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MATERIALMAPPE
DER ZERBROCHNE KRUG
SPIELZEIT 2019/20
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 1
Inhalt
Besetzung Seite 3Inhalt und Inszenierung Seite 4Bühne und Kostüme Seite 4-5Die Produktion aus Sicht von Lucie Gieseler Seite 6Die Produktion aus Sicht von Timon Schleheck Seiten 7-8Heinrich von Kleist Seite 9Die #MeToo-Debatte – ein Überblick Seite 10Kolumne von M. Stokowski – #MeToo-Debatte Potent, aber daneben? Seite 11Übungen zur Vor- und Nachbereitung Seiten 13-16Anhang: Textauszüge
Sehr geehrte Pädagog*innen, liebe Interessierte,
DER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von Kleist könnte kaum aktueller sein. Ohne explizitdarauf hinweisen zu müssen, lassen sich Bezüge zur #MeToo-Debatte und anderen aktuellenfeministischen Themen herstellen. Auf der Internetseite Nachtkritik.de findet sich KleistsZERBROCHNER KRUG nicht umsonst mit #Aufschrei unter den zehn wichtigsten Hashtags derDramengeschichte. Neben Informationen zur Inszenierung, der Bühne und den Kostümen finden Sie in dieserMaterialmappe auf den Seiten 6 bis 8 Einblicke in die Produktion des ZERBROCHNEN KRUGsvon Lucie Gieseler und Timon Schleheck. Des Weiteren bietet die Materialmappe einenÜberblick über die #MeToo-Debatte samt einer Kolumne von Margarete Stokowski, die sich mitKritik an der #MeToo-Debatte auseinander setzt, sowie einen kurzen Lebenslauf Heinrich vonKleists. Den Abschluss bilden wie gewohnt spielpraktische Übungen zur Vor- undNachbereitung des Theaterbesuches. Wir wünschen viel Vergnügen!
Ihre Theaterpädagogik des SH Landestheaters
Bei konkreten Fragen und/oder Rückmeldungen zu dieser Inszenierung wenden Sie sich bitte an Claudia Schmidt unter 04331 – 1400344 oder per E-Mail: [email protected] Diese Materialmappe entstand unter Mitarbeit unserer Bfd‘lerin Frerike Nagelsund unserer Schülerpraktikantin Morgane Freise.
„In eurem Kopf liegt Wissenschaft und IrrtumGeknetet, innig, wie ein Teig, zusammen;
Mit jedem Schnitte gebt ihr mir von beidem.“Gerichtsrat Walter zu Dorfrichter Adam
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Besetzung
Walter, Gerichtsrat René RollinAdam, Dorfrichter Uwe KramerLicht, Schreiber Felix StröbelFrau Marthe Rull Heidi ZügerEve, Marthe Rulls Tochter Lucie GieselerRuprecht, Eves Verlobter Timon SchleheckFrau Brigitte Beatrice BocaVolk Statisterie
Inszenierung Wolfram ApprichAusstattung Mirjam BenknerMusik Christoph Coburger
Premiere Samstag, 07.09.2019, Stadttheater Rendsburg
Spieldauer 100 Minuten
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Inhalt und Inszenierung
In Eves Zimmer wird nachts ein Krug zerbrochen; ein sehr alter und dementsprechend für EvesMutter Marthe Rull ein sehr wertvoller Krug. Um den, ihrer Meinung nach, schuldigen Ruprechtzu verklagen, wendet sich Frau Marthe Rull am nächsten Morgen an den Dorfrichter Adam.Dieser ist allerdings ziemlich angeschlagen und hat keinerlei Interesse den Fall zu verhandeln.Ausgerechnet an diesem Tag kommt Gerichtsrat Walter nach Huisum, um die Arbeit desDorfrichters Adam und dessen Rechtssprechung zu beurteilen. Es kommt zu einerVerhandlung, in der den Beteiligten recht schnell deutlich wird, dass Adam mehr über den Krug,die Geschehnisse und andere Details der letzten Nacht weiß, als er zugibt.
Apprich erkennt heutige und virulente Themen in dem Stoff, die er mit seiner Inszenierungauch betonen möchte. Der sexuelle Übergriff von Richter Adam und Eves darauffolgendeOhnmacht, ihr durch Schamgefühl bestimmtes Schweigen und der Umgang mit dem Tätererinnern an Hashtags wie #metoo und #aufschrei. Auch die Beziehung zwischen Richter Adamund Gerichtsrat Walter zeigt eine unschöne Aktualität auf und verdeutlicht, wieMachtmissbrauch durch Eliten gebilligt oder sogar unterstützt wird.
Wolfram Apprichs Inszenierung des ZERBROCHNEN KRUGs fokussiert die Sprache Heinrich vonKleists, die dieser Klassiker von 1800 mit sich bringt. Der Regisseur empfindet diese Sprache alsMusik. Trotz der üblen Erfahrungen, die Eve machen muss, schlummert seiner Ansicht nachauch viel Komik im Text. Es ist ihm wichtig, dass die Absurdität der Komödie ebenso zurGeltung kommt wie die politische und gesellschaftliche Kritik.
Bühne und Kostüme
Die Bühne, entworfen von Mirjam Benkner, besteht zum Großteil aus einem Gerichtsstand.Gebaut wurde dieser aus zwei verschiedenen Holzarten, in unterschiedlichen Farbtönen. Diegroße Grundfläche des Gerichtsstandes kann stellvertretend für die Größe der Macht desGerichtes stehen und dient als eine Art ‚Kampffläche‘. Verschiedene Ebenen und Stufen bietendynamische Spielmöglichkeiten und lassen Machtverhältnisse sichtbar werden. Die Bühne ist zu den Seiten offen und lediglich nach hinten durch eine Wand aus Sichtbetonabgegrenzt. Innerhalb dieser Wand befindet sich auf einer Höhe von etwa 1,50m einePlexiglasscheibe hinter der sich die Statist*innen befinden. Durch die Scheibe sind siepermanent zu sehen, beobachten das Geschehen auf der Bühne/im Gerichtssaal. DieStatist*innen dienen als eine Art Kontrollinstanz und Spiegel, ohne jedoch tatsächlicheingreifen und/oder teilhaben zu können. Sowohl technisch als auch in Bezug auf Requisiten istDER ZERBROCHNE KRUG sehr minimalistisch inszeniert. Die Bühne ist hell ausgeleuchtet undals Gegenstände werden nur eine Schüssel, ein darin liegender zerbrochener Krug, eine FlascheWein und eine Perücke bespielt.
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Mirjam Benkner hat die Kostüme den Anschein haben lassen selbstgemacht und selbstgenähtzu sein. Hierbei handelt es sich nicht um Alltagskleidung der Figuren, sondern um Kleidung, diezu besonderen Anlässen getragen wird. Besonders bezeichnend für den ‚Do it yourself-Look‘der Kostüme ist Eves Kleid. Die Bänder wurden nur zum Teil an dem Kleid befestigt, sodasslange Enden runter hängen, das Kleid von ihr aber offensichtlich noch nicht fertig genähtwurde. Ruprechts Weste ist ebenfalls ein gutes Indiz für die Besonderheit der Kostüme, da derStoff zwar zusammengehört, aber nicht mustergerecht zusammengesetzt wurde. Im Gegensatz zu den Darsteller*innen, tragen die Statist*innen moderne Kostüme, die sich inden Farben, Stilen und Stoffen deutlich von den Figuren unterscheiden. Die modernenKostüme der Statisterie schlagen eine Brücke zwischen der alten Kleidung der Darsteller*innenund der heutigen Aktualität der Thematik.
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Die Produktion aus der Sicht von Lucie Gieseler
„Die Menschen werden mit all ihren Makelndargestellt, sie werden gezeigt wie sie gerade leben
und sich verteidigen“
Wie hast du die Proben als Eve erlebt?Die Proben waren sehraufwendig, da wir uns die ersteZeit nur mit dem Text be-schäftigt haben. Bei dieserArbeit beschäftigt man sich erstmal nicht mit der Rolle an sich.Jedes Komma und jeder Punktwurde mitgenommen. DieZeilenumbrüche waren genausowichtig wie das Satzende. Esentsteht ein ganz eigenerDuktus, da jeder von uns andersspricht, Pausen anders setzt.Und das gibt schon mal vor wieeine Person denkt und fühlt.Die Proben zur Rolle sind immernoch nicht abgeschlossen, denndieses Verhalten von Eve `Wiekomm ich da durch?` ist jedesMal, bei jedem Durchlaufaktuell. Das hatte ich selten beieiner Rolle, dass diese jedesMal lebt, jedes mal einen neuenWeg sucht.
Warum soll man sich die Inszenierung ansehen?Es ist zwar ein altes Stück, aberes ist trotzdem noch so aktuell.Es ist quasi direkt aus demLeben gegriffen. Es macht einenso sprachlos. Ich hoffe es löstein Gefühl beim Publikum aus,bestehend aus Freude undHass, Ohnmacht und Wut; manverliert sich darin. Eigentlich istes immer das gleiche und manbraucht nicht viel, dann ist manin einer Welt, in der man sicheigentlich sofort wiederfindet.
Ich glaube nicht, dass es einenZuschauer geben wird, der sichnoch nie in so einer Situationwiedergefunden hat. Es ist etwas,was für jeden übertragbar ist.
„Es ist zwar ein altes Stück, aber esist immer noch so aktuell. Es ist
quasi direkt aus dem Lebengegriffen“
Wie ist ihre Haltung gegenüber Recht und Unrecht? Wie ist ihre Haltungzur Moral?Ich finde Eve ist sehr moralisch,sehr korrekt. Sie glaubt an dasGute im Menschen. Zum Beispiel,als Ruprecht und sie sich verlobthaben, ist ihr sofort klar, dassman jetzt zueinander steht, durchgute wie durch schlechte Zeiten.Es ist wie ein Vertrag. Sie ist nichtdoof, sie weiß genau um dieMachtverhältnisse. Bei jederPerson versucht sie ihr Moralbildaufrecht zu erhalten.
Ein Beispiel ist der Deal mit demRichter, sie opfert sich dort für dasGute. Eve ist sehr christlichgeprägt und hält sich an GottesRegeln. Solange man Regelnbefolgen kann ist für sie alles imLot.
Was ist das Krasseste an dem Stück und wieso?Das Krasseste ist, dass jeder dieganze Zeit auf der Bühne ist undseine Meinung vertritt. Obgesprochen wird oder nicht. Manist da. Jeder hat eine Haltung, dieman einzeln nehmen könnte unddas Stück einzeln spielen könnte.Wie zum Beispiel, wenn man dasStück mit dem Fokus auf die Sichtder Mutter spielen würde, würdedie Inszenierung einen ganzanderen Verlauf nehmen. DasBühnenbild ist sehr statisch undhoch beleuchtet. Die Menschenwerden mit all ihren Makelndargestellt, sie werden gezeigtwie sie gerade leben und sichverteidigen. Es ist keinekünstlerische Darstellung, keinAusschnitt.
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Die Produktion aus der Sicht von Timon Schleheck
„Er hat sehr simple Vorstellungen von Recht undUnrecht. Seine Moral ist dadurch geprägt, was ihm
sein Vater oder die Kirche erklärt.“
Worum geht es für dich in dem Stück?In dem Stück geht eshauptsächlich um Korrup-tion und Machtmissbrauch. Es gibt in der Geschichteeinige Parallelen zurheutigen #metoo-Debatte.Das Thema ist auch immernoch sehr präsent. Daherrauben auch zum Beispieldie veralteten Kostüme demStück nicht die Aktualität.Unterstrichen wird daszudem durch die Statisten,die in moderner Kleidungspielen und somit denKontrast und den Aktualitäts-bezug darstellen.
Siehst du Parallelen zumheutigen gesellschafts-politischen Geschehen?Der deutsche Unternehmerund Sportaktionär ClemensTönnies, der auch beiSchalke´04 den Aufsichtsrat-chef mimt, hat einen sehrrassistischen Tweet ver-öffentlicht. Er wurdedaraufhin von dem Aufsichts-rat, bestehend aus seinenFreunden, seinen Geschäfts-partnern und ihm selbst, zudrei Monaten Urlaub ‚ver-urteilt‘. Dasselbe passiertRichter Adam. Er wirdvorläufig suspendiert, darfjedoch zurückkehren, weil ernoch brauchbar für dieAnderen ist. Das Problem istalso, dass Menschen inhohen Machtpositionenselten ein gerechtes Urteilfür ihr Handeln bekommen,wenn man zum Beispiel Ulli
Hoeneß betrachtet, der wegenSteuerhinterziehung zu drei-einhalb Jahren Gefängnis-strafe verurteilt wurde und nunwiederholt zum Präsidentenvom FC Bayern Münchengewählt wurde.
„Der Fokus liegt nicht auf demwas äußerlich auf der Bühne
passiert, sondern vielmehr aufdem was in der Person vor
sich geht.“
Was mag Ruprecht anEve? Was nervt ihn?Er mag es, dass sie kräftigund gut arbeiten kann.Außerdem ist Eve sehrlebensfroh und tapfer.Allerdings nervt es Ruprecht,dass sie klüger ist als er, dennso kann er nicht immerverstehen odernachvollziehen was sie sagt
Wie ist Ruprechts Stellungin der Gesell-schaft?Er gehört der untersten Schichtan. Sein Vater ist Tagelöhnerund so gehören sie nicht malden Bauern an, die damals alsniedere Gesellschaft und alsarm und abscheulich galten.Ruprecht hat keine Ausbildung,keinen Besitz und keineAhnung.
Wie ist seine Haltunggegenüber Recht undUnrecht? Wie steht er zuMoral?Er hat sehr simple Vor-stellungen von Recht undUnrecht. Seine Moral istdadurch geprägt, was ihm seinVater oder die Kirche erklärt. Erselbst macht sich keine eigenenGedanken zu dem wasrechtens ist, oder das was eseben nicht ist. Er denkt und tutdas, was ihm vorgelebt wurde.
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Was ist das Krasseste an der Inszenierung? Und wieso? Jede Figur hat einenMonolog, in der sie dieGeschehnisse aus dervergangenen Nacht erzählt.Besonders bei derInszenierung am Landes-theater ist, dass Eve ihrevergangene Nachtbeziehungsweise von ihrerVergewaltigung erzählt,nachdem das Stückeigentlich schon zu Ende ist.Eve ist komplett alleine aufder Bühne und erzählt wiemachtlos man in dieserSituation ist, wie einemniemand zuhört. Das schnürteinem den Hals zu und istdas Ende dieser Komödie.
und meint.
Welche Frage würdest dugerne beantworten?Eine Frage, die immer gestelltwird, ist ´Wie könnt ihr euchdiesen Text merken?´. Wirarbeiten acht Stunden dieWoche daran, sieben Wochenvor der Premiere. Den Texthaben wir meist schon vorherund arbeiten natürlich auch inunserer Freizeit daran. Wennman sich ausreichend Zeitdafür nimmt, dann kann mandie Texte irgendwann. Das istder Teil der Arbeit, der leiderweniger Spaß macht.
Was möchtest du sonstnoch in Bezug auf dieInszenierung sagen?In Wolfram ApprichsInszenierungen steht, denktund redet der Schauspielerviel. Der Fokus liegt nicht aufdem was äußerlich auf derBühne passiert, sondernvielmehr auf dem was in derPerson vor sich geht. Das istmeist für jüngere Zuschauerlangweilig, doch wenn mansich auf das Gesagte undbesonders auf das Gedachteaber Nicht-Gesagte kon-zentriert, wird es sehrspannend.
Dein Lieblingssatz aus dem Stück? „Blind ist auch nicht übel“ Einerder letzten Sätze aus meinemMonolog. Ruprecht sieht, wieEve ihn betrügt und er sieht eszwar, aber er kann sich dasnicht vorstellen, dass sie dastun würde. Und so denkt er,dass, wenn er das nichtgesehen hätte, er in der Weltweiterleben könnte, in der siegut ist.
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Heinrich von Kleist
Familie• geboren am 10. oder 18.10.1777 in Frankfurt (Oder)• gestorben am 21.11.1811 in Berlin • hatte mehrere (Halb-)Geschwister• nach dem Tod seines Vaters in Pension von Prediger Catel erzogen (1788)• lernt Wilhelmine von Zenge kennen und verlobt sich mit ihr (1799/1800)• 1802 löst Kleist die Verlobung wieder auf
Studium und berufliche Tätigkeiten• durch Catel auf Klassische Dichter und Philosophen aufmerksam geworden• begann ein Studium an der Brandenburgischen Universität in Frankfurt• brach sein Studium ab und ging zum Militär• studierte nach Austritt vom Militär Mathematik, Physik, Kulturgeschichte, Naturrecht,
Latein und Kameralwissenschaften (1799)• bricht erneut das Studium ab und wird Volontär im Wirtschaftsministerium in Berlin
(1800)• schreibt Briefe an seine Verlobte, welche seine dichterische Begabung erstmals zeigen• lernt zwischen 1802 und 1803 Goethe und Schiller kennen. 1803 inszenierte Goethe DEN
ZERBROCHNEN KRUG, jedoch ohne Erfolg.• gibt Kunstjournal „Phöbus“ heraus• neues Zeitungsprojekt „Berliner Abendblätter“ (Oktober 1810)• Herausgabe der Zeitung wegen Zensurbestimmungen gestoppt (Frühjahr 1811)• diverse Aufführungen wurden verboten• konnte keine Anstellung bei der preußischen Verwaltung erlangen • bekam Geldnot und zunehmende Kritik für seine Werke
Einige Werke• Amphitryon• der Zerbrochene Krug• Penthesilea
Tod
• suchte und fand in seiner Freundin Henriette Vogel eine Begleiterin für den Suizid• erschoss Henriette Vogel und sich am 21. November 1811 am heutigen kleinen Wannsee• wurde zusammen mit Henriette Vogel begraben (1811)
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Die #MeToo-Debatte – ein ÜberblickUnter #MeToo lassen sich seit mittlerweile zwei Jahren Tweets und Berichte von Frauen undeinigen Männern finden, die sexuelle Belästigungen und Übergriffe erfahren haben.Ursprünglich nutzte die Aktivistin Tarana Burke diese Phrase schon 2006, um auf Myspace eineKampagne zu bewerben. Diese hatte das Ziel, afroamerikanische Frauen, die sexuellenMissbrauchen erleben mussten, durch Empathie zu bestärken.
Im Jahr 2017 arbeitete Burke an ihrem Dokumentarfilm mit dem Titel Me too, dieser wurdedurch die Erfahrungen eines 13-jährigen Mädchen angeregt, das schon in diesem jungen AlterOpfer eines sexuellen Übergriffes geworden war.
Im selben Jahr wandten sich mehrere Frauen aus dem Filmgeschäft an die Öffentlichkeit, umvon Übergriffen, Missbrauch und Vergewaltigungen durch den Filmproduzenten HarveyWeinstein an ihnen zu berichten. In Deutschland wurden die Fälle als Weinstein-Skandal in denMedien und der Presse thematisiert und veröffentlicht. Populär wurde das Hashtag #MeToodurch die Schauspielerin Alyssa Milano, deren Originalbeitrag auf Twitter Frauen ermutigensollte, das Ausmaß sexueller Übergriffe und Belästigungen aufzuzeigen. Schnell ließen sichweltweit tausendfach Erfahrungsberichte unter #MeToo, oder in die jeweilige Landesspracheübersetzte Hashtags, finden.
Auch in der deutschen Öffentlichkeit, vorwiegend in der Filmbranche, wurden immer mehrFälle bekannt, in denen es zu Übergriffen und Vergewaltigungen von Männern an Frauen kam –vor allem von Männern in Machtpositionen, die in der Hierarchie über den Frauen standen unddies ausnutzten. Körperliche und psychische Erpressung, wie sie auch in DER ZERBROCHNEKRUG zu sehen ist, ist ein immer wiederkehrendes Muster, das Opfer zum Schweigen bringtund ein Gefühl der Ohnmacht hinterlässt. Binnen kürzester Zeit wurden auch außerhalb derFilmbranche Fälle in der Wissenschaft, Politik, Musikindustrie und Wirtschaft bekannt, diediverse Rücktritte und Suspendierungen zur Folge hatten.
Durch die enorme Präsenz des Hashtags ließen kritische Stimmen nicht lange auf sich warten.Kritisiert wird beispielsweise, dass es durch die Verantwortung der Opfer, sexuelle Übergriffeund Vergewaltigungen zu veröffentlichen, zu erneuten Traumatisierungen der Opfer kommenkann. Weiterhin sind einige Stimmen der Meinung, dass ein solches Hashtag ermüdend undempörend wirkt, aber nicht für eine intensive und emotionale Kommunikation sorgt. TaranaBurke sprach denjenigen Respekt aus, die sich unter #MeToo äußerten, merkte aber ebenso an,dass die Arbeit afroamerikanischer Frauen zur Forderung eines Dialoges über sexuelle Gewaltweiterhin ignoriert würde.
Die #MeToo-Debatte, die Kritik an #MeToo und andere feministische Themen greift AutorinMargarete Stokowski unter anderem in ihrem Buch Untenrum frei und in ihren regelmäßigerscheinenden Kolumnen immer wieder auf, reflektiert diese und veranschaulicht Ursprüngeund Auswirkungen. Im Folgenden findet sich eine Kolumne von ihr, die Svenja FlaßpöhlersKritik an der #MeToo-Debatte beleuchtet.
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#MeToo-Debatte Potent, aber daneben
Vielleicht liegt die #MeToo-Bewegung ja vollkommen falsch. Vielleicht sollten Frauen einfachselbstbewusster auftreten, sich nicht als Opfer männlicher Lust begreifen, "potente Frauen"sein. Aber so einfach ist es nicht.
Eine Kolumne von Margarete Stokowski Dienstag, 08.05.2018 15:58 Uhr
Wahrnehmung ist verrückt. Ich weiß nicht, wie Sie das vergangene halbe Jahr erlebt haben, infeministischer Sicht, aber ich hatte das Gefühl, es ist einiges los, und vieles ändert sich - zumGuten. Menschen in der ganzen Welt stehen auf gegen Ungerechtigkeit, Täter werden mit ihrenTaten konfrontiert, Institutionen verändert, Fragen gestellt, Antworten gesucht. Die ganze #MeToo-Sache war und ist von massiver Kritik und von Widerstand begleitet, aber: Es passiert was.Menschen schließen sich zusammen, sie organisieren Demos, halten Reden, werden laut. MutigeFrauen, die für ihre Rechte einstehen, spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle.
Ganz anders scheint das Svenja Flaßpöhler wahrgenommen zu haben. Die Chefredakteurin des"philosophie"-Magazins hat einen Essay veröffentlicht, der den Titel "Die potente Frau" trägt undzeigen will, was an #MeToo alles falsch gelaufen ist. Es kommt heraus: das meiste. […] Flaßpöhler plädiert für selbstbewusste Frauen, die ihre Sexualität frei ausleben und findet, #MeToostehe solchen Zielen entgegen. Der Feminismus, der #MeToo unterstütze, reproduziere inWirklichkeit ein "patriarchales Welt- und Weiblichkeitsbild". Eine These, so steil, dass man nichtwegsehen kann. "Die potente Frau" zeigt, wie der Einsatz für Frauenrechte trotz guter Absichtenschiefgehen kann, wenn er auf der Herabsetzung der Kämpfe anderer basiert. […]
Bei Flaßpöhler gilt: #MeToo ist "Hashtag-Feminismus". Die "#MeToo-Befürworterinnen und-Befürworter" sprechen für Flaßpöhler allesamt mit einer Stimme, was leider wirkt, als hätte siesich bisher nicht die Mühe gemacht, überhaupt mit ihnen zu reden. Der "Hashtag-Feminismus"kommt dann auch auf den ganzen 48 Seiten des Essays nicht ein Mal selbst zu Wort, weswegen biszum Ende unklar bleibt, wer eigentlich dazu gehört. Umso klarer scheinen die Ansichten der"Hashtag-Feministinnen" festzustehen:
"Männliche Gewalt, behauptet der Hashtag-Feminismus, ist allgegenwärtig: im Büro, im Bett, imLeben einer jeden einzelnen Frau. (...) #MeToo zeichnet ein klares Bild des Mannes: Im Diensteseiner eigenen Lust bricht er den Willen der Frau, geht über ihr Wohl hinweg und beherrscht sieschon allein körperlich."
Flaßpöhler sagt einerseits, sie wolle aufzeigen, dass der Diskurs "blinde Flecken" habe, setzt dannaber alles gleich, was innerhalb des Diskurses passiert. Diese Vereinheitlichung von allen, die#MeToo befürworten, findet ihren Höhepunkt in der These, #MeToo negiere jede aktive weiblicheSexualität:
"Für #MeToo ist kennzeichnend, dass Frauen sich libidinös gesehen eine rein passive Rollezuschreiben - zielt die Bewegung doch letztlich auf Strategien ab, wie mit männlicher Lustumzugehen, wie sie zu bekämpfen, wie die Frau effektiv vor ihr zu schützen sei."
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 11
Nun ja. Weil #MeToo kein Sextagebuch ist. Weil es um Gewalt geht. Hätte die Aktion geheißen "1Erlebnis von Übergriffigkeit und dann auch noch 1 Erzählung über den besten Sex, den ich jehatte", dann wäre ein anderes Bild herausgekommen. Flaßpöhlers Kritik an #MeToo funktioniertungefähr so, als würde ich sagen, ich schreibe mal über vergiftetes Essen, und sie kritisiert, dass ichmir offensichtlich nie ein gutes Getränk gönne oder gar am liebsten anderen Frauen dasChampagnerglas aus der Hand schlagen würde. […]
Wenn wir sexuelle Übergriffe abschaffen wollen, reicht es nicht zu fordern, dass alle Frauen nur malden Rücken durchdrücken und mit fester Stimme sagen, wann sie rollig sind und wann nicht. Mankann und sollte Kritik üben an Dingen, die im Rahmen von #MeToo passieren. Es müssen nichtalle, die Ungerechtigkeiten anprangern, jedes einzelne trottelige Fehlverhalten eines Mannes für einschreckliches Verbrechen halten und jedes aus einem Museum getragene Bild für den Sieg derEmanzipation. Aber gerade darin erweist sich dann eine starke Position und Selbstbestimmung inder Debatte: nicht einfach alles zu schlucken, sondern sich aufgrund eigener Werte und Urteile jedesMal neu darin verorten. Idealerweise findet man dabei einen Standpunkt, der funktioniert, ohne dassman gehässig über andere herzieht.
Quellen und Literaturhinweise
Die #MeToo-Debatte – ein Überblick1. Abby Ohlheiser: The woman behind 'Me Too; knew the power of the phrase when she created it— 10 years ago. 19. Oktober 2017.
2. Cristela Guerra: Where'd the "Me Too" initiative really come from? Activist Tarana Burke, long before hashtags - The Boston Globe. In: BostonGlobe.com, 17. Oktober 2017.
3. Zahara Hill: Black Woman Tarana Burke Founded the "Me Too" Movement.In: Ebony, 16. Oktober 2017.
4. Emily Shugerman: Me Too: Why are women sharing stories of sexual assault and how did it start?. In: The Independent, 17. Oktober 2017.
5. Lisa Respers France: #MeToo: Social media flooded with personal stories of assault, CNN. 16. Oktober 2017.
#MeToo-Debatte Potent, aber daneben – Kolumne von Margarete StokowskiVielen Dank an Margarete Stokowski für die Erlaubnis ihren Text nutzen zu dürfen. Das Original findet sich hier: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/metoo-debatte-sextagebuecher-wann-anders-kolumne-von-margarete-stokowski-a-1206799.html
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 12
Übung: Eve und Ruprecht
Diese Übung dient zur Nachbereitung und dauert etwa 30 - 45 Minuten.
Vorbereitung: Drucken Sie die Seiten zu ‚Die Produktion aus Sicht von...‘ aus, sodass die Hälfte der Klasse die Antworten von Lucie Gieseler und die andere Hälfte die Antworten von Timon Schleheck lesen kann.
Durchführung: Die Schüler*innen sollen sich in Zweierteams zusammenfinden, in denen sich eine Person mit Ruprecht und eine mit Eve auseinandersetzt. Dazu dienen die Informationen aus den ‚Mini-Interviews‘. Um einen besseren Eindruck der Figuren zu bekommen, sollen jeweils Eve und Ruprecht eine Unterhaltung führen. Diese kann entweder verbal stattfinden, oder in die heutige Zeit übertragen als Whatsappchat. Sie können sich sowohl über Alltägliches austauschen: Wie sieht Eves Alltag aus? Was wissen wir über Ruprechts Leben? Worüber unterhalten sich die beiden?, aber natürlich auch über den Vorfall zwischen Eve und Richter Adam sprechen: Wie geht es Eve mit der Situation? Was wünscht sie sich von Ruprecht? Wie stellt Ruprecht sich seine Zukunft vor?
Abschluss: Zum Abschluss können Unterhaltungen vorgetragen oder vorgelesen werden. Gibt es Parallelen zwischen Gesprächen, die entstanden sind? Welche Charaktereigenschaften haben die Schüler*innen den Figuren zugeschrieben? Was würde heute noch immer so sein und worin lassen sich Unterschiede in Handlungen und Reaktionen finden? Je nach Schülerschaft können auch kleine Improvisationen zwischen Eve und Ruprecht stattfinden.
Alternative: Statt einer Unterhaltung, ob verbal oder über das Smartphone, zwischen Ruprecht und Eve können die Schüler*innen auch eine Unterhaltung zwischen Eve und einer Freundin simulieren, in der es um den sexuellen Übergriff und/oder die Beziehung zu Ruprecht geht.
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 13
Übung: Wer steht wie zu wem?
Diese Übung kann zur Vor- oder Nachbereitung genutzt werden und dauert etwa 20 Minuten.
Vorbereitung: Wenn Sie die Übung für die Vorbereitung auf den Theaterbesuch nutzen möchten, ist es notwendig, dass die Schüler*innen das Stück gelesen haben, oder zumindest mit dem Inhalt vertraut sind. Drucken Sie einige Exemplare des Schaubildes aus, oder projizieren Sie dieses an eine Wand im Klassenraum.
Durchführung: Die Schüler*innen sollen sich in Gruppen zusammenfinden, die aus sieben Personen bestehen. Jede Person der Gruppe steht stellvertretend für eineFigur aus dem Stück. Nachdem die Zuteilung geklärt ist, stellen sich die Personen so auf, dass Haltungen, Beziehungen, Zuneigungen und Abneigungen deutlich werden. Die einfachste Variante ist es, lediglich durch das Zu- oder Abwenden zu oder von einer Person zu verdeutlichen, wie man zu ihr steht. Im nächsten Schritt können noch Mimik und Gestik dazu genommen werden. Das Standbild kann gedanklich erweitert werden, indem sich jede Figur einen Satz überlegt, der ihr gerade durch den Kopf geht. Im weiteren Verlauf der Übung können andere mögliche Figurenkonstellationen ausprobiert und gestellt werden.
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 14
Übung: Feminismus – wieso weshalb warum?
Diese Übung kann zur Vor- oder Nachbereitung genutzt werden und dauert etwa 30 Minuten.
Vorbereitung: Für diese Übung werden internetfähige Geräte gebraucht, die die Schüler*innen entweder alleine oder in Kleingruppen nutzen sollen.
Durchführung: Bevor es an die Recherche geht, können Sie mit der Klasse darüber sprechen, was die Schüler*innen über Feminismus wissen. Hierzu können Fragen hilfreich sein, wie: Wozu dient Feminismus und welche Ziele verfolgt er? Wer gilt heutzutage als Feminist*in? Nach einem gemeinsamen Gespräch mit der Klasse sollen sich die Schüler*innen im Anschluss im Internet über Feminismus informieren. Hierzu können auch Social Media Apps wie Instagram genutzt werden, indem nach entsprechenden Hashtags gesucht wird.
Ergänzung: Um selber aktiv zu werden, können die Schüler*innen in Anlehnung an das Tumblr-Blog wer-braucht-feminismus.tumblr.com Plakate gestalten, die mit ‚Ich brauche Feminismus, weil...‘ oder ‚Wir brauchen Feminismus, weil...‘ beginnen und entsprechend vollendet werden. Diese Plakate können im Anschluss in der Schule oder dem Klassenraum aufgehängt werden und schaffen somit Aufmerksamkeit; im besten Fall gibt es Nachahmer*innen, die eigene Plakate erstellen.
Abschluss: Sprechen Sie mit den Schüler*innen darüber welche neuen Erkenntnisse sie gewonnen haben und wo ihnen in ihrem Alltag Feminismus begegnet.
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 15
Übung: Kleists Sprache
Diese Übung kann zur Vor- oder Nachbereitung genutzt werden und dauert etwa 45 Minuten.
Vorbereitung: Drucken Sie den Anhang ab Seite 17 dieser Mappe aus, sodass in Kleingruppen mit den Textauszügen gearbeitet werden kann.
Durchführung: Da der Fokus Wolfram Apprichs Inszenierung vom ZERBROCHNEN KRUG auf der Sprache liegt, bietet diese Übung den Schüler*innen die Möglichkeit sich mit dieser Sprache auseinanderzusetzen. Nachdem die Textausschnitte gelesen wurden, sollen sie daraufhin analysiert werden: Welche Wörter werden genutzt, die sich auch im heutigen Sprachgebrauch noch finden lassen und welche sind veraltet und werden nicht mehr genutzt. Bitten Sie die Schüler*innen die Textpassagenin heutige (Jugend)sprache umzuformulieren.
Variante: Für eine theatrale Gestaltung der Aufgabe können die Schüler*innen die Auszüge nachspielen; einmal in der Originalversion und einmal in der von ihnen umgeschriebenen Version. Hierfür können auch lange Textteile einer Figur auf mehrere Personen aufgeteilt werden.
Abschluss: Fragen Sie die Klasse, wie es Ihnen mit der Übung und der Sprache ergangen ist. Was ist schwer gefallen, was lies sich problemlos umsetzen und was war besonders interessant?
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 16
Fünfter Auftritt Die Vorigen.
Adam – Frau Mathe Rull! Bringt Eure Klage vor.
Frau Marthe Seht ihr den Krug, ihr wertgeschätzten Herren?Seht ihr den Krug?
Adam O ja, wir sehen ihn.
Frau Marthe Nichts seht ihr, mit Verlaub, die Scherben seht ihr;Der Krüge schönster ist entzweigeschlagen.Den Krug erbeutete sich Childerich, Der Kesselflicker.Ihn hatt ein Spanier, gefüllt mit Wein, Just an den Mund gesetzt, als ChilderichDen Spanier von hinten niederwarf,Den Krug ergriff, ihn leert‘, und weiter ging. Hierauf vererbteDer Krug auf Fürchtegott, den Totengräber;Der trank zu dreimal nur, der Nüchterne, Und stets vermischt mit Wasser aus dem Krug.Das erstemal, als er im SechszigstenEin junges Weib sich nahm; drei Jahre drauf, Als sie noch glücklich ihn zum Vater machte;Und als sie jetzt noch funfzehn Kinder zeugte,Trank er zum dritten Male, als sie starb. Darauf fiel der KrugAn den Zachäus, Schneider in Tirlemont,Der meinem sel‘gen Mann, was ich euch jetzt Berichten will, mit eignem Mund erzählt. Der warf, als die Franzosen plünderten, Den Krug, samt allem Hausrat, aus dem Fenster, Sprang selbst, und brach den Hals, der Ungeschickte, Und dieser irdne Krug, der Krug von Ton, Aufs Bein kam er zu stehen, und blieb ganz.
Walter Zur Sache, wenn‘s beliebt, Frau Marthe Rull! Zur Sache!
Frau Marthe Darauf in der Feuersbrunst von sechsundsechzig, Da hatt ihn schon mein Mann, Gott hab ihn selig –
Walter Zur Sache, wenn‘s beliebt, Frau Marthe Rull! Zur Sache!
Adam Zum Teufel! Weib! So seid ihr noch nicht fertig?
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 17
Frau Marthe – Wenn ich nicht reden soll, Herr Richter Adam, So bin ich unnütz hier, so will ich gehn, Und ein Gericht mir suchen, das mich hört.
Walter Ihr sollt hier reden: doch von Dingen nicht, Die Eurer Klage fremd. Wenn Ihr uns sagt, Daß jener Krug Euch wert, so wissen wirSo viel, als wir zum Richten hier gebrauchen.
Frau Marthe Wieviel ihr brauchen möget, hier zu richten, Das weiß ich nicht, und untersuch es nicht;Das aber weiß ich, daß ich, um zu klagen,Muß vor euch sagen dürfen, über was.
Walter Gut denn. Zum Schluß jetzt. Was geschah dem Krug?Was? – Was geschah dem Krug im Feuer Von Anno sechsundsechzig?
Frau Marthe Was ihm geschehen?Nichts ist dem Krug, ich bitt euch sehr, ihr Herren, Nichts Anno sechsundsechzig ihm geschehen.Ganz blieb der Krug, ganz in der Flammen Mitte,Und aus des Hauses Asche zog ich ihn Hervor, glasiert, am andern Morgen, glänzend, Als käm er eben aus dem Töpferofen.
Walter Nun gut. Nun kennen wir den KrugWas gibt‘s jetzt weiter?
Frau Marthe Nun diesen Krug jetzt seht – den Krug, Den Krug hat jener Schlingel mir zerbrochen.
Adam Wer?
Frau Marthe Er, der Ruprecht dort.
Ruprecht Das ist gelogen,Herr Richter.
Adam Schweig Er, bis man Ihn fragen wird.Auch heut an Ihn noch wir die Reihe kommen. – Habt Ihr‘s im Protokoll bemerkt?
Licht O ja.
Adam Erzählt den Hergang, würdige Frau Marthe.
Frau Marthe Es war Uhr eilfe gestern –
Adam Wann, sagt Ihr?
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 18
Frau Marthe Uhr eilf.
Adam Am Morgen!
Frau Marthe Nein, verzeiht, am Abend, Und schon die Lamp im Bette wollt ich löschen, Als laute Männerstimmen, ein Tumult, In meiner Tochter abgelegenen Kammer,Als ob der Feind einbräche, mich erschreckt.Geschwind die Trepp eil ich hinab, ich findeDie Kammertür gewaltsam eingesprengt,Schimpfreden schallen wütend mir entgegen, Und da ich mir den Auftritt jetzt beleuchte, Was find ich jetzt, Herr Richter, was jetzt find ich?Den Krug find ich zerscherbt im Zimmer liegen,In jedem Winkel liegt ein Stück, Das Mädchen ringt die Händ, und er der Flaps dort,Der trotzt, wie toll, Euch in des Zimmers Mitte.
Adam Ei, Wetter!
Frau Marthe Was?
Adam Sieh da, Frau Marthe!
Frau Marthe Ja! – Ihn stell ich dort zu Rede, was er hierIn später Nacht zu suchen, mir die Krüge Des Hauses tobend einzuschlagen habe:Und er, zur Antwort gibt er mir, jetzt ratet?Der Unverschämte! Der Halunke, der!Er spricht, es hab ein anderer den KrugVon Sims gestürzt – ein anderer, ich bitt Euch,Der vor ihm aus der Kammer nur entwichen;– Und überhäuft mit Schimpf mir da das Mädchen.
Adam Oh! faule Fische – Hierauf?
Frau Marthe Auf dies WortSeh ich das Mädchen fragend an; die stehtGleich einer Leiche da, ich sage: Eve! –Sie setzt sich; ist‘s ein anderer gewesen, Frag ich? Und sie, was denkt Ihr Mutter auch? –So sprich! Wer war‘s? Wer sonst, sagt sie, –Und schwört mir zu, daß er‘s gewesen ist.
Eve Was schwor ich Euch? Nichts schwor ich –
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 19
Frau Marthe Eve!
Eve Nein! Dies lügt Ihr. –
Ruprecht Da hört ihr‘s.
Adam Hund, jetzt, verfluchter, schweig,Nachher ist Zeit für dich, nicht jetzt.
Frau Marthe Du hättest nicht-?
Eve Nein, Mutter! Dies verfälscht Ihr.Denn nichts schwor ich, nichts, nichts hab ich geschworen.
Adam Sei doch vernünftig, Kinder.
Licht Das ist ja seltsam.
Frau Marthe Du hättest mir, o Eve, nicht versichert - ?
Eve Beim Schwur nicht! Schwörend nicht!
Adam Ei Leutchen! Ei, Frau Marthe! Was auch macht sie?Wie schüchtert Sie das gute Kind auch ein.- Ich sage, was geschehen ist, und was,Spricht sie nicht, wie soll, geschehn noch kann.‘Gebt acht, so sagt sie heut uns aus, wie gestern,Gleichviel, ob sie‘s beschwören kann ob nicht.
Walter Nicht doch, Herr Richter, nicht! Wer wollte den Parteien so zweideut‘ge Lehren geben.
Frau Marthe Wenn sie ins Angesicht mir sagen kann,Schamlos, die liederliche Dirne, die,Daß es ein andrer, als der Ruprecht war,So mag meintwegen sie – ich mag nicht sagen, was.Ich aber, ich versichr‘ es Euch, Herr Richter,Und kann ich gleich nicht, daß sie‘s schwor, behaupten,Daß sie‘s gsagt gestern, das beschwör ich,
Adam Nun weiter will ja auch die Jungfer-
Walter Herr Richter!
Adam Euer Gnaden? - Was sagt er?- Nicht, Herzens-Evchen?
Frau Marthe Heraus damit! Hast du‘s mir nicht gesagt?Hast du‘s mir gestern nicht, mir nicht gesagt?
Eve Wer leugnet Euch, daß ich‘s gesagt-
Adam Da habt ihr‘s.
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 20
Ruprecht Die Metze, die!
Adam Schreibt auf.
Walter Von Eurer Aufführung, Herr Richter Adam,Weiß ich nicht, was ich denken soll. Wenn Ihr selbstDen Krug zerschlagen hättet, könntet Ihr Von Euch ab den Verdacht nicht eifrigerHinwälzen auf den jungen Mann, als jetzt.Ihr setzt nicht mehr ins Protokoll, Herr Schreiber,Als nur der Jungfer Eingeständnis, hoff ich,Vom gestrigen Geständnis, nicht vom Facto.
Zehnter Auftritt
Ruprecht: Ei, Evchen!Wie hab ich heute schändlich dich beleidigt!Und wie gestern!Ei, du mein goldnes Mädchen, Herzens-Braut!Wirst du mein lebtag mir vergeben können?
Eve: Geh, laß mich sein.
Ruprecht: Nimm, weißt du was ?Dein Pätschchen, hol‘s der Henker, nimm‘s und ball‘sUnd schlage tüchtig eins mir hinters Ohr.
Eve: Du hörst. Ich will nichts von dir wissen.
Ruprecht: Ei, solch ein Tölpel!Ich geh, beim Dorfrichter mich zu beklagen,Und er, vor dem ich klage, ist es selbst:Den Hals noch judiziert er mir ins Eisen.
Walter: Wenn sich die Jungfer gestern gleich der MutterEröffnet hätte züchtiglich, so hätteSie dem Gerichte Schand erspart, und sichZweideut‘ge Meinungen von ihrer Ehre.
Eve: Herr! Wenn ihr jetzt nicht helft, sind wir verloren!
Walter: Verloren? Warum das ?
Ruprecht: Herr Gott! Was gibt‘s?
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 21
Eve: Errettet Ruprecht von der Konskription!Denn diese Konskription- der Richter AdamHat mir‘s als ein Geheimnis anvertraut,Geht nach Ostindien; und von dort, Ihr wißt,Kehrt von drei Männern einer zurück!
Walter: Was! Nach Ostindien! Bist du bei Sinnen?
Eve: Nach Bantam, gnäd‘ger Herr; verleugnet‘s nicht!Hier ist der Brief, die stille heimlicheInstruktion, die Landmiliz betreffend,Die die Regierung jüngst deshalb erließ:Ihr seht, ich bin von allem unterrichtet.
Walter: O unerhört, arglistiger Betrug!-Der Brief ist falsch!
Eve: Falsch?
Walter: Falsch, so wahr ich lebe!
[...]
SHLT – Spielzeit 2019/20, Materialmappe DER ZERBROCHNE KRUG 22
