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KiTa BW 4 | 2014 96 }P BILDUNG FÜR KINDER // SITUATIONSANSATZ Der Situationsansatz: Ein Konzept, um Kinder für ihre Zukunft zu stärken Die Zukunft verlangt Fähigkeiten von den Menschen, die im heutigen Bildungssystem – auch in der Kita – stärker unterstützt werden müssten n Nach den Bildungsplänen für Kindertages- einrichtungen kann der Situationsansatz in den Kitas umgesetzt werden (siehe Bergmann Kita 3/2014), er wird explizit aber nur noch in drei Bundesländern empfohlen. Leider, denn gerade im Blick auf zukunftsnotwendige Fähigkeiten und auch im Zusammenhang mit der lauter werdenden Bildungskritik am Schulsystem muss er wieder an Bedeutung gewinnen. Freya Pausewang Erzieherin, Sozialpädagogin, Dozentin a.D. an einer Fachschule für Sozialpädagogik, Fachautorin für die Berufsausbildung von Erziehern/Erzieherinnen und für Elementarpädagogik, Schlan- genbad D er Situationsansatz ist ein pädago- gisches Konzept, das sich an den Lebenssituationen der jeweiligen Bezugs- gruppe ausrichtet. Die Erzieherinnen beobachten, welche Situationen für die Kinder von Interesse und Bedeutung sind. Gründe dafür können sein, dass Situationen die Kinder neugierig ma- chen, möglicherweise aber auch verun- sichern und ängstigen. Gemeinsam mit der betroffenen Gruppe, ggf. auch mit Eltern, erkundet die Erzieherin, ob es sinnvoll und für die Kinder faszinierend erscheint, diese ematik aufzugreifen. Wenn so, plant sie mit den Kindern, wie die Situation erforscht werden könn- te, um sie besser zu verstehen und um handlungsfähiger sowie selbstbestimm- ter damit umgehen zu können. Solche Situationen können ein Geschehen in der Gruppe sein, in den Familien der Kinder oder im Gemeinwesen, vielleicht sogar in der weiteren Welt. Auch Situ- ationen, die auf die Kinder demnächst zukommen werden, können aufgegrif- fen werden. In der Auseinandersetzung mit dem ema wird zunächst erkundet, wie unterschiedlich die verschiedenen Be- troffenen diese Situation erleben. Kinder können mit ihren geringen Erfahrungen und ihrem kindlichen Denken erlebte oder zu erwartende Gegebenheiten mit Vorstellungen und Gefühlen verbinden, die Erwachsene nicht vermuten. Bei der Bearbeitung darf das ema nicht in einer offiziellen, etablierten Sichtweise des Sachverhalts bearbeitet werden. Einschätzungen und Gedan- ken der Erzieherin sowie Erfahrungen und Gefühle der Kinder bestimmen den Fortgang des Projektes. Dazu kommen auch Einflüsse von außen, die sich bei der Bearbeitung ergeben. Wir-Denken hat im Situationsansatz einen wichtigen Standort. Entscheidun- gen werden immer in einem sozialen Kontext getroffen, das heißt, die Aus- wirkungen auf die Gemeinschaft wer- den berücksichtigt. Das Ergebnis der Bearbeitung mit der Gruppe ist offen. Erzieherinnen sind Lehrende und Ler- nende zugleich. Übergeordnete Ziele in der Pädago- gik des Situationsansatzes sind Auto- nomie (Unabhängigkeit und Selbstbe- stimmung), Solidarität (Verbundenheit, Gemeinschaftsgefühl) und Kompetenz (Bildung, Wissen, Befähigung). Mit diesem Vorgehen und den Zie- len (Genaueres dazu siehe weiter unten) können Fähigkeiten des Kindes gestärkt und unterstützt werden, die ihm später helfen werden, individuelle und globale Krisen zu bewältigen und Hürden zu meistern. Auch für die schulische Bil- dung wird zurzeit nach Wegen gesucht, das Lernen deutlicher auf diejenigen Fä- higkeiten auszurichten, die in Zukunft – auch schon heute – von den Menschen verlangt werden. Zunehmende Kritik an der schulischen Bildung Gesellschaftliche Prozesse und neue wis- senschaftliche Erkenntnisse führen in den Bildungseinrichtungen, insbesonde- re in der Schule, kontinuierlich zu Ver- änderungen. In den letzten Jahren kam heftige Kritik auf, und zwar vor allem: § Die Schülerinnen und Schüler wer- den weitgehend durch Leistungs- vergleiche motiviert, ihr Lernen zu steigern. Das sind konkurrenzbetonte und Angst machende Lernformen. Dem naturgegebenen durchaus ho- hen Lernbedürfnis des jungen Men- schen entsprechen dagegen Miteinan- der und Vielfalt in der Lösungssuche, d.h. Kooperation und kreative Lö- sungsfindung. Abb. 1: Kinder lernen in den zahlreichen kleinen Situationen des Alltags, die ihnen von Bedeutung sind und für die sie sich begeistern.

Der Situationsansatz: Ein Konzept, um Kinder für ihre ... ista/ista_pdf/Kita_BW_04_14_Pausewang... · Blick auf zukunftsnotwendige Fähigkeiten und auch im Zusammenhang mit der lauter

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}P BildUNG FÜr KiNder // SitUatioNSaNSatZ

Der Situationsansatz: Ein Konzept, um Kinder für ihre Zukunft zu stärkendie Zukunft verlangt fähigkeiten von den menschen, die im heutigen Bildungssystem – auch in der Kita – stärker unterstützt werden müssten n Nach den Bildungsplänen für Kindertages-einrichtungen kann der Situationsansatz in den Kitas umgesetzt werden (siehe Bergmann Kita 3/2014), er wird explizit aber nur noch in drei Bundesländern empfohlen. Leider, denn gerade im Blick auf zukunftsnotwendige Fähigkeiten und auch im Zusammenhang mit der lauter werdenden Bildungskritik am Schulsystem muss er wieder an Bedeutung gewinnen.

Freya Pausewangerzieherin, Sozialpädagogin, dozentin a.d. an einer Fachschule für Sozialpädagogik, Fachautorin für die Berufsausbildung von erziehern/erzieherinnen und für elementarpädagogik, Schlan-genbad

d er Situationsansatz ist ein pädago-gisches Konzept, das sich an den

Lebenssituationen der jeweiligen Bezugs-gruppe ausrichtet. Die Erzieherinnen beobachten, welche Situationen für die Kinder von Interesse und Bedeutung sind. Gründe dafür können sein, dass Situationen die Kinder neugierig ma-chen, möglicherweise aber auch verun-sichern und ängstigen. Gemeinsam mit der betroffenen Gruppe, ggf. auch mit Eltern, erkundet die Erzieherin, ob es sinnvoll und für die Kinder faszinierend erscheint, diese Thematik aufzugreifen. Wenn so, plant sie mit den Kindern, wie die Situation erforscht werden könn-te, um sie besser zu verstehen und um handlungsfähiger sowie selbstbestimm-ter damit umgehen zu können. Solche Situationen können ein Geschehen in der Gruppe sein, in den Familien der Kinder oder im Gemeinwesen, vielleicht sogar in der weiteren Welt. Auch Situ-ationen, die auf die Kinder demnächst zukommen werden, können aufgegrif-fen werden.

In der Auseinandersetzung mit dem Thema wird zunächst erkundet, wie unterschiedlich die verschiedenen Be-troffenen diese Situation erleben. Kinder können mit ihren geringen Erfahrungen und ihrem kindlichen Denken erlebte oder zu erwartende Gegebenheiten mit

Vorstellungen und Gefühlen verbinden, die Erwachsene nicht vermuten.

Bei der Bearbeitung darf das Thema nicht in einer offiziellen, etablierten Sichtweise des Sachverhalts bearbeitet werden. Einschätzungen und Gedan-ken der Erzieherin sowie Erfahrungen und Gefühle der Kinder bestimmen den Fortgang des Projektes. Dazu kommen auch Einflüsse von außen, die sich bei der Bearbeitung ergeben.

Wir-Denken hat im Situationsansatz einen wichtigen Standort. Entscheidun-gen werden immer in einem sozialen Kontext getroffen, das heißt, die Aus-wirkungen auf die Gemeinschaft wer-den berücksichtigt. Das Ergebnis der Bearbeitung mit der Gruppe ist offen. Erzieherinnen sind Lehrende und Ler-nende zugleich.

Übergeordnete Ziele in der Pädago-gik des Situationsansatzes sind Auto-nomie (Unabhängigkeit und Selbstbe-stimmung), Solidarität (Verbundenheit, Gemeinschaftsgefühl) und Kompetenz (Bildung, Wissen, Befähigung).

Mit diesem Vorgehen und den Zie-len (Genaueres dazu siehe weiter unten) können Fähigkeiten des Kindes gestärkt

und unterstützt werden, die ihm später helfen werden, individuelle und globale Krisen zu bewältigen und Hürden zu meistern. Auch für die schulische Bil-dung wird zurzeit nach Wegen gesucht, das Lernen deutlicher auf diejenigen Fä-higkeiten auszurichten, die in Zukunft – auch schon heute – von den Menschen verlangt werden.

Zunehmende Kritik an der schulischen BildungGesellschaftliche Prozesse und neue wis-senschaftliche Erkenntnisse führen in den Bildungseinrichtungen, insbesonde-re in der Schule, kontinuierlich zu Ver-änderungen. In den letzten Jahren kam heftige Kritik auf, und zwar vor allem: § Die Schülerinnen und Schüler wer-

den weitgehend durch Leistungs-vergleiche motiviert, ihr Lernen zu steigern. Das sind konkurrenzbetonte und Angst machende Lernformen. Dem naturgegebenen durchaus ho-hen Lernbedürfnis des jungen Men-schen entsprechen dagegen Miteinan-der und Vielfalt in der Lösungssuche, d.h. Kooperation und kreative Lö-sungsfindung.

Abb. 1: Kinder lernen in den zahlreichen kleinen situationen des Alltags, die ihnen von Bedeutung sind und für die sie sich begeistern.

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§ Die Zukunft wird von den Menschen Fähigkeiten verlangen, die das heutige Schulsystem zu wenig fördert.

§ Der junge Mensch braucht Zeit für eigene Vorhaben und Lerninteressen. Durch den Druck der Schulbildung werden ihm Lernlust, Selbstbestim-mung, Daseinsfreude und eigene Lebensgestaltung unangemessen ein-geschränkt und deshalb auch für die Zukunft nicht genügend entwickelt.

Öffentliche Resonanz fand diese Schul-kritik vor allem durch folgende Veröf-fentlichungen: Gerald Hüther (Neuro-biologe = Gehirnforscher): »Was wir sind und was wir sein könnten« (2011); Ri-chard David Precht (Philosoph): »Anna, die Schule und der liebe Gott« (2013); oder der Dokumentarfilm von Erwin Wagenhöfer, der Ende Oktober 2013 in die Kinos kam: »Alphabet – Angst oder Liebe«. Der Film bringt eindrucksvoll zum Ausdruck, wie das heutige Schul-system mit Konkurrenz und Druck die naturgegebene Lernmotivation und Lernfreude vieler Jugendlicher erdrückt. Und: Das Bildungssystem ist noch im-mer vom Denken des beginnenden in-dustriellen Zeitalters geprägt, einer Zeit, die Arbeitnehmer brauchte, die in der arbeitsteiligen Berufswelt gut funktio-nierten. Heute brauchen die Menschen für die Bewältigung der unlösbar erschei-nenden globalen Herausforderungen nicht gradliniges und von oben vorgege-benes Lernen, sondern vor allem kreative und lösungsorientierte Fähigkeiten. Und sie brauchen durch die schnellen gesell-schaftlichen Veränderungen lebenslange Lernlust und Lernfähigkeit. Außerdem führt Konkurrenz häufig zur Isolation. Die Zukunft braucht aber Wir-Denken bis hin zur globalen Solidarität.

Wenn sich die Schulbildung in Deutschland heute auch in Richtung Kooperation und problemlösendem Denken bewegt bis hin zur Erprobung von inklusiven Klassenverbänden, so ge-schieht das halbherzig und im Blick auf die Zunahme der globalen Krisen viel zu langsam und auch zu widersprüchlich und zu schwach.

übertragung der Bildungskritik auf den elementarbereichAus dem Blickwinkel einer Erziehung zu Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit

sind es vor allem drei Bildungsziele, die die Notwendigkeit einer veränderten pä-dagogischen Arbeit begründen: § Nicht Konkurrenz, sondern Koope-

ration. § Die Unterstützung und Bildung von

kreativem und problemlösendem Denken und Handeln.

§ Eine Stärkung des Wir-Denkens bis letztlich zur Entwicklung eines sozial-globalen Gewissens.

Die Bildungsunterstützung, die für Kitas heute empfohlen wird, ist in den letzten Jahren – vor allem durch die PISA-Ver-gleiche – teilweise zurückgefallen in die 70er Jahre: Durch Übungsstunden sollen Defizite bei den Kindern aufgearbeitet werden. Der Markt bietet eine Fülle von vorgegebenem Lernmaterial, das jeweils nur eine einzige richtige Lösung zulässt und deshalb Vergleichbarkeit, Konkur-renz und lineares Denken beinhaltet. Ideenvielfalt ist in manchen Kitas fast nur noch im Freispiel umsetzbar.

Die Erzieherinnen haben sich gegen diese Entwicklungen wenig gewehrt. Wie sollten sie auch bei ihrer ständigen arbeitsmäßigen Überforderung. Protes-tierende Literatur kam zu spät und zu schwach auf den Markt. Deshalb braucht auch die Kita eine Stärkung angemesse-ner pädagogischer Orientierung.

der situationsansatz – ein Konzept, das alternative Bildung für den elementarbereich anbietetIn den ersten Jahren lernen die Kinder in ihren Lebenssituationen, und zwar in solchen Situationen, die sie beschäftigen, die ihnen von Bedeutung sind, in denen sie ihre Welt gestalten können und Pro-bleme bewältigen. Genau dort setzt die Pädagogik des Situationsansatzes an. Im Situationsansatz erleben die Kinder an Situationen, die ihnen im Alltag begeg-nen, wie sie Erkenntnisse gewinnen kön-nen, um welche Werte und Haltungen es geht und welches Verhalten zum Ziel führt.

Der Situationsansatz besteht nicht nur aus Projekten. Er ist ein Grundprinzip, das sich im gesamten Alltag äußert. Im Freispiel beispielsweise beobachtet die Erzieherin das soziale Miteinander. Sie unterstützt das einzelne Kind darin, die Rechte der mitspielenden Kinder anzu-erkennen, aber auch die eigenen Rechte

zu formulieren und einzufordern. Selbst-bestimmung und Gemeinschaft bestim-men das Zusammenleben und geben häufig den Anlass für die Erweiterung von Kompetenzen.

Denkt man über eine Pädagogik der Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit nach, so erhalten die Bildungsziele des Situationsansatzes neues Gewicht.

AutonomieAutonomie, das unabhängige und selbst-bestimmte Handeln, entspricht aus meh-reren Gründen den Fähigkeiten, die der Mensch in Zukunft brauchen wird. Der einzelne Mensch muss sich davon lösen, »die da oben« verantwortlich für das Ge-lingen der Problemlösungen anzusehen. In Demokratien  – die wir noch deutli-cher als bisher in Zukunft brauchen wer-den  – muss die Bevölkerung Problem-lösungen nicht nur mittragen, sondern muss sie auch mit initiieren. Das ist in den Lebensgemeinschaften notwendig, aber auch bis hin zum globalen Wir-Denken.

Im Situationsansatz ist die Erziehe-rin nicht diejenige, die sagt, wo es lang geht oder welches Wissen und welche Kompetenzen die Kinder sich aneig-nen sollen. Sie beobachtet die Gruppe, sammelt die Ideen der Gruppenmit-glieder und regt ggf. zur gemeinsamen Lösungsfindung an, etwa über Impulse, die den Kindern eine zum Ziel führen-

Abb. 2: die gruppe ist eingeladen, sich in der Nachbarschaft der Kita bei der Apfel-ernte zu beteiligen.

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de Denkrichtung nahe legen. Natürlich gibt sie den Kindern auch Informatio-nen, aber immer mit der Grundeinstel-lung, ihnen möglichst nicht Kenntnisse vorzugeben, die sie sich selbst aneignen können. Selbstverständlich erlebt das Kind in der Pädagogik des Situationsan-satzes auch Grenzen seiner Autonomie: Sie liegen vorrangig in den Rechten und Bedürfnissen der anderen – in der So-lidarität.

solidaritätDas Zusammengehörigkeitsgefühl, der Einsatz für gemeinsame Werte der jewei-ligen Gemeinschaft, ist eine Haltung, die der Großteil der Bevölkerung heute bes-tenfalls bis an die Grenzen der eigenen Nation empfindet. Die Bewältigung der globalen Krisen setzt aber eben voraus, dass die Mehrheit der Menschen sich als Teil der globalen Menschheit wahr-nimmt und entsprechend dafür sorgt, dass der Planet regenerierbar bleibt. Bildung muss deshalb eine solidarische Haltung anstreben, die Landesgrenzen überwindet.

In der Praxis des Situationsansatzes werden Projekte so oft wie möglich im Rahmen des kindlichen Verständ-nisses in einen größeren sozialen Zu-sammenhang gestellt. Wenn sich die Gruppe etwa mit dem Gemeinwesen oder Teilen davon befasst, steht nicht

unbedingt Wissen im Mittelpunkt, sondern vielleicht das eigene Einge-bettetsein in diese größere Gemein-schaft. Bei dem Projekt »Wie Kinder im Zusammenleben ihre interkultu-rellen Erfahrungen erweitern« (Heller 2010, S. 21 ff.) kann sich der Blick des Kindes in ersten Ansätzen mit solida-rischem Denken weit über die Gruppe hinaus verbreitern.

Im Alltag bedeutet Solidarität zum Beispiel, niemanden auszusondern, sich mit der Gemeinschaft zu identifizieren und sich für das gelingende Zusam-menleben mit verantwortlich zu fühlen, etwa durch Gruppendienste, gegenseiti-ge Unterstützung und Partizipation bei Entscheidungen.

KompetenzIm Situationsansatz wird die Entwick-lung von Kompetenzen nicht dem Kind vorgegeben, etwa mit dem Satz: »Mal sehen, wer dieses Blatt schon alleine bearbeiten kann!« Die Erzieherin ver-ständigt sich zusammen mit den Kin-dern und ggf. mit ihren Eltern darüber, welche Lerninhalte für die Kinder von Bedeutung sind und »eröffnen ihnen Zu-gänge zu neuem Wissen und neuen Er-fahrungen, die für ihr Aufwachsen von Bedeutung sind.« (Heller, 2010, S. 133) Diese Art des Vorgehens zur Kompe-tenzerweiterung kann für die spätere

Bewältigung von individuellen Heraus-forderungen und globalen Krisen und auch für solidarisches Zusammenleben hilfreich sein.

Zusammenfassung: die pädagogik nach dem situationsansatz kann dem Kind helfen, Herausforderungen in der Zukunft besser zu meisternDie Kita vermittelt dem Kind die Basis-bildung für das Lernen in Gemeinschaf-ten, denn hier leben die Kinder erstmals längere Zeit des Tages in Gruppen mit gleichberechtigten Mitgliedern. In der Kita werden Weichen gestellt.

Der Situationsansatz ist ein pädagogi-sches Konzept, das Kinder für die Her-ausforderungen in der Zukunft stark machen kann, § weil er den Kindern ermöglicht und

sie motiviert, im Spiel und auch sonst ihre Lebenssituationen wahrzuneh-men und dort, wo sie mit einer Situ-ation unzufrieden sind und sie ver-ändern wollen, selbstbestimmt und verantwortlich nach Lösungen zu forschen,

§ weil er Solidarität in den Mittelpunkt stellt und das Kind veranlasst, das eigene Handeln grundsätzlich im Zu-sammenhang mit der Gemeinschaft zu bewerten,

§ weil er durch seine lebensbezogenen Lerninhalte und seine kooperativen Lernformen Lernzuwachs für das Kind interessant macht und dadurch dazu beitragen kann, lebenslang mit Lernlust lernfähig zu bleiben.

Das Vorgehen nach dem Situationsansatz kann deshalb dem Lernen eine Richtung geben, die die Entwicklung von Fähig-keiten zur Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen unterstützt. Voraus-setzung wäre allerdings, dass es einen ständig mitlaufenden Diskurs im Team und darüber hinaus über die Anforde-rungen einer lebenswerten solidarischen Zukunft gibt, der direkt auf die Alltags-situationen der Kinder bezogen wird.

1998 hat eine Forschergruppe der Uni-versität Landau um Prof. Bernhard Wolf eine Evaluationsstudie in den neuen Bundesländern zum Vorgehen nach dem Situationsansatz nach einer dreijährigen Modellphase vorgenommen und veröf-fentlicht. Kinder aus Einrichtungen des Modellprojektes und Kinder aus anderen

Abb. 3: Äpfel werden zum Thema: mit den geschenkten Äpfeln wird gemeinsam über-legt, was man damit anfangen kann.

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Einrichtungen wurden nach vorgegebe-nen Kriterien verglichen. Dabei gelang die anonyme Zuordnung der Kinder, die aus Einrichtungen des Modellprojektes kamen, mit 100-prozentiger Sicherheit. Auffallend war: Kinder aus den Modell-einrichtungen waren deutlich eigenaktiv und verfolgten konsequent den einmal eingeschlagenen Weg, sie brachten sich stärker in Gruppen ein (auch mit Erfah-rungen aus ihrem weiteren Umfeld), sie waren konfliktfähiger, entwickelten häu-figer eigene Spielideen und vereinbarten mit anderen Kindern Regeln (nach Krug 2013, S. 9 f.).

Diese Fähigkeiten weisen in die Rich-tung, die dazu beitragen kann, zukünf-tige Probleme und Herausforderungen besser zu bewältigen.

fazitdas pädagogische Vorgehen nach dem Situ-ationsansatz verspricht, Kinder für die Her-ausforderungen der Zukunft zu stärken. es erscheint deshalb notwendig für die Basis-bildung des Kindes, den Situationsansatz in allen Bundesländern wieder zu beleben und die häufigen trainingsprogramme zurück-zufahren. dafür muss in den Berufsausbil-dungen der pädagogischen Fachkräfte der Situationsansatz wieder intensiv bearbeitet und über Fortbildung in den tagesstätten

verankert werden. Freilich ist für die Bil-dungsunterstützung im elementarbereich ein besserer Personalschlüssel notwendig, als das heute der Fall ist. Kitas benötigen mehr Personal, damit der Situationsansatz mit Projekten umgesetzt werden kann und wieder breiter Fuß fasst, damit personelle engpässe den kontinuierlichen Bezug der erzieherin zu den Kindern nicht unmög-lich machen und damit die Kinder auch im Freispiel beobachtet und in ihrer Bildung unterstützt werden können. Sobald der bundesweite personelle engpass durch den rechtsanspruch der Kinder unter 3 Jahren überwunden ist, sollte die anzahl der aus-bildungsplätze in den Fachschulen deshalb noch nicht reduziert werden. n

Literatur:Bergmann, Andreas: 40 Jahre Situationsansatz und immer noch aktuell!? KiTa aktuell 3/2014.Heller, Elke (2010): Der Situationsansatz in der Praxis – Von Erzieherinnen für Erzieherinnen. Cornelsen Verlag Skriptor, Berlin.Hüther, Gerald (2011): Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher. S. Fischer, Frankfurt am Main.Krug, Marianne: 40 Jahre Situationsansatz – War's das? Handbuch für Erzieherinnen, Ausgabe 72, 04/2013.Pausewang, Freya (2012): Macht mich stark für meine Zukunft – Wie Eltern und Erzieherinnen die Kinder in der frühen Kindheit stärken können. München: Oekom Verlag.Precht, Richard David (2013): Anna, die Schule und der liebe Gott – Der Verrat des Bildungssystems

an unseren Kindern. Goldmann, München.Internet: (Zugriff Nov. 2013).Mathias Greffrath: Das Tier, das Wir sagt – Mi-chael Tomasello sucht nach der Einzigartigkeit des Menschen und findet sie in dessen Kooperationsfähig-keit. In: Die ZEIT. 8. April 2009 http://www.zeit.de/2009/16/PD-Tomasello.Dokumentarfilm Erwin Wagenhöfer (2013): Alphabet – Angst oder Liebe, Pandora Filmverleih.

Impressum

fachzeitschrift für Leitungen, fachkräfte und Träger der KindertagesbetreuungAusgabe für Baden-WürttembergKiTa BW, 23. Jg., 04/2014ISSN 0943-0237

Herausgeber:Prof. Dr. Ulrich Wehner, Sonder- und Diplompädagoge, Pro-fessor für Elementarpädagogik und Studiengangleiter des BA »Pädagogik der Kindheit«, Pädagogische Hochschule KarlsruheUte Walker, Diplom-Pädagogin, ehem. Leiterin Familie und Kinder – Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg

fachbeirat:Christa Engemann, Leiterin des Referats Grundschulen, Kin-dergärten, Kleinkind betreuung und Kleinkindbildung, Minis-terium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg;Kariane Höhn, Abteilungsleiterin der Abteilung Tagesbe-treuung für Kinder, Stadt Reutlingen;Carola Kammerlander, pädagogische Geschäftsführerin der Konzepte für Kindertagesstätten;Prof. Dr. Dagmar Kasüschke;Prof. Dr. phil. Rita Grimm, Prodekanin Hochschule Esslin-gen – University of Applied Science Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege;Gritta Tiedtke, Erzieherin und Facherzieherin für Sprachförde-rung, Leiterin eines viergruppigen Kindergartens in Lörrach;Michael Walter, Leiter, Stuttgart;

Dr. Monika Zimmermann, Geschäftsbereichsleitung Unter-nehmensentwicklung Forscherstation, Klaus-Tschira-Kom-petenzzentrum für frühe naturwissenschaftliche Bildung gGmbH, Lehrbeauftragte im Studiengang Frühkindliche und Elementarbildung (FELBI) PH Heidelberg

Redaktion:Alexander Paulus (verantwortlich, zeichnet mit − apa −)Robert-Bosch-Straße 6, 50354 HürthTelefon: +49 221 94373-7614, Fax: -7751E-Mail: [email protected]

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Beilagenhinweis:Mit dieser Ausgabe verteilen wir eine Beilage der Wolters Kluwer Deutschland GmbH.Wir bitten um freundliche Beachtung.

Abb. 4: solidarität in der gruppe: We-gen der Allergie eines gruppenmitglieds sammeln die anderen alle erreichbaren Haselnüsse.