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Der Buddha in der · 2014. 3. 18. · 3 Die auf Quellen in Pali gestützten Übersetzungen: Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. 4 Neumann übersetzt in drei Bänden die

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Der Buddha in der deutschen Dichtung

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MANHATTAN MANUSCRIPTS

Band 11

Herausgegeben von

Eckart Goebelmit Paul Fleming

und John T. Hamilton

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Der Buddha in der deutschen DichtungZur Rezeption des Buddhismus

in der frühen Moderne

Herausgegeben von Heinrich Detering,Maren Ermisch und

Pornsan Watanangura

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Wallstein Verlag, Göttingen 2014www.wallstein-verlag.de

Vom Verlag gesetzt aus der Stempel GaramondUmschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf,

unter Verwendung einer Fotografie von Thomas Manns Schreibtisch, © Keystone

Druck und Verarbeitung: Pustet, RegensburgISBN (Print) 978-3-8353-1414-6

ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-2554-8

Die Drucklegung dieses Bands wurde ermöglicht durch Mittel des Chulalongkorn University Centenary Academic Development

Project und des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises der DFG.

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Peter Skilling: Buddhistische Studien . . . . . . . . . . . . . 14

Somparn Promta: Literatur aus buddhistischer Perspektive 22

Soraj Hongladarom: Schopenhauers Metaphysik des Willens und Nagarjunas Konzept der Leere . . . . . . . . 39

Dieter Borchmeyer: Die vertauschten Köpfe. Schopenhauer, Nietzsche, Wagner und Thomas Manns »metaphysical joke« 51

Pornsan Watanangura: Die Lehre des Buddha in der synkretistischen Kunstreligion. Strindbergs Ein Traumspiel und Gespenstersonate . . . . . . . . . . . . . 80

Herbert Lehnert: Der junge Thomas Mann, der Buddha und die Welteinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

Almut-Barbara Renger: Buddha in Meudon. Rodin und Rilke, Meister und Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Heinrich Detering: »Nicht widerstreben«. Alfred Döblins daoistischer Einspruch gegen den Buddha . . . . . . . . . . . 140

Pornsan Watanangura: Die Vollendeten. Meister-Schüler-Beziehungen in Karl Gjellerups Der Pilger Kamanita und Hermann Hesses Siddhartha . . . 167

Adrian Hsia: Katholizismus und Protestantismus versus Hinduismus und Buddhismus. Zu Hermann Hesses transkultureller Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188

Eckart Goebel: Was ist ein Schüler? Hermann Hesse zwischen Institution und Inspiration . . . . . . . . . . . . . . 202

Heinrich Detering: Brecht und der Buddha. Eine kurze Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

Verzeichnis der Mitwirkenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Bildnachweis und Nachweis der Erstveröffentlichungen . . . . 243

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

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Liegender Buddha im Wat Sam-phraya

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Detering, Ermisch, Watanangura

Einleitung

Adrian Hsia zum Gedenken

Schon lange gehört der Buddhismus zur deutschen Literatur. Erste Begegnungen lassen sich sehr unterschiedlich datieren: seit Rudolfs von Ems Verslegende von Barlaam und Josaphat etwa und den noch vagen Nachrichten, die über Wilhelm von Rubruk im 13. oder über Marco Polo im 13. und 14. Jahrhundert auch in den deutschen Sprachraum gelangten,1 seit der Romantik, mit der die systematische philosophische und religionswissenschaftliche Rezeption des Bud-dhismus erst einsetzt, seit Arthur Schopenhauers explizit buddhis-tisch akzentuierter Willensphilosophie und ihrer posthumen Wir-kungsgeschichte. Jedenfalls wurde mit den großen Übersetzungen Paul Deussens,2 Hermann Oldenbergs3 und Karl Eugen Neumanns aus dem Sanskrit und aus dem Pali-Kanon,4 mit den Arbeiten Hein-rich Zimmers und anderer deutscher Buddhologen die Grundlage geschaffen für so umfangreiche wie eigenständige und oft eigenwil-lige philosophische und künstlerische Adaptationen des Buddhis-mus in der deutschen und der in dieser Zeit oft eng auf sie bezogenen skandinavischen Literatur – ganz abgesehen von seinen mannig-fachen Wirkungen in diversen Heilslehren von der Theosophie bis zu neueren esoterischen Bewegungen.

Aber auch im Bereich der ›Hochliteratur‹ ist das Spektrum der Adaptationsformen weit. Es reicht von Richard Wagners ausdrück-lich an Schopenhauers Version buddhistischer Erlösungslehren ori-entierten Musikdramen bis zu August Strindbergs synkretistischer

1 Vgl. Volker Mertens: The European Reception of Buddhism in the Middle Ages. In: On the Reception of Buddhism in German Philosophy and Literature: An Intercultural Dialogue. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. 2. Auflage Bangkok 2011, 10-13.

2 Die Übersetzung aus dem Sanskrit: Das System des Vedânta (1883), Die Sûtra’s des Vedânta (1887), Sechzig Upanishad’s des Veda (1897).

3 Die auf Quellen in Pali gestützten Übersetzungen: Buddha, sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde.

4 Neumann übersetzt in drei Bänden die Mittlere Sammlung des Pali-Kanons und legt damit die Fundamente für die Erforschung des Buddhismus in Europa: Die Reden Gotamo Buddho’s aus der Mittleren Sammlung. Leipzig / Berlin 1896-1902.

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Integration buddhistischer Elemente in seine frühmodernen Schau-spiele, von dem ausdrücklich auf eine buddhistische Bekehrung der Leser zielenden Legendenroman Der Pilger Kamanita des dänisch-deutschen Schriftstellers (und späteren Literaturnobelpreisträgers) Karl Gjellerup bis zum weltliterarisch ungleich wirkungsmächtige-ren Siddhartha des gleichfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Hermann Hesse, der in einem durchaus ähnlichen Legenden-Ge-wand gerade die Abkehr vom Buddha proklamiert; von Gjellerups »Legendendrama« Das Weib des Vollendeten bis zu Alfred Döblins Essay Buddho und die Natur; von Rilkes Buddha-Gedichten bis zu Brechts Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus; von Thomas Manns frühen, wiederum ganz an Schopenhauers Kategorien orien-tierten Erzählversuchen zu ›buddhistischen‹ Sujets (Maja) bis zu seiner späten Legendenparodie Die vertauschten Köpfe und so fort.

Diese eigenartige und durchaus schillernde Rezeption und Adap-tation des Buddhismus in der deutschen Literatur der frühen Mo-derne war Gegenstand eines mehrjährigen Forschungsvorhabens, in dem erstmals Literaturwissenschaftler, Religionshistoriker und Philosophen aus Thailand und Deutschland zusammenarbeiteten.5 Großzügig gefördert von der Chulalongkorn University Bangkok und in enger Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut, brachte es sehr unterschiedliche religiöse und kulturelle Traditionen zusam-men. Grundlage war die enge Zusammenarbeit zwischen der Ger-manistischen Abteilung im Department of Western Languages der traditionsreichen Chulalongkorn University und dem Seminar für Deutsche Philologie in Göttingen. Eingeladen wurden zu Tagungen und Vorträgen darüber hinaus Wissenschaftler aus den USA, China, Japan, Kanada, Frankreich sowie anderen deutschen Universitäten. Das Spektrum der einbezogenen Disziplinen sollte, so war es von Beginn an geplant, über die Germanistik hinausgehen; entsprechend weit war es gefasst: Beteiligt waren an diesem genuin komparatisti-schen Vorhaben Neu- und Altgermanisten, Religionswissenschaft-ler, Buddhologen und Philosophen, Skandinavisten und Amerika-nisten. Dabei war es erwünscht, auch unterschiedliche Arbeitsweisen und Wissenschaftsstile miteinander in Beziehung zu bringen; Ziel des Projekts war über eine bessere Kenntnis der frühmodernen deut-

5 Grammatisch maskuline Bezeichnungen sind hier und im Folgenden durchweg genderneutral zu verstehen.

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schen Buddhismus-Rezeption hinaus auch eine bessere Kenntnis von einander.

Entstanden war die Idee dazu im Zeichen Thomas Manns. Im Jahr 2006 wurde unter der Leitung der Germanistin Pornsan Watanan-gura die Übersetzung von Thomas Manns sämtlichen Erzählungen ins Thai abgeschlossen, die erste thailändische Thomas-Mann-Über-setzung überhaupt. Aus einer dazu veranstalteten Bangkoker Ta-gung ergab sich der Wunsch nach einer kontinuierlicheren interkul-turellen Kooperation. Der ideale Anlass dafür bot sich 2009. Denn in diesem Jahr waren hundert Jahre vergangen, seit der siamesische König Chulalongkorn mit seiner großen Europareise die kulturelle Öffnung des Landes nach Westen initiierte und zugleich mit der Drucklegung des gesamten buddhistischen Tipitaka-Kanon in sia-mesischer Schrift eine neue Grundlage für die Erforschung des The-ravada-Buddhismus schuf – also der ältesten und ursprünglichsten Form buddhistischer Lehre und Praxis, wie sie sich vor allem in Südostasien bis heute erhalten hat und daher auch für die Fragen unseres Projekts leitend wurde.6 Das 39-bändige Riesenwerk ver-schenkte er, in einer glück lichen symbolischen Verbindung der neuen Westpolitik und eines nun philologisch vertieften Traditions-bewusstseins, an führende Forschungseinrichtungen in aller Welt. Auch die Georg-August-Universität Göttingen mit ihrer jungen Buddhologie wurde so zur glücklichen Besitzerin.

Zur Hundertjahrfeier dieses Ereignisses 2009 rief die nach König Chulalongkorn benannte Universität eine große Initiative ins Leben, die ebendiese beiden Seiten seines Wirkens vergegenwärtigen sollte. Die elektronische Erfassung und Kommentierung seiner Ausgabe des Tipitaka-Kanons verband sich unter dem programmatischen Ti-

6 Eine konzise Einführung in Geschichte und Grundgedanken, in unterschied-liche Ausprägungen und Grundbegriffe des Buddhismus (mitsamt ihrer unter-schiedlichen Schreibweisen) sowie weiterführende Literaturhinweise geben Damien Keowns Buch Buddhism. A Very Short Introduction, das bei Reclam unter dem Titel Der Buddhismus erschienen ist (5., bibliographisch ergänzte Auflage Stuttgart 2010) und Helwig Schmidt-Glinzers Gesamtdarstellung Der Buddhismus in der Beck’schen Reihe (2., durchgesehene Auflage München 2007). Einen Überblick über die gegenwärtige Sicht des Buddhismus in Thai-land gibt der zweisprachige thailändisch-englische Band What did the Buddha teach? Buddha Dhamma for Students von Buddhadåsa Bhikkhu, Bangkok 2536 [buddhistischer Zeitrechnung, d.i. 1993]. Zur Buddhismusrezeption im Kaiser-reich vgl. Perry Myers: German Visions of India, 1871-1918. Commandeering the Holy Ganges during the Kaiserreich. New York 2013.

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tel Buddhism in World Languages and Literature mit der Frage nach Wirkungen des Buddhismus in Kulturen der westlichen Welt. In diesem Rahmen konnten wir im Februar 2009 in Bangkok die erste Tagung über Buddhism in German Philosophy and Literature orga-nisieren, unter der Schirmherrschaft ihrer Königlichen Hoheit, der Kronprinzessin Maha Chakri Sirindhorn. Die zweite Begegnung fand im November 2010 am selben Ort statt, unter dem Titel Bud-dhism and Buddhist Philosophy in World Literature, die dritte und vorerst abschließende dann im Mai 2011 in Göttingen: Reception of Buddhism in Germany in the Early 20th Century: Interaction be-tween the East and the West (begleitet von einer Ausstellung des Tipitaka-Kanons und einer von Julia Hoffmann arrangierten Aus-stellung zu Bildern des Buddhismus in historischen Kinder- und Jugendbüchern). Zwischen den Tagungen wurden in Bangkok wie in Göttingen deutsch-thailändische Seminare veranstaltet, Vorträge gehalten, Gespräche geführt.

Nicht alle Ergebnisse dieser Begegnungen lassen sich auf dem Pa-pier festhalten. Vieles, das in den Köpfen der beteiligten Forscher und Studierenden angeregt worden ist, wird erst in den kommenden Jahren seine Fruchtbarkeit erweisen. Immerhin sind zwei englisch-sprachige Bände der »Proceedings« bereits erschienen; der erste fand so großes Interesse, dass innerhalb kurzer Zeit eine Neuauflage er-forderlich wurde.7 Ein dritter Band ist in Bangkok in Vorbereitung, ebenso eine Sammlung von Texten zum Buddhismus aus der deut-schen Literatur in thailändischer Sprache.

Die ersten Überlegungen der Forschergruppe galten also Thomas Manns früh einsetzendem und lange währendem Interesse am Bud-dha – dessen Büste auf seinem Schreibtisch stand, wie das Um-schlagbild dieses Buches zeigt. Von hier aus aber ergaben sich sehr rasch Verbindungen zu den wichtigsten Vermittlern buddhistischen Denkens im Deutschland des 19. Jahrhunderts, also zur Philosophie Schopenhauers, zu Musik und Dichtung Wagners, zu Hesse, Döblin und Rilke, zur benachbarten skandinavischen Buddhismus-Rezep-tion bei Gjellerup und Strindberg. Schon von den ersten Überlegun-

7 On the Reception of Buddhism in German Philosophy and Literature: An In-tercultural Dialogue. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. Bangkok: Centre for European Studies, Chulalongkorn University 2009. Bud-dhism and Buddhist Philosophy in World Literature. Hg. von Pornsan Watan-angura und Heinrich Detering. Bangkok: Chulalongkorn University 2011.

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gen an stand auch fest, dass die Diskussionen nicht auf die Literatur allein beschränkt bleiben sollten, auch wenn diese das Zentrum des Projekts bildete. Folglich waren auch Religionsgeschichte, Buddho-logie und Philosophie einzubeziehen, und zwar auch dies in deut-scher und in thailändischer Perspektive.

So entstand ein keineswegs geschlossenes, vielmehr durchaus frag-mentarisches und facettiertes Mosaik unterschiedlicher Formen der Rezeption des Buddhismus, vor allem des Theravada-Buddhismus, in der europäischen und amerikanischen Literatur und Philosophie der frühen Moderne in exemplarischen Einzelanalysen und Fall-studien – mit einem besonderen Augenmerk für die Transforma-tionen, die sich aus unterschiedlichen Verbindungen buddhistischer mit euro päischen Denkweisen und künstlerischen Ausdrucksfor-men ergaben. Einbezogen wurden also auch die Entstehung und Verbreitung des Tipitaka-Kanons und die Europareise Chulalong-korns, buddhistische Lektüren Martin Heideggers, überhaupt die Auseinandersetzung der buddhistischen mit der europäischen Philo-sophie, die Wirkung buddhistischer Traditionen in der japanischen Philosophie (Tetsurø Watsuji) und Dichtung (Okamoto Kanoko), aber auch die Geschichte der ersten Begegnungen Europas mit dem Buddhismus in Mittelalter und Früher Neuzeit und, am anderen Ende des historischen Bogens, die Buddhismus-Rezeption in der amerikanischen Beat Poetry.

Der vorliegende Band dokumentiert mit seiner Beschränkung auf Beispiele der deutschsprachigen Rezeption also nur einen Aus-schnitt, aber auch den thematischen Kern eines Vorhabens, das sich mittlerweile in vielfältige Richtungen entwickelt hatte. Peter Skil-lings resümierende Rückblicke auf Buddhistische Studien markieren wissenschaftsgeschichtliche, Somparn Promtas philosophische Be-merkungen über Literatur aus buddhistischer Perspektive ästheti-sche Aspekte, die sich für die literaturwissenschaftlichen Diskussio-nen als wesentlich erwiesen. Soraj Hongladaroms Studie über Schopenhauers Metaphysik des Willens und Nagarjunas Konzept der Leere stellt den deutschen Dichter-Philosophen, der für die litera-rische Buddhismus-Rezeption so unabsehbare Bedeutung erlangte, auf neue Weise in den Kontext jenes buddhistischen Denkens, auf das er selbst sich so nachdrücklich berief. Ergänzt wird diese Aus-wahl der auf den Symposien erörterten Untersuchungen um den Aufsatz zu Alfred Döblin und um Herbert Lehnerts Beitrag zu den Buddhismus-Interessen des jungen Thomas Mann.

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Im Zentrum der folgenden Beiträge steht also nicht der Buddhis-mus in seinen unterschiedlichen historischen und gegenwärtigen Ausprägungen, sondern seine Adaptation und Transformation in der deutschen Literatur der frühen Moderne. Deshalb war eine Unein-heitlichkeit in der Schreibweise buddhistischer Grundbegriffe un-vermeidlich: Unterschiedliche Übersetzungen, wie sie von Schopen-hauer oder Hesse benutzt wurden, entwickelten unterschiedliche Schreibkonventionen, die von den in der gegenwärtigen Buddhis-musforschung etablierten in mehrfacher Hinsicht abweichen. Dabei werden die Sprachgrenzen zwischen Sanskrit- und Pali-Überliefe-rung nicht selten verwischt. In Anbetracht etablierter Gewohnhei-ten gebrauchen selbst die in der Pali-Überlieferung verwurzelten thailändischen Kollegen in englisch- oder deutschsprachigen Zu-sammenhängen häufig die dort vertrauteren Sanskrit-Varianten, so dass neben dem »Nibbana« der Pali- das hierzulande bekanntere »Nirwana« der Sanskrit-Überlieferung steht und neben dem »Tipi-taka«- der »Tripitaka«-Kanon. Das Nebeneinander dieser Schreib-weisen im vorliegenden Band sollte angesichts dieser faktisch beste-henden Gemengelage ausdrücklich nicht vereinheitlicht werden. Verzichtet wurde aus demselben Grund auf den Versuch, die diver-sen diakritischen Zeichen wiederzugeben, die in den Transkriptions-versuchen der internationalen Buddhologie entwickelt worden sind. Und auch die unterschiedlichen Verwendungsweisen des Wortes »Buddha« selbst – als Ehrenname mit, als Eigenname ohne bestimm-ten Artikel – sollten nicht eingeebnet, sondern beibehalten werden.

Konzeption, Überarbeitung und Abschluss dieses Bandes wurden ermöglicht durch einen vom traditionsreichen Deutschen Haus New York unterstützten zweimonatigen Aufenthalt am German Department der New York University. Dessen Direktor Eckart Goebel, selbst an den Symposien beteiligt, war ein wichtiger Ge-sprächspartner; ihm ist für die Aufnahme des Bandes in die Reihe der Manhattan Manuscripts herzlich zu danken.

Zu danken ist auch allen Förderern des gesamten Projekts: dem Chulalongkorn University Centenary Academic Development Pro-ject in Bangkok, dem Centre for European Studies und dem Centre of Excellence Programme on Language, Linguistics and Literature, dem Goethe-Institut in Bangkok, dem Centre for Ethics of Science and Technology und der Thousand Stars Foundation, der thailändi-schen National Telecommunications Commission und der König-

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lich Thailändischen Botschaft in Berlin. Zu danken ist schließlich auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die durch Mittel des Leibniz-Preises die Drucklegung dieses Bandes ermöglichte. Nina Kullrich hat an den Übersetzungen der englischsprachigen Beiträge und der Einrichtung des Bandes maßgeblich mitgearbeitet, Anna-Marie Humbert übernahm die Textkorrekturen. Thomas Oberlies hat die Herausgeber in buddhologischen Fragen beraten.

Gewidmet ist der kleine Band dem Andenken eines großen Ge-lehrten, unseres Kollegen und Freundes Adrian Hsia, der an der Konzeption und der ersten Tagung noch maßgeblich beteiligt war und dann viel zu früh verstarb.

Heinrich Detering / Maren Ermisch (Göttingen)Pornsan Watanangura (Bangkok)

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Buddhistische Studien

Peter Skilling

Deutsche Philosophie las ich früh (wie meine ganze Generation), es war eine der köstlichen Sünden unserer Jugend. Auch deutsche Lite-ratur habe ich genossen, wenn auch zugegebenermaßen in Überset-zungen. Doch bis zum heutigen Tage fahre ich fort, deutsche Bücher zu lesen (mit der Hilfe meines Condensed Muret-Sanders-Wörter-buchs), und es scheint mir das Beste, hier von persönlichen Erfahrun-gen zu sprechen und dabei die Bücher zu berücksichtigen, die ich lese und nutze, und die Menschen, die ich kannte. Das aber bringt mich nicht zur Philosophie, sondern zur Philologie, nicht zur Literatur, sondern zu den Manuskript-Studien. In diesem Feld hat die deutsche Wissenschaft fundamentale und dauerhafte Beiträge geleistet.

Es besteht allgemeine Einigkeit darüber, dass die Wissenschaft der Linguistik und das Studium der Indoeuropäischen Sprachen in Kol-kata (damals Calcutta) im späten 18. Jahrhundert begann, als Sir William Jones das Sanskrit »entdeckte«. Jones (1746-1794), eine be-merkenswerte Figur der Kolonialzeit, übertrug Kalidasas poetisches Drama Shakuntala vom Sanskrit ins Englische, eine Arbeit, die bald in verschiedene europäische Sprachen übersetzt wurde. Das Stu-dium des Sanskrit wurde in Paris begründet und breitete sich von dort nach Deutschland und an die großen Universitäten Europas aus. Philologie ist die Basis der Erkenntnis. Die Anfänge der Phi-lologie in Europa und Deutschland waren verbunden mit einer ro-mantischen Auffassung von der Sprache, der Literatur und dem »Anderen«, welches eine neue Perspektive bot – eine neue Antike wurde gefunden (oder erfunden), und neu entstehende Disziplinen und Felder inspirierten neue Richtungen in der Philosophie und in den Humanwissenschaften.

Dies alles betraf die orientalischen Sprachen und die Indologie. »Buddhistische Studien« entwickelten sich nicht als eigenständige Disziplin, sie gehörten zur Indologie. Bis heute ist überall auf der Welt eine institutionelle Unabhängigkeit oder Förderung der Buddho-logie eher die Ausnahme als die Regel. In Europa ist die Buddho-

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logie abhängig von der Indologie und den orientalischen Sprachen, in Nordamerika, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen, für ge-wöhnlich von den Religionswissenschaften.

Abgesehen davon ist es keine Übertreibung zu sagen, dass für das Studium des Buddhismus einige deutsche Beiträge grundlegend und maßgeblich waren und sind. Doch ich möchte betonen, dass diese frühen deutschen Werke Teil eines bemerkenswerten Internationa-lismus waren, eines Geistes wissenschaftlicher Zusammenarbeit, der in dem, was wir die große orientalistische Epoche nennen können, weite Teile Europas und Asiens erfasst hatte. Deutsch galt als eine der drei wichtigsten wissenschaftlichen Sprachen des modernen Westen, und die »Deutsche Philologie« war nicht nur in Deutsch-land angesiedelt, sondern auch in den großen kosmopolitischen Zen-tren des imperialen Europas. Wir dürfen nicht vergessen, dass die sozialen, linguistischen und intellektuellen Geographien sehr anders aussahen, als sie es heute tun.

Die Buddhologie erwuchs in einem Zeitalter rücksichtsloser im-perialer Systeme – des deutschen, des österreichisch-ungarischen, des russischen – in denen Deutsch eine gemeinsame Wissenschafts-sprache war –, aber auch Frankreichs, Italiens und natürlich des großen Indischen Empire Großbritanniens, und sie erwuchs in en-gem Austausch mit China, Japan und Siam. Ein Netzwerk von Wis-senschaftlern brachte Denkweisen und Initiativen quer durch Eu-ropa zusammen und hinterließ ein Erbe, dessen Fundament bis heute steht. Viele bahnbrechende Arbeiten wurden in St. Petersburg veröffentlicht, in der multilingualen Reihe der Bibliotheca Buddhica. Gegründet hat sie Sergei Oldenburg (1863-1934), der viele grundle-gende Texte in Sanskrit, Tibetisch, Mongolisch und Chinesisch ver-öffentlichte und zum Wegbereiter für einige internationale Koope-rationen wurde, die bis heute existieren. Ausgaben buddhistischer philosophischer Schlüsseltexte in dieser Reihe werden, obschon zu Beginn des 20. Jahrhunderts veröffentlicht, bis heute genutzt; und sie bleiben unübertroffen. Jeder, der die Madhyamaka-Philosophie studiert, wird de la Vallée Poussins hervorragende Ausgabe des Pra-sannapada benutzen. Das Standard-Wörterbuch des Sanskrit ist noch immer dasjenige, das Otto Böhtlingk und Rudolf Roth unter der Schirmherrschaft der Russischen Imperialen Akademie der Wis-senschaften (der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften) zwi-schen 1852 und 1875 in St. Petersburg, in Jena und Tübingen erar-beitet haben. Dieses Wörterbuch rühmte der Prager Wissenschaftler

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Moriz Winternitz (1863-1937) als ein »hervorragendes Monument deutscher Sorgfalt«; der britische Indologe Basham nannte es später »die größte Leistung der indologischen Wissenschaft im Europa des 19. Jahrhunderts«. Eine kürzlich veröffentlichte Korrespondenz er-öffnet uns viele Einblicke in diese Zeit eines produktiven Aus-tausches.1

Französisch und Deutsch wurden in ganz Europa benutzt, und Deutsch war die erste oder zumindest die bevorzugte Schriftsprache einiger großer Pioniere, viele von ihnen Zentraleuropäer oder Juden. Frühe Berichte über Südostasien – Buddhismus und andere Religio-nen selbstverständlich eingeschlossen – wurden auf Deutsch veröf-fentlicht, zum Beispiel in Böhmen.2 W. P. Wassiljew (1818-1900) veröffentlichte eine Studie zum Buddhismus auf Russisch, die schon bald darauf zunächst auch auf Deutsch und dann erst auf Englisch erschien.3 Franz Anton Schiefner (1817-1879) war ein Pionier des Studiums des Tibetischen Kanons – Übersetzungen indischer Texte, die auf Tibetisch erhalten geblieben waren – und der erzählenden Literatur. Er veröffentlichte 1869 auch eine deutsche Übersetzung der Geschichte des Buddhismus, die der tibetische Gelehrte Tarana-tha verfasst hatte.4 Er ist nur ein Beispiel dafür, wie die deutschspra-chige Forschung an der Spitze sowohl der tibetischen und mongo-lischen Studien als auch der Forschungen zum indo-tibetischen Buddhismus stand. Was den Buddhismus in Sanskrit und Pali be-trifft, so bleibt Moriz Winternitz’ zweibändige Geschichte der indi-schen Literatur ein Standard-Nachschlagewerk. Auch seine Unter-suchungen können noch immer mit Gewinn gelesen werden – wie ich in den letzten Jahren bemerkte, als ich Forschungen zur Jataka-Literatur betrieb.5

1 Correspondences orientalistes entre Paris et Saint-Pétersbourg (1877-1935). Hg. von Grigorij M. Bongard-Levin, Roland Lardinois und Aleksej A. Vigasin. Pa-ris 2002 (= Mémoires de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres; XXVI). Vgl. dazu auch: Otto Böhtlingk / Rudolf Roth: Otto Böhtlingk an Rudolf Roth. Briefe zum Petersburger Wörterbuch 1852-1885. Hg. von Heidrun Brückner und Gabriele Zeller. Wiesbaden 2007 (= Veröffentlichungen der Helmuth Glase-napp-Stiftung; 45).

2 Siam Undiscovered – Czech-Thai encounters between the 16th and 21st centu-ries: rare documents, old photographs, royal visits. Hg. von Miroslav Nožina u.a. Bangkok 2004; Royal Ties: King Norodom Sihamoni and the History of Czech-Cambodian Relations. Hg. von Miroslav Nožina u.a. Prague 2006.

3 Der Buddhismus, seine Dogmen, Geschichte und Literatur. St. Petersburg 1860.4 Geschichte des Buddhismus in Indien. St. Petersburg 1869.5 Moriz Winternitz: Geschichte der indischen Literatur. II. Band. Leipzig 1920.

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In unserem allzu oft gepriesenen »Informationszeitalter« müssen wir zwischen Information und Erkenntnis unterscheiden. Heute verfügen wir über viel mehr Informationen und über weit mehr Hilfsmittel als unsere Vorgänger. Die Texte, die studiert, ediert und übersetzt wurden, insbesondere die jüngst entdeckten Sanskrit- und Gandhari-Manuskripte, lassen synthetische Arbeiten wie Winter-nitz’ Geschichte der indischen Literatur veraltet erscheinen. Doch seine Vision und viele seiner Erkenntnisse behalten ihren Wert und auch ihre Aktualität. Nur durch das Verstehen der Entwicklung und der Geschichte eines Fachbereichs können wir auch dessen Literatur angemessen beurteilen. Darum sind Begegnungen wie die unsere so wertvoll und unerlässlich.

Die Texte, die mich am meisten interessieren, die alten Freunde, die auf meinem Bücherregal nur eine Armlänge entfernt stehen – häufig abgegriffen und zerfranst durch wiederholten Gebrauch – waren eng mit einem weiteren Romantizismus verbunden: dem der Seidenstraße. Seit Ende des 19. Jahrhunderts beteiligten sich preußi-sche Expeditionen an der großen Jagd nach den verlorenen Zivilisa-tionen Zentralasiens, die über mehr als ein Jahrtausend unter dem Wüstensand vergraben gewesen waren; und sie entdeckten um die-selbe Zeit verlorene Sprachen wie das Khotanesische, das Sogdische und das Tocharische. Die Jagd, oder besser: die Schatzsuche war auch ein Teil des »großen Spiels«, des politischen Wettstreits an den Kreuzungen des Eurasischen Kontinents. Ganze Sammlungen von Manuskripten und Antiquitäten wurden nach Berlin, St. Petersburg, Paris und London verbracht. Bis heute ist die Berliner Sammlung, die nach der langen Zerstreuung durch den Zweiten Weltkrieg nun wieder vereint dasteht, eine unvergleichliche Quelle für buddhisti-sche Studien geblieben.

Die Verbindungen zwischen deutscher Forschung und Britisch-Indien waren intensiv und vielfältig. Einige »deutsche« Forscher waren in Indien geboren, so Rudolf Hoernle, der 1841 als Sohn von Missionaren das Licht der Welt erblickte (seine Ausbildung jedoch durchlief er in Europa) und der mit seiner Arbeit über Sanskrit- und khotanesische Manuskripte Zentralasiens berühmt wurde.6 Hoernle

6 Ursula Sims-Williams: The papers of the Central Asian scholar and Sanskritist Rudolf Hoernle. In: Buddhist Manuscripts from Central Asia. The British Li-brary Fragments. Bd. I. Hg. von Seishi Karashima und Klaus Wille. Tokyo 2006.

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und andere arbeiteten für die Kolonialregierung, und sie spielten Schlüsselrollen in den britischen Studien zur indischen Vergangen-heit. Deutsche Forscher hielten Beziehungen zu Indien bis in die postkoloniale Zeit hinein aufrecht. Gustav Roth zum Beispiel (1916-2008) bereiste Indien und arbeitete lange dort. Er war ein »Pandita« (also ein in allen Wissensbereichen ausgezeichneter Gelehrter) nicht nur des Buddhismus, sondern auch des Jainismus, und er war bei wei-tem nicht der einzige. In der Tat ist einer der Vorteile der Erfor-schung des Buddhismus als eines Teils der Indologie die Entwicklung eines Bewusstseins dafür, dass der Buddhismus eben nicht isoliert studiert werden kann. Pali gehört zur mittelindischen Prakrit-Spra-chengruppe, und das buddhistische Sanskrit-Erbe ist ein Teil der großen Sanskrit-Tradition. Auch wenn das buddhistische Sanskrit seine eigenen Merkmale in der Syntax, im Vokabular und in der his-torischen Entwicklung aufweist, ist es doch immer noch Teil eines größeren indischen Kontinuums. Der Buddhismus wurde genährt von indischen Ideen und Praktiken, die wir beim Bemühen um sein Verständnis nicht ignorieren können.7

Lassen Sie mich nur einen einzelnen Aspekt der Buddhismus-Stu-dien als Beispiel herausgreifen. Die deutsche Forschung ist unent-behrlich für das Studium des Lebens des Buddha. 1851 übersetzte Anton von Schiefner eine Vita des Buddha aus dem Tibetischen. 1881 veröffentlichte Hermann Oldenberg (1854-1920) sein Werk Buddha: Sein Leben, seine Lehre, seine Gemeinde. In den 1920er Jahren übersetzte Friedrich Weller (1889-1980) das gefeierte Bud-dhacarita von Asvaghosa.8 Der Göttinger Buddhologe Ernst Wald-schmidt (1897-1985) edierte, studierte und übersetzte kanonische Sanskrittexte wie das »Sutra der vier Versammlungen«, das »Große Avadanasutra«, und das »Große Sutra über das Nirwana«, und er schrieb selbst über das Leben des Buddha. Heinz Bechert (1932-2005) organisierte internationale Seminare zu »Daten des histori-schen Buddha«, veröffentlichte drei Bände zu Tagungen in Göttin-

7 Erfreulicherweise hat Prof. Dr. Volker Mertens in seinem Beitrag: Buddhism in the European Middle Ages auch eine »Vorgeschichte« der Buddhistischen Stu-dien geliefert. [Nicht in der vorliegenden Auswahl enthalten, aber nachzulesen bei: Volker Mertens: The European Reception of Buddhism in the Middle Ages. In: On the Reception of Buddhism in German Philosophy and Literature: An Intercultural Dialogue. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. 2. Auflage Bangkok 2011, 9-22.]

8 Friedrich Weller: Das Leben des Buddha von Asvaghosa, Tibetisch und Deutsch. I und II. Leipzig 1926 und 1928.

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gen und einen Band mit ausgewählten Beiträgen auf Englisch in Neu-Delhi. Mit den Funden der Turfan-Expedition begann das ak-ribische Studium künstlerischer Traditionen in Bildhauerei und Ma-lerei.9 Die Arbeit Dieter Schlingloffs über erzählende und buddhisti-sche Kunst, insbesondere, aber nicht nur, über die Höhlenmalerei Ajantas in Zentralindien,10 wird nun ergänzt durch die Arbeit von Monika Zin (Universität München)11 – und die Reihe ließe sich fort-setzen.

Indologie und Südasien-Studien und unter anderem die Buddhis-musforschung blühten in Berlin, Bonn und Köln, in Göttingen, Halle, Hamburg und Heidelberg, in Kiel und Leipzig, Mainz, Mar-burg und München. Viele dieser Institute können sich intellektueller Abstammungen rühmen, die ins 19. Jahrhundert zurückgehen, be-rühmter paramparas, die man erst aufgrund der Kurzsichtigkeit eines neuen Zeitalters zu demontieren begann. Viele deutsche Uni-versitäten verfügen über Bibliotheken, die ihresgleichen suchen. In Göttingen etwa hat Ernst Waldschmidt die buddhistischen Studien nachhaltig aufgebaut, gefolgt von Heinz Bechert, der ebenfalls ent-scheidend zu den Studien des zeitgenössischen Buddhismus in Thai-land, Burma und Bangladesh beitrug. Bechert reiste regelmäßig nach Süd- und Südost-Asien und trug eine außerordentliche Bibliothek mit Büchern in Singhalesisch, Burmesisch, Thai und anderen Spra-chen zusammen.12

Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts war Deutschland für ernsthafte Studierende der Indologie und des Buddhismus aus der ganzen Welt bereits ein Mekka geworden. In der ersten Nachkriegs-

9 Man denke etwa an Albert von Le Coqs Dokumentation Chotscho. Facsimile-Wiedergaben der wichtigeren Funde der ersten Königlich Preussischen Expe-dition nach Turfan in Ost-Turkistan. Berlin 1913.

10 Dieter Schlingloff: Studies in the Ajanta Paintings. Identifications und Inter-pretations. Delhi 1988; ders., Guide to the Ajanta Paintings. Vol. 1. Narrative Wall Paintings. New Delhi 1999, und vor allem das dreibändige Werk ders., Ajanta – Handbuch der Malereien / Handbook of the Paintings. Wiesbaden 2000.

11 Monika Zin: Mitleid und Wunderkraft. Schwierige Bekehrungen und ihre Iko-nographie im indischen Buddhismus. Wiesbaden 2006.

12 Der Buddhismus I: Der indische Buddhismus und seine Verzweigungen. Hg. von Heinz Bechert u.a. Stuttgart u.a. 2000 (= Die Religionen der Menschheit; 24.1) ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die jüngste deutsche Forschung und das neue Verständnis des Buddhismus, das bedeutende Wissenschaftler er-arbeiten (von denen nicht alle deutsch sind). Ein Nachruf auf Bechert von Russell Webb findet sich in Buddhist Studies Review 22.2 (2005), 211-216.

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zeit spielten deutsche Forscher wie Lambert Schmithausen in Ham-burg, Oskar von Hinüber in Freiburg und Michael Hahn in Marburg eine bedeutende Rolle in der Ausbildung asiatischer Studierender. Dasselbe könnte für Österreich gesagt werden, im Hinblick vor al-lem auf Erich Frauwallner (1898-1974) und dann Ernst Steinkellner in Wien. Noch jüngste Generationen von Chinesen, Koreanern, Ja-panern, Indern, Singhalesen, Bhutanesen und thailändischen Wis-senschaftlern gehören zu denen, die ihre Ausbildung in Deutschland absolvierten.

Deutsche Wissenschaftler haben auch im Ausland wichtige Bei-träge geleistet. Max Müller (1823-1900), einer der Unvergänglichen, hatte den Lehrstuhl für Sanskrit in Oxford inne. Heute stärken deut-sche Wissenschaftler die Indologie und Buddhologie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, in Berkeley oder Austin, Texas. Wissen-schaftler aus Deutschland werden regelmäßig an die Universitäten Japans geladen.

Es steht mir nicht zu, auch nur einen Überblick dieser Begegnun-gen zu geben, die nun schon seit einigen Jahrhunderten anhalten und einen großen Teil Asiens abdecken.13 Zum Thai-Buddhismus finden sich einige Studien in den Sammelbänden zu den ersten beiden Bang-koker Tagungen, darauf ist hier nicht weiter einzugehen.14 Es soll nur noch erwähnt werden, dass einer der frühen Hinweise auf den Buddha sich in Johann Heinrich Zedlers Grossem vollständigen

13 Dazu siehe die exzellenten Studien von Franco und Webb, unter Beachtung der Tatsache, dass es in dem vergangenen Jahrzehnt zahlreiche neue Entwick-lungen und Publikationen gegeben hat: Eli Franco: Buddhist Studies in Ger-many and Austria 1971-1996 with a Contribution on East Asian Buddhism by Michael Friedrich. In: Journal of the International Association of Buddhist Studies 22/2 (1999), 401-456. Russell Webb: German Scholarship on South-East Asia: A Bio-bibliographical Survey. In: Bauddhavidysudhakarah: Studies in Honour of Heinz Bechert on the Occasion of his 65th Birthday. Hg. von Petra Kieffer-Pülz und Jens-Uwe Hartmann. Swisttal-Odendorf 1997 (= In-dica et Tibetica; 30), 699-716. Vgl. auch: Helmuth von Glasenapp / Guido Auster: Germany, Buddhism in. In: Encyclopaedia of Buddhism. Hg. von W.G. Weeraratne. Vol. V. Fascicle 2. Government of Sri Lanka 1991, 329-33; J. W. de Jong: A Brief History of Buddhist Studies in Europe and America. To-kyo 1997; The State of Buddhist Studies in the World 1972-1997. Hg. von Do-nald K. Swearer und Somparn Promta. Bangkok 2000.

14 On the Reception of Buddhism in German Philosophy and Literature: An In-tercultural Dialogue. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. 2. Auflage Bangkok 2011 und Buddhism and Buddhist Philosophy in World Literature. Hg. von Pornsan Watanangura und Heinrich Detering. Bangkok 2011.

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Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste findet – inter-essanterweise mit einem Verweis auf den »Sommonokhodom« (Sa-mana Gotama) aus Siam.15 Anderthalb Jahrhunderte später wurde ernsthaft mit den deutschen Übersetzungen der Pali-Texte begon-nen. Während die Editionen und englischen Übersetzungen der Pali Text Society in Thailand sehr bekannt sind, ist es eine Tatsache, dass solide deutsche Übersetzungen zur selben Zeit erschienen, so dass es möglich ist, eine beträchtliche Menge und Vielfalt an buddhistischer Literatur in verlässlichen deutschen Übersetzungen zu lesen.

Ich habe von Philologie und Historiographie gesprochen. Der Luxus der Salonstudien der Religionen begann im 18. Jahrhundert, er verstärkte sich im 19., und er wurde allgemein üblich im 20. Jahr-hundert. Die Freiheit zu forschen und zu vergleichen – und letztlich die Freiheit zu entscheiden, zurückzuweisen oder auszuwählen – führte dazu, dass sich entsprechend verschiedene religiöse Traditio-nen entwickelten. Die Frage danach, was Deutsche und Europäer vom Buddhismus gelernt haben, ist eine tiefgehende und schwierige, die ich nicht zu beantworten wage. Erlauben Sie mir nur anzumer-ken, dass Immanuel Kant (1724-1804) die Mönche von Pegu mit den Worten rühmte, sie seien »gut zu allen Lebewesen, ohne irgendwel-che Diskriminierungen aufgrund von Religionen. Sie denken, dass alle diejenigen Religionen gut sind, die den Menschen gut und lie-benswürdig machen«.16

15 Leipzig und Halle, 1735: Hinweis von Russell Webb (wie Anm. 13), 699.16 Ebd.

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Literatur aus buddhistischer Perspektive

Somparn Promta

1. Das Schöne betreffend

(1) Um die buddhistische Philosophie der Künste zu verstehen, sollen zunächst einige grundlegende Konzepte untersucht werden. Das erste Konzept betrifft »das Schöne«.

(2) Im Allgemeinen würden diejenigen, die mit den Lehren des Buddhismus vertraut sind, vermutlich sagen, dass es aus buddhisti-scher Perspektive so etwas wie »das Schöne« gar nicht gibt. Wir wissen, dass der Metaphysik des Buddhismus zufolge das Schöne und das Hässliche erst vom menschlichen Bewusstsein erschaffen werden. Die Dinge in der Welt sind, wie sie sind: eine Blume ist eine Blume, und der Mond ist der Mond. Ihre Schönheit liegt nicht in ihrer Natur; vielmehr ist es das menschliche Bewusstsein, welches ihnen Schönheit zuschreibt. Folgt man diesem Gedanken, mag man bezweifeln, dass sich im Buddhismus überhaupt eine ästhetische Sichtweise finden lasse. In der Praxis stellen wir jedoch fest, dass es in buddhistischen Ländern eine buddhistische Kunst gibt, die unter-schiedlich ausgeprägt und in ihren jeweiligen Besonderheiten einzig-artig ist. Warum aber gibt es überhaupt diese eine buddhistische Kunst, wenn doch die buddhistische Lehre so etwas wie das Schöne nicht akzeptiert?

(3) Es scheint aus buddhistischer Sicht zumindest zwei Arten von Schönheit zu geben: die physische und die nicht-physische, abs-trakte Schönheit. Und es scheint, als gehöre die Schönheit, die der Buddhismus ablehnt, nur der ersten Kategorie an. Was ist physische Schönheit? Eine sehr einfache Definition verweist auf das Schöne, welches in den menschlichen Sinneswahrnehmungen auftaucht, ins-besondere dasjenige, das vor dem Auge und im Ohr des Menschen erscheint. Dem Buddhismus zufolge ist der Mensch derart beschaf-fen, dass er die physische Welt durch die fünf Türen der Sinne wahr-nimmt: das Auge, das Ohr, die Nase, die Zunge und die Haut. Die Schönheit in der Malerei ist das Schöne, das sich dem Auge zeigt, das

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Schöne in der Musik dasjenige, das sich dem Ohr offenbart, und so fort.

(4) Nun finden wir aber, wie erwähnt, in buddhistischen Gemein-schaften sowohl Malerei als auch Musik, und diese werden auch durchaus als Kunstwerke akzeptiert, die Schönes enthalten. Es muss also eine zusätzliche Definition geben, welche diese Dinge aus bud-dhistischer Sicht zu Kunstwerken macht.

(5) Lehrtexten der buddhistischen Tradition zufolge ist das in sei-ner Wirkung auf den menschlichen Geist negative Schöne dasjenige, das ein Verlangen weckt. Dementsprechend können wir sagen, dass physische Schönheit aus buddhistischer Sicht die folgenden Eigen-schaften besitzt: (a) Es handelt sich um diejenige Schönheit, die den mensch lichen Sinneswahrnehmungen erscheint. (b) Sie führt zu Ver-langen. (c) Sie ist, und das hat nun besondere Bedeutung, vergänglich. Das Verlangen ist in der buddhistischen Lehre ein mentales Phä-nomen, das in dreierlei Hinsicht eine wichtige Rolle spielt. Erstens besteht es in dem Gefühl, das entsprechende Ding besitzen zu wol-len. Erblickt beispielsweise ein Mann ein Mädchen, das er als schön empfindet, so ist diese Empfindung noch nicht mit Verlangen ver-bunden. Will der Mann aber das Mädchen als Liebhaber besitzen, dann ist dieser Geisteszustand durch Verlangen verursacht. Die zweite Funktion des Verlangens besteht darin, dass es das Gefühl auslöst, nicht lediglich etwas besitzen, sondern etwas sein zu wollen. Erblickt etwa ein Mädchen einen weiblichen Filmstar und hat das Gefühl, eines Tages dieser Person gleich sein zu wollen, so betrifft dieses Gefühl kein Besitzen-, sondern ein Sein-Wollen. Die dritte Funktion des Verlangens besteht darin, das Gefühl hervorzurufen, sich von einer Sache oder einem Menschen abwenden zu wollen. Wenn etwa jemand im Fernsehen einen Politiker sieht, den er hasst, und daraufhin das Fernsehprogramm wechselt, dann ist dieses Ge-fühl durch die dritte Art des Verlangens hervorgerufen. Auch Selbst-mord entsteht in buddhistischer Perspektive aus dieser dritten Art von Verlangen. Es gilt zu beachten, dass sich Verlangen in der bud-dhistischen Lehre im Gefühl der Selbstliebe konzentriert. Derjenige, der das Fernsehgerät ausschaltet, tut das aufgrund einer Form von Selbstliebe; Hass ist in der buddhistischen Lehre eine negative Mani-festation von Selbstliebe. Weil er sich selbst liebt, darum muss alles, was ihn unglücklich macht, aus seinem Leben ausgeschlossen wer-den. Auch ein Selbstmord wird begangen, weil eine Person sich selbst liebt und weil das Abstellen eines unglücklichen Seelenzu-

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stands nur auf zwei Arten möglich ist – indem nämlich entweder dieser Zustand beseitigt wird oder das Selbst.

(6) Nun gibt es aber in buddhistischen Ländern wie Thailand und Japan eine Malerei und Musik, deren Schönheit den menschlichen Sinneswahrnehmungen erscheint und die doch nicht das Gefühl von Verlangen auslöst. Es scheint, als ob diese Eigenschaft der Kunst-werke die wichtigste Bedingung dafür ist, dass Schönheit hier nicht als physisch wahrgenommen und darum akzeptiert werden kann.

(7) Was also ist im Buddhismus gemeint, wenn über nicht-physi-sche oder abstrakte Schönheit gesprochen wird? Erstens vertritt er hinsichtlich des Schönen den Grundsatz, dass wahre Schönheit und Wahrheit ein und dasselbe sind, so dass die nicht-physische Schön-heit als Wahrheit verstanden werden kann. Als Wahrheit über was? Über das menschliche Leben und die Welt. Da solche Wahrheit nicht mit dem bloßen Auge, sondern nur aus der Perspektive der Weisheit gesehen werden kann, die in buddhistischen Texten manch-mal »inneres Auge« heißt, kann die abstrakte Schönheit nur vor dem inneren Auge erscheinen.

(8) Die buddhistische Überlieferung erzählt von einer Gruppe von Mönchen, die sich auf den Weg zum Buddha begeben, um ihm vom Scheitern ihrer Meditationsübungen zu erzählen. Denn sie ha-ben die von ihm empfangenen Anweisungen zur Meditation in ih-rem Waldkloster intensiv praktiziert, ohne jedoch ihren Geist be-freien zu können. Auf dem Weg zum Buddha aber hören sie unverhofft das Lied einer Kuhhirtin. Und da, mit einem Mal, ist ihr Geist befreit, und sie werden Erleuchtete.

(9) An dieser Geschichte ist vor allem interessant, dass das Lied größere Kraft zu besitzen scheint als die Meditation. Die Geschichte macht zwar keine genaueren Angaben über das Lied selbst; der Kon-text aber legt nahe, dass es sich um ein Volkslied handelt, das von einer weit zurückliegenden Generation in der entsprechenden Ge-meinschaft hervorgebracht worden ist und noch von der gegenwär-tigen Generation gesungen wird. Es handelt sich also um die Schöp-fung kollektiver Weisheit. Doch warum bedarf es überhaupt dieser Erleuchtung?

(10) Das Wort »Buddhismus« bezeichnet die Religion einer er-leuchteten, erwachten und glücklichen Person – drei Eigenschaften, die mehrere Implikationen haben: (a) Diese Person hat die Wahrheit erkannt, sie ist erleuchtet. (b) Sie befindet sich nicht im Zustand des Träumens, sondern ist erwacht. Und (c) sie sieht und schätzt das