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D ie meisten meiner Leser werden im folgenden Artikel mit Tatsachen konfrontiert, die für sie sehr schockie- rend sein werden. Globalstrategische Entwicklungen haben inzwischen, wie ich warnend vorhergesehen hatte, einen Punkt erreicht, bei dem es kein Zurück mehr gibt, es sei denn, es werden bestimmte ein- schneidende politische Veränderungen vorgenommen. Wieder- holt wies ich warnend darauf hin, daß es darum gehe, eine grundlegende Änderung der Politik vorzunehmen, welche uns in die gegenwärtige gefährliche Lage gebracht hat. Weil aber Re- gierungen und andere meine Warnungen ignorierten, erleben die USA und die Welt derzeit die Endphase des globalen Finan- zzusammenbruchs. Die viel größere Gefahr, die uns jedoch droht, ist, daß mit dem jetzt einsetzenden weltweiten Finanz- kollaps die globale Zivilisation in ein neues finsteres Zeitalter ge- stürzt wird, welches die Existenz der ganzen Menschheit gefähr- det. In diversen Aufsätzen habe ich mich mit den die Krise betref- fenden offensichtlicheren Fragen auseinandergesetzt und aufge- zeigt, welche Lösungen notwendig sind, damit sich die Zivilisa- tion zumindest kurzfristig erholen kann. Gehen wir einmal da- von aus, die von mir vorgeschlagenen Maßnahmen – wie der dringend notwendige Vorschlag für ein neues Bretton Woods – würden noch zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt angenom- men und umgesetzt, und der größte Teil der Welt befände sich daraufhin schon bald auf dem Weg zum Aufschwung, so wie sich die Welt unter der von Franklin Delano Roosevelt eingelei- teten Politik von den Katastrophen der Großen Depression und des nachfolgenden Weltkrieges erholte. Betrachten wir die tiefergründigen und langfristigen Aspekte 4 Der folgende, am 22. September 2000 fertiggestellte Artikel erschien in dem US-Nachrichten- magazin EIR Nr. 39/2000 unter dem englischen Originaltitel „Jesus Christ and Civilization.“ Christentum und Zivilisation Von Lyndon H.LaRouche jr. Christus lehrend. Mit Stichel und Kaltnadel. Rembrandt schuf dieses Werk um 1652. Amsterdam

des Problems. Aus heutiger geschichtlicher Sicht wissen ... · Aus der Sicht der modernen Archäologie hat sich die Aussage Platons über die frühere Existenz der Menschheit vor

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Die meisten meiner Leser werden im folgenden Artikelmit Tatsachen konfrontiert, die für sie sehr schockie-rend sein werden.

Globalstrategische Entwicklungen haben inzwischen, wie ichwarnend vorhergesehen hatte, einen Punkt erreicht, bei dem eskein Zurück mehr gibt, es sei denn, es werden bestimmte ein-schneidende politische Veränderungen vorgenommen. Wieder-holt wies ich warnend darauf hin, daß es darum gehe, einegrundlegende Änderung der Politik vorzunehmen, welche unsin die gegenwärtige gefährliche Lage gebracht hat. Weil aber Re-gierungen und andere meine Warnungen ignorierten, erlebendie USA und die Welt derzeit die Endphase des globalen Finan-zzusammenbruchs. Die viel größere Gefahr, die uns jedochdroht, ist, daß mit dem jetzt einsetzenden weltweiten Finanz-kollaps die globale Zivilisation in ein neues finsteres Zeitalter ge-

stürzt wird, welches die Existenz der ganzen Menschheit gefähr-det.

In diversen Aufsätzen habe ich mich mit den die Krise betref-fenden offensichtlicheren Fragen auseinandergesetzt und aufge-zeigt, welche Lösungen notwendig sind, damit sich die Zivilisa-tion zumindest kurzfristig erholen kann. Gehen wir einmal da-von aus, die von mir vorgeschlagenen Maßnahmen – wie derdringend notwendige Vorschlag für ein neues Bretton Woods –würden noch zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt angenom-men und umgesetzt, und der größte Teil der Welt befände sichdaraufhin schon bald auf dem Weg zum Aufschwung, so wiesich die Welt unter der von Franklin Delano Roosevelt eingelei-teten Politik von den Katastrophen der Großen Depression unddes nachfolgenden Weltkrieges erholte.

Betrachten wir die tiefergründigen und langfristigen Aspekte

4

Der folgende, am 22. September 2000 fertiggestellte Artikel erschien in dem US-Nachrichten-magazin EIR Nr. 39/2000 unter dem englischen Originaltitel „Jesus Christ and Civilization.“

Christentum und ZivilisationVon Lyndon H. LaRouche jr.

Christus lehrend. Mit Stichel und Kaltnadel. Rembrandt schuf dieses Werk um 1652. Amsterdam

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des Problems. Aus heutiger geschichtlicher Sicht wissen wir, daßdie Geschichte von Phasen des Zusammenbruchs und im gün-stigen Fall von Phasen des Wiederaufbaus bestimmt wurde.

Woher nehmen wir die Sicherheit, daß die Menschheit, selbstwenn wir sie mit Hilfe der von mir vorgeschlagenen Maßnah-men aus der katastrophalen Lage herausführen und vor den Fol-gen des weltweiten Finanz- und Währungszusammenbruchs be-wahren können, nicht in ein oder zwei Generationen wieder ineine neue Kollapsspirale gerät? Ein Kollaps, der weitaus schlim-mer sein würde als der uns heute drohende Kollaps, unter des-sen Folgen unsere Kinder und Enkelkinder leiden müßten?

Die beiden Fragen hängen mit einer dritten, übergeordnetenÜberlegung zusammen. Könnte es nicht sogar sein, daß wir dieuns jetzt unmittelbar bedrohende Finanzkrise nur dann erfolg-reich bewältigen können, wenn wir jetzt so handeln, daß wirgleichzeitig auch die „langfristige“ Gefahr eines neuen finsterenZeitalters ausschließen können? Mit anderen Worten: Zwar ha-be ich aufgezeigt, wie die Welt die über uns hereinbrechendeWeltfinanzkrise überwinden kann, aber vielleicht wird die Weltden von mir vorgeschlagenen Lösungsweg nicht annehmen.Sind demnach die führenden Institutionen der Welt von einertiefersitzenden, chronischen Krankheit befallen, welche, wie esderzeit den Anschein hat, verhindert, daß die Welt ein kurzfri-stiges Wiederaufbauprogramm akzeptiert?

Ich begründe in diesem Aufsatz, warum die beiden Fragen –die akute Krise und die Zeit danach – miteinander verknüpftsind, und stelle sie als miteinander zusammenhängend dar. AmEnde sind Sie es, die darüber urteilen sollen, ob das Überlebenunserer Zivilisation nicht davon abhängt, daß wir eine Antwortund Lösung auf die „langfristigen“ Herausforderungen finden.

Dies würde wiederum voraussetzen, daß wir uns verpflichten,auf eine Lösung des Problems im Laufe der nächsten ein bis zweiGenerationen hinzuarbeiten.

Deshalb stelle ich zuerst das heutige Thema in den richtigenRahmen, indem ich im folgenden die hier kurz skizzierte allge-meine These noch einmal zusammenfassend darlege.

Um es ganz unverblümt zu sagen: Welche Chancen hat dergrößte Teil der Menschheit, dem heraufziehenden neuen finste-ren Zeitalter zu entkommen, wenn die Vereinigten Staaten je-manden zu ihrem nächsten Präsidenten wählen, der so durchund durch moralisch und intellektuell verkommen ist wie Vize-präsident Al Gore und Gouverneur George W. Bush?

Verstehen Sie die Frage nicht falsch. Ich behaupte nicht, daßdie beiden Kandidaten über irgendwelche besonderen Fähigkei-ten verfügen, die sie zum Guten oder Bösen nutzen könnten.Beide sind lediglich Marionetten des Wall-Street-„Establish-ments“, das solche intellektuell und moralisch verkrüppelten In-dividuen bewußt als einzig verfügbare Hauptbewerber auswähl-te. Was die beiden Kandidaten auszeichnet, ist, daß wie bei denZwillingen Tweedledee und Tweedledum aus Alice im Wunder-land zwischen den beiden nicht der geringste Unterschied be-steht..

Die bei beiden gleich vorhandenen – besser gesagt, nicht vor-handenen – Eigenschaften zeigen, warum die Wall Street geradediese beiden als ihre Marionetten auswählen wollte.

Hier stehen zwei Männer zur Wahl, von denen keiner über-haupt zum Kandidaten taugt. Es macht lediglich die Absicht desEstablishments deutlich, welche Regierung sie im Januar 2001an die Macht bringen will und welche Politik diese beiden alsmögliche Amtsinhaber befolgen sollen. Die Bedeutung der bei-den Kandidaten ist, daß unter den gegenwärtigen Bedingungeneiner sich verschärfenden Weltkrise keiner dieser beiden Stüm-per fähig ist, wirklich als Präsident im Sinne unserer Verfassungzu agieren, auch wenn sie dies versuchen wollten.

Wenn die Finanzoligarchie solche Kandidaten auswählt, dannwill sie damit offensichtlich erreichen, daß die USA unter denBedingungen der Finanzkrise nicht die Tradition von Präsiden-ten wie Franklin Roosevelt wiederbeleben, sondern den politi-schen Kurs einschlagen, den dieselbe Wall-Street-Finanzoligar-chie 1933-34 Deutschland diktierte, nachdem sie Hitler an dieMacht gebracht hatte. Wer die deutsche Geschichte im Zeit-raum von 1932-45 studiert, muß sich heute fragen: Wer ist dergrößere Dummkopf? Sind es die beiden Kandidaten oder sindes die Bürger, die einem dieser beiden Kandidaten ihre Stimmegeben?

Falls einer von den beiden gewählt wird, ist es sehr unwahr-scheinlich, daß die USA die nächsten Jahre als funktionierenderRechtsstaat überleben werden. Wir sollten uns in Erinnerungrufen, daß Ende Januar 1933 die politischen Institutionen inDeutschland für eine irrationale und fanatische Führung stimm-ten, die in ihrer philosophischen Ausrichtung den heutigen Po-litikern Gore und Bush sehr ähnlich war; wir wissen, welche Fol-gen dies hatte.1 Die Amerikaner könnten heute eine ähnliche,sich beschleunigender vollziehende Katastrophe erleben, wieDeutschland im Jahre 1933/34, wenn sie nicht umgehend undradikal mit ihren Lebensgewohnheiten brechen. Kann der größ-te Teil der übrigen Welt unter den Bedingungen einer Gore-oder Bush-Präsidentschaft überleben? Angesichts dieser Fra-gestellung befassen sich viele führende Kreise auf der ganzenWelt bereits ernsthaft mit entsprechenden Vorkehrungen.

Anders ausgedrückt: Zwar wurde die Macht Deutschlandskurzfristig unter dem Hitler-Regime wiederbelebt, aber die Fol-ge dieses unter einem faschistischen System eingeleiteten kurz-fristigen Wirtschaftsaufschwungs war, daß Deutschland, nach-dem die Londoner und New Yorker Bankiers Adolf Hitler an dieMacht gebracht hatten, in einem Zeitraum von weniger als ei-ner Generation in eine noch viel tiefere Krise gestürzt wurde.

Es liegt also an Ihnen, darüber zu urteilen, ob das Überlebender menschlichen Zivilisation unter den gegenwärtigen politi-schen Trends in den USA möglich ist, seit die Massenmedien derWall Street vor einigen Monaten Gores Präsidentschaftskandi-datur praktisch unumstößlich machten. Um eine richtige Be-wertung dieser Frage vorzunehmen, sollten wir die Entwicklungder europäischen Zivilisation im Zeitraum der letzten 2500 Jah-re betrachten, insbesondere deren Blütezeiten. Für jeden den-kenden Bürger der USA oder anderer Nationen schälen sich da-bei einige historisch bedeutende Daten heraus, die der Schlüsseldazu sind, um die von mir oben aufgeworfenen Fragen zu be-antworten.

Die Antworten findet man nur, wenn man sowohl die Fragen

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als auch den Schlüssel zur Lösung derselben richtig definiert.Dieser Schlüssel zu allem Wissen liegt in der richtigen Definiti-on der Frage: Was ist die universelle Qualität der menschlichenNatur, welche den Menschen von allen anderen Lebensformenunterscheidet?

Aus der Frage wird deutlich, daß der vorliegende Aufsatz sichnicht nur an die Bürger der USA, sondern auch an die BürgerNord- und Südamerikas und Europas wendet. Es handelt sichum einen praktischen und dringend notwendigen Beitrag zumglobalen Dialog der Kulturen, über den der iranische PräsidentKhatami in letzter Zeit bei verschiedenen of-fiziellen Anlässen gesprochen hat.

Am Ende wird der Leser feststellen, daßder Kerngedanke des vorliegenden Aufsatzesnach rein akademischen Kriterien beurteilt,„starker Tobak“ und vielleicht sogar für diemeisten Zeitgenossen nicht einfach zu ver-stehen ist. Ich will dennoch auf zwei wesent-liche Aspekte eingehen. Sie sind wesentlichfür die Gestaltung der politischen Praxis allderer, die sich in dieser Krisenzeit zu Füh-rungspersönlichkeiten entwickeln. Es han-delt sich um Aspekte, die sich auf keine an-dere Art und Weise darstellen lassen.

Lassen Sie mich also nun Schritt für Schrittdarstellen, woran sich Ihr praktisches Han-deln in dieser Zeit orientieren muß.

GESCHICHTE AUS DER SICHT PLATONS

Aus der Sicht der modernen Archäologie hat sich die AussagePlatons über die frühere Existenz der Menschheit vor dem Auf-stieg des klassischen Griechenland als richtig erwiesen.2 Wennwir das Prinzip, das den Menschen von allen anderen Lebewe-sen abhebt, auf die Archäologie anwenden, können wir be-stimmte archäologische Fundstätten definitiv als von Menschenbewohnte Orte klassifizieren und datieren. Die Antwort auf dieentsprechende Frage lautet: Wir können die Fundorte als vonMenschen bewohnte Orte einstufen, wenn sie Gegenstände enthal-ten, die nur (wie wir heute sagen würden) mit Hilfe von Technolo-gien, die auf der Grundlage der Entdeckung universeller physikali-scher Prinzipien erzeugt wurden, hergestellt werden konnten. Aufdieser Grundlage können wir die menschliche Existenz im eu-ropäischen Raum mit Sicherheit auf eine Zeit vor mehrerenhunderttausend Jahren oder früher datieren; und wir könnenweiterhin vermuten, daß wir in Teilen Afrikas, die von den lan-gen, periodisch wiederkehrenden Eiszeiten der nördlichen Erd-halbkugel unbeeinflußt blieben, noch viel ältere Funde ent-decken können.

Das wirft die Frage auf, mit der sich implizit schon Platon be-faßt hatte: Warum sind im Laufe dieser Hunderttausenden vonJahren so viele Kulturen untergegangen, oft ohne jede Spur zuhinterlassen? Wo sind sie geblieben?

Betrachten wir dazu im folgenden nur einige wesentliche Fak-ten, die für unser Thema von Bedeutung sind.

Mit seinem Hinweis auf ägyptische Quellen (Timaios) hat unsPlaton zwei Antworten auf diese Frage gegeben. Der erste Grundfür den Untergang ganzer Kulturen waren Naturkatastrophen,die die Menschheit noch nicht kontrollieren konnte. Der zwei-te Grund für den Untergang ganzer Völker – wie z.B. der anti-ken Kultur Mesopotamiens – war die in ihrer Kultur angelegteAnlage zur Selbstzerstörung.3 Die meisten der alten Kulturen,die wir identifizieren konnten, wurden auf diese Weise in einlanganhaltendes finsteres Zeitalter gestürzt – ein finsteres Zeit-alter, dessen Ursache in einer, die Kultur bestimmenden, in-

härenten Charakteristik lag. So gab es mora-lisch niedriger stehende Kulturen, die genauaus diesem Grund ihren eigenen Untergangherbeiführten.

In Platons zweite Kategorie, also die kultu-rell induzierten Katastrophen, fällt der wie-derholte Aufstieg und Fall von Kulturen inOst- und Südasien, Alexanders Eroberung deszur Selbstvernichtung überreifen Perserrei-ches, sowie der zunehmende kulturelle undmoralische Verfall und schließliche Unter-gang des Römischen Reiches, deren Ursachedie innere, systembedingte moralische undgeistige Fäulnis, zunächst im Westen und spä-ter in Byzanz, war. Seit der Ermordung vonUS-Präsident William McKinley 1901 unddem danach einsetzenden Paradigmawandelstellt sich heute die Frage: Steuert die heute

auf der ganzen Welt verbreitete europäische Zivilisation auf ei-nen allgemeinen Zusammenbruch zu, entsprechend der vonPlaton angeführten zweiten Kategorie?

Nach allem, was wir heute wissen, hat die Menschheit auf un-serem Planeten Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen vonJahren auf solche Art vor sich hin existiert. Dies ständige Auf undAb der Entwicklung war bestimmend für die gesamte bekanntemenschliche Geschichte, bis in Europa kurz vor der Mitte des 15.Jahrhunderts mit der „Goldenen Renaissance“ eine qualitative,revolutionäre Veränderung zum Besseren eintrat (Abbildung 1).Diese Renaissance des 15. Jahrhunderts führte im europäischenRaum nicht nur zu einer Verbesserung der menschlichen Lebens-bedingungen, die sich sehr stark von den Lebensbedingungenfrüherer Zeiten unterschieden. Durch die Verbreitung der Ideender Renaissance erhielt auch die ganze Menschheit gleiches Rechtauf Zugang zu den Mitteln, die einen entsprechenden Fortschrittin den Lebensbedingungen auf der ganzen Welt bewirkten.4

Die Goldene Renaissance tauchte nicht aus dem Nichts auf,sie entsprang nicht der Augenbraue der antiken ägyptischenGöttin, die von den Griechen Athene genannt wurde. Sie wardas Ergebnis von 2000 Jahren Geschichte der europäischen Zi-vilisation, die spätestens mit Solons Revolution in Athen be-gonnen hatte. Diese Revolution war das Ergebnis einer mehreretausend Jahre zurückreichenden Geschichte. Kennzeichnenddafür war das überlieferte Wissen aus über 2000 Jahren Ge-schichte des antiken Ägyptens, eine Phase des stetigen Auf undAb, lange vor dem Bau der großen Pyramiden.

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Platon (ca. 427-347 v.Chr.)

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Nach diesem Rückblick kommen wir nun zum Kernpunktunserer Argumentation.

Man kann die letzten 2500 Jahre des Aufstiegs von Ägyptens„Adoptivkind“, d.h. die Geburt und Entwicklung der heute aufder ganzen Welt verbreiteten europäischen Zivilisation nur be-greifen, wenn wir sie auf dem Hintergrund der Entwicklungender drei größten Meilensteine ihrer Geschichte betrachten: dieKonsolidierung und Entwicklung der klassischen griechischenKultur um Platon als führende Persönlichkeit; das Wirken unddie Kreuzigung von Jesus Christus und die Goldene Renaissance.Ohne diese drei Revolutionen hätte es weder ein Europa und sei-ne Zivilisation gegeben, noch hätte diese europäische Zivilisati-on die führende Bedeutung auf dem ganzen Erdball errungen,die sie seit dem großen ökumenischen Konzil von Florenz in derMitte des 15. Jahrhunderts erlangt hatte.

Die mit dem 15. Jahrhundert einsetzenden geschichtlichenVeränderungen entsprangen im wesentlichen aus dem Konfliktzwischen der Entwicklung dieses Renaissance-Erbes und der en-demischen moralischen Unordnung, die inzwischen kennzeich-nend ist für europäische Zivilisation. Denn gerade wegen derÜberlegenheit der von der Renaissance ausgehenden kulturellenRevolution, ist die Macht dieser europäischen Zivilisation zumGuten – oder leider nur allzuoft zum Bösen – zum wichtigstenMerkmal aller kulturellen Trends auf der Erde geworden. In die-sem Sinne und aus diesem Grunde war die moderne Geschich-

te im wesentlichen die Geschichte der modernen europäischenZivilisation insgesamt.

Es gibt vor dem Hintergrund des Gesagten bestimmte Dinge,die ich hier unbedingt ansprechen muß; nicht nur, weil sie wahrsind, sondern weil es bis heute noch kein anderer gewagt hat –aus allen möglichen Rücksichten auf andere Autoritäten –, sie indieser Form zu veröffentlichen – nicht einmal Experten, die pri-vat meinen Argumenten zustimmen. Wenn Sie die folgendenSeiten lesen, werden Sie wahrscheinlich verstehen, warum selbstkompetente Experten bisher gezögert haben, sich mit bestimm-ten entscheidenden Punkten öffentlich auseinanderzusetzen.

Die internen Probleme des modernen Christentums gehörenzu den sensitivsten Themen, mit denen wir uns hier befassen,aber wir müssen es tun, auch wenn andere Autoritäten Gründezur Zurückhaltung sehen.

Da die Zivilisation, die jetzt in einer globalen Existenzkrisesteckt, vornehmlich eine den ganzen Erdball umspannende eu-ropäische Zivilisation und als solche – zumindest dem Namennach – christlich ist, kann man die gegenwärtige Krise nichtkompetent untersuchen, ohne die nun folgenden Fragen zu stel-len und zu beantworten. Aus diesem Grund kann man nicht,wenn man die Sache kompetent und ehrlich angehen will, dieFrage des Christentums ausklammern.

Auf diesem Hintergrund ist die gegenwärtige Krise, die denPlaneten in ein neues finsteres Zeitalter zu stürzen droht, zu-mindest oberflächlich betrachtet, Ausdruck eines Versagens desorganisierten Christentums. Der jüngste Bericht des Vatikansüber den Dritten Brief von Fatima weist auf dieses Problem hinund gibt (wie im weiteren Verlauf dieses Aufsatzes deutlich wer-den wird) zumindest implizit eine angemessene und zutreffendeAntwort auf die Frage.5 Um einen falschen Eindruck zu vermei-den und um eine angemessene Behandlung der gegenwärtigen,die globale Zivilisation existentiell bedrohenden Krise vorzu-nehmen, müssen einige andere Erwägungen berücksichtigt wer-den, die der Vatikan-Bericht nicht ausdrücklich erwähnt.

Neben den bereits erwähnten „drei großen Meilensteinen“unserer Zivilisation war das bedeutendste positive Ereignis dereuropäischen Geschichte seit der Renaissance der Sieg der Ame-rikanischen Revolution in den Jahren 1776-89 über ihrenHauptfeind, die Monarchie des Britischen Empire. Eine Mo-narchie, die sich in der Welt eine Rolle anmaßt, wie sie dieMacht der venezianischen Finanzoligarchie von Pietro Pompo-nazzi und Paolo Sarpi, aus der das Empire hervorging, verkör-perte.6

Seit der Herrschaft des Tyrannen Wilhelm von Oranien undseit der Thronbesteigung Georgs I. auf den neugeschaffenen bri-tischen Thron, war der permanente Konflikt zwischen der gei-stigen Tradition der Amerikanischen Revolution und der Em-piretradition der britischen Monarchie die entscheidende Quel-le aller großen innenpolitischen Schwierigkeiten und auswärti-gen Kriege, unter denen die USA seither zu leiden hatten. Ab1789 wurde dieser Konflikt zwischen der amerikanischen geisti-gen Tradition und dem Einfluß der britischen Monarchie zumentscheidenden Merkmal aller wichtigen Entwicklungen derWeltgeschichte.

Abb. 1

Bevölkerungszahl/Bevölkerungsdichte/Lebenserwartung

n.Chr

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Die wichtigsten geistigen und politischen ErrungenschaftenAmerikas gründeten auf der geistigen Überlegenheit der eu-ropäischen Kultur. Genau hier liegt die Ursache für den Aufstiegder USA zur mächtigsten Nation der Welt, der mit PräsidentLincolns Sieg über die konföderierten Südstaaten – eine Mario-nette der britischen Monarchie – begann.

Seit dem Beginn der europäischen Kolonisierung Amerikaswaren die fortschrittlichsten Denker im Bereich der Wissen-schaft, Kunst und Philosophie bis auf wenige Ausnahmen Kon-tinentaleuropäer. Es waren keine Briten oder Amerikaner. Auf-grund der wachsenden Macht der anglo-holländischen Finanz-oligarchie zu Beginn des 18. Jahrhunderts und einschneidenderEreignisse, wie der von London gesteuerte Jakobinerterror1789-94, gefolgt von der faschistischen Tyrannei unter Napole-on Bonaparte und dem Ausgang des Wiener Kongresses, bliebendie patriotischen Kräfte Kontinentaleuropas im Bereich derkontinentaleuropäischen Wissenschaft und Philosophie, wie inder Politik, immer nur eine Minderheit. Deshalb hing der Fort-schritt der USA seit dem Beginn der europäischen Kolonisie-rung Amerikas – von seltenen Ausnahmen wie BenjaminFranklin einmal abgesehen – immer von der geistigen Führungherausragender Persönlichkeiten ab, die zu der am griechisch-klassischen Erbe ausgerichteten Minderheit gehörten. Die mei-sten waren Franzosen, Deutsche und Italiener.

Da ich das Privileg habe, die entsprechenden politisch han-delnden Personen und Entwicklungen sehr genau verfolgen zukönnen, kann ich sagen, daß selbst heute, wo Kontinentaleuro-pa als Folge der politischen Entscheidungen der Anglo-Ameri-kaner 1989-92 praktisch zu einem Vasallen der englischsprachi-gen Oligarchie degradiert wurde, die führenden intellektuellenKreise auf dem europäischen Kontinent, auch wenn sie in ihrenNationen Ausnahmeerscheinungen sind (dies schließt Rußlandmit ein), über höhere geistige Qualitäten verfügen, als man siebei den Amerikanern, selbst bei den moralischsten und verstän-digsten Amerikanern finden kann. Ironischerweise besteht derpolitische Vorteil der Amerikaner – dies gilt selbst für den Typdes amerikanischen „Cowboys“ – in einer strategischen Ent-schlossenheit, wie sie leider von den führenden finanz-oligarchischen Kreisen der Wall Street an den Tag gelegt wird.Dieses nordamerikanische politische Machtverständnis liegt indem Bewußtsein einer relativ überlegenen, den gesamten Glo-bus umfassenden politischen Macht, während die Kontinental-europäer, immer durch zwei Weltkriege und langjährige anglo-amerikanische Besatzung zurückgeschlagen, sich selbst eher alsVasallen einer herrschenden anglo-amerikanischen politischenMacht sehen. Ansonsten sind die Amerikaner, von wenigen Aus-nahmen abgesehen, moralisch und geistig den besten führendenKreisen Europas unterlegen.

Nach dieser Qualifizierung können wir konstatieren, daß dieUSA den größten Teil der letzten 140 Jahre, seit Präsident Lin-colns großem Sieg für die gesamte Zivilisation, als Weltmachtvon keiner anderen Nation übertroffen wurden, außer währendlängerer Unterbrechungen von einer unter Führung des Briti-schen Empires stehenden Kräftekombination. In diesem Sinnewar und ist die innenpolitische Auseinandersetzung in Amerika,

der Kampf, sich von dem verräterischen Einfluß der für das Bri-tische Empire prägenden Tradition der „Aufklärung“ des 18.Jahrhunderts7 zu befreien, stets der große Kampf um die Seeleder USA. Dieser Kampf hat den Gang der Weltgeschichte in denletzten 200 Jahren seit dem Fall der ersten modernen faschisti-schen Tyrannei des Romantikers Napoleon Bonaparte, am ent-scheidendstes geprägt. Wir Amerikaner, dies gilt auch für unse-re sogenannten afro-amerikanischen Landsleute, sind im we-sentlichen Repräsentanten einer globalen europäischen Zivilisa-tion. Amerikaner, die diese Tatsache leugnen, zeichnen sichdurch einen pathologischen Zug im Denken aus.

Und dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß auch wenn diemeisten, selbst anständigen, Amerikaner zu moralischer und in-tellektueller Grobschlächtigkeit neigen, das Amerikanische Sy-stem das beste politische System in der heutigen Welt ist.

Der Begriff „Amerikanisches System“ hat nur eine historischgültige, wissenschaftliche Bedeutung: es ist die Überlegenheitder Ideen von Benjamin Franklin, Alexander Hamilton, Ma-thew Carey, Henry Clay, John Quincy Adams, Friedrich List,Henry C. Carey und Präsident Abraham Lincoln gegenüberdem diametral entgegengesetzten Britischen System von AdamSmith, Jeremy Bentham u.a. Mit der Gründung und ersten Ent-wicklung der Massachusetts Bay Colony unter John Winthropund den beiden Mathers, begann die Entwicklung des Ameri-kanischen Systems der Politischen Ökonomie.

Diese Entwicklung begann in Massachusetts in der Zeit vor1688. Unter Benjamin Franklin und mit Hilfe von FranklinsUnterstützern, zu denen die Nachfolger des Philosophen Gott-fried Wilhelm Leibniz gehörten, wurde sie dann in Europa wei-tergeführt. Das ist das gegen die britische Monarchie gerichteteAmerikanische System, wie es in den drei ersten Absätzen derAmerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Präambelunserer Bundesverfassung festgeschrieben wurde. Es ist Aus-druck einer spezifisch amerikanischen Denktradition, wie sie dieGegner der britischen Monarchie – Präsident Washington, Alex-ander Hamilton, Thomas Paine, Mathew Carey, Henry Clay, Ja-mes Monroe, John Quincy Adams, Franklins Urenkel Alexan-der Dallas Bache, Henry C. Carey, Frederick Douglass und Ab-raham Lincoln auszeichnete. Es ist das Amerikanische System,dessen Erbe Präsident Franklin Delano Roosevelt wiederbelebenwollte. Dasselbe Ziel hatten der ermordete Präsident Kennedyund Reverend Martin Luther King. Das ist die amerikanischegeistige Tradition, wie sie selbst Henry Kissinger, der sich einstals Einflußagent der britischen Monarchie bezeichnete, identifi-ziert hatte.8

Dieses Amerikanische System der politischen Ökonomie, des-sen Grundkonzeption ich mit Hilfe meiner Beiträge zur Ent-wicklung der Wissenschaft der physikalischen Ökonomie aufden neuesten Stand gebracht habe, ist heute Leitbild und welt-weit der beste Ausdruck der europäischen Zivilisation. Der Kon-flikt zwischen dem Amerikanischen System der politischenÖkonomie und dem imperialen Finanzsystem der britischenMonarchie, welches gegenwärtig die gesamte Welt dominiert,definiert alle wichtigen Fragen, die hier betrachtet werden müs-sen. Die große Ironie ist, daß heute ein oligarchisches Wall Stre-

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et-“Establishment“, eine oligarchische Bande von Spekulantenund Finanzhaien, die zur Zeit die amerikanische Regierung kon-trolliert (wofür die New York Times typischer ist als das zuneh-mend einfach nur alberne Wall Street Journal), zu einem Instru-ment der britischen Monarchie gegen das Amerikanische Sy-stem geworden ist. Diese Finanzoligarchie ist hauptverantwort-lich dafür, daß die Moral und Kultur der Amerikaner korrum-piert wurde und daß unsere verfassungsmäßige Republik an dieräuberischen Dogmen von Freihandel und Globalisierung ver-raten wird.

Jeder gebildete Mensch weiß, daß irgendeine andere Auffas-sung über die letzten 2500 Jahre Weltgeschichte nicht der Wahr-heit entspricht. Es sind Ammenmärchen und irrationale Phan-tasiegebilde, mit denen man versucht, die akademisch ungebil-dete öffentliche Meinung zu beeinflussen. Ich werde im folgen-den die von mir genannten Punkte erläutern und wendezunächst meine Aufmerksamkeit auf die von mir o.a. „drei ent-scheidenden Revolutionen.“

PLATON UND DAS CHRISTENTUM

Bei seinen berühmten Jenaer Vorlesungen über die Prinzipiender Geschichte hat der große Dichter und Historiker FriedrichSchiller seine Zuhörer zu Recht eindringlich darauf hingewie-sen, daß man das Wesentliche der europäischen Geschichtenicht verstehen kann, wenn man nicht begriffen hat, daß die eu-ropäische Zivilisation aus der klassischen griechischen Kulturentstand.9 Diese Kultur hat verschiedene wesentliche Elemente– neben den größten Perioden Athens u.a. die Entwicklungen inIonien und Süditalien bis zur Römerzeit –, aber das wichtigsteund kennzeichnendste Charakteristikum dieser Kultur ist die

Veränderung des Menschenbildes, von Homers Epen bis zu Pla-tons Werken und Wirken.

Beim Studium der entsprechenden Werke, angefangen vonder Ilias bis zu den Sokratischen Dialogen und Platons Gesetzen,entdecken wir zwei gigantische Entwicklungssprünge, die denWeg für die einzigartigen Beiträge des klassischen Griechenland,dem Ursprung für die Entwicklung der modernen europäischenZivilisation, ebneten. Am Anfang war der Mensch ein tierähnli-ches Spielzeug der launischen, bösen Götter des Olymp – mitAusnahme von Pallas Athene.10 Später gibt es dann, wie etwavon der Geschichte des Odysseus bis zu Aischylos’ GefesseltemPrometheus eine grundlegende Veränderung. Der Mensch wirdzum Rebell, der sich, wie es in den großen klassischen Tragödi-en gezeigt wurde, gegen die Tyrannei dieser oligarchischen heid-nischen Götter auflehnt. Mit dem Ende der Prometheus-Trilo-gie des Aischylos, beginnt eine zweite grundlegende Verände-rung hin zu einem sokratisch definierten Menschenbild, das sichin den Werken Platons wie z.B. Timaios niederschlägt. DerMensch wird als Ebenbild des Schöpfers, des Komponisten desUniversums (Timaios) gezeigt.

Die Entstehung dieses Begriffes der wahren Natur des Men-schen ist untrennbar verbunden mit dem Konzept der Idee,gemäß der erstmals von Platon entwickelten strengen Definiti-on der Idee der Ideen. Hier liegt der Schlüssel zur Darstellung desZusammenhanges und des qualitativen Unterschiedes zwischender Kultur des antiken Ägypten (wie wir sie heute kennen) undder aus dem klassischen Griechenland entstandenen Kultur dermodernen europäischen Zivilisation. Damit haben wir den er-sten der drei revolutionären Entwicklungsschritte bestimmt– ei-ne Entwicklung aus der Barbarei,ohne den die moderne, welt-umspannende europäische Zivilisation nicht existieren würde.

Ideen gemäß der Definition von Platon sowie der Weiterent-wicklung dieses Begriffs, wie ich ihn vom Standpunkt des Chri-stentums vorgenommen habe, sind zugegebenermaßen nichterst im klassischen Griechenland entstanden. Vielmehr war dasGriechenland, in dem Platon lebte, der erste Ort in der Ge-schichte, wo der Begriff der Idee der Ideen im allgemeinen klar de-finiert wurde. Der Unterschied liegt zwischen der Entdeckungeiniger oder vieler experimentell beweisbarer physikalischerPrinzipien und der Entdeckung des Platonischen Prinzips derUniversalität, das der Physik allgemein zugrundeliegt. PlatonsDialoge Timaios, Kritias und Gesetze sind, wenn man sie auf demHintergrund seiner früheren Werke betrachtet, Markierungenfür diesen Begriff der Idee der schöpferischen Ideen im allgemei-nen.

Typisch für diesen Unterschied ist die Entwicklung der klassi-schen griechischen Skulptur, z.B. unter dem Einfluß derberühmten Meister Scopas und Praxiteles, und die Entwicklungder großen klassischen Tragödien. Ein neuzeitliches Beispiel istJohann Sebastian Bachs wohltemperiertes System der polypho-nen Komposition, auf dessen Grundlage die großen Komposi-tionen von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwigvan Beethoven, Franz Schubert, Felix Mendelssohn-Bartholdy,Robert Schumann, Johannes Brahms und Giuseppe Verdi dasklassische polyphone Erbe weiterentwickelten – ausdrücklich in

Rembrandt: Aristoteles bei der Betrachtung der Büste des Homer.

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Gegnerschaft zu den romantischen Nachfolgern des albernenRameau, wozu vor allem Liszt, Berlioz, Helmholtz und Wag-ner11 gehören. Es ist der Gegensatz zwischen den echten Ideender Klassik und der früheren archaischen Kunst Ägyptens undGriechenlands, die von einer Aura des Todes umgeben ist, wel-cher den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Rich-tungen deutlich macht.12 Typisch sind auch die Werke Leonar-do da Vincis und Raphaels, oder auch Rembrandts berühmteDarstellung der Büste Homers beim Nachsinnen über die see-lenlose blinde Starrheit des Aristoteles.

Tatsächlich ist jede gültige Idee eine experimentell beweisbareEntdeckung eines universellen Prinzips: Es handelt sich entwe-der um ein universelles physikalisches Prinzip oder um die uni-versellen Prinzipien künstlerischer Komposition, die jeder klas-sisch künstlerischen Arbeit zugrundeliegen. Die klassische Kom-position erkennt man an dem qualitativen Gegensatz zu den ex-trem irrationalen Formen wie Romantizismus, Impressionis-mus, Modernismus, Postmodernismus und fast allem, was heu-te von Hollywood etc. als populäre, gewöhnlich bestialisierendeUnterhaltung angeboten wird. Solche Art Unterhaltung orien-tiert sich am Modell der Vergnügungen, wie sie in den Arenendes imperialen heidnischen Rom stattfanden, wo die Römer sichdurch die „frei gewählte“ öffentliche Meinung ihrer Zeit selberden Untergang bereiteten. So läßt sich jede gültige Entdeckungeines universellen physikalischen Prinzips klar als Idee erkennenund von einer bloßen Sinneswahrnehmung oder freien Phanta-sie unterscheiden.

Mit der Idee der Ideen im allgemeinen meine ich beispielswei-se, wie bereits erwähnt, die Wissenschaft der Physik als Ganze,im Gegensatz zu einer Ansammlung nachweisbarer gültiger Ent-deckungen, die noch nicht in ein schlüssiges Gesamtkonzept derPhysik integriert sind.13 Anders ausgedrückt: Der Unterschiedliegt in der Erkenntnis eines Prinzips universeller Wahrheit, wiePlaton es in seinen Dialogen entwickelte. Das schließt auch uni-verselle Prinzipien der klassischen künstlerischen Kompositionein, welche dem sokratischen Standard der agape aus dem 1. Ko-rintherbrief, Kapitel 13 des Paulus genügen.

Wir finden Spuren des Begriffes der Ideen als solcher nicht nurin den Arbeiten eines Zeitgenossen des klassischen Griechen-land, dem großen Sanskrit-Philologen Panini. Auch die Begrif-fe astronomischer Zyklen, die in den Entwürfen der großen Py-ramiden Ägyptens stecken, sind Beispiele für die Art von Ideen,die zu den Vorläufern der modernen Wissenschaft bis heutegehören. Ähnliches gilt für die vedischen Kalender Zentralasiensaus der Zeit von 6000 bis 4000 vor Christus. Vielleicht existier-te schon eine Idee der Ideen wie sie von Platon in seinen Dialo-gen entwickelt wurde, irgendwann im Nebel der Urzeit; wennja, haben wir dafür jedenfalls bis jetzt noch keine Bestätigung.Die heutige offizielle Geschichtsschreibung besitzt keinen strengdefinierten, eindeutigen Nachweis, daß schon in den bekanntenvorklassischen Kulturen vor 6000 Jahren derartige Vorstellun-gen existierten.14

Mit der Idee der Ideen bezeichne ich die klassische griechischeIdee der menschlichen Natur, wie sie in Platons Dialogen undspäter, in der wesentlich weiter entwickelten christlichen Version

dieses klassischen griechischen Konzepts oder auch in der vonMoses Mendelssohn vorgenommenen Bestimmung zum Aus-druck kommt. Damit bezeichne ich auch das spezifische Prinzipklassischer Komposition in Bildender Kunst, Malerei, Poesie,Musik und Drama, welches unsere moderne Zivilisation vonden klassischen griechischen Quellen abgeleitet hat. Implizitund ganz wesentlich sollten wir darunter auch die Idee des Men-schen als lebendiges, schöpferisch denkendes Abbild des Schöpfersunseres Universums verstehen.15 Es ist diese Entdeckung einessokratisch streng definierten Begriffs eines universellen, nicht-aristotelischen Erkenntnisprinzips, welches seinen Ursprung imklassischen Griechenland hat, mit der sich die weltumspannen-de europäische Zivilisation eindeutig definieren läßt. Entdeckenwir nun hierin gemeinsam die Lösung des Rätsels, das ich zu Be-ginn dieses Aufsatzes aufgestellt habe.

Um die Entwicklung dieses Begriffs der Idee nachzuverfolgen,nimmt man als Beispiel am besten das Argument, welches Platonin seinem Staat entwickelt. Dabei sollte man vor allem den Dia-log zwischen Sokrates, Thrasymachos und Glaukon studieren.Die in diesem Dialog aufgeworfenen Probleme sind auch die zen-tralen Probleme der modernen Gesellschaft, insbesondereberühren sie die Fragen der Staatskunst. Das charakteristischeMerkmal dieses Dialogs ist, wie bei allen anderen Dialogen Pla-tons, das Prinzip der Idee der Idee. Die gesamte Entwicklung desklassischen Griechenland von den Gesängen des Homer bis zurklassischen griechischen Kultur, wie sie z.B. die Apostel Johannesund Paulus kannten, wird in diesem Beispiel zusammengefaßt.

Der Begriff von der Idee der Ideen läßt sich auch mit dem Be-griff einer entdeckbaren, universellen Wahrheit, die sich auf denMenschen und die Natur bezieht, ausdrücken. Es ist das Pro-blem, das auch im Zentrum des eigentlichen Disputs zwischenSokrates, Thrasymachos und Glaukon in Platons Dialog steht.Die Art von Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit, die Sokrates’ Ar-gumentation leitet, macht den wesentlichen Unterschied zwi-schen Wissenschaft und Pseudo-Wissenschaft aus und bildet denGegensatz zwischen einem in der Wahrheit gründendem Natur-recht und einem falschen Rechtsbegriff des bloßen Gewohn-heitsrechts oder reinen positiven Rechts, wie ihn heute viele Dok-trinäre vertreten. Was die letzte Kategorie anbetrifft, zähle ich da-zu auch vor allem die üblen Werke von Bertrand Russell, NorbertWieners „Informationstheorie“ und John von Neumanns leblo-se Begriffe „Systemanalyse“ und „künstliche Intelligenz“.

Drei besonders charakteristische und auch mehrfach mitein-ander verknüpfte Begriffe von Platons Gesamtwerk sollten hierverstanden werden. Diese sind: das Prinzip der Wahrhaftigkeitund Gerechtigkeit; das höchste Rechtsprinzip, in dem Sinne,wie Paulus Platons Definition des griechischen Begriffes agapeverwendet; sowie die Idee des Menschen im Sinne der Idee allerIdeen. Gemäß dieser Definition unterscheidet sich der Menschvon allen anderen Lebewesen und dieser Unterschied, das, wasden Menschen als Menschen auszeichnet, ist, daß er Ebenbilddes wirksamen Geistes des Komponisten, des Schöpfers des Uni-versums ist.16

Ich werde auf diesen wichtigen Punkt noch einmal zurück-kommen; zunächst muß ich jedoch den Zusammenhang zwi-

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schen den ersten beiden der drei erwähnten aufeinanderfolgen-den Revolutionen näher erläutern.

Alexander der Große errang seine genialen Siege mit Hilfe derSchüler Platons, die sich als Gegner von Alexanders Feind Ari-stoteles verstanden. Durch die Ermordung Alexanders wurdedie Saat der Selbstzerstörung gelegt und das von Alexander ent-worfene Grand Design zerstört. Die klassische griechische Kul-tur der vorrömischen Zeit, die sogenannte hellenistische Peri-ode, war zwar im gesamten Mittelmeerraum bis zur Renaissanceim 15. Jahrhundert die weitestentwickelte Kultur, sie enthieltaber einen tödlichen Fehler – dasselbe Paradox, das sich auch inder Geschichte der USA zeigt. Das klassische Erbe war zwar dasgrößte Erbe seiner Zeit. Aber es beherbergte nach der Ermor-dung Alexanders einen Parasiten, sozusagen einen Feind auf ei-genen Territorium – ähnlich unseren Sklavenhaltern und derWall Street-Bande. Dadurch wurde die hellenistische Kulturverwundbar und konnte von dem durch und durch bösen„Neuen Babylon“, dem sogenannten Römischen Reich, erobertwerden.

Dadurch entstand etwa ab der Zeit, als die Römer Archime-des ermordeten und etwas später auch einer der größten Wis-senschaftler der damaligen Zeit, Archimedes’ Briefpartner Era-tosthenes, starb, der delphische Kult des pythischen Apollo. AlsNachhall des antiken delphischen Sparta und des alten Babylonentstand mit Rom ein imperiales Neues Babylon, von den Chri-sten manchmal „Die Große Hure Babylon“ genannt. Diesesheidnische Rom stieg dann zur beherrschenden Macht imganzen Mittelmeerraum auf. Zwei Jahrhunderte lang, von derZeit des Mordes an Archimedes bis zur Geburt Jesu Christi,siechte das klassische Erbe dahin. Dann kam die Zeit, als Chri-stus und seine Apostel das klassische griechische Erbe transfor-mierten – ähnlich dem Paulus, der die Frage nach dem „unbe-kannten Gott“ stellte.

Für die Juden, die bereits den Kampf gegen die Tyrannei Romsund dessen „Quisling-artige“ jüdische Marionettenregierungführten, war der Beginn des Christentums eine Revolution, ei-ne Erlösung der menschlichen Natur, so wie sie im ersten Kapi-tel des Ersten Buchs Moses definiert wurde. Bei Moses bestehtdie Universalität von Mann und Frau darin, daß beide als Eben-bild des Schöpfers erschaffen wurden und die Macht und denAuftrag erhielten, sich das Universum untertan zu machen. Die-se Macht ist nichts anderes als die nicht-deduktive Fähigkeit desMenschen zur Erkenntnis, also die anti-deduktive Macht derVernunft, die nur dem menschlichen Individuum eigen ist – unddie der Immanuel Kant der Kritiken so haßte. Mit Hilfe der Er-kenntnis ist die Menschheit in der Lage, experimentell nach-weisbare, gültige universelle physikalische Prinzipien zu ent-decken und anzuwenden und dadurch die Macht des Menschenim und über das Universum zu erhöhen.

Das auf diese Weise erlöste mosaische Menschenbild fand sei-nen praktischen Ausdruck in der großen und einzigartigen Mis-sion der christlichen Apostel. Der Kern dieser Mission bestanddarin, daß alle Menschen erlöst werden, wobei jeder Mensch alseinzigartiges schöpferisches Wesen verstanden wird; jederMensch ist ein Ebenbild des Schöpfers, des Komponisten des

Universums, wie Platon dies als wißbares Konzept (in seinemTimaios) definiert hatte.

Kein Volk sollte mehr – wie es bei den Juden zur Zeit vor Chri-sti Geburt der Fall gewesen war – gegenüber anderen Völkernabsolut bevorzugt sein, sondern jeder Teil der Menschheit ist da-zu verpflichtet, dem Gemeinwohl der gesamten Menschheit, derUniversalität der gesamten Menschheit, der menschlichen Gat-tung, als Ausdruck des Ebenbilds des Schöpfers, zu dienen. Eswar eine Alternative zu dem Übel, welches Rom und den Feh-lern der damals vorherrschenden jüdischen Weltanschauung in-newohnte. Mit seiner Mission für die ganze Menschheit hat dasChristentum die Menschheit vor dem Untergang gerettet, deruns mit dem Erbe des „Neuen Babylon“, des Römischen Reichs,ereilt hätte.17

DAS MYSTERIUM CHRISTI

Wie soll der Historiker und Stratege von heute angesichts derpolitischen Ähnlichkeiten funktionell zwischen Platons Sokratesund Christus unterscheiden? Inwieweit wird das Wirken und dieKreuzigung Christi von der Person des Sokrates vorweggenom-men – der ja auch, durch die bösartige und verräterische Demo-kratische Partei Athens gezwungen, für die Sache der Wahrheitstarb –, und wo sind die Unterschiede? Warum muß ich im fol-genden darauf bestehen, daß das Christentum, das die Traditiondes klassischen Griechenland übernahm und bewahrt hat, alseine revolutionäre, göttliche Intervention zu verstehen ist, diesich sogar von den besten der früheren Beiträge Platons u.a. un-terscheidet?

Zunächst muß man festhalten, daß eine große Leistung vonChristus und seinen Aposteln darin bestand, daß sie PlatonsBeiträge in einer Zeit am Leben erhielten, als das RömischeReich diese Beiträge unterdrückt oder begraben hatte. Nur derlange Kampf des Christentums, u.a. unter Augustinus, ermög-lichte es, daß Platons Werk zum wesentlichen Merkmal der po-litischen Revolution der Renaissance des 15. Jahrhunderts wer-den konnte. Aber auch wenn sich Platons Methode insbesonde-re im Johannesevangelium und den Paulusbriefen wiederfindetund im Laufe der letzten 2000 Jahre bis heute einen unerläßli-chen, integralen Bestandteil der angemessenen Methode desChristentums und seiner Theologie bildete, gibt es immer nocheinen entscheidenden funktionellen Unterschied zwischen bei-den, der für die ganze Welt politische Konsequenzen hat.

Wie schon die frühen Kirchenväter und später die westlicheAugustinus-Tradition betonten, steckt der entscheidende Un-terschied in einer einzigen Formel des christlichen Glaubensbe-kenntnisses: „und dem Sohn“.18

Die entscheidende Frage lautet: „Wenn Jesus zur Zeit derHerrschaft des Kaisers Augustus geboren wurde, warum hat derJünger Johannes die Existenz Christi von Ewigkeit her festge-legt“? Genau hier liegt die Verbindung zwischen der Kreuzigungund dem Wesen des Christentums. Dieses Konzept wäre Platonund seiner z.B. im Timaios dargelegten Methode axiomatischzulässigerweise nicht fremd gewesen, aber Ursprung und Stand-ort dieses Konzepts ist und bleibt das Christentum.

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Das wiederum wirft die Frage auf: Was ist die wesentliche,notwendige Bedeutung der Kreuzigung, die das Christentum zueiner so mächtigen Idee der Ideen macht? Darin liegt das Myste-rium Christi. Es ist kein Geheimnis in dem Sinne, daß es der Ver-nunft unerklärlich wäre – sondern ein Geheimnis im Sinne ei-nes grundlegenden ontologischen Paradoxons, das nur unterEinsatz unserer schöpferischen Erkenntniskraft verstehbar ge-macht werden kann. Zusammen mit den Errungenschaften, diewir der klassischen griechischen Kultur Platons zuschreibenmüssen, ist dies so beschriebene Geheimnis die Quelle derFähigkeit zur Lösung des Paradoxons, welches mit der Definiti-on des Moses von der menschlichen Natur gestellt wurde.

Die Tatsache des Mysteriums impliziert nicht, daß es inhärentunverstehbar ist. Ohne diese besondere Qualität des Christen-tums, wie ich zeigen werde, hätte es keine der positiven Ent-wicklungen gegeben, die zur Renaissance im 15. Jahrhunderthinführten. Wenn wir alles zusammennehmen, was wir von derklassischen griechischen Kultur, z.B. von Platon, ableiten kön-nen, so reicht dies dennoch nicht aus, um die Renaissance unddie Entstehung der modernen, weltumspannenden europäischenZivilisation zu erklären. Es gibt ein besonderes, wirksam überle-genes Konzept, welches in der scheinbar rein historischen Tatsa-che der Existenz Jesu Christi enthalten ist. Dieses universellePrinzip hängt zusammen mit einem ontologischen Paradoxon.

Nur mit Hilfe dieses Paradoxons versteht man die charakteri-stischen Eigenschaften der drei revolutionären Entwicklungs-schritte, von denen die europäische Zivilisation und ihre Ent-wicklung abhängen. Das Mysterium Christi ist der zentrale Aus-druck dieser Entwicklung. Dies Paradoxon möchte ich nun suk-zessiv erläutern.

In erster Annäherung liegt der Unterschied in der persönli-chen Beziehung des gekreuzigten Christus zu den ärmsten undam meisten unterdrückten Opfern der römischen und andererbösartigen Tyranneien. Die persönliche Verbindung eines sol-chen unterdrückten Menschen – selbst im Tode – zur Person desgekreuzigten Christus erzeugte den entscheidenden Funken,brachte jene zwingende Leidenschaft (Passion) hervor, welchezur Grundlage wurde für alle Errungenschaften der weltum-spannenden europäischen Zivilisation: der Fortschritt dieser Zi-vilisation wurde in sehr großem Maße mit dem Blut von Mär-tyrern errungen.

Dies deutet bereits auf ein noch tieferliegendes Prinzip hin.Das entscheidende Konzept, die Idee der Ideen, die diesen Be-zug nachvollziehbar macht, ist die Idee der Gleichzeitigkeit derEwigkeit. In diesem Begriff liegt der Schlüssel zum Verständnis dergroßen Metapher des historischen Mysteriums Christi.

Leider wird sich eine solche Äußerung über die Gleichzeitig-keit der Ewigkeit für die vielen akademisch gebildeten Analpha-beten sehr seltsam anhören. Es wäre aber falsch, deshalb dieFormulierung abzulehnen – der Fehler liegt vielmehr darin, daßdie heute verbreitete Unwissenheit die Menschen blind macht.Zu den Opfern jenes Mangels an Vernunft muß man alle zählen,die sich als Materialisten verstehen, als Empiristen, Kartesianer,Kantianer, Existentialisten (wie die faschistischen BewundererNietzsches und seines Nachfolgers Heidegger sowie anarchoide

Linke wie Adorno, Hannah Arendt und Heideggers NachfolgerJean-Paul Sartre) und moderne Positivisten und Strukturalisten.Die Idee, die solche Analphabeten aufgrund ihrer sinnlichenWahrnehmung unfähig sind zu erfassen, ist keine Einbildung,sondern eine Vision: sie ist, wie ich viele Male schriftlich undmündlich erläutert habe, eine elementare, experimentell beweis-bare physikalische Tatsache. Diese Tatsache hat dieselbe Qualitätwie eine experimentell bewiesene Entdeckung eines universellenphysikalischen Prinzips.

Es sind vielmehr die Materialisten, Empiristen und ihre Gei-stesverwandten, die der eitlen Selbsttäuschung zum Trotz, in ei-ner nichtexistenten Welt der reinen Einbildung leben. Nurwenn Sie – persönlich – diese Idee begreifen, können Sie dasPrinzip verstehen, mit dessen Hilfe unsere stark bedrohte Zivilisati-on vor dem Untergang, den sie sich zur Zeit selbst bereitet, bewahrtwerden kann.

Diese Vision hat nichts mit Zauberei, mit irgendwelchen hell-seherischen Kräften oder ähnlichen Dingen zu tun. Alles läßtsich aus der Sicht gültiger physikalischer Wissenschaft eindeutigbeweisen. Das Problem der heutigen Gesellschaft besteht darin,daß die meisten Menschen schrecklich unwissend sind, geradeweil sie jener abergläubischen Spezies angehören, die an der be-stialisierenden Illusion leidet, physikalisch sei gleichbedeutendmit Sinneseindrücken. Die Aufgabe besteht also darin, hieb-und stichfest zu beweisen, daß diese Menschen, auch berühmtePhysik-Professoren, in diesem Punkt einer schweren Selbsttäu-schung unterliegen.

Wir müssen den eindeutigen Beweis erbringen, daß das My-sterium von Christus, wie es am Anfang des Johannesevangeli-ums beschrieben wird, nicht eine Frage des blinden Glaubensist, sondern eine für die Vernunft intelligible Tatsache. Sie ist da-her für jeden Menschen – ob Christ oder nicht –, wenn er sichnicht der Vernunft hysterisch verweigert, wißbar. Man kann dieverblendeten Opfer der Unvernunft auch als Menschen be-schreiben, die so leidenschaftlich von der tierischen Seite ihrersinnlichen Natur besessen sind, daß sie einfach nicht von der Il-lusion ablassen wollen, das Bild, das sie im Zerrspiegel der Sin-neseindrücke sehen, sei das gleiche wie das Objekt, das der Spie-gel nur unvollkommen und unvollständig wiedergibt.

In einer solchen Vision Christi gibt es keinen Hokuspokus,keinen blinden Glauben. Was es allerdings gibt, ist die Verwir-rung, die gewöhnlich bei den „Analphabeten“ ausbricht. Derar-tige Probleme der Unwissenheit sind gewöhnlich die Ursacheder geistigen Verwirrung, die viele dieser Menschen zu höchstsalbungsvollen Äußerungen bewegt, die nur solange plausibelerschienen, solange die Köpfe von Lehrer und Schüler gleicher-maßen verwirrt sind.

Wie ich zeigen werde, handelt es sich um ein Konzept, das festauf den Prinzipien ruht, die der Physik zugrundeliegen. Eskönnte auch gar nicht anders sein.

ÖKONOMIE UND THEOLOGIE

Es ist kein bloßer Zufall, daß dieser Begriff der Gleichzeitigkeitder Ewigkeit die interessanteste, wichtigste und ertragreichste

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Idee in der gesamten Physik ist. (Dort erscheint sie heute amhäufigsten in ihrer Reflexion als Relativität der Zeit.) Die Grund-lagen der Definition dieses Paradoxons habe ich in früheren Ver-öffentlichungen dargestellt, wo ich die Tatsache unterstrichenhabe, daß man drei unterschiedliche, wenn auch vielfach mit-einander verknüpfte Qualitäten universeller physikalischer Prin-zipien in Rechnung stellen muß: nichtlebende Prozesse, leben-de Prozesse und Erkenntnisprozesse. So reicht es an dieser Stel-le aus, die bereits in meinen früheren Publikationen entwickel-ten Argumente lediglich kurz zusammenzufassen. Dies hilft mirauch, die Aufmerksamkeit des Lesers auf das entscheidendeMerkmal des grundlegenden Paradoxons, des Mysterium Christi,zu konzentrieren, da es den Kern des gesamten in diesem Auf-satz behandelten Problems bildet.

Ich fasse also die physikalisch-wissen-schaftliche Basis des Arguments zusammenund stelle damit den Kern des Argumentsbezüglich der Frage des Christentums in denRahmen einer nachweisbar wißbaren underfahrbaren Wirklichkeit.

Wie ich in allen meinen veröffentlichtenSchriften und Vorlesungen über die Leib-nizsche Wissenschaft der physikalischenWirtschaft betont habe, ist die wichtigsteund unverzichtbare Voraussetzung für jedekompetente Vorstellung über moderneÖkonomie die Erkenntnis, daß die nach-weisbare Zunahme der Macht der Mensch-heit über das Universum einzig und alleinaus der Zusammenarbeit der Gesellschaftbei der Anwendung experimentell nach-prüfbarer Entdeckungen universeller physi-kalischer Prinzipien resultiert. Bei dem experimentellen Nach-weis der neuentdeckten universellen physikalischen Prinzipienentstehen als Nebenprodukte entsprechende Technologien, unddadurch erhöht sich die potentielle relative Bevölkerungsdichteder Menschheit, gemessen pro Kopf und pro km2 Erdoberflä-che.

In meinen Schriften und Vorlesungen habe ich gezeigt, daßdie Erzeugung solcher grundlegender Entdeckungen nicht mitHilfe deduktiver Methoden erfolgen kann, sondern nur durcheinen nicht-deduktiven schöpferischen Erkenntnisprozeß – wo-hingegen z.B. Immanuel Kant die Existenz derartiger wißbarerschöpferischer Erkenntnisprozesse geleugnet hat. Angeregt wer-den diese Entdeckungen durch ontologische Paradoxa im Sinnevon Platons Methode, die nicht durch deduktive Methoden auf-gelöst werden können, sondern nur mit Hilfe einer Methode,welche Platon als Prinzip der höheren Hypothese bezeichnet.

Das ist dieselbe Methode, die Kardinal Nikolaus von Kues alsdocta ignorantia (belehrte Unwissenheit) bezeichnete und dieLeonardo da Vinci von Kues’ Schriften übernahm; die MethodeKeplers, Leibniz u.a. Indem anderen Menschen die Erfahrungder ursprünglichen Entdeckung mitgeteilt wird – indem mandas ontologische Paradoxon und den experimentellen Nachweisvermittelt – wird diese Entdeckung zum praktischen Wissen: das

Gegenteil von bloßer gelernter „Information“. Auf dieselbe Art,und nur auf diese Art, ist ein physikalisches Prinzip überhauptwißbar.

Mit genau diesem Typus von Erkenntnisprozessen beschäfti-gen sich Platons Dialoge. Derselbe Typus liegt auch allen gelun-genen Kompositionen klassischer Kunstwerke zugrunde. Bei-spielhaft dafür ist die Methode des wohltemperierten Kontra-punkts, die Johann Sebastian Bach entwickelte, wie man in sei-nen Werken Das Musikalische Opfer und Die Kunst der Fuge se-hen kann. Die Gegner von Bachs polyphoner Kompositionsme-thode, Romantiker vom Schlage des trivialen Rameau und derSchwindler Helmholtz, sind typisch für künstlerische (und wis-senschaftliche) Inkompetenz in dieser Frage. Deshalb bilden die

geschichtlichen Epochen, in denen dieseklassischen Methoden in Wissenschaft undkünstlerischer Komposition und Aufführunggegenüber sogenannten populären und ande-ren Alternativen vorherrschen, die großenaufstrebenden Perioden im gesamten Verlaufder weltumspannenden europäischen Zivili-sation seit der Zeit des klassischen Griechen-land. Der relativ größte Fortschritt dermenschlichen Lebensbedingungen findet inEpochen statt, in denen die kognitive Bil-dung und die klassische Form der Erziehung,der wissenschaftlichen Praxis, der Komposi-tion und Wiedergabe von Kunst vorherr-schend ist.

Dagegen treibt die Gesellschaft in Zeiten,in denen die klassische künstlerische Kom-position nicht mehr populär ist, so wie esheute in den USA der Fall ist, tendenziell in

die größten kulturellen und moralischen Katastrophen.Denn die geistige Aktivität, die für die erfolgreiche Erzeugung

und Vermittlung einer gültigen Entdeckung eines universellenphysikalischen Prinzips notwendig ist, ist dieselbe Art geistigerAktivität – kognitive Aktivität –, die man auch in der klassischenkünstlerischen Komposition und Darbietung findet. Der Unter-schied zwischen beiden ist, daß sich die Physik mit dem Anstieg derMacht des Menschen im und über das Universum pro Kopf undkm2 beschäftigt, während sich die klassische Kompositionskunstmit den Möglichkeiten menschlicher Beziehungen im kogniti-ven Bereich der schöpferischen Vernunft befaßt, die eine Erfor-schung und Anwendung gültiger universeller physikalischerPrinzipien ermöglichen. Wie der englische Dichter Shelley inseinem Aufsatz A Defence of Poetry (Die Verteidigung der Poesie)über die Einheit dieser beiden Erfahrungen schreibt, wächst zubestimmten Zeiten unsere Fähigkeit, profunde und leiden-schaftliche Konzepte über beides, Mensch und Natur, mitzutei-len und aufzunehmen.

Blicken Sie von Riemanns Habilitationsschrift aus dem Jahr1854 zurück zu Platon. Konzentrieren Sie sich dabei auf den Be-griff des ontologischen Paradoxons, das zum Ausgangspunktwird für eine von der schöpferischen Vernunft erzeugte, gültigeEntdeckung eines universellen physikalischen Prinzips. Verglei-

Percy Busshe Shelley (1792-1822)

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chen Sie den Fall einer von einem einzelnen, isolierten ontolo-gischen Paradoxon herrührenden Entwicklung mit dem alterna-tiven Fall – wie etwa in der Riemannschen Hypergeometrie dar-gelegt–, daß alle potentiell wohldefinierten Paradoxa schon alsErkenntnispotential in dem Wissen der Mannigfaltigkeit ent-halten sind.19

Nehmen Sie als Beispiel Fresnels entscheidendes Experiment,mit dem dieser Newtons Lehre von der Ausbreitung des Lichtswiderlegte und betrachten es in Verbindung mit Wilhelm We-bers experimentellem Nachweis der Gültigkeit von Ampèreswinkelabhängiger Kraft [in Ampères Gesetz zur Kraftwirkungzweier Ströme], das den neo-Newtonschen Schwindel vonGraßmann, Maxwell u.a. in diesem Punkt widerlegte. Diese bei-den Konzepte, das von Fresnel und Arago über die Lichtaus-breitung und das von Ampère-Weber über den Elektromagne-tismus, bildeten nicht nur bezüglich Ursprung und Resultat ei-ne Einheit; sie gingen auch – wie bei der intensiven Zusam-menarbeit zwischen Fresnel, Ampère und Arago – aus der an-fänglichen grundsätzlichen Erkenntnis hervor, daß das empiri-stische Dogma von Sarpi, Newton, Leonhard Euler u.a. alsGanzes falsch war.20

Ein typisches Kennzeichen für die produktivsten Trends deswissenschaftlichen und technischen Fortschritts in der moder-nen europäischen Kultur ist Riemanns Habilitationsschrift undderen Implikation. Erst wenn man die gesamte Wissenschaft derPhysik als einheitliche, sich entfaltende Mannigfaltigkeit be-trachtet, wie das Kues und Leonardo da Vinci vor Kepler, Leib-niz, Gauß und Riemann getan haben, wird der wissenschaftli-che Fortschritt nicht als scheinbar zufällige Lösungen isolierterParadoxa gesehen, sondern muß von der Ebene eines allgemei-nen, konzeptionell wohlkonzentrierten Angriffs auf die Grenzender existierenden Wissenschaft insgesamt betrachtet werden.

Diese eben zusammengefaßten Erwägungen bringen uns di-rekt zu der zentralen Frage, die sich mit dem Begriff Gleichzei-tigkeit des Ewigen stellt. Das wiederum macht das Konzept desMysterium Christi einsichtig für die individuellen Erkenntnis-prozesse.

Es gibt drei entscheidende, mehrfach miteinander verbunde-ne Ideen, die in diesem Zusammenhang beachtet werden müs-sen:

Erstens: Wenn die funktionelle Beziehung zwischen Menschund Universum im Bereich der schöpferischen Vernunft ange-siedelt ist und nicht in der einfachen Sinneserfahrung, welcheForm und Qualität hat dann das bewußte, willentliche Handelndes Menschen, welche die funktionelle Beziehung des Menschenzum Universum definiert?

Zweitens: Da ein solches Handeln nur aufgrund eines souver-änen kognitiven Denkprozesses im Individuum erzeugt wird –eine Tatsache, welche sich nicht mit der sinnlichen Erfahrungnachvollziehen läßt –, und da der einzelne Mensch sterblich ist,welche Beziehung besteht dann zwischen der sterblichen Exi-stenz des Individuums zu dem Universum, in dem sich die Wir-kung eines solchen kognitiven Handelns entfaltet?

Drittens: Welches Verhältnis besteht angesichts dieser beidenVoraussetzungen zwischen der Existenz des sterblichen Indivi-

duums und dessen kognitiven Handlungen und der Existenz dergesamten Menschheit im Universum? Zusammengefaßt liegt indieser dritten Beobachtung, und in nichts weniger, der Begriffvon der Idee der Idee der menschlichen Natur.

Die erste dieser drei Ideen ist Hinweis für einen grundlegen-den qualitativen Unterschied, wie er zwischen der gewöhnlichenvulgären Vorstellung eines Universums besteht, das nur als Re-flexion der Sinneswahrnehmung verstanden wird, und der Vor-stellung eines vom Menschen erfahrenen Universums, in wel-chem der Mensch aufgrund seiner besonderen Art des Handelnsdie potentielle relative Bevölkerungsdichte der Menschheit oderauch nur die einer spezifischen menschlichen Kultur erhöht.21

Das ist die erste konzeptionelle Hürde, die der Lernende über-winden muß, um die eigentliche Bedeutung von physikalischerWissenschaft und Technik zu begreifen.

Als Definition charakteristisch menschlichen Handelns be-trachte man einzig und allein das Handeln, durch das die poten-tielle relative Bevölkerungsdichte der Menschheit erhöht wird. Folg-lich entspricht einem solchen Handeln nur die Art des Denkens,welche gültige Entdeckungen universeller physikalischer Prinzi-pien hervorbringt (und sie z.B. von einem Schüler nachvollzie-hen läßt). Schematisch läßt sich dieser Prozeß beispielsweise an-hand einer Reihe entsprechend geordneter Riemannscher Man-nigfaltigkeiten (d.h. n, n+1, n+2...) darstellen. Dieses Bild bringtdas Handeln, welches der aufsteigenden Ordnung dieser Reihevon Entdeckungen physikalischer Prinzipien entspricht, inÜbereinstimmung mit dem was Riemann, darin Leibniz undGauss folgend, als Veränderungen in der charakteristischenKrümmung der physikalischen Raumzeit beim Übergang voneiner Mannigfaltigkeit zur nächsthöheren definierte.

Folgen wir diesem Gedankengang, so haben wir die Wissen-schaft von der Fessel der einfachen Sinneswahrnehmung befreit.Statt der naiven Torheit, die Wirklichkeit als „Elfenbeinturm“-Philosophie der Sinneswahrnehmung anzusehen, haben wirjetzt über die entsprechenden experimentellen Methoden einendirekten Bezug zwischen dem kognitiven Handeln des indivi-duellen Geistes und den praktischen Auswirkungen des Han-delns, wie z.B. der Hand, die von der Erkenntniskraft dieses Gei-stes geführt und kontrolliert wird. Diese Beziehung zwischendem Handeln des schöpferischen Geistes und den Veränderun-gen, die durch das Handeln der von diesem Geist kontrolliertenHand hervorgerufen werden, wird damit zu der einzig akzep-tablen Definition vom physikalischen Wissen. Das ist Heraklits„alles fließt“, oder „nichts bleibt, außer der Veränderung“, wiePlaton dies paradoxe ontologische Prinzip erläuterte.

Wir betrachten unser Handeln also nicht mehr als kongruentmit einer apriorischen Art von Sinneswahrnehmung oder dersog. „Euklidschen“ physikalischen Raumzeit von Empirikernwie Galilei, sondern definieren es in den kognitiven Begriffen,die ich gerade zusammenfassend beschrieben habe. Anstelle desvulgären Aberglaubens einer „Wirkung in die Ferne“ (z.B. in der„Euklidschen“ Raumzeit) benutzen wir den Leibnizschen Be-griff eines Prinzips universeller kleinster Wirkung. Diese Art Han-deln entspricht also der charakteristischen Krümmung der phy-sikalischen Raumzeit, die mit dem in ihr stattfindenden Han-

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deln verbunden ist. Die Zunahme der potentiellen relativen Be-völkerungsdichte liefert die geeignete Meßlatte, den Rahmen, indem diese „Krümmung“ definiert wird.

Dieses letztere Merkmal definiert sich in erster Annäherungim Riemannschen Sinne als Zusammenhang zwischen dem ko-gnitiven Geisteszustand und der wirksamen Veränderung – derVeränderung der bisher existierenden Richtungen der Veränderung–, die von der durch das schöpferische Denken geleiteten Handbewirkt wurde.

Wenn wir dann eine so definierte physikalische Handlungmessen - in Begriffen, die der Vorstellung der potentiellen rela-tiven Bevölkerungsdichte entsprechen –, haben wir in grobenZügen ein Bild von dem ersten der drei oben angegebenen viel-fach-verknüpften Prinzipien (Ideen).22

Da solch ein erfolgreiches Handeln der menschlichen Gattungvon dem Zusammenwirken der Gesellschaft beim Übermittelnsolcher Ideen in die gesellschaftlichen Praxis abhängt, äußertsich die unmittelbare physikalische Beziehung des individuellenGeistes zum gesamten Universum so, wie ich es mit dem zwei-ten der drei angegebenen Prinzipien gezeigt habe. Aus dieserSicht wird bereits klar, daß der Mensch nur über die kognitiv be-stimmten, sozialen Beziehungen, durch die solche Ideen – inForm des Nachvollziehens ihrer Entdeckung – weitervermitteltwerden, das Universum wirksam verändern kann. Und genaudabei spielt die klassische Kunst und Kultur in der Gesellschafteine entscheidende prägende Rolle.

In diesem Zusammenhang möchte ich einen entscheidendenPunkt hervorheben. Die korrupte, eigentlich heruntergekom-mene Vorstellung von Kunst als „bloßer Unterhaltung“ oder„reiner Fiktion“ ist völlig lächerlich. Wenn Kompositionen undAufführungen hauptsächlich „unterhalten“ sollen, ist entwederdas Werk oder die Aufführung, zumindest aber die Auffassungdes Publikums nicht künstlerisch. Klassische Kompositionensind das geeignetste Mittel zur Erziehung der menschlichen See-le – Schillers Tragödien Wallenstein und Don Carlos z.B. hebendie Geschichte von der Ebene der Faktenaufzählung, bloßerRechtfertigung oder leerer Phantasie hinauf zu der Ebene, wo esdarum geht, Schauspieler und Zuhörer mit einem Sinn für dieWahrheit des auf der Bühne dargestellten historischen Themaszu erfüllen.

Erzeugt nicht beispielsweise eine Aufführung von Bachs Jo-hannespassion oder Matthäuspassion bei den Zuhörern das Ge-fühl, als würden sie unmittelbar an diesen Momenten im LebenChristi teilnehmen? Oder nehmen wir das in der Bachschen Tra-dition komponierte Requiem von Wolfgang Amadeus Mozartoder, aus derselben Tradition entstanden, Beethovens Missa So-lemnis (von der ich allerdings bis heute noch nie eine Interpr-etation gehört habe, die dem Werk insgesamt wirklich gerechtwurde). Die Komponisten und Interpreten wahrer klassischerKunst haben immer das Ziel, Künstlern und Zuhörern einen lei-denschaftlichen Sinn für Wahrhaftigkeit zu vermitteln, wie ersich nur durch das Medium der klassischen Komposition ver-mitteln läßt. Auch die besten Interpretationen der sogenanntenNegro-Spirituals – Dvorák und Burleigh folgten bei ihren Bear-beitungen der Spirituals den Vorstellungen Johannes Brahms’

über die Vervollkommnung von Volksmusik – drücken dasselbeuniverselle Prinzip klassischer Kunst aus.

Da die Entwicklung von Sprachen zur immer besseren Ver-mittlung schöpferischer Gedanken genauso wesentlich ist wiedas Nachvollziehen früher angesammelter Entdeckungen physi-kalischer Prinzipien, tritt jeder von uns heute Lebenden schonallein dadurch, daß er eine solche Sprache verwendet, in Ver-bindung mit dem langen Prozeß ihrer Entstehung und Ent-wicklung. Allerdings müssen wir, um uns auf die Bedeutung die-ser scheinbar selbstverständlichen Tatsache zu einigen, erst klar-machen, was eine gesunde Entwicklung des Gebrauchs einerSprache bedeutet.

Dazu müssen wir die heute übliche akademische Tendenz auf-geben, in der gesprochenen und geschriebenen Sprache eine„Eins-zu-eins-Übereinstimmung“ (von Wort und Bedeutung)im Sinne einer rein deduktiven, mehr oder weniger behaviori-stischen Mathematik zu sehen – rein deduktiven, symbolischenStrukturen, denen dann, je nachdem, noch gewisse Farben, so-genannte Gefühle, hinzugefügt werden oder nicht. Das Wesenaller auf die schöpferische Erkenntnis bezogenen Formen vonKommunikation ist das Prinzip der klassischen Metapher. Dereindeutige Beweis sind alle gelungenen klassischen Kompositio-nen. In Begriffen der Schulmathematik unterscheidet sich dieMetapher von einem rein deduktiven Sprachgebrauch in Formder Analysis Situs, wie Leibniz es bezeichnete, was Riemann spä-ter mehr oder weniger übernahm.23

Annäherungsweise kann man sagen, eine Metapher ist einebewußte „Lücke“, ein scheinbares Paradoxon, das sich nicht mitdeduktiven Argumenten überbrücken läßt. Nach der modernenStandarddefinition für den englischen Sprachgebrauch von Wil-liam Empson ist darunter die relative absolute Form literarischerIronie zu verstehen.24 In allen Fällen, die Empson vorstellt, istdas Prinzip der Analysis Situs entweder explizit oder in Annähe-rung vorhanden. Der Symbolismus ist die niedrigste Form derIronie und am ehesten von allen falsch und erniedrigend. DieMetapher ist die vollkommenste und wichtigste Form der Ironie– also Analysis Situs –, auf die man sich bei der Vermittlunggrundlegender Ideen, wie die Entdeckung universeller Prinzipi-en, notwendigerweise stützen muß.

Zu dem Grade, wie wir als Kinder und Heranwachsende undauch noch später schöpferisch ausgebildet wurden, verkörpertalso jeder von uns eine entsprechende Masse kognitiver, nach-vollzogener Erfahrungen und Paradoxa, die wir von früherenGenerationen erworben haben. Da der kognitive Akt der An-eignung dieses kombinierten Wissens und Vorwissens in unse-ren völlig souveränen geistigen Prozessen stattfindet, ist jedervon uns, zumindest potentiell, ein notwendiges Bindeglied beider Weitergabe dieses Wissens von unseren Vorfahren an unsereNachkommen. Die gesellschaftlichen Handlungen, die sich alsPotential oder Praxis von dieser so übermittelten und erzeugtenMasse kognitiven Wissens ableiten, sind das Mittel, mit dem dieMenschheit so auf das Universum einwirkt, daß die potentiellerelative Bevölkerungsdichte unserer Gattung ansteigt. Da dasindividuelle schöpferische Handeln, von dem diese Übermitt-lung abhängt, ein ontologisch souveränes schöpferisches Han-

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deln jedes Einzelnen ist, bildet jedes in dieser Weise tätige Indivi-duum ein permanentes – d.h. unsterbliches – Glied in der Kette dermenschlichen Entwicklung, das sich dann entweder im Himmeloder in der Hölle wiederfindet.

Betrachten Sie deshalb das Universum auf eine andere Weise.In erster Annäherung kann man sich die menschliche Existenz

als Ganze – als Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – kon-zeptionell als einen permanenten ontologischen Prozeß ständi-ger Veränderung vorstellen, definiert in Begriffen eines univer-sellen Prinzips wirkender schöpferischer Erkenntnis. Man kannes so auffassen, als sei die ganze Ewigkeit nur ein Augenblick.Aber innerhalb dieses ewigen Augenblicks herrscht ein Ord-nungsprinzip, die Ordnung des Davor und Danach, die durchdas schöpferische Handeln (kognitive Aktion) definiert ist. Zeitund Raum im Sinne der „Euklidschen“ Raumzeit verschwinden,es bleiben nur noch die Hinterlassenschaften des schöpferischenHandelns, eine Ordnung des Davor und Danach innerhalb derin sich kognitiv geordneten Gleichzeitigkeit des Ewigen. DasHandeln wird bewahrt, wo Zeit und Raum nur relativ bleiben.

Daher müssen wir das folgende, entscheidende ontologischeParadoxon auflösen. Laut Johannesevangelium existierte JesusChristus, der vor etwas mehr als 2000 Jahren geboren wurde, zu-sammen mit Gott, dem Vater, schon am Anbeginn der Zeit undwohnte in dem Augenblick, der Ewigkeit genannt und durch dieschöpferische Vernunft definiert wird. Dies Paradoxon weist un-mittelbar auf die Wahrheit, die dem Geheimnis des Christen-tums zugrundeliegt. Dies definiert auch die Natur des Chri-stentums und enthüllt weit grundlegender als jemals zuvor diewahre Natur des Menschen.

Zugegeben, wir dürfen nicht erwarten, daß von den gläubigenChristen bisher mehr als nur einige wenige diese Ordnung soaufgefaßt haben, wie ich es eben dargestellt habe. Dennoch istfür jeden Christen (d.h. Menschen, die wesentlich in der leben-digen und wirksamen Beziehung des sterblichen Einzelmen-schen zum lebendigen gekreuzigten Christus existieren) genaueine solche implizite, persönliche Beziehung wesentlich. DasBild, das ich auf diese Weise gezeichnet habe, ist keineswegsPhantasie. Was ich beschrieben habe, ist die beweisbare physi-kalische Wirklichkeit eines Universums, das gemäß der Kogni-tion (d.h. der Vernunft) einem höchstem Ordnungsprinzip ent-spricht. Der wissenschaftliche Beweis dieser Tatsache ist ele-mentar; ich habe ihn schon früher vielfach dargelegt.

Vor diesem Hintergrund müssen wir deshalb noch das fol-gende zusätzliche Paradoxon betrachten: das Paradoxon derSchöpfung im allgemeinen.

Wenn die Menschheit auf der Grundlage eines entdecktenuniversellen physikalischen Prinzips handelt, dann befolgt dasUniversum die von der menschlichen Kognition ausgehendenAnweisungen. Die Macht des Menschen im und über das Uni-versum nimmt zu. Es scheint, als sei das Universum von vorn-herein dazu angelegt, nur Anweisungen (Befehlen) zu folgen –wie vorhergeplant: als sei es von seinem Komponisten so kompo-niert, wie Platon behauptete. Der wissenschaftliche Fortschritt ist– wenn man ihn in den Kategorien der potentiellen, relativenBevölkerungsdichte vom Standpunkt der physikalischen Wirt-

schaftswissenschaft mißt – das „große Experiment“, ohne dasdie Wissenschaft keine Autorität beanspruchen könnte.

In solch einem Handeln beweist also die Menschheit an denFrüchten der individuellen schöpferischen Erkenntnis, daß sieals Ebenbild des Schöpfers des Universums geschaffen ist.

Was ich hiermit beschrieben habe, ist ein Bild des wirklichenUniversums. Es ist gegen die kindische Annahme gerichtet, wel-che die Wirklichkeit als Sinneswahrnehmung und als hedonisti-sche Reaktion auf die Objekte der Sinneswahrnehmung ver-steht. Hier auch liegt der qualitative Unterschied zwischen demDenken eines moralischen Vertreters der menschlichen Gattungund den verschiedenen moralisch infantilen Typen, zu denenz.B. ein Gouverneur Bush oder Vizepräsident Gore gehören. Al-lerdings könnte es sein, daß der geübte Geist eines Wissen-schaftlers, wenn er auch in der Lage sein sollte, den soeben vonmir beschriebenen axiomatischen Unterschied zu begreifen, die-sen Unterschied noch nicht „fühlt“, bevor er die Sache einenentscheidenden Schritt weitergetrieben hat.

Es ist eine weitverbreitete Unsitte unter vermeintlich gutaus-gebildeten Naturwissenschaftlern – heute weit mehr als bei de-nen, die in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen gebo-ren wurden –, daß sie aufhören schöpferisch zu denken, sobaldsie ihr Experimentallabor verlassen, um einen Gedankengang ander Tafel zu demonstrieren. Konfrontiert man einen solchenMenschen dann mit einem entscheidenden Paradoxon, be-kommt man im günstigsten Fall zur Antwort: „Ich verstehe, wasSie meinen“ – aber dieses Eingeständnis ist im wesentlichen ei-ne akademische Formalität, es steckt kein wirklicher Erkenntnis-akt dahinter. Es bleibt mehr oder weniger eine akademische For-malität. Der Physiker „fühlt“ die Tatsache nicht, die er erkannthat – ihm fehlt in eben dem Grade die kognitive Leidenschaft.25

An dieser Stelle ist es wesentlich, noch einmal einen oben er-wähnten Punkt zu unterstreichen: zwar läßt sich die Wirkungder Beziehung der Menschheit zum physikalischen Universumin Werten pro Kopf und pro km2 potentieller relativer Bevölke-rungsdichte messen, aber die Handlung, die diesen Fortschrittmotiviert und vollendet, liegt nicht in diesem Bereich, sondernnur im kognitiven Aspekt der sozialen Beziehungen. Nur dortkann man den fraglichen moralischen Unterschied „fühlen“.Anderswo kann man z.B. Ärger fühlen, aber nicht die besonde-re Motivation (Passion), die mit dem kognitiven Willen zumHandeln verbunden ist.

Die Erfahrung, dies zu „fühlen“, macht man im Bereich derklassischen Kunst. Denn dort erheben wir uns über den ab-strakten individuellen Denker, der in den Kategorien entdeck-ter universeller physikalischer Prinzipien handelt; wir verlassenden Bereich bloßer Schattenwesen, wo Menschen durch deduk-tive Logik zu bloßen abstrakten Objekten erniedrigt sind, undbetreten das Gebiet, wo der Mensch wirklich Mensch ist. In derKunst erfahren wir die Leidenschaft, welche uns bei dem Ver-such, das Universum besser zu beherrschen, zur Zusammenar-beit anregt. So handelt der Christ nicht wegen der wissenschaft-lichen Idee von Christus, sondern weil er Christus liebt, im Sin-ne der Agape (Nächstenliebe) wie sie Platon und Paulus definie-ren, oder wie es der große Johannes Brahms in seinen Vier ern-

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sten Gesängen, besonders im Schlußteil dieser Komposition, ver-mitteln wollte. Aus Liebe sind wahre Helden und Märtyrer be-reit zu sterben, wie Schillers Johanna von Orleans dies in demletzten Augenblick ihres Lebens zeigt. Diese unerläßliche Qua-lität der Leidenschaft wird in der großen klassischen Kunstgeübt und gestärkt.

Es ist genau diese Leidenschaft (Passion), die wir in unserenMitmenschen wachrufen müssen, damit sie die nötige Ent-schlossenheit aufbringen, unsere Zivilisation von dem schreck-lichen Fluch, der gegenwärtig auf der Welt lastet, zu befreien.Die Lehren, die angewandt wurden, um die Goldene Renais-sance – und mit ihr die Geburt der modernen Experimental-wissenschaften – herbeizuführen, waren keine bloßen Forma-litäten, sondern sie waren erfüllt von großer und tiefer Leiden-schaft. Obwohl nur wenige außergewöhnliche Men-schen die eben von mir geschilderten Höhen kogni-tiver Hingabe erklimmen können, zeigt die Ge-schichte des Christentums der letzten 2000 Jahre,daß es jenes Gefühl einer persönlichen Beziehungzum lebenden Christus am Kreuze war, welches dereuropäischen Zivilisation den Grad von (zugegebenunvollendeter) Leidenschaft zur Wahrheit gegebenhat, die wesentlich war, um die Zivilisation auf dasNiveau der Renaissance des 15. Jahrhunderts und desseither errungenen Fortschritts der menschlichenLebensbedingungen zu bringen.

In Wirklichkeit ist jeder Christ, der so handelt,durch das Gefühl einer lebendigen persönlichen Be-ziehung zum lebenden Christus motiviert. Daß diesbedeutet, daß Christus heute in der Gleichzeitigkeitder Ewigkeit lebt, mag vielleicht über den Verstanddieses Menschen hinausgehen; aber die Leidenschaft(Passion) seiner Beziehung zum lebendigen Christusist auch dann wirksam, wenn dieser Christ Schwie-rigkeiten hätte, diese Beziehung zu erklären. EinMensch kann ja auch völlig zu Recht und leidenschaftlich dar-auf bestehen, daß er existiert und lebt, auch wenn er den wis-senschaftlichen Beweis dieser Tatsache zu dem Zeitpunkt nichtin allen Einzelheiten verstehen kann.

Davon ausgehend beobachten wir anhand der Höhen undTiefen der Entwicklung der europäischen Zivilisation, wie Zei-ten moralischer Selbstzufriedenheit unsere Mitbürger moralischund intellektuell sorglos machen – wie sich einst der alternde So-lon über seine Athener beklagte. Allerdings sehen wir auch, daßmanchmal die Gefahr oder das tatsächliche Eintreten schreckli-cher Leiden in Menschen den Willen wachruft, viel, ja sogar ihrLeben zu riskieren, um die Zivilisation vor dem Absturz zu be-wahren und zu ihrem Fortschritt beizutragen. Woher nehmensie die Kraft, so zu handeln, woher kommt die notwendige Pas-sion – die deutsche Militärwissenschaft nennt es Entschlossenheit– mit der sie sich entschlossen einsetzen, um zu verhindern, daßdurch menschliche Torheit die Zivilisation in ein dunkles Zeit-alter hinabgleitet?

Wie oft sagen die Leute: „Ich verstehe, was Sie meinen. Viel-leicht haben Sie recht, aber ich muß mich anpassen...“. So und

nicht anders zerstört die Mehrheit der Amerikaner heute die Zu-kunft der amerikanischen Nation. Das trifft z.B. auf diejenigenzu, die argumentieren: „Trotz allem muß ich praktisch denken.Ich muß mich jetzt für Gore einsetzen, auch wenn ich mir da-bei ständig die Nase zuhalten muß.“ Solche Bürger wollen zwarnichts Böses, aber sie bewirken wie Shakespeares Hamlet Böses,wenn ihnen die Leidenschaft fehlt, ihre Nation und sich selbstvor der so deutlich heraufziehenden Gefahr zu bewahren. Ihnenfehlt die Art von Leidenschaft, welche kennzeichnend war für je-ne herausragenden Persönlichkeiten Europas, welche im 15.Jahrhundert aus den Trümmern des Finsteren Zeitalters des 14.Jahrhunderts eine großartige Renaissance schufen.

Gerade in diesem aktuellen Kontext sollten wir uns das Bildvon Christus im Garten Gethsemane aus dem Neuen Testament

wachrufen. Für die Christen ist seit fast 2000 Jahren die Naturihrer persönlichen Beziehung zu Jesus Christus am besten in denStellen des Neuen Testaments über die Passion Christi im Gar-ten Gethsemane zusammengefaßt. Die wichtigste Stelle findetsich im Johannesevangelium, Kapitel 12, 23-40, das sich aufMatthäus 17, 21-23 bezieht. Die Auslegung dieser Stellen derbeiden Evangelien bildete für Johann Sebastian Bach die Grund-lage seiner wunderbaren Gottesdienste, die wir Johannespassionund Matthäuspassion nennen.

Hören Sie diese Passionen so, wie sie unter Bachs Leitung auf-geführt worden wären. Versetzen Sie sich in die Lage der dama-ligen Gemeinde in der Kirche, wo Bach dirigierte. Hören Sie dieKomposition so, wie Bach sie aufgeführt haben wollte: nicht zurbloßen Unterhaltung der Zuhörer, sondern als einen großen so-kratischen musikalischen Dialog zwischen dem Komponisten,den Solisten, dem Chor und der versammelten Gemeinde. Hier,in der auf diese Weise nacherlebten Passion Christi, spiegelt sichdie ureigenste Leidenschaft des Christentums, welche dieGrundlage und wirksame Motivation für alle wesentlichen Er-rungenschaften der modernen europäischen Zivilisation bildete.

Christus und die Ehebrecherin. 1565. Die von Pharisäern Angeklagte stellt der Maler Bruegel in die Bildmitte.

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Denken Sie, die Erinnerung der von Ihnen erlebten PassionBachs im Geist bewahrend, an die Christen, die in Neros Arenaunter der grölenden Menge der vox populi sterben mußten.Fühlen Sie die Leidenschaft, die die Idee des Christentums vorden tödlichen Faustschlägen moderner doktrinärer Pedantenund überschwenglicher Kanzelpornographen geschützt hat. Eswar Leidenschaft, welche den Christen jene Entschlossenheitgab, ohne die es weder die Renaissance des 15. Jahrhundertsnoch den damit in Gang gesetzten Aufschwung der modernenExperimentalwissenschaften, noch alle anderen Errungenschaf-ten der modernen europäischen Zivilisation gegeben hätte.

Wenn wir die langen Wellen und kürzeren Intervalle morali-schen und intellektuellen Niedergangs in den USA in der Zeitseit der Ermordung Präsident McKinleys (1901) und den Ab-sturz in den moralischen und geistigen Sumpf in den letzten 30Jahren genauer studieren, erkennen wir, daß der größte Schadendurch sogenannte Unterhaltungskultur entstanden ist.

Typisches Kennzeichen dieses Niedergangs sind der Einflußunmoralischer Menschen wie Bertrand Russell, sind die Exi-stentialisten der „Frankfurter Schule“ um Theodor Adorno,Hannah Arendt usw., die denselben existentialistischen Stand-punkt vertraten wie Arendts Busenfreund Martin Heidegger, einNazi und Anhänger des satanischen Nietzsche. Das entschei-dende war, daß sie die Existenz der Wahrheit leugneten. Ihreleichtgläubigen Opfer trieben sie dadurch in die Flucht, in dieUnmoral und den Pragmatismus der mit bloßer Sinneswahr-nehmung verbundenen Leidenschaften. Die Folge war, daß diemoderne europäische Zivilisation damit erneut zum Erbe desheidnischen Rom wurde. Dies ist der Feind, der uns von innenbedroht.

So wurde auch die christliche Zivilisation bis vor rund 35 Jah-ren hauptsächlich auf zwei Ebenen korrumpiert. Die eine war,allgemein ausgedrückt, die infantile moralische und geistige Ar-mut des Volkes und seiner Kultur. Die zweite war die Rolle dereinflußreichen oligarchischen Familien, die die breite Bevölke-rung mit Hilfe vulgärer Unterhaltung bestialisch erniedrigten,um sie zu beherrschen. Dem Modell der heidnischen Oligarchieim alten Rom folgend, verwandelten sie die Menschen, die un-ter ihnen wie menschliches Vieh lebten, in vergnügungssüchti-ge Betrachter degradierender „Unterhaltung“ im Stile von„Hollywood“ und Sportgroßveranstaltungen und den Zirkus-spielen im alten Rom. Das wichtigste Instrument, um Korrup-tion – z.B. in Form des modernen Existentialismus – in diechristlichen Kirchen hineinzutragen, war der Einfluß der Simo-nie – unter anderem durch „Spenden zu wohltätigen Zwecken“– der wohlhabenden, oligarchisch eingestellten Finanzkreise.Dieses Phänomen wurde besonders deutlich seit der Mitte der60er Jahre.

Wenn die Armen sich nicht aufraffen, ihre eigene Sache zuvertreten, dann werden die Reichen die Seelen der Armen undUnterdrückten für wenig Geld kaufen.

Im Verlauf der letzten dreieinhalb Jahrzehnte, seit der Kuba-Krise von 1962 und der Ermordung von Präsident John F. Ken-nedy, sank die Moral der allgemeinen Bevölkerung auf ein Ni-veau, wie es für die Zeit während des Dreißigjährigen Krieges

von 1618-48 typisch war oder wie es der berüchtigten Unmoralvon Bevölkerung und Herrschern im England Walpoles ent-sprach. Mit der neuen Welle kulturellen Niedergangs, welchedie USA nach dem Tod von Franklin D. Roosevelt und beson-ders dramatisch seit der Ermordung Präsident John F. Kennedysüberrollte, hat Amerika den Rubikon überschritten: Bestandfrüher „nur“ das Risiko einer neuen Großen Depression, so be-steht jetzt, wegen der Kultur die Wahrscheinlichkeit für einenAbsturz in ein neues finsteres Zeitalter. Das deutlichste Sym-ptom für den Einfluß der Gegenkultur in der Nach-Kennedy-Ära ist, daß diese in ziemlich starkem Ausmaß auch Kirchenübernommen oder einfach die Kirchenbänke leergefegt hat.

Das 20. Jahrhundert wurde zu einem Alptraum. Die morali-sche Leidenschaft, die mit der klassischen Kunst verbunden war,ging verloren und im neu entstandenen Vakuum traten Pedan-terie und Hedonismus an ihre Stelle. Die Kombination von ra-dikalem Positivismus und einem ausgesprochen satanischen Exi-stentialismus wie bei Adorno, Arendt, Heidegger, dessen „Klon“Jean Paul-Sartre sowie Sartres satanischem „Klon“ Frantz Fanon,ist Ausdruck für das wahrhaft Böse, das in den letzten 35 JahrenUrsache war für den inneren Zerfallsprozeß der europäischenZivilisation, welcher auch nicht Halt machte vor Kirchen undSynagogen.

Unmittelbar nach dem Tod des „Solon des 20. Jahrhunderts“,wie man Franklin Delano Roosevelt nennen könnte, setzte beiden Bürgern der USA ein ziemlich rascher moralischer Ver-fallsprozeß ein – wie ihn einst Solon in seinem Gedicht an dieBürger Athens beschrieb, die er Jahre zuvor zur Rettung geführthatte und deren spätere Dekadenz er in diesem Werk beschrieb.Der moralische Verfall der amerikanischen Mittelschicht in den50er Jahren spiegelte sich in den pragmatischen Mythen vomOrganization Man (dem „Macher“) und vom angeblich besserenJob im „weißen Kragen“, bei dem man sich nicht die Händeschmutzig machen muß. Dies wiederum förderte den Ausbruchvölliger moralischer Indifferenz in der Rock-Drogen-Sex-Ge-genkultur in der Nach-Kennedy-Ära. Radikal wurden willkür-lich gesetzte Werte und bloße Meinungen gegen jede drohendeEinschränkung durch die Wahrheit verteidigt. Ohne leiden-schaftliche Liebe zur Wahrheit wird wohl kaum etwas die Ver-dammten aus dem todgeweihten Sodom und Gomorrha her-auslocken. Und selbst die enthusiastischsten christlichenHeuchler unserer Zeit sind um keinen Deut besser – es ist nichtdie Heilung ihrer Seelen oder ihrer Zivilisation, was diese kor-rupten Hedonisten in der Kirche von Gott erflehen, sondern dieSicherung ihrer Bankkonten und ihrer persönlichen Vergnü-gungen.

Damit habe ich zusammenfassend dargestellt, wie das Myste-rium Christi einzuordnen und zu verstehen ist – nicht nur fürChristen, sondern auch im Kontext des großen Dialogs der Kul-turen, wie ihn der ehrenwerte Präsident des Iran beschriebenhat.

DIE GOLDENE RENAISSANCE

Die Renaissance des 15. Jahrhunderts war die Geburtsstundeder modernen europäischen Zivilisation. Sie ist Ausdruck für die

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edelsten Kräften, die seither auf dem Schlachtfeld dieser Zivili-sation gekämpft haben. In der modernen europäischen Zivilisa-tion des letzten halben Jahrtausends gibt es nichts, das wirklichwichtig und dabei gut und neu war, was sich nicht von dieser Re-naissance ableitete. Alles wirklich Wichtige, was im späterenVerlauf der europäischen Zivilisation den Errungenschaften derauf dem klassischen griechischen Erbe aufbauenden christlichenKultur feindlich gegenüberstand, läßt sich dagegen ohne Über-treibung als Teufelswerk bezeichnen.

Um zu begreifen, unter welchen Bedingungen diese Erneue-rung des Christentums im 15. Jahrhundert in Europa stattfand,müssen wir auf die Zeit des Hohenstaufenkaisers Friedrich II.zurückblicken und in diesem Licht den anschließenden Verfallder europäischen Zivilisation unter den von Venedig gelenkten,oligarchischen Kriegen der Welfenliga untersuchen. Die we-sentliche Motivation hinter diesenKriegen war, das globalisierte Feudal-system zu erhalten – gegen Friedrichvon Hohenstaufen, aber auch schonvon Anfang an gegen den Umbruch,der sich im damaligen Europa von derÄra der großen Kathedralenbauer –die Kathedrale von Chartres ist Aus-druck für den Augustinischen Geist –bis zu Alkuin und Karl dem Großenzurückverfolgen läßt.26

In den hundert Jahren, welche demdeutschen Sieg über die Mongolen1241 bei Wahlstatt folgten, bis zurPestepidemie in Westeuropa hattesich durch die verbrecherische Politikder Welfenliga die Zahl der Ge-samtbevölkerung ungefähr halbiert.Diese etwas mehr als hundert Jahrevom Beginn der Welfenkriege bis zumdarauffolgenden neuen finsterenZeitalter in der Mitte des 14. Jahr-hunderts zeigen, aus welcher morali-schen und physischen Selbsterniedri-gung die Renaissance des 15. Jahr-hunderts Europa heraushob.

Die Politik der Welfenliga entsprach exakt den Methoden, mitdenen Venedig seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts versuchte,die Errungenschaften der Goldenen Renaissance wieder zunich-te zu machen.

Für den Höhepunkt dieser Renaissance stehen das Florenzvon Cosimo de Medici, George Gemmistos (Plethon) und Fi-lippo Brunelleschi, das große ökumenische Florentiner Konzil(1439), der Einfluß des Kardinals Nikolaus von Kues und dieGründung des modernen souveränen Nationalstaates, erst inFrankreich unter Ludwig dem XI. und danach in England un-ter Heinrich VII. Das Bündnis von Leonardos Freunden in Ita-lien und Frankreich, die Entdeckung Amerikas 1492, sowie dieZusammenarbeit zwischen Spanien und England während derHerrschaft von Königin Isabella und Heinrich VII. zeigen stell-

vertretend, was für eine nutzbringende neue Ordnung sich imZuge dieser Renaissance entwickelte.

Nachdem die gegen Venedig gerichtete Liga von Cambrai ver-raten und besiegt worden war und Spanien sich auf die Seite derFeinde der Renaissance geschlagen hatte, begann Venedig einelange Gegenoffensive: es schuf die große Kirchenspaltung, hetz-te England und Spanien gegeneinander auf, half in Frankreichmit Heinrich II. einer völlig korrupten Regierung an die Machtund stürzte ganz Europa in einem Religionskrieg, der fast dasganze finstere Zeitalter von 1513 bis 1648, von Venedigs Erfolggegen die Liga von Cambrai bis zum Westfälischen Frieden an-dauerte. Die brutalen Kriege, die Venedigs Finanzoligarchie indieser Zeit inszenierte, richteten sich gegen die Renaissance imallgemeinen und gegen die Institution des modernen souverä-nen Nationalstaats im besonderen.

Auf diese Weise wurde nach derNiederlage der Liga von Cambrainicht nur das Bündnis zwischenFrankreich, Spanien und Englandaufgelöst, sondern es tobte ein end-loser Krieg, der praktisch von denReligionskriegen zu Beginn des 16.Jahrhunderts bis zum Ende des Spa-nischen Erbfolgekriegs 1714 fast diegesamte europäische Geschichte be-stimmte. Noch heute leidet Europaan den langfristigen Folgen des Ver-rats, der Venedig den Sieg über dieLiga von Cambrai ermöglichte.

Es gibt keine Entschuldigung fürdie Politik der Welfenliga oder fürdie späteren Religionskriege, die Eu-ropa von 1618 bis 1648 verwüsteten,oder für die Verbrecher, die Wallen-stein daran hinderten, diesen unge-rechten Krieg durch ein Friedensab-kommen zu beenden. Es gibt keineRechtfertigung für die Feinde desHohenstauferkaisers Friedrich II.,für den spanischen Kaiser Philipp II.

und die anderen, die den Krieg gegen die Niederlande führten,oder für die spätere Intervention des spanischen Herrscherhau-ses gegen Wallensteins Bemühungen um Beendigung der sinn-losen Schlächterei. Diese Zeit von 1513 bis 1648 wurde zuRecht als „kleines finsteres Zeitalter“ beschrieben – eine Periodegekennzeichnet durch venezianisch gesteuerte Religionskriege,deren Motive mit denen der von Venedig in früherer Zeit ge-lenkten Welfenliga praktisch identisch waren.

Bei Torheiten wie diesen – ein aktuelleres Beispiel ist der lan-ge Krieg der USA in Indochina – beweist immer das Endergeb-nis schlüssig das Verbrecherische an der Tat und an der Politik,die zu ihr führte. In den erwähnten Fällen ist der spätere Versuchdie Verlängerung des Kriegeszu rechtfertigen, vielleicht sogar einnoch größeres Verbrechen – mit Folgen bis heute – als der lan-ge Krieg selbst. Ein ungerechter Krieg ist schon schlimm genug,

Zug der drei Weisen aus dem Morgenland, ganz links Melchior.Detail aus einem Fresko von Benozzo Gozzoli.

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aber die Rechtfertigungen, wie z.B. die Hobbessche Doktrin vonden permanenten „Kabinettskriegen“, welche heutzutage ver-wirrte und dekadente, britisch beeinflußte Offiziere in Amerikaund andere infiziert hat, belasten die Zukunft mit einem eben-so oder noch schlimmeren Übel als die Vergangenheit und dieGegenwart. In der menschlichen Geschichte gehören derartigeRechtfertigungen immer wieder zu den Dogmen, die dieMenschheit in finstere Zeitalter stürzen.

Im Zuge der über hundert Jahre währenden Politik der vonVenedig gesteuerten Welfenliga wurde die europäische Zivilisa-tion nicht nur ausgezehrt, sondern auch durch die Siege derWelfen so weit moralisch und demographisch ruiniert, daß dieMoral und die physischen Lebensbedingungen in Europa auf ei-nen Tiefstand sanken. Dafür kann es keine moralisch oder theo-logisch akzeptable Rechtfertigung geben. Tatsächlich konnte esbeim 30jährigen Krieg keine andere Lösung geben als die, dieschließlich beim Westfälischen Frieden 1648 akzeptiert wurde:„reinen Tisch“ zu machen, alles von allen Seiten begangene Un-recht und die anderen Narrheiten zu vergeben und zu vergessen.Dasselbe gilt für die verkommene Kumpanei jenes seltsamenDuos von Englands neo-thatcheristischem Tony Blair und derselbsternannten H.G. Wells-Anhängerin und US-Außenmini-sterin Albright, die den sogenannten NATO-Krieg gegen Jugo-slawien, aber auch die Bombenangriffe gegen den Irak angezet-telt und bis heute fortgeführt haben.

Glücklicherweise tauchten vor einem ähnlich gefährlichenHintergrund gegen Ende des 14. Jahrhunderts in Europa neueKräfte auf, u.a. im von der Pest verseuchten Florenz, das vorhereine Bastion der dem Untergang geweihten Lombard-Bankiersdes frühen 14. Jahrhunderts gewesen war: eine neue Bewegung,welche die selbstverschuldete Schwäche Venedigs und seinerVerbündeten ausnutzte, um einen Prozeß in Gang zu setzen, ausdem die Goldene Renaissance hervorging.

Am besten versteht man die Ereignisse anhand der Konti-nuität von Dante Alighieri über Petrarca bis zur Renaissance.Entscheidend ist das Werk Dantes, weil es das Fundament dafürlegte, daß die verschiedenen Volkssprachen und -kulturen insKlassische transformiert wurden, sowie die Gründung eines Sy-stems souveräner Nationalstaaten bzw. Republiken, die demsel-ben Geist entsprangen, aus dem heraus Dante die Umgangs-sprachen auf eine Vernunft angemessene Qualität anhob.

Der Kulturschock des neuen finsteren Zeitalters und damitverbunden die Diskreditierung der Politik der Welfenliga eröff-nete den Organisatoren der Goldenen Renaissance die Gelegen-heit zum Organisieren. Ein Beispiel waren die Aktivitäten desbedeutenden Lehrordens der Brüder des Gemeinsamen Lebensund die Wiedergeburt der griechischen Klassik in Padua zu Be-ginn des 15. Jahrhunderts. Aus dieser Renaissance der griechi-schen Klassik gingen die führenden intellektuellen Kräfte derRenaissance hervor, wie z.B. Kardinal Nikolaus von Kues undseine Freunde, während mit der Unterrichtsmethode der Brüderdes Gemeinsamen Lebens des Thomas von Kempen viele der be-deutendsten Köpfe der Renaissance, die das Format eines Niko-laus von Kues oder Erasmus von Rotterdam hatten, ausgebildetwurden.

Das Wesen der Renaissance wird an zwei Werken des jungenCusaners deutlich: Seine Concordantia Catholica legte dieGrundlage für die Konzeption des neuzeitlichen souveränen Na-tionalstaats, und mit De Docta Ignorantia (Über die belehrteUnwissenheit) begründete er die moderne Experimentalwissen-schaft. Zusammen mit dem ökumenischen Konzil von Florenz,an dessen Zustandekommen Kues erheblichen Anteil hatte,kommt in diesen beiden Werke das Wesen dieser Renaissancezum Ausdruck. Das erstgenannte Werk, die Concordantia Catho-lica, lieferte die Gedanken, mit deren Hilfe in jenem Jahrhun-dert die ersten beiden modernen Nationalstaaten errichtet wur-den. Das zweite, De Docta Ignorantia, begründete die moderneExperimentalphysik Leonardo da Vincis, Johannes Keplers,Gottfried Wilhelm Leibniz, Carl Gauß und Bernhard Rie-manns. Es sind diese beiden neuen Errungenschaften – die Er-richtung des modernen souveränen Nationalstaats auf derGrundlage des klassischen griechischen Prinzips künstlerischerKomposition und die Förderung des wissenschaftsgetriebenenAnstiegs der produktiven Arbeitskraft pro Kopf und km2, wel-che das Wesentliche der revolutionären Erfolge der moderneneuropäischen Zivilisation ausmachen.

Umgekehrt kam es hauptsächlich deshalb zu der heutigen Spi-rale realwirtschaftlichen Zusammenbruchs in Europa undNord- und Südamerika, weil in den letzten Jahrzehnten unterdem zersetzenden Einfluß der z.B. von Al Gore propagiertenpro-heidnischen Kulte „Globalisierung“ und „Umweltschutz“das funktionelle Zusammenwirken dieser beiden Prinzipien auf-gegeben wurde.

Die Kolonisierung Amerikas, die Entwicklung der modernenWissenschaften durch die aufeinanderfolgenden Werke LucaPaciolis, Leonardo da Vincis und Johannes Keplers und die vonLeonardo und seinen Nachfolgern eingeleitete Revolution in derklassischen Kunst sind ebenso typisch für diese Renaissance wiedie aufeinanderfolgenden politischen Revolutionen von Frank-reichs Ludwig XI. und Englands Heinrich VII., die zur Errich-tung der ersten Formen des modernen souveränen National-staats führten.

Die Väter der Renaissance hatten eine Leidenschaft für dieWahrheit und für das Wissen, das man braucht, um einen Wegzur Verwirklichung der Wahrheit zu finden. Die Anführer dervon Venedig gesteuerten Gegenrenaissance im 16. Jahrhundertbetrachteten jedes öffentlich sichtbare Streben nach Wahrheit alsBedrohung des finanzoligarchischen Systems und ihrer feudal-aristokratischen Förderer und Geldgeber. Diese korrupten Fein-de der Renaissance erfanden zahlreiche Sophistereien in Formvon Halbwahrheiten, ausgemachten Lügen, Methoden terrori-stischer Unterdrückung und deduktiven Fälschungen – heutesagt man „Meinung“ oder englisch spin –, um die politischen undreligiösen Theorien zu entwickeln, die zu den verheerenden Re-ligionskriegen des finsteren Zeitalters von 1513 bis 1648 führten.

Ansonsten habe ich, nachdem hiermit die relevanten ge-schichtlichen Zusammenhänge aufgezeigt sind, in den letzten30 Jahren derart viel und oft über die Goldene Renaissance ge-schrieben, daß ich es nicht als notwendig erachte, hier noch ein-mal die wichtigen Elemente dieses Prozesses in allen Einzelhei-

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ten zu erläutern. Ich werde mich daher darauf beschränken, aufeinige wenige Höhepunkte hinzuweisen.

Das wichtigste institutionelle Merkmal der Goldenen Renais-sance ist, daß sie die größte politische Revolution in derMenschheitsgeschichte einleitete, nämlich die Einführung desPrinzips der modernen europäischen Form des souveränenNationalstaats.

Diese Renaissance ist, wenn man sie als das Modell einer poli-tischen Revolution und in all ihren charakteristischen Merkma-len betrachtet, die dritte große revolutionäre Entwicklung in derGeschichte der weltumspannenden europäischen Zivilisation.Zum ersten Mal in der bisher bekannten Menschheitsgeschichte wur-de die gesamte Bevölkerung einer Nation aus einem Zustand, wo dieMenschen wie Vieh lebten, befreit und auf einen politischen Zustanderhoben, welcher im Grundsatz, wenn auch nicht immer in der Pra-xis, dem christlichen Prinzip entspricht, wonach alle Menschen glei-chermaßen als Ebenbild des Schöpfers geschaffen sind und die wirk-same Förderung des Allgemeinwohls jedes einzelnen dieser Menschensowie seiner Nachkommen die alleinige Grundlage für die Legiti-mität einer Regierung darstellt. Aus diesem Grund bildet der in derRenaissance entwickelte Begriff eines vollkommen souveränenNationalstaats seither stets die Trennungslinie zwischen Gut undBöse, innerhalb der Kirchen wie auch außerhalb.

Ohne die revolutionäre Veränderung im religiösen Glauben,die von Jesus Christus vollzogen und von den christlichen Apo-steln und Märtyrern verbreitet wurde, wäre die Errichtung dermodernen souveränen Form des Nationalstaates nicht möglichgewesen. Die dem Christentum innewohnende Leidenschaft(Passion) war der entscheidende Impuls für die Renaissance.

Es waren hauptsächlich drei miteinander zusammenhängendeElemente, welche die Renaissance möglich machten.

Erstens: Die alte, zusammengebrochene Ordnung war diskre-ditiert, in derselben Art wie auch heute sehr bald das System von„Freihandel“ und „Globalisierung“ weltweit nur noch Haß undAbscheu hervorrufen wird.

Zweitens: Es existierte der Kern einer neuen Führung, die esvermochte, in einer Renaissance, welche auf dem christlichenErbe der griechischen Klassik aufbaute, eine wachsende Zahlvon Menschen zu inspirieren.

Drittens: Was die großen Köpfe der Renaissance auszeichne-te, war ihre Liebe zur schöpferischen Vernunft, die sie der steri-len deduktiven Methode vorzogen; Kardinal Nikolaus von Kuesist typisch für all jene, die so durch schöpferische Arbeit ange-regt und auf ihre Rolle vorbereitet waren.

Für unsere Zwecke reicht es aus, wenn wir die Diskussion überdie Renaissance auf diese drei Elemente beschränken.

Um die Ursprünge der Renaissance richtig zu beurteilen, müs-sen wir bedenken, welcher Fluch auf der mittelalterlichen undmodernen europäischen Zivilisation lastete und noch heute la-stet: das Erbe des Römischen Reiches mit seiner bestialischenDoktrin der „Stimme des Volkes“, vox populi (z.B. „öffentlicheMeinung“, „korrektes Verhalten“, „populärer Geschmack“, „po-puläre Mode“, „populäre Unterhaltung“). Ein bösartiges heid-nisches, lateinischsprachiges Erbe, wie es der hl. Augustinus tref-fend beschrieben hat.

In der Geschichte des europäischen Feudalismus zeigte sichdas Erbe des imperialen Rom vor allem in der Form des Bevöl-kerungsnullwachstums, wie sie im Kodex des Diokletian festge-legt worden war. Dieselbe Politik wurde von den byzantinischenFeinden Alkuins und Karls des Großen umgesetzt.27 Trotz derPolitik Karls des Großen und Nachfolgern, wie Kaiser FriedrichII., die sich von diesem Erbe zu lösen suchten, ist bis auf denheutigen Tag die feudale Auffassung von „Rechtsstaatlichkeit“geblieben: sie findet ihre Reflexion in der oligarchischen Un-moral des diskreditierten republikanischen Abgeordneten Hen-ry Hyde, in der Magna Charta, in der Herrschaft des Feudal-rechts – der Herrschaft der Globalisierung, die sämtlich in derTradition des imperialen Rechts stehen, entsprechend derRechtspraxis im alten Babylon und unter Kaiser Diokletian.Wollen wir verhindern, daß die Welt in ein Finsteres Zeitalterstürzt, so müssen wir alles tun, um jene falsche Vorstellung voneinem axiomatisch irrationalen „Recht“ zu beseitigen.

Wie der Lebenslauf des Abaelard von Paris zeigt, lief der poli-tische Versuch zur Errichtung einer neuen Gesellschaft, welchesich auf dem Prinzip des Menschen als Ebenbild des Schöpfersgründete, insbesondere über die Erziehung: dies betraf vor allemdie Erziehung von Waisen und Kindern aus Familien der unte-ren sozialen Schichten, besonders den Knaben in den Städten.

Wenn Nationen ihre Regierung an dem Naturrecht ausrich-ten sollen, statt der unmoralischen Korruption bloßer Gewohn-heit (z.B. „Tradition“) zu verfallen, wo finden wir die Führungs-persönlichkeiten, die eine solche Aufgabe wahrnehmen können?Und wo finden wir die Bevölkerung, die eine solche politischeund gesellschaftliche Ordnung wünscht und unterstützt? Diesist nicht möglich in einer Nation wie der alten englischen Ge-sellschaft, die Jonathan Swift treffend als oligarchische Gesell-schaft dargestellt hat: eine Nation von Houyhnhnms (Pferde-menschen als Herrscher) und Yahoos (Affenmenschen als Unter-tanen) – eben das, was wir derzeit wieder in den USA erleben.

Alle großen religiösen Lehrorden wie z.B. der Lehrorden derAugustiner und der Brüder des Gemeinsamen Lebens haben ih-re Arbeit auf diese Aufgabe (Mission) konzentriert. Wie derKampf Abaelards gegen die Unvernunft exemplarisch zeigt, warder entscheidende Punkt der Bildungspolitik, daß die Jugendli-chen nicht in blindem Gehorsam den Instruktionen des Lehrersfolgen sollten. Der Kern der Erziehung war, den Schüler die Ent-deckung und den Beweis von überprüfbar gültigen Ideen, dieam nächsten an universelle Prinzipien heranreichen, nachvoll-ziehen zu lassen. Kurz, es ging um die Entscheidung, entwederzu verteidigen, „was ich zu sagen gelernt habe“, oder sich selbstzu befähigen, Ideen darzulegen und zu verteidigen, die mandurch schöpferisches Denken entdeckt und bewiesen hat, stattsie nur auswendig zu lernen.

Nur wer sich vom bloßen Lernen befreit hat, weiß wirklich et-was. Die Methode zur Entwicklung echten und wahren Wissensist die sokratische Methode; es ist die Methode der docta igno-rantia, der belehrten Unwissenheit, die Luca Pacioli, Leonardo daVinci, Johannes Kepler und andere von Nikolaus von Kues, demgeistigen Vater des modernen Nationalstaats und auch der Ex-perimentalphysik, übernommen haben. Von dem Gebrauch

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dieser physikalisch wissenschaftlichen Methode wird abhängen,ob unsere moderne Zivilisation ein neues finsteres Zeitalter ver-hindern kann: wir brauchen diese sokratische Methode für dieAnwendung der klassischen Prinzipien künstlerischer Komposi-tion, ohne die eine wirksame Zusammenarbeit bei der Ent-deckung und Anwendung universeller physikalischer Prinzipienunmöglich ist.

Die Errungenschaften der Renaissance waren nur möglichdurch den Zusammenschluß solch großer Persönlichkeiten wieNikolaus von Kues. Es waren Führungspersönlichkeiten, die ge-prägt waren von einer leidenschaftlichen Hingabe an die sokra-tische Methode und die das Ziel hatten, eine Gesellschaftsformaufzubauen, die dem Menschen als lebendigem, kognitivem Ab-bild des Schöpfers gerecht wird. Es war die aus dem finsterenZeitalter hervorgegangene Krise, welche diese Menschen her-ausforderte, ein so wunderbares Werk in Gang zu setzen. Sokönnen in Zeiten der größten Krise der Menschheit Gebete er-hört werden. Gebete wie „Gott, hilf mir, meine Pflicht zu tun“können entscheidend dazu beitragen, den Willen eines Gläubi-gen so zu stärken, daß er in sich die Antwort auf solche Gebetefinden kann.

DAS ÖKUMENISCHE PRINZIP

Unter der Bedingung, daß die Vertreter der christlichen Zivili-sation sich von der von mir beschriebenen Korruption freima-chen, ist es die Aufgabe eines jeden Christen, wenn dieser ehr-lich sich selbst gegenüber ist, sich für die Idee des Christentumseinzusetzen. Wenn er hier nicht ehrlich sich selbst gegenüber ist,warum sollte irgendein anderer seinen guten Absichten trauen?Wenn eine sokratische und kognitive, nicht-deduktive Leiden-schaft für den eigenen Glauben mit einer gewissen Wahrhaftig-keit ausgedrückt wird, ist der Erfolg eines versuchten ökumeni-schen Dialogs zwar noch nicht unbedingt garantiert, dennochsind diese sokratischen Qualitäten für einen möglichen Erfolgunerläßlich.

Nichts ist bei einem versuchten ökumenischen Dialog ab-scheulicher als das erbärmliche Spektakel von Vertretern unter-schiedlicher Glaubensrichtungen, die so weit gehen, einen Kon-sens über ihre Differenzen vom Standpunkt bloßer „Empfind-samkeit für die Gefühle des anderen“ aushandeln zu wollen. Sol-che unmoralischen Kuhhandelsmethoden, wobei alle wesentli-chen moralischen Grundsatzfragen einfach außer Acht gelassenwerden, waren die Ursache des Fehlschlages bei den kürzlichenVerhandlungsversuchen in Camp David.

Ich verabscheue nichts mehr als jene scheinheiligen Morali-sten, die nicht an der Wahrheitssuche interessiert sind, sondernnur Empfindsamkeit für die „Gefühle“ des anderen zeigen undvon ihm das gleiche verlangen. Die Erklärung: „Wenn Sie das sa-gen, dann verletzten Sie meine Gefühle“, hat keinerlei Berechti-gung, mich davon abzuhalten, klar und nach bestem Wissen dieWahrheit zu sagen und diese Wahrheit zu beweisen. Als Palästi-nenserpräsident Arafat dafür angegriffen wurde – und das auchnoch öffentlich –, als er die Bedingungen eines vorgeschlagenenKuhhandels nicht akzeptieren wollte, entsprach das vielleicht

den heute üblichen Praktiken der Rechtsanwälte im positivenRecht, ist aber gerade deshalb um so unmoralischer.

Wenn die Parteien mit der erklärten Ansicht zusammentref-fen, es gebe keine Wahrheit, sondern nur unterschiedliche Mei-nungen und Wertvorstellungen, dann sollten sie ihr Gesprächschnell beenden. Ohne den Willen, auf sokratischem Wege einefür alle gemeinsam geltende Wahrheit zu finden, kann es nie-mals eine ehrliche Übereinkunft geben.

So erzählen uns heute z.B. viele Menschen, sie glaubten, derMensch sei nur ein anderes Tier und alle denkbaren niederenTierarten hätten dieselben Rechte, die ein Mensch beanspru-chen kann. Es gibt sogar bekannte Unterstützer der Gore-Kampagne, die darauf bestehen, daß die Gattung Mensch schonbald dank „Silicon Valley“ von einer höheren Gattung abgelöstwird, nämlich „denkenden Robotern“ mit Silikongehirnen (undwahrscheinlich auch -busen). Gegenüber solchen moralischenAbgründen ist Toleranz weder angebracht noch erlaubt.

Ein Dialog der Kulturen muß also eine klare Position bezie-hen und bestimmte verrückte und offensichtlich abstoßende Ar-ten von Meinungen verwerfen. Für einen erfolgreichen Dialogmüssen die Partner eine Übereinstimmung auf der Grundlageeines universellen Prinzips suchen, das die Beziehung derMenschheit zum Universum ausdrückt. Was diese Prinzipiensind, wurde an mehreren Stellen in dieser Schrift dargelegt. Wor-auf wir uns einigen müssen, ist eine funktionelle Definition dermenschlichen Natur im Unterschied zu den niederen Lebewe-sen. Danach ist der Mensch die einzige bekannte Gattung, diein der Lage ist, ihre Existenzfähigkeit pro Kopf und km2 im Uni-versum zu vergrößern.

Ein Dialog, der die Ausrichtung an einer solchen Definitionzur Grundlage macht, ist axiomatisch ein sokratischer Dialog.Deshalb ist die funktionelle Charakteristik eines solchen Dialogsauch nicht deduktiv oder symbolisch, sondern kognitiv. Siekann nicht deduktiv sein, da der Zweck dieses Dialogs implizitdarin besteht, die axiomatischen Annahmen, die uns trennenund gleichzeitig nachweislich falsch sind, aufzuspüren und auf-zugeben.

Nach diesen notwendigen moralischen Grundsatzüberlegun-gen sollten wir uns die Frage stellen, was heute das Ziel einesökumenischen Dialogs der Kulturen sein soll?

Den politischen Zweck eines ökumenischen Dialogs der Kul-turen sollte man im Kern definieren als den Versuch, eine ge-meinsame Definition des Naturrechts zu finden. Die Funktioneiner solchen gemeinsamen Definition besteht darin, sich imGrundsatz auf die Bildung einer Prinzipiengemeinschaft vollkom-men souveräner Nationalstaaten zu einigen.

Im Wesentlichen sollte durch den Dialog Übereinstimmungin drei Punkten erzielt werden: a) die Konzeption eines gemein-samen Menschenbildes, entsprechend der Definition, die ich indiesem Aufsatz noch einmal ausgearbeitet habe; b) die Definiti-on der Natur der vollkommenen Souveränität eines souveränenNationalstaates; und c) die Implikationen des Prinzips, daß eineRegierung nach dem Naturrecht nur dann legitime Autorität ge-nießt, wenn sie wirksam die Förderung des Gemeinwohls ihrerBevölkerung und deren Nachfahren betreibt und dasselbe Prin-

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zip auf die Förderung der Beziehungen zwischen den entspre-chend definierten souveränen Staaten anwendet.

Neben diesen entscheidenden Punkten, in denen eine Über-einkunft notwendig ist, sollten auch alle anderen wichtigen Fra-gen „auf den Tisch kommen“, und zwar so direkt, rigoros undleidenschaftlich wie möglich, selbst wenn man sich darin nochnicht einigen kann oder in näherer Zukunft keine Übereinkunftzu erwarten ist. Indem wir uns auf diese Weise darauf einigen,unterschiedlicher Meinung zu sein, stärken wir nur unseregrundsätzliche Übereinkunft, weil wir uns gegenseitig mit allenunseren Leidenschaften klar verstanden haben. So begründeteder große Moses Mendelssohn seine Zugehörigkeit zum ortho-doxen Mosaischen Erbe – und so sollte es auch heute unter Chri-sten, Juden, Muslimen und anderen sein.

Anmerkungen

1. Der Versuch, Benito Mussolini oder Adolf Hitler als böse, überragendeKöpfe zu erklären, wird durch die vorliegenden Beweise nicht gestützt.Vielmehr stehen beide in der Tradition der römischen Kaiser Caligula,Nero und Caracalla, deren schreckliche Übeltaten nicht etwa die Exi-stenz eines starken Intellekts verrieten, sondern das Fehlen eines sol-chen. In entlarvenden Krisenmomenten erwiesen sich beide als dieSchwächlinge, die sie eigentlich waren. Die Bedrohung, die sie zweifel-los darstellten, war die eines Virus und nicht intellektueller Natur. Waseinen Gouverneur Bush oder Vizepräsident Gore zu einer so gefährli-chen Bedrohung für unsere Nation werden läßt, ist nicht das, was in ih-nen steckt, sondern das, was man bei beiden fairerweise als fehlendenInhalt bezeichnen könnte.

2. Platons Timaios. Kritias berichtet Sokrates und seinen Freunden über ei-ne Erzählung seines Großvaters, derzufolge „die Leistungen der Stadt infrüher Vergangenheit, die durch die Länge der Zeit und das Dahin-schwinden des Menschengeschlechts in Vergessenheit geraten sind,großartig und bewundernswert waren“. Der Großvater beschreibt einGespräch zwischen dem Herrscher Athens, Solon, und einem uraltenPriester, der Solon erklärt, daß die Griechen lediglich Kinder sind, undkeinen „alten Glauben“ besitzen, der „auf uralter Tradition beruht, undauch kein altersgraues Wissen“. Dem darüber erstaunten Solon sagt er:„Du erinnerst dich nur an eine einzige Überschwemmung der Erde, ob-wohl es davon viele gegeben hat. Außerdem ist dir nicht bekannt, daßdie besten und edelsten Menschen einst in deinem Land lebten, und daßdu und deine ganze Stadt von einem kleinen Rest ihrer Nachkommenabstammen. Dies hast du vergessen, weil schon seit Generationen dieÜberlebenden ausgestorben sind und keine schriftlichen Überlieferun-gen hinterlassen haben.“ Weiter erklärt der Priester, daß „die jetzige zi-vilisierte Ordnung in unserem Teil der Welt“ laut heiligen Texten vorrund 8000 Jahren errichtet wurde. Schon vor 9000 Jahren existierte ei-ne Kultur mit vielen hervorragenden Errungenschaften; dazu gehörteauch die von dem Priester beschriebene Fähigkeit, den Atlantik zu über-queren (Platon, Sämtliche Dialoge, Felix Meiner Verlag, Hamburg).

3. Während meines Irak-Besuchs im April 1975 und unmittelbar danachmußte ich an die archäologischen Studien denken, die ich in den 50erJahren über diesen Teil der Welt erstellt hatte; es war deutlich, wie tiefdiese Region seit der Zeit des großen Kalifen Harun al Raschid gesun-ken war. Das sind die betrüblichen Beweise des Aufstiegs und Falls ver-gangener Zivilisationen.

4. Nikolaus von Kues und seine Freunde reagierten auf den Fall von Kon-stantinopel mit ökumenischen Schiffsreisen in die östlichen und west-lichen Gewässer des Osmanischen Reiches. Seitdem bemühten sich vie-le Lügner um die Verheimlichung oder Verleugnung der Beweise dafür,daß Christoph Kolumbus neben entsprechender Unterstützung auchdie Seekarten und andere technisch-navigatorische Hilfsmittel des

Kues-Mitarbeiters Toscanelli erhielt, die es ihm ermöglichten, Amerikazu entdecken. Wie sich anhand der Gründung der Massachusetts BayColony eindrucksvoll belegen läßt, war die englische KolonisierungNordamerikas das Produkt derselben kontinuierlichen Politik, die Kuesund seine Kreise früher initiiert hatten.

5. Die Erklärung der Glaubenskongregation findet sich unterhttp://www.vatican.va/roman_cur.../rc_con_faith_doc_20000626_message-fatima_en.htm und in Auszügen („Fatalistische Deutungengehen an der Sache vorbei“) in Neue Solidarität Nr. 27, (5. Juli 2000).Siehe dazu auch: Lyndon LaRouche, jr. „Call Them the ,Baby Boo-mers’, in EIR Vol. 27, Nr. 28 (21. Juli 2000) und Helga Zepp-LaRou-che, „Papst veröffentlicht ,dritte Prophezeiung von Fatima’: DringenderAuftrag zu Umkehr und Bekehrung“, in Neue Solidarität Nr. 27 (5. Ju-li 2000).

6. Pomponazzi, der die Unsterblichkeit der Seele ausdrücklich ablehnte,war einer der Hauptbetreiber der Gegenrenaissance des 16. Jahrhun-derts – seine Kreise sorgten dafür, daß König Heinrich VIII. weitgehendvon Venedig vereinnahmt und kontrolliert wurde. Der Venezianer Pa-olo Sarpi – der Begründer des modernen Empirismus und geistige Va-ter solcher „Größen“ des 17. Jahrhunderts wie Sir Francis Bacon undThomas Hobbes – fädelte nicht nur den Dreißigjährigen Krieg ein, son-dern setzte auch den Prozeß in Gang, mit dem Venedig spätestens seitder Tyrannei Wilhelm von Oraniens seinen Einfluß über die englischenund britischen Monarchien konsolidierte.

7. Allgemein bezeichnet der Begriff „Aufklärung“ die Begründung desmodernen Empirismus durch Paolo Sarpi und dessen Lakai Galileo Ga-lilei. Der Begriff „Aufklärung des 18. Jahrhunderts“ bezeichnet jedochdas europaweite Netz von Sarpis einflußreichstem Nachfolger, dem vonParis aus operierenden Abt und venezianischen Meisterspion AntonioConti. Aus Contis über ganz Europa verstreuten, explizit gegen denEinfluß von Leibniz gerichteten Salons kamen Voltaire und Quesnaysowie alle anderen einflußreichen Varianten der sogenannten Französi-schen und Englischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts.

8. Siehe Henry A. Kissinger A World Restored: Metternich, Castlereagh, andthe Problems of Peace 1812-1822 (Boston: Houghton-Mifflin, 1957) so-wie seine berüchtigte Rede am 10. Mai 1982 im Londoner ChathamHouse: „Reflections on a Partnership: British and American Attitudesof Postwar Foreign Policy, Address in Commemoration of the Bicente-nary of the Office of Foreign Secretary.“

9. Friedrich Schiller: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Uni-versalgeschichte?“; in: Sämtliche Werke, Winkler Verlag, München.

10. Der griechische Name Athene verbindet diese Göttin mit der Gründungder ursprünglichen Stadt Athen, die unter ägyptischer Mithilfe erfolg-te. Das klassische Griechenland assoziiert sie mit dem Prinzip derschöpferischen Vernunft (Kognition) im Gegensatz zu Irrationalitätund Deduktion. Siehe auch Diodorus Siculus über den mythischenbzw. tatsächlichen Ursprung des Kults des Olymp.

11. Im Unterschied und Gegensatz zu dem mechanistischen sogenanntengleichschwebend temperierten System folgte Bach, wie seine Werke Einmusikalisches Opfer und Die Kunst der Fuge eindrucksvoll belegen, Pla-ton und Kepler, indem er Musik als das definierte, was Gauß und Rie-mann später als mehrfach verknüpfte Mannigfaltigkeit bezeichneten.Die Ironien, die sich aus der Gegenüberstellung von belcanto-geschul-ten Singstimmen ergeben – und nicht etwa mathematische Berech-nungen im gewöhnlichen Sinne –, geben die „Umlaufbahn“ an, auf derdie kontrapunktischen Werte des gesungenen Tones liegen. Wie Wil-helm Furtwängler betonte, passiert das Entscheidende „zwischen denNoten“. Die in heutigen Lehrbüchern verbreitete Doktrin zur Frage dermusikalischen Stimmung ist geradezu typisch für die geistlose Qualitätzeitgenössischer Pedanterie.

12. Vor allem angeregt durch die Arbeiten Leonardo da Vincis auf diesemGebiet wurden auf den großen Gemälden der klassischen Renaissance– z.B. von Raffael und Rembrandt – die Ereignisse so dargestellt, daßsie implizit eine physikalische Raumzeit reflektierten, die man am zu-treffendsten als Riemannsche Raumzeit beschreiben kann. Dadurchschafften es die großen Renaissancemaler, Ideen auf ähnliche Art dar-

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zustellen wie früher die klassischen griechischen Bildhauer – z.B. Sko-pas und Praxiteles –, die ihre Gegenstände nicht als tote Objekte in der„Euklidschen“ Raumzeit darstellten, sondern mitten in der Bewegungfesthielten. Für den sensiblen modernen Betrachter ist dies Bild vonRembrandt eines des kühnsten unter den gelungenen Beispielen dieserMethode, Ideen wiederzugeben.

13. Typisch für die einzig gültige Arbeitsdefinition der modernen Wissen-schaft der Physik ist die von Bernhard Riemann in seiner Habilitati-onsschrift aus dem Jahre 1854. Wie Riemann dort ausdrücklich betont,beruhte diese Dissertation auf der vorangegangenen Entwicklung desBegriffs mehrfach verknüpfter Mannigfaltigkeiten durch Carl Gauß.Damit verwirft die Wissenschaft bloße Sinneswahrnehmung – und al-so auch „Euklidische“ Begriffe der physikalischen Raumzeit – als Kri-terium für die Beurteilung entscheidender Phänomene, die der Ent-deckung gültiger universeller physikalischer Prinzipien zugrundeliegen.Den Namen physikalische Wissenschaft verdient nur der experimentel-le Beweis eines durch die anti-Euklidische physikalische Geometrie de-finierten universellen Systems, deren Universalität sich einzig und alleinaus experimentell bestätigten universellen physikalischen Prinzipien zu-sammensetzt.

14. Beispielhaft für den geforderten Standard an wissenschaftlicher Strengeist Bernhard Riemanns Habilitationsschrift aus dem Jahre 1854, in deralle formal-mathematischen Ableitungen des Universalitätsbegriffs zu-gunsten einer physikalisch-experimentellen Bestimmung der Krüm-mung der ganzen durch die Handlung definierten physikalischenRaumzeit verworfen werden. Alle mir bekannten Versuche, ein frühe-res Datum für die Existenz des Begriffs der Idee der Ideen nachzuwei-sen, beruhen auf Argumenten, die nachweislich grobe, aprioristischeAnnahmen enthalten.

15. In dem hier gebrauchten Sinn dient kognitiv der Kennzeichnung desVerstandes des Schöpfergottes im Gegensatz zu Götzenbildern, die ei-nen angeblichen Gott nur als Abbild eines sterblichen Körpers darstel-len, der den Verstand dieser Person beherbergt. Genauso legen die klas-sische Bildhauerei und die Malerei der Renaissance – ganz im Gegen-satz zu archaischen und romantischen Stilformen – das Abbild einerPersönlichkeit in die Idee, die ontologisch mitten in der dort ironischdargestellten Bewegung liegt und auf deren Existenz der Verstand desBetrachters schließen muß.

16. Wie z.B. von Platon in seinem Dialog Timaios ausgeführt; typisch dafürist auch der 1. Korintherbrief 13 des Apostels Paulus.

17. Zugegebenermaßen haben einige Enthusiasten vom zweifelhaftenStandpunkt der „Bibelarchäologie“ des 18. und 19. Jahrhunderts aus ar-gumentiert, Christus repräsentiere eine „Neue Vergebung“. Trotz sol-cher Apologeten, die durch ihr eifriges Studium des Alten Testaments mitVorliebe auf gnostische Spielarten pornographischer und numerologi-scher Spitzfindigkeiten kamen, repräsentierte die Erlösung des Chri-stentums, die mit dem Inhalt der Mosaischen Äußerungen überein-stimmte, tatsächlich einen Bruch mit dem Dogma vom „auserwähltenVolk“. Ohne diesen Bruch hätte es Errungenschaften wie die Emanzi-pation der europäischen Juden im 18. Jahrhundert nicht gegeben. Cha-rakteristisch für solche gnostischen Abweichungen der Theologie sindalle die unterschiedlichen, oft gleichzeitig auftretenden pro-oligarchi-schen Apologeten, die Moral fast ausschließlich in den engen Grenzendes Sexualverhaltens sowie von Familien- und Gemeindeangelegen-heiten, also im Kleinen, lokalisieren und dadurch den wirklich großenund wichtigen Fragen christlicher Moral aus dem Wege gehen – wie z.B.dem Bösen, das in der Unterstützung der politischen Maßnahmen undHändel steckt, die Rassendiskriminierung und andere politische Aus-drucksformen oligarchischer Praxis fördern, mit Hilfe derer einigeMenschen praktisch wie menschliches Vieh behandelt werden. Typischdafür sind Argumente wie: „Legt euch nicht mit den Reichen undMächtigen an“; solche Spitzfindigkeiten sind typisch für die Gnostiker,z.B. den Kult der Bogomilen (Katharer) und das davon abgeleitete, pro-

satanische „Freihandels“-Dogma von John Locke, Bernard Mandeville,Adam Smith und deren heutigen Anhängern im Kult der Mont-Pelèrin-Gesellschaft.

18. Daß der von den Lateinern der Westkirche benutzte Ausdruck Filioquein seiner alten Bedeutung auf dem großen ökumenischen Konzil vonFlorenz angenommen wurde, verdanken wir den Bemühungen des spä-teren Kardinals Nikolaus von Kues, der mit Hilfe griechischer Quellenüber die frühchristlichen Synoden, die er bei seinem Aufenthalt in By-zanz gesammelt hatte, den Beweis dafür antreten konnte, daß dieser Be-griff vor dem Schisma auch von der Ostkirche akzeptiert worden war.Siehe dazu die Rede „Nikolaus von Kues und das Konzil von Florenz“von Helga Zepp-LaRouche am 5. Mai 1989 in Rom anläßlich einerKonferenz zum 550. Jahrestag des Florentiner Konzils (Wortlaut derRede in Neue Solidarität Nr. 20, 18. Mai 1989; Auszüge: Ibykus Nr. 28,3. Quartal 1989).

19. Bernhard Riemann, Über die Hypothesen, welche der Geometrie zugrun-de liegen (1854), Bernhard Riemanns Gesammelte MathematischeWerke, hrsg. von Heinrich Weber; Teubner Verlag, Stuttgart.

20. Siehe Jonathan Tennenbaum „How Fresnel and Ampère Launched aScientific Revolution“, und Jacques Cheminade, „The Ampère-FresnelRevolution: ,On Behalf of the Future’“, EIR, 27. August 1999; Lau-rence Hecht et.al. „The Significance of the 1845 Gauß-Weber Corre-spondence“, 21st Century Science & Technology, Fall 1996; LaurenceHecht, „Optical Theory in the 19th Century, and the Truth about Mi-chelson-Morley-Miller“, 21st Century Science & Technology, Spring1998.

21. Einschließlich der qualifizierenden Begriffe verbesserter demographi-scher Verhältnisse; beide in Bezug auf Haushalte, pro-Kopf-Wachs-tumsraten, Lebenserwartung etc.

22. Man denke daran, daß physikalische Prinzipien selber drei Gruppen ei-ner mehrfach verknüpften, Riemannschen Mannigfaltigkeit ange-hören: Prinzipien, die sich aus nicht-lebenden physikalischen Prozessenherleiten; physikalische Prinzipien, die nur lebenden Prozessen eigensind; sowie physikalische Prinzipien, die nur nachweisbar kognitivenProzessen als solchen angehören.

23. Z.B. Bernhard Riemann, Theorie der Abelschen Funktionen (1857), Wer-ke, a.a.O.

24. William Empson, Seven Types of Ambiguity (Middlesex; Penguin Books,1961).

25. Zu den eindrucksvollsten Beispielen gehört in dieser Hinsicht die be-kannte Unterschlagung des faktischen Beweises, daß lebende Prozessedie Existenz eines universellen physikalischen Prinzips – d.h. Leben –repräsentieren, das keinesfalls von nicht-lebenden Prozessen abgeleitetwerden kann. Obwohl der Beweis erdrückend ist, fehlte außer bei Pas-teur und Wernadskij gewöhnlich die Leidenschaft, die zu einer Aus-einandersetzung mit den Konsequenzen dieses Beweises erforderlichist.

26. Mit dem vierten Kreuzzug 1202-04 – einem weiteren von Venedig ins-zenierten Kreuzzug zur Errichtung des lateinischen Königreichs – sowiedem praktisch gleichzeitigen Beginn der Mongoleninvasion Westeuro-pas stieg die Republik Venedig zur vorherrschenden imperialen Machtim Mittelmeerraum auf, und diese beherrschende Position hielt Vene-dig bis zum Ende des 17. Jahrhunderts inne. Während des 16. und 17.Jahrhunderts nahm Venedigs Einfluß am Hofe Heinrich VIII. stark zu;später konsolidierte Venedig seine Kontrolle über die britische Monar-chie durch Paolo Sarpis Agenten. Wilhelm von Oranien ist typisch fürdie Übernahme der Niederlande und die Britischen Inseln durch die fi-nanzoligarchischen Interessen Venedigs während der Zeit von 1688 bis1714. Dieser Übernahmeprozeß endete mit dem Spanischen Erbfolge-krieg und der Thronbesteigung Georg I. als Herrscher der neu errich-teten britischen Monarchie des Vereinigten Königreichs.

27. Typisch für eine derartige byzantinische Korruption ist der pro-oligar-chische Schwindel, der als „Konstantinische Schenkung“ bekannt ist.

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