Den Staat Denken - Der Leviathan in Zeit

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  • 8/15/2019 Den Staat Denken - Der Leviathan in Zeit

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    Rüdiger Voigt: Den Staat denken –  der Leviathan im Zeichen der Krise. 3. Auflage. Nomos Verlag.

    Die Zeit, dass der Staat als der Garant für Sicherheit, Wohlstand und Identitätsstiftung

    wahrgenommen wurde, ist vorbei. Dies ist die These des umfassenden Bandes des Siegener

    Professors Rüdiger Voigt Den Staat denken– 

     Der Leviathan im Zeichen der Krise. Der Autor stellt nichtnur die Prozesse dar, die die Autorität und Souveränität des Staates in der Gegenwart gefährden,

    sondern er zeigt auch, dass der sich aufgrund der zahlreichen Herausforderungen der Globalisierung

    wandelnde Staat teilweise selber Maßnahmen trifft, die die klassischen demokratischen

    Legitimationsprozesse gefährden. Mit Hilfe der Darstellung des Kernbestandes staatlichen Denkens,

    das von Machiavellis Rationalismus über Kants Staatstheorie zu Hegel hinüber zu (post)modernen

    Denkern wie Habermas, Foucault und Agamben reicht, gelingt es Voigt, Kriterien zu entwickeln, die

    eine Bewertung moderner Staatsfunktionen in krisenhaften Zeiten ermöglichen.

    Im Vorwort zur dritten Auflage stellt der Verfasser fest, dass internationales Recht, nationale

    Verfassungen und vertragliche Bindungen zur Begrenzung der Macht des Staates dramatisch an

    Bedeutung eingebüßt haben. Die Klasse der „kosmopolitanischen Milliardäre“ aber erziele

    unvorstellbare Profite, ohne das Schicksal der von ihren Entscheidungen betroffenen Bürger

    überhaupt zur Kenntnis nehmen zu müssen. Dazu zeige das Ausmaß der NSA-Affäre, dass die

    Großmächte USA, China und Russland versuchten, durch den Appell an das Sicherheitsbedürfnis der

    Bürger deren Individualrechte auszuhöhlen. Eine schonungslose Diagnose, die Voigt stellt, und die er,

    wie sich zeigt, mit einer ebenso radikalen Kur und entsprechenden Maßnahmen zu heilen wünscht.

    Um den Staat als kommunitäre Schutzanstalt für seine Bürger zu rehabilitieren, greift er auf

    epochenübergreifende Klassiker der Staatstheorie zurück, und hier ist die versammelte Prominenz

    beeindruckend: vom römischen Staatsdenken über die rationalistische Staatsbegründung

    Machiavellis und Hobbes‘ bis zu Carl Schmitts Souveränitätsbegriff reicht die Deklination; die totale

    Subjektivierung der Postmoderne führt von einem radikalen Pluralismus über das Ende der großen,zusammenhängenden Narrative zu einer dekonstruktivistischen Mentalität, mit der eine

    Entpolitisierung der Massen einhergeht und letztlich auch der Verlust an Wehrhaftigkeit des

    klassischen Staates. So bildet für den Verfasser gerade Carl Schmitts entscheidungsfähiger Staat den

    Scharnier zwischen dem klassischen Staatsdenken und der Konzeption eines wehrhaften Staates

    unter den Bedingungen der Postmoderne, die sich durch Ökonomisierung, Entpolitisierung und

    diffuse Transnationalisierung auszeichnet und neue Legitimationsstrategien erfordert. Dass sich der

    Staat im Wandel befinden muss, akzeptiert er. Voigt begrüßt, dass die Sozialwissenschaft die Krise

    des modernen Staates aufgegriffen hat, zum Beispiel in Form des Bremer DFG-

    Sonderforschungsbereichs „Staatlichkeit im Wandel“, der die Begriffe der „nationalen Identität“ und

    „Souveränität“ wieder ins Spiel brachte, welche im postmodernen Diskurs geradezu zu Unwörtern

    stilisiert worden waren. In diesem Forschungsprojekt werden als Dimensionen moderner

    Staatlichkeit Territorialstaat, Rechtsstaat, demokratischer Nationalstaat und sozialer

    Interventionsstaat definiert.

    Praktisch-politisch reichen Voigt diffuse Governance-Modelle wie beispielsweise das Regieren in der

    EU erklärende „Multi-Level-Governance“ nicht aus, um dem Staat seine Souveränität unter

    komplexeren Bedingungen zurückzugeben. Der Autor fordert Volksabstimmungen bei Fragen wie der

    Abgabe staatlicher Souveränität an supranationale Institutionen, um die Rolle des Volkes als

    Souverän zu stärken; die Sicherung eines klar abgegrenzten Territoriums ist für ihn gerade in Zeiten

    unverzichtbar, in denen Prozesse wie die Kommunikationsrevolution die Grenzen überschreiten; die

    Verhinderung rechtsstaatsferner, migrationsbedingter Enklaven, die die Idee der Nation alsSchicksalgemeinschaft - durchaus in verfassungspatriotischem Sinne gedacht - in Frage stellen; sowie

    die Aufgabe des Konzepts der doppelten Staatsbürgerschaft, das den Staat in seiner Schutzfunktion

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    behinderten. Die Rückkehr zum bürgernahen, aber dennoch globalisierungstauglichen Staat erfolgt in

    Voigts Verständnis nicht mit Hilfe nostalgischer Formeln, sondern durch das Einfordern klassischer

    Staatsfunktionen. Er zeigt, dass es mit Modebegriffen wie „eingebetteter Demokratie“ oder

    „Zivilgesellschaft“ dabei nicht getan ist. Das umfassende, sinnvoll strukturierte und mutige Buch ist

    für Philosophen, Staatsrechtler und Politikwissenschaftler sehr zu empfehlen.