifferenzieren. Aber Differenzierung ist „am Stammtisch“ nicht

„Ausländersind

kriminell!“

„Die Ausländernehmen uns Deutschendie Arbeitsplätze weg!“

„Die AusländerflutüberfremdetDeutschland.“

„Unter Hitler konnteman noch sicher über

die Straße gehen.”

„Die meisten Deutschenwussten im ‚Dritten Reich‘

nichts von derJudenverfolgung und

-vernichtung.“

Beim Anteil verurteilter Straftäter ist der Anteilder hier lebenden Ausländer oft niedriger als beiden Deutschen. Ein großer Teil der Ermittlungengegen Ausländer betrifft zudem ein Delikt, dasDeutsche gar nicht begehen können:Verstoß gegen das Ausländer- oder Asylgesetz.

Diese Ängste sind dort am größten, wo amwenigsten Ausländer leben. Der Ausländeranteilhat sich in den letzten Jahren nicht deutlich erhöht.Ohne Zuwanderung durch Ausländer würdeDeutschland vergreisen und unter demdemographischen Wandel massiv leiden.

Wer sind DIE Ausländer? Viele Ausländer arbeitenin Bereichen, in denen Deutsche nicht gernearbeiten. Ausländer schaffen demgegenüber inDeutschland viele Arbeitsplätze. Über 250000selbstständige Ausländer beschäftigen immerhin570000 Arbeitnehmer, Tendenz steigend.

Für Juden, politisch Andersdenkende, Homosexuelleund Behinderte traf dies nicht zu. Diese wurdenerst diskriminiert, dann verfolgt und zum großenTeil in Konzentrationslager abtransportiert unddort auf bestialische Art und Weise ermordet.Deutschland ist heute im Vergleich zu damals undzu anderen Ländern ein sehr sicheres Land.

Stimmt nicht. Die Bevölkerung hat von derExistenz von Konzentrationslagern gewusst.Außerdem war gar nicht zu übersehen, dassJuden verfolgt, verhaftet und verschlepptwurden und nie zurückkehrten.

Vorgehen:-- Bei Diskussionen mit Rechtsextremen ist

es viel wichtiger, vielleicht drei oder vier

schweigende Zuhörer zum Nachdenken zu

bringen, als zu versuchen, den aggressiven

Wortführer umzustimmen.-- Oftmals können schon das Beharren auf Logik

und direktes Nachfragen helfen.-- Pauschale Aussagen kann man in Frage stellen

und konkrete Beispiele einfordern.-- Bei offensichtlicher Menschenverachtung, klarem

Rechtsextremismus und verfassungsfeindlichen

Aussagen müssen jedoch Grenzen gesetzt

werden. So lohnt sich keine Diskussion darüber,

ob der Holocaust stattgefunden hat.-- Nicht Heldentum ist gefragt, sondern

Zivilcourage.

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Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit 55

gefragt. Hier geht es zumeist darum, auf komplizierte Frageneinfache und scheinbar alles erklärende Antworten zu geben,deren Wurzeln in rechtsextremer Ideologie liegen. Zum Beispiel:Wer ist Schuld an der Arbeitslosigkeit? Die Ausländer.Wer ist Schuld an der Kriminalität? Die Ausländer.Wer ist Schuld an der Bildungsmisere? Die Ausländer.

Hinzu kommt die lautstarke, unbeirrte Aggression, derman etwas erwidern möchte, die aber einen gruppendynami-schen Faktor hat. Hier wird ein „Wir-Gefühl“ erzeugt, dasschwer aufzulösen ist. Die Parolen können sogar, indem sieplakative und einfache, meist harte „Lösungen“ markant undlautstark propagieren, zu Aggressionen und Gewaltbereitschaftführen.

Gesprächsregeln beachten – Wie kann manauf Stammtischparolen reagieren?Eine wirksame Auseinandersetzung damit und Gegenargumen-tationen sollten verschiedene Kommunikationsebenen beach-ten. Inhaltlich sollte man nicht dem schnellen Wechsel vonVorurteilen folgen, sondern auf einem Thema beharren undkonkrete Beispiele einfordern. Bei Entgegnungen kann mandie Folgen ansprechen, die Widersprüche aufdecken („Wiesonehmen die Ausländer uns die Arbeit weg, wenn sie doch soschlecht in der Schule sind?“) und die pauschalen Zuschrei-bungen in Frage stellen („Wer ist wir? Wer sind die?“). In einersolchen Situation können Beharren auf Logik und direktesNachfragen helfen. Belehrung und moralisch vorgetrageneGegenpositionen erzeugen dagegen Widerstand.

Insgesamt ist darauf zu achten, dass man gewisse Ge-sprächsregeln einhält und somit den anderen veranlasst, zuzu-hören und auf die Argumente einzugehen. Jede Form vonÜberheblichkeit muss vermieden werden, es geht um Gegen-argumente. Humor und leises, ruhiges Reden entspannen undbilden einen wirkungsvollen Kontrast zum lautstarken Ge-schrei der Wortführer. Es geht dabei gar nicht darum, eine Dis-kussion zu „gewinnen“, sondern überhaupt erst ein Gesprächzustande zu bringen, das andere zu einer Reflektion ihrerSichtweise veranlasst.

Perspektiven wechseln und authentischbleiben – Wie gestaltet man ein Gespräch?Gegenargumente werden zwar gerne verdreht und den dumpfenVorurteilen kann man oft keine komplexe Differenzierung ent-gegensetzen, dennoch sollte man auf die Gefühle der andereneingehen und Brücken bauen wie „Du sagst das jetzt so, abersieh doch mal…“ So entsteht eine Beziehung, die hilft, denGesprächsverlauf zu lenken. Bei offener Menschenverachtungund verfassungsfeindlichen Aussagen müssen jedoch Grenzengesetzt werden.

Bezüglich des Gesprächsumfeldes gilt, dass häufig keinefestgefügten Pro- und Contra-Lager vorliegen. Insofern sollteman seine Argumente auch an die Unentschiedenen adressie-ren, da der Diskussionsgegner doch meist stärker seinen Vor-urteilen verhaftet bleibt. Auf der moralischen Ebene zu

argumentieren ist schwierig. Zwar nimmt jeder für sich Moralin Anspruch, lässt sich darin jedoch ungern belehren. Trotz-dem kann man auf das Grundgesetz oder christliche Geboteals moralische Ausgangspunkte der eigenen Argumente verwei-sen. Die emotionale Ebene einzubeziehen, bedeutet nicht,falsch verstandene Küchenpsychologie anzuwenden, sondernzum einen Ängste und Frustrationen anzusprechen und zumanderen den Streit nicht zu sehr eskalieren zu lassen. Ein wei-teres Kommunikationsmittel, das zur Reflexion anregt, sindPerspektivenwechsel, in denen man z. B. das Problem aus derSicht einer anderen Person betrachtet. Besonders wichtig aberist, bei einer Diskussion authentisch zu bleiben, weil nur sodie vertretenen Argumente glaubwürdig und überzeugendvermittelt werden.

Initiative ergreifen – Welche Haltung verlangtein solches Engagement?Insgesamt ist es wichtig, die drei oder vier Personen, die schwei-gend dabei sitzen, zum Nachdenken zu bringen. Mit Koopera-tionspartnern kann es gelingen, das Gespräch nach logischenKriterien zu führen und durch ruhig vorgetragene Argumenteeine Wirkung auf die anderen zu entfalten.

Stammtischparolen sind im Allgemeinen keine verirrtenMeinungen von Einzelnen. Die kollektive Gesinnung hinterden Parolen hat zahlreiche Sprachrohre. Aus der Berichter-stattung der Massenmedien können die Parolenverkünder tag-täglich Stoff für ihre Vorurteile bekommen. Was dort in Wortund Bild veröffentlicht wird, deckt sich mit dem Erkenntnis-horizont der Leserinnen und Leser. Beide bedienen sich alsowechselseitig: Zeitungsmacher und Zeitungsleser. Auch daraufkann man eingehen. Wenn man meint, in einer Zeitung Diskri-minierungen zu entdecken, sollte man auf jeden Fall aktivwerden und mit Leserbriefen auf die pauschalisierenden Paro-len aufmerksam machen!

Als Veranstalter und Mitwirkender von öffentlichen Dis-kussionen ist man der „Wortergreifungsstrategie“ und damitunliebsamen Diskutanten im Übrigen nicht wehrlos ausgesetzt.So kann man sich gezielt vorbereiten und auch als Veranstaltervom Hausrecht Gebrauch machen. Informationsbroschürenund Anlaufstellen geben darüber Auskunft.

Zusammengestellt aus den Büchern von Klaus-Peter Hufer:„Argumente am Stammtisch“, Schwalbach/Ts. 2006; und„Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“,Schwalbach/Ts. 2000

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56 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

„Ausländer sind kriminell!“Ein gutes Drittel der Ermittlungen gegen „Ausländer“betrifft ein Delikt, das Deutsche gar nicht begehenkönnen: Verstoß gegen das Ausländer- oder Asylgesetz.Ein weiteres Drittel der sogenannten „nichtdeutschenTatverdächtigen“ sind Touristen oder Menschen ohnelegalen Aufenthalt. Diese werden von der Statistik nichterfasst und können zahlenmäßig daher auch nicht mitder Wohnbevölkerung verglichen werden.

Die polizeiliche Statistik zählt lediglich Tatverdäch-tige. Der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen geht –so die Kriminalstatistik des Bundesinnenministeriums –bundesweit betrachtet seit Jahren zurück. Beim Anteilverurteilter Straftäter ist der Anteil der hier lebendenMigrant/-innen oft niedriger als bei den Deutschen.

„Die Ausländer nehmen uns Deutschendie Arbeitsplätze weg!“Zunächst einmal: Wer sind DIE Ausländer? Der amerika-nische Investor, der brasilianische Fußballstar oder derpolnische Arbeiter im Schlachthof?

Einfach die Arbeitsplätze wegzunehmen ist nichtmöglich, da erst Einreise- und Aufenthaltserlaubnis,Wohnungsnachweis und andere Papiere nötig sind, bevorein Migrant eine Arbeitsgenehmigung erhält. Außerdemist gesetzlich geregelt, dass Inländer und EU-Bürger beiBewerbungen für die gleiche Stelle einem Ausländervorgezogen werden müssen („Inländervorrang“ und„Anwerbestopp“).

Viele Migranten und Migrantinnen arbeiten zudemin Bereichen, in denen Deutsche nicht gerne arbeiten,z.B. in der Produktion, als Hilfskräfte oder in Reinigungs-betrieben. Viele Bereiche der deutschen Wirtschaft, wiedas Hotelgewerbe oder die Müllabfuhr, hätten ohne aus-ländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erheblicheProbleme. Vom Fachkräftemangel gar nicht zu sprechen.

Außerdem schaffen Migranten in Deutschland vieleArbeitsplätze. Die über 250000 selbstständigen Ausländerbeschäftigen immerhin 570000 Arbeitnehmer, Tendenzsteigend. Und für die Verlagerung von Arbeitsplätzen insAusland ist bestimmt nicht der in Deutschland lebendeAusländer verantwortlich.

Es leben ca. 8 Millionen Ausländer in Deutschland,davon sind rund 2 Millionen erwerbstätig. Sie erwirt-schaften jährlich ein Bruttosozialprodukt von ca.128 Milliarden Euro. Dieses Geld wird zum Großteilin Deutschland ausgegeben, stärkt die Kaufkraft undsichert Arbeitsplätze – hauptsächlich deutsche.

„Die Ausländerflut überfremdetDeutschland.“Diese Ängste sind dort am größten, wo am wenigstenAusländer leben. Fremdenfeindlichkeit braucht keineFremden und Antisemitismus keine Juden.

(Der Ausländeranteil in der gesamten Bundes-republik liegt bei ca. 10 Prozent, in Ostdeutschland beica. 2 Prozent). Der Ausländeranteil hat sich in den letztenJahren nicht deutlich erhöht, da viele Ausländer auchwieder wegziehen. Ohne Zuwanderung würde Deutsch-land schnell vergreisen und unter dem demographischenWandel massiv leiden. (Nötig sind jährlich fast eine halbeMillion Zuwanderer.) Zum Bekenntnis zu Deutschlandals Einwanderungsland und zur gelingenden Integrationgibt es keine Alternative.

„Die meisten Deutschen wussten im‚Dritten Reich‘ nichts von derJudenverfolgung und -vernichtung.“Stimmt nicht. Die Bevölkerung hat von der Existenz vonKonzentrationslagern gewusst.

Außerdem war gar nicht zu übersehen, dass Judenverfolgt, verhaftet und deportiert wurden und nie zu-rückkehrten. Die Diskriminierung von Juden war imNationalsozialismus alltäglich und wurde schon in derSchule gelehrt.

„Unter Hitler konnte man noch sicherüber die Straße gehen.“Für Juden und Jüdinnen, politisch Andersdenkende,Homosexuelle, Menschen mit Behinderung oder für un-angepasste Jugendliche traf dies zum Beispiel nicht zu.Diese wurden erst diskriminiert, dann verfolgt und zumgroßen Teil in Konzentrationslager abtransportiert unddort auf bestialische Art und Weise ermordet.

Nicht zu vergessen ist die alltägliche Zensur, diegleichgeschaltete Presse und die dadurch stark einge-schränkte Medienberichterstattung über die tatsächlicheSicherheit.

Deutschland ist heute im Vergleich zu anderenLändern ein sehr sicheres Land. Die Angst vor Kriminali-tät ist höher, als es die Kriminalstatistik hergibt. Mit Aus-nahme vielleicht der Ängste, die Rechtsextreme auchheutzutage noch verbreiten.

Stammtischparolen und Gegenargumente

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Was tun gegen Rechtsextremismus?

Jeder Einzelne kann etwas gegen Diskriminierung,Rassismus und Gewalt und für Toleranz undMenschlichkeit tun!

Die Verantwortung kann und darf nicht nur den staatlichenInstitutionen (Polizei, Gerichten, Verfassungsschutz) alleine zu-gewiesen werden. Sie muss in Politik und Gesellschaft, konkretund konsequent vor Ort an Schulen, Universitäten und in derErwachsenenbildung, den Parteien, Medien, am Stammtisch, inden Vereinen oder auch in Leserbriefen auf kommunaler undregionaler Ebene wahrgenommen werden!

Wenn man Rechtsextremisten nichts entgegensetzt, gibtman ihnen die Chance, die Demokratie auszuhöhlen. Darumist es wichtig, als Demokraten gemeinsam gegen Rechtsextre-mismus vorzugehen – gegen rechtsextreme Meinungen undEinstellungen und erst recht gegen Gewalttaten.

Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württem-berg engagieren sich bereits in der Zivilgesellschaft underfüllen damit eine demokratische Gesellschaft mit Leben.

Ein solches Engagement stellt bereits einen hohen Wert ansich dar. Ein Nebeneffekt ist, dass überzeugte Demokratenund Demokratinnen vor Rechtsextremismus gefeit sind. Diesgilt umso mehr für Jugendliche, die gerade in dieser Lebens-phase für das weitere Leben prägende politische Wertvor-stellungen herausbilden. Wer hier in seinem demokratischenEngagement Anerkennung erfährt, achtet die Menschenwürdeanderer und ist für die Demokratie gewonnen.

Im Folgenden sollen beispielhaft einige Projekte vorge-stellt werden.

Demokratiepolitik und -pädagogik –Möglichkeiten zur Stärkung der DemokratieDie beste präventive Strategie gegen Rechtsextremismus istdie Stärkung der Demokratie. Denn auch wenn es manchmalso scheint: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. Siemuss fortwährend neu gelernt und erarbeitet werden.

Veranstaltungenund Diskussionsrunden

Engagementin Bündnissen und Initiativengegen Rechts

Bücher,Zeitschriften,Internetund Infodienste

Teilnahmean Programmen für Toleranzund gegen Rassismus

Sich über Rechtsextremismus

informieren!

Bewusstes Eintreten

für Demokratie

und Menschlichkeit und gegen

Diskriminierungund Gewalt!

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58 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

Ähnlich wie die Friedrich-Ebert-Stiftung bieten in diesemZusammenhang mehrere Institutionen und Organisationendeutschlandweit Veranstaltungen an, die ein Bewusstsein fürdemokratische Abläufe und Partizipation schaffen.

Auch in Schulen kann einiges zum Thema Demokratie-förderung getan werden. Für Schulen ist z.B. das „Netzwerk fürDemokratie und Courage“ oder das Programm „Demokratielernen & leben“ bedeutsam. Die Bund-Länder-Kommission fürBildungsplanung führte das Programm von 2002 bis 2007 durch.Dieses Schulentwicklungsprogramm möchte durch eine Demo-kratisierung von Unterricht und Schulleben die Schülerschaft mo-tivieren und befähigen, die Zivilgesellschaft aktiv mitzugestalten.

An der Realschule in Salem zum Beispiel hat sich einInnovationsteam, zur Hälfte bestehend aus Schüler/-innen, ge-bildet. Dieses Team hatte gemeinsam die bestehende Pausenre-gelung als Problem festgestellt und sich auf eine Verbesserungverständigt: Seitdem gibt es an dieser Schule die sogenannte„bewegte Pause“, in der Mannschaftsspiele, Stelzen laufen,Jonglieren oder Gummihüpfen angeboten wird. Hier habendie Schüler/-innen die Erfahrung machen können, dass IhreIdeen und Vorstellungen ernst genommen werden und beider Umsetzung Unterstützung finden.

Auch an der Eduard-Spranger-Schule in Reutlingen gab esein Demokratie-Projekt. Hier hatte man sich zum Ziel gesetzt, dasMiteinander vieler Schüler/-innen aus unterschiedlichsten Kultur-kreisen zu verbessern. Bei einem Anteil von 45 bis 50 Prozent anSchüler/-innen mit Migrationshintergrund und vielen Kindernaus Übergangswohnheimen oder schwierigen familiären Verhält-nissen war der Wunsch nach einem besseren Miteinander groß.Im Rahmen ihres Schulsozialpraktikums kümmerten sich darauf-hin etliche Schüler der 8ten Klasse um Lernhilfen und Unter-stützung von Grundschülern. Sie gehen einmal die Woche zuihren „Patenkindern“ in die Familie, helfen bei Hausaufgabenoder unterstützen Eltern, die wenig Deutsch sprechen beimElternabend. Die Schüler haben dabei Verantwortung übernom-men und machen die Erfahrung, dass jede und jeder Einzelne zueinem gelungenen Miteinander beitragen kann.

Ferner sind Jugendvereine, -verbände und -initiativenwichtige Foren, in denen Jugendliche anerkannt werden undsich selbstbestimmt engagieren können. Diese Bestätigung alsmündige Bürger und Bürgerinnen vollzieht sich nicht nur inden politischen Jugendverbänden, sondern ebenfalls in sozia-len, kulturellen, kirchlichen oder Sportorganisationen. Ein En-gagement in Vereinen bestärkt nicht nur Jugendliche in einerdemokratischen Haltung, sondern ebenfalls Erwachsene. Einelebendige Vereinslandschaft wie in Baden-Württemberg ist des-halb eine wichtige Basis der Demokratie. Sich für die Demo-kratie zu engagieren bedeutet auch, offensiv für eine offeneBürgergesellschaft einzutreten, dazu tragen beispielsweise in-terkulturelle Wochen oder Freundschaftsfeste bei.

Historisch-politische Bildung –Vergangenheit erinnern – Zukunft gestaltenAuch die historisch-politische Bildung leistet durch dieAufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten wert-

volle Beiträge für die Achtung der Menschenwürde und dieDemokratie. In Baden-Württemberg gibt es beispielsweise ineinigen Landesteilen NS-Gedenkstätten, die eine historischeAusstellung zum Nationalsozialismus präsentieren. Diesebezieht sich stets auf die Geschichte der Einrichtung und holtsomit die zeitlich und vermeintlich auch räumlich entfernteEpoche mit den Verbrechen der Nationalsozialisten vor dieeigene „Haustür“.

In Deutschland einmalig ist die Dauerausstellung„Die Ermittler von Ludwigsburg“. Sie beherbergt eine Doku-mentation über die Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Nebeninsgesamt 12 KZ-Gedenkstätten gibt es seit dem Jahr 2006auch in Stuttgart ein Zeichen der Erinnerung: Am innerenNordbahnhof, dem Ort, von dem aus die Deportationder Stuttgarter Juden und Jüdinnen begann.

Rechtsextremismus entgegentreten –Wie kann man sich engagieren?Um sich gegen Rechtsextremismus engagieren zu können, istes notwendig, sich über das Thema Rechtsextremismus zuinformieren. Viele Organisationen und Institutionen bietenInformationsveranstaltungen, Diskussionsrunden, Workshopsoder Ausstellungen zum Thema an oder informieren über ihreInternetseiten sowie in Büchern, Zeitschriften und Berichten.

Die OnlineAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung bietetzum Beispiel in ihrem Modul „Rechtsextremismus“ Texte,Unterrichtsmaterialien und Links zum Thema an.

Im Verfassungsschutzbericht werden jährlich vom Verfas-sungsschutz des Bundes und der Bundesländer die Ergebnisseder Beobachtung extremer und möglicherweise gegen die Ver-fassung verstoßender Tatbestände dargestellt.

Nachrichten zum Thema Rechtsextremismus könnenzum Beispiel auch über Informationsdienste wie den „Blicknach Rechts“ – ein Informationsdienst von Journalisten –bezogen werden.

Wenn man informiert ist, weiß man auch genauer, in wel-chen Bereichen man sich gegen Rechtsextremismus engagie-ren kann. Auch in Baden-Württemberg gibt es einige Projekte,die sich ausdrücklich gegen Rechtsextremismus einsetzen. DieAuswahl der Aktivitäten gegen Rechtsextremismus geschiehthier unter der Maßgabe, dass eine demokratische Gesellschaftsich ihrer Gegner und Gegnerinnen erwehren sollte, und zwarso, dass sie weiterhin eine demokratische Gesellschaft bleibt.Deswegen dürfen die Mittel zur Auseinandersetzung mit demRechtsextremismus nicht den Zweck, die Erhaltung der demo-kratischen Gesellschaft, konterkarieren. Das bedeutet, dass na-türlich auch Rechtsextremisten eine Menschenwürde besitzen,die nicht verletzt werden darf. Nicht Rechtsextremisten alsMenschen sind die Gegner, sondern rechtsextreme Einstellun-gen und Verhaltensweisen.

Bisher gibt es in Baden-Württemberg schon eine Reihevon Initiativen und Institutionen, die sich gegen Rechtsextre-mismus engagieren und durch Bildungsarbeit und Gegenver-anstaltungen zu Nazi-Demonstrationen versuchen, über dieMenschenfeindlichkeit Rechtsextremer aufzuklären:

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So auch in Ulm, wo Rechtsextremisten für den 1. Mai 2009eine Demonstration angemeldet hatten. Im Vorfeld gründetesich ein Bündnis aus allen demokratischen Parteien, ausGewerkschaften, Sozialverbänden, Kulturgruppen, Vereinenbis hin zum örtlichen Automobilclub. Vor und nach dem 1. Maiorganisierte man eine Vielzahl von Veranstaltungen – von Gottes-diensten über Vorträge bis hin zu Musikveranstaltungen. Am1. Mai konnte trotz rechtsextremer Demonstranten in Ulm eindeutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus gesetzt werden.

Das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“setzt auf die langfristige und aktive Auseinandersetzung vonSchülerinnen und Schülern mit Rassismus und Diskriminie-rung. Zunächst müssen sich mindestens 70 Prozent aller Schul-angehörigen (Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und andereSchulbedienstete) durch ihre Unterschrift zu den Grundsätzeneines sozialen, solidarischen und friedlichen Miteinandersbekennen. Ferner bedeutet aktive Auseinandersetzung, dassdiesem Bekenntnis auch eigenständig entwickelte Projekteund Maßnahmen folgen, die diese Grundsätze in Schulkulturund Öffentlichkeit realisieren. In Baden-Württemberg tragenbereits 49 Schulen den Titel „Schule ohne Rassismus – Schulemit Courage“.

Anlässlich verschiedener rechtsextremer Demonstrationenhaben sich immer wieder lokal Bürgerinnen und Bürger zusam-mengeschlossen, um mit Unterschriftenaktionen, selbst organi-sierten Demonstrationen für Demokratie und die Achtung derMenschenwürde sowie mit Informationsveranstaltungen,Plakataktionen und ähnlichen Aktivitäten ein Zeichen gegenRechtsextremismus zu setzen.

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In Rosenberg-Hohenberg erwarb 2004 ein bekannter Neo-nazi, Andreas Thierry, über Strohmänner im Zuge einerZwangsversteigerung die frühere Gaststätte „GoldenesKreuz“. Kurz darauf verlegte die Landes-NPD ihre Geschäfts-stelle, sowie einige Kader ihren Wohnsitz in den 550 Perso-nen zählenden Ort. Im Juli 2009 gelang es der Gemeinde,das Gebäude wieder zu erwerben. Vorausgegangen warenzahllose Veranstaltungen und Aktivitäten gegen Rechts,getragen von einem breiten Bündnis. Beteiligt waren nebenzahlreichen Amtsträgern des öffentlichen Lebens auch Mit-glieder aller demokratischen Parteien, die Kirchen, dieSchule und zahlreiche Menschen aus der Gemeinde undder gesamten Region. Für den umfangreichen Einsatz fürVielfalt und Toleranz hat die Gemeinde Rosenberg am25. September 2009 von der Bundesregierung die Auszeich-nung „Ort der Vielfalt“ verliehen bekommen.

Wir interviewten Uwe Debler, den Bürgermeisterder Gemeinde, die sich erfolgreich wehren konnte:

Sehr geehrter Herr Debler, können Sie uns sagen, wieSie damals überhaupt erfahren haben, dass sich be-kennende Rechtsextremisten in Ihrem Ort angesiedelthaben, und wie die Reaktionen darauf waren?Die erste Information, dass Rechtsextremisten über Stroh-männer die Gaststätte „Goldenes Kreuz“ in Hohenbergerworben haben, kam vom Staatsschutz. Als wir dann weiterrecherchiert haben, waren wir sehr betroffen, dass sogarein sehr bekannter Neonazi Eigentümer dieses Hausesgeworden ist.

Wie erklären Sie sich, dass Neonazis ausgerechnet inIhrer Gemeinde Fuß fassen wollten?

Rosenberg – Eine Gemeinde wehrt sich gegen Rechts

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Die Neonazis waren nicht auf unsere Raumschaft fokussiert,sondern auf der Suche nach einem sehr günstigen Objekt.Dass sie dies ausgerechnet bei uns gefunden haben, war einbedauerlicher Zufall.

Wie haben Sie versucht, dagegen vorzugehen?Der Erwerb war nicht mehr rückgängig zu machen. DerGemeinderat und die Verwaltung haben nach gründlicherrechtlicher Prüfung feststellen müssen, dass nur ein gemein-sames, deutliches Engagement auf breiter Basis angelegt fürDemokratie und gegen Rechtsextremismus ein erfolgver-sprechendes Mittel gegenüber den Zielen der Neonazissein kann.

Wie ist es in der Gemeinde gelungen, ein breites Bünd-nis gegen Rechts auf die Beine zu stellen?Durch intensive Aufklärungsarbeit, durch zahlreiche Ver-sammlungen und Gespräche und durch breite Unterstützungaller gesellschaftlicher Gruppierungen ist es uns gelungen,dieses umfassende Bündnis ins Leben zu rufen. Dadurchkonnte auch der Versuch der Rechtsextremen, die Gesell-schaft zu spalten, verhindert werden.

Wer hat sich alles daran beteiligt?Ganz Hohenberg mit allen Vereinen, Vereinigungen undGruppierungen hat sich quer durch alle Altersschichten soli-darisiert und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Neo-nazis mit ihrer Gesinnung im Ort nicht willkommen sind.Ein lokales Bündnis, in dem sich gemeinsam alle demokrati-schen Parteien, Kirchen, Vereine, Vereinigungen, Schulen,Unternehmen und Privatpersonen für Demokratie, Vielfaltund Toleranz stark machen, ist ein sehr effektives und wirk-sames Instrument im Engagement gegen Rechtsextremis-mus. Wie wichtig es vielen Menschen war, sich fürDemokratie und gegen Vergessen einzusetzen, wurde da-durch deutlich, dass sehr viele zum ersten Mal in ihremLeben überhaupt an einer Kundgebung und an einer De-monstration teilgenommen haben.

In Baden-Württemberg ist die Jugendorganisation derNPD, die Jungen-Nationaldemokraten (JN) sehr stark.Wie hat die Jugend bei Ihnen auf die Ereignisse reagiert?Es war sehr erfreulich, dass sich sehr viele Jugendliche ausunserer Raumschaft für die Arbeit des lokalen Bündnissesgegen Rechtsextremismus interessiert haben und verstandenhaben, wie wichtig es ist, klare Zeichen gegen Extremismuszu setzen.

Welche Rolle spielte die Presse bei den Aktivitätengegen die Rechtsextremisten?Weder Presse noch Verwaltung waren auf den Umgang mit die-sem Thema vorbereitet. Sehr schnell aber wurden Gemeinsam-keiten erfasst und über Extremismus sachlich recherchiert undinformiert. Die Medien tragen große Verantwortung beim Um-gang mit diesem Thema und leisten einen wesentlichen Bei-trag zum sachgerechten Umgang mit Extremismus.

Was hat den Ausschlag dafür gegeben, dass die Neonaziswieder aus der Gemeinde verschwunden sind?Möglicherweise fehlende finanzielle Mittel. Aber sicher auchdie Trennung des Eigentümers von der Landes-NPD war einGrund für das Verschwinden der Neonazis. Mit Sicherheit hataber auch der permanente, breite, gemeinsame Widerstandder Bevölkerung seinen Beitrag geleistet, um den Neonazis inHohenberg keinen Raum für Entfaltung zu überlassen.

Wie setzt sich ihre Gemeinde nach dieser Erfahrungmit dem Thema auseinander, verfolgen Sie einePräventionsstrategie?Besonders erfolgversprechend ist eine nachhaltige, langfris-tige, aktive Präventions- und Informationsarbeit quer durchalle Altersschichten.

Welchen Rat würden Sie anderen Gemeinden geben,die von ähnlichen Ereignissen betroffen sind?Information, Prävention und Einbindung aller Gruppierun-gen, aller Altersschichten sind Grundlage für eine gemein-same und erfolgreiche Strategie gegen Rechtsextremismus.

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Veranstaltungen und Diskussionsrunden

Friedrich-Ebert-StiftungBietet deutschlandweit Veranstaltungen an oder zeigt Ausstel-lungen, die ein Bewusstsein für demokratische Abläufe undPartizipation schaffen und über Rechtsextremismus informieren.www.fes.de

NS-Gedenkstätten in Baden-WürttembergBieten Ausstellungen zur lokalen NS-Vergangenheit undBildungsveranstaltungen zum Thema an.

Bücher, Zeitschriften, Internet und Infodienste

VerfassungsschutzberichtIn ihm werden jährlich vom Verfassungsschutz des Bundes undder Bundesländer die Ergebnisse der Beobachtung extremerund möglicherweise gegen die Verfassung verstoßenderTatbestände dargestellt.

Bundesamt für VerfassungsschutzInformationsportal über die Arbeit des Bundesamtesfür Verfassungsschutz. www.verfassungsschutz.de

Landesamt für VerfassungsschutzInformationsportal über die Arbeit des Landesamtesfür Verfassungsschutz. www.verfassungsschutz-bw.de

Bundeszentrale für politische BildungHält ein breites historisches und politisches Informationsangebotvorrätig, ebenso auch zu Demokratie und Rechtsextremismus.www.bpb.de

Team MexxMit Zivilcourage gegen Extremismus. Ein Projekt der Landes-zentrale für politische Bildung Baden-Württemberg.www.team-mex.de

Blick nach RechtsInformationsdienst von Journalisten mit Nachrichten zumThema Rechtsextremismus. www.bnr.de

NPD Blog InfoInformationsportal über die NPD www.npd-blog.info

OnlineAkademie der Friedrich-Ebert-StiftungOnline-Portal mit einem Modul gegen Rechtsextremismus.Hintergrundtexte, Lehrerinformationen, Unterrichtsmaterialienund Links zum Thema. www.fes-online-akademie.de

Weitere Projekte und Materialien derFriedrich-Ebert-Stiftung zum ThemaRechtsextremismuswww.fes.de/rechtsextremismus

Initiativ werden gegen Rechts – Einige Beispiele

Engagement in Bündnissen und Initiativengegen Rechts

Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.Erinnert an die nationalsozialistischen Verbrechen unddie SED-Diktatur. www.gegen-vergessen.de

Mucke gegen RechtsMusiker wie Jan Delay, Die fantastischen Vier oder auchSuch a surge, die sich gegen Rechts zusammengeschlossenhaben. www.mucke-gegen-rechts.de

Nazis aus dem Takt bringenMusikcontest gegen Rechtsextremismuswww.nazisausdemtaktbringen.de

Mut gegen rechte GewaltOrganisation, die sich mit Zivilcourage gegen rechte Gewalteinsetzt. „Mut gegen rechte Gewalt“ wurde vom Magazin„Stern“ ins Leben gerufen. www.mut-gegen-rechte-gewalt.de

Amadeu Antonio StiftungGesellschaft mit dem Ziel, demokratische Strukturen zustärken und rechte Strukturen in ihrer Ausweitungzu hemmen. www.amadeu-antonio-stiftung.de

Teilnahme an Programmen für Toleranzund gegen Rassismus

Schule ohne Rassismus – Schule mit CourageSetzt auf die langfristige und aktive Auseinandersetzung derSchülerinnen und Schüler mit Rassismus und Diskriminierung.In Baden-Württemberg tragen bisher 49 Schulen (StandJanuar 2010) den Titel einer „Schule ohne Rassismus –Schule mit Courage“. www.schule-ohne-rassismus.org

Demokratisch HandelnWettbewerb zur Förderung einer demokratischen Haltungwww.demokratisch-handeln.de

Vielfalt tut gutDas Programm „Vielfalt tut gut“ ist Teil des Aktionsprogrammsder Bundesregierung „Jugend für Toleranz und Demokratie –gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit undAntisemitismus“. www.vielfalt-tut-gut.de

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asp – agentur für soziale Perspektiven e.V. (Hrsg.):Versteckspiel. Lifestyle, Symbole und Codes vonneonazistischen und extrem rechten Gruppen.Regionalausgabe Rhein-Ruhr/NRW, Berlin 2007

Das Bundesinnenministerium und die Landesinnen-ministerien geben jährlich einen Verfassungsschutzberichtheraus, der über deren Internetseiten zu beziehen ist

Bundesamt für Verfassungsschutz:Symbole und Zeichen der Rechtsextremisten,Köln 2006

Bibouche, Seddik; Dinger, Gerhard u.a.:Rechtsextremismus und sein Umfeld. Eine Regionalstudieund die Folgen für die Praxis, Hamburg 2008(über den Rems-Murr-Kreis)

Braun, Stephan; Gerster, Martin (Hrsg.):Strategien der extremen Rechten, Wiesbaden 2009

Braun, Stephan; Hörsch, Daniel (Hrsg.):Rechte Netzwerke – eine Gefahr, Wiesbaden 2004

Butterwegge, Christoph/Lohmann, Georg (Hrsg.):Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt, Opladen 2000

Decker, Oliver/Brähler, Elmar:Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihreEinflussfaktoren, erstellt im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung,Berlin 2006

Gamper, Markus/Willems, Helmut:Rechtsextreme Gewalt – Hintergründe, Täter und Opfer.In: Heitmeyer, Wilhelm/Schröttle, Monika (Hrsg.):Gewalt, Beschreibung, Analyse, Prävention, Bonn 2006

Gessenharter, Wolfgang/Pfeiffer, Thomas (Hrsg.):Die Neue Rechte – eine Gefahr für die Demokratie?,Wiesbaden 2004

Glaser, Stefan/Pfeiffer, Thomas (Hrsg.):Erlebniswelt Rechtsextremismus. Menschenverachtung mitUnterhaltungswert – Hintergründe – Methoden – Praxisder Prävention, Schwalbach i.T. 2007

Grumke, Thomas/Wagner, Bernd (Hrsg.):Handbuch Rechtsradikalismus. Personen – Organisationen –Netzwerke vom Neonazismus bis in die Mitte der Gesellschaft,Opladen 2002

Häusler, Alexander (unter Mitarbeit von Jürgen Peters):Rechtspopulismus in Gestalt einer „Bürgerbewegung“.Struktur und politische Methodik von PRO NRW undPRO DEUTSCHLAND, Düsseldorf 2007

Literaturauswahl zum Weiterlesen

Hufer, Klaus-Peter:Argumente am Stammtisch, Bonn 2006

Klärner, Andreas/Kohlstruck, Michael (Hrsg.):Moderner Rechtsextremismus in Deutschland.Hamburger Edition, Hamburg 2006

Klein, Ludger:Die Demokratie braucht die Zivilgesellschaft. Plädoyer füreine integrierte Strategie gegen Rechtsradikalismus undFremdenfeindlichkeit, Bonn 2007

Kohlstruck, Michael:Rechtsextreme Jugendkultur und Gewalt, Berlin 2002

Kulick, Holger (Hrsg.) u.a.:Mut-ABC für Zivilcourage – Ein Handbuch gegen Rechts-extremismus, Leipzig 2008

Miteinander e.V. und Arbeitsstelle Rechtsextremismusin Braunschweig (Hrsg.):Streiten mit Neo-Nazis, Magdeburg 2007

Molthagen, Dietmar; Korgel, Lorenz(Hrsg. Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung):Handbuch für die kommunale Auseinandersetzung mit demRechtsextremismus, Bonn 2009

Pfahl-Traughber, Armin:Rechtsextremismus in der Bundesrepublik, München 2006

Röpke, Andrea/Speit, Andreas:Braune Kameradschaften. Die militanten Neonazis im Schattender NPD, Berlin 2004

Ruf, Christoph; Sundermeyer, Olaf:In der NPD. Reisen in die National befreite Zone,München 2009

Speit, Andreas:Mythos Kameradschaft. Gruppeninterne Gewalt imneonazistischen Spektrum, Braunschweig 2005

Stöss, Richard:Rechtsextremismus im Wandel, Berlin 2005

Staud, Toralf:Moderne Nazis. Die Neuen Rechten und der Aufstieg der NPD,Köln 2005

Wagner, Bernd:Die Szene rechtsextremer Gewalt in den neuen Bundes-ländern. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Auf dem Weg zumBürgerkrieg, Frankfurt am Main 2001

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Unterrichtsmaterialien

„Lern- und Arbeitsbuch gegen Rechtsextremismus –Handeln für Demokratie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung,Bonn 2008:

Das Handbuch enthält 30 Bausteine zu einzelnen thematischenAspekten des Rechtsextremismus und seiner Bekämpfung. DieBausteine bieten Informationen zum Thema und eine didaktisch-methodische Anleitung für eine entsprechende Seminareinheit.Sie sind beliebig miteinander kombinierbar, je nach gewünschterZielrichtung bzw. Zielgruppe des Seminars. Im ersten Teil desBildungsmoduls werden in den Kapiteln „Rechtsextremismus“sowie „Demokratie und Gesellschaft“ wissensorientierte Bau-steine angeboten. Aktionsorientierte Module zur Auseinander-setzung mit dem Rechtsextremismus in Schule, Jugendarbeitund im kommunalen Kontext sowie der Zivilgesellschaft findensich im zweiten Teil der Publikation.

Zahlreiche weitere Publikationen und die Projekte derFriedrich-Ebert-Stiftung finden Sie unter:www.fes.de/rechtsextremismus

Meyer, Gerd; Dovermann, Ulrich; Frech, Siegfried undGugel, Günther (Hrsg.):Zivilcourage lernen. Analysen – Modelle – Arbeitshilfen, hg.von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Landes-zentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 2004

Brinkmann, Heinz Ulrich; Frech, Siegfried; Posselt,Ralf-Erik (Hrsg.):Gewalt zum Thema machen. Gewaltprävention mit Kindernund Jugendlichen, hg. von der Bundeszentrale für politischeBildung und der Landeszentrale für politische BildungBaden-Württemberg, 2008

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Dr. rer. pol. Dipl.-Päd. Christoph BuschLehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität Siegen.Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsextremismus, politi-sche Bildung, politische Kommunikation und sozialwissenschaft-liche Methoden. Aktuelle Veröffentlichung: Konfliktbearbeitungan Schulen durch demokratiepädagogische Jugendforschung,Münster 2007.

Co-Autor

Marcel BrückmannStudiert an der Universität Siegen Geschichte und Sozialwissen-schaften. Neben dem Studium hatte er dort eine studentischeForschungsstelle über die rechtsextreme Szene in Siegen-Wittgenstein.

Mit Beiträgen von

Ellen EsenPolitikwissenschaftlerin und Pädagogin, Referentin in derpolitischen Bildungsarbeit, Themenschwerpunkte: Rechts-extremismus, Jugendgewalt, Sekten- und Psychogruppen.Öffentliche Veranstaltungen mit „Aussteigern“ aus der rechtenSzene seit 1998. Zuvor Arbeit mit Aussteiger/-innen aus demDrogen- und Sektenmilieu.

Christoph RufFreier Journalist und Autor, langjähriger Redakteur bei SpiegelOnline, studierte Politische Wissenschaften in Hamburg undToulouse. Er publiziert seit seiner Studienzeit über die rechts-extreme Szene in Deutschland und Frankreich. Für sein jour-nalistisches Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet.

Autor

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66 Demokratie stärken – Rechtsextremismus bekämpfen: Baden-Württemberg für Toleranz und Menschlichkeit

ImpressumHerausgeber:Fritz-Erler-ForumLandesbüro der Friedrich-Ebert-StiftungBaden-Württemberg

Redaktion: Christine ArbogastGestaltung: IconScreen.de1. Auflage, Januar 2010

ISBN 978-3-86872-263-5

BildnachweisArchiv der Sozialen Demokratie: Seite 12: (2) 6/FOTB011628,(3) 6/FOTA002240, (4) 6/FOTA108722, (5) 6/FOTA049238,(6) 6/FOTB008027, (7) 6/FOTB027041, (10) 6/FOTA054096Otto Belina: Seite 38: (1,2); Seite 41: (3,10)Bundesarchiv: Seite 25: (1) BArch, Bild 102-17049/o.Ang./CC-BY-SA-3Deutsches Historisches Museum: Seite 10: (1); Seite 12: (1)DGB Region Bodensee-Oberschwaben: Seite 1 (7)Ellen Esen: Seite 41: (5,6,7,8)istockphoto: Seite 13: Globus; Seite 16: Gesicht, Schlagring;Seite 19: Baseballschläger; Seite 25: Megafon; Seite 54: Bubbles,Klemmbrett; Seite 57: MappeJusos, Kreisverband Ulm: Seite 1: (4); Seite 12: (12); Seite 57: (3)Michael Klarmann: Seite 16: (1); Seite 38: (8,9); Seite 45: (1,4,5)Susanna Kurz: Seite 16: (5)Eric Lichtenscheidt: Seite 23: (3,4); Seite 57: (5,6,7)Pädagogisch-Kulturelles Centrum Freudental: Seite 8: (6)Marek Peters: Seite 8: (3,4,7); Seite 16: (2,3); Seite 38: (4,5,7);Seite 41: (2,4); Seite 57: (2)photocase: Seite 23: (2)Picture-Alliance: Seite 1: (1) dpa/dpaweb - Frank Leonhardt;Seite 12: (8) dpa - Konrad Giehr, (9) dpa - Roland Holzschneide,(11) dpa - Wolfgang Kumm; Seite 16: (4 ) dpa/dpaweb - Jens Wolf;Seite 25: (2) dpa - Tim Brakemeier, (3) ZB - Jens WolfRecherche Nord: Seite 8: (5); Seite 19: (1); Seite 41: (9);Seite 45: (2,3)S. Fischer Verlage GmbH: Seite 23: (1) mit freundlicher Genehmi-gung / Taschenbuch Fischer „Heinrich Mann, Der Untertan“Hermann Sorg: Seite 1: (2); Seite 60: (1,2,3,4)Thomas Trueten: Seite 1: (6); Seite 57: (4)Verein „Gegen das Vergessen – Für Demokratie“: Seite 8: (1)Metin Yilmaz: Seite 57: (1)Tim Zajontz: Seite 1: (3,5)

Es konnten leider nicht alle Bildrechteinhaber ausfindig gemachtwerden. Bei Rückfragen hierzu wenden Sie sich bitte an dasFritz-Erler-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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Projekte der Friedrich-Ebert-Stiftung:www.fes.de/rechtsextremismus

Internetseite zur Ausstellung:www.fritz-erler-forum.de/gegen-rechts

ISBN 978-3-86872-263-5