144
Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 18365 A Zusatztagesordnungspunkt 1: Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Ge- setz zur ˜nderung des Finanzverwal- tungsgesetzes und anderer Gesetze (Drucksachen 14/6140, 14/6470, 14/6697, 14/6965) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18365 C Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung der Haushaltsberatung in der 185. Sitzung am 11. September 2001): a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus- haltsjahr 2002 (Haushaltsgesetz 2002) (Drucksache 14/6800) . . . . . . . . . . . . . 18365 D b) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005 (Drucksache 14/6801) . . . . . . . . . . . . . 18365 D Einzelplan 04 Bundeskanzleramt Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 18366 B Gerhard Schrder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 18370 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 18374 B Rezzo Schlauch BNDNIS 90/DIE GRNEN 18377 C Dr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18380 D Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18383 B Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18385 C Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 18389 B Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 18393 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 18393 D Einzelplan 05 Auswrtiges Amt Einzelplan 14 Bundesministerium für Verteidigung Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Bundeswehr Bundeswehrneuausrichtungsgesetz BwNeuAusrG) (Drucksache 14/6881) . . . . . . . . . . . . . . . 18394 A Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 18394 B Volker Rühe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 18396 D Uta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18399 A Ulrich Irmer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18400 D Uta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18402 A Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18403 A Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 18405 A Christoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . 18406 D Plenarprotokoll 14/189 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 189. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 Inhalt:

Deutscher Bundestagdipbt.bundestag.de/doc/btp/14/14189.pdf · Deutscher Bundestag Œ 14. Wahlperiode Œ 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 Präsident Wolfgang

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Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 18365 A

Zusatztagesordnungspunkt 1:Beschlussempfehlung des Ausschussesnach Art. 77 des Grundgesetzes zu dem Ge-setz zur Änderung des Finanzverwal-tungsgesetzes und anderer Gesetze(Drucksachen 14/6140, 14/6470, 14/6697,14/6965) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18365 C

Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung derHaushaltsberatung in der 185. Sitzung am11. September 2001):

a) Erste Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes über die Feststellung desBundeshaushaltsplans für das Haus-haltsjahr 2002 (Haushaltsgesetz 2002)(Drucksache 14/6800) . . . . . . . . . . . . . 18365 D

b) Unterrichtung durch die Bundesregie-rung: Finanzplan des Bundes 2001 bis2005(Drucksache 14/6801) . . . . . . . . . . . . . 18365 D

Einzelplan 04Bundeskanzleramt

Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 18366 BGerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 18370 CDr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 18374 BRezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18377 CDr. Gregor Gysi PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18380 DDr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18383 B

Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18385 CHans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 18389 BDietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 18393 AHans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 18393 D

Einzelplan 05Auswärtiges Amt

Einzelplan 14Bundesministerium für Verteidigung

Einzelplan 23Bundesministerium für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung

Tagesordnungspunkt 3:Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuausrichtung der BundeswehrBundeswehrneuausrichtungsgesetz �BwNeuAusrG)(Drucksache 14/6881) . . . . . . . . . . . . . . . 18394 A

Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 18394 BVolker Rühe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 18396 DUta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18399 AUlrich Irmer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18400 D

Uta Zapf SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18402 AWolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18403 ADietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 18405 AChristoph Moosbauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . 18406 D

Plenarprotokoll 14/189

Deutscher BundestagStenographischer Bericht

189. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

I n h a l t :

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Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg 18408 BPaul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 18410 DAngelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18412 CJürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18413 CPeter Zumkley SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18415 CChristian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 18416 DHeidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe-rin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18418 BDr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18420 BHeidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe-rin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18421 BDr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18421 CDr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18422 DDetlef Dzembritzki SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 18423 A

Einzelplan 06Bundesministerium des Innern

Einzelplan 33Versorgung

Einzelplan 07Bundesministerium der Justiz

Einzelplan 19Bundesverfassungsgericht

Tagesordnungspunkt 4:

a) Erste Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs einesSiebten Gesetzes zur Änderung derPfändungsfreigrenzen(Drucksache 14/6812) . . . . . . . . . . . . . 18424 C

b) Zweite und dritte Beratung des vonder Bundesregierung eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Berei-nigung offener Fragen des Rechtsan Grundstücken in den neuen Ländern (Grundstücksrechtsberei-nigungsgesetz � GrundRBerG)(Drucksachen 14/6204, 14/6466,14/6964) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18424 C

Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 18424 DDr. Hans-Peter Uhl CDU/CSU . . . . . . . . . 18426 BErwin Marschewski (Recklinghausen)CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18427 A

Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18430 A

Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18430 BVolker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18433 DDr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18435 CPetra Pau PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18437 ALudwig Stiegler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18438 BWolfgang Zeitlmann CDU/CSU . . . . . . . . . . 18440 CDr. Herta Däubler-Gmelin, BundesministerinBMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18442 DNorbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 18444 DCem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18447 ARainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18449 ADr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 18450 CAlfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 18451 B Andrea Voßhoff CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 18453 AHans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18454 C

Einzelplan 10Bundesministerium für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft

Einzelplan 15Bundesministerium für Gesundheit

Tagesordnungspunkt 5:

a) Erste Beratung des von den Fraktionender SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Einführung undVerwendung eines Kennzeichens fürErzeugnisse des ökologischen Land-baus (Öko-Kennzeichengesetz �ÖkoKennzG)(Drucksache 14/6891) . . . . . . . . . . . . . 18455 D

b) Erste Beratung des von den Fraktionender SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Einführung desdiagnose-orientierten Fallpauscha-lensystems für Krankenhäuser (Fall-pauschalengesetz � FPG)(Drucksache 14/6893) . . . . . . . . . . . . . 18456 A

c) Erste Beratung des von den Fraktionender SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zur Ergänzung der Leis-tungen bei häuslicher Pflege von Pfle-gebedürftigen mit erheblichem allge-meinen Betreuungsbedarf (Pflege-leistungs-Ergänzungsgesetz � PflEG)(Drucksache 14/6949) . . . . . . . . . . . . . 18456 A

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001II

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Renate Künast, Bundesministerin BMVEL 18456 B

Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 18458 B

Jella Teuchner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18460 A

Annette Widmann-Mauz CDU/CSU . . . . . . . 18461 A

Gudrun Kopp FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18461 B

Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 18462 A

Gustav Herzog SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18463 A

Josef Hollerith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18464 C

Dr. Gerald Thalheim SPD . . . . . . . . . . . . . . . 18466 A

Josef Hollerith CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18466 B

Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 18466 C

Max Straubinger CDU/CSU . . . . . . . . . . 18466 D

Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18468 C

Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 18469 C

Peter Bleser CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 18471 A

Ulla Schmidt, Bundesministerin BMG . . . . . 18473 A

Horst Seehofer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 18476 A

Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18479 A

Dr. Dieter Thomae FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 18480 D

Dr. Ruth Fuchs PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18481 D

Dr. Martin Pfaff SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18482 D

Dr. Hans Georg Faust CDU/CSU . . . . . . . . . 18484 D

Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 18485 C

Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18487 B

Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . . . . . . 18487 C

Einzelplan 17

Bundesministerium für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend

Dr. Christine Bergmann, BundesministerinBMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18488 B

Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 18491 A

Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18492 D

Irmingard Schewe-Gerigk BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18493 C

Klaus Haupt FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18495 B

Petra Bläss PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18496 B

Christel Humme SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18497 B

Klaus Holetschek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 18499 A

Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18500 C

Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18500 D

Anlage 1Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 18501 A

Anlage 2Erklärung nach § 31 GO der AbgeordnetenGünter Nooke, Katherina Reiche, GerhardSchulz, Christa Reichard (Dresden),Margarete Späte, Dr. Sabine Bergmann-Pohl,Siegfried Helias, Diethard Schütze (Berlin),Edeltraut Töpfer, Rainer Eppelmann, Ulf Fink,Michael Stübgen, Andrea Voßhoff, UlrichAdam, Dr. Angela Merkel, Günter Baumann,Klaus Brähmig, Wolfgang Dehnel, GottfriedHaschke (Großhennersdorf), Arnold Vaatz,Monika Brudlewsky, Manfred Grund,Manfred Heise, Norbert Otto (Erfurt), WernerLensing, Beatrix Philipp, Heinz Schemken,Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen), FranzRomer, Horst Seehofer, Dr. Michael Meister,Hermann Gröhe, Norbert Geis, Bernd Wilz,Norbert Hauser (Bonn), Friedhelm Ost, Dr. Hermann Kues, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Ilse Falk, Georg Janovsky, Dr. Hans Georg Faust, Wolfgang Bosbach,Susanne Jaffke, Martin Hohmann, HartmutBüttner (Schönebeck), Dr. Michael Luther, Dr. Harald Kahl, Dr. Joachim Schmidt (Hals-brücke), Hans Michelbach (alle CDU/CSU)zur Abstimmung über den Gesetzentwurf derBundesregierung zur Bereinigung offener Fragen des Rechts an Grundstücken in denneuen Ländern (Grundstücksrechtsbereini-gungsgesetz) (Drucksachen 14/6204 und 14/6466) . . . . . . . 18501 D

Anlage 3Erklärung nach § 31 GO des AbgeordnetenHans-Joachim Hacker (SPD) zur Abstimmungüber den Gesetzentwurf der Bundesregierungzur Bereinigung offener Fragen des Rechts anGrundstücken in den neuen Ländern (Grund-stücksrechtsbereinigungsgesetz)(Drucksachen 14/6204 und 14/6466) . . . . . . . 18503 A

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 III

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Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Präsident Wolfgang Thierse: Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung zu erweitern. Die Zusatzpunkte sind inder Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:

ZP 1 Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes undanderer Gesetze

� Drucksachen 14/6140, 14/6470, 14/6697, 14/6965 �

Berichterstattung:Abgeordneter Jörg-Otto Spiller

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, weiterer Abge-ordneter und der Fraktion der FDPFür eine beschäftigungsorientierte und aktivierende Sozial-politik � Sozialhilfe und Arbeitsmarktpolitik grundlegendreformieren

� Drucksache 14/6951 �

Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f)Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren(Ergänzung zu TOP 9)

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENBasel II � Fairen Wettbewerb sichern � Neufassung derBasler Eigenkapitalvereinbarung und Überarbeitungder Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute undWertpapierfirmen

� Drucksache 14/6953 �

Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und TechnologieAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnion

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Otto (Er-furt), Dirk Fischer (Hamburg), Dr.-Ing. Dietmar Kansy,weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU

Planungs- und Finanzsicherheit für Verkehrsprojekt�Deutsche Einheit� 8.1 � ICE-Strecke Nürnberg�Erfurt �schaffen

� Drucksache 14/6947 �

Sind Sie damit einverstanden? � Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschus-ses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungs-ausschuss) zu dem Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Ge-setze� Drucksachen 14/6140, 14/6470, 14/6697,14/6965 �Berichterstattung:Abgeordneter Jörg-Otto Spiller

Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? �Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? � Das ist nichtder Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer stimmtfür die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschus-ses auf Drucksache 14/6965? � Wer stimmt dagegen? �Stimmenthaltungen? � Die Beschlussempfehlung ist mitden Stimmen des ganzen Hauses angenommen.

Wir setzen die am Dienstag, den 11. September 2001,unterbrochenen Haushaltsberatungen � Tagesordnungs-punkte 2 a und 2 b � fort:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Fest-stellung des Bundeshaushaltsplan für das Haus-haltsjahr 2002 (Haushaltsgesetz 2002)� Drucksache 14/6800 �

Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-regierung Finanzplan des Bundes 2001 bis 2005� Drucksache 14/6801 �

Überweisungsvorschlag:Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dieHaushaltsberatungen heute achtdreiviertel Stunden und

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189. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Beginn: 9.00 Uhr

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morgen sechs Stunden vorgesehen. � Dagegen erhebt sichkein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-kanzleramts, Einzelplan 04. Das Wort hat der Bundes-kanzler der Bundesrepublik Deutschland, GerhardSchröder.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Nein, das ist nichtausgemacht! � Friedrich Merz [CDU/CSU]:Nein, das kann nicht sein!)

� Ich bitte um Entschuldigung. Mir ist dies so mitgeteiltworden. Dies beruht auf einer Fehlinformation, die mirvon links gegeben worden ist.

(Heiterkeit im ganzen Hause � Walter Hirche[FDP]: Natürlich von links! � Friedrich Merz[CDU/CSU]: Ich würde mich auf links nichtverlassen!)

� Sie ist mir von meinem Nachbarn zur Linken gegebenworden und der hat sie von hinten erhalten.

(Heiterkeit im ganzen Hause)

Ich erteile also das Wort dem Vorsitzenden derCDU/CSU-Fraktion.

(Heiterkeit im ganzen Hause)

Lieber Kollege Glos, nachdem die Verwirrungen nun-mehr vorbei sind, erteile ich Ihnen mit Vergnügen dasWort.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU undder FDP)

Michael Glos (CDU/CSU): Herr Präsident! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kol-legen! Spätestens seitdem gestern von hier der russischePräsident Putin gesprochen hat, muss jedem von uns be-wusst sein, dass sich die Welt dramatisch verändert hat.Das hat sich allerdings nicht bis zum Oberbuchhalter derBundesregierung Herrn Eichel herumgesprochen;

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

denn er legt einen Haushalt vor, der nicht nur von gestern,sondern von vorgestern ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP � Hans Georg Wagner [SPD]:Vom Juni ist nicht �von vorgestern�!)

� Es ist eine Zumutung � Herr Wagner, Sie als Obmannder SPD im Haushaltsausschuss sollten es sich überhauptnicht gefallen lassen �, dass Ihnen die Regierung eine Be-ratungsvorlage gibt, die zu dem Zeitpunkt, zu dem sie be-raten wird, längst überholt ist. Sie ist nicht erst seit dem11. September überholt. Der Haushaltsentwurf war be-reits durch die wirtschaftliche Entwicklung, die wir imSommer deutlich gespürt haben, überholt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei den Einnahmeansätzen geht man noch von einemWirtschaftswachstum von 2 Prozent in diesem Jahr undvon 2,25 Prozent im nächsten Jahr aus. Wir werden in die-

sem Jahr bestenfalls 1 Prozent Wachstum bekommen. Wirmüssen Angst haben, im nächsten Jahr in eine Rezessionabzugleiten. Die Arbeitslosenzahl war schon im Augustum 9 000 höher als im August des Vorjahres. Der Arbeits-markt muss nach den Attentaten auf die freie Welt nunauch mit weltwirtschaftlichen Verwerfungen fertig wer-den. Sie werden also bedeutend weniger Steuern einneh-men � das ist die Konsequenz � und Sie werden bedeutendmehr Geld für die Arbeitslosigkeit brauchen, als veran-schlagt worden ist.

Rudi Dornbusch, der renommierte amerikanischeWirtschaftswissenschaftler, steht nicht im Ruf einesSchwarzsehers. Gerade deshalb nehme ich seine Warnungvon vorgestern ernst:

Es deutet alles darauf hin, dass sich Amerika und derRest der Welt gegenseitig in eine Rezession ziehen.

Ich gehöre zu denen, die ungeheuer viel Vertrauen indie USA haben, sowohl politisch als auch wirtschaftlich.Das stimmt mich eigentlich zuversichtlich: Die starkeUS-Wirtschaft wird nicht dauerhaft unter diesem schreck-lichen Terroranschlag zu leiden haben und außer Tritt ge-bracht werden. Die US-Wirtschaft hat einen ungeheuergroßen Binnenmarkt. Das ist in Krisensituationen immerein Stück Überlebensversicherung.

Bei uns in Deutschland sieht es allerdings anders aus.Die deutsche Industrie erwirtschaftet 34 Prozent ihrerUmsätze im Auslandsgeschäft. Der Anteil der Exporte amdeutschen Bruttosozialprodukt beträgt 25 Prozent. Keineandere große Industrienation verzeichnet höhere Werte.Das heißt auch: Nirgendwo in der Welt sind die Arbeits-plätze so sehr vom Export und vom freien Welthandel ab-hängig wie bei uns in Deutschland.

Deswegen muss ich die Frage stellen: Herr Bundes-kanzler, wo bleibt der deutsche Anstoß für eine gemein-same europäische Politik gegen diese drohende Rezes-sion?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wo ist der deutsche Anstoß, um die Instrumente der G 7rasch gegen die Krise in Einsatz zu bringen?

Die Europäische Zentralbank hat in enger Abstim-mung mit der Federal Reserve, wie ich meine, richtig ge-handelt. Die europäische Währung hat sich in dieser Krisebewährt. Der Euro war nie die kränkelnde Frühgeburt, alsdie Sie ihn bezeichnet haben. Aber seitdem Kohl undWaigel nicht mehr in der Verantwortung stehen, hat eskeine entscheidenden Impulse in Europa mehr gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP � Lachen bei Abgeordneten derSPD)

Der Terrorangriff in den USA galt der gesamten zivili-sierten Welt. Die Terroristen wollten zugleich die welt-weiten Wirtschaftsbeziehungen nachhaltig schädigen.Bisher ist dieses teuflische Kalkül nicht aufgegangen. WirDeutschen als die stärkste Wirtschaftskraft in Europamüssen dafür sorgen, dass es nicht gelingt. Die Auseinan-dersetzung mit dem Terrorismus können die freien Ge-sellschaften nur dann mit Erfolg bestehen, wenn sie wirt-

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Präsident Wolfgang Thierse

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schaftlich stark bleiben. Dessen müssen wir uns inDeutschland immer bewusst bleiben.

Wie wollen Sie für mehr Vertrauen in die wichtigsteVolkswirtschaft Europas sorgen? Glauben Sie, dass Siepolitisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit einemunrichtigen Haushalt, mit einem offensichtlich geschön-ten Zahlenwerk, begegnen können?

Ihr Amtseid, Herr Bundeskanzler, hat gelautet, dass SieSchaden vom deutschen Volk wenden und seinen Nutzenmehren. Das heißt in dieser Zeit: handeln, auch wirt-schaftlich, damit die Schreckensszenarien, die manchemalen, nicht eintreffen.

Herr Bundeskanzler, jetzt rächt sich eine Politik, die inallererster Linie ein Gefälligkeitserweis an die großenKartelle war. Die Gewerkschaften,

(Zurufe von der SPD: Ach!)

die großen Banken, die großen Versicherungsgesellschaf-ten, die großen Industriebetriebe haben am Anfang IhrerPolitik Beifall gezollt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Aber wer die breiten Mittelschichten unseres Volkes ver-nachlässigt, wer den Mittelstand benachteiligt, der kannnicht dauerhaft Erfolg haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weder das nachlassende weltweite Wachstum noch dieAttentate vom 11. September können erklären, warumDeutschland unter Ihrer Verantwortung, Herr Bundes-kanzler, bei Konjunktur und Arbeitsmarkt Schlusslichtin Europa ist. Die neue Lage erklärt nicht, warum bei unsder Abbau der Arbeitslosigkeit in guten Zeiten nicht vo-rankommt und in schlechten Zeiten die Arbeitslosigkeitschneller steigt als anderswo. Es wird Ihnen in den kom-menden Monaten nicht gelingen � ich bitte Sie jetztschon, entsprechende Versuche zu unterlassen �, die Fehl-leistungen Ihrer Regierung unter den Teppich des Terro-rismus zu kehren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU �Lebhafte Zurufe von der SPD)

Wenn die Regierung damit anfinge, gäbe es auch auf die-sem Gebiet Nachahmer � ich sage nicht Nachahmungstä-ter �: Viele große Firmen, die ebenfalls nicht richtig ge-wirtschaftet haben, nähmen dann genau dieselbeBegründung zum Anlass, Entlassungen vorzunehmen.Dieser elende Anschlag gibt doch keinerlei Begründungfür wirtschaftliche Fehlhandlungen in der Vergangenheither.

(Beifall bei der CDU/CSU � Zurufe von derSPD)

� Herr Kollege, verstehen kann man Ihre Zwischenrufenicht; aber im Protokoll stehen immer die unverschämtes-ten Zurufe.

(Joachim Poß [SPD]: Er hat doch gar nicht da-zwischengerufen! � Zuruf des Abg. Hans GeorgWagner [SPD])

� Sie haben wieder dazu angesetzt, nicht? Ich leite Ihnenentsprechende Protokolle zu.

(Joachim Poß [SPD]: Er hat doch gar nichts gesagt! Sie warten doch darauf! Er sagt garnichts! � Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]:Machen Sie das doch mit jemand anderem,nicht mit uns!)

In unserem Land sind viele Probleme hausgemacht.Die ungerechte Steuerpolitik hat die Steuerbelastung derBürger nicht gesenkt, der Mittelstand ist benachteiligt, dieÖkosteuer greift den Bürgern tief in die Tasche � das Geldfehlt jetzt natürlich beim Konsum �, die Preisstabilitätwurde vernachlässigt, die überfällige Reform der gesetz-lichen Krankenversicherung verschoben, richtige Ansätzewurden rückgängig gemacht. Das alles führt dazu, dassbei uns die Lohnzusatzkosten auf Rekordniveau steigenwerden und dass das lohnintensive deutsche Handwerk � so hat uns Präsident Philipp gestern gesagt � allein indiesem Jahr um 200 000 Arbeitsplätze fürchten muss.

Herr Bundeskanzler, in jeder Krise liegt auch eineChance. Aber die Chance wird nur dann offenkundig,wenn man sofort und beherzt handelt. Eine ruhige Handist sicherlich gut, aber wirtschaftspolitisch haben Sie einegelähmte Hand gehabt; das ist schlecht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Es ist geradezu lächerlich, dass es bei einem Haus-haltsvolumen von fast 500 Milliarden DM nicht möglichist, die dringenden Maßnahmen für mehr Sicherheit an-ders als durch eine Art neue Kriegssteuer zu finanzieren.Das ist keine Erinnerung an Bismarck, sondern eine Erin-nerung an Kaiser Wilhelm, der seinerzeit seine Flotte miteiner Banderolensteuer finanzierte. Seinerzeit betrafendie Banderolen den Sekt, heute betreffen sie die Zigaret-ten.

Man muss im Haushalt nachhaltig umschichten undneue Prioritäten setzen. Wir sind auch bereit � ich habedas schon einmal gesagt �, den unangenehmen Teil dernotwendigen Maßnahmen mitzutragen. Man weiß natür-lich, dass Sparen nicht immer angenehm ist. Aber das isteine große Chance, vieles Liebgewordene über Bord zuwerfen und sich auf die neue Zeit einzustellen.

Herr Bundeskanzler, mit flotten Sprüchen lösen Siekeine Probleme. Sie haben gesagt, es gebe kein Recht aufFaulheit. An den deutschen Stammtischen haben Sie dafürviel Beifall bekommen und es ist ja auch richtig, an dieStammtische zu denken; das ist nichts Schlechtes.

(Hans Georg Wagner [SPD]: BayerischeGrundart!)

Allerdings muss anschließend auch gehandelt werden.Solange man durch Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfezum Teil mehr oder fast genauso viel Geld wie durch Ar-beitsaufnahme haben kann, ist die Anreizwirkung nichtallzu groß. Ich frage Sie: Was haben Sie nach diesemSpruch, der gut ankam, gesetzgeberisch getan, um sol-chen Dingen den Boden zu entziehen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

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Herr Bundeskanzler, wir sehen mit Sorge, dass dieneue Dimension des Terrors neue Prioritäten verlangt.Der Schock der dramatischen Ereignisse in New York undWashington lässt uns dringende Fragen stellen, die Sieheute beantworten müssen; später haben Sie ja Gelegen-heit dazu. Lautstarke, markige Sprüche allein, wie sie vorallen Dingen Herr Schily gemacht hat, reichen nicht aus.

Dazu steht übrigens heute etwas Falsches in einer Zei-tung. Dort heißt es, ich sei über den Inhalt seiner Äuße-rungen erschrocken. Ich bin überhaupt nicht über den In-halt erschrocken � er bringt lediglich zu wenig �, ich warnur über den Tonfall Ihrer Äußerungen der letzten Wocheerschrocken, Herr Minister Schily. Wir wissen, Be-schwörungen lösen überhaupt keine Probleme. Wenn ichProbleme lösen will, dann muss ich die Gesetze ändern,damit das alles rechtsstaatlich korrigiert werden kann. Siehaben auf diesem Gebiet noch viel zu wenig getan.

(Zuruf von der SPD: Seit wann gibt es denn dieProbleme, Herr Glos? Erzählen Sie doch mal!)

Ich stelle Ihnen die Fragen � Sie können sie beantwor-ten �: Wo bleiben die Mittel für modernste Polizeiaus-rüstung? Wo bleiben die notwendigen Befugnisse, umTerror und Gewalt effektiv entgegenzutreten? Haben Ihregrünen Partner immer noch Angst vor dem Staat, den sieinzwischen selbst regieren? Das wäre meiner Ansichtnach der einzige Grund, vor dem Staat Angst zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Alle Polizeibehörden müssen auf die Daten desAusländerzentralregisters zurückgreifen können. ImVisumverfahren muss die Sicherheit Deutschlands in denVordergrund gestellt werden. Daten über Personen, derenEinreise nicht erwünscht ist, müssen in einer Warndateikonsequent erfasst und von den Sicherheitsbehörden undBotschaften genutzt werden können. Warum hat Rot-Grün unseren Gesetzentwurf zum Ausländerzentralre-gister � das frage ich Sie direkt � unter Ihrer Verantwor-tung 1999 abgelehnt?

(Zuruf von der SPD: Was war mit demGeldwäschegesetz?)

Das ist eine Tatsache; damals waren Sie Innenminister.

Der Terrorismus kann nur unschädlich gemacht wer-den, wenn seine Strukturen aufgespürt werden. Aussage-willigen Aussteigern muss angeboten werden können, alsKronzeugen straffrei zu bleiben, wenn eine solche Terror-gruppe zugeschlagen hat.

(Jörg Tauss [SPD]: Geldwäsche, Herr Glos!)

Diese so genannte Kronzeugenregelung haben Sie 1999gegen unseren Widerstand abgeschafft. Das ist ein Fak-tum.

Der Einsatz verdeckter Ermittler braucht eine ver-lässliche Rechtsgrundlage, damit sie das Milieu erfolg-reich auskundschaften können. Dazu haben wir vor derSommerpause einen Gesetzentwurf eingebracht. Wobleibt Ihre Zustimmung, Herr Bundeskanzler, die Zustim-mung auch der Parlamentsmehrheit?

Diese Regierung hat bisher für das Sicherheitsbedürf-nis der Menschen nur Ankündigungen und Sprüche übriggehabt. Ein tragisches Schicksal ließ den Kanzler tönen � das ist ein weiteres Beispiel �, Kinderschänder müsstenfür immer weggeschlossen werden. Genau zur gleichenZeit lag ein Antrag Bayerns zur Ausweitung der Siche-rungsverwahrung im Bundesrat vor. Er wurde anschlie-ßend von Ihnen abgeschmettert. Das ist die Diskrepanzzwischen Worten und Handeln. Damit werden Sie auf dieDauer nicht mehr durchkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Täuschen Sie sich nicht: Sie haben bereits in hohemMaße Glaubwürdigkeit verspielt. Das Wahlergebnis inHamburg ist ein Menetekel.

(Lachen bei der SPD � Wilhelm Schmidt [Salz-gitter] [SPD]: Ausgerechnet Sie sagen das! �Dr. Peter Struck [SPD]: Das müssen gerade Siesagen, ausgerechnet Sie!)

� Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht so amüsieren. Ichbin schon der Meinung, dass wir auch in diesem Haus da-rüber reden müssen. 20 Prozent der Hamburger sind nichtplötzlich rechtsradikal, wie das manche darstellen. Siewissen selbst, dass das absurd ist. Die Wähler in Hamburgwollten einen Wechsel, vor allem einen Wechsel zu mehrSicherheit. Das war die Ursache des Wahlergebnisses inHamburg.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie beiAbgeordneten der FDP)

Herr Innenminister, selbst wenn Sie handeln wollten,was ich bei Ihnen nicht anzweifle, müssen Sie sich dochfragen, ob Sie dafür eine parlamentarische Mehrheithaben.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Ist mit Rot-Grün alles das möglich, was für unser Landerforderlich ist?

Wir haben Ihnen hinsichtlich der wichtigen Entschei-dungen, die unsere außenpolitische Handlungsfähigkeitanbelangen, unsere Zustimmung gegeben und angeboten.Das hat Ihnen einen umfänglichen Klärungsprozess inden eigenen Reihen erspart. Aber auf die Dauer kannnatürlich eine Regierung in unserem System nur regierenund glaubwürdig sein, wenn sie selbst die Mehrheit im-mer wieder aufbringen kann.

Endlich will die Regierung den Vorschlag aufgreifen,die Unterstützung internationaler Terrorgruppen inDeutschland unter Strafe zu stellen. Was ist die Reaktion?Sofort nennt der grüne Parteirat von NRW, des größtengrünen Landesverbandes, wenn ich es richtig sehe, dieseine Ausweitung von Verdachtsstrafrecht, die verhindertwerden müsse. Jeder Änderung des Strafrechts wird pau-schal eine Absage erteilt. Unbelehrbar lehnt die Vorsit-zende der Grünen, Claudia Roth, die so genannte Regel-anfrage nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes beider Einbürgerung von Ausländern weiter ab. Was kanndagegen sprechen, wenn andere Behörden die wichtigenInformationen des Verfassungsschutzes auch regelmäßig

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für sich selbst und damit für unsere innere Sicherheitnutzen?

Herr Schlauch, Sie werden anschließend sprechen. Sa-gen Sie doch auch einmal etwas zu Ihrem Zitat in der�Leipziger Volkszeitung� vom 24. September:

In der Frage der inneren Sicherheit lassen wir nichtsabräumen von dem Konzept der liberalen Gesell-schaft.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Eine deutlicheAussage!)

Sie werden anschließend wieder versuchen, das Knisternim eigenen Gebälk mit Lautstärke zu überdecken.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Aber das wird nicht reichen.

Ich meine, Herr Bundeskanzler, angesichts der ernstenLage ist ein solches Misstrauen, das gegen unseren de-mokratischen Rechtsstaat spricht, eine ernste Gefahr fürdie Sicherheit der Bürger.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Wo ist denn daMisstrauen?)

Herr Bundeskanzler, Sie haben vor einer Woche er-klärt, mit dem Gesetzentwurf des Bundesinnenministershätten wir ein zeitgemäßes Zuwanderungsrecht auf denWeg gebracht. Ich meine, dass diese Einschätzung falschist. Deutschland muss Zuwanderung begrenzen undsteuern; Ihre Politik aber würde � so ist dieser Gesetzent-wurf angelegt � die ungesteuerte Zuwanderung auswei-ten.

(Jörg Tauss [SPD]: Pfui Teufel! Das ist docheine widerliche Hetze! � Widerspruch bei derCDU/CSU)

� Herr Bundeskanzler, das sind die Partner, die auch beiwichtigen Sicherheitsinformationen mit am Tisch sitzen.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich finde das unerträglich. Die PDS-Kommunisten solltendoch endlich einmal die gleiche Wende mitmachen, wiewir sie gestern hier an diesem Pult erlebt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU � Widerspruch beider SPD � Zuruf von der SPD: Sie wissen garnicht, worum es gegangen ist! � RezzoSchlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: SindSie kurzsichtig?)

Ich lasse mich jedenfalls auch nicht durch unflätige Zwi-schenrufe aus dem Konzept bringen.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN � Wilhelm Schmidt[Salzgitter] [SPD]: Sie waren nie im Konzept! �Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Ausgerechnet Herr Glos!)

Richtig ist, dass in dem Schily-Entwurf Fragen der Si-cherheit zu wenig berücksichtigt werden. Für uns gehörtaber zur Frage der Zuwanderungsbegrenzung und -steue-

rung vor allen Dingen auch dazu, Extremisten aus unse-rem Land fernzuhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei allem Verständnis für die Lage von Betrieben, diein Mangelberufen händeringend qualifizierte Mitarbeitersuchen � für die im Schily-Entwurf vorgesehene Aufhe-bung des Anwerbestopps gibt es keine Rechtfertigung.Bei bald 4 Millionen Arbeitslosen und 2 Millionen So-zialhilfeempfängern muss Zuwanderung in unsere Sozial-systeme unterbunden werden können.

(Zuruf von der FDP: Das ist Quatsch!)

Das heißt, auch die Betriebe und Unternehmen inDeutschland müssen den inländischen Arbeitsmarkt wie-der stärker ausschöpfen. Dafür müssen die gesetzlichenVoraussetzungen geschaffen werden. Ich nenne nur dasStichwort �Kombilohn�.

Schnellschüsse taugen überhaupt nichts; das zeigt dieGreencard, Herr Bundeskanzler. Die Erwartungen sindnicht erfüllt worden. Erstens sind die Leute nicht gekom-men � es waren keine 20 000 � und zweitens werden vonden 9 000, die gekommen sind, die Ersten schon wiederflott nach Hause geschickt.

Für die Wirtschaft in Deutschland ist eine flexibler Ar-beitsmarkt nach meiner Meinung wichtiger als die Auswei-tung der Zuwanderung. Wir müssen ein langfristiges deut-sches Interesse in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vor einer Woche haben wir in diesem Haus einver-nehmlich erklärt: Deutschland steht im Kampf gegen denTerror fest an der Seite Amerikas. Für uns gilt dies auchheute noch.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Für uns auch!)

Deswegen meine ich, Herr Bundeskanzler, dass wir mehrfür die Sicherheit ausgeben müssen. 1,5 Milliarden DMfür die Bundeswehr sind viel zu wenig. Hier muss dau-erhaft mehr getan werden. Wir müssen vor allen Dingeneinen Beitrag leisten, der der Bedeutung unseres Landesadäquat ist.

Wir insgesamt und insbesondere Ihre Koalition müssenauch zweifelsfrei zu dem stehen, was Sie erklärt haben.Deswegen ist es erschreckend, dass die Grünen in Rhein-land-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen die Beteiligungder Bundeswehr an Anti-Terror-Einsätzen, die natürlichmilitärisch sind, ablehnen.

Aus dem vielstimmigen Chor grüner Ratschläge zuAmerika will ich nur Frau Kollegin Vollmer herausgrei-fen, die in der �Zeit� sagt:

...die Amerikaner müssen sich Zeit nehmen, darübernachzudenken, was ihnen zugestoßen ist und warum.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das tun sie ja!)

Das ist schon eine � wie ich meine � sehr bedenklicheAussage. Vielleicht sind Sie deswegen nicht in die USAgefahren, Herr Bundeskanzler; ich habe das bedauert.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja lächerlich!)

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Die Bilder, auf denen Sie dort zu sehen gewesen wären,können durch die von dem Besuch Ihres Außenministersnicht ersetzt werden.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist primitiv!)

Das ist so.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist wirklichprimitiv!)

Vielleicht sind Sie deswegen nicht dorthin gefahren, weilSie damit zu tun haben, hier Ihre Reihen zusammenzu-halten.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Unsinn!)

Sie können sich ja auch gar nicht so rasch entschuldi-gen, wie Amerika aus Ihren eigenen Reihen beleidigtwird.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Peinlich!)

Die Berliner Kultursenatorin Goehler äußert im BerlinerHaus der Kulturen der Welt sogar, ihr hätten die Türmedes Turbo-Kapitalismus nie so recht behagt; sie seien fürsie Phallus-Symbole gewesen. Da klingt doch klamm-heimliche Freude an. Ich weiß, Sie finden das lustig, FrauMüller; deswegen lachen Sie.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Unangemessen! � Wilhelm Schmidt[Salzgitter] [SPD]: Was ist das für eine Rede!)

Wo bleiben hier die Konsequenzen? Das sind doch IhrePartner. Frau Goehler ist doch in Herrn Wowereits Senat.Warum wird diese Dame nicht sofort entlassen? Ich findedas beschämend und entsetzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie beiAbgeordneten der FDP)

Wir sind in dieser schwierigen Lage sehr froh, dass wirwissen, dass wir in Amerika einen besonnenen Präsiden-ten haben, der sich als ein Führer der freien Welt darstelltund der ein ungeheuer staatsmännisches Format beweist.Herr Bundeskanzler, Sie können sich trotz Ihrer innenpo-litischen Mängelliste darauf verlassen, dass wir das Wortvon der uneingeschränkten Solidarität ernst nehmen undIhre Politik in dieser Hinsicht stützen werden. Ich meine,dass wir auch als Opposition Verantwortung tragen, diewir auch in schwieriger Zeit wahrnehmen wollen. Es wärefür Deutschland entwürdigend, wenn Sie jetzt wieder mitdem Hut in der Hand Stimmen sammeln müssten, so wiees beim ersten Mandat für Mazedonien war. Wir werden� ich will der Beratung der Fraktion nicht vorgreifen �auch in dieser NATO-Frage an Ihrer Seite stehen. HerrBundeskanzler, tun Sie alles, um Schaden von unseremLand abzuwenden!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP � Wilhelm Schmidt [Salzgitter][SPD]: Eine unangemessene Rede!)

Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Tauss,Zwischenrufe der Art �widerliche Hetze� gehören nicht

ins Parlament. Ich ermahne Sie, solche Zwischenrufe zuunterlassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU undder FDP � Dr. Peter Struck [SPD]: Das war iro-nisch gemeint, Herr Präsident!)

Ich erteile nun das Wort dem Bundeskanzler der Bun-desrepublik Deutschland, Gerhard Schröder.

Gerhard Schröder, Bundeskanzler (von der SPD mitBeifall begrüßt): Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Herr Glos, in einem Punkt bin ich Ih-nen dankbar: Ich bin Ihnen dafür dankbar, dass Sie auchin dieser Haushaltsdebatte noch einmal deutlich gemachthaben, dass Sie mit uns � das haben wir in diesem HohenHause miteinander hinbekommen � in der Außenpolitikan der Seite Amerikas � und dies uneingeschränkt � ste-hen. Das will ich hier ausdrücklich sagen; denn mir liegtsehr daran, dass diese Gemeinsamkeit fortgesetzt werdenkann. Das gilt auch dann, wenn ich mit dem übrigen TeilIhrer Ausführungen nicht einverstanden bin, wie Sie sichvorstellen können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin damit nicht einverstanden, weil das eine Mischungaus falschen Informationen und aus Übertreibungen ge-wesen ist.

Aber eines ist klar: Nach den Terroranschlägen inden USA sind Menschen bei uns in großer Sorge. Sie sindübrigens nicht nur in großer Sorge über das, was wir in-nere oder äußere Sicherheit nennen, sondern eben auch inSorge um die wirtschaftliche Entwicklung unseres Lan-des. Ich denke, das Wichtigste, was wir in diesem HohenHause tun müssen, ist, diese Sorgen ernst zu nehmen. Ichrede übrigens ganz bewusst von Sorge, nicht von Angst;denn aus Sorge kann Zuversicht, kann neue Kraft ent-wickelt werden. Angst würde nur lähmen. Zu Angst gibtes wirklich keinen Grund, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt in Deutschland deshalb keinen Grund zurAngst, weil sowohl die politischen als auch die kulturel-len und ökonomischen Eliten unseres Landes in Gemein-samkeit deutlich gemacht haben, dass der Terrorismusweder unsere inneren Ordnungen in der freien Welt be-siegen kann noch die freie Weltwirtschaft dauerhaft wirdinfrage stellen können. Wenn wir klarmachen, dass sichdie Verantwortlichen in den unterschiedlichsten Ebenen � in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, bei den Gewerk-schaften, aber eben auch in der Politik � bei all ihrer Viel-falt jedenfalls in diesem Ziel einig sind, ist das die sinn-vollste Basis für die weitere wirtschaftliche Entwicklung,die wir schaffen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen ja: Der Terrorismus hat nicht nur die Zer-schlagung der politischen Ordnungen in der Welt zumZiel, sondern natürlich auch die der Weltwirtschaft. Der

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Anschlag auf das World Trade Center in New York zeigtdas sehr deutlich: Es war genauso ein Anschlag auf die in-ternationalen Wirtschafts- und Finanzkooperationen wieein Anschlag auf die Zivilisation schlechthin.

Noch etwas ist wichtig: Die Terroristen wollten damitein allgemeines Klima von Angst und Unsicherheit ver-breiten, ein Klima, das natürlich negative Auswirkungenauf die Weltwirtschaft haben sollte und, wenn wir es ver-stärken, weil wir nicht aufpassen und nicht gegenhalten,auch haben wird. Deswegen finde ich es so wichtig, dasszum Beispiel von allen, die auf der Internationalen Auto-mobil-Ausstellung, auf der auch ich war, vertreten waren,gesagt wurde: Wir brauchen jetzt ein Klima der Gemein-samkeit, aus dem Optimismus auch und gerade für unse-ren so wichtigen Wirtschaftszweig entstehen kann.

Ich glaube, wir sollten von daher klar sagen, dass wiralle zusammen verhindern werden, dass der internationaleTerrorismus in irgendeiner Form Macht über die wirt-schaftliche Entwicklung in der Welt und damit auch inDeutschland gewinnt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derFDP und der PDS)

Genauso wenig wie die Terroristen uns in einen Kampf derKulturen treiben dürfen � das wäre nämlich unsinnig �,dürfen sie uns in ein Klima der wirtschaftlichen Ver-unsicherung und Angst hineintreiben; auch das ist näm-lich eines ihrer Ziele.

Was wir brauchen, meine Damen und Herren � wir ha-ben es gestern erlebt �, ist eine internationale Koalitiongegen den Terrorismus. Wir sind dabei ein ganz gutesStück weitergekommen; nicht zuletzt deshalb, weil � dassage ich mit wirklich großem Respekt, auch darin stim-men wir überein � die Vereinigten Staaten auf den fürch-terlichen Anschlag in einem Maße besonnen reagiert ha-ben, das viele kritische Diskutanten, die anderes erwartethatten, vielleicht gelegentlich zum Nachdenken bringensollte.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN, der CDU/CSU und der FDP)

Diese internationale Koalition gegen den Terrorismus,die jetzt gebildet werden muss, darf sich nicht nur auf diepolitischen und militärischen Aspekte beziehen. Klar ist,dass dieser Kampf auch mit ökonomischen Mitteln ge-führt werden muss. Das heißt, diejenigen Staaten, die Ter-rorismus stützen und unterstützen, dürfen nicht auf mate-rielle Hilfe rechnen können. Das heißt, diejenigenStaaten, die Terrorismus stützen und unterstützen, müs-sen, solange sie das tun, negative Erfahrungen mit denMöglichkeiten unserer zivilisierten Welt machen. Umge-kehrt gilt dann auch: Diejenigen, die sich in eine Koali-tion gegen den internationalen Terrorismus einreihen,müssen auch Anreize für sich und ihre eigene wirtschaft-liche Entwicklung sehen. Hier liegt übrigens auch einerder Gründe, warum wir bei der Verteilung jener 3 Milliar-den DM, die wir für die Bekämpfung des Terrorismus imInneren und im Äußeren aufwenden, auch an die Bildungvon Fonds gedacht haben, durch die erreicht werden soll,dass Abwendung vom Terrorismus belohnt und Zuwen-

dung bestraft werden können. Das ist Teil des Konzeptes,wie wir es uns vorstellen.

Dazu gehört natürlich � ich nehme an, der Finanzminis-ter wird dazu noch etwas sagen � eine wirklich entschie-dene Bekämpfung der Finanzierung des internationalenTerrorismus.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeordne-ten der CDU/CSU)

Ich verstehe ja, dass sehr viele Menschen das Bankge-heimnis gleichsam für die Magna Charta der inneren Si-cherheit halten, aber das ist nicht so.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich rede hier nicht einer undifferenzierten Lösung dasWort. Wer aber die Geldwäsche bekämpfen und damit dieFinanzierungsquellen des internationalen Terroris-mus austrocknen will � das wollen wir ausdrücklich �, dermuss einmal mit den Betroffenen darüber reden, wie mandenn an diese Finanzierungsquellen herankommt, wieman �underground banking� und Ähnliches verhindert.

Die Erfüllung dieser Aufgabe wird von uns erwartet.Wir werden sie auch sehr entschieden anpacken. Daraufkönnen Sie sich verlassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derPDS)

Die Terroristen werden wirtschaftlich auch deshalbnicht gewinnen, weil die Grundlagen für Wachstum undWohlstand in unserem Land, in Europa und in der Welt intakt sind. Die Produktionsanlagen und die Infrastruktursind intakt. Natürlich kann man das alles verbessern; wirarbeiten auch daran. Aber wir haben überhaupt keinen Anlass, jetzt in Pessimismus zu verfallen, weil die Basisunserer wirtschaftlichen Stärke intakt ist und weil dasgrößte Kapital, über das wir verfügen, die Qualifikation,die Leistungsbereitschaft und die Motivation der Men-schen in unserem Land sind. Auch sie müssen wir opti-mistisch stimmen und dürfen das nicht herunterreden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die internationale Zusammenarbeit der Finanz-organisationen � Herr Glos hat in einem Punkt daraufhingewiesen � hat funktioniert. Ich habe mich genau wieSie gefreut, dass die Fed und die EZB zusammengearbei-tet haben und dass damit einer der wichtigsten makro-ökonomischen Akteure, nämlich die Europäische Zentral-bank, seine Verantwortung für das Wachstum in dieserSituation erkannt und daraus positive Schlüsse gezogenhat. Ich kann nur raten, diesen Kurs fortzusetzen, eineenge Abstimmung zu suchen und entsprechende Ent-scheidungen zu treffen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin ganz sicher, dass auch die Art und Weise, wiewir gemeinsam in diesem Hohen Hause auf die Anschläge

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in den USA reagiert haben, nämlich Entschlossenheit beider Erfüllung unserer Beistandsverpflichtungen zu zei-gen, auf Dauer positiv auf die Stimmung im Land wirkenund positive Folgen für die wirtschaftliche Entwicklunghaben wird. Ich glaube, all das zeigt, dass Sorgen ver-ständlich sind � die machen wir uns auch �, dass es abervöllig unberechtigt ist, so zu tun, als gäbe es nicht auchund gerade jetzt Anlass zu Optimismus und Zuversicht,und zwar sowohl im Hinblick auf die Bereitschaft zur in-ternationalen Zusammenarbeit als auch im Hinblick aufdie Entwicklung neuer Kräfte im Inneren.

Ich sage es noch einmal: Die wichtigsten makroöko-nomischen Akteure sind jetzt gefordert. Neben der No-tenbank � damit haben Sie Recht � ist das der Staat, garkeine Frage. Aber wie sieht die Aufgabe in der jetzigen Si-tuation aus? � Die Aufgabe in der jetzigen Situation kanndoch nicht darin bestehen, den Konsolidierungskurs derBundesregierung aufzugeben. Ernsthaft kann man so et-was nicht fordern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Unabhängig von der Tatsache, dass er international ver-einbart ist, wäre es auch ökonomisch falsch, den Konso-lidierungskurs aufzugeben. Wir hören ja die Ratschlägeder Verbände und der Länder. Den Konsolidierungskursaufzugeben ist falsch, auch wenn jetzt die Forderung ge-stellt wird: Dann zieht doch die Steuererhöhungen

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)� Entschuldigung �, die nächste Stufe der Steuerreformvor. Ich komme gleich auf die Steuererhöhungen zu spre-chen. Damit habe ich gar kein Problem.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das glaube ich! �Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sie nicht, aberder Bürger!)

� Nein, weil wir das erklären können. Wir haben guteGründe für die Steuererhöhungen. Die werde ich Ihnenauch gleich darlegen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir der Forderung der Verbände und der Länder,die nächste Stufe der Steuerreform vorzuziehen, nach-kommen würden, dann müssten wir 14 Milliarden DM ge-genfinanzieren. Mir hat noch niemand, auch Sie nicht, er-klärt, wie das durch Umschichtungen möglich sein soll,obwohl dieser Begriff immer wieder verwendet wird. Ichsage: Das geht auch gar nicht. Das ist doch klar.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)Das Vorziehen der nächsten Stufe der Einkommen-

steuerreform � das würde auch die Körperschaftsteuer be-treffen � hieße, das dann entstehende Defizit von 14 Mil-liarden DM entweder durch höhere Steuern oder durchSchuldenmachen zu finanzieren.

Eines will ich Ihnen sagen: Was meinen Sie wohl, wasuns die Länderregierungen � da kenne ich mich aus �, diejetzt fordern: �Zieht das doch vor, wir bekommen dasschon hin�, entgegnen würden, wenn wir es täten?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Länderregierungen würden uns ganz kühl sagen: Ja,wir haben natürlich immer gefordert, dass ihr das vor-zieht; aber bezahlen soll es der Bund allein,

(Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist wohlwahr!)

auch wenn das nicht der verfassungsrechtlich garantiertenAufteilung der Steuern entspricht. Da können Sie ganz si-cher sein. Der erste Ruf kommt übrigens ganz sicher ausBayern.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was Sie fordern, geht aus vielerlei Gründen nicht. Wirwollen und müssen den Konsolidierungskurs fortsetzen.Er ist die Basis für eine vernünftige Zinspolitik der Euro-päischen Zentralbank. Das muss man genauso klar sehen.Der von Ihnen vorgeschlagene Weg fällt also aus.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Konsolidierungskurs wird also fortgesetzt. Das be-deutet zugleich, dass die Planbarkeit der Steuerreform, sowie sie Hans Eichel ins Gesetzblatt gebracht hat, gesichertbleibt.

Das Zweite, was von uns gefordert wird � manchmal,zunehmend leiser �, sind bestimmte Konjunkturpro-gramme.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Von uns nie!)

Auch die muss man bezahlen: entweder durch eine Er-höhung der Nettoneuverschuldung � das wollen wir ge-meinsam nicht �

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Von uns nie-mand!)

� sage ich ja: wollen wir gemeinsam nicht � oder durchandere Maßnahmen. Solche Strohfeuerprogramme ma-chen keinen Sinn.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Wer fordertdas?)

� Lauthals! Ein stellvertretender Fraktionsvorsitzenderaus Ihren Reihen � ich glaube, er heißt Rauen � fordertealle naselang:

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Kein Kon-junkturprogramm!)

Nehmt das doch nicht so genau mit der Verschuldung!Macht doch lieber ein Programm X oder ein Programm Y. �Das hören wir doch ständig; wir tun das aber nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Bauen Sie doch keinen Popanz auf!)

� Sie können richtig stellen, dass Sie das nicht wollen.Dann sind wir einig. Darüber wäre ich froh.

Alle Forderungen nach einer Aufgabe des Konsoli-dierungskurses werden also von der Opposition nichtweiter erhoben. Das soll mir gerade recht sein. Das wäreein Stück Gemeinsamkeit in der Wirtschaftspolitik, das

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dann aber � wenn ich bitten darf � beibehalten werdenmuss.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie sich unsere Vorstellungen von der Steuerre-form genau anschauen, dann erkennen Sie ein sehr ausge-wogenes Verhältnis zwischen Angebots- und Nachfrage-seite,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wischiwaschi!)

also zwischen der Unternehmensseite � die Unterneh-mensteuern sind reduziert worden � und der Nachfrage-seite, die dadurch profitiert, dass die Masseneinkommensteigen, wodurch die Binnenkonjunktur angekurbelt wer-den soll.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Durch Steuer-erhöhungen?!)

Dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass wir,nach allem, was wir wissen, im September eine Infla-tionsrate von noch 2,1 Prozent haben werden, zeigt, dasswir die ernsthafte Chance haben, auch auf dem Binnen-markt eine Verbesserung zu erzielen. Ich weiß sehr wohl,dass unser Vorgehen kurzfristig Schwierigkeiten bereitet;aber es geht mir um die mittel- und langfristigen Wirkun-gen, die in unserer Steuerreformpolitik angelegt sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt komme ich zu einem Punkt, über den es zu RechtStreit gibt. Wir haben gesagt: Wir legen ein Programmnach innen wie nach außen zur besseren Bekämpfung desinternationalen Terrorismus in einer Größenordnung von3 Milliarden DM auf. Dieses Programm muss natürlich finanziert werden. Ich nehme an, dass der Oppositions-führer gleich die konkrete Finanzierung kritisieren wird.Das ist gar keine Frage.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ich kritisiere dieSteuererhöhungen!)

Wir finanzieren dieses Programm durch die Erhöhung derTabaksteuer und durch die Erhöhung der Versicherung-steuer � beides außerordentlich maßvoll. Beide Schrittesind Erhöhungen von, wenn man so will, Verbrauchsteu-ern, was keine direkten Auswirkungen auf Produktion und� vermutlich � Verbrauch haben wird. Aber darüber wirdnoch zu streiten sein.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Dann habenwir aber höhere Einnahmen als die 3 Milliar-den DM! 7 Milliarden statt 3 Milliarden!)

� Ich kann Ihnen das nicht sagen. Nach Hans EichelsRechnungen sind es 3 Milliarden DM. Herr Repnik, wennSie Recht haben, dann werden wir � das ist doch klar �eine Debatte über die sinnvolle Verwendung der zusätzli-chen Einnahmen führen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wird sich dann die Frage stellen, ob man die zusätzli-chen Einnahmen für bestimmte Aufgaben verwendet oderob man sie zum Abbau der Verschuldung einsetzt. Bisher

gehe ich aber davon aus, dass Hans Eichel richtig gerech-net hat. Herr Glos hat ihn eben �Oberbuchhalter der Na-tion� genannt. Sie müssen zugeben: Die Oberbuchhalterrechnen wenigstens richtig.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und demBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden das also auf diese Weise finanzieren. Dasist kritisiert worden. Ich glaube aber, dass hier keiner sagt,man hätte es besser über die Erhöhung der Neuver-schuldung finanzieren sollen. Das kann man nicht ma-chen. Es gehört sich nicht, eine aktuelle Aufgabe, die wirjetzt leisten müssen, durch Verschiebung der Lasten aufunsere Kinder und deren Kinder zu finanzieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bezüglich der Umschichtung erwarte ich Vorschläge.Wir haben so gehandelt, wie sich das gehört, wenn manredlich miteinander � auch mit der Öffentlichkeit � um-gehen will. Wir haben klargemacht: Für diese zusätzli-chen Aufgaben gibt es in einem Haushalt, der sparsamstangelegt ist � auch das wird von Ihnen gelegentlich kriti-siert �, keine andere Finanzierungsmöglichkeit als die, diewir jetzt ergreifen. Wir haben das den Menschen inDeutschland gesagt und wir stehen dazu. Weil es eineüberragende aktuelle Aufgabe ist, erfolgt die Finan-zierung auf diese Weise. Das kann jeder vor dem Hinter-grund seiner eigenen Überzeugungen bewerten. Wir glau-ben, dass es eine notwendige Aufgabe ist, die damitangepackt werden kann und die nicht über eine Verschul-dung, sondern auf redliche Art finanziert werden sollte.Ich kann daran nichts Negatives erkennen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch einen Aspekt, der auch diskutiert werdenwird, besonders hervorheben: Wie geht es im nächstenJahr weiter? Das beziehe ich jetzt auf diejenigen, dieebenfalls makroökonomische Daten setzen. Über kurzoder lang wird es eine Diskussion über die Frage geben,wie sich Löhne und Gehälter in den nächsten Tarifrun-den entwickeln.

Die Gewerkschaften auf der einen Seite und die Arbeit-geber auf der anderen Seite sind Institutionen, die wichtigemakroökonomische Daten setzen. Um allen Diskussionenzuvorzukommen, will ich sagen: Wer sich einmal anschaut,wie es im Jahre 2000 ablief, als wir im Vorfeld wilde Spe-kulationen darüber hatten, wie sich die beiden Seiten ver-halten würden, und als wir im Nachgang alle miteinanderanerkennen mussten, dass sie sich gesamtwirtschaftlichaußerordentlich vernünftig verhalten haben, der kann dochaus all dem Positiven, das wir mit der Tarifautonomie in derVergangenheit erlebt haben, nur den Schluss ziehen, dassjene gesamtwirtschaftliche Vernunft, die natürlich geradein der Krise nötig ist � Sie haben die außenwirtschaftlichenRisiken zu Recht genannt �, auch die Optionen und dieHandlungen der Tarifparteien im nächsten Jahr beeinflus-sen wird. Ich jedenfalls vertraue den Tarifparteien.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich hatte bisher keinen Grund zur Enttäuschung.

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Zusammengefasst: Wir haben eine gefährliche Situa-tion � das kann niemand ernsthaft bestreiten �, die unsSorge macht, die uns aber nicht in Angst versetzen sollte �uns hier sowieso nicht, aber auch nicht die anderen Ak-teure in der Volkswirtschaft: die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer sowie die Verbraucherinnen und Verbrau-cher. Wir können die Sorgen verstehen; Angst ist aberüberflüssig. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Daten-kranz unserer Volkswirtschaft so positiv ist, dass wir nachkurzfristiger Eintrübung sicher damit rechnen können, imnächsten Jahr ordentliche Wachstumsraten zu erzielen.Alle Zeichen � ungeachtet der Eintrübung, die wir gegen-wärtig feststellen � deuten darauf hin.

Unsere Aufgabe, der wir uns stellen sollten, ist schlichtund einfach, die positiven Aspekte dieser Entwicklung zuunterstützen. Wir sollten klar machen � ganz im Sinnedessen, was Sie gesagt haben �, dass in jeder Krise aucheine Chance liegt. Diese Chance sollten wir ergreifen, in-dem wir � wir wollen nicht die Entwicklung schönreden;das wäre genauso verkehrt � nicht ein Gefühl von Sorgeund Angst verstärken, das subjektiv verständlich ist, fürdas es aber in diesem Ausmaß objektiv keinen Grund gibt.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir durch internatio-nale Zusammenarbeit auf politischem und auf ökonomi-schem Gebiet dieser Krise Herr werden. Ich bin auch davonüberzeugt, dass die internationale Staatengemeinschaft unddie zivilisierte Welt nach dieser Krise enger zusammenge-wachsen sind und enger zusammenarbeiten als in der Zeitdavor. Dazu einen Beitrag zu leisten sehe ich als Deutsch-lands Aufgabe und als Aufgabe des gesamten Hauses an.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wortdem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.

Dr. Guido Westerwelle (FDP): Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundes-kanzler, Sie haben hier in der letzten Woche eine Regie-rungserklärung abgegeben und auch heute in dieser De-batte das Wort ergriffen. Ich habe Ihnen in der letztenWoche geantwortet, dass es aus unserer Sicht eine wür-dige Regierungserklärung gewesen ist. Dass Sie aller-dings morgens im Deutschen Bundestag eine Regie-rungserklärung abgegeben haben und die Abgeordnetenspäter auf dem Nachhauseweg aus den Nachrichten er-fahren haben, dass Sie anschließend, also am Nachmittag,im Kabinett beschlossen haben, die Steuern zu erhöhen,das war absolut unwürdig, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU � Zu-rufe von der SPD: Schill, Schill, Schill!)

Ich muss den Abgeordneten der Sozialdemokraten sagen:Das hat nichts mehr mit Parteien zu tun. Das ist eine Fragedes Respekts gegenüber dem Deutschen Bundestag. HatHerr Müntefering Sie so eingeschüchtert, dass Sie so et-was durchgehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Sie können sich in der Außen- und Sicherheitspolitikauf die Opposition verlassen. Das wissen auch Sie; dennwir haben es Ihnen in der letzten Woche verschiedentlichgesagt. Die Opposition weiß, dass sie hier Verantwortungwahrzunehmen hat. Wir werden zuverlässig und staatspo-litisch verantwortungsvoll handeln.

Herr Bundeskanzler, Ihr Problem in der Außen- und Si-cherheitspolitik ist doch nicht die Opposition. Ihr Problemist in Wahrheit Ihr grüner Koalitionspartner, Ihre eigeneRegierung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Sie haben im Sommer dieses Jahres in der Mazedonien-frage keine eigene Mehrheit gehabt. Deswegen haben Siein Brüssel über dieses Mandat ungewöhnlich schlechtverhandeln können. In der Abstimmung im DeutschenBundestag hatten Sie keine eigene Mehrheit. Die Koali-tion brachte in der Frage der Mandatierung der deutschenSoldaten in Mazedonien nicht einmal eine eigene Mehr-heit zustande. Sie waren auf die Unterstützung aus denReihen der Oppositionsfraktion angewiesen. Das ist we-niger innenpolitisch ein Problem. Das ist vielmehr außen-politisch ein Problem, weil Sie als unser Vertreter im Aus-land dann auch nicht so frei und so souverän verhandelnkönnen, wie Sie verhandeln müssten, wenn es um ent-sprechende außenpolitische Aufträge geht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Jetzt erleben wir wieder genau dasselbe. Herr Bundes-kanzler, Sie sprechen von der uneingeschränkten Solida-rität zum Bündnis. Der Bundesverteidigungsminister er-klärte heute völlig zu Recht, dass er damit rechne, dassdieser Bündnisfall jetzt auch tatsächlich festgestellt wird.Das ist alles richtig. Nur, Sie richten Ihre diesbezüglichenAusführungen in Richtung Opposition. Eigentlich müss-ten Sie jedes Mal, wenn Sie solche Ausführungen machen, Ihren Blick von der Opposition weg hin zu Ihreneigenen Leute richten. Die sind nämlich das große Pro-blem!

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU � Hans Georg Wagner [SPD]:Uns kennt er doch!)

� Sie rufen dazwischen: Uns kennt er ja. � Das ist ja dasProblem: Weil er euch kennt, hat er diese Schwierig-keiten.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Na, na, na! Nicht denMund so voll nehmen, Herr Kollege!)

Das große Problem, das wir in der Außenpolitik haben,ist, dass ein Landesverband der Grünen nach dem ande-ren im wahrsten Sinne des Wortes von der Fahne geht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Eines geht nicht: dass Sie vor lauter Überzeugungsar-beit in der eigenen Koalition Ihre Hausaufgaben nichtmehr machen. Ich sage Ihnen: Deutschland hat eine Re-gierung verdient, die eine vernünftige Außenpolitik und

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eine vernünftige Innenpolitik macht. Davon kann in kei-ner Weise die Rede sein.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU � Hans Georg Wagner [SPD]:Das kann der Herr Schill in Hamburg!)

Die Ausstattung der Bundeswehr ist immer noch kärg-lich. Dann haben wir jetzt erlebt, wie Sie einen neuen Fi-nanzierungsvorschlag gemacht haben; auf den Umgangmit und auf das Verfahren gegenüber dem Parlament habeich bereits Bezug genommen. Dabei geht es um 3 Milli-arden DM bei einem Haushalt von fast 500 Milliar-den DM. Der Finanzminister und der deutsche Bundes-kanzler sagen, nicht einmal 3 Milliarden DM könnten siein einem Haushalt von fast 500 Milliarden DM durch Um-schichtungen erwirtschaften. Das ist eine Bankrotter-klärung der Finanzpolitik dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU � Dr. Peter Struck [SPD]: Machen Sie doch malkonkrete Vorschläge! Wie geht denn das, HerrWesterwelle?)

Es ist in Wahrheit ökonomisch nicht überzeugend, wasSie gemacht haben. Finanzpolitisch ist es doch auch nichtüberzeugend. Sie erzählen, Sie müssten jetzt die Tabak-steuer und die Versicherungsteuer erhöhen, damit ein Pa-ket für innere Sicherheit beschlossen werden könne. Dasist übrigens ein Popanz und ein Vorwand. Gesetzesände-rungen kosten kein Geld. Wenn Sie das Vereinsprivilegfür extremistische religiöse Organisationen aufheben,kostet das den Steuerzahler keinen Pfennig. In Wahrheithaben Sie einen Vorwand für Steuererhöhungen gesucht.Ich sage Ihnen: Das war der Beginn einer Steuererhö-hungsspirale, aber das Gegenteil wäre in Deutschlandnötig.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Das ist doch eine völlig konzeptionslose Finanzpolitik.Die Rente bezahlen wir angeblich an der Tankstelle, überdie Ökosteuer. Die innere Sicherheit sollen wir jetzt durchdas Rauchen bezahlen. Rauchen für die Sicherheit,

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Rasen für die Rente � das ist keine Finanzpolitik, das istgaga. Das hat keine Konzeption, das ist doch nicht über-zeugend!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Als ob irgendeine dieser Steuereinnahmen an irgendeinerStelle zweckgebunden wäre! Auch wenn Sie in derAußenpolitik die Rückendeckung der Opposition haben:In der Innenpolitik werden wir Ihnen diese Auseinander-setzung nicht ersparen, weil das Nachdenken darüber indiesem Hause nicht aufgehört hat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU �Karsten Schönfeld [SPD]: Man hat bei Ihnendoch den Eindruck, dass das Denken aufgehörthat!)

Was ist denn von all Ihren Äußerungen übrig geblie-ben, Herr Innenminister? Am Vormittag haben Sie, gera-dezu zur Begeisterung der Opposition und zum Erschau-

dern Ihres grünen Koalitionspartners, eine Rede gehalten,die bemerkenswert war. Übrigens, Herr Glos, auch die In-tonierung war in meinen Augen völlig unproblematisch.Wenn man in einer solchen Situation wie eine Maschineredet, hat man eher Probleme. Sie haben hier gesagt, wasSie alles machen wollen, alles machen werden, was pas-sieren müsste, und haben von Fingerabdrücken gespro-chen. Nichts von dem haben Sie am Nachmittag be-schlossen. Warum haben Sie es nicht beschlossen? � WeilSie für das ganze Paket der inneren Sicherheit in Wahrheitkeine Einigkeit mit Ihrem grünen Koalitionspartner hin-bekommen. Das hat Deutschland nicht verdient!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU �Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da habenSie ja jetzt den Fachmann für innere Sicherheitin Hamburg!)

Es ist doch jedes Mal dasselbe: Bei der Zuwanderungmöchten Sie und wir wollen auch. Dann machen Sie dochendlich! Sie machen nicht, weil die Grünen nicht wollen.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten Sie ab!)

Bei der inneren Sicherheit möchten Sie und wir wollenauch. Sie machen nicht, weil die Grünen nicht wollen. Beider Außenpolitik möchten Sie und wir wollen endlichauch. Machen Sie! Sie machen nicht, weil die Grünen Ih-nen jedes Mal Knüppel zwischen die Beine werfen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Genau das ist die Lage.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warumschreien Sie hier so rum? Das ist Ihr Beitrag zurinneren Sicherheit!)

� Dass Ihnen das nicht gefällt, ist mir völlig klar.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Doch! Wir lachendarüber! Wir freuen uns!)

Aber das werden Sie noch häufiger hören.

Weil Sie den Zwischenruf �Hamburg, innere Sicher-heit� gemacht haben:

(Zuruf von der SPD: Erzählen Sie mal wasvon Ihrem neuen Koalitionspartner!)

Sie werden den Freien Demokraten kaum vorwerfen kön-nen, dass sie bei der inneren Sicherheit in Koalitionsver-handlungen das vorsehen, was Herr Schily hier vorgelegthat.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)

Das mag Ihnen vielleicht unangenehm sein.

Und noch etwas: Wer in Berlin, in Mecklenburg-Vor-pommern und in Sachsen-Anhalt mit der PDS regiert, dererzählt mir in Koalitionsfragen ganz gewiss nicht, was diemoralischen Maßstäbe in Deutschland sind. Das verges-sen Sie einmal ganz schnell!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dann lese ich eine Agenturmeldung über Herrn Müntefering. Herr Müntefering sagt, die CDU höre, wenn

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sie jetzt in Hamburg verhandle, auf, eine große liberaleVolkspartei zu sein, und die FDP höre damit auf, eine liberale Partei zu sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Der Mann, der Abgeordnete seiner eigenen Partei so un-ter Druck setzt, dass er eine Strafanzeige aus diesen Rei-hen bekommt, erzählt mir doch nicht, was liberal inDeutschland ist! Das haken Sie einmal ab!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es fehlt Ihnen in dieser Regierung in der Innen-, Wirt-schafts- und Finanzpolitik an Gestaltungskraft. Das ist dasgroße Problem. Da Sie die ganze Zeit das Wort �Makro-ökonomie� so bemüht haben � ich war tief beeindruckt,Herr Bundeskanzler �, möchte ich das noch einmal aufden Punkt bringen.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Sagen Sie mal etwas zu HerrnSchill! � Hans Georg Wagner [SPD]: Der Libe-rale Schill!)

Herr Bundeskanzler, wenn Sie über die Makroökonomiesprechen, dann müssten Sie feststellen, dass sich diejapanische Wirtschaft in Wahrheit schon längst in einerRezession befindet. Sie müssten ferner feststellen, dasssich die amerikanische Wirtschaft in der Gefahr befindet,in eine Rezession zu kommen. Schließlich müssten Siefeststellen, dass Deutschland die Wirtschaftslokomotivein Europa und Europa die Wirtschaftslokomotive in derWelt werden müsste. Das erreichen Sie nicht, indem Siedie Konjunktur durch Steuererhöhungen abwürgen.Durch Steuersenkungen könnten Sie dies erreichen.

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen unsals Opposition und Ihnen als Regierung.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Gott sei Dank!)

Die Regierung sagt: Deutschland kann sich Steuersen-kungen nicht leisten. Die Opposition sagt: Wir können esuns nicht leisten, auf Steuersenkungen zu verzichten. Nurdurch Steuersenkungen springt die Konjunktur an und eskönnten endlich neue Arbeitsplätze in Deutschland ge-schaffen werden. Es kann nämlich nur derjenige Steuernzahlen, der Arbeit hat.

(Beifall bei der [FDP] und der CDU/CSU)

Zur Erreichung dieses Ziels müssten wir die Steuer-senkungsakzente durchsetzen; zumindest müsste dienächste Stufe der Ökosteuer ausgesetzt werden. Sie hättenauf die Steuererhöhungen verzichten müssen.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das hat HerrPutin gestern auch vorgeschlagen!)

Sie reden � das ist der pawlowsche Reflex des Finanz-ministers � von einem Finanzbedarf in Höhe von 3 Milli-arden DM und erhöhen die Steuern. Die Auseinanderset-zungen im Golf haben etwa 17 Milliarden DM gekostet.Um wie viele Punkte wollen Sie die Mehrwertsteuer ei-gentlich erhöhen, wenn wir in die Situation kommen? Siewerden die Steuern immer weiter erhöhen. Das ist Gift fürdie Wirtschaft. Sie vergessen immer, dass die Versiche-rungsteuer Gift für den Mittelstand ist. Herr Bundeskanz-

ler, Sie orientieren sich immer noch an Holzmann undnicht am Mittelstand. Das ist ein Problem.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Hier muss Klartext geredet werden.

(Karsten Schönfeld [SPD]: Dann machen Siees doch endlich mal!)

Sie müssen in der Lage sein, neben einer Steuersen-kungspolitik ein Sofortprogramm für mehr Wirt-schaftswachstum und Beschäftigung aufzulegen. Dasfordern wir von Ihnen. Das hat mit Konjunkturprogram-men überhaupt nichts zu tun. Diesen Unterschied wollenSie ja bewusst verwischen, Herr Wirtschaftsminister.

(Walter Hirche [FDP]: So ist es!)

Es geht darum, dass in Deutschland die Strukturen ver-ändert werden müssen.

(Beifall bei der FDP)

Dazu zählen die Steuerstruktur, die Frage der Steuerver-einfachung und die Entbürokratisierung. Allein der Mit-telstand leidet unter Bürokratiekosten in Höhe von60 Milliarden DM jährlich. Dazu zählt auch, dass Sie dasArbeits- und Tarifrecht endlich flexibilisieren. Auch dasmuss ausgesprochen werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Es mag sein, dass Ihnen das nicht gefällt,

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Dasstimmt!)

weil 85 Prozent der SPD-Abgeordneten Mitglied in einerGewerkschaft sind. Das ist akzeptabel und nachvollzieh-bar.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das istauch gut so!)

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte inder �Zeit� auf die Frage, ob der Flächentarifvertrag amEnde sei: Leider nein. Es wäre zum Abbau der hohen Ar-beitslosigkeit aber wünschenswert, dass der flächen-deckende Lohntarif an sein Ende gebracht würde. Dassagt nicht die Opposition, das sagt Helmut Schmidt. Vordem werden Sie hoffentlich Respekt haben, meine sehrgeehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU � Wilhelm Schmidt [Salzgitter][SPD]: Man muss aber nicht alles machen!)

Herr Bundeskanzler, gerade Volkswagen hat ja gezeigt,dass wir in den Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmernund Unternehmensführungen zu mehr Betriebsnähe kom-men müssen. Das ist notwendig. Wir wissen, dass esnatürlich auch dazu kommen wird. Es ist nur eine Frageder Zeit.

Die Bundesregierung antwortet auf die Frage nach derLage der Konjunktur in Europa � das müssen wir Ihnenvorhalten � mit seltsam gewundenen Erklärungen. Tatsa-che ist, dass es auch früher Zeiten schlechten Wirtschafts-

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wachstums gab. Da waren wir aber wenigstens, relativ ge-sehen, an der Spitze in Europa. Der Unterschied jetzt ist,dass wir beim Wirtschaftswachstum seit zwei, drei Jahrenim Vergleich aller Euroländer das Schlusslicht bilden. Dashat nichts mit globaler Weltwirtschaft zu tun.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Natürlich!)

Das hat etwas damit zu tun, dass wir offensichtlich durchnationale Wirtschaftspolitik mit den Veränderungen derWeltwirtschaft schlechter zurechtkommen als alle ande-ren Euroländer.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Das muss von Ihnen aufgegriffen werden. Sie könnennicht mit ruhiger Hand regieren. Hier ist eine handelnde,eine zupackende Hand gefragt. Die Strukturen müssenverändert werden. Das ist dann auch die Stunde, in der dieOpposition das bei Ihnen einklagen darf. Darauf kommtes jetzt an.

Sie sprechen in einem Interview � ich habe es dabei �davon, dass es kein Wunder sei, dass das Wirtschafts-wachstum in Deutschland schlechter sei als in den ande-ren europäischen Ländern, wir seien ja schließlich auch� anders als andere europäische Länder � eine gesättigteVolkswirtschaft.

(Walter Hirche [FDP]: Die Regierung steht aufdem Schlauch!)

Das ist wirklich bemerkenswert. Sie sind den ganzenSommer über durch Ostdeutschland gereist. Sie sind inRegionen mit einer Arbeitslosenquote von 20, 30 undmehr Prozent gewesen und sprechen von einer gesättigtenVolkswirtschaft zur Entschuldigung Ihrer verfehlten Wirt-schaftspolitik. Herr Bundeskanzler, das geht daneben undes wird Ihnen nicht gelingen, uns von Ihrer Politik zuüberzeugen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nein, Herr Bundeskanzler, Sie können sich in derAußen- und Sicherheitspolitik, Sie können sich in derFriedenspolitik darauf verlassen, dass die Oppositionweiß, was Staatsräson ist. Das müssen Sie eher Ihrem grü-nen Koalitionspartner erklären.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei inne-rer Sicherheit erklären Sie es Herrn Schill!)

Aber Sie müssen davon ausgehen, dass wir, wenn Sie be-züglich der inneren Sicherheit nur Maßnahmen ankündi-gen, aber nicht handeln, dies auch erwähnen,

(Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Schill!)

dass wir auch erwähnen, dass Sie in der Wirtschaftspoli-tik den falschen Weg gehen. Dass Sie in der Bildungspo-litik nicht zu Potte kommen und in Wahrheit die Zukunfts-chancen der jungen Generation immer schlechter werdenlassen, werden wir auch erwähnen. Das Nachdenken istjetzt nicht beendet. Ganz im Gegenteil: Wir wissen, dasswir in der Außen- und Sicherheitspolitik Verantwortungwahrnehmen. In der Innenpolitik werden Sie die scharfen

Worte der Opposition nicht vermissen. Das versprechenwir Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle-gen Rezzo Schlauch vom Bündnis 90/Die Grünen dasWort.

Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, letzte Woche haben Sie hier den Staatsmanndargestellt. Heute hat es offensichtlich zu nicht mehr ge-reicht als zu dem kleinkarierten Redner, der die nationa-len Dimensionen aus dem Papierkorb recycelt.

(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh! �Angelika Volquartz [CDU/CSU]: Setzen!)

Zwischen diesen beiden Rollen liegt eine erhebliche Dis-krepanz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich glaube, dass wir nicht so weiterdiskutieren könnenwie vor dem 11. September.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle ein Zitat des Schrift-stellers Durs Grünbein vortragen. Er hat geschrieben, dassdie �Druckwelle� nach den Terroranschlägen �so stark�war,

dass sie jeden einzelnen Körper in Europa getroffenhat. Zum ersten Mal hat ein Drehbuch die wichtigenSchauplätze der Welt kurzgeschlossen. Es ist derMoment der Sichtbarwerdung einer globalen Regie.

Diese globale Regie der Terroristen hat zur Überra-schung vieler und sicher zur größten Überraschung derTerroristen selbst durch die Bildung einer bisher nie dagewesenen weltweiten Antiterrorkoalition zu einer globa-len Antwort geführt. Das ist ein Riesenschritt nach vorne,hin zu einer zivileren Welt. In diese Richtung sollten wirin der Staatengemeinschaft weitergehen.

Herr Westerwelle, da haben Ihre Ideen vom Rückzugdes Staates aus der Gesellschaft und auch aus der Ökono-mie, da haben Ihre Ideen vom �minimal state� heutzutageüberhaupt keine Konjunktur. Das sollten Sie mit auf denWeg nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir versuchen uns heute beim Haushalt 2002 darüberzu verständigen, welche Veränderungen dies sind, und vorallem, in welche Richtung und von welchen Grundsätzenher wir diese Veränderungen politisch begleiten wollen.Damit können wir heute nur beginnen, wir müssen aberbeginnen.

Veränderung bedeutet auch, sich selbst und sein Han-deln im Lichte dieser Veränderung kritisch zu überprüfenund neu zu überdenken. Ein zentraler Fokus unserer Poli-tik muss dabei das berechtigte Interesse der Bevölkerung

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sein, in einem Land zu leben, das die Sicherheit der Men-schen gewährleisten kann.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN � Carl-Ludwig Thiele[FDP]: Richtig!)

Um die Sicherheitsvorkehrungen der neuen Lage an-zupassen, haben wir erste Schritte unternommen, HerrWesterwelle. Vielleicht ist Ihnen dies entgangen. Die Ver-breitung von Hass und Gewalt unter dem Deckmantel desReligionsprivilegs ist kein schutzwürdiges Gut.

(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

Deshalb wird dieses Privileg fallen. Es ist ebenso richtig,dafür zu sorgen, dass die Polizei und auch die Nachrich-tendienste ihren Aufgaben besser, effizienter nachkom-men können und dass die Sicherheit auf den Flughäfen er-höht wird. Aber statt des von Ihnen, meine Damen undHerren Kollegen von der Opposition, lange hochgehalte-nen Bank- und Steuergeheimnisses müssen wir effizienteKontroll-, Überwachungs- und Beschlagnahmungsinstru-mente für internationale und nationale Finanztransfersermöglichen, um die finanziellen Lebensadern des Terro-rismus auszutrocknen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Dass damit auch sonstige illegale Finanztransfers auf denSchirm der Fahnder geholt werden können, ist von unsausdrücklich gewünscht.

Es gibt aber auch falsche Freunde der Freiheit: Wer wieder Herr Scholz von der CDU generell den Einsatz derBundeswehr im Innern des Landes fordert, dem geht esnicht um Sicherheit, sondern derjenige will, dass dieseRepublik ein anderes Gesicht bekommt. Er will aus eineroffenen eine autoritäre Gesellschaft machen. Wir, HerrGlos, wollen diese offene Gesellschaft und ihre Werte ver-teidigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Bei allen Maßnahmen zur Verbesserung der innerenSicherheit werden wir Grünen � Herr Glos, das ist dieAntwort auf Ihre Frage � die Messlatte des liberalenRechtsstaats anlegen. Angesichts der wenigen Differen-zen, Herr Innenminister, bin ich mir sicher, dass uns die-ses Rechtsstaatsprinzip eint, und zwar nicht nur in seinerformalen, sondern auch in seiner materiellen Substanz. Sojedenfalls kenne ich Sie aus alten Zeiten.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD, der CDU/CSU und der FDP � Beifallbei Abgeordneten der SPD)

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, hat angesichts der Anschläge in New York undWashington und ihrer Folgen zu Recht davon gesprochen,dass wir an einer sicherheitspolitischen Stunde Null an-gekommen sind. Wir sind in diesem Lichte aufgefordert,die Strukturreform der Bundeswehr noch einmal genauunter die Lupe zu nehmen. Es lohnt sich, die Ergebnisseder Weizsäcker-Kommission noch einmal zu studieren.

Die Bundeswehr steht � das wissen wir spätestens seit dergestrigen Rede von Putin im Bundestag � nicht mehr vorder Aufgabe, das Land gegen anstürmende Panzerdivisio-nen aus dem Osten zu verteidigen, die durch das Fulda-Gap brechen. Vielleicht muss die Strukturreform radika-ler ausfallen und schneller umgesetzt werden. Eines aberdarf und wird mit unserer Stimme nicht geschehen: Wirwerden kein neues Geld in alte Strukturen stecken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD � Dr. WolfgangGerhardt [FDP]: Da bin ich gespannt!)

Ich vermute, dass es auch bei unseren Partnern, bei-spielsweise den USA bezüglich der Raketenabwehrkon-zepte, ein Überdenken der überkommenen Sicherheits-konzepte geben wird, nachdem die schreckliche Ver-wundbarkeit unserer Gesellschaften so offen zutage ge-treten ist. Eine Lehre hieraus muss sein: Sicherheitspoli-tik kann nur multilaterale Politik sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht mit euch!)

Der Finanzminister hat � Herr Westerwelle, Sie habenes selbst gesagt � durch geringfügige Steuererhöhungenauf Zigaretten und Versicherungen 3 Milliarden DM mo-bilisiert.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: So fängt es an!)

Damit werden die Maßnahmen zur Verbesserung der in-neren und äußeren Sicherheit finanziert. Gleichzeitigführen wir den Konsolidierungskurs fort. Für unsereVolkswirtschaft ist dies der richtige Kurs. Er ist für die Er-weiterung der zukünftigen Gestaltungsräume und dieHandlungsfähigkeit der Politik, gerade auch auf interna-tionaler Ebene, von grundsätzlicher Bedeutung. Wasnötig ist, wird finanziert, aber das wirtschaftliche und fi-nanzpolitische Rückgrat unserer Reformpolitik wird die-ser notwendigen Reaktion nicht geopfert. Das ist verant-wortliche Politik unter außergewöhnlichen Umständen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Westerwelle, das ist der wohltuende Unterschiedzu Ihnen: Sie polemisieren gegen eine vergleichsweisegeringfügige Steuererhöhung, wohl wissend, dass Sie1991 den Scheck für den Golfkrieg in Höhe von 17 Mil-liarden DM genau mit den gleichen Steuererhöhungenplus einer schlagartigen Erhöhung der Mineralölsteuerum 22 Pfennig finanziert haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Darüber hinaus hört man aus der Opposition, dass dienächsten Stufen der Steuerreform mit 45 Milliarden DMBelastung auf der Sollseite vorgezogen werden sollen.

Das ist der Weg zurück in den Schuldenturm. Der ist mituns nicht zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

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Ein sehr ernstes Problem bleibt aus unserer Sicht; daswissen wir. Das Problem wird durch eine große Unsi-cherheit darüber, wie sich die weltkonjunkturelle Lageunter dem Eindruck der Ereignisse in diesen Wochen ent-wickelt, noch ernster. Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch.Für uns Grüne heißt das: Wir müssen etwas für die Re-form des Arbeitsmarktes tun und wir werden etwas tun.Die grüne Fraktion hat schon vor der Sommerpause Eck-punkte verabschiedet � Herr Kollege Struck, ich glaube,jetzt geht es an unsere gemeinsame Adresse �, in denenaufgezeigt wird, dass wir mehr Brücken in den ersten Ar-beitsmarkt bauen müssen. Es geht darum, Menschen wegvon Transferleistungen in richtige Beschäftigungsverhält-nisse zu bringen. Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ist eineFrage der Gerechtigkeit. Es geht nicht nur um die Höheund Ausstattung von Transferleistungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Deshalb begrüßen wir das Job-Aqtiv-Gesetz. Darüberhinaus wollen wir aber über ein Einstiegsgeld diskutieren,das heißt, dass Transferleistungsempfänger bis zu 50 Pro-zent des eigenen Verdienstes ohne Anrechnung behaltendürfen. Das wollen wir auch umsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so-wie des Abg. Horst Seehofer [CDU/CSU] �Horst Seehofer [CDU/CSU]: Das ist aber einVorschlag der Union!)

Die Überwindung der Teilzeitmauer durch staatlichenZuschuss zu den Lohnnebenkosten bei Geringverdienernist eine weitere Idee, die wir ernsthaft prüfen wollen. DieInstrumente müssen breit angelegt sein, beworben und er-klärt werden. Ich bin sicher, wenn wir das tun, können wirnoch mehr Menschen � was wir alle wollen � in Arbeitbringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben bisher, Herr Westerwelle, noch viel zu oft� auch in Haushaltsberatungen und auch wenn dies ein na-tionaler Haushalt ist � mit der nationalen Brille auf derNase, und zwar mit einem zu engen Blick aus den Zeitenrelativ geschlossener Nationalwirtschaften und -gesell-schaften, über Politik diskutiert. Diese Zeiten sind � darübersind wir uns doch hoffentlich einig � vorbei. Sowenig unsheute die Sehnsucht nach ruhigeren und überschaubarerenZeiten hilft, die notwendigen sicherheitspolitischen Ent-scheidungen zu treffen, sowenig können wir uns in ande-ren Politikfeldern von dieser Sehnsucht leiten lassen. DerBlick nach innen, Abschottung, der Gang zurück oder derGang alleine sind heute keine möglichen politischen Stra-tegien mehr; schon gar nicht ein � wie auch immer ausse-hender � deutscher Sonderweg.

Das gilt auch � Herr Kollege Westerwelle in diesemPunkt sind Sie irgendwie auf dem völlig falschen Damp-fer � für die Einwanderungsdebatte.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es ist richtig: Wir halten an unserem Vorhaben fest, auchwenn es jetzt Stimmen gibt � die kommen woanders her �,

die aus der Unsicherheit der Bevölkerung wieder einmalpolitische Münze schlagen wollen. Wir werden es nichtzulassen, dass angesichts der Katastrophe aus parteipoli-tischen Gründen zu einer gesellschaftlichen Vogel-Strauß-Politik zurückgekehrt wird, nach dem Motto,Deutschland sei kein Einwanderungsland und solle auchkeines werden. Eine solche Vorstellung gleicht einer Rea-litätsverweigerung, die in der Vergangenheit nicht zuletztaufgrund des langjährigen Engagements der Grünen aufdiesem Politikfeld überwunden werden konnte.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden uns in der Koalition über den vorliegendenGesetzentwurf verständigen; da bin ich sicher. Wir müs-sen uns nur über eines im Klaren sein: Wir brauchen dieEinwanderung. Wenn das aber so ist � das ist unser An-satz �, dann darf es nicht sein, dass �der politische Preisfür diejenigen, die wir brauchen�, von denjenigen bezahltwird, �die uns brauchen�. Diese Aussage stammt vomKollegen Hirsch und ihr ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Nach den Ereignissen in New York und Washington istes endgültig zu einem Imperativ der Politik geworden:Wir müssen unsere Vorstellungen von sozialer Sicherheitund gesellschaftlicher Gerechtigkeit unter den Bedingun-gen der Globalisierung neu buchstabieren. Der Entwick-lungshilfeetat und alle jene Bereiche, die heute zu einerauswärtigen Politik gehören, sind in vieler Hinsicht nochnicht so ausgestattet, wie wir es uns wünschen. Deshalbwerden sich beide Fraktionen in den Beratungen be-mühen, schon im Haushalt 2002 die Etats aufzustockenund mehr zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Kampf gegen den globalen Terrorismus ist jen-seits der notwendigen Repression zuallererst ein Ringenum politische Lösungen und damit um eine kooperativeWeltordnung in allen relevanten politischen Bereichen.Das ist die bitter notwendige Voraussetzung für Friedenund Wohlstand auch bei uns zu Hause, hier in Europa. Wiralle wollen, dass sich solche Angriffe auf das Leben Tau-sender unschuldiger Menschen nicht wiederholen; nichtin den USA, nicht in Europa. Aber wer das erreichen will,der muss auch politisch dazu beitragen, dass Terror nir-gendwo stattfindet: nicht in New York, nicht hier, aberauch nicht in Ruanda, in Sierra Leone, in Afghanistanoder in Israel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben erlebt, wie das Primat der Politik auf ganzfürchterliche Weise wieder in das Bewusstsein der Men-schen, auch in unser eigenes Bewusstsein, zurückgekehrtist. Das muss eine Handlungsanleitung sein. Wir lebenheute in der einen Welt, ob es uns gefällt oder nicht. In die-ser einen Welt müssen wir zu einer Neubewertung der in-ternationalen Interessenspolitik kommen. Hier habenfrüher die Dritte-Welt-, heute die Eine-Welt-Aktivistenwertvollste Pionierarbeit geleistet. Es wird hohe Zeit, dass

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wir die Erfahrungen nehmen und sie zur Lösung der stra-tegischen Überlebensfragen für die ganze Welt einsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Hilfe für die ärmeren Länder beim Zugang zum und beider Integration in den Weltmarkt, fairer Handel, klassi-sche Projekthilfe, weitere Entschuldungsinitiativen, Hilfezum technologischen Anschluss an die führendenIndustrienationen oder beim Aufbau von Zivilgesell-schaften in Krisengebieten: Das sind die dringenden Auf-gaben von heute.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Kontext ist der Stabilitätspakt, aber auch dasHandeln der NATO in Mazedonien, ein gelungenes Bei-spiel dafür, wie sich unsere Politik entwickelt. Der Stabi-litätspakt ist maßgeblich von der Bundesregierung mit aufden Weg gebracht worden. Von hier aus müssen wir wei-tergehen; auf dem Balkan, aber nicht nur dort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Durch Spekulation laufen die Finanzmärkte immerwieder Gefahr, das Funktionieren ganzer Volkswirtschaf-ten zu untergraben, wie die Finanzkrisen in Mexiko, inSüdostasien oder in Russland gezeigt haben. Das hat ganzunmittelbare Folgen auch für uns in Europa. Die Finanz-märkte müssen durch ein internationales Insolvenzrechtkontrollierbar werden. Die Frage der Entschuldung derärmsten Länder muss weiter auf der Agenda bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei sollten wir uns auch nicht scheuen, Lösungs-ansätze zu diskutieren, die im Moment dem realpoliti-schen Auge noch nicht reif genug erscheinen mögen.Dazu gehört auch die Tobin-Steuer, die ernsthaft erörtertwerden muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so-wie bei Abgeordneten der PDS � Zurufe von derPDS)

� Meine Damen und Herren Kollegen von der PDS, ichempfehle Ihnen, unser Wahlprogramm durchzulesen. Dawerden Sie das finden. Das ist überhaupt keine Überra-schung.

(Zurufe von der PDS)

Wenn wir die internationalen Finanzströme des Terro-rismus trockenlegen wollen und müssen, können wir dannnicht auch Steuerschlupflöcher stopfen, durch die sichTeilnehmer und insbesondere Spekulanten der Weltwirt-schaft ihrer Verantwortung entziehen? Ich glaube, dieseFrage muss wirklich ernsthaft gestellt werden.

Dies alles sind Schritte zu einer gerechteren Weltwirt-schaftsordnung und zur Hilfe für Länder, die historisch ei-nen hohen Preis gerade für unseren Wohlstand bezahlt ha-ben und immer noch bezahlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir werden diese Wocheden Haushalt weiter beraten, die einzelnen Politikfelderdurchgehen und über die richtigen Konzepte streiten.Aber wir wissen auch: Mit der Entscheidung zu Mazedo-nien, aber viel mehr noch mit den weiteren Auseinander-setzungen um die Folgen des Anschlages vom 11. Sep-tember kommen große Aufgaben auf Regierung undParlament zu. Wir sollten diese Aufgaben im Geiste einerPolitik angehen, wie ich sie zu skizzieren versucht habe.

(Widerspruch bei der FDP)

An dieser Stelle möchte ich dem Außenminister fürseine Bemühungen um einen Waffenstillstand in Nahostausdrücklich danken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie des Abg. Roland Claus[PDS])

Heute treffen sich Peres und Arafat, denen wir von hieraus ein erfolgreiches Gespräch wünschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Dies ist ein Beispiel dafür, wie aus grüner Sicht Grundli-nien einer Politik aussehen müssen, die Deutschland imZeitalter der Globalisierung und neuer Bedrohungen ent-wickeln kann und muss und nach außen vertreten sollte.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle-gen Gregor Gysi, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da-men und Herren! Herr Schlauch, Sie haben uns empfoh-len, einmal Ihr Wahlprogramm zu lesen. Ich empfehle dergrünen Fraktion, gelegentlich einmal wieder ihr eigenesWahlprogramm zu lesen. Dann werden Sie feststellen,wie wenig davon in der Regierungspolitik umgesetzt ist.

(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Dr. GuidoWesterwelle [FDP] � Dr. Guido Westerwelle[FDP]: Da klatsche ich sogar bei Herrn Gysi! �Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Lesen Sie doch Ihres, Herr Gysi! Da sitztaber einer im Glashaus!)

� Unseres können Sie auch lesen; das trägt immer zurLäuterung und Bildung bei.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS � RezzoSchlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dasind Sie auch weit vorn!)

Man kann in diesem Jahr die Haushaltsdebatte nicht soführen wie früher; das liegt einfach an den Ereignissenvom 11. September. Mehr oder weniger wirkte sich dasauf alle Reden des heutigen Tages aus, vielleicht bei HerrnWesterwelle etwas weniger als bei den anderen. Die Er-schütterung bei unserer Bevölkerung und weltweit hat

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zum Ausdruck gebracht, dass Terror auf unserem Erdballin keiner Form akzeptiert werden kann.

(Beifall bei der PDS)

Es war auch ganz wichtig, dass dieses Haus einmütig ge-gen den Terror Stellung genommen und auch einmütigSolidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika unddem amerikanischen Volk bekundet hat.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS � WilhelmSchmidt [Salzgitter] [SPD]: Bei Ihnen war dasnicht so ganz klar!)

Die Ergreifung der Täter ist ein ganz wichtiger Um-stand bei der Bekämpfung des Terrorismus. Niemand, derso etwas veranlasst oder unterstützt oder sich in sonstigerForm an einer solchen Tat beteiligt, darf damit durch-kommen. Die Hintermänner sind � das muss man sicheinmal klar machen � selbst reich und bringen junge Män-ner dazu, ihr eigenes Leben wegzuwerfen. Sie radikali-sieren diese jungen Männer und machen sie extremistisch,wodurch Tausende Unschuldige zu Schaden kommen.Dazu kann ich nur sagen: Das darf ihnen nicht durchge-hen; sie müssen wissen, dass die gerechte Strafe sie trifft.

(Beifall bei der PDS)

Das setzt natürlich einen Nachweis, Ortung und Aus-lieferungsanträge und im Falle der Ablehnung auch Ak-tionen voraus, um die Täter zu ergreifen. Diesbezüglichsind wir auch bereit, über alle Varianten zu diskutieren.Nur sind Militärschläge oder Krieg mit Sicherheit diefalsche Antwort. Nun gibt es doch viele Truppenvorberei-tungen, die zumindest die Befürchtung groß werden las-sen, dass es dazu kommen könnte. Militärschläge undKrieg aber bedeuten weitere unschuldige Opfer, eine Spi-rale von Gewalt und Gegengewalt. Aus dieser Spiralemüssen wir uns herausbewegen, wenn wir zivile Lösun-gen auch und gerade im Kampf gegen Terrorismus findenwollen.

(Beifall bei der PDS)

�Uneingeschränkte Solidarität� klingt gut. Aber wennsich das Wort �uneingeschränkt� eben auch auf Militär-fragen bezieht, Herr Bundeskanzler, dann macht es unsSorgen; das will ich hier zumindest deutlich formulieren.Ich wiederhole: Krieg und Militärschläge können nichtdie Antwort sein.

Übrigens wäre es gut, wenn die USA ihre eigene Hal-tung zum Internationalen Gerichtshof einmal überdäch-ten, denn ein solcher Gerichtshof wäre auch für die Ver-urteilung solcher Täter geeignet und zuständig.

(Beifall bei der PDS)

Dasselbe gilt für die Weigerung der USA, die Antiterror-konvention der UNO zu unterschreiben, wozu es meinesErachtens höchste Zeit ist.

Richtig ist allerdings � hier entwickelt sich einiges �,dass man eine internationale Koalition gegen den Ter-rorismus braucht. Aber das heißt auch, dass wir die be-deutende Rede, die Präsident Putin gestern hier gehaltenhat, ernst nehmen müssen.

(Beifall bei der PDS)

Es war eben ein falscher Weg, eine unilaterale Welt zuinstallieren, in der nur noch eine Weltmacht das Sagen hat.Putin hat es gestern ganz deutlich gesagt: Wir sind beiallen wichtigen Entscheidungen nicht gefragt worden undhinterher sollten wir zustimmen.

Eine Antwort muss mehr Demokratie in den interna-tionalen Beziehungen sein, muss auch die Stärkung derUNO und der OSZE und nicht deren Schwächung sein.Deshalb war es eben falsch, die UNO zum Beispiel beimJugoslawienkrieg und auch bei den Entscheidungen hin-sichtlich Mazedoniens auszuschalten. Wir müssen dieseinternationalen Organisationen wieder stärken, die Arro-ganz muss aus der Außenpolitik heraus. Wir müssen mitden Staaten zusammenarbeiten. Das gilt für alle west-lichen Länder.

(Beifall bei der PDS)

Wir brauchen � das ist hier mehrfach erwähnt worden �wirklich eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung. DieWelt rückt zusammen, aber es gibt zwischen den Gesell-schaften Entwicklungsunterschiede von 300 bis 500 Jah-ren. Das verträgt diese Erde nicht, das verträgt dieseMenschheit nicht. Deshalb müssen wir völlig neu überEntwicklungshilfe nachdenken und sie im Vergleich zufrüheren Jahren auch strukturell verändern.

(Beifall bei der PDS)

Frieden muss attraktiv sein. Wir stehen vor der trauri-gen Tatsache, dass es Menschen gibt, für die Frieden nichtattraktiv ist. Das entzieht sich fast unserer Fantasie. Des-halb sage ich, weltweite soziale Wohlfahrt ist ganz wich-tig. Menschen müssen auch etwas zu verlieren haben.Wenn sie nicht einmal an ihrem eigenen Leben hängen,funktioniert keine unserer Sicherheitslogiken. Daraufmüssen wir uns einstellen, damit müssen wir uns aus-einander setzen und hier zu anderen Lösungen kommen.

(Beifall bei der PDS)

Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Bundeskanzler, wennSie sagen, gegen die internationalen Finanzströme desTerrorismus müsse vorgegangen werden. Es ist heute soabsurd, dass jemand, der eine so schreckliche Tat plant,auch noch vorher weiß, wie sich die Aktienkurse ent-wickeln werden, und damit ein Riesenkapital machenkann. Das muss man sich einmal ernsthaft überlegen. Nurerinnere ich auch daran, dass meine Fraktion und ich hierseit zehn Jahren gefordert haben, dass wir diese interna-tionale Finanzspekulation regulieren müssen. Alle Neoli-beralen behaupteten immer, es sei ganz wichtig, dass mansie nicht reguliert. Ich glaube, das hat sich jetzt als in je-der Hinsicht falsch erwiesen.

(Beifall bei der PDS)

Im Übrigen erklärte auch die deutsche Bundesregierung,als die UN untersagte, dass Finanzströme an die UCK ge-hen, dass sie nicht in der Lage sei, sie zu kontrollieren. Esist vielleicht doch wichtig, solche Dinge zu kontrollieren.

Innere Sicherheit ist ein wichtiges Thema. Es gibtÄngste, Befürchtungen und Sorgen der Menschen. Manmuss jeden Vorschlag sehr genau prüfen. Das werdenauch wir machen und dabei gar nicht irgendwelche

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ideologischen Schemata zugrunde legen. Aber eines sageich auch: Wenn jetzt, wie ich höre, vornehmlich auf Mi-litär und Geheimdienste gesetzt wird, heißt das, nicht zubegreifen, was eigentlich geschehen ist. Die VereinigtenStaaten von Amerika haben die bestgerüstete Armee. Siehaben die finanziell, personell und materiell bestausge-statteten Geheimdienste der Welt. Das hat den Terroran-schlag nicht verhindert; vielleicht haben sie ihn dadurchsogar eher auf sich gezogen. Müssen wir nicht aus einerbestimmten Art des Sicherheitsdenkens von heute heraus-finden und neu darüber nachdenken, wie man auch zu ei-ner persönlichen Sicherheit für die Bürgerinnen und Bür-ger kommt? Wer allein auf solche Maßnahmen setzt � dasbeweisen doch die USA, das beweist dieser entsetzlicheTerrorakt �, kann sich dagegen nicht wirksam schützen.Wir brauchen andere Lösungsansätze und nicht alte Hüte,die übrigens zum Teil schon ausdiskutiert waren.

Deshalb ist mir die Herangehensweise des Herrn Schilläußerst suspekt:

(Beifall bei der PDS)

weil er ausschließlich auf Repression setzt und sich über-haupt keine Gedanken darüber macht, wie man die zu-grunde liegende Motivation � übrigens auch die zu Kri-minalität im Inneren � deutlich abbauen kann. Dabei gehtes dann auch um ökonomische und soziale Fragen.

Wenn Sie sagen, Herr Westerwelle, die SPD hätte we-gen der Koalition mit der PDS kein Recht, Ihnen die ge-plante Koalition mit Schill vorzuwerfen, dann erwarte ichals Minimum von Ihnen als Liberalen, dass Sie sagen:Wenn wir das machen, dann haben wir auch nie wieder einRecht, der SPD eine Koalition mit der PDS vorzuwerfen.Das wäre das Mindeste, was Sie dann hinzufügen müssten.

(Beifall bei der PDS � Volker Beck [Köln][BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber einschmutziges Geschäft, was Sie hier anbieten!)

Die Vergleiche stimmen aber aus keiner Sicht, denn Siekönnen der PDS viel vorwerfen, aber ganz bestimmtnicht, dass wir uns in den letzten zehn oder elf Jahren indiesem Deutschen Bundestag nicht auch für Rechts-staatlichkeit und diesbezüglich für Liberalität eingesetzthätten.

Noch ein Wort zur Logik: Die CDU hat die Wahlen inHamburg verloren. Sie verhelfen dem Wahlverlierer � dasbezeichnen Sie auch noch als Übersetzung von Wahl-ergebnissen � zur Regierungsmacht. Das heißt, für Re-gierungsmacht tun Sie wirklich fast alles. Das ist tatsäch-lich keine besonders liberale Vorstellung.

(Beifall bei der PDS und der SPD sowie bei Ab-geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN)

Eigentlich, Herr Bundeskanzler, wollte ich gern überein paar andere Dinge reden. Sie haben heute in Ihrer Re-gierungserklärung die Arbeitslosigkeit überhaupt nichterwähnt. Ich glaube schon, dass die Arbeitslosigkeit nachwie vor ein großes inneres Problem ist. Welches sind dieWege, dagegen anzugehen? Ich habe von Ihnen dazunichts gehört, auch in den letzten Jahren nicht. Im Wahl-kampf haben Sie 1998 gesagt, Sie wollten auf unter 3 Mil-

lionen Arbeitslose kommen, dann haben Sie gesagt, Siewollten auf unter 3,5 Millionen kommen, und Sie habenerklärt, Sie wollten sich daran messen lassen. Das Ein-zige, was sich seitdem geändert hat, ist: Sie wollen sichdaran nicht mehr messen lassen,

(Beifall bei der PDS)

denn wir haben nach wie vor fast 4 Millionen Arbeitslose,und es sieht auch nicht nach Besserung aus. Vielleichtmüsste man doch einmal über die Arbeitszeit nachdenken.Herr Struck hat es im Sommer getan und wurde gleichwieder zurückgepfiffen.

Fakt ist, dass wir im letzten Jahr 1,85 Milliarden Über-stunden hatten; rein rechnerisch entspricht das 1,13 Mil-lionen Vollzeitarbeitsplätzen. Wir werden um die Diskus-sion von Arbeitszeit nicht herumkommen, auch nicht umdie Diskussion einer Strukturreform bei den Lohnneben-kosten und auch nicht um die Diskussion von Kaufkraft,denn der Binnenmarkt ist zu schwach.

Ich hätte gerne auch etwas zu Ihrer Steuerreform ge-sagt, die in Wirklichkeit Aktiengesellschaften befördertund kleine und mittelständische Unternehmen eher belas-tet hat.

(Hans Eichel, Bundesminister: Das ist dochUnsinn!)

Herr Bundesfinanzminister Eichel, Sie haben die Ver-käufe von Unternehmen und Anteilen erleichtert, indemSie sie steuerfrei gestellt haben. Sie sehen doch schonjetzt, was passiert: Überall dort, wo verkauft wird, ge-schieht das mit dem Ziel, das Unternehmen danach mög-lichst zu schließen, möglichst keine Sozialpläne aufzu-stellen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zuentlassen � und dies alles auch noch kostenlos, weil Siedie Steuer dafür abgeschafft haben. Ich glaube, dass diesder falsche Weg war.

(Beifall bei der PDS)

Gerne hätte ich mit Ihnen auch über die ökologischeSteuerreform diskutiert, an der ja der Gedanke richtig ist,den Energieverbrauch sozusagen anders in Anspruch zunehmen als in der Vergangenheit.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: HerrGysi, Sie überziehen Ihre Redezeit wieder maß-los!)

Nur, sozial hat sie nicht funktioniert, weil sie eben diewirklichen Verbraucher der Energie eher schützt; sie hatauch ökologisch keine Auswirkungen, ist ungerecht usw.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Unsinn! � WilhelmSchmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben dasschon früher nicht verstanden!)

Sie haben völlig Recht, wenn Sie jetzt zur Erhöhung derTabaksteuer und der Versicherungsteuer sagen, nichts an-deres haben die damaligen Herrschaften beim Golfkrieggemacht. Das ist wahr. Dieser Schritt wird aber nicht da-durch zu einer richtigen Antwort, dass Sie ihn jetzt tun.Das möchte ich ebenfalls deutlich sagen.

(Beifall bei der PDS � Zuruf von der SPD:Jetzt ist aber gut!)

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Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Gysi,Ihre Redezeit ist überschritten.

Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Bundestagspräsident! �

(Michael Glos [CDU/CSU]: Mikrofonabdrehen!)

Sie könnten sehr gut auch andere Wege gehen wie zumBeispiel den des Verzichts auf die Absenkung des Spit-zensteuersatzes bei der Einkommensteuer. Man kannauch an die Vermögensteuer denken, an die Spekulations-steuer und vieles andere. Nein, es müssen die Tabaksteuerund die Versicherungsteuer sein. Die Versicherungsteuertrifft viele Verbraucherinnen und Verbraucher;

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hät-ten Sie denn jetzt gern, Herr Gysi? Erzählen Siemal!)

sie trifft außerdem viele kleine und mittelständische Un-ternehmen.

(Zuruf von der SPD: Die Börsenkurse gehendoch ständig nach unten! Was soll da die Spe-kulationssteuer!)

Bei der Tabaksteuer habe ich nur eine Bitte: Hören Siedann bitte mit Ihrer Doppelmoral auf! Einerseits diskutiertdie Gesundheitsministerin immer darüber, dass Raucherdie Kosten ihrer Erkrankungen selber bezahlen sollen, undandererseits kassiert der Staat bei jeder Zigarette, die ge-raucht wird, gnadenlos mit. Diese Art von Doppelmoralkönnen wir Ihnen dann auch nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der PDS)

Ein letzter Satz.

(Widerspruch bei der SPD)

Herr Bundeskanzler, Sie haben heute auch nicht über dieinnere Einheit gesprochen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was istdenn mit der Redezeit, Herr Präsident?)

Wir sind weder wirtschaftlich noch sozial noch von derChancengleichheit her an dem Punkt, an dem man sagenkönnte: Wir kommen zur inneren Einheit. Legen Sie end-lich einen Fahrplan vor, wie wir die innere Einheit inDeutschland gestalten wollen, einschließlich der Chan-cengleichheit, der Angleichung von Löhnen und Gehäl-tern und damit einer ökonomischen und sozialen Einheitin Deutschland!

(Beifall bei der PDS)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle-gen Peter Struck von der SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Ich möchte zu den Opposi-tionsrednern Stellung nehmen.

Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Westerwelle. NachIhrer Rede habe ich wirklich Herrn Gerhardt vermisst; erhätte wenigstens sachlich und vernünftig auf die Fragen

geantwortet und nicht eine solche polemische Rede ge-halten.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Kollege Westerwelle:Wer sich hier wie Sie hinstellt � der Kollege Merz wird daswahrscheinlich ebenfalls noch tun � und sagt, 3 Milli-arden DM für die innere Sicherheit seien zu wenig � dasist das Erste, was Sie sagen; dann sollten Sie bitte aberauch sagen, wie viel es denn gefälligst mehr sein sollten �,und zweitens erklärt, die Finanzierung dieser 3 Milliar-den DM sei falsch, und von Umschichtung spricht, dersollte dann aber bitte auch konkret werden, lieber HerrKollege.

(Beifall bei der SPD)

Wo wollen Sie denn umschichten, wenn Sie 3 Milli-arden DM aufbringen wollen? Dann sagen Sie uns dochbitte, ob Sie die Ausgaben für Bildung und Forschung kür-zen wollen oder ob Sie den Verkehrshaushalt kürzen wol-len oder in anderen Bereichen. Machen Sie nicht solcheSprüche; das bringt nämlich gar nichts.

(Beifall bei der SPD)

Diese Sprüche erinnern mich an eines.

(Zuruf von der SPD: Talkshow!)

Ich habe im Vorfeld der Hamburger Bürgerschaftswahlvom FDP-Vorsitzenden den Satz gehört: Mithilfe der FDPwird Herr Schill nie Senator. Halten Sie sich an diesenSatz, Herr Westerwelle!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Dr. Guido Westerwelle [FDP]:Das haben Sie erfunden, Herr Kollege!)

Erinnern Sie sich an die guten liberalen Traditionen. EinKarl-Hermann Flach würde sich im Grabe umdrehen,wenn er das mitmachen müsste, was Sie in Hamburg vor-haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Zuruf von der CDU/CSU:Denk an SPD und PDS in Berlin!)

Sie sollten sich schämen, wenn Sie mit einem solchenMann, einem Rechtspopulisten, in einen Senat, in eineRegierung gehen. Das hat das Land Hamburg nicht ver-dient!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Zuruf von der CDU/CSU: Ihrmit den Kommunisten in Berlin!)

Herr Kollege Glos, der aus dringenden terminlichenGründen leider nicht mehr anwesend sein kann � �

(Zurufe von der CDU/CSU: Da ist er doch!)

� Entschuldigung, ich nehme alles zurück. � Herr KollegeGlos, Sie haben die Greencard kritisiert. Ich darf Ihnenvortragen, dass � nach den Mitteilungen, die man mir ge-rade eben noch gegeben hat � laut Sachverständigen etwaein Drittel der 9 500 Greencards in Deutschland von derbayerischen Wirtschaft beantragt worden ist. Vielleicht

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unterhalten Sie sich einmal mit Ihren bayerischen Kolle-gen, bevor Sie einen solchen Unsinn erzählen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich verstehe, dass die Opposition in einer schwierigenLage ist. Sie ist in einer äußerst schwierigen Lage.

(Lachen des Abg. Friedrich Merz[CDU/CSU])

Das Ansehen des Bundeskanzlers der BundesrepublikDeutschland ist so hoch wie nie. Es ist zu Recht so hochwie nie.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will dem Herrn Bundeskanzler � aber auch der ge-samten Bundesregierung � noch einmal versichern, dasser sich bei den Maßnahmen, über die wir in der letztenWoche diskutiert haben � dabei hatten wir erfreulicher-weise keine Differenzen in diesem Hause �, der Unter-stützung der SPD-Bundestagsfraktion, aber auch der Bun-destagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, wie HerrKollege Schlauch eben ausgeführt hat, sicher sein kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gefällt keinem Fraktionsvorsitzenden, wenn seineFraktion nicht geschlossen abstimmt � Art. 38 des Grund-gesetzes natürlich ausgenommen. Das gefällt niemandem.Es hat allerdings auch niemand hier Grund dazu � Sie vonder CDU/CSU nicht und Sie von der FDP auch nicht �,uns vorzuwerfen, dass wir bei der Mazedonien-Abstim-mung nicht alle an Deck gehabt haben.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: HerrMüntefering ist nicht bei der FDP!)

Bei Ihnen haben 61 Abgeordnete nicht mitgemacht, HerrMerz, und bei Ihnen von der FDP ein Drittel.

(Beifall bei der SPD)Da greife ich gern ein Zitat des Kollegen Friedhelm Ostauf, der mir aus dem Herzen sprach, als er, was die CDU-Führung bei der Mazedonien-Abstimmung angeht, Fol-gendes gesagt hat. Ich muss aus dem Kopf zitieren. Viel-leicht kann sich Herr Friedhelm Ost ja melden.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Ost, ich zitiere aus dem Kopf, Sie können esdanach ja noch klarstellen:

(Lachen bei der CDU/CSU)Gegen die Verrenkungen der CDU-Führung in derMazedonien-Frage wirken Zirkusartisten geradezu un-gelenk. � So lautete das Zitat, und so war es auch richtig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Opposition hat die Aufgabe, die Regierung zu kri-tisieren. Das tut sie. Sie hat aber auch die Aufgabe, Al-ternativen zu der Regierungspolitik aufzuzeigen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Tut sie auch!)

Nun frage ich Sie nach den Alternativen. Wenn Sie sagen,die Steuererhöhungen seien falsch, dann sagen Sie unshier bitte, wie Sie das Paket zur Bekämpfung des interna-tionalen Terrorismus anders finanzieren wollen. MachenSie das bitte, Herr Merz, wenn Sie nach mir hier reden.

(Beifall bei der SPD)

Sie kritisieren unsere Steuerpolitik und Sie schließen sichden Forderungen nach einem Vorziehen der Steuerreformauf das Jahr 2002, die von Verbänden � nicht von Unter-nehmen � kommen, an.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Reden Siemal mit den Handwerkern in Ihrem Wahlkreis!)

Diese Steuerreform vorzuziehen würde 40 bis 50 Milli-arden DM kosten. Wenn Sie also sagen: �Zieht das vor�,dann sagen Sie den Menschen in unserem Land bitte, wie diese 40 bis 50 Milliarden DM aufgebracht werdensollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie den Vorschlag machen, diese Mittel über eineNeuverschuldung aufzubringen, dann kann ich Ihnen sa-gen: Das entspricht Ihrer Tradition. Diese Tradition istaber falsch. Wir machen nicht mehr Schulden in unseremLand � nicht mit uns.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit 1998 ist die Arbeitslosenzahl um 466 000 gesun-ken und die Zahl der Beschäftigten von 37,6 Millionenauf 38,7 Millionen gestiegen. Das ist ein Erfolg unsererBeschäftigungspolitik und der Politik von Walter Riester.Das wollen wir hier einmal feststellen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben 1999 ein Programm zur Bekämpfung derArbeitslosigkeit bei Jugendlichen aufgelegt, das JUMP-Programm. Dieses Programm ist von Ihnen heftig kriti-siert worden.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Mit Recht!)

Herr Kollege Schäuble hatte sich zu einer Bemerkunghingerissen, die Gott sei Dank aus der Welt ist. Ich möchteIhnen dazu sagen: Durch dieses JUMP-Programm habenseit 1999 mehr als 300 000 Jugendliche einen Arbeits-oder Ausbildungsplatz erhalten. Auf eine solche Bilanzsind wir stolz.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben das Erziehungsgeld erhöht. Wir haben dasWohngeld erhöht. Wir haben die Rechte der Mieter ver-stärkt. Wir haben das Kindergeld für das erste und zweiteKind um 80 DM erhöht, von 220 DM auf 300 DM ab1. Januar 2002. Sie haben stattdessen ein Familiengeldvorgeschlagen, 1 200 DM pro Familie. Das würde 60 Mil-liarden DM kosten. Auf die Frage nach der Finanzierunghaben sie ähnlich wie der Finanzexperte Westerwelle

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argumentiert. Ihnen nehme ich das übel, weil Sie etwasvon Finanzen verstehen.

(Detlev von Larcher [SPD]: Nee!)

� Vielleicht jetzt auch nicht mehr. � Man kann doch nichtsagen � so war Ihre Argumentation �, bei einem Haushaltvon 400 oder 500 Milliarden DM sei es kein Problem,60 Milliarden DM aufzutreiben. Wie soll das denn gehen?Sagen Sie hier, wie Sie ein Familiengeld von 1 200 DMpro Familie finanzieren wollen. Sie können es nicht fi-nanzieren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Wilhelm Schmidt [Salzgitter][SPD]: Blanker Populismus!)

Wir haben in diesem Hause heftig über die Rente ge-stritten. Auch bei diesem Gesetz haben Sie wie bei derSteuerreform am Anfang gesagt, das werde niemals durchden Bundesrat gehen. Das war Ihre zweite schmählicheNiederlage, dass es durch den Bundesrat gegangen ist. Ichwill ja gar nicht auf die Vergangenheit verweisen

(Lachen bei der CDU/CSU)

und in Ihren Wunden wühlen. Das liegt mir ja völlig fern.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Die Rente, die wir beschlossen haben, beinhaltet eine För-derung der privaten Altersvorsorge; so haben es die Be-amten genannt, die die Gesetze formuliert haben. Anderehaben bessere Begriffe dafür erfunden, die ich über-nehme: Die Riester-Rente ist eine Förderrente und einegute Rente, wie die Nachfrage nach dieser Rente zeigt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir machen uns auch Sorgen um die Zahl der Arbeits-losen. Jeder weiß das.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Aha! Das ist jainteressant!)

Ich verweise aber auch darauf � das will ich Ihnen auchnoch einmal sagen �: Die Lage in Deutschland ist besserals die Stimmung. Den Gesprächspartnern, die, wie ichAgenturmeldungen entnommen habe, gestern mit derCDU/CSU-Fraktion über die wirtschaftliche Situation ge-redet haben und die auch meine Gesprächspartner sind,nehme ich übel, dass sie im privaten Gespräch im Bürobestätigen, dass die Lage besser ist als die Stimmung,dann aber draußen in Pressekonferenzen mit Ihnen dieStimmung so darstellen, dass sie gar nicht schlechter seinkönnte. Das gehört sich nicht. Das werde ich denGesprächspartnern auch noch einmal persönlich sagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden in dieser Woche auch das so genannte Job-Aqtiv-Gesetz auf den Weg bringen. Ich bin auf Ihre Al-ternativvorschläge gespannt. Dieses Gesetz wird dazuführen, dass wir mehr Beschäftigung bekommen.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Und höhereBeiträge!)

Es wird dazu führen, dass es klarere und konkretere Plänefür die Arbeitslosen gibt. Der Bundesarbeitsminister hatunsere volle Unterstützung dabei. Auch das wird dazu bei-tragen, dass die Entwicklung in den nächsten Monaten positiver verlaufen wird.

Ich sage Ihnen, weil das Ihr Thema ist: Diese Koalitionhat schwierige Aufgaben, jetzt eher im außenpolitischenBereich, zu bewältigen: Aber Ihre Hoffnung

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ich habe dienicht!)

� dann ist es ja gut �, dass an dieser Frage die Koalitionzerbrechen würde, will ich Ihnen gleich nehmen. DieseKoalition wird den Wählerauftrag bis zur nächsten Bun-destagswahl im Jahre 2002 gut erfüllen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wortdem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.

Friedrich Merz (von der CDU/CSU mit Beifall be-grüßt): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wir haben gestern von dem Rednerpult aus, andem ich jetzt stehe, eine beeindruckende und große Rededes russischen Staatspräsidenten gehört.

(Zuruf von der SPD: Das wird sich jetzt gleichändern!)

Er hat sich mit großem Nachdruck zu Demokratie undMarktwirtschaft in seinem eigenen Land bekannt. Er hat,wie es in der jüngeren Geschichte noch kein andererStaatsführer dieses großen Landes vor ihm getan hat,deutlich gemacht, dass sein Land an der politischen Ge-staltung und der politischen Ordnung unseres Kontinentsteilnehmen will. Er hat uns auch gesagt, dass er einen Bei-trag von Deutschland dazu erwartet.

Betrachtet man all das, was uns in den vergangenen Tagen und Wochen beschäftigt hat und worüber wir dis-kutiert haben � die Entwicklung in Russland, die Kon-flikte auf dem Balkan und die unvorstellbar grausamenTerrorakte in New York und Washington, die wir an denBildschirmen miterlebt haben �, dann wird in diesen Ta-gen, glaube ich, für uns alle eines deutlich: Selten ist inden letzten Jahren die große Verantwortung, die unseremLand europäisch und international zukommt, so deutlichgeworden wie gerade in diesem Herbst 2001. Ich möchtedeshalb zu Beginn der Aussprache über den Etat desKanzlers klar und unmissverständlich sagen: DieCDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt sich auch in der Op-position dieser Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch wir wollen und müssen den Menschen inDeutschland verdeutlichen, dass unser Land nicht abseitsstehen darf, wenn es darum geht, eine Politik des Aus-gleichs, des friedlichen Miteinanders der Völker, aberauch der Menschen in Deutschland zu ermöglichen. Esgeht um den Bauplan für das 21. Jahrhundert. WennSie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Haltung, die Sie in zwei

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Regierungserklärungen und in vielen anderen öffentli-chen Erklärungen zum Ausdruck gebracht haben, festbleiben, zu dem stehen, was Sie zur Außen- und Sicher-heitspolitik gesagt haben, und bereit sind, eineNeuformulierung der Politik umfassender Sicherheit jetztauf den Weg zu bringen, dann werden Sie auch dafür un-sere Unterstützung bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will Ihnen allerdings in der gleichen Klarheit undDeutlichkeit sagen: Es geht nicht, dass die globalen Ereignisse, die uns beschäftigen, uns beschweren undweiterhin beschweren werden, als Alibi für Nichtstun inder Innenpolitik genutzt werden, sozusagen als Begrün-dung für das Versagen Ihrer Regierung in der Arbeits-markt- und Wirtschaftspolitik herhalten müssen. Das gehtnicht, Herr Bundeskanzler!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben hier eine sehr pathetische Rede gehalten, diewohl mehr an die Zuschauer als an die Innenpolitiker inDeutschland gerichtet war. Entscheidend ist, dass wir jetztgerade in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik inDeutschland das Notwendige und das Richtige tun. Dawerden wir Sie nicht aus Ihrer Verantwortung entlassen!Nicht die Opposition, sondern Sie selber, Herr Bundes-kanzler, waren es, der für die Schlagzeilen in den Zeitun-gen gesorgt hat, die Ihre Reise durch die neuen Bundes-länder im Sommer begleitet haben: �Kanzler a. D.�,�Kanzler in der Klemme�, �Rückstand-Kanzler�, �Politikder ruhigen Kugel�, �Kraftlos in den Herbst�, �Sommerder Stagnation�, �Kanzler kassiert seine Versprechenein�, �Slow-hand Schröder�, �Schröder und der rot-grüneMehltau�, �Kanzler Zitterhand�, �Politik der schlaffenHand�, �Rot-grüne Trümmerlandschaft�.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

All das sind Überschriften in deutschen Tageszeitungen,lange bevor die Terroranschläge vom 11. September dieWeltpolitik neu bestimmt haben.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Was hat man denn schon über Merz,Merkel und Stoiber in den Überschriften gele-sen?)

Herr Bundeskanzler, jetzt ist auch in der Wirt-schaftspolitik und in der Arbeitsmarktpolitik eineGrundentscheidung erforderlich. Wollen Sie ständigdie Steuern erhöhen? Wollen Sie die Sozialversiche-rungsbeiträge weiter steigen lassen? Wollen Sie es zu-lassen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland weitersteigt? Oder nehmen Sie jetzt Ihre letzte Chance zumWechsel des Kurses in der Wirtschafts- und Arbeits-marktpolitik in Deutschland wahr? Wenn Sie Ihrenselbst gesetzten Ansprüchen gerecht werden wollen,dann müssen Sie das jetzt tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit jetzt keine Legenden über die Steuererhö-hung entstehen: Sie werden ganz schön bescheiden.Wenn Sie sich schon nicht mehr zutrauen, 0,6 Prozentdes Bundeshaushaltes für eine jetzt notwendige Politik

neu auszurichten, dann wirft auch das ein bezeichnendesLicht.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Wo denn, bitte? Wiedenn?)

Ich werde Ihnen gleich genau mitteilen, wo die struktu-rellen Probleme des von Ihnen seit drei Jahren verant-worteten Haushalts liegen.

Zunächst möchte ich etwas � ganz langsam, zum Mit-rechnen � zu den Steuererhöhungen sagen. Sie haben unshier eben wissen lassen, Sie rechneten damit � das ist IhreGrundannahme �, dass sich der Konsum in Deutschlandnicht verändert. Wir gehen also unverändert davon aus,dass in Deutschland 140 Milliarden Zigaretten pro Jahrgeraucht werden. 140 Milliarden Zigaretten mal 2 Cent � diesen Wert hat der Finanzminister als Steuererhöhungangekündigt � ergibt 2,8 Milliarden Euro. 2,8 MilliardenEuro mal knapp zwei sind etwa 5,6 Milliarden DM. Dazukommen 16 Prozent Mehrwertsteuer, was weitere0,9 Milliarden DM bedeutet. Summa summarum machtdas � bei dem von Ihnen unterstellten unveränderten Ver-braucherverhalten � für die Verbraucher in der Bundesre-publik Deutschland eine Steuererhöhung von insgesamt�nur� 6,5 Milliarden DM aus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

So sieht das aus, was Ihr Finanzminister vorschlägt.

Dazu kommt die Versicherungsteuer. Ich muss Ihnensagen: Ich finde es schon fast zynisch, dass Sie jetzt vordem Hintergrund drastisch steigender Versicherungsprä-mien wegen der Anschläge in den USA die Chance nut-zen � ich sage das sozusagen in Anführungsstrichen �, dieVersicherungsteuer zu erhöhen. Ich wiederhole: Was Sieda machen, das ist schon fast zynisch.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, es ist hin und wieder gut, sichnicht nur auf die aktuelle Haushaltsdebatte vorzubereiten,sondern auch das Protokoll der vergangenen nachzulesen.Ich habe Ihnen am 29. November des letzten Jahres in derzweiten und dritten Lesung des Bundeshaushaltes 2001hier gesagt, dass Ihre Wachstumserwartungen für dasJahr 2001 völlig illusorisch sind. Daraufhin haben Siegesagt � all das können Sie im Protokoll nachlesen �: DieOpposition beschimpft die Menschen in Deutschland undrespektiert deren Leistungen nicht; wir werden imJahre 2001 ein Wachstum von 2,75 Prozent haben. Dannhaben Sie wörtlich gesagt:

Nach allen uns bekannten Prognosen werden wirEnde des nächsten Jahres

� also Ende 2001 �

eine Arbeitslosigkeit von 3,5 Millionen � vielleichtwird sie sogar etwas darunter liegen � erreichen kön-nen.

Das haben Sie Ende November 2000 von dieser Stelle ausgesagt. Ich stelle knapp ein Jahr später fest: Sie habenkeine Chance mehr, im Jahresdurchschnitt 3,5 Millionenzu erreichen. Zum Jahresende 2001 wird die Arbeitslo-sigkeit in Deutschland wieder bei über 4 Millionen liegen.

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Das ist die Wahrheit im Hinblick auf Ihre Wirtschafts- undArbeitsmarktpolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das hat natürlich auch etwas mit dem Wachstum inDeutschland zu tun. Kollege Struck, Sie haben Hamburgangesprochen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: 26 Pro-zent, jawohl!)

Lassen Sie uns meinetwegen nicht über die Vergangen-heit, sondern nur über die Gegenwart und über die Zu-kunft der handelnden politischen Akteure in den unter-schiedlichen Regierungen reden. Wir erwarten für diesesJahr � mühsam genug � ein Wirtschaftswachstum inDeutschland von real etwa 1 Prozent. Dieses Wirtschafts-wachstum wird wesentlich von den süddeutschen Län-dern, die von der Union regiert werden, getragen: Baden-Württemberg 2 Prozent, Bayern immerhin 1,2 Pro-zent,

(Joachim Poß [SPD]: Und von Hamburg!Hamburg ist auch überdurchschnittlich!)

Hessen 2,1 Prozent und selbst das Saarland, das sich in ei-ner schwierigen strukturellen Phase befindet, erreicht einwirtschaftliches Wachstum von 1,4 Prozent. Wenn Sie,Herr Bundeskanzler, die süddeutschen Länder nicht hät-ten, dann wären Sie, was das Wachstum in Deutschlandangeht, ein noch armseligerer Tropf, als Sie es schonheute sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zum Glück sieht es in ganz Deutschland nicht so auswie in den Ländern, in denen Ihre Partei, die SPD, ge-meinsam mit den Postkommunisten, also mit der PDS, re-giert � wir reden nicht über die Vergangenheit, sondernnur über die Gegenwart und über die Zukunft �, nämlichin Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt: er-stes Halbjahr 2001 Mecklenburg-Vorpommern minus2,1 Prozent und Sachsen-Anhalt minus 1,8 Prozent. Diesebeiden Länder stecken knietief in der Rezession. Das hatetwas mit sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik in die-sen Ländern zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP �Detlev von Larcher [SPD]: So ein Blödsinn!Eine Beleidigung des Intellekts!)

Nun mögen Sie ja einwenden, das alles sei nur das Ge-rede der Opposition und ein Ritual, das dazugehört.

(Detlev von Larcher [SPD]: Sie können uns jaklüger machen!)

Nehmen wir doch die als Zeugen, die Sie, Herr Bundes-kanzler, berufen haben, um das große Projekt Ihrer Re-gierung, nämlich das Bündnis für Arbeit, zu begleiten.Sie haben in dieses Bündnis für Arbeit eine so genannteBenchmarking-Gruppe berufen. Diese Gruppe bestehtaus drei namhaften Professoren. Wenn ich es richtig sehe,steht keiner von ihnen im Verdacht, ein Sprachrohr derOppositionsparteien im Deutschen Bundestag zu sein.Diese drei Professoren haben in Ihrem Auftrag ein Gut-achten erstellt, das im Bündnis für Arbeit als Dis-

kussionsgrundlage für die nächsten Wochen und Monatedienen soll.

(V o r s i t z: Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Sie haben von diesen Gutachtern verlangt: Erstens.Eine ungeschminkte Analyse der Lage in Deutschland.Zweitens. Sie sollten vor unbequemen Wahrheiten nichtzurückschrecken. Drittens. Sie sollten zum Arbeitsmarktund zur Beschäftigung in Deutschland � vor allem im in-ternationalen Vergleich � Stellung nehmen. Diese Gut-achter, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrem Auftrag dasgetan, was Sie � nicht wir � von ihnen verlangt haben.

Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich auf Druck der Ge-werkschaften geweigert, dieses vorgelegte Gutachtenzum Gesprächsgegenstand im Bündnis für Arbeit zu ma-chen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Deswegen mussten die Gutachter es auf dem freien Marktpublizieren. Sie kommen zu dem folgenden Ergebnis:Erstens. Unternehmen und Arbeitnehmer in Deutschlandsind mit besonders hohen Steuern und Abgaben belastet.Das geht an Ihre Adresse, Herr Eichel, Thema Senkungder Steuern und der Sozialversicherungsbeiträge.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Wir haben die Steuerngesenkt! � Joachim Poß [SPD]: Das war IhrePolitik, die wir mühsam korrigieren!)

Zweitens. Vor allem kleine Firmen und der Mittelstandstellen aus Angst vor Arbeitsgerichtsverfahren kaum nochneue Mitarbeiter ein. Drittens. Die öffentlichen Investi-tionen in Deutschland gehen stärker zurück als in anderenLändern. Viertens. Die Auflagen in Deutschland für Zeit-arbeit und Arbeitnehmerüberlassung sind höher als in an-deren Ländern.

Die Gutachter ziehen das folgende Fazit: �In kaum ei-nem anderen Land der Welt stehen Aufwand und Ertragfür den Arbeitsmarkt in einem so schlechten Verhältniszueinander wie in Deutschland.� Recht haben diese Gut-achter, Herr Bundeskanzler.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Man kann es auch anders ausdrücken: Bund, Länder,Gemeinden und Sozialversicherungsträger in Deutschlandgeben rund 200 Milliarden DM nicht zur Beseitigung derArbeitslosigkeit, sondern für deren Bewirtschaftung aus.Andere Länder in Europa und außerhalb unseres Kon-tinents haben mit viel geringerem Aufwand einen vielhöheren Ertrag auf dem Arbeitsmarkt erzielt.

Das Grundproblem dieses Bundeshaushaltes ist � da-mit bin ich an dem Punkt, den ich bereits am Anfang nen-nen wollte �, dass Sie immer weniger für Investitionenausgeben, dass Sie immer mehr für den konsumtivenAusgabenteil zur Verfügung stellen und dass Sie statt ei-ner wirklich kraftvollen angebotsorientierten Wirtschafts-politik eine ständig steigende Subventionierung der Ar-beitslosigkeit in Deutschland betreiben.

Das so genannte Job-Aqtiv-Gesetz � Herr Bundes-kanzler, ich weiß nicht, ob Sie dieses Gesetz gelesen ha-ben; wenn nicht, sollten Sie es tun � setzt dem, was Sie in

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der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland versuchen, dieKrone auf. Es hat mit Jobs und mit �aktiv� � ich habe nichtverstanden, warum Sie �aktiv� mit �q� schreiben � nichtszu tun.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das bedeutet �qualifi-zieren�! �Qualifizieren� schreibt man mit �q�!)

� Dann ist es so. � Ich weiß nicht, was dieses Gesetz mitJobs und Aktivitäten zu tun hat.

Dieses Gesetz sieht vor, dass jetzt aus den Beiträgen andie Bundesanstalt für Arbeit und aus den Sozialversiche-rungsbeiträgen, die die Beschäftigten in Deutschland zah-len, in Zukunft Infrastrukturprogramme in den Kommu-nen finanziert werden. Ich frage Sie allen Ernstes, HerrBundeskanzler: Warum sorgen Sie mit diesem Gesetznoch mehr dafür, dass der zweite und der dritte Ar-beitsmarkt zulasten des ersten Arbeitsmarktes weiter sub-ventioniert wird, obwohl Sie und Herr Schlauch sagen,dass wir etwas für den ersten Arbeitsmarkt tun müssen?Sie werden es mit dieser Politik nicht schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein [CDU/CSU]:Nicht finanzierbar!)

Deswegen stelle ich fest: Die gesamte Struktur diesesBundeshaushaltes stimmt nicht mehr.

(Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt mal konkret,Herr Fraktionsvorsitzender!)

� Ich sage es Ihnen konkret: Sie wollen im nächsten Jahrbei 400 Milliarden DM Steuereinnahmen des Bundesmehr als 140 Milliarden DM allein für die Subven-tionierung der Rentenversicherung ausgeben.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Kommen Sie doch ein-mal zur Sache, Herr Merz! Machen Sie einmalVorschläge, wie es gehen soll!)

Wenn Sie die Probleme in der Rentenversicherung nichtlösen und ihr stattdessen einen immer höheren Steueran-teil des Bundes zur Verfügung stellen, dann dürfen Siesich nicht darüber wundern, dass Ihnen im Haushalt über-haupt kein Spielraum mehr zur Verfügung steht; anschei-nend noch nicht einmal für 3 Milliarden DM, die aktuellfür die Sicherheit vorgesehen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP �Detlev von Larcher [SPD]: Herr Merz, wollenSie die Renten kürzen, oder was?)

Ich möchte Ihnen nun etwas zu unseren Vorschlägen,die Steuerreform vorzuziehen, sagen: Natürlich löst die-ser Vorschlag Diskussionen in den Ländern aus; übrigensauch in den Kommunen, die Sie überhaupt nicht mehrwahrnehmen. Die Kommunen sind in einer desaströsen fi-nanzpolitischen Lage.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das müssen Sie geradesagen! � Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein[CDU/CSU]: Halbierung der Gewerbesteuer!)

Das, was Sie, Herr Bundesfinanzminister, auf dem Gebietder Gewerbesteuer unternommen haben, führt dazu, dassin den Kommunen die Einnahmen so dramatisch wegbre-chen, dass die Mehrzahl der Kommunen in Deutschland

noch nicht einmal ihre Pflichtaufgaben erfüllen kann.Aber das liegt außerhalb jeder Betrachtung dieser Bun-desregierung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU undder FDP � Dr. Peter Struck [SPD]: Deshalb wol-len Sie die Steuern senken!)

Über die Steuerreform führen wir natürlich auch inden eigenen Reihen Diskussionen. Sie aber stehen vorder Situation, durch ein Wegbrechen des Wirtschafts-wachstums und eine drastisch zunehmende Arbeitslosig-keit im nächsten Jahr noch mehr Geld in die Hand neh-men zu müssen. Deswegen wird Ihr Ziel, dieKonsolidierung des Bundeshaushaltes aufrechtzuerhal-ten, nicht zu erreichen sein. Sie werden es sowieso nichteinhalten. Ich sage Ihnen, vor welcher Alternative Sie beidiesem Bundeshaushalt stehen: Entweder Sie machen dierichtige Wirtschaftspolitik oder Sie setzen die falschefort. Die richtige jetzt zu machen wäre die bessere Alter-native.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP �Detlev von Larcher [SPD]: Werden Sie konkret!Das sind bis jetzt nur Phrasen! � Dr. PeterStruck [SPD]: Sagen Sie einmal, was Sie fürVorschläge haben! Wollen Sie die Steuern erhö-hen?)

� Ich habe Ihnen gesagt, dass wir bei unserem Vorschlagbleiben, die für die Jahre 2003 und 2005 beschlosseneSteuerreform vorzuziehen,

(Detlev von Larcher [SPD]: Wie finanzierenSie das?)

sodass in den nächsten Jahren ein wirtschaftliches Wachs-tum erzielt wird, das diese Steuerreform � wenn auch miteinem gewissen Zeitverzug � finanziert.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das kapierendie Sozialisten nicht! � Dr. Peter Struck [SPD]:Die finanziert sich doch nicht von allein!)

Sie trauen den Menschen in Deutschland nichts mehr zu.Das ist das eigentliche Problem Ihrer Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was wäre jetzt notwendig? Die Bundesregierung hättejetzt Entscheidungen treffen müssen. Sie hätte gegen dieTraditionsbataillone in den eigenen Reihen eine gute undrichtige Wirtschaftspolitik durchsetzen müssen. HerrBundeskanzler, Sie hätten angesichts der drohenden Re-zession jetzt sagen müssen: Die Anschläge von New Yorkund Washington waren nicht nur ein Angriff auf unsereFreiheit und auf unsere Sicherheit. Sie gefährden viel-mehr auch die wirtschaftliche Entwicklung in Europa undin Deutschland. Deshalb � so hätten Sie fordern und auchdurchsetzen müssen � werden jetzt alle Anstrengungenauf das wirtschaftliche Wachstum und auf den ersten Ar-beitsmarkt konzentriert. Deshalb � so hätten Sie sagenmüssen � hat jetzt jeder in Deutschland die Pflicht, das zuleisten, was er selber leisten kann.

Herr Bundeskanzler, wir hätten uns ein klein wenigvon der großartigen Dynamik und dem Selbstvertrauen,über das die amerikanische Nation bzw. dieses Volk in ei-

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ner solch fürchterlich schwierigen Lage verfügt, auch fürunser Land zunutze machen können. Die Menschen inDeutschland sind leistungsbereit. Sie sind in der Lage, inder wir uns befinden, bereit, etwas zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Bundeskanzler, nicht die Opposition und auch nichtdie Arbeitnehmer oder die Arbeitgeber in Deutschlandsind das Problem. Diese Regierung, die den Menschennichts zutraut, ist das Problem. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � Widerspruch bei der SPD)

Wir haben eine Regierung, die den Menschen miss-traut, die sie bürokratisch gängelt, die sie immer mehr re-guliert und die ihnen ständig neue Betreuung und Bevor-mundung zumutet.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das sehen wir geradein den Meinungsumfragen!)

Wir bräuchten jetzt einen Blick nach vorn. Die rot-grüneRegierung und ihre schwankende Wirtschaftspolitik � dasist keine Mischung aus einer angebots- und nachfrageori-entierten Politik � ist sich ihrer selbst nicht sicher.

(Lachen bei der SPD � Detlev von Larcher[SPD]: Nur Sprüche!)

Sie haben in Ihren eigenen Reihen die grundlegendenwirtschaftspolitischen Fragen bis zum heutigen Tagenicht geklärt. Sie sind mit Floskeln überdeckt worden.

(Dr. Konstanze Wegner [SPD]: Sie sind dieOberfloskel in Person!)

Jetzt gibt es keine rechte oder linke Wirtschaftspolitikmehr, sondern nur noch gute oder schlechte. Meine Da-men und Herren, Sie machen eine schlechte und eine linkeWirtschaftspolitik in diesem Land. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP �Detlev von Larcher [SPD]: Floskel-Merz!)

Das eigentliche Problem � darauf will ich zum Schlussnoch einmal hinweisen � ist nicht die Bevölkerung, sindnicht die Menschen, die Sie hier sehr geschickt mit ein-zubeziehen und gegen die Opposition in Stellung zu brin-gen versuchen. Das Problem hat einen Namen. Der Nameist Gerhard Schröder.

(Widerspruch bei der SPD)

Dieses Land hat eine bessere Regierung verdient, meineDamen und Herren!

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU � Bei-fall bei der FDP � Widerspruch bei der SPD �Hans Georg Wagner [SPD]: Nur Floskeln!)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile nun demBundesfinanzminister Hans Eichel das Wort.

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen (mit Bei-fall von der SPD begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehrverehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz, wiekönnen Sie von Strukturproblemen des Bundeshaus-

halts reden �, und das nach 16 Jahren Ihrer Regierungs-tätigkeit �,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Widerspruch bei der CDU/CSU)

die nur dazu geführt haben, dass der Block der Zinsen vonehedem 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts in den 80er-Jahren auf 2 Prozent in diesem Jahrzehnt angewachsenist? 40 Milliarden DM allein an Zinsen obendrauf, das istdie Bilanz Ihrer Regierungstätigkeit, und zwar Jahr fürJahr.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie können Sie von Strukturproblemen im Bundeshaus-halt reden, da Sie es zu verantworten haben, dass in IhrerRegierungszeit die Zukunftsaufgaben dieses Landes mas-siv vernachlässigt worden sind? Verfassungswidrig hoheBesteuerung der Familien, das hat Ihnen das Bundesver-fassungsgericht für 16 Jahre Ihrer Politik ins Stammbuchgeschrieben,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unterfinanzierung des Bundeshaushalts in Bezug auf dieFamilien. Wie können Sie von Strukturproblemen desBundeshaushalts reden, obwohl während Ihrer Regie-rungszeit in den 90er-Jahren die Ausgaben für Bildung undForschung jedes Jahr zurückgefahren worden sind, dieZahl der BAföG-geförderten Studentinnen und Studenten� ja, Herr Merz, das wollen Sie jetzt nicht hören; das merkeich schon � von 650 000 auf 350 000 heruntergegangenist? Das war unterlassene Zukunftsvorsorge in den JahrenIhrer Regierungstätigkeit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sind die strukturellen Probleme des Bundeshaushal-tes, die wir vorgefunden haben. Und dann: kritisieren Siedoch nicht die Rentenfinanzierung im Bundeshaushalt.Sie doch nicht! Sie haben doch die Kosten der deutschenEinheit in die Sozialversicherungssysteme verlagert unddamit die Lohnnebenkosten auf das historisch höchste Ni-veau getrieben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben in den 90er-Jahren die Lohnnebenkosten von 34 auf über 42 Prozent hochgedrückt. Das hat es doch nievorher gegeben. Wir sind die erste Regierung, bei der dieLohnnebenkosten nachhaltig sinken, das erste Mal über-haupt.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben ein Problem in der Gesundheitspolitik. FrauKollegin Schmidt hat es weiß Gott nicht leicht. Sie habenbereits im ersten Jahr dieser neuen Regierung die Ge-sundheitsreform von Frau Kollegin Fischer im Bundesratblockiert. Jetzt sehen Sie die Konsequenz daraus. Das istdie Lage, meine Damen und Herren.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

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Wir können an Ihren Taten messen, was Sie heute in IhrenReden sagen; so lange ist Ihre Regierungszeit noch nichther.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir reden jetzt über den Bundeshaushalt 2002, überden dritten Konsolidierungshaushalt in Folge.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU �Hans Georg Wagner [SPD]: Ob es euch gefälltoder nicht, es ist so!)

Ich sage Ihnen eines: Hätten Sie, statt seit 1996 Jahr fürJahr verfassungswidrige Haushalte aufzustellen, damalsmit der Konsolidierung begonnen, wären wir heute in Eu-ropa schon ein ganzes Stück weiter.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der einzige Ärger, den ich als deutscher Finanz-minister habe, wenn ich meine europäischen Kolleginnenund Kollegen treffe.

Das ist der dritte Konsolidierungshaushalt in Folge,ohne das im Einzelnen noch einmal durchbuchstabierenzu wollen. Es ist klar, dass Konsolidieren im jetzigenweltwirtschaftlichen Umfeld viel schwieriger wird, als esim vorigen Jahr gewesen ist. Ich warne Sie allerdings vorSchwarzmalerei. Wenn ich mir den Haushaltsvollzug die-ses Jahres ansehe, dann stelle ich fest, dass die Steuerein-nahmen bis einschließlich August � ich habe die Septem-berzahlen noch nicht � sogar etwas günstiger sind, alsnach der Steuerschätzung im Mai zu erwarten war. Dasheißt, ich rate dazu, wie übrigens auch der Bundesverbandder Deutschen Industrie, von Schwarzmalerei und Panik-mache Abstand zu nehmen. Schwarzmalerei macht kei-nen Sinn.

Richtig ist, dass wir den Haushalt nur auf dem jeweilsneuesten Stand der Erkenntnis aufstellen dürfen. Recht-zeitig zur dritten Lesung im November wird die Steuer-schätzung auf der Basis der dann aktualisierten Daten derKonjunkturprognose vorliegen. Gegebenenfalls werdenwir daraus dann noch Konsequenzen zu ziehen haben; dasist keine Frage. Es ist klar, dass es ein hartes Geschäft ist,den Konsolidierungskurs jetzt durchzuhalten. Beim Ein-bringen des Haushaltes habe ich deutlich gemacht, wiehart das in diesem Herbst werden wird; auch das ist keineFrage. Ich bin davon überzeugt, dass wir es bei der jetzi-gen Haushaltssituation nicht schaffen, zusätzliches Geldfür die innere Sicherheit durch Umschichtungen bereitzu-stellen.

Die Vorstellungen der Opposition zeigen noch etwasganz anderes. Von Ihnen gibt es nicht einen einzigen Vor-schlag, wo im Haushalt noch etwas eingespart werdenkönnte.

(Detlev von Larcher [SPD]: Die haben ja gar keinen!)

Es gibt nur die Vorschläge, mehr auszugeben und dieSteuern zu senken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dabei sind Sie nicht konsequent. Allein das, was Sie zurersten Lesung auf den Tisch gelegt haben, würde zu einerzusätzlichen schuldenfinanzierten Aufblähung des Haus-haltes im Umfang von 36,5 Milliarden DM führen.

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)Meine Damen und Herren, dann wären wir genau

wieder da, wo Sie 1996, 1997 gewesen sind. Das Defizitim Bundeshaushalt würde sich auf annähernd 80 Milliar-den DM belaufen. Das wäre ein verfassungswidrigerHaushalt. Die Länderhaushalte würden im selben Augen-blick verfassungswidrig werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Stellen Sie sich hier hin und erklären Sie, dass Ihr An-trag zum Haushalt bedeutet, dass Sie den Bundestagzunächst bitten müssten, gemäß Art. 115 GG festzustel-len, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestörtsei. Das wäre der Eröffnungszug für Ihren Antrag zumHaushalt 2002. Dahin würde es uns führen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht noch lustig weiter. Sie begnügen sich ja nichtmit den 36,5 Milliarden DM; darin sind leider nur 2 Milli-arden DM für die Bundeswehr enthalten. Herr Repnik hatgerade wieder 18,6 Milliarden DM auf der nach oben offenen Richterskala der Möglichkeiten zur Ausgaben-steigerung im Laufe von vier Jahren gefordert. Das istdoch Ihre Position.

Wenn ich mir das Steuerprogramm von Frau Merkelansehe, stelle ich fest, dass dadurch ein Steuerausfall inHöhe von 175 Milliarden DM eintreten würde. Dazu kannich � wie Herr Faltlhauser � allenfalls nur sagen: Ein Gag!Das ist keines weiteren Kommentars wert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hören Sie sich einmal an, was der jetzige sowie der vorige Bundesbankpräsident zum Vorziehen der Steuer-reform sagen. Sie sagen, dass es Unsinn sei und es öko-nomisch nichts bringe. Das weiß auch jeder. Schauen Siesich einmal an, was Japan gemacht hat und wo es heutesteht. So geht es doch nicht. Sowohl bei der Bundeswehrals auch bei den inneren Diensten und in vielen anderenBereichen muss noch etwas getan werden. Das hat seinenPreis. Die Ehrlichkeit gebietet es, das zu sagen.

Es ist wirklich unglaublich, was Sie an Geschichtsver-drängung betreiben. Während des Golfkrieges haben Sievier Steuern erhöht. Herr Westerwelle, Sie waren dabei.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Die FDP hat zugestimmt!)

Sie haben den Solidaritätszuschlag eingeführt und die Mi-neralölsteuer um 25 Pfennig erhöht, was mehr als vierStufen der Ökosteuer ausmacht. Wir geben das Geld we-nigstens über Lohnnebenkosten zurück.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Dr. Guido Westerwelle [FDP]:Haben Sie schon mal was von der deutschenEinheit gehört?)

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� Nein, für den Golfkrieg haben Sie das gemacht.

(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Der Solida-ritätszuschlag war doch nicht für den Golf-krieg!)

Sie haben auch die Versicherung- und die Tabaksteuer er-höht. All das haben Sie 1991 gemacht.

(Detlev von Larcher [SPD]: Unter dem Vorwand�Golfkrieg�! � Dr. Guido Westerwelle [FDP]:Von der deutschen Einheit wollen Sie nichts wis-sen! � Gegenruf des Abg. Detlev von Larcher[SPD]: Sie haben gesagt: Für den Golfkrieg!)

Sie regen sich auf, weil wir die 3 Milliarden DM über dieTabak- und die Versicherungsteuer solide finanzieren.Wissen Sie was? Wir sind froh, dass wir uns im interna-tionalen Bereich einig sind. Durch Ihre großen Reden ma-chen Sie dies aber in kleinkariertester Weise kaputt, wennes um Realisierungen hier im Lande geht. Das ist dieWirklichkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Solidarität, die durch die notwendigen unpopulärenBeschlüsse nicht im Lande unterfüttert wird, kann nichtsehr viel über Nennwert gehandelt werden. Das ist dieWirklichkeit, mit der wir uns bei Ihrer Politik beschäfti-gen müssen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden das tun, was an dieser Stelle getan werdenmuss. Ich sage dies ausdrücklich noch einmal für die Bun-deswehr, die ihren Teil bei der Terroristenbekämpfungleisten muss und dafür zusätzliche Mittel bekommen wird.Dies gilt auch für die Nachrichtendienste und den Kata-strophenschutz sowie den Kampf gegen Geldwäsche.

Ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Kampf ge-gen Geldwäsche finde ich spannend. Ich glaube, Sie ha-ben kürzlich � das werde ich nachprüfen � in dieser Sachean einer anderen Stelle nicht zugestimmt. Das wird einespannende Veranstaltung, wie Sie den Leuten klar machenwollen, dass immer dann, wenn es wirklich darauf an-kommt, die Instrumente zu schärfen, plötzlich das Bür-gerrecht auf das Bankgeheimnis allem anderen vorgeht.Das werden Sie den Leuten klar machen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen eines: Hier geht es darum, den steuer-ehrlichen Bürger vor dem Betrüger zu schützen. Das istes, was wir lernen müssen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hier lässt sich eine Menge machen. Da werden Sie ziem-lich umdenken müssen, übrigens auch der Föderalismusin Deutschland; denn wir machen keine gute Figur, wennwir die Financial Intelligence Unit nicht haben, weil dieBundesländer wegen ihrer Gesetzgebungskompetenznicht bereit sind, uns diese einrichten zu lassen. Ich hoffe,dass das jetzt anders wird.

Sie werden die Gelegenheit haben, uns zuzustimmen,wenn wir EDV-gestützte Recherchesysteme in den Ban-ken vorschreiben, wie das im Vierten Finanzmarktförde-rungsgesetz vorgesehen ist, damit man sehr schnell unty-pische Vorgänge auf einzelnen Konten erkennen kann.Die Banken können so etwas heute nicht erkennen � daswerfe ich ihnen nicht vor �, aber jene Banken, die solcheSysteme schon haben, können aus den Vorgängen Schlüs-se ziehen und tun dies auch.

Wir werden in der Tat auch etwas dafür tun, dem Ter-rorismus weltweit den Nährboden zu entziehen. Wir brau-chen Krisenvorbeugung überall dort, wo zurzeit solcheKrisen entflammen könnten. Man bekommt eine Prämie,wenn man sich friedlich verhält. Dazu wollen wir unserenBeitrag leisten; auch dies ist in dem Paket enthalten. Dasist sicherlich eine ganz richtige Entwicklung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie müssen sich schonselbst fragen, ob all Ihre großen Reden über die notwen-dige internationale Solidarität und über die notwendigeSchwerpunktsetzung bei der äußeren und inneren Sicher-heit völlig ohne jeden eigenen Beitrag zu der Frage blei-ben können, wie man das bezahlt. Sie müssen sich fragen,wie glaubwürdig eine solche Politik ist.

Ich möchte mit aller Klarheit sagen: Ein erneutes Aus-weichen in eine Schuldenpolitik � das schlagen Sie zu-verlässig jedes Mal als Rezept vor � kommt für uns nichtinfrage.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Unsere Politik ist erfolgreich � anders, als Sie es inmanchen Punkten dargestellt haben. Wir hatten im Jahr2000 das höchste Wirtschaftswachstum, das es seit 1992je gegeben hat. Das war doch nicht mehr in Ihrer Regie-rungszeit, sondern in unserer. Wir haben in zwei Jahrenmehr Arbeitsplätze hinzugewonnen, als in acht Jahren Ih-rer Regierungstätigkeit seit der Wiedervereinigung ver-loren gegangen sind, meine Damen und Herren. Dassdiese Entwicklung im Moment so nicht weitergeht, istleider wahr; das will ich überhaupt nicht bestreiten. � Aber warum das so ist, weiß außer Ihnen auch jeder. Siewissen es in Wahrheit auch, Sie benötigen für den innen-politischen Hausgebrauch nur eine andere Sprachrege-lung. �

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt kommt dieWeltwirtschaft!)

Sie müssen einmal den IWF, die Europäische Zentralbankoder die Bundesbank fragen. Es gibt zwei Gründe für diemomentane Situation: Einer ist natürlich der Ölpreis.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja, es sind im-mer die anderen, nur nicht Sie!)

Außerdem ist der lang anhaltende Boom in den Vereinig-ten Staaten zu Ende.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das haben wirIhnen lange vorausgesagt!)

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Das sind die beiden Probleme, mit denen wir es zu tun ha-ben und die wir angesichts der Terroranschläge nicht auchnoch verschärfen dürfen, indem wir in Panikmache undSchwarzmalerei verfallen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN � FriedrichMerz [CDU/CSU]: Sie müssen nur das Richtigetun!)

Meine Damen und Herren, jetzt ist in der Tat gefragt,konsequent die Politik der Konsolidierung des Haus-halts, der langfristig, nachhaltig angelegten Finanzpolitikmit nachhaltig angelegten Steuersenkungen, mit dennächsten Schritten in 2003 und in 2005, umzusetzen. At-tentismus erzeugt derjenige, der ständig Verunsicherungüber die Rahmenbedingungen schafft. Wer langfristig si-chere Rahmenbedingungen erzeugt, leistet das Beste, waser als Staat für die Bürger und für die Unternehmen tunkann. Deswegen, meine Damen und Herren, werden wiran unserer Kosolidierungspolitik nicht rütteln lassen.

Natürlich geht das Ganze weiter. So etwas wie unsereRentenreform mit der zusätzlichen privaten Eigenvor-sorge, kapitalgedeckt und vom Staat unterstützt, habenSie in Ihrer Zeit doch gar nicht zuwege gebracht. Wir ha-ben die Rentenreform richtig zuwege gebracht; WalterRiester war es.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, anders, als Sie es dargestellthaben, geht es bei Job Aqtiv nur darum, dass das Geld soeingesetzt werden kann, dass es Mehrwert schafft. Das istder ganze Sinn der Regelung, den Sie überhaupt nicht be-griffen haben, als Sie sie zitiert haben, Herr Kollege Merz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD � Detlevvon Larcher [SPD]: Er ist eben schwer von Ka-pee!)

Hierbei geht es um das Zusammenführen von Arbeits-losen- und Sozialhilfe, wie Walter Riester das für den An-fang der nächsten Wahlperiode angekündigt hat.

Wenn Sie sich anschauen, was wir allein in diesemHerbst bei der Strukturreform des deutschen Finanz-marktes zu tun haben � die Vorlagen bekommen Siebald �, dann werden Sie erkennen, wie wir als Deutschedamit unseren Standort stärken und in den gemeinsameneuropäischen Finanzmarkt offensiv hineingehen.

Auch haben wir den Solidarpakt II abgeschlossen,den wir in diesem Sommer mit einer Perspektive bis 2020vereinbart haben. Sie hätten sich das groß auf Ihre Fahnengeschrieben, wenn Sie dies zustande gebracht hätten.

Ein anderes Beispiel ist die Reform der Finanzver-waltung.

Die Reform der Bundeswehr ist eine Riesenaufgabe,die der Kollege Scharping zu schultern hat. Sie haben mitdiesem Etat gewirtschaftet, als ob Sie nie mit der Bun-deswehr darüber geredet hätten, wie man mit Geld effizi-ent umgeht. So kann man das nicht machen.

(Beifall bei der SPD)

Der Kampf um mehr Reformen in diesem Lande gehtweiter. Aber er geht verlässlich auch im internationalen Rah-men weiter; denn nur derjenige, der seine Politik in den eu-ropäischen Zusammenhang und in den Weltzusammenhangeinordnet, wird eine Chance haben. Genau das tun wir.

Wenn Ihre Reden im Rat der Finanzminister der Euro-päischen Union gehört würden, dann würden Sie � dassage ich Ihnen � nur Kopfschütteln ernten. Selbst beiIhren konservativen Kollegen � ich greife als willkür-liches Beispiel den Kollegen Rato aus Spanien heraus �wäre die Reaktion auf Ihre Vorschläge nur Kopfschütteln.Wer so wie Sie alles in Grund und Boden redet, was imZusammenhang mit dem europäischen Stabilitäts- undWachstumspakt steht, der wird auf europäischer Ebene solange nicht ernst genommen, wie er diese Politik auch nurvorschlägt. Das ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. ChristianSterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Am vergangenen Wochenende haben die Staats- undRegierungschefs sowie die Finanzminister zusammenge-sessen. Genau das, was Sie wollen, tun wir: Wir koor-dinieren unsere Politik in Europa. Weil wir den Konso-lidierungspfad konsequent einhalten, gibt es für dieEuropäische Zentralbank ihrerseits die Möglichkeit, dieZinsen zu senken. Ein Abweichen vom Konsolidierungs-pfad hätte unweigerlich zur Folge, dass die Geldpolitiknicht mehr ihren Beitrag für das Wirtschaftswachstum leis-ten könnte, weil die Stabilität nicht gewährleistet wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu den G-7-Staaten: Gerade gestern haben wir alle ineiner Telefonschaltkonferenz über diese Fragen geredet.Genau das, was ich hier vortrage, ist die Position aller Fi-nanzminister der G-7-Staaten. Sie wollen keine hekti-schen Reaktionen, sondern sie wollen Ruhe und Vertraueneinkehren lassen. Im Moment sind die Probleme, die wirhaben, nicht ökonomischer Natur; die politische Verunsi-cherung ist vielmehr das Problem.

Ich sage ausdrücklich: Die besonnene Reaktion derVereinigten Staaten ist ein wesentliches Element, ummehr Sicherheit und Vertrauen bei den Menschen zu ge-währleisten und auf diese Weise eine Basis für eine bes-sere wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen; denn nie-mand wird investieren, wenn er Angst hat. DerBundeskanzler hat vorhin das Notwendige dazu gesagt.Deswegen ist die erste Voraussetzung für Stabilität, rich-tig auf den Terrorismus zu reagieren und ihn innen wieaußen konsequent zu bekämpfen. Aber das muss man somachen, dass es zu einer großen Koalition der Staaten undder Menschen kommt, die sich gemeinsam gegen den Ter-rorismus wehren. Das ist die richtige Antwort im Innerenwie nach außen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf dieser Basis müssen wir unseren Kurs halten. DieHaushaltskonsolidierung, die ein Thema aller Staaten,nicht nur der Europas, sondern der Industriestaaten ist,muss weiter vorangetrieben werden. Langfristig müssen

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wir eine nachhaltige Finanzpolitik betreiben und dafürsorgen, dass in unseren Haushalten die Zukunftsaufgabenwieder ein größeres Feld bekommen, als sie das zu IhrerZeit hatten. Das ist es, was in diesem Haushalt steckt. Dasist unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht einfach,aber auch kein Grund, in Pessimismus zu verfallen. Vorallem ist es kein Grund, wieder in Schuldenmacherei zuverfallen, sondern ein Grund, diesen Kurs konsequentfortzusetzen, weil wir nur dann in Zukunft einen hand-lungsfähigeren Staat und eine junge Generation habenwerden, die von mancherlei Druck, von Steuern und Ab-gaben, die Sie hinterlassen haben, befreit sind.

(Anhaltender Beifall bei der SPD � Beifallbeim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Zu einer Zwischen-bemerkung nach Abschluss der Debatte erteile ich demKollegen Austermann das Wort.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Es ist bemerkenswert,dass der Finanzminister zum zweiten Mal in dieser De-batte das Wort ergreift. Offensichtlich ist Gefahr im Ver-zug. In den Schlagzeilen sind Begriffe wie �steuerpoliti-scher Blindflug�, �Eichel irrt�, �falsches Signal�,�Offenbarungseid�, �Bankrotterklärung� usw. zu lesen.Man muss feststellen: Es ist gut, dass er heute hier ist. Da-her ist anzunehmen, dass er nicht wieder heimlich dieSteuern erhöht, während das Parlament debattiert.

(Beifall des Abg. Michael Glos [CDU/CSU])

Herr Bundesfinanzminister, ich möchte Ihnen eine kon-krete Frage stellen: Trifft es zu, dass Sie im vertrauten Kreisedarüber nachdenken, die Mehrwertsteuer zu erhöhen?

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben vorhin angedeutet, man werde im Herbst Ent-scheidungen treffen, nachdem man festgestellt habe, obdie Erwartungen hinsichtlich der Steuereinnahmen erfülltwerden oder nicht. Gehört eine solche Maßnahmen zu denOptionen, die Sie haben? Nachdem Sie gerade erst dieSteuern erhöht haben, und zwar wesentlich deutlicher alsSie versprochen haben, und nicht durch UmschichtenMittel erwirtschaftet haben, liegt der Verdacht nahe, dasseine solche Erhöhung tatsächlich vorgenommen werdensoll.

Herr Finanzminister, Sie haben gesagt, Sie hätten denPfad der Konsolidierung nicht verlassen. Ich möchte Ih-nen vorhalten, dass 2002 bei deutlich niedrigeren Zinsenals 1998 die Zinsausgaben bis 2005 um 10 Milliarden DMsteigen werden. Ich möchte Ihnen vorhalten, dass die Ge-samtverschuldung nicht abnimmt, sondern gegenüberdem Jahre 2002 von 715 Milliarden Euro auf 748 Milliar-den Euro, plus Sonderrechnungen, steigt. Das ergibt sichaus Ihrem Finanzplan.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Frau Präsidentin,den Quatsch hat er vorher doch auch schon er-zählt! Es ist genau dasselbe!)

Sie sind also weit von einem Konsolidierungskurs ent-fernt, Sie befinden sich eher auf einer schiefen Ebene, unddiese Situation war schon eingetreten, bevor die brutalenTerroranschläge verübt wurden.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Das ist eine Haus-haltsrede! Das hat er vorige Woche schon ge-sagt, genau dasselbe!)

Ich glaube, Herr Finanzminister, Sie sind der Letzte,der die Situation der Bundeswehr beklagen kann. Be-trachtet man, dass Sie im nächsten Jahr trotz der zusätzli-chen Leistungen weniger Geld für die Bundeswehr zurVerfügung stellen als 1998 und dass außerdem im Jahre1998 das Wachstum mit fast drei Prozent � im Gegensatzzu heute � ein wirkliches Wachstum war, dann ist ziem-lich klar, dass Ihre Politik verfehlt ist.

Das Problem ist, dass Sie der Letzte sind, der merkt,was Not tut. Sie sagen, Ihre Politik sei Kurshalten. Ichnenne sie Borniertheit, denn sie ist nicht geeignet, wirt-schaftliches Wachstum und mehr Beschäftigung zu errei-chen. Im Jahre 1998 hatten wir eine Zunahme der Be-schäftigung und auch in anderen Bereichen waren dieDaten positiv.

Lassen Sie mich zusammenfassen: Nach Ihrer Lesartwürde es heißen: Es geht in Deutschland aufwärts. Ja, dieInflationsrate steigt, die Steuerbelastung steigt, die Ar-beitslosenzahl steigt, die Verschuldung steigt, die Kassen-beiträge steigen. Es geht so aufwärts, wie Herr Eichel dasmöchte. Wir brauchen aber eine andere Politik mit einemanderen Programm, das mehr Wachstum und Beschäfti-gung bringt. Das ist mit Ihnen nicht zu machen. Deswe-gen sage ich: Überlegen Sie, ob es nicht jetzt Not tut, um-zusteuern.

(Beifall bei der CDU/CSU � Hans GeorgWagner [SPD]: Um Gottes willen!)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile Herrn Finanzminister Eichel das Wort zu einer Antwort.

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Frau Prä-sidentin! Meine Damen und Herren! Das war offensicht-lich die Rede, für die Herr Austermann von seiner Frak-tion keine Redezeit bekommen hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich weise nur auf eines hin � es lohnt wirklich nicht,mehr dazu zu sagen, Herr Austermann �: Sie haben völligRecht, dass die Verschuldung noch ansteigt. Das ist rich-tig; das habe ich auch immer gesagt. Wir haben erst imJahre 2006 einen ausgeglichenen Haushalt. Der Unter-schied zu der früheren Regierung von CDU/CSU undFDP ist der, dass die Kurve der Neuverschuldung nichtmehr aufwärts, sondern abwärts geht. Das ist der zentraleUnterschied.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Diese Situation wollen Sie ändern; denn würde demAntrag, den Sie gestellt haben, gefolgt, bedeutete das,dass wir einen ausgeglichenen Haushalt für das Jahr 2006

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glatt vergessen könnten. Darüber hinaus würden Sie biszu diesem Zeitpunkt zusätzliche Schulden von mindes-tens 100 Milliarden DM machen. Mit anderen Worten:Mit Ihrer Politik kommen Sie nie zu einem ausgegliche-nen Haushalt.

(Zuruf der SPD: Da bleiben wir ewig in derSchuldenfalle!)

Das unterscheidet uns von Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Weitere Wortmeldun-gen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes lie-gen nicht vor.

Wir kommen nun zu den Geschäftsbereichen des Aus-wärtigen Amtes, Einzelplan 05, des Bundesministeri-ums der Verteidigung, Einzelplan 14, und des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung, Einzelplan 23.

Ich rufe außerdem den Tagesordnungspunkt 3 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuaus-richtung der Bundeswehr (Bundeswehrneuaus-richtungsgesetz � BwNeuAusrG)� Drucksache 14/6881 �Überweisungsvorschlag:Verteidigungsausschuss (f)InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

Ich erteile Herrn Außenminister Joseph Fischer dasWort.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die furcht-baren Verbrechen, der terroristische Angriff auf die Ver-einigten Staaten von Amerika, auf die Bürgerinnen undBürger der USA und auf die Regierung der USA, stelleneine Zäsur für die internationale Politik, aber auch � so ha-ben wir alle und Millionen unserer Mitbürgerinnen undMitbürger, fern vom Ort des furchtbaren Geschehens anden Fernsehschirmen, es empfunden � einen tiefen Ein-schnitt in unseren Alltag dar.

Ich möchte heute hier vor allen Dingen über die inter-nationalen Konsequenzen und auch über die Konsequen-zen für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschlandsprechen. Denn wenn wir heute über den außenpoliti-schen Etat reden, dann können wir diese völlig neue Ori-entierung, die uns durch einen verbrecherischen Terroris-mus aufgezwungen wurde, nicht ignorieren.

Ich hatte die Gelegenheit, in den USA selbst Gesprächezu führen. Ich möchte dem Hohen Haus den Eindruck ver-mitteln, wie tief die Menschen in den USA, auch die Ent-scheidungsträger, durch diesen furchtbaren Terroran-schlag getroffen sind und wie wichtig und notwendig dieinternationale � nicht nur politische, sondern auch emo-tionale � Solidarität mit den Opfern wie auch mit dem

gesamten Land, das von diesem furchtbaren Schlag ge-troffen wurde, ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derFDP)

Meine Damen und Herren, Bündnisse sind nicht nurfür Schönwetterzeiten gedacht. Wenn wir ehrlich sind,müssen wir zugeben: Keiner von uns, wirklich keinerhätte gedacht, dass die USA es sein würden, die als ErsteArt. 5 des NATO-Vertrages in Anspruch nehmen. Wir allesind in den vergangenen Jahrzehnten davon ausgegangen,dass es ein europäischer Staat, ja dass es mit hoher Wahr-scheinlichkeit sogar die Bundesrepublik Deutschland seinwürde.

Nun wurden die USA auf furchtbare Art und Weise an-gegriffen. Das ist zugleich ein Angriff auf die offene Ge-sellschaft. Wenn zivile Flugzeuge, die alle von uns be-nutzen, durch einen todesverachtenden und mörderischenTerrorismus in Lenkwaffen umgewandelt werden, wenndiese in Kamikazeangriffen in Hochhäuser gejagt werden,um diese zum Einsturz zu bringen, dann ist dies ein An-griff auf die offene Gesellschaft, dann ist dies auch einAngriff auf uns alle. Wir werden uns dieser Herausforde-rung stellen müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Insofern geht es hier nicht nur um eine abstrakte Bünd-nissolidarität. Ich bin der festen Überzeugung: Über kurzoder lang werden auch wir direkt damit konfrontiert wer-den. Dieses Verbrechen wurde von den Tätern ganz of-fensichtlich zum Teil in Deutschland und anderen europä-ischen Staaten geplant. Dieser Terrorismus ist inter-national. Auch für uns wird sich nicht nur die Frage stel-len, wie wir uns gegen ihn sichern, sondern vor allen Din-gen auch, was wir tun müssen, um uns dieser Herausfor-derung nicht nur zu stellen, sondern sie auch wirklich zubestehen, indem wir diesem Terrorismus keine Chancezur Weiterentwicklung einräumen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Das Recht auf Selbstverteidigung ist für mich eineSelbstverständlichkeit, wie es auch in dem Beschluss desSicherheitsrates der Vereinten Nationen heißt. Wir wer-den hier in Zukunft vor schwierigen Entscheidungen ste-hen. Die Resolution des Bundestages war � das habe ichauf meiner Reise in den USA persönlich erlebt � sehr hilf-reich. Denn in der US-Öffentlichkeit wird jetzt natürlichsehr genau hingeschaut, wie die Bündnispartner sichtatsächlich verhalten.

Wir werden schwierige Entscheidungen zu treffen ha-ben. Dazu müssen Information und Konsultation bei denPlanungen gegeben sein. Dann werden wir unsere eigeneEntscheidungskompetenz über das, was wir für ver-antwortbar und notwendig halten, wahrzunehmen haben.Auch das hat die Entschließung des Bundestages klar ge-macht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

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Meine Damen und Herren, es wäre falsch, zu ver-schweigen, dass diese Entwicklung bei vielen Menschengroße Sorgen und Ängste auslöst, und zwar quer zu denpolitischen Lagern. Das ist nicht eine Frage eines grün-alternativen, pazifistischen oder linken Lagers. Bis weithinein in die Wählerschaft der Union, ja in konservativsteKreise herrscht Angst vor dieser neuen Herausforderung� sagen wir es doch direkt: auch Kriegsangst �, Angst voreiner nicht kontrollierbaren Konfrontation.

Auf diese Ängste müssen wir eingehen. Eine Demo-kratie lebt von der Zustimmung der Menschen. So wich-tig die Solidarität der Verantwortlichen hier ist � die Bun-desregierung und auch der Bundestag haben ihre Positionzweifelsfrei klar gemacht �, genauso wichtig wird es sein,dass wir die Menschen mitnehmen und sie überzeugen.Wir haben die neue Herausforderung in der Tat entspre-chend darzustellen und zu erklären. Wir müssen auf dieÄngste dort reagieren, wo sie begründet sind, und sie auf-zulösen versuchen, wo sie nicht begründet sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Ich möchte nochmals deutlich machen, worum es die-sem Terrorismus geht. Haben wir denn eine Alternative,indem wir nicht, auch nicht mit militärischen Mitteln, aufihn reagieren? Würde der Verzicht auf eine Reaktion dieseTerroristen von ihrem nächsten Anschlag abhalten, wäredies ja eine rationale Position. Ich behaupte aber: WennSie sich mit den Erkenntnissen der Dienste und Sicher-heitsbehörden sowie mit dem beschäftigen, was öffentlichvorliegt, dann kommen Sie nicht um die Feststellungherum, dass das Ziel dieser Terroristen schlicht und ein-fach darin besteht, durch diese Terroranschläge einenKrieg der Kulturen zu entfesseln, den islamisch-arabi-schen Raum umzustürzen und in Brand zu setzen sowieIsrael zu zerstören. Duckten wir uns weg, führte dies nichtzu einem Ende des Terrors; vielmehr beflügelte eine sol-che Botschaft eher den Terror.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der FDP)

Die erforderlichen Reaktionen wünscht sich die Bun-desregierung nicht; aber das ist die bittere Wahrheit, diewir den Menschen bei uns sagen müssen. Deswegen wer-den wir nicht umhinkommen, diese Herausforderung an-zunehmen. Die offene Gesellschaft, die Demokratie,muss sich gegenüber dem menschenverachtenden Terro-rismus durchsetzen; anderenfalls brauchen wir über eineWeltordnung, wie wir sie uns für das 21. Jahrhundert vor-stellen, allen Ernstes nicht zu sprechen.

Es ist offensichtlich, dass auf diesem Gebiet jetzt auchpolitische Gestaltungsaufgaben auf uns zukommen. Wennman über Selbstkritik redet, dann vielleicht in folgenderWeise � das meine ich gar nicht parteipolitisch �: Wir hät-ten eigentlich durch die Entwicklung auf dem Balkan unddas Wiederentstehen des Nationalismus gewarnt seinmüssen. Wir hätten nach dem Ende des Kalten Krieges imLaufe der 90er-Jahre begreifen müssen, dass eine ökono-mische Globalisierung allein nicht zureichend ist, wenndie politischen Konflikte in der Welt zunehmen, wenn

Ungerechtigkeiten nicht angegangen werden und wenn eskeine multilaterale Anstrengung der Weltgemeinschaft� nicht einer oder zweier Mächte � gibt,

(Wolfgang Gehrke [PDS]: Endlich!)

eine Ordnung zu schaffen, die auf Menschenrechte, De-mokratie, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gründet unddie in den heißen Konflikten dieser Welt einen Interes-senausgleich herbeizuführen versucht. Wenn wir das nichtaufnehmen, wird der Kampf gegen die terroristische He-rausforderung nicht zu gewinnen sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord-neten der PDS)

Meine Damen und Herren, darauf kommt es ganz ent-scheidend an. Das bezeichne ich als die richtige Kritik ander Globalisierung. Es gibt aber auch eine falsche Kritik.Wenn die Ereignisse zu einer weiteren Abschottungführen, wenn die offene Weltwirtschaft und auch die of-fene Kommunikation im Endeffekt dazu führen, dass wiruns � vielleicht aus den Notwendigkeiten der inneren Si-cherheit heraus � wieder abschotten, wenn sich Angst-denken breit macht, wenn wir uns zwar dagegen wehren,Menschen, die anders aussehen und aus einem anderenKulturkreis kommen, als Feinde zu sehen, aber unter demDruck des Terrorismus mehr und mehr so fühlen � daswird sein Ziel sein �, dann, so fürchte ich, werden wir ineine Entwicklung geraten, in der nicht mehr die Offenheit,der Dialog, auch nicht mehr die wirtschaftlichen und so-zialen Möglichkeiten einer offenen Gesellschaft und aucheiner offenen Weltwirtschaft überwiegen werden, unddann wird die Abschottung zu Ängsten, diese wiederumzu Ideologien und diese zu Konfrontationen führen. Daswäre der erste große Sieg der Terroristen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derFDP)

Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wirjetzt � die Kürze der Zeit lässt eine längere Ausführungnicht zu � die politischen Gestaltungsmöglichkeiten nut-zen. Das bedeutet aber auch, dass wir im Rahmen der An-titerrorkoalition die Menschenrechte nicht vergessendürfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derFDP)

Hier wird nun von mancher Regierung, deren demokrati-sche Legitimation � ich formuliere das jetzt sehr zurück-haltend � nach unseren Maßstäben nicht gegeben ist, ver-sucht, mit der politischen Opposition reinen Tisch zumachen. Aber auch hier besteht die Aufgabe und Not-wendigkeit der Differenzierung. In diesem Zusammen-hang betone ich erneut: Die Kritik an den Ereignissen inTschetschenien, die wir formuliert haben, beinhaltetkeine Kritik an der Legitimation � ich behaupte sogar: ander Pflicht � der Russischen Föderation, ihre territorialeIntegrität zu erhalten. Russland hat nicht nur das Rechtauf, sondern auch die Pflicht zur Selbstverteidigung ge-genüber Terrorismus. Das habe ich nie infrage gestellt.

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Man muss aber sehr wohl die Frage stellen, ob dies Men-schenrechtsverletzungen in dem Ausmaß legitimiert, wiesie etwa unabhängige Menschenrechtsorganisationen dar-gestellt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Diese Kraft der Differenzierung dürfen wir nicht aufge-ben.

(Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das gilt aber füralle!)

Gäben wir sie auf, bedeutete das ebenfalls, dass der Ter-rorismus mit seiner Ideologie einen Sieg davongetragenhätte.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die offene Gesellschaft muss sich jetzt erweisen. Dasgilt auch für unser humanitäres Engagement. Wir habendie Afghanistan-Unterstützungsgruppe, der wir vorsitzen,für morgen erneut einberufen, denn wir sehen in diesemLand eine humanitäre Katastrophe. Allerdings existiertdiese humanitäre Katastrophe, die sich jetzt verschärft,seit Jahren. Ich frage jetzt hier, ob wir bisher wirklich an-gemessen auf die Tatsache reagiert haben, dass seit 1992in Algerien 100 000 Menschen ihr Leben verloren, oderob unsere Reaktion nur dadurch bedingt war, dass dieMassaker dort und nicht in Europa stattfanden. Ich hoffe,dass wir alle gemeinsam für die Zukunft daraus lernen,dass wir mit dieser terroristischen Herausforderung nurfertig werden, wenn wir eine neue Ära des Engagementsfür diese eine Welt einleiten. Anderenfalls werden wirmeines Erachtens in unseren Bemühungen scheitern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derFDP)

Lassen Sie mich deswegen noch ganz kurz, fast imTelegrammstil sagen, wie wichtig es sein wird, dass sichder Nahostkonflikt nicht weiter entwickeln kann und dasswir auf dem Balkan keine Eskalation zulassen. Hätten wirauf dem Balkan nicht eingegriffen, wäre die Lage der ver-triebenen albanischen Muslime in Albanien, in Mazedo-nien und anderswo weit schlechter. Schauen Sie sich dieErfahrungen in Bosnien an und die Kontakte, die es da-mals zum islamistischen Radikalismus gab. Daran erken-nen Sie, wie wichtig es war, dass Europa keinen Krieg derReligionen zugelassen hat, sondern dass sich das �christ-liche Europa� für europäische Muslime, ihre Menschen-rechte und elementaren Interessen eingesetzt hat. Ange-sichts dessen kann ich nur sagen: Der Balkan machtebenfalls klar, dass wir uns verstärkt einmischen müssen,und zwar nicht, um eine Kriegspolitik zu betreiben. Las-sen wir doch endlich diesen Quatsch von gestern! Wennwir uns hier nicht mit allem, was wir haben, von der mi-litärischen Seite bis zur humanitären, über Wirtschaft, Po-litik und Kultur, einmischen, dann kann das unabsehbareFolgen zeitigen.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Sollen wir rausgehen?)

� Nein, nein, das sage ich auch zu Ihnen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

� Es tut mir wirklich Leid. Wenn ich mich an manche Ma-zedoniendebatte erinnere

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

� wir werden in dieser Woche vermutlich noch einmaleine solche zu führen haben �, dann richtet sich mein Ap-pell nicht nur an eine Seite des Hauses, verehrter HerrKollege.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Ein letzter Satz: Ich bedaure es sehr, dass Europa hin-sichtlich der politischen Integration noch nicht weitervorangekommen ist. Gerade in dieser Krise mussten wires wieder erleben. Wir dürfen aber nicht beim Bedauernstehen bleiben. Ich war immer der Meinung, dass wir indiesem Jahrzehnt die politische Union, das internationalhandlungsfähige Europa brauchen, bedingt durch die Er-weiterung der Europäischen Union, bedingt durch dieökonomischen Konsequenzen des Euro und bedingtdurch internationale Krisen, die von außen auf uns ein-wirken. Ich ging allerdings nicht davon aus, dass es zu ei-ner solchen Zäsur kommen würde. Umso wichtiger wirdes sein, dass wir Europäer jetzt noch sehr viel schnellerpolitisch erwachsen werden.

Ich bedanke mich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile das Wortdem Kollegen Volker Rühe für die CDU/CSU-Fraktion.

Volker Rühe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Serie barbarischer Ter-rorangriffe in den USA stellt uns vor eine grundlegendneue Lage. Darin stimmen wir alle überein. Was bislangunter dem Stichwort �asymmetrische Bedrohung� ab-strakte Theorie war, ist in diesen Tagen grauenvolle Rea-lität geworden. Bislang waren vor allem Kriege zwischenStaaten und bewaffnete Konflikte innerhalb eines Landesdenkbar. Jetzt kommen nicht staatliche internationale Ak-teure mit unübersehbaren Zerstörungspotenzialen hinzu,und die Verwundbarkeit unserer hoch technisierten,äußerst mobilen, auch digital vernetzten Gesellschaftenstellt uns vor völlig neue Herausforderungen.

Was sich am 11. September in den Vereinigten Staatenvon Amerika ereignet hat, kann sich morgen in einem an-deren Land, in anderer Form � auch bei uns � wiederho-len, und es sind � so schrecklich diese Vorstellung ist; ichwill das nicht ausbuchstabieren, aber wir müssen es wis-sen � noch Steigerungen des Terrors denkbar. Deshalbliegt die Bekämpfung des internationalen Terrorismusin unser aller Interesse.

Der Angriff vom 11. September war ein Angriff auf unsalle. Deshalb müssen wir uns auch gemeinsam wehren.Das hat der Verteidigungsminister am Wochenende zu

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Recht gesagt. Ich hoffe, dies ist die Einstellung der ganzenRegierung: ein Angriff auf uns alle � wir müssen uns auchgemeinsam wehren! Es geht eben nicht nur um die Soli-darität unter Bündnispartnern, sondern die BeteiligungDeutschlands am Kampf gegen den internationalen Terro-rismus ist ein überragendes Eigeninteresse unseres Lan-des. Das muss eine politische Führung im Gespräch mitder Bevölkerung deutlich machen, damit wir die Stärkeaufbringen, die wir in dieser Situation brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Was letztlich zählt, Herr Bundesaußenminister � ge-rade auch langfristig im kollektiven Gedächtnis der Völ-ker � ist das, was real geschieht. Wir können das ja an unsselbst feststellen. Manche erinnern sich noch daran, wasEnde der 50er-Jahre die Unterstützung der VereinigtenStaaten von Amerika für das neue Deutschland an Chan-cen für uns alle bedeutete, und wir sehen, wie sehr dasheute noch lebendig ist. Es gibt solche Situationen � undwir erleben jetzt eine solche Situation �, von denen mansich noch in Jahrzehnten daran erinnern wird, wie wir unsverhalten haben. Was letztlich zählt � gerade eben auchlangfristig im kollektiven Gedächtnis der Völker �, istdas, was real geschieht.

Deswegen ist es die Aufgabe der nächsten Tage undWochen, die eindrucksvollen deutschen Solidaritätsbe-kundungen auch in konkretes Handeln umzusetzen. Jetztist es an den europäischen Demokratien und gerade auchan Deutschland, zu zeigen, ob sie so wehrhaft sind, wie siezu sein glauben und wie sie immer sagen.

Klar ist jedenfalls, dass sich das, was uns im Golfkriegunter den damaligen Umständen, als wir als Bundesrepu-blik Deutschland in dieser Auseinandersetzung einen finanziellen Beitrag geleistet haben � dazu gab es keineAlternative �, den Vorwurf der Scheckbuchdiplomatieeingebracht hat, nicht wiederholen darf. Das wäre auchnicht vereinbar mit der erklärten Politik der Bundesregie-rung einer uneingeschränkten Solidarität mit den Ver-einigten Staaten von Amerika. Das müssen wir alle wis-sen, und das ist angesichts mancher Diskussionen eineWarnung an die Regierung.

Die Entwicklung der letzten beiden Wochen � das istebenfalls deutlich geworden, nicht zuletzt gestern in derRede des Präsidenten Putin � gibt aber auch Anlass zurZuversicht. Wir sehen, wie die Vereinigten Staaten auf dieneue globale Bedrohung mit einer globalen Politik rea-gieren. Weltweit entsteht eine Koalition, die entschlossenist, den Kampf gegen den Terrorismus aufzunehmen. Siegeht weit über die NATO hinaus und schließt Russland,China, Indien sowie die gemäßigten islamischen Länderein.

Die Denkmuster des Kalten Krieges haben ausgedient;das ist richtig. Der Kampf gegen den Terrorismus ist einegemeinsame Aufgabe der gesamten zivilisierten Welt ge-worden. Der Bundeskanzler hat von der uneingeschränk-ten Solidarität mit den Amerikanern gesprochen. Aller-dings darf sich unsere Solidarität nicht auf eine punktuelleKrisensolidarität beschränken.

(Michael Glos [CDU/CSU]: So ist es!)

Die großen Herausforderungen, vor denen wir heute ste-hen, machen uns Europäern mehr denn je deutlich, dassdie Gemeinsamkeiten, die wir mit den Amerikanern ha-ben, bei weitem wichtiger sind als die Differenzen. Auchdies ist ein Punkt, in dem die Koalition in der Vergangen-heit gelegentlich gesündigt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU � Wi-derspruch bei der SPD � Zuruf von der SPD:Was? Daran haben wir nie Zweifel gelassen!)

Was wir im Übrigen brauchen, ist eine transatlantischestrategische Solidarität nicht nur in der Krise, sonderneine strategische Solidarität bei der Gestaltung und Si-cherung unserer gemeinsamen Zukunft. Das ist die Poli-tik, die wir von der Bundesregierung verlangen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was heißt das? Amerika wird als Antwort auf die globa-len Gefahren des Terrorismus noch mehr als bisher Auf-gaben außerhalb Europas wahrnehmen; es wird neue Pri-oritäten setzen, nicht zuletzt den Schutz des eigenenTerritoriums, und die Amerikaner werden von uns Euro-päern zu Recht erwarten, dass wir sie in Europa entlastenund gemeinsam internationale Verantwortung überneh-men. Wer jetzt nicht bereit ist, dafür die notwendigenFähigkeiten zur Verfügung zu stellen oder sie schnellstenszu schaffen, der verhält sich nicht nur unsolidarisch, son-dern � was noch wichtiger ist � er schadet auch seinen ei-genen Interessen. Viel zu lange haben wir Europäer uns inunseren eigenen Angelegenheiten auf die USA verlassen �zu stark. Jetzt reicht es nicht mehr, nur von der Über-nahme größerer Verantwortung zu reden, jetzt müssen wirdies auch durch unser Handeln beweisen.

Das betrifft � Herr Bundesaußenminister, da bin ichganz anderer Meinung als Sie � auch Mazedonien. WirEuropäer werden unserer Verantwortung für die Friedens-sicherung in dieser Region nur dann gerecht, wenn wirsicherstellen, dass die durch die EU- und NATO-Vermitt-lung erreichten politischen Vereinbarungen dauerhaft ver-wirklicht werden. Die eher symbolische Waffen-entgegennahmeaktion hat keine echte Verbesserung derSicherheitslage in Mazedonien gebracht.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber die Vorausset-zung dafür!)

Das haben wir so auch vorausgesagt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die NATO wird heute ihren Auftrag als erfüllt erklären,ohne dass erkennbar ist, dass die politischen Vereinbarun-gen tatsächlich im mazedonischen Parlament angenom-men sind. Sie selbst haben die Gefahr eines sicherheits-politischen Vakuums und einer ethnischen Teilungeingeräumt und fordern eine militärische Absicherung derImplementierungsanstrengungen.

(Uta Zapf [SPD]: Ist das denn falsch?)

Um zu vermeiden, dass der Bürgerkrieg wieder aufflammt, müssen Sie jetzt kurzfristig nachbessern undeine neue Mission vorsehen, obwohl von Anfang an klar war, dass �Essential Harvest� nicht zur notwenigen

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Stabilisierung und zur Vertrauensbildung in der Bevölke-rung Mazedoniens beitragen wird.

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Aber es war Voraussetzung für die Stabilisie-rung!)

Es ist genau das eingetreten, wovor wir gewarnt haben� ich zitiere aus meiner Rede von Ende August; lesen Siedie Protokolle nach �:

Ein neuer Einsatz wird notwendig werden. Er wirdhärter und länger. Unsere Soldaten werden in größe-rer Zahl und längerfristig in Mazedonien gebundensein.

Wir haben Ihnen damals in der Debatte gesagt: Das wirdeintreten. � Das war eine richtige Beschreibung der Si-tuation.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP � Gernot Erler [SPD]: Stimmtdoch gar nicht!)

Die neue Mazedonien-Mission muss deshalb wirksamerzur Friedenssicherung beitragen. Es zeigt sich im Übrigenauch � wenn das neue Engagement auf die Bundeswehrzukommt �, wie richtig es war, dass wir eine stärkere finanzielle Absicherung der Bundeswehr gefordert ha-ben.

Größere Verantwortung wahrzunehmen heißt, den euro-päischen Einigungsprozess konsequent voranzutreiben. Ichglaube, es ist vielleicht der wichtigste Beitrag Europas zurStabilisierung der Weltpolitik, dass wir in diesem Bereich� europäische Einigungspolitik und Öffnung nach Osten �energisch vorangehen. Zur Übernahme größerer Verant-wortung und zur Aufgabenteilung mit Amerika muss auchgehören, dass wir zügig die europäische Sicherheits- undVerteidigungspolitik verwirklichen und die dafür notwen-digen militärischen Fähigkeiten schaffen. Bei strategi-schem Transport, Aufklärung und Kommunikation sind wirsehr stark auf amerikanische Fähigkeiten angewiesen. Seitdem 11. September ist dies ein noch knapperes Gut. Wennsich Europa diese Fähigkeiten nicht bald in ausreichendemMaße beschafft, wird es schon bald die unangenehme Er-fahrung machen, dass diese Ausrüstung gerade anderswoim Einsatz ist, wenn es sie vielleicht selber braucht.

Die drastische Unterfinanzierung der Bundeswehr ver-hindert schon heute, dass Deutschland alle seine Bünd-nisverpflichtungen erfüllen kann,

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Es wird irgendwann langweilig, HerrKollege!)

und macht alle Pläne über eine stärkere europäische Rollezu bloßem Gerede. Es besteht die Gefahr � und das ist fürDeutschland beschämend �, dass die mit dem EU-Gipfelin Köln eingeleitete europäische Sicherheits- und Vertei-digungspolitik wegen unzureichender Beiträge ausge-rechnet an Deutschland scheitern könnte. Der Generalin-spekteur der Bundeswehr hat in den letzten Tagen erneutvor mangelnder Einsatzfähigkeit gewarnt. Ich glaube, indieser Situation ist es international und national ein Skan-dal, dass hier nur einmal für ein Jahr eine beschränkte

Summe zur Verfügung gestellt wird. Wir bleiben dabei:Die dramatische Unterfinanzierung der Bundeswehr mussbeseitigt werden. Wir brauchen eine längerfristige Per-spektive zur Überwindung der dringendsten Engpässe,damit Deutschland seiner außen- und sicherheitspoliti-schen Verantwortung gerecht werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU � Hans GeorgWagner [SPD]: Warum haben Sie nicht damitangefangen, als Sie Minister waren?)

Es kommt darauf an, nach diesen schrecklichen Atten-taten neue Prioritäten für die innere und die äußere Sicherheit zu setzen und die finanziellen Ressourcen neuzu ordnen. Zur uneingeschränkten Solidarität gehört ausunserer Sicht eben auch, dass es jetzt endlich zu der not-wendigen finanziellen Kehrtwende kommt.

(Hans Georg Wagner [SPD]: Hätten Sie ja ma-chen können!)

Meine Damen und Herren, der amerikanische Präsi-dent hat einen langen Feldzug aller, die an Fortschritt, Plu-ralismus, Toleranz und Freiheit glauben, angekündigt.Wir Deutschen wollen diesen schwierigen, aber un-ausweichlichen Weg mit unseren amerikanischen Freun-den mitgehen: im Rahmen der NATO, aber auch im Rah-men der transatlantischen Partnerschaft der EU mit denUSA. Wir wollen diesen Weg unter Inanspruchnahmealler zur Verfügung stehenden Mittel politisch, wirt-schaftlich und militärisch mitgehen. Außenpolitisch müs-sen wir uns an der Bildung der weltweiten Koalition ge-gen den Terrorismus beteiligen und für ihren dauerhaftenZusammenhalt sorgen. Wenn wir die weltweite Gefahrvon Terrorismus und Extremismus aber dauerhaft bändi-gen wollen � ich denke, darin sind wir uns einig �, müs-sen wir unsere sicherheitspolitischen Überlegungen durchein umfassendes und langfristiges außen- und entwick-lungspolitisches Konzept ergänzen.

Manche haben sich in der Diskussion, die stattgefun-den hat, vergaloppiert, als sie versuchten, direkte Gründeoder gar Entschuldigungen für den internationalen Terro-rismus zu finden. Es ist gar keine Frage, dass es einenNährboden für Terrorismus überall dort auf der Weltgibt, wo Armut, Perspektivlosigkeit und Frustration herr-schen und es an Bildung mangelt. Das ist aber etwas an-deres; denn es geht nicht darum, Entschuldigungen unddirekte Motive zu finden, sondern es geht darum, zu über-legen, wo es einen Nährboden gibt, der den Terroristen dieChance bietet, junge Menschen zu finden, die im interna-tionalen Terrorismus eine Lebensperspektive sehen undsich auf diese Weise für ihn einsetzen. Wir müssen des-wegen versuchen, auch dieses in unsere Strategie einzu-beziehen.

Wir unterstützen das, was die Bundesregierung im Na-hen und Mittleren Osten unternimmt. Aber wenn man dieBilder von dort sieht, fragt man sich, wie ein Friede zu-stande kommen soll, wenn wenige Kilometer von Israelentfernt junge Menschen zu Hass und zur Unversöhnlich-keit erzogen werden und ihnen als Vorbilder Selbstmord-attentäter vorgehalten werden. Wir müssen mit aller Klarheit den Terrorismus mit all den politischen, ökono-mischen und militärischen Möglichkeiten, die wir haben,

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bekämpfen, aber wir müssen auch alles tun, um den Nähr-boden auszutrocknen. Dazu gehört ein außen- undentwicklungspolitisches Konzept. Dazu gehört auch, dasswir mit aller Deutlichkeit klar machen: Wir tolerierennicht, dass irgendwo eine junge Generation zu Hass undIntoleranz erzogen wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile für dieSPD-Fraktion das Wort der Kollegin Uta Zapf.

Uta Zapf (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Herr Kollege Rühe, ich bedauere, dass Sieerst im allerletzten Teil Ihrer Rede zu den wirklichen Pro-blemen vorgedrungen sind, die wir zu lösen haben. Ichdenke, wir sollten uns noch viel mehr über genau dieseAspekte unterhalten.

Ist denn nach dem 11. September nichts mehr, wie esvorher war? Müssen wir in der Außen- und Sicherheits-politik total umdenken? Nach dem ersten Schock, der sichjetzt langsam gelegt hat, gilt es, mit sehr großer Ge-nauigkeit zu analysieren, wo neue Konzepte und Strate-gien entwickelt werden müssen. Viele Strukturen sindschon vorhanden, vieles ist angedacht worden. Es gehtjetzt darum, wirklich konsequent die Strategie, die wirendlich als richtige erkannt haben, in Handeln umzuset-zen. Dazu sind Entschlossenheit und Besonnenheit not-wendig.

Terrorangriffe kamen ja bisher in unseren sicherheits-politischen Konzepten nur am Rande vor, obwohl der Ter-ror in der Welt allgegenwärtig ist. Wir haben schmerzlichbegreifen müssen, dass dies kein regionales Phänomen,sondern ein globales Problem ist. Lassen Sie mich aberausdrücklich sagen, dass die Krise ausgelöst durch dieMörderangriffe auf New York und Washington, die mitRecht als Angriff gegen unsere Zivilisation, gegen unsereDemokratie, gegen Menschenrechte und Freiheit emp-funden werden � von den USA und der internationalenStaatenwelt bisher hervorragend und mit Besonnenheitgemeistert worden ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Solidarität und das Mitgefühl, die den USA ent-gegengebracht wurden, haben bewusst gemacht, dasssolche Krisen nur durch internationales Engagement unddurch langfristig angelegtes multilaterales Handelngelöst werden können. Die Bundesregierung, die EU, dieNATO und die Vereinten Nationen haben sehr schnell dienotwendigen Entscheidungen getroffen, um ihre Ent-schlossenheit bei der Bekämpfung des Terrorismus un-missverständlich klar zu machen. Dies war notwendigund unumgänglich. Aber es hat keinerlei übereilte undmöglicherweise zu einer Eskalation beitragenden Reak-tionen gegeben, wie mancher am Anfang befürchtet ha-ben mag.

Herausforderungen wie die Bekämpfung des interna-tionalen Terrorismus sind nur durch internationale Ko-operation zu bestehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kofi Annan plädiert dafür, die UNO zu einem Forum fürden Aufbau einer universellen Koalition gegen den Terro-rismus zu machen, sodass den langfristig angelegten Re-aktionen auf den Terrorismus globale Legitimität verlie-hen wird. Er fordert des Weiteren � ich denke, das müssenwir uns auch auf die Fahnen schreiben �, endlich die Kon-ventionen zur Auslieferung und Verfolgung von Straftä-tern sowie zur Bekämpfung der Geldwäsche zu ratifizie-ren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er fordert, die Ursachen und den Nährboden des Terrorszu bekämpfen: Konflikte, Armut, Unwissenheit undKrankheit.

Javier Solana plädiert für eine Verstärkung der Zusam-menarbeit in allen Bereichen der Politik, der Wirtschaftund der Sicherheit. Das muss auch geschehen. Aber diesalles ist nicht neu. Darüber ist schon nachgedacht worden.Es gibt bereits erste Ansätze. Nur, es gibt Versäumnissebei der Umsetzung. Daraus müssen wir die Lehren ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die eigentliche Aufgabe, vor der auch wir stehen, be-ginnt jetzt. Die internationale, weltweite Koalition, diesich gegen den Terror gebildet hat, muss gemeinsameStrategien entwickeln, um dem Terror den Boden zu ent-ziehen. Diese Koalition darf nicht auseinander brechen;denn sonst werden die unterschiedlichen Interessenlagen,die zweifelsohne vorhanden sind, eine stringente Kon-zeption verhindern. Es gilt die Chance zu nutzen, Chinaund Russland in die Strategien zur Bekämpfung des Ter-rorismus einzubinden. Die Rede von Staatspräsident Putinhat dafür Ansätze geliefert. Das ist auch eine Chance fürweltweite Stabilität.

Es gilt, Indien und Pakistan, die Schlüsselpartner in derRegion sind, in der man die Kernzelle des Terrorismus ge-ortet hat, einzubeziehen. Bin Laden wird nur in der Ko-operation mit Pakistan unschädlich zu machen sein, wasfür Pakistan ein hohes Risiko und für uns eine besondereVerantwortung bedeutet. Wir kämpfen nicht gegen Af-ghanistan, sondern gegen die Strukturen des Terrors.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen auch eine Strategie für Afghanistan, wenndie Konflikte dieser Region gelöst werden sollen.

Darüber hinaus müssen wir den Dialog mit den islami-schen Staaten suchen und intensivieren, auch mit jenen,die bisher als �Schurkenstaaten� galten: Iran, Libyen undSyrien. Ich erinnere daran, dass der so genannte kritischeDialog, den die Bundesregierung mit dem Iran zu führenbegonnen hat, sehr häufig unter Beschuss genommenworden ist. Das gilt auch für die Unterstützung des Dia-loges mit Nordkorea.

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Der Nahostkonflikt ist bereits erwähnt worden. Er istnicht der einzige Konflikt, der im Mittelmeerraum gelöstwerden muss. Deshalb wird der Barcelona-Prozess in Zu-kunft von größerer Bedeutung sein. Ich möchte die FDP da-rauf hinweisen, dass ihre Idee einer Konferenz für Sicher-heit und Zusammenarbeit im Nahen Osten gar nicht neu ist.

(Jörg van Essen [FDP]: Trotzdem ist sie ver-nünftig!)

Erstens ist der Barcelona-Prozess ein ausreichender Rah-men, um so etwas zu organisieren. Zweitens � Herr vanEssen, vielleicht erinnern Sie sich daran; denn Sie warenschon damals Mitglied des Bundestages � hat die SPD be-reits in den 90er-Jahren � das war damals meine KolleginKatrin Fuchs � genau diese Idee vertreten.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Dann könnenwir es ja machen!)

� Ich stimme mit Ihnen überein, dass wir diese Idee ver-folgen sollten. Ich habe lediglich angemerkt, dass sienicht neu ist. Es ist alles schon einmal da gewesen.

�Dialog statt Konfrontation� wird künftig weltweit dieaußenpolitische Handlungsmaxime lauten müssen. Nurso wird es gelingen, regionale Stabilitätsstrukturen aufzu-bauen. Das internationale Netzwerk des Terrors und seinNachschub werden nur so zerstört werden können; dennes wird nicht ausreichend sein, die Finanzströme zu stop-pen. Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Satzvon Johannes Rau anlässlich der Demonstration am Bran-denburger Tor erinnern: �Der beste Schutz gegen Terror,Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ord-nung.�

(Beifall bei der SPD)

Das bedeutet eine zusätzliche Herausforderung für dieEntwicklungspolitik und für die Weltwirtschaftspolitik imsozialen und im ökologischen Bereich. Wir wissen, dassmilitärische Mittel allein nicht tauglich sind, diese Krisenzu bewältigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Eine ganze Menge Strukturen existieren, die eine sol-che Politik unterstützen können. Die Bundesrepublik hatfür das Zustandekommen entsprechender Konzepte aus-schlaggebende Impulse gegeben. In den 90er-Jahren ha-ben SPD und Grüne diese Konzepte entwickelt. Sie wur-den damals verlacht. Heute hat die Bundesregierungbewiesen, dass Krisenprävention und Konfliktrege-lung in einem abgestimmten Konzept, umgesetzt in derEuropäischen Union, ein ganz wichtiger Bestandteil zurLösung bestehender und zukünftiger Konflikte sein kön-nen.

Wir haben nicht nur einen Mister GASP mit einer Te-lefonnummer sowie einen Militärausschuss und einenMilitärstab, sondern auch ein umfangreiches Konzept fürden Bereich des zivilen Krisenmanagements. Kosovo undMazedonien sind ein Beweis dafür, dass diese Konzepte,auch wenn es mühsam ist, durchaus wirksam sein können.Wir werden uns gerade in Mazedonien in stärkerem Maßeauf diese Konzepte stützen müssen. Wir haben einen Aus-schuss für zivile Aspekte des Krisenmanagements einge-

richtet. Außerdem wurden weitere Vorkehrungen getrof-fen. Nicht nur innerhalb der EU, sondern auch innerhalbder OSZE und der UNO sind entsprechende Strukturenaufgebaut worden bzw. sind im Aufbau.

Mir tut wirklich in der Seele Leid, dass in diesem Zu-sammenhang das Programm der Europäischen Union zurVerhütung gewaltsamer Konflikte, das auf dem Götebor-ger Gipfel beschlossen wurde und das auch ein Modell-projekt für internationale Politik darstellen könnte, über-haupt nicht wahrgenommen worden ist. Es ist wirklich einModellprojekt zur Bekämpfung von Konfliktursachenund es bietet Instrumente zur Konfliktüberwindung. Die-ses Projekt ist ein wesentlicher Fortschritt und ein Ver-dienst der Europäischen Union, das in der internationalenPolitik umgesetzt werden muss.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Frau Kollegin, den-ken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Uta Zapf (SPD): Ich bin sofort fertig. Ich möchte nurnoch einen Satz sagen.

Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Instrumente, diesich in der Vergangenheit ausdrücklich bewährt haben,zum Beispiel der ganze Komplex von Abrüstung und Rüs-tungskontrolle.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das wird mehr als einSatz.

Uta Zapf (SPD): Wir sollten bewährte Instrumente, dieStabilität schaffen, Proliferation verhindern und Ver-trauen bilden können, nicht auf den Misthaufen werfen,sondern dahin gehend überprüfen, wie sie gestärkt werdenkönnen, damit sie in dem neuen Kontext tatsächlich nochwirksamer als bisher werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile das Wortdem Kollegen Ulrich Irmer, FDP-Fraktion.

Ulrich Irmer (FDP): Frau Präsidentin! Meine Damenund Herren! Es ist richtig: Die schrecklichen Ereignissevom 11. September haben auch die Koordinaten derAußenpolitik gründlich verschoben. Auch in diesem Fallgilt: In der Krise liegt eine Chance, nämlich die Chancefür neue internationale Allianzen, für neue Koalitionen,für neue Kooperationen. Die eindrucksvolle Rede, die derPräsident der Russischen Föderation, Putin, gestern hiergehalten hat, war ein deutlicher Ausdruck dieser neuenMöglichkeiten.

Leider � ich muss das hier loswerden � findet man ge-rade hierzulande auch neue Allianzen verantwortungslo-ser Schwätzer, Besserwisser und Moralapostel.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

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Wer den Artikel von Reinhard Mohr im �Tagesspiegel�vor wenigen Tagen gelesen hat, der konnte entsprechendeKostproben zur Kenntnis nehmen. Ich will auf die unsäg-lichen Auswüchse, die es gegeben hat, nicht ausführlicheingehen. Die Berliner Kultursenatorin hat gesagt, dieNew Yorker Türme seien als phallische Symbole ohnehinimmer schon verdächtig gewesen. Ich will auch nicht wei-ter auf den unsäglichen Karlheinz Stockhausen eingehen,der das, was da passiert ist, das größte Kunstwerk allerZeiten genannt hat. Diese Äußerungen lassen nur auf denGeisteszustand dieser Leute schließen.

Ich will an eine Aussage von Durs Grünbein erinnern,den Herr Schlauch heute Vormittag hier zustimmend er-wähnt hat. Durs Grünbein hat nämlich davon gesprochen,dass nach der numerischen Logik von Großmächten ausden 5 000 Opfern von New York demnächst 50 000 Kriegs-tote auf der anderen Seite werden würden. Das muss mansich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Was geschiehtdenn hier? Hier werden Ursache und Wirkung völlig ver-wechselt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist ja richtig, dass man nach Erklärungen sucht. Aberman darf doch diese Erklärungen nicht heranziehen, umdas, was da geschehen ist, zu entschuldigen.

(Beifall des Abg. Dr. Friedbert Pflüger[CDU/CSU])

Genau dies ist doch hier geschehen.

Das Elend in der Welt ist sicher ein Nährboden für Ter-rorismus. Aber die Anschläge von New York und Wa-shington waren nicht Notwehr gegen Elend, sonderngrandiose Mammutkriminalität schlimmster Sorte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowiebei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle kann man nicht sagen: Ich bekämpfe die-sen Terrorismus, indem ich heilsbringend durch die Weltlaufe und ein bisschen mehr Entwicklungshilfe betreibe.Hier ist zunächst einmal entschlossene Notwehr derzivilisierten Gesellschaften ringsum auf der Welt gefragt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn ich sage entschlossen, dann meine ich entschlossen �auch mit gewaltsamen Mitteln.

Wir haben dankenswerterweise in einer wohl nicht vo-raussehbaren Koalition in diesem Hause beschlossen, dasswir solidarisch mit den Vereinigten Staaten sind und dasswir gegen den Terrorismus vorgehen wollen und müssen �notfalls auch mit militärischen Mitteln. Aber was wird ge-schehen? Wir haben es am letzten Wochenende schon er-lebt: Auf den Kongressen der Grünen wurden Beschlüssegefasst, die besagen: Das, was im Deutschen Bundestaggesagt wurde, trägt die grüne Basis nicht mit.

Es wird Folgendes passieren: Das erste zivile Opfer beider Notwehr der Staatengemeinschaft � zum Beispiel inKabul � wird in dieser Optik die zigtausend Toten vonNew York leider aufwiegen. Ich sehe schon die weißenLeintücher aus den Fenstern hängen und den tief verwur-

zelten Antiamerikanismus aufkommen, wenn die ersteHilfeleistung von uns gefordert wird.

(Widerspruch bei der PDS)

Wir befinden uns keineswegs im Krieg. Bisher ist nochnicht ein einziges deutsches Flugzeug von den Amerika-nern als Hilfe erbeten worden. Wenn das der Fall seinwird, müssen wir so entschlossen sein, wie wir es letzteWoche gewesen sind. Dann müssen wir der Freundschaft,der Dankbarkeit und der Solidarität mit den VereinigtenStaaten, die wir alle vor dem Brandenburger Tor so ein-drucksvoll zum Ausdruck gebracht haben, auch Taten fol-gen lassen. Da darf es kein Wackeln geben.

Zu der Frage aus den Reihen der CDU/CSU bei derRede von Herrn Fischer �Reden Sie auch mit uns?� mussich sagen: Das war doch ein grüner Parteitag.

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Sagen Sie doch mal etwas zu Hamburg,zur Sicherheitspolitik von Herrn Schill!)

Herr Fischer, Sie haben beschwörend auf Ihre grüne Kli-entel eingeredet. Ich bin ja froh, dass Sie das tun. Sie spie-len ja hier eine durchaus gute Rolle. Ich bin aber gespannt,wie Ihre Basis reagieren wird, wenn es wirklich dazukommt, dass Ihre Ankündigungen umgesetzt werden, undwenn Sie an Ihren Worten gemessen werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Der Haushalt gibt einen Vorgeschmack darauf. Hierwerden die Mittel zur Unterstützung von internationalenMaßnahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Frie-denserhaltung und Konfliktbewältigung im nächsten Jahrum fast ein Drittel auf 23 Millionen DM gekürzt. Wie gehtdenn das zusammen mit dem, was Sie uns gerade hier ver-kündet haben?

(Uta Titze-Stecher [SPD]: Abwarten!)

Zugleich bewilligen Sie 20 Millionen DM für die Schaf-fung eines nationalen zivilen Friedensdienstes. Das ist dieberühmte Geschichte, die Frau Zapf gerade noch einmalangesprochen hat,

(Uta Zapf [SPD]: Habe ich nicht!)

diese berüchtigte grüne deutsche Heilsarmee, die Friedenspendend durch den Busch ziehen soll. Am grünen Wesensoll die Welt genesen.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN � Angelika Beer[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie disqualifi-zieren sich selber!)

Das ist Ihre Logik, meine Damen und Herren.

Frau Zapf, Sie haben doch unseren Vorschlag für eineKonferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit imNahen Osten abgelehnt. Wir haben einen entsprechendenAntrag vor wenigen Monaten auf den Tisch gelegt. Wirhaben gesagt, dass die Krise im Nahen Osten einer Be-wältigung nur dann näher gebracht werden kann, wennman einen umfassenderen Ansatz wählt. Was haben Sieaber gemacht? Sie haben diesen Antrag niedergestimmt.

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Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, gestat-ten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zapf?

Ulrich Irmer (FDP): Selbstverständlich.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr.

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Oh nein, dann redet er ja noch länger!)

Ulrich Irmer (FDP): Das ist der Sinn von Zwi-schenfragen, liebe Frau Kollegin.

Uta Zapf (SPD): Das ist auch ganz gut so, weil mandann erkennt, welche merkwürdigen Gedankengänge indem Kopf eines von mir ansonsten sehr geschätzten Kol-legen vor sich gehen.

Ulrich Irmer (FDP): Vielen Dank, Frau Kollegin. Esschadet mir nicht, dass Sie das sagen.

Uta Zapf (SPD): Ich habe es befürchtet.

(Heiterkeit bei der SPD)

Herr Kollege, ich hoffe, Sie haben bei dem zugehört,was ich soeben vom Rednerpult aus gesagt habe. Sie ha-ben hoffentlich bemerkt, dass ich Ihre Idee, also die derFDP, einer solchen Konferenz für Zusammenarbeit undSicherheit durchaus unterstützt habe. Ich habe nur gesagt,dass diese Idee nicht neu ist. Herr Kollege, ich hoffe, Siehaben das zur Kenntnis genommen.

Als Zweites möchte ich Sie fragen, ob Sie sich wirk-lich einmal genau angeschaut haben, welchen Anteil ander Krisenprävention solche Friedensdienste haben undwelche wichtigen Leistungen sie vollbringen. Wenn Siedas getan hätten, würden Sie vielleicht nicht mehr so höh-nisch über diese Strukturen sprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ulrich Irmer (FDP): Verehrte Frau Kollegin Zapf, zuIhrer zweiten Frage: Ich will gar nicht bestreiten, dass dieFriedenskämpfer, die Sie losschicken, vielleicht auch Se-gensreiches bewirken können. Aber ich frage Sie: Warumkürzen Sie dann im Haushalt die Mittel für die deutschenBeiträge für die internationalen Bemühungen in diesemZusammenhang und warum kürzen Sie die Mittel für dieBeiträge für den UNHCR und andere internationaleOrganisationen, die seit vielen Jahren eine bewährte Ar-beit leisten?

(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wahrscheinlicheine Umschichtung! � Uta Titze-Stecher [SPD]:Wir haben ja noch Haushaltsberatungen!)

Verehrte Frau Kollegin Zapf, zu Ihrer ersten Frage: Esist ja wunderschön, wenn Sie hier sagen, das sei nichtsNeues, und Sie diese Idee deshalb ein wenig in Zweifelziehen. Wir haben dieses Thema doch bereits vor ein paar

Monaten auf den Tisch des Hauses gelegt. Ich erinneremich genau: Es war im Dezember letzten Jahres, als wirhier im Plenum darüber eine Debatte geführt haben. ImAuswärtigen Ausschuss hat uns der Minister entgegenge-halten, es gebe ja schon den Prozess von Barcelona. Die-ser ist, wie wir alle wissen, gescheitert. Er hat gesagt, dasalles sei viel zu visionär und nicht vergleichbar mit derKSZE von damals.

(Abg. Uta Zapf [SPD] nimmt ihren Platz wieder ein)

� Frau Kollegin Zapf, Sie müssen wieder aufstehen; dennich antworte noch auf Ihre Frage. Ich sage das jetzt nicht,weil ich unbedingt möchte, dass Sie Freiübungen machen,sondern deswegen, damit die Beantwortung Ihrer Fragenicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Genau, ich wolltenämlich die Uhr wieder in Gang setzen, damit wir voran-kommen. Aber Sie haben das Wort, Herr Kollege, � bittesehr.

Ulrich Irmer (FDP): Danke schön. Frau Zapf hat mirzwei Fragen gestellt und deshalb bemühe ich mich, diesebeiden Fragen zu beantworten.

Frau Kollegin Zapf, im Ausschuss ist uns entgegenge-halten worden, die Situation im Nahen Osten sei ganz an-ders. Das alles ist richtig. Aber deshalb kann man dochtrotzdem einen Versuch unternehmen.

Was haben aber Sie getan? Damals haben Sie nicht ge-sagt, die Idee sei nicht neu, sie existiere schon längst. Siehaben sie vielmehr abgelehnt; Sie haben im AuswärtigenAusschuss und im Plenum dagegen gestimmt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU � Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch lächerlich!)

Wir erlauben uns jetzt, diesen Vorschlag erneut auf denTisch zu legen. Dann werden wir sehen, was passiert, obalso diese Idee von Ihren Kollegen und von den Grünenauch so gut gefunden wird, wie wir sie finden. Sie liegtauf dem Tisch. Sie haben noch einmal Gelegenheit, darü-ber abzustimmen.

Wir machen einen weiteren Vorschlag: Das, was jetztgefordert wird, eine internationale Terrorismusbekämp-fung, muss auf internationaler Ebene solide, belastbar undvölkerrechtlich abgesichert unterfüttert werden. Wirappellieren deshalb an die Staatengemeinschaft, auf dernächsten Vollversammlung der Vereinten Nationen � siehat ja bereits begonnen � eine Antiterrorismuskon-vention auf den Weg zu bringen. Es gibt bereits sektoraleund regionale Einzelansätze. Das ist wunderbar. Wir ha-ben sie hier zum Teil noch nicht ratifiziert. In den letztenTagen ist angekündigt worden, dass dies geschehen soll.Frau Justizministerin, vielleicht kümmern Sie sich einmaldarum!

Wir meinen, dass es auf der Ebene der Vereinten Na-tionen einen umfassenderen und globaleren Ansatz für dieTerrorismusbekämpfung geben sollte. Wir haben einen

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Vorschlag, der viele Details enthält, formuliert und Ihnenauf den Tisch gelegt. Springen Sie über Ihren Schatten!Stimmen Sie dem zu! Wir sind bereit, im Ausschuss überdie Einzelheiten zu sprechen. Wir appellieren an Sie:Wenn Sie es mit dem, was Sie hier gesagt haben, ernstmeinen, dann sollten Sie einmal über Ihren Schattenspringen und einem konstruktiven Vorschlag der FDP-Opposition zustimmen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Für die PDS erteileich dem Kollegen Wolfgang Gehrcke das Wort.

Wolfgang Gehrcke (PDS): Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich war, nachdem ich mir hiereiniges habe anhören müssen, fast versucht, mit dem Satzzu beginnen: Jetzt einmal wieder ernsthaft.

Ich glaube, wir müssen uns sehr gründlich und völligoffen den Fragen stellen, die heute von der Bevölkerungtausendfach an uns alle gerichtet werden. Es sind aus mei-ner Sicht im Wesentlichen drei Fragen, die wir beant-worten müssen. Die erste Frage lautet: Sind solche Ter-roranschläge auch in unserem Lande denkbar? Davorhaben Menschen einfach Angst. Die zweite Frage lautet:Wird es einen Krieg geben, wird sich Deutschland an die-sem Krieg beteiligen und werden in diesem Krieg wiederUnschuldige leiden müssen? Die dritte Frage lautet: Be-findet sich die Weltwirtschaft in einer Krise, die auch unsbedrohen kann?

Mit allen drei Fragen verbinden sich bei vielen Men-schen existenzielle Ängste. Ängste kann man nicht da-durch beseitigen, dass man sagt, wir reden nicht überÄngste, oder behauptet, man könne Menschen Ängsteauch einreden. Man kann Menschen Ängste weder ein-noch ausreden. Man kann nur eine Politik machen, mit derdie Ursachen von Ängsten überwunden werden. Das istdie Aufgabe, die wir haben.

(Beifall bei der PDS)

Dazu gehört auch, dass in dieser komplizierten Situa-tion nicht wieder als Erstes die Wahrheit stirbt, dass kor-rekt informiert wird, dass die Rechte der Öffentlichkeitund die Rechte des Parlamentes nicht eingeschränkt wer-den. Das war das Entwürdigende bei der Mazedonien-Debatte und sofort sind auch die Vorbehaltsrechte desDeutschen Bundestages zur Disposition gestellt worden.Es ist nicht die Zeit dafür. Der Bundestag muss seineaußenpolitischen Rechte auch gegen diese Regierungdurchsetzen. Deswegen sind wir ja nach Karlsruhe ge-gangen.

(Beifall bei der PDS)

Aus meiner Sicht sind diese drei Fragen mit Ehrlich-keit und Aufrichtigkeit zu beantworten. Wir müssen deut-lich sagen: Ja, es gibt keinen Schutz vor dieser Form desTerrorismus � wie wir sie grausig erlebt haben �, wennnicht die Politik mittelfristig und langfristig geändertwird. Auch kurzfristig muss gehandelt werden.

Die Ehrlichkeit gebietet es auch, Herr Außenminister,zu sagen: Wenn er nicht abgewendet wird, kann es zu ei-nem Krieg kommen, in dem Unschuldige sterben und andem unser Land beteiligt ist. Das ist nicht Anschüren, dasist die Wahrheit.

(Beifall bei der PDS)

Die dritte Frage hat sich von selbst beantwortet. Wirbefinden uns in einer Wirtschaftskrise.

Aus meiner Sicht ist es nicht die Aufgabe der Politik,dies alles hinzunehmen. Aufgabe der Politik ist es, das ab-zuwenden, was abgewendet werden kann, und das mit derBevölkerung unseres Landes zusammen. Erinnern Siesich doch noch einmal an Willy Brandt, an seinen großen,programmatischen Ausspruch: �Frieden ist nicht alles,aber alles ist nichts ohne Frieden.� Gilt das heute nichtmehr oder muss das nicht gerade heute durchgesetzt wer-den?

(Beifall bei der PDS)

Alle Fraktionen des Bundestages sprachen von derTiefe der Veränderungen nach den Verbrechen in NewYork und Washington, sprachen von der Zäsur. Ichglaube, es ist richtig, noch einmal daran zu erinnern � derAußenminister hat das auch getan �, wie fassungslos wiralle waren angesichts eines Verbrechens, das unschuldigeMenschen zu lebenden Bomben gemacht hat mit demZiel, bewusst den Tod von Tausenden herbeizuführen. Eskann keinen Zweifel daran geben: Dieser globale Terrorist menschenverachtend, fanatisch, grenzen- wie staaten-los.

Selbstverständlich muss er bekämpft, verfolgt undüberwunden werden. Aber weil wir anders sind als dieTerroristen, weil wir nicht wollen, dass das eintritt, wassie eigentlich bezwecken, dass kriegerische Auseinander-setzungen geführt werden, mit denen sie rechnen, mussunsere Antwort auf den Terror im Einklang mit dem Völ-kerrecht stehen. Sie muss verhältnismäßig sein, sie mussdie Folgen bedenken und darf nicht den Tod von wie-derum Unschuldigen herbeiführen.

(Beifall bei der PDS)

Das ist ein kategorischer Imperativ. Krieg ist aus meinerSicht und aus der Sicht meiner Fraktion von allen Ant-worten die falscheste.

Das Mitgefühl der PDS mit den Menschen in den USA,unsere Solidarität war und ist tief und aufrichtig. Ich ver-lange und erwarte, dass diese Haltung nicht in Frage ge-stellt, sondern akzeptiert wird. Wir lassen kein Aber indieser Frage zu, auch wenn uns häufig in der Öffentlich-keit von verschiedenen Menschen gesagt wird: Solidaritätja, aber denkt an Vietnam! Unrecht kann nicht gegen Un-recht aufgerechnet werden. Unrecht bleibt Unrecht.

(Beifall bei der PDS)

Es gibt keinen anderen Weg, als dies so zu formulieren,wenn man aus der Spirale der Gewalt herauswill. Deswe-gen ist es für mich auch eine Lehre aus dem Kalten Krieg,die wir heute zu bedenken haben: dass die Auffassung,dass der Feind meines Feindes mein Freund, mein Ver-bündeter sein muss, für keine Seite mehr gültig sein kann.

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Wir wissen doch, aus welchen Quellen Waffen und Aus-rüstung bezogen wurden und woher die Planungen derTerrorgruppen stammten. Das kann heute nicht mehr gül-tig sein.

(Beifall bei der PDS)

Ich glaube auch, dass wir etwas Grundlegendes erken-nen müssen: Leid, Kummer und Sorgen hatten wir ge-meinsam. Bei der Frage, was wir tun sollen, werden dieWege leider auseinander gehen.

Ich will der Regierung entgegenhalten: Auf neue Fra-gen hat sie bislang nur alte Antworten gegeben. Das, wasder Außenminister hier ausgeführt hat, muss man mit derRealität der Regierungspolitik konfrontieren. Es gibt nurzwei Möglichkeiten: Entweder ändert sich die Politik derRegierung � das würde ich außerordentlich begrüßen �oder gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeitwird die Sprache angeschlagen, die gerade angesagt ist � diese führt auch zu vielen Problemen in den eigenenReihen �, und es ändert sich nichts. Das wäre eine Kata-strophe. Die Antwort der PDS besteht nicht im Nichtstunoder gar im Wegducken. Unsere Antwort besteht darin,Vorschläge zu entwickeln, zu überlegen und darüber zudebattieren, wie der Terror an seinen Wurzeln bekämpftwerden kann, wie ihm der Boden entzogen und eine neueArt von Sicherheit geschaffen werden kann.

(Beifall bei der PDS)

Herr Außenminister, ich finde es schon symbolträchtig� dazu hätte ich gerne ein Argument von Ihnen gehört �,dass in Ihrem Etat wesentlich mehr Geld � Milliarden �für Militär und Repression veranschlagt wird. 1,5 Milliar-den DM der 3 Milliarden DM sollen in den Militärhaus-halt fließen. Gleichzeitig senken Sie die Ausgaben fürEntwicklung. Ihr Gerede ist hohl.

(Beifall bei der PDS)

Es ist doch symbolträchtig, das Sie nicht als Erstes denEntwicklungsetat so heraufgesetzt haben, dass die Men-schen, die darunter leiden, dass sie sich nicht entwickelnkönnen, erkennen, dass wir nach dem Anschlag eineWende unserer Politik praktizieren und nicht nur darüberreden.

(Beifall bei der PDS)

Ihre Regierung hat bislang eine Politik betrieben, diedarin bestand, weniger für Entwicklung und Diplomatieund mehr für das Militär auszugeben. Ich hoffe, dass sichdas ändert. Wir möchten es nämlich genau umgekehrt:mehr für Entwicklung, mehr für Diplomatie und wenigerfür das Militär.

(Beifall bei der PDS)

Wir alle haben durch den Anschlag erkannt � das mussdoch einmal begriffen werden �, wie verwundbar wirsind. Furchtbare weitere Möglichkeiten sind denkbar:Chemiewerke, Atomkraftwerke, Eisenbahnknotenpunkte,B- und C-Waffen. Dagegen gibt es keinen vollständigenSchutz. Als Erstes wurde aber mehr Geld für die Rüstungund für das Militär bewilligt. Zu glauben, dass man selbstunverwundbar ist, ist das Falscheste, was man in dieserSituation tun kann. Es muss heißen: mehr Geld für zivile

Projekte, Wissenschaft, Kultur und Medien sowie für For-schungsprojekte. Das wäre ein Fortschritt. Ich glaube,auch die NATO hat sich mit ihrem neuen strategischenKonzept blamiert. Dieses und der darauf basierende Um-bau der Bundeswehr haben sich als grundlegend falsch er-wiesen.

Ich möchte noch etwas zum Kollegen Rühe sagen � manchmal muss man dem Kollegen Rühe auch etwasGerechtigkeit widerfahren lassen �:

(Lachen bei der CDU/CSU)

Sie haben Recht, dass die Bundeswehr unterfinanziert ist,wenn die Bundesregierung die Bundeswehr so einsetzt,wie sie es tut. Da ich den Einsatz der Bundeswehr so abernicht will, sondern für eine andere Richtung eintrete, sageich: Aus meiner Sicht ist sie überfinanziert. Die Bundes-regierung laviert sich durch beide Positionen durch. Ichwill in der Tat nicht mehr Geld für die Bundeswehr, son-dern weniger. Ich will Abrüstung und eine andereSicherheitskonzeption. Die Regierung tut so, als ob bei-des möglich ist. Beides ist aber eben nicht möglich, wiewir in der Praxis erleben.

Unter Rot-Grün hat das Militärische an Bedeutung ge-wonnen. Rot-Grün hat bei ihrem Regierungsantritt einAuslandsmandat übernommen. Vier weitere Auslands-mandate sind in den letzten drei Jahren hinzugekommen.Morgen soll ein fünftes erteilt werden und in der nächstenWoche kommt ein sechstes hinzu. Das ist alles beweis-und aufzählbar. In welche Richtung geht Ihre Außenpoli-tik?

(Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Was ist denn Ihre Alternative?)

� Es ist garantiert keine militärische; das wissen Sie.

Kollege Fischer, wenn Sie es mit Ihrer Rede hier ernstmeinen, dann ziehen Sie die Konsequenz und leiten einenRichtungswechsel in der Regierung ein: Tun Sie mehr fürdie Entwicklung, mehr für die Kultivierung der Bezie-hungen zueinander, zeigen Sie mehr Verständnis für dieProbleme der Menschen in anderen Teilen der Welt!Schließen Sie kategorisch die Teilnahme an kriegerischenAuseinandersetzungen aus und verweigern Sie katego-risch Rache und Vergeltung als Antwort auf den Terror!Das ist das, was der Terror will.

Wenn die Regierung sich korrigiert und einen anderenWeg geht, sind wir für Unterstützung offen. Wenn sie beidiesem Weg bleibt, sind die Geister in der Frage, was zutun ist, auseinander gegangen und sie müssen dann auchauseinander gehen.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Wir kommen zurzweiten Runde. Ich gebe die Reihenfolge der Redner bekannt, weil es ein bisschen hin und her gegangen ist:Jetzt kommt Herr Kollege Austermann, dann KollegeMoosbauer und dann Herr Kollege Koppelin.

Ich wage den zarten Hinweis, dass Zeitunglesen imPlenum nicht ganz angebracht ist. Eigentlich sollten wiruns gegenseitig zuhören.

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In diesem Sinne erteile ich dem Kollegen DietrichAustermann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frau Präsiden-tin! Meine Damen und Herren! Da ich eben zugehörthabe, möchte ich das, was mein Vorredner gesagt hat,zurückweisen. Er hat den Eindruck vermittelt, dass es ei-nem höheren ethischen Anspruch entspräche, wenn manweniger Geld für Rüstung, für Verteidigung und Ähnli-ches ausgibt. Meine Grundüberzeugung ist, dass jederStaat die oberste Verpflichtung hat, seine Bürger nach in-nen und nach außen zu schützen, dass dies eine ethischeDimension ist und dass dies auch für Verteidigung gilt, dieim Bündnis geleistet wird. Dies möchte ich ganz klar zuder abgegriffenen Position sagen, die Ewiggestrige hiervertreten.

(Beifall bei der CDU/CSU � Wolfgang Gehrcke[PDS]: So neu ist Ihre auch nicht!)

Ich möchte das Thema aufnehmen, das mit den inter-nationalen Einsätzen begonnen hat, und darauf hinwei-sen, dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich viermal,wenn nicht sogar fünfmal, über unsere Teilnahme an in-ternationalen Einsätzen entscheiden werden. Es ist einNovum in dieser Dimension.

Ich halte es für richtig und wichtig, in diesem Zusam-menhang deutlich darauf hinzuweisen, wer diejenigensind, die diesen Einsatz tatsächlich tragen müssen: dieSoldaten und zivilen Mitarbeiter, denen wir gar nicht oftgenug für die Einsatzbereitschaft und für das, was sie aufdem Balkan und anderswo leisten, danken können. Dieswill ich hiermit tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage das mit besonderer Freude gegenüber den Ver-tretern der Bundeswehr, die auf der Tribüne sitzen.

Deswegen ist es umso problematischer und bedeutsa-mer für die betroffenen Soldaten und zivilen Mitarbeiter,für unser ganzes Land, dass unsere Bundeswehr nach An-sicht vieler Sachverständigen innerhalb und außerhalb derBundeswehr nach drei Jahren rot-grüner Verteidigungs-politik vor allem ausstattungsmäßig immer weniger in derLage ist, diese Einsätze optimal durchzuführen. In keinemEtat wird mehr gespart als bei der Bundeswehr. Die Bun-deswehr wurde mit einer Reform überzogen, die nichtmehr passt. Und was das Schlimmste ist: An vielen Stell-schrauben wird gleichzeitig gedreht. All das passt nichtzueinander.

(Beifall der Abg. Erika Reinhardt[CDU/CSU])

Es fehlt bei den Finanzen an allen Ecken und Endenund es muss die Frage erlaubt sein, ob angesichts dieserSituation Entscheidungen über internationale Einsätzemit so heißer Nadel gestrickt werden können, wie es derFall ist. Ich glaube wohl, dass es der Respekt vor dem Par-lament erfordert, dass nicht vormittags die NATO-Ent-scheidung kommt, mittags die Kabinettsentscheidung,abends die Fraktionsentscheidung und am nächsten Tagdie des Bundestages. Ich glaube kaum, dass man in dieserEile � es geschieht ja nicht zum ersten Mal � wirklich ge-

wissenhafte Entscheidungen treffen kann � mit Verant-wortung für viele Menschen, die persönlich und direktdavon betroffen sind.

(Ulrich Irmer [FDP]: Herr Austermann, die Al-ternative wäre eine Sondersitzung gewesen!Das wollen wir doch auch nicht! Das ist nichtfair jetzt!)

� Ich weiß nicht, ob man bei dieser Frage wirklich sagenkann, dass uns der Termindruck daran hindert, das zu tun,ob man angesichts der Dimension des robusteren Ein-satzes für Mazedonien, der jetzt bevorsteht � hier habensich unsere gemeinsamen Befürchtungen bestätigt �,nicht einen anderen Weg beschreiten müsste, statt denEindruck zu vermitteln, dass das Parlament von der Re-gierung bzw. von der NATO ein bisschen unter Druck ge-setzt wird.

Ich möchte zur Finanzierung der zusätzlichen Maß-nahmen der Bundeswehr gar nichts sagen; ich habe diesvorhin in meiner Kurzintervention getan. Ich möchte aberetwas zu der Art und Weise sagen, wie die Bundeswehrzurzeit behandelt wird, wie sie eingesetzt werden kann.

Die Weizsäcker-Kommission hat bereits vor einigerZeit in ihren Analysen und Vorschlägen auf die Änderungder Bedrohungslage hingewiesen und eine sofortige Um-strukturierung und eine bessere Befähigung der Bundes-wehr gefordert. Wenn man sich dies vor Augen führt, dannmuss man die Frage stellen, ob das, was als Reform derBundeswehr auf dem Markt ist und als eine MaßnahmeStandortschließungen vorsieht, nicht dringend einer Über-prüfung bedarf. Deswegen fordern wir den Minister auf,diese Maßnahmen zurückzustellen und sich vorrangig aufdas zu konzentrieren, was unmittelbar notwendig ist.

Der Verteidigungsetat ist seit langer Zeit unterfinan-ziert.

(Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Daran sind Sienicht ganz unschuldig!)

� Herr Bartels, ich darf Ihnen mitteilen, dass wir 1998etwa 3 Milliarden DM mehr im Verteidigungsetat zur Ver-fügung hatten als in diesem Jahr. Auch die 1,5 Milliar-den DM, die jetzt zur Verfügung gestellt werden sollen,werden diese Problematik nicht ändern. In diesem Jahrfehlen im Etat 2 bis 3 Milliarden DM. Jeder stellt fest, dassdie Mittel bei der Materialerhaltung, den Überkippern ausdem Vorjahr und den Mitteln, die für die Beschaffungvorgesehen sind, hinten und vorne nicht reichen. Mit44,9 Milliarden DM, ohne die Mittel für internationaleEinsätze, hat der Haushalt seit vielen Jahren ein histori-sches Tief. Im nächsten Jahr soll er noch einmal um660 Millionen DM gesenkt werden. Der Investitions-anteil wird mit 22,2 Prozent ebenfalls ein historischesTief erreichen.

Man könnte nun die Frage stellen, ob diese zusätzli-chen 1,5 Milliarden DM nicht das Problem lösen. Dazuhabe ich eine Frage, die vielleicht der Verteidigungs-minister nachher beantworten kann. Ist denn vom Vertei-digungsministerium bisher eine Anmeldung für das, wasmit den 1,5 Milliarden DM geschehen soll, erfolgt?

(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Nein!)

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� Ich höre, nein. Ist denn durch den Finanzminister si-chergestellt, dass diese 1,5 Milliarden DM nicht nur ein-malig im nächsten Jahr, sondern tatsächlich für eine dau-erhafte strukturelle Verbesserung des Verteidigungsetatseingesetzt werden? Aufgrund der Reaktion von HerrnEichel nehme ich an, dass auch hier die Antwort Nein ist.Jetzt muss man die ironische Frage stellen: Wenn dieseszusätzliche Geld nur für das nächste Jahr zur Verfügunggestellt wird, senkt er dann am 1. Januar 2003 die Tabak-steuer wieder, weil er dieses Geld nicht mehr braucht, daes nur für diesen einmaligen Fall war?

(Dr. Hans-Peter Bartels [SPD]: Das ist dochUnsinn!)

Ich möchte etwas zu den Personalien sagen. Die �Süd-deutsche Zeitung� hat gestern angesichts der Tatsache,dass der Generalinspekteur gehen muss, weil er seit vie-len Monaten die Wahrheit sagt, den Verteidigungsminis-ter einen �Minister für Verschleiß� genannt.

Verteidigungsminister Scharping kann sich nunschon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tageglücklich preisen, dass angesichts der Weltlage man-ches zur Nebensache verkommt. Nach der heftigenDebatte um seine Fluglust und andere Leidenschaf-ten betrifft dies nun den Fortgang seines General-inspekteurs zur NATO nach Brüssel.

Dem kann man nichts mehr hinzufügen, außer der Fest-stellung, dass es offensichtlich so ist: Wer die Wahrheitsagt, muss gehen.

Das deutet darauf hin, dass an der Spitze der Hardthöhenach wie vor gewisse Wahrnehmungsprobleme bestehen;sonst würde der Minister nicht kurz nach der geplantenErweiterung der internationalen Einsätze für Mazedonienerklären, er hoffe, dass dieses Mal nicht so viele Problememit der Opposition wie beim letzten Mal entstehen wür-den. Offensichtlich hat er die Opposition in den eigenenReihen gemeint. Erst auf unseren Druck hin wurden dieMittel für den Mazedonieneinsatz erhöht. Jetzt ist deutlichgeworden, dass unsere Warnungen berechtigt waren.

Ich möchte etwas zu der Frage sagen, welche Notwen-digkeiten wir sehen. Wir sagen: Die 1,5 Milliarden DMsind besser als nichts, aber nur die Hälfte dessen, was ge-braucht wird, um der Bedrohung durch den Terrorismusentgegentreten zu können. Wir brauchen mehr Mittel fürden strategischen Transport, für Führungsfähigkeit undfür Aufklärung. Alle drei Dinge müssen ebenso wie derSchutz der Soldaten und die Absicherung der Anlagen derStreitkräfte verbessert werden.

Zum Sofortbedarf gehört aber auch, dass endlich dieMittel zur Verfügung gestellt werden, die gebraucht wer-den, um die Truppe in die Lage zu versetzen, Einsätze zufliegen. Wenn heute ein Luftwaffenpilot nur noch150 Flugstunden absolviert, aber 180 Flugstunden vorge-sehen sind, dann zeigt dies, in welcher Situation sich dieBundeswehr nach drei Jahren befindet.

Lassen Sie mich eine letzte Anmerkung zum ThemaGEBB und zur Einnahmesituation machen. In den Vorla-gen, die ich gestern bekommen habe � sie beinhalten eineKorrektur des Verteidigungsetats für das nächste Jahr und

veränderte Beratungen �, gibt es eine so genannte Plus-Minus-Liste. In dieser steht, dass der Verteidigungsminis-ter offensichtlich vorhat, die Kasernen an eine bundes-wehreigene Gesellschaft zu verkaufen, um sie dannwieder zurückzumieten. Aus den Verkaufserlösen möchteer Beschaffungen tätigen. Ich sage ganz deutlich, was dasist: Das ist eine verfassungswidrige Kreditaufnahme, dieam Haushalt vorbeigeht. Das ist unzulässig. Dies wird un-seren erheblichen Widerstand finden, wenn wir darüberberaten werden.

Schließen Sie sofort diese unsägliche GEBB! SparenSie damit Mittel ein! Der Finanzminister hat um Vor-schläge gebeten, wo man sparen kann. Hier lassen sich je-des Jahr 30 Millionen DM für die Untätigkeit sparen, diedort demonstriert wird.

So kann man den Verteidigungsetat meines Erachtensnicht umsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, kom-men Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frau Präsidentin,ich möchte schließen: Ein Umbau der Bundeswehr zur Er-füllung der zukünftigen, immer umfangreicheren interna-tionalen Aufgaben wird mit den Entscheidungsabläufender letzten drei Jahre und der zu geringen Finanzausstat-tung nicht möglich sein. Mehr Mittel, aber auch die Haus-haltsberatungen sind notwendiger denn je; denn ohnemehr Geld und wichtige Korrekturen können wir demVerteidigungsetat auch diesmal nicht zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Auch wenn es einespannende Debatte ist, möchte ich darauf hinweisen, dassdie Redezeiten, die Sie vor sich sehen, einzuhalten sind.

Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Moosbauer,SPD-Fraktion.

Christoph Moosbauer (SPD): Sehr verehrte FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Im Anschluss an die Rede von HerrnAustermann möchte ich zunächst sagen, dass ich zumEinzelplan 05 spreche und nicht zum Verteidigungshaus-halt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe den Eindruck, dass Außenpolitik von der Oppo-sition immer nur als Teilbereich der Verteidigungspolitikgesehen wird.

Herr Irmer, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt, Sieseien sehr besorgt über einzelne Stimmen, die nun laut wer-den, und haben dies als Konzert, das teilweise surreale Zügeannimmt, kritisiert. Ich darf Sie daran erinnern, dass einerdieser � in diesem Zusammenhang zitiere ich Sie � Scharla-tane, die ein unverantwortliches Geschrei anstimmen, mit

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Ihrer Hilfe auf den Posten des Innensenators von Hamburggehievt wird. Auch das dürfen Sie nicht vergessen.

(Beifall bei der SPD � Ulrich Irmer [FDP]: Dashabe ich nicht verstanden! Da brauche ichNachhilfeunterricht!)

Sie wissen, dass im Zusammenhang mit den Vorkomm-nissen vom 11. September auch eine unverantwortlicheinnenpolitische Debatte geführt wird.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Soviel zum Einzelplan 05!)

� Ich erlaube mir das Gleiche, was auch Sie sich erlauben.Wahrscheinlich haben Sie in dem Bewusstsein, dass

die außenpolitische Bilanz dieser Bundesregierung kaumzu kritisieren ist, auf Nebenschauplätze abgelenkt. Ichmeine mit der Bilanz nicht nur das beeindruckende undvon allen Seiten des Hauses in den letzten Tagen zu Rechtmit Respekt bedachte Vorgehen in der aktuellen Krise. Ichdenke vor allem auch an die beharrlichen Bemühungenunseres Kanzlers und unseres Außenministers, um dempolitischen Prozess in Südosteuropa und dem NahenOsten immer wieder neue Impulse zu geben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir in diesen Tagen über Außenpolitik sprechen,sprechen wir natürlich immer auch über die momentaneKrise, die an die auswärtige Politik sowie an internationaleStrukturen insgesamt eine neue Herausforderung stellt. DieSpuren der furchtbaren Anschläge von New York und Wa-shington reichen � nach allem, was wir bislang wissen �auch und vor allem in den Nahen und Mittleren Osten, undzwar personell, finanziell, logistisch und politisch.

Viele Menschen sagen, dass der Kernkonflikt im Na-hen Osten, also der Konflikt zwischen Israel und denPalästinensern, eine der Ursachen für den mörderischenAnschlag auf die Vereinigten Staaten war. Im Umkehr-schluss denken viele Menschen, dass das Problem des in-ternationalen Terrorismus und des politisch missbrauch-ten religiösen Fundamentalismus durch eine gerechteLösung des israelisch-arabischen Konflikts gelöst werdenkann. Ich halte das für eine etwas kurzsichtige Analyse derUrsachen der neuen Form des Terrorismus, mit der wiruns konfrontiert sehen.

In der Behauptung steckt aber auch ein wahrer Kern:Eine Friedenslösung für den mittlerweile über ein halbesJahrhundert andauernden Konflikt ist nicht nur ein Wertan sich, sondern trägt auch zur Entflechtung von interna-tionalen Konfliktstrukturen bei.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Suche nach einer Friedensregelung muss Teil einerStrategie gegen weltumspannenden Terrorismus und seineUrsachen sein.

Aus diesem Grunde danke ich Ihnen, Herr Bundes-außenminister, dass gerade Sie für ein starkes deutschesEngagement im Nahen Osten stehen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer sich mit dieser Region beschäftigt, weiß, dass diedeutsche Politik � zusammen mit unseren europäischenPartnern � zu einer konstruktiven Kraft im Nahen Ostengeworden ist, und das nicht, wie früher vielfach befürch-tet, in Konkurrenz zu unseren amerikanischen Freunden,sondern gerade ergänzend dazu.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle darf ich Ihnen, Herr Außenminister,nicht nur für Ihren konstruktiven Beitrag danken, sondernSie auch dazu auffordern, hier nicht nachzulassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeder Beitrag, der Israelis und Palästinensern jetzt hilft,miteinander ins Gespräch zu kommen, ist ein vermittelnderBeitrag, ob wir das nun so nennen oder nicht. Wichtig istweniger, wie wir unsere Rolle definieren, sondern viel-mehr, wie sie von unseren Partnern gesehen wird. Eine sol-che vermittelnde Rolle birgt viel Verantwortung in sich unddiese Regierung hat diese Verantwortung angenommen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, ich spreche füruns alle, wenn ich sage, dass ich froh bin, dass heute dasseit langem notwendige Treffen zwischen Schimon Peresund Yassir Arafat endlich stattgefunden hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. ChristianSchmidt [Fürth] [CDU/CSU])

Vielleicht bewahrheitet sich hier die in den letzten Tagenviel bemühte Formel, dass in jeder Krise auch eineChance steckt.

Ich bin dankbar, dass im vorliegenden Haushalt zumBeispiel die Beiträge an das Hilfswerk der Vereinten Na-tionen für die Palästinenser in hohem Umfang berück-sichtigt werden. Auch dadurch � das wissen wir; das istvielfach gesagt worden � wird der Nährboden für Radi-kalismus ausgetrocknet. Von daher ist dieser präventiveAnsatz wichtig. Ich hoffe, dass es uns im Laufe dieses par-lamentarischen Verfahrens gelingt, diese Hilfe sogar nochaufzustocken. Wenn wir jetzt darüber reden, Terrorismuszu bekämpfen, dürfen wir nicht vergessen, den Ursachenfür zukünftigen Terrorismus präventiv zu begegnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch kurz einen für mich wichtigenPunkt ansprechen: die Vereinten Nationen. Der An-schlag vom 11. September wird auch für die Arbeit derVereinten Nationen eine Zäsur sein. Eine vom überwie-genden Teil der Staatengemeinschaft getragene Strategiegegen den Terrorismus muss auch in der Arbeit der Ver-einten Nationen ihren Niederschlag finden. Der Sicher-heitsrat hat einen Tag nach den Anschlägen in den USA zuRecht festgestellt, dass derartige Terrorakte eine Gefähr-dung des Weltfriedens darstellen. Wir sollten alles unter-nehmen, um im Kampf gegen diese Gefährdung das Sys-tem der Vereinten Nationen zu stärken.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und der PDS sowie des Abg. UlrichIrmer [FDP])

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Christoph Moosbauer

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In diesem Zusammenhang danke ich den amerikani-schen Kongressabgeordneten dafür, dass sie jetzt denWeg für ausstehende Zahlungen der USA an die Verein-ten Nationen frei gemacht haben. Das ist gerade jetzt einwichtiges Zeichen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und des Abg. Ulrich Irmer [FDP])

Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren konnteman zumindest auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik mit-unter eine Bewegung weg vom System der Vereinten Nationen beobachten. Von daher begrüße ich auch imHinblick auf die neuen Aufgaben, die auf die Weltge-meinschaft zukommen, jeden Versuch, die Vereinten Na-tionen zu stärken. Das erfolgreiche Bemühen der Bun-desregierung um die Nachfolgemission von �EssentialHarvest� in Mazedonien ist eine solche Unterstützungund damit auch eine Stärkung des UN-Systems.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie schon während des Kosovo-Krieges ist es die deut-sche Regierung, die auf eine breite Legitimation durch dieinternationale Staatengemeinschaft gesetzt hat.

Meine Damen und Herren, an diesen beiden Punkten � Nahost und Vereinte Nationen � sehen wir exemplarischdie Grundelemente der Außenpolitik dieser Bundesregie-rung: Realitätssinn und Engagement, Verantwortungsbe-wusstsein und Augenmaß. Wir sind gut beraten, diese Po-litik zu unterstützen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile das Wortdem Verteidigungsminister, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidigung:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Lichteder Tragödie von Washington und New York wird zuRecht die Frage gestellt, was die internationaleStaatengemeinschaft zu tun in der Lage ist, um ihre ge-meinsamen Interessen zu vertreten, und welchen Beitragdie Europäer und mit ihnen die Bundesrepublik Deutsch-land dazu leisten können. Ein Teil � ich sage ausdrücklich:ein Teil � dieser Antwort wird militärisch sein. Das wirftdie Frage nach den Fähigkeiten der Bundeswehr auf: de-nen, die sie hat, und denen, die mit der Erneuerung derBundeswehr entwickelt, ausgebaut, zum Teil neu erwor-ben werden sollen.

Die Antwort der internationalen Staatengemeinschaft,der zivilisierten Welt soll eine gemeinsame und umfas-sende sein. In dem für manche möglicherweise überra-schenden Verhalten der Amerikaner, sich in der NATO, inden Vereinten Nationen und weltweit um eine gemein-same Antwort zu bemühen, steckt eine enorme Chance.

Die Gemeinsamkeit der Antwort hat mit ihrem umfas-senden Charakter ebenso zu tun wie der umfassende Cha-rakter mit der gemeinsamen Antwort. Das ist unauflöslich

miteinander verbunden. Weil das so ist, sollten wir uns inDeutschland � der Bundestag erliegt dieser Versuchung jaetwas weniger als manche Berichterstatter � von der Gefahrfrei halten, diese Antwort auf ihren militärischen Anteil zuverkürzen oder diesem Anteil eine Dominanz zuzuweisen,die er mit Blick auf Politik weder hat noch beansprucht. Ichhalte es für außerordentlich wichtig, dass wir dies immer inRechnung stellen; denn es wäre eine völlige Überforderungauch des Militärischen, zu glauben, dass die Maßnahmenam Ende einer langfristigen Entwicklung, die in diesemFalle noch durch eine sich auf fürchterliche Weise terroris-tisch austobende Gewalt beschleunigt wird, greifen könn-ten und dass diese dann militärischer Natur seien. Das mussviel früher beginnen. Krisenprävention ist kein Wider-spruch zur Krisenreaktion, wie auch umgekehrt Krisenre-aktion nie zum Ersatz oder zum Gegenteil notwendigerPrävention gemacht werden darf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Debatte besteht eine doppelte Gefahr: Eine Hal-tung besagt, es werde ausreichen, wenn wir in fast sozial-arbeiterischer Weise präventiv vorgingen. Das reicht abernicht; denn diese Haltung übersieht, dass Menschen, Or-ganisationen, Finanzstrukturen und vieles andere leider soausgerichtet sind, dass sie sich gewalttätig und terroris-tisch zur Geltung bringen. Dem ist mit einem so präven-tiv gedachten Ansatz nicht mehr beizukommen.

Umgekehrt müssen aber die Maßnahmen der Reaktionauch so angelegt sein, dass andere Maßnahmen, die imumfassenden, eher präventiven Sinne erforderlich sindund bleiben � der Dialog zwischen Kulturen und Religio-nen, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung,Bewahrung von Lebensgrundlagen, Förderung vonRechtsstaatlichkeit �, durch die Art der Reaktion nichtdiskreditiert und in Zweifel gezogen werden können.

Ausgehend von diesen grundsätzlichen Erwägungenmache ich zunächst deutlich, dass die Erneuerung derBundeswehr von Grund auf, das Gesetz über die Neuaus-richtung der Bundeswehr und der Haushalt in diesemKonzept einen untrennbaren Zusammenhang bilden. Esdarf nicht übersehen werden, dass die Erneuerung derBundeswehr von Grund auf der veränderten sicherheits-politischen Lage unseres Landes und den sich daraus er-gebenden Anforderungen an gemeinsame � dieses Wortunterstreiche ich ausdrücklich � Sicherheit Rechnungträgt.

Dies ist deswegen so wichtig, weil eine gewisse Gefahrbesteht � ich bemerke dies auch an der einen oder ande-ren Bemerkung in diesem Hause �, dass einiges aus demBlick gerät, was nicht aus dem Blick geraten sollte. Un-verändert sind die geistigen Grundlagen der Bundes-wehr: innere Führung, das Leitbild des Staatsbürgers inUniform. Unverändert ist und bleibt auch der Verfas-sungsauftrag der Streitkräfte: Landesverteidigung undGewährleistung gemeinsamer Sicherheit im Bündnis. Allerdings bedeutet Landesverteidigung unter den verän-derten sicherheitspolitischen Umständen den Erwerb oderdie Entwicklung von Fähigkeiten, die auch in der Krisen-prävention wie in der Krisenreaktion eingesetzt werdenkönnen; dies rufe ich ausdrücklich ins Gedächtnis zurück.

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Dies war der Grund dafür, dass innerhalb der NATO imApril 1999 einige Festlegungen getroffen worden sind,aus denen sich ableiten lässt, was mit der Neuausrichtungder Bundeswehr verbunden ist. Das schließt die Antwortoder die Fähigkeit zur Antwort auf neue Herausforderun-gen, Gefahren und Bedrohungen ein; der Terrorismus istausdrücklich erwähnt.

Diejenigen, die jetzt sagen, wir bräuchten gewisser-maßen eine Reform der Reform, laufen ein enormes Ri-siko: das Risiko des Sonderwegs und der Verabschiedungaus den gemeinsam getroffenen Festlegungen, die bis indie Fähigkeitenkataloge der NATO und übrigens auch dereuropäischen Außen- und Sicherheitspolitik reichen. Dasist ein Risiko, das Deutschland nicht eingehen darf undauch nicht eingehen wird.

Vor diesem Hintergrund sagen dann einige: Mag sein,dass die Reform insgesamt richtig angelegt ist, aber man-ches muss schneller getan werden. � Dem stimmt dieBundesregierung � nicht zuletzt der Verteidigungsminis-ter � ausdrücklich zu: Es muss einiges schneller getanwerden, als ursprünglich beabsichtigt.

Ohne jetzt auf alle Einzelheiten einzugehen, will ichdoch sagen, dass mit jenen 1,5 Milliarden DM, über diehier auch gesprochen worden ist, die Fähigkeit zumSchutz des eigenen Landes, der Bündnispartner und dereigenen Soldaten schneller als ursprünglich gedacht ver-bessert werden muss, dass die Fähigkeit zur Aufklärungund Führung � Letzteres insbesondere über längere Dis-tanzen und Zeiträume � schneller verbessert werden mussals gedacht, dass bestimmte Kapazitäten in der Ausbil-dung erhöht werden müssen � das betrifft besonders dieFlugstunden � und dass im Übrigen auch Verbesserungenim personellen Bereich schneller erfolgen müssen als ge-dacht, ob sie nun Wehrübungsplätze oder einen schnelle-ren Aufwuchs in bestimmten Bereichen betreffen, in de-nen es in der Bundeswehr Engpässe gibt, etwa beiSpezialisten im IT-Bereich, im Fernmeldebereich und an-derenorts.

Daraus ergibt sich auch � das sage ich mit Blick aufmanche Bemerkung hier in diesem Hause �, dass daskeine Sache für ein Jahr ist. Dazu sind langfristig ange-legte Bemühungen erforderlich, die nicht in eine einma-lige, auf ein Jahr konzentrierte finanzielle Anstrengungmünden können und münden werden. Das ist völlig klar.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Es geht also nicht darum, die konzeptionellen Grund-lagen der Erneuerung der Bundeswehr neu zu diskutie-ren. Wer dies tut, verabschiedet sich nicht nur aus ge-meinsamen Festlegungen im Bündnis und in derEuropäischen Union und geht das beschriebene Risikoein; er ruiniert auch einen sehr dynamisch fortschreiten-den Prozess und damit das Vertrauen innerhalb der Streit-kräfte selbst. Ich sage das in aller Deutlichkeit: Man kannsich im politischen Raum und im parteipolitischen Streitvieles denken, aber eines darf nicht geschehen:

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Wem erzählen Siedas?)

Das Vertrauen in die Fähigkeiten, in die Klarheit der Auf-tragserfüllung und in deren Gewährleistung darf in deneigenen Streitkräften im Interesse der Sicherheit unseresLandes und des Beitrages zu weltweiter Stabilität nichtruiniert werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und derCDU/CSU)

Ich hatte bereits gesagt, dass der militärische Teil einerAntwort auf die Herausforderungen des Terrorismus not-wendig ist, aber nicht mit der ganzen Antwort verwech-selt werden darf. Ich kann das hier schon allein ausZeitgründen, die nicht mit meiner Redezeit, sondern mitder Sitzung der NATO-Verteidigungsminister in Brüsselzu tun haben, nicht im Einzelnen ausführen, aber ich willdoch noch zwei Hinweise geben, die das deutlicher ma-chen.

Erstens. In der gegenwärtigen Debatte spielen Regio-nen auf der Erde eine Rolle, die wir nicht ausschließlichals Heimat oder Schutzräume von Terroristen wahrneh-men sollten. In dieser wenige hundert Kilometer breitenEllipse rund um das Kaspische Meer, in den mittelasiati-schen Staaten, befinden sich für die weltwirtschaftlicheStabilität entscheidende natürliche Ressourcen. Leiderverbindet sich das in diesen Staaten mit einer hochkom-plizierten und auch explosiven Mischung, die bestimmtwird von dem Besitz von oder dem Streben nach Massen-vernichtungswaffen, von religiösem Fanatismus, ethni-schem Hass und manch anderem.

Vor diesem Hintergrund wird ganz offenkundig, dassmit Blick auf die Staaten dieser Region eine militärischeAntwort an die Adresse Afghanistans � das ist meine Pro-gnose � wohl notwendig sein wird. Aber wir dürfen dabeinicht stehen bleiben. Wir dürfen zu keinem einzigen Zeit-punkt aus den Augen verlieren, dass die langfristige Eingliederung dieser Staaten in die zivilisierte Welt in un-serem eigenen sicherheitspolitischen wie wirtschaftspoli-tischen Interesse liegt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und derCDU/CSU)

Zweitens. Der Herr Bundesaußenminister hat in seinenBemerkungen auf Nordafrika aufmerksam gemacht. Da-bei geht es nicht nur um das Schrecknis der 100 000 in denletzten Jahren in Algerien Umgebrachten; es geht auch umdie Tatsache, dass sich die Bevölkerung in Nordafrika inüberschaubar kurzer Zeit verdreifachen wird und heuteschon absehbar ist, dass jede unterlassene Investition indie Bewahrung von Lebensgrundlagen, in die Stärkungvon Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und in die För-derung des Verständnisses von Kulturen und Religionenin Zukunft als moralische Verantwortung und übrigensauch als Migrationsdruck auf uns lasten wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das soeben beendete Treffen zwischen Arafat undPeres � wie man hört � in der nächsten Woche fortgesetztwird, dann ist das mit Blick auf den Zusammenhang, den

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wir hier diskutieren, ein ausgesprochen wichtiges Signalund es bestätigt die Bemühungen der Bundesregierung � namentlich des Kanzlers und des Außenministers �, eineEskalation des Nahostkonflikts zu vermeiden � wegender Menschen, die dort leben, wegen unserer eigenen Ver-antwortung, aber auch, weil wir wissen, dass eine Eskala-tion des Nahostkonflikts zum Ferment in den arabischenGesellschaften werden könnte, zum Katalysator, der diezurzeit relativ isolierten terroristischen Bestrebungen inden arabischen Gesellschaften in einen falschen Zusam-menhang stellen, eine falsche Solidarität bewirkenkönnte. Eskaliert der Nahostkonflikt, dann besteht die Ge-fahr, dass der Terror mit dem verwechselt wird, was man-che zu signalisieren versuchen, nämlich einem Kampfzwischen Kulturen oder Religionen. Das hätte gefährlicheFolgen nicht nur in der arabischen Welt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was nun Mazedonien angeht, Herr Kollege Rühe, soist es doch für eine Einbringungsrede ungewöhnlich, dassman versucht, auf eine Debatte einzugehen. Wir müssendoch die in Mazedonien erreichten Erfolge nicht kleinre-den, um uns gegenseitig zu bestätigen, dass wir noch nichtam Ende des Weges sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich entsinne mich der Diskussion sehr gut und will jetztgar nicht auf die einzelnen Punkte eingehen, die in ande-ren Debatten eine Rolle spielen mögen. Heute scheint mirdas eine etwas zu kleine Münze zu sein.

Was haben wir erreicht, und zwar entgegen mancherskeptischen, vorsichtigen � was ja berechtigt ist � und, wieich finde, hier und da die vorsichtige Skepsis auch über-treibenden Vermutung, sodass man fragen müsste, ob daswirklich Vorsicht und Skepsis waren oder nicht etwas an-deres? Wir haben erreicht, dass der Prozess des Waffenein-sammelns erfolgreich abgeschlossen worden ist. Es gehtaber nicht nur um den Prozess des Waffeneinsammelns al-lein; er ist zugleich eine unabdingbare Voraussetzung fürden Wiederaufbau von Vertrauen zwischen Bevölkerungs-gruppen und für die Vermeidung des Bürgerkriegs.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Übrigen argumentieren Sie nicht ganz korrekt � ichdrücke mich höflich aus �, wenn Sie sagen: Aber der Verfas-sungsreformprozess ist ja noch gar nicht abgeschlossen. �Erstens stimmt das und zweitens haben wir von Anfang andie Absicht verfolgt � so verliefen alle Planungen �: erst dasWaffeneinsammeln, dann der Prozess der abschließendendritten Lesung der Verfassungsreform im mazedonischenParlament. Das wird hoffentlich auch gelingen. Dann ist ei-niges im Interesse umfassender Sicherheit zu tun. Ich hoffe,dass wir heute � die Voraussetzungen sind leider noch nichtganz erfüllt � in der Bundesregierung und dann auch imDeutschen Bundestag die entsprechenden Entscheidungentreffen können.

(V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. AntjeVollmer)

Vor diesem Hintergrund wird vielleicht auch die Notwen-digkeit der Ableitung der Fähigkeiten der Bundeswehrder Zukunft und ihrer haushaltsmäßigen Absicherungdeutlich. Ich sage auch mit Blick auf manche skeptischeBemerkung aus den Reihen der Opposition, dass die fi-nanzielle Absicherung dieser Reform � da bin ich mitHans Eichel und anderen völlig einig � auch eine Reformder wirtschaftlichen Prozesse erfordert, nicht in der Form,wie es der Kollege Austermann unterstellt � so blöd wirdkeiner sein �, sondern so, dass man aus den wirtschaftli-chen Prozessen jene Mittel gewinnt, die notwendig sind,um die Finanzierung zusätzlich erforderlicher � völlig un-bestreitbar notwendiger � Investitionen bei der Bundes-wehr gewährleisten zu können.

(Beifall bei der SPD)

Das werden wir schaffen. Vor diesem Hintergrund bitteich Sie � ich kann nicht sagen, um Ihre Zustimmung �, dieBeratungen so zu führen, dass im Hinblick auf die Ziel-orientierung � nämlich Sicherheit des eigenen Landes,seiner Partner und Freunde, weltweite Stabilität � derauch den Fähigkeiten der Bundeswehr angemessene Bei-trag geleistet werden kann, statt der Versuchung zu erlie-gen, in einer so herausfordernden Situation das parteipo-litische Kleinklein zu pflegen. Das ist unangemessen. Wirkönnen uns intelligent und sachlich streiten. Nicht jedeBemerkung, die ich von der Opposition gehört habe, istnach meinem Urteil diesem Anspruch gerecht geworden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN � UtaZapf [SPD]: Das war aber sehr nett ausge-drückt! � Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ihre aberauch nicht!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Paul Breuer von der CDU/CSU.

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Endlich bekommen wir die alten Schüt-zengräben wieder!)

Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meinelieben Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle fest, HerrMinister Scharping, dass weite Teile der Rede, die Sie ge-rade hier gehalten haben, nicht an das ganze Haus adres-siert waren, sondern im Wesentlichen

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nur an Sie, Herr Breuer!)

Beschwörungsformeln für eine Unterstützung durch dierot-grüne Koalition gewesen sind.

(Johannes Kahrs [SPD]: Dann haben Sie nichtzugehört!)

Sie haben auch allen Grund, das zu tun. Sie warnen vor ei-ner Reform Ihrer Reform. Das sind Forderungen, die nichtaus der Opposition kommen;

(Johannes Kahrs [SPD]: Die Opposition schämtsich noch für die Politik der letzten 16 Jahre,Herr Breuer!)

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Bundesminister Rudolf Scharping

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das sind Forderungen, die von der rot-grünen Koalition anSie gerichtet werden und die zeigen, dass Vertrauen fürSie und Ihre politischen Bemühungen in dieser rot-grünenKoalition derzeit nicht besteht.

(Beifall bei der CDU/CSU � Johannes Kahrs[SPD]: Das ist doch falsch! Das wissen Sieauch! Bleiben Sie doch mal bei der Sache!)

Der Deutsche Bundestag muss feststellen, dass zumersten Mal in der Geschichte der NATO der Bündnisfallbevorsteht. 50 Jahre nach Gründung der NATO ist daseine historisch einmalige Situation. Der Deutsche Bun-destag muss auch feststellen, dass die Bundeswehr � undzwar nach den Worten des Verteidigungsministers � zumZeitpunkt der Feststellung des Bündnisfalles nicht vollbündnisfähig ist. Die erste Aufgabe des DeutschenBundestages und dieser Bundesregierung muss sein, dieBündnisfähigkeit der Bundeswehr so schnell und so wirk-sam wie irgend möglich herzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU � Peter Zumkley[SPD]: Schneller als in zehn Jahren! � JohannesKahrs [SPD]: Die Sie selber ruiniert haben,Herr Breuer!)

Wenn wir uns damit auseinander setzen, wie die Bünd-nisfähigkeit herzustellen ist, dann kommen wir nicht um-hin festzustellen, dass in den letzten drei Jahren durch dieAktivitäten dieser Bundesregierung erhebliche Defizite inBezug auf die Bündnisfähigkeit entstanden sind

(Johannes Kahrs [SPD]: Die waren doch vor-her schon da! Das wissen Sie!)

und entschlossenes Handeln insbesondere in Bezug aufdie Modernisierung und die Ausrüstung der Bundeswehrausgeblieben ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn in diesen Stunden darüber diskutiert wird, ob HerrScharping mehr Geld für die Bundeswehr bekommen soll,dann muss Ihnen klar werden, dass es an sich skandalösist, dass es der Terroranschläge von New York und Wa-shington bedurfte, Sie darauf hinzuweisen, dass man dieBundeswehr nicht bündnisunfähig lassen kann.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch peinlich,was Sie da veranstalten!)

Ich zitiere aus der �Süddeutschen Zeitung� vom heuti-gen Tage � Sie können nicht behaupten, dass ChristophSchwennicke, der diesen Kommentar geschrieben hat,

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: CSU-Mitglied wäre!)

besonders freundlich mit der Union umgehen würde �:

Die Bundeswehr ist nachweislich unterfinanziert, siewar es vor dem 11. September, sie ist es nach dem11. September.

(Johannes Kahrs [SPD]: Sie war es auch vor1998!)

Doch erst das Inferno von New York hat die Denk-blockaden gelöst: ein Armutszeugnis für den sicher-

heitspolitischen Sachverstand in dieser Bundesregie-rung.

(Susanne Kastner [SPD]: Ein Armutszeugnisist es, dass Sie jetzt den Schwennicke zitie-ren!)

Wenn die Flugzeugbomben in den USA offenkundigNachhilfeunterricht der schrecklichsten Art gelieferthaben, sollte die neue Einsicht gleich einen Schrittweiter reichen. Ein klarer Wehretat tut dringend Not.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dem, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD unddem Bündnis 90/Die Grünen, ist nichts hinzuzufügen.

(Verena Wohlleben [SPD]: Dann sind Sie jajetzt fertig!)

Was die Klarheit des Wehretats angeht, muss ich aller-dings feststellen, dass diese nach wie vor nicht gegebenist. Ich kann den bisherigen Äußerungen in der Öffent-lichkeit, Herr Kollege Scharping, nur entnehmen, dasseine Aufstockung des Verteidigungsetats wohl nicht er-folgen wird. Das stelle ich einmal völlig unabhängig vonder Frage fest, wie dieser Finanzierungsbedarf gedecktwerden soll. Dazu ist heute Morgen in der Debatte genü-gend gesagt worden. Diese 1,5 Milliarden DM sollennicht dem Verteidigungsetat zugeführt werden, sondernsollen im Einzelplan 60 verbleiben.

(Johannes Kahrs [SPD]: Herr Breuer, jetztschwindeln Sie doch nicht!)

Das lässt zweierlei Schlüsse zu:

Erstens lässt das den Schluss zu, dass eine kontinuier-liche Finanzausstattung des Verteidigungsetats für Sienach wie vor nicht zur politischen Debatte steht.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch falsch!)

Das lässt zweitens den Schluss zu, dass sich offenbarder Finanzminister vorbehält, den Verteidigungsministerim Hinblick auf seine Bemühungen zu kontrollieren. Dasist skandalös in dieser Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU � Johannes Kahrs[SPD]: Auch das ist falsch! � Verena Wohlleben[SPD]: Es war einmal Paul Breuer, der erzählteMärchen!)

Im Übrigen lässt das darauf schließen, dass die Auto-rität und der Einfluss des Verteidigungsministers, der inder Bundeswehr als völlig verschlissen gilt,

(Johannes Kahrs [SPD]: Wenn hier einer ver-schlissen ist, dann sind Sie das doch!)

auch innerhalb der rot-grünen Koalition und innerhalb der Bundesregierung nicht mehr weiter gesenkt werdenkönnen.

(Johannes Kahrs [SPD]: Es klatscht doch nie-mand mehr in Ihrem eigenen Laden!)

Wenn es nämlich in einer solchen Situation, wie wir sieheute haben, nicht möglich ist, unzweideutig über denVerteidigungsetat zu reden und ihn zu beschließen,

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beschreibt das letztlich nichts anderes als die Handlungs-unfähigkeit einer Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU � Verena Wohlleben[SPD]: Ihre Leute hören noch nicht einmal zu!)

Die 1,5 Milliarden DM, um die es hier geht, lösen nichtdie Probleme des Verteidigungsetats.

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: FrauWohlleben stimmt dir ja innerlich zu!)

Der Verteidigungsetat benötigt, damit wir aus der Unter-finanzierung herauskommen

(Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Paul Breuer!)

sowie eine Rationalisierung und Modernisierung derBundeswehr überhaupt vornehmen können � das sindVerlautbarungen aus dem Hause des Verteidigungsmi-nisters, zum Beispiel vom Generalinspekteur �,

(Verena Wohlleben [SPD]: Sollen wir einmalvorlesen, was ihr alles gestrichen habt?)

für das kommende Jahr einen Betrag in der Größenord-nung von 2,5 bis 3 Milliarden DM, im Übrigen mit stei-gender Tendenz.

(Zuruf von der SPD: Der kann auch nichtrechnen!)

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Wähler inunserem Lande sehr genau anschauen werden,

(Johannes Kahrs [SPD]: Was Sie 16 Jahregemacht haben!)

in welcher Art und Weise der Deutsche Bundestag mit die-sem Haushaltsentwurf, der noch dazu völlig unklar ist, inden kommenden Wochen umgehen wird. Ich appelliere anSie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und denGrünen: Sorgen Sie tatkräftig mit dafür, dass die Bundes-wehr tatsächlich einen Beitrag im Rahmen der internatio-nalen Bemühungen und insbesondere der Bündnis-bemühungen leisten kann, wenn gegen den Terror in derWelt vorgegangen wird.

(Johannes Kahrs [SPD]: Unterstützen Sie doch einmal die Bundeswehr und reden Sie sie nichtimmer schlecht!)

Davon sind wir leider derzeit weit entfernt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP � Verena Wohlleben [SPD]: Duwarst schon mal besser!)

Bei der Korrektur der Reform, Herr MinisterScharping, geht es nicht um eine Reform der Reform. Esgeht darum, festzustellen, dass in einigen Bereichen diezeitlichen Prioritäten verschoben werden müssen. Wirmüssen alles dafür tun, dass die Bundeswehr schnellerihre Reaktionsfähigkeit und Einsatzfähigkeit gewinnt,als dies in Ihrer Reform geplant war. Wir müssen einigesdafür tun,

(Johannes Kahrs [SPD]: Wieso �wir�?)

dass die Bundeswehr zusätzliche Fähigkeiten zum Anti-terroreinsatz bekommt. Wenn Sie, Herr Kollege Kahrs, inIhren dümmlichen Zwischenrufen

(Verena Wohlleben [SPD]: Sei doch nicht soempfindlich!)

fragen: �Wieso wir?�, dann sage ich Ihnen darauf: Ichfinde, dass die Opposition dafür genauso viel Verantwor-tung trägt wie Sie. Nehmen Sie bitte die Signale auf, dievon dieser Opposition kommen. Ich habe den Eindruck,dass die Opposition dieser Verantwortung zum Teil ingrößerer Art und Weise Rechnung trägt als Ihre Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt die Abgeordnete Angelika Beer.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ver-ehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gedacht, dasswir angesichts der dramatischen Folgen des Anschlagesam 11. September dieses Jahres vielleicht endlich einmalalte Schützengräben verlassen und versuchen würden,den vor uns liegenden Aufgaben gerecht zu werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Ich sage das, Herr Kollege Breuer, weil ich davon aus-gehe, dass sich die außen- und sicherheitspolitischen Pa-rameter mit den grausamen Terrorangriffen, mit demMassenmord an der Zivilbevölkerung in New York unddem Anschlag in Washington, grundlegend verändert ha-ben. Ich glaube, dass es Zeit ist, Politik- und Sicher-heitskriterien in allen Bereichen auf den Prüfstand zustellen. Ich bin mir in einem ganz sicher: Allein mit Ihrerjahrelang erhobenen Forderung nach mehr Geld werdenSie den aktuellen Problemen in keiner Weise gerecht.

Unsere Regierung hat gehandelt. Wir haben das Geldfür die jetzt notwendigen Maßnahmen zur Verfügung ge-stellt. Wir werden über das weiter diskutieren, was in al-len Bereichen noch notwendig ist. Der Vorschlag � das istein Griff in die Mottenkiste �, man könne jetzt einfach un-sere Verfassung infrage stellen, um den Einsatz der Bun-deswehr im Inland zu ermöglichen � das wäre eine Ver-mischung der Gewaltmonopole �, stößt bei uns auf strikteAblehnung. Das ist keine Antwort auf die Frage nach dennotwendigen Reformen im Bereich der inneren und äuße-ren Sicherheit.

Herr Kollege Breuer, ich möchte Ihnen angesichts derbeeindruckenden gestrigen Rede von Putin in diesemHause noch eines sagen: Herr Putin hat gesagt, der11. September 2001 habe dazu geführt, dass auch inRussland die Letzten verstanden hätten, dass der KalteKrieg beendet sei. Das scheint auf Sie leider nicht zuzu-treffen.

Wir müssen jetzt die Diskussion über die sicherheits-politischen, außenpolitischen, aber auch über die präven-tiven Maßnahmen führen. Ich gebe zu, dass in meinerPartei eine heftige Grundsatzdebatte �

(Jürgen Koppelin [FDP]: Seit 20 Jahren)

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sie ist notwendig und wird auch in unserer Gesellschaftgeführt � darüber entbrannt ist, welche Mittel und Instru-mente als Antwort auf die unglaublichen Terroranschlägein den USA adäquat sind. Es geht dabei nicht nur um dieForderung nach mehr Geld. Vielmehr geht es auch um dieFragen: Können wir mit begrenzten militärischen Schlä-gen gegen Terroristenzentralen weitere Anschläge verhin-dern? Können wir aus der Angst und Sprachlosigkeit he-raus � das zuzugeben ist wohl legitim � die Instrumenteder inneren und äußeren Sicherheit überprüfen undverbessern, ohne unseren Rechtsstaat und unsere Grund-werte infrage zu stellen? Dieser Aufgabe wollen und wer-den wir uns stellen.

Wir müssen aber einsehen, dass herkömmliche mi-litärische Mittel nicht reichen. Wir alle wissen doch � dasmacht uns auch sprachlos �, dass der Terrorismus nichtmit einem Militäreinsatz besiegt werden kann. Die Dis-kussion über einen erweiterten Sicherheitsbegriff werdenwir führen. Es geht mir dabei überhaupt nicht um eine Re-form der Reform. Vielmehr geht es mir bei der Debatteüber den erweiterten Sicherheitsbegriff um die Stärkungder Entwicklungspolitik, die Bekämpfung der Armut unddie Perfektionierung unserer Instrumente zur Verhinde-rung der Proliferation von biologischen und chemischenWaffen. Ich denke, dass nicht nur die Wissenschaftler,sondern auch wir gut daran tun, das Rad nicht neu zu er-finden. Wir sollten vielmehr die Sicherheitsanalyse vonRichard von Weizsäcker und anderen noch einmal zurateziehen, um Antworten für die Zukunft zu finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass wirauch an die Interessen unserer Soldatinnen und Soldatendenken müssen. Es ist für die Soldaten sicherlich schwerauszuhalten, sich in einem laufenden Reformprozess, denwir beschlossen und eingeleitet haben, immer wieder vorneue Anforderungen gestellt zu sehen, wenn das Parla-ment den entsprechenden Auftrag erteilt, und diese wie inder Vergangenheit immer wieder hervorragend zu meis-tern. Ich glaube, es ist gerechtfertigt, dass die Soldatinnenund Soldaten fragen, welchen Risiken sie und ihre Fami-lien in Zukunft ausgesetzt sein werden, wenn sie ihren Be-ruf weiter ausüben. Aufgabe des Parlaments und der Re-gierung ist es, die Risiken für die Soldaten mit allenMitteln zu reduzieren und ihnen Sicherheit zu geben, wosie erforderlich ist, egal, ob es sich um �Amber Fox�, dasFolgemandat für Mazedonien, oder um eine militärischeBeteiligung im Rahmen der Terrorismusbekämpfung han-delt.

Liebe Soldatinnen und Soldaten, liebe Kolleginnenund Kollegen, dies ist der Zeitpunkt, in dem der Bundes-tag eine verantwortliche Debatte über die zukünftigenAufträge der Bundeswehr führen und entsprechend ent-scheiden wird. Genauso verantwortlich werden wir jen-seits jeder Demagogie oder alter Schützengräben dafürSorge tragen, dass wir sagen können: Wir hoffen, dass dieSoldaten auch nach diesen Einsätzen gesund zurückkom-men. Das ist die Grundlage des gemeinsamen politischenHandelns.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.

Jürgen Koppelin (FDP): Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich möchte zwei Vorbemer-kungen machen.

Die erste Vorbemerkung geht an den Verteidigungsmi-nister, der leider nicht mehr anwesend sein kann. Ich hättevon ihm eigentlich keine Rede des Außenministers, son-dern die des Verteidigungsministers erwartet. Ich hätte er-wartet, dass er mitteilt, ob die Bundeswehr in dieser Si-tuation einsatzfähig ist oder nicht. Davon habe ichüberhaupt nichts gehört. Der Verteidigungsminister hatvielmehr eine zweite außenpolitische Rede gehalten. Dabereits der Außenminister eine solche Rede gehalten hat,brauchte ich das nicht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Die zweite Vorbemerkung richtet sich an die KolleginBeer. Mich erstaunt ein bisschen, dass Sie � das haben Sieauch in den letzten Tagen wieder getan � dem Verteidi-gungsminister Vorwürfe machen. Warum wiederholen Sienicht in diesem Parlament, was Sie in den Medien gesagthaben? Sie haben zum Beispiel gesagt, der Verteidi-gungsminister sei wieder einmal neben der Spur. FührenSie die entsprechende Diskussion doch hier! KolleginBeer, nach Ihrer Rede sage ich Ihnen Folgendes: Sie sindin den vergangenen Jahren schon oft genug umgefallen.Allerdings kann man Ihnen den Vorwurf des Umfallensnicht mehr machen; denn wenn man umfällt, dann mussman vorher einmal gestanden haben. Sie dagegen stehenfür gar nichts mehr.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU � Angelika Beer [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie ge-rade sagen!)

Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung zuIhren Ausführungen machen. Sie haben hier viele Fragengestellt, die � das bestreite ich nicht � sicherlich berech-tigt sind. Aber in der Bevölkerung erwartet man von Po-litikern, dass sie nicht nur Fragen stellen, sondern auchAntworten geben. Ihr heutiger Beitrag hat überhauptkeine Antwort auf die Situation der Bundeswehr gege-ben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Wir sind uns alle einig � wer möchte das bestreiten? �:Deutschland trägt eine große außenpolitische Verantwor-tung. Wir merken das in diesen Tagen. Hinzu kommt, dassauch wir Freien Demokraten vor allem das Gewicht derEuropäer innerhalb der NATO stärken wollen. Spiegeltder Haushalt das wider? Der Haushalt des Verteidigungs-ministers spiegelt das überhaupt nicht wider. Tatsache ist,dass sich die deutschen Aufwendungen für Sicherheitund Verteidigung im Vergleich zu denen der anderenNATO-Staaten fast auf dem letzten Platz befinden.

(Jörg van Essen [FDP]: Ein Skandal!)

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Man kann doch nicht den Anspruch erheben, außenpoli-tisch in der ersten Reihe zu sitzen, wenn man den Abge-ordneten einen Etat des Verteidigungsministeriums prä-sentiert, der im internationalen Vergleich unter �fernerliefen� rangiert.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Um es noch einmal deutlich zu sagen � wir haben es oftgenug gesagt �: Mit einer Verteidigungspolitik nach Kas-senlage muss Schluss sein. Das merken wir doch in die-sen Tagen. Die Kollegin Beer hat noch einmal gesagt, wirschrien immer nur nach mehr Geld. Entschuldigung, aufeinmal müssen Sie die Steuern erhöhen, um mehr Geld zubekommen. Irgendwie muss unsere Forderung doch be-rechtigt gewesen sein. Auch darauf sind Sie nicht einge-gangen.

(Jörg van Essen [FDP]: Genauso ist es!)

Heute erleben wir, dass in Zeiten, in denen die äußereSicherheit vielleicht doch nicht so sicher ist, wie es dieGrünen erzählt haben, im Kabinett Steuererhöhungen be-schlossen worden sind.

(Dr. Helmut Haussmann [FDP]: Am Parlamentvorbei!)

Kollegin Beer, Sie müssten uns einmal sagen, ob es rich-tig ist, die Steuern zu erhöhen, um der Bundeswehr mehrGeld zukommen zu lassen. Sie haben doch gesagt, wirschrien immer nach mehr Geld. Jetzt sind Sie es selber, diefür mehr Geld für die Bundeswehr sorgen. Herr Trittin hatin einem Zeitungsinterview, das ich heute gelesen habe,gesagt, dass sich die Anhänger von Bündnis 90/Die Grü-nen in der offiziellen Rhetorik der Bundesregierung nichtwiederfinden. Genau das ist Ihr Problem und demgemäßhaben Sie hier rumgeeiert, Frau Kollegin.

Denken Sie einmal über Folgendes nach: Sie erhöhendie Versicherungsteuer. Rot-grüne Logik besteht darin,dass man die persönliche Sicherheit der Bürger höher be-steuert, um ein Mehr an äußerer Sicherheit zu finanzieren.Wie wollen Sie das der Bevölkerung erklären?

Durch Ihre Politik lerne ich, dass Rauchen nicht nurKrebs, sondern zukünftig auch noch die äußere und die in-nere Sicherheit fördert. Die Abgeordneten der Koalitionmüssen sich einmal überlegen, was sie wirklich be-schließen. Der Finanzminister hat sich � das muss ich an-erkennend sagen; leider ist kein Vertreter des Finanzmi-nisteriums anwesend � in einem Punkt durchgesetzt, derauch unserer Linie entspricht: Sämtliche Mehreinnah-men � es werden weit mehr als 3 Milliarden DM sein; daist uns etwas vorgegaukelt worden; es werden etwa6,5 Milliarden DM sein; diese Zahl ist von der CDU ge-nannt worden � gehören in den Einzelplan 60.

Ich möchte einmal genau wissen, wofür dieses Geld ein-gesetzt wird. Wir wollen, dass dieses Geld für die Bundes-wehr, für innere und äußere Sicherheit verwandt wird. Esgeht nicht an, dass der Verteidigungsminister Rechnungen,die er bisher nicht begleichen konnte, mit diesen Einnah-men bezahlt und dass weitere Löcher im Haushalt des Ver-teidigungsministeriums gestopft werden. Insofern halte ichdie Entscheidung des Finanzministers für völlig richtig.

Diesen Verteidigungsetat zeichnet eines aus: Schieben,strecken, streichen, täuschen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP � JohannesKahrs [SPD]: 16 Jahre lang haben Sie das sel-ber gemacht!)

� Diese alte Leier kann man wirklich nicht mehr hören.Sie müssen einmal eine neue Platte auflegen.

Nun hat sich der Verteidigungsminister eine Geldma-schine angeschafft,

(Peter Zumkley [SPD]: Was?)

GEBB genannt. Da sollte das Geld förmlich gedrucktwerden. Aber Sie werden die nächste Pleite erleben. Be-reits jetzt entpuppt sich die �Geldmaschine� GEBB als ein Windei. Vor genau einem Jahr erklärte uns derVerteidigungsminister, dass er mit der Gesellschaft fürEntwicklung, Beschaffung und Betrieb � also kurz GEBBgenannt � einen wichtigen Beitrag liefern würde, um dieFinanzierung der Bundeswehr zu sichern. Er hat dannnoch darauf hingewiesen, dass wir mit dieser Gesellschaftvölliges Neuland betreten. Ich stelle fest: Das ist keinNeuland; diese GEBB ist ein einziger Sumpf. Außergroßen Gehältern für die Angehörigen der GEBB, vor al-lem für die Geschäftsführerin, hat diese Gesellschaft bis-her nichts zustande gebracht. Die GEBB sollte in diesemJahr über 1 Milliarde DM einbringen. Was hat sie bishereingebracht?

(Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nur Kosten!)

Keinen einzigen Pfennig! Ich weiß, warum der Bundes-rechnungshof die GEBB nicht überprüfen darf: Weil manunglaubliche Angst hat, dass der Rechnungshof in dieBücher schaut. Er würde nämlich feststellen: dicke Gehäl-ter, aber nichts dahinter. Nicht ein Pfennig ist eingenom-men worden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie arbeiten nur nach dem Prinzip Hoffnung.

Ich bin dem Generalinspekteur ausgesprochen dank-bar. Er hat in letzter Zeit mehrfach die Situation der Bun-deswehr dargestellt. Wie ich jetzt zur Kenntnis nehmenmuss, will er nach Brüssel gehen. Bei der NATO kann erüber den Zustand der Bundeswehr berichten. Ich be-fürchte nur, unsere Partner wissen bereits seit langem, wieihr Zustand ist.

Ich stelle fest: Der Verteidigungsminister hat nicht aufden Generalinspekteur gehört. Ich frage mich, wer Rechthat. Hat der Generalinspekteur oder hat der Verteidi-gungsminister Recht? Es gibt zwei Darstellungen. DerVerteidigungsminister hat im Sommer eine Rundreise ge-macht und gesagt, es sei bei der Bundeswehr alles bestensund die Motivation sei hoch. Ich höre etwas anderes. Ent-weder rede ich mit den falschen Soldaten oder es läuft inder Kommunikation zwischen Generalinspekteur undBundesverteidigungsminister etwas falsch.

Aufgrund meiner kurzen Redezeit möchte ich nur nocheine kurze persönliche Bemerkung in Richtung des Ver-teidigungsministers machen. Wir haben vor dem furcht-

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baren Ereignis in Amerika eine Diskussion geführt, dieich nicht aufwärmen will. Aber ich empfehle dem Bun-desverteidigungsminister dringend � auch wenn er nichtda ist �, in das Soldatengesetz zu schauen.

(Zuruf von der FDP: Wohl wahr!)

In § 17 des Soldatengesetzes � �Verhalten im und außerDienst� � heißt es:

Der Soldat hat Disziplin zu wahren und die dienstli-che Stellung des Vorgesetzten in seiner Person auchaußerhalb des Dienstes zu achten. Sein Verhaltenmuss dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Ach-tung und dem Vertrauen gerecht werden, die seinDienst als Soldat erfordert. Außer Dienst hat sich derSoldat außerhalb der dienstlichen Unterkünfte so zuverhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oderdie Achtung und das Vertrauen, die seine dienstlicheStellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt.

So weit das Soldatengesetz. Das schreiben wir demBundesverteidigungsminister ins Stammbuch. Er solltehin und wieder in das Soldatengesetz schauen, auch wenner Zivilist und kein Soldat ist. Aber er ist Vorgesetzter derSoldaten und danach hat er sich zu richten.

(Beifall bei der FDP)

Sie können davon ausgehen, dass wir Freien Demo-kraten unsere Verantwortung gegenüber der Bundeswehrkennen.

(Zurufe von der SPD: Oh! � Johannes Kahrs[SPD]: Das erleben wir ja in Hamburg, was Sieunter Verantwortung verstehen! Liberal ist dasnicht mehr!)

� Sie kommen doch aus Hamburg; Sie gehören zu denKrakeelern. Wenn Sie in Hamburg nicht so eine chaoti-sche Politik gemacht hätten, dann müssten wir uns heutenicht mit Herrn Schill herumplagen. Das ist die Situation.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU � Widerspruch bei der SPD)

Sie haben den Boden für Herrn Schill bereitet.

(Widerspruch des Abg. Johannes Kahrs [SPD])

� Außer schreien können Sie nichts.

Ich komme zum Schluss. Wir werden unserer Verant-wortung gerecht. Ich freue mich auf die Diskussion überden Einzelplan 14. Ich weiß, dass alle Kollegen, die sichmit dem Etat befassen, das Beste für die Bundeswehr wollen.

(Peter Zumkley [SPD]: Das ist ein guter Satz!)

Ich möchte an dieser Stelle für die Kolleginnen undKollegen der Freien Demokraten sagen: Wir danken unse-ren Soldaten, die im Ausland tätig sind. Wir wissen, wel-che Verantwortung sie für uns alle übernommen haben.Wir begleiten sie in ihrem Dienst. Sie sollen wissen: Wirwerden alles tun, dass ihre Sicherheit gewährleistet ist.

Vielen Dank für Ihre Geduld.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU � PeterZumkley [SPD]: Endlich etwas Vernünftiges!)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Peter Zumkley.

Peter Zumkley (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Erstens hat die terroristische Bedrohungmit den Ereignissen vom 11. September in Washingtonund New York eine neue Dimension erreicht. Zweitens istDeutschland zurzeit an internationalen Einsätzen in Bos-nien-Herzegowina, im Kosovo und in Mazedonien betei-ligt. Die aktuelle Sicherheitslage zeigt, dass die beschlos-sene Reform der Bundeswehr noch wichtiger unddringlicher geworden ist.

Der von der Bundesregierung vorgelegte Verteidi-gungsetat 2002 und die von der Bundesregierung ergrif-fenen Sofortmaßnahmen tragen diesen neuen Erfordernis-sen der Bundeswehr Rechnung. Der Etat wird für dieJahre 2002 bis 2006 auf jährlich 46,2 Milliarden DM ver-stetigt. Zusätzlich wurden im Gesetzentwurf gebilligteVerstärkungsmöglichkeiten in Höhe von 1,2 Milliar-den DM festgeschrieben. Die notwendigen Mehrausgabenfür den Mazedonieneinsatz in Höhe von 148 Millio-nen DM werden in diesem Jahr � mit Auswirkung auf dasJahr 2002 � zusätzlich bereitgestellt. Strukturelle und ma-terielle Maßnahmen zur Terrorbekämpfung, die bereits indem Entwurf eines Bundeswehrneuausrichtungsgesetzesvorgesehen sind, werden zeitlich vorgezogen. Hierfür ste-hen jährlich zusätzlich beträchtliche Mittel zur Verfügung.Damit ist es möglich, die Bundeswehr den neuen sicher-heitspolitischen Herausforderungen anzupassen und sie zureformieren.

(Beifall bei der SPD)

Die zweifellos noch vorhandenen und bekannten Fähig-keitslücken, die in der Vergangenheit entstanden sind, wer-den wir schrittweise � aber so zügig wie möglich �schließen. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen kann wei-terhin in Einklang mit der Modernisierung der Streitkräfteerfolgen. Wir lassen uns auf diesem Weg nicht beirren.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind uns bewusst, dass zur Modernisierung derBundeswehr der Plafond allein nicht ausreicht; wir wissendas. Die beschlossene Umstrukturierung kann nur gelin-gen, wenn zusätzlich Veräußerungserlöse, Effizienzge-winne und Einsparungen im zugebilligten Rahmen inHöhe von 1,2 Milliarden DM erwirtschaftet und ausge-schöpft werden.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Wo bleiben siedenn? � Günther Friedrich Nolting [FDP]:Wann denn?)

Dies ist unser fester Wille. Davon lassen wir uns nicht ab-bringen. Es ist ein schwieriger Weg; aber wir werden ihnmeistern.

(Beifall bei der SPD)

Die dafür notwendigen Maßnahmen � die erforderlichenMittel sind bereits im Haushaltsentwurf aufgeführt �müssen und werden tatkräftig umgesetzt werden.

Die Personalausgaben sind im Regierungsentwurf erst-mals auf 24,5 Milliarden DM plafondiert. Dadurch stehen

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die Haushaltsmittel zur Verfügung, die zur Umsetzung derGesetzesvorhaben, also zur Steigerung der Attraktivitätder Bundeswehr, benötigt werden. Die Ungleichgewichtein der Personal- und Besoldungsstruktur, die unter ande-rem während Ihrer Regierungszeit entstanden sind, wer-den endlich beseitigt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive wird fort-gesetzt, die Attraktivität des Dienstes gesteigert und dieGewinnung von qualifiziertem Nachwuchs verbessert.

(Beifall bei der SPD)

Hierzu soll auch das Gesetz zur Neuausrichtung der Bun-deswehr beitragen, dessen Entwurf wir heute in erster Lesung beraten und an die Fachausschüsse überweisenwerden.

(Beifall bei der SPD)

Die Änderung des Besoldungsgesetzes zum Abbau desBeförderungsstaus und zur Verbesserung der Besoldungs-struktur wird noch in diesem Jahr folgen. Ich habe heutevon Ihnen nichts über solche Vorhaben gehört.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben sich zwar in der großen Weltgeschichte bewegt,aber für die Soldaten haben Sie in Wahrheit überhauptnichts vorgesehen.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem unvermeidlichen Personalabbau bei den Zi-vilbeschäftigten kann sozialverträglich und ohne be-triebsbedingte Kündigungen auf der Basis des mit Verdiund dem Deutschen Beamtenbund vereinbarten Tarifver-trages begonnen werden.

Der investive Anteil wird mit circa 9 Milliarden DMauf dem annähernd gleichem Niveau wie 2001 gehalten.Er kann aber im Haushaltsvollzug durch zusätzliche Ein-nahmen und Effizienzgewinne verstärkt werden. DieModernisierung des Materials muss auch im kommen-den Jahr konsequent nach einer festgelegten Prioritäten-liste angegangen werden. Nur so können wir die Defiziteder Vergangenheit auf der Zeitachse systematisch besei-tigen.

An der politisch und militärfachlich richtigen Ent-scheidung zur beschlossenen Bundeswehrreform werdenwir festhalten. Die in der Umsetzung begriffene Reformwird, wie mir scheint, von der Opposition prinzipiell nichtmehr kritisiert. Wir streiten uns nur noch um die Finan-zierung; das ist übrig geblieben. Wir werden miteinanderin den Wettstreit darüber treten, wer Recht hat. Das ist einernstes Thema, das in das Parlament und in den zuständi-gen Ausschuss gehört.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind der Auffassung, dass wir trotz der Gesamtfi-nanzlage des Staates diese wichtigen Aufgaben leistenwerden. Sie glauben es nicht. Darüber werden wir uns

ernsthaft unterhalten, aber nicht mit der Haltung, wie ichsie manchmal vernehme, und mit dem, was hier auchschon zu Recht kritisiert worden ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Entlastung der Teilstreitkräfte durch die Ausglie-derung der hauptsächlichen logistischen Aufgaben unddie Zentralisierung des Sanitätsdienstes, die Straffung derFührungsorganisation, die Erhöhung der Zahl derEinsatzkräfte, die neue Weichenstellung im Hinblick aufveränderte Aufgaben der Streitkräfte und die Straffungder Wehrverwaltung � dies alles wird zu höherer Effizienzführen. Die Reform wird von unseren Partnern in der Europäischen Union und in der NATO voll anerkannt. Wirsind auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der SPD)

Über die Finanzierung streiten wir uns und das ma-chen wir gern. Sie wollen erheblich mehr Geld. Von kei-nem der Redner habe ich aber gehört, woher Sie es dennnehmen wollen. Sagen Sie doch, woher Sie es nehmenwollen! Wollen Sie umschichten oder wollen Sie mehrSchulden machen? Sagen Sie es doch, dann können wirdarüber ernsthaft reden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir glauben, dass die Bundeswehr angesichts der si-cherheitspolitischen Lage und der notwendigen Haus-haltskonsolidierung ausreichend Mittel zur Verfügunghat, um die Reform der Sicherheitslage entsprechend um-zusetzen. Wir brauchen auch in Zukunft einsatzfähige,auch auf neue Aufgaben gut vorbereitete und ausgebildeteStreitkräfte. Der Übergang von alter zu neuer Bundeswehrbringt viele Probleme und auch Unzulänglichkeiten imtäglichen Dienstbetrieb mit sich. Das wissen wir dochalle. Diese schwierige Umbruchphase wird mit dem En-gagement und hoher Dienstbelastung durch das Personalder Bundeswehr gemeistert. Zur Umsetzung der Reformbrauchen wir unsere Soldaten und Zivilbeschäftigten. DerErfolg wird wesentlich von ihrer Motivation abhängen.Für diese nicht leichte Aufgabe, meine Damen und Her-ren, danke ich den Soldaten, Beamten, Angestellten undArbeitern der Bundeswehr bereits jetzt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Christian Schmidt.

Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Frau Prä-sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wirbefinden uns in der außen- und sicherheitspolitischen De-batte zum Bundeshaushalt 2002.

(Gernot Erler [SPD]: Gut, dass Sie es nocheinmal sagen!)

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� Das muss man deswegen sagen, weil das Bundesfi-nanzministerium nicht vertreten ist. Ich würde doch emp-fehlen, dass die Bundesregierung � �

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Es ist dochnur die Haushaltsdebatte!)

� Gut, es ist nur die Haushaltsdebatte. Das wirft ein Lichtdarauf, wie ernst man den Bundestag in dieser Frage of-fensichtlich nimmt. Da stellt sich auch die Frage, wieernst sich die Koalitionsparteien nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Hin und Her bei der Frage, woher die 3 Milliar-den DM, die jetzt die Lösung bringen sollen und die ausdem Haushalt angeblich nicht mehr zu holen waren, ge-nommen werden, ob aus Einzelplan 60 oder nicht, ob da-rüber das Finanzministerium � Herr Overhaus oder werauch immer � entscheidet, deutet nicht gerade auf eineklare Orientierung hin, sondern so etwas nennt man Eierei.

(Beifall bei der CDU/CSU � Jörg Tauss[SPD]: Damit kennen Sie sich aus!)

Zum Thema Bundeswehr und deren Finanzierung� ich möchte heute vor allem zur Außenpolitik sprechen �doch noch eine Anmerkung. Ich höre immer: 16 Jahrelang war dieses und jenes.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das war auch so!)

Vergleichen Sie diesen Haushalt einmal mit Haushaltenaus unserer Zeit! Und erinnern Sie sich bitte daran, dassSie jetzt den vierten Haushalt unter Ihrer Regie machen.Sie müssen sich entscheiden, ob Sie regieren oder ob Siestänkern wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Ich muss dies so sagen, weil mich die Gesundrederei derBundeswehr schon manchmal erschüttert.

Es gibt Kollegen, die sehr genau wissen, wovon sie re-den und wie sie reden. Vorhin fiel der Halbsatz � vielleichtnicht so gemeint, aber doch so gesagt �, der General-inspekteur könne auch nicht rechnen. Wenn Sie all die,die nicht rechnen können, aus dem Verteidigungsministe-rium herausziehen, werden Sie bald auf dem politischenZahnfleisch gehen.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch eineUnverschämtheit den Soldaten gegenüber! � JörgTauss [SPD]: Entschuldigen Sie sich einmal! �Johannes Kahrs [SPD]: Sie müssen sich ge-genüber Tausenden von Soldaten entschuldigen!)

� Ich kann den Namen der Kollegin aus Ihrer Fraktionnennen, die den Zwischenruf � �

(Weitere Zurufe von der SPD)

� Frau Präsidentin, ich wollte eigentlich reden, ich habeaber ständig jemanden im Ohr, der so laut schreit, dass ichnicht mehr in der Lage bin, mich selber zu verstehen. Wirsind hier nicht im Gewerkschaftsrhetorikkurs, sondern imDeutschen Bundestag.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP �Zurufe von der SPD)

Wenn Sie mit dem Generalinspekteur so umgehen, wieSie es getan haben, dann muss Ihnen das vorgehalten wer-den.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Generalinspekteur hat sehr wohl korrekt auf die Fra-gen nach den Zahlen geantwortet. Die Antworten habenIhnen nur nicht gepasst.

(Susanne Kastner [SPD]: Herr Schmidt,schreien Sie nicht so! � Weitere Zurufe von derSPD)

� Ich muss lauter reden, damit Ihr Kollege übertönt wird,Frau Kastner.

(Peter Zumkley [SPD]: Der Generalinspekteurmuss richtig verstanden werden!)

� Jawohl, den haben wir sehr richtig verstanden. Ihre Auf-geregtheiten zeigen nur, dass Sie sehr getroffen sind.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Ich empfehle Ihnen, dass Sie die Diskussion über denWehrhaushalt � Einzelplan 14 � ernster nehmen, als dasoffensichtlich der Fall ist.

Ich komme zu einem ganz anderen Punkt: Es geht um dieAußen- und Sicherheitspolitik und die Konzeption derBundesregierung. Meine Sorge gilt der Tatsache, dass in-nerhalb der Bundesregierung eine gewisse Positions-losigkeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen besteht. Ich stelle fest, dass die Opposition in der gegen-wärtigen Situation, in der die Bundesregierung in der Per-son des Außenministers und des Bundeskanzlers eine klarePosition bezogen hat, bereit ist, zu einer gemeinsamen Ver-antwortung zu stehen. Das ist selbstverständlich. Das kannaber nicht heißen, dass wir mit der Debatte darüber auf-hören. Wir müssen die Strukturfragen der Außen- und Si-cherheitspolitik schon noch behandeln. Ich meine, dass wires mit einer Bundesregierung zu tun haben, die diesen struk-turellen Fragen einen sehr niedrigen Stellenwert beimisst.

Ich will Ihnen als ein Beispiel die Antirassismuskon-ferenz der Vereinten Nationen in Durban nennen, die inden letzten Wochen �untergegangen� ist. Alle, die dieseKonferenz verfolgt haben, wissen, was sich dort abge-spielt hat. Der Versuch von palästinensischer Seite, diesezu einer antisemitischen Konferenz umzugestalten, konn-te nur mit Mühe verhindert werden. Ein Platzen dieserKonferenz hätte dem Frieden im Nahen Osten sicherlichnicht gedient. Man muss allerdings fragen, ob es wirklichgut war, dass der Vertreter der Bundesregierung � nahezuunbeeindruckt von diesen Problemen �, der Bundes-außenminister � wenn ich mich nicht irre, war er derhöchstrangige Vertreter der EU �, eine Rede mit Blick aufdie deutsche koloniale Vergangenheit gehalten hat, in derauch auf den Herero-Aufstand vor 100 Jahren eingegan-gen wurde. Dies kam einem Schuldeingeständnis sehrnahe. Damit wurde � was ich nicht hoffe � im Prinzip eineEinladung an diejenigen ausgesprochen, die die Welt-politik mit dem Amtsgericht, dem Gerichtsvollzieher undder Vorstellung, man könne die Entwicklungen der Geschichte mit Anwaltsbriefen und Vollstreckungstitelnbewältigen, verwechseln.

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Ich unterstütze ausdrücklich die Position der Bundes-regierung bezüglich Griechenland. Diese Position istrichtig, sie muss durchgehalten werden. Wir können sol-che Missachtungen der Prinzipien internationalen Rechts� die Beschlagnahme des Goethe-Instituts � nicht akzep-tieren. Deshalb appelliere ich, sich nicht vom Gutmen-schentum hinreißen zu lassen, sondern die Ziele derAußenpolitik auch mit Blick auf die Auswirkungen aufdeutsche Interessen nüchtern zu formulieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein weiterer Punkt, der mir am Herzen liegt und denich ganz kurz ansprechen möchte, ist, dass wir Schwie-rigkeiten haben, in den deutsch-tschechischen Bezie-hungen � ich nenne den deutsch-tschechischen Koordi-nierungsrat, der nach der beiderseitigen Erklärung derRegierungen eingerichtet worden ist � weiterzukom-men. Es ist zu wenig, nur historische Stereotypen auszu-tauschen. Es gibt immer noch Fragen des gegenseitigenVerstehens, die nicht geklärt sind. Die Frage der Dekretevon Benes im Hinblick auf die Sudetendeutschen istnicht nur ein Problem der Sudetendeutschen. Ich erin-nere daran, dass beispielsweise die UN-Menschen-rechtskommission 1998 eine Erklärung zum Recht aufHeimat und zur Ächtung der Vertreibung verabschiedethat, die in der Generalversammlung leider noch nichtverabschiedet worden ist. Ich gehe davon aus, dass derBundesaußenminister in diesem Punkt bei der General-versammlung die Initiative ergreifen wird. Das sind tiefgehende Fragen, die auch das Selbstverständnis der Eu-ropäischen Union als Rechtsgemeinschaft berühren.Deswegen muss dieser Dialog auf eine intensivere und �wie ich hoffe � auch konstruktivere Basis als bisher ge-stellt werden.

Ein Wort zu der Rede, die gestern Präsident Putin ge-halten hat � Kollegin Beer hat sie auch noch einmal an-gesprochen �: Ja, es war eine sehr große Rede. Es war eineproeuropäische Rede. Wir sollten dies aufgreifen und be-reit sein, Russland so weit wie möglich in den Integra-tionsverbund aufzunehmen. Ich glaube nicht, dass derNATO-Russland-Rat in seinen Möglichkeiten schon vollausgelotet ist. Wir sollten durch Vertrauensbildung auchden Weg dafür ebnen, dass es bei der Erweiterung derNATO, die im nächsten Jahr ansteht � wenn es nach mirgeht, unter Einschluss der baltischen Staaten �, zu einerkooperativen Lösung kommt und dass daraus kein Kon-flikt entsteht. Seit gestern sehe ich die Chancen hierfürwachsen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt Frau Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch inder heutigen Debatte hat man bei jedem Redner und beijeder Rednerin gespürt, dass der Schock nach denschrecklichen terroristischen Anschlägen des 11. Sep-tember noch immer auf uns lastet.

Ich plädiere dafür, dass unser Verhalten aus zweiGrundzügen bestehen muss: entschlossenes Entgegentre-ten gegenüber den terroristischen Gewalttätern, ihre Be-strafung und Zerschlagung ihrer Strukturen einerseits undandererseits der Versuch der Prävention. Wir müssen denNährboden trockenlegen, in dem Hass und Gewalt wu-chern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte an die Adresse der Friedensgruppen, diesich jetzt landauf, landab äußern und denen ich michselbstverständlich verbunden fühle, Folgendes sagen:Auch im Inneren unserer freien Gesellschaften antwor-ten wir auf die Gewalt des Rechtsextremismus mit einerDoppelstrategie. Wir gehen mit unnachgiebiger Härtegegen rassistische Totschläger und ausländerfeindlicheBrandstifter vor und bemühen uns gleichzeitig, den ge-sellschaftlichen Ursachen entgegenzuarbeiten, alsoPrävention zu betreiben. Das heißt, beides ist notwen-dig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei allem, was die internationale Gemeinschaft undauch die deutsche Politik tut, muss darauf geachtet wer-den, dass keine neuen Konflikte und Spaltungen geschaf-fen werden. Die terroristischen Anschläge waren ein An-griff auf die Werte von Milliarden Menschen in aller Welt,seien es Moslems, Buddhisten, Hinduisten, Juden oderChristen. Das ist deutlich und das sollten wir in dieserDiskussion auch immer wieder deutlich machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeitfindet alltäglich ein Austausch mit unseren Partnern statt.Vor Ort gibt es einen Dialog der Kulturen, der uns zeigt,dass uns vieles verbindet: gemeinsame Grundwerte, ge-meinsame Träume und Visionen. Dieses Verbundenseinwollen wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeitzukünftig noch stärker verdeutlichen, übrigens auchzukünftig noch stärker finanzieren, denn sie hilft, Krisenzu überwinden und gemeinsam Wege zu finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN � Peter Weiß[Emmendingen] [CDU/CSU]: Von der stärke-ren Finanzierung sieht man nichts!)

Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern un-serer Entwicklungszusammenarbeit, den Nichtregierungs-organisationen, Stiftungen und Kirchen für ihr täglichesEngagement unter schwierigen Bedingungen danken. Esist gut, dass Thomas Künzel hat freikommen können. Indiesem Zusammenhang appelliere ich eindringlich an dieEntführer unseres GTZ-Mitarbeiters Ulrich Künzel undseines Freundes Reiner Bruchmann in Kolumbien: LassenSie diese Menschen endlich frei!

(Beifall im ganzen Hause)

Mein dringlicher Appell richtet sich auch an die Zu-ständigen der Taliban: Lassen Sie die inhaftierten deut-

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schen, amerikanischen und australischen Mitarbeiter undMitarbeiterinnen von �Shelter Now� frei!

(Beifall im ganzen Hause)

An dieser Stelle möchte ich auch sagen � Herr Irmer istnicht mehr da �: Ich kenne diejenigen, die den zivilenFriedensdienst leisten. Die 19 Millionen DM für dieFriedensfachkräfte, die Vermittlungsarbeit bei Konfliktenvor Ort leisten, sind gut investiert. Sie ersparen uns näm-lich anschließend Beträge in Milliardenhöhe.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und derPDS)

Die Leute schlecht zu machen halte ich gegenüber denbetroffenen Kolleginnen und Kollegen für unverantwort-lich.

(Günther Friedrich Nolting [FDP]: Das hat erdoch gar nicht getan! � Gegenruf von der SPD)

Humanitäre Verantwortung gilt aber auch für uns. Indiesem Zusammenhang möchte ich ankündigen, dass un-ser Ministerium für Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge ausAfghanistan 15 Millionen DM zur Verfügung stellt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Am 11. September dieses Jahres haben wir aufschrecklichste Weise erfahren, was es bedeutet, in einerWelt zu leben. Kein Teil ist ohne den anderen sicher. Wennein Gefühl von Ohnmacht und Zukunftslosigkeit gegen-über den wirtschaftlich und militärisch starken Nationenzur Mobilisierbarkeit für Terrorakte beiträgt, dann müssenwir diesem Gefühl der Unterlegenheit und Ohnmachtentgegenarbeiten.

Die realen Machtverhältnisse sind folgendermaßen:Die G-7-Staaten verfügen über 70 Prozent des Bruttoso-zialproduktes, sie machen aber nur 10 Prozent der Welt-bevölkerung aus. Wir müssen dazu beitragen � wir tun dasmit unserer Entwicklungszusammenarbeit, müssen diesaber verstärkt tun �, dass die Menschen ihre eigene Ent-wicklung selber gestalten können und dass sie vor allenDingen auch global stärker mitentscheiden und die Weltmitgestalten können.

(Beifall bei der SPD)

Bundespräsident Rau hat gesagt:

Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg isteine gerechte internationale Ordnung.

Dafür arbeiten wir alle in diesem Haus, dafür arbeitetauch die Bundesregierung.

Die Globalisierung � das wissen wir nicht erst seitGenua � darf nicht dem Laisser-faire-Prinzip überlassenwerden. Das würde die schreienden Ungerechtigkeiten,die wir alle kennen, verschärfen. Es geht um zwei Wege:Entweder überlassen wir alles der Entwicklung, dannsetzt sich Gewalt fort. Oder wir schlagen den Weg ein, fürden sich die Bundesregierung mit anderen Partnern ent-schieden hat, nämlich den Weg der sozialen und ökologi-schen Gestaltung der Globalisierung. Das tun wir bei un-

serer internationalen Zusammenarbeit mit der Weltbankund dem IWF, mit der Entschuldung und bei der Öffnungvon Märkten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen jetzt ein breites Reformbündnis der fort-schrittlichen Regierungen aus Industrie- und Entwick-lungsländern sowie der Zivilgesellschaften, auch derjeni-gen, die der Globalisierung kritisch gegenüberstehen, sichaber für die Gewaltfreiheit entsprechend engagieren.Wichtig ist, dass wir alle zusammenarbeiten, dass wir er-leben, dass es nicht nur eine Globalisierung von Märkten,sondern auch eine Globalisierung von Solidarität undWerten gibt. Diese Botschaft ist notwendig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und derPDS)

Darüber hinaus brauchen wir eine Diskussion über dieFinanzierung globaler öffentlicher Güter. Wir haben esbei der Aidsbekämpfung ja geschafft, einen entsprechen-den Fonds einzurichten, an dem wir uns mit 300 Milli-onen DM beteiligen. Wir müssen aber auch einen Beitragdazu leisten � so viel Entwicklungszusammenarbeit kön-nen wir nicht aufbringen, wie notwendig wäre, um das zukompensieren, was notwendig ist �, dass internationaleFinanzmärkte einen starken ordnungspolitischen Rah-men bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und derPDS)

Unkontrollierte Kapitalbewegungen ruinieren ganzeVolkswirtschaften von Entwicklungsländern. Dies könn-ten wir anschließend nicht mehr ausgleichen. Es hat sichauch in erschreckender Weise gezeigt, dass internationaleTerrorgruppen von den Schwächen dieses unkontrollier-ten Finanzsystems in schamloser Weise profitieren, umihre Verbrechen zu finanzieren. Denen muss das Hand-werk gelegt werden. Deshalb müssen alle Elemente zurBekämpfung der Geldwäsche und zur Stabilisierung derFinanzsektoren, einschließlich der stärkeren Regelungvon Finanzströmen, in den Entwicklungsländern voran-gebracht werden.

Ich will an dieser Stelle sagen: In diese Überlegungenist auch eine Devisentransaktionssteuer einzubeziehen,Stichwort Tobin-Tax. Unser Ministerium hat eine Mach-barkeitsstudie zur Tobin-Tax in Auftrag gegeben; denn indieser Situation dürfen wir kein Instrument ungeprüft las-sen. Wer sagt, dass wir solche Instrumente nicht brauchen,der täuscht sich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN � Jörg vanEssen [FDP]: Hessen-Süd schlägt wiederdurch!)

Die Entwicklungszusammenarbeit ist das einzige Ins-trument, mit dem wir in den Gesellschaften unserer Part-nerländer mitgestalten und den Dialog führen können. Da-bei ist �good governance�, eine gute, entwicklungsorien-tierte Regierungsführung, bereits jetzt ein Schwerpunktunserer Entwicklungszusammenarbeit. Doch angesichts

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der jetzigen Erfahrungen wollen wir eine stärkere Fokus-sierung verwirklichen. Wir wollen besonders die Länderfinanziell unterstützen, die das friedliche Zusammenlebenverschiedener Ethnien und Religionen innerhalb ihrer Ge-sellschaft und ihrer Region ausdrücklich fördern und sichbesonders in der Terrorismusbekämpfung engagieren.

Die Bundesregierung hat die Ansätze der Veränderungund Präzisierung ihrer Entwicklungszusammenarbeit alsTeil der Auseinandersetzung mit dem internationalen Ter-rorismus aufgenommen und stellt dafür mindestens200 Millionen DM zur Verfügung. Zusammen mit derVerlängerung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa überdas Jahr 2003 hinaus sind dies wichtige Perspektiven fürdie deutsche Entwicklungszusammenarbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im letzten Herbst haben die katholischen Bischöfe einFriedenswort herausgegeben, das sich �Gerechter Friede�nennt. Ich möchte zum Schluss aus diesem Friedenswortzitieren:

Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthal-ten wird, was ein menschenwürdiges Leben aus-macht, kann auf Dauer keinen Bestand haben. Siesteckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinenKrieg gibt.

Tragen wir alle mit dazu bei, der Gewalt entschlossen ent-gegenzuarbeiten!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Christian Ruck.

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! � In einem Punkt bin ich mitmeiner Vorrednerin einig � auch andere Redner, wieVolker Rühe, haben es gesagt �: Eine starke Entwick-lungspolitik ist für den langfristigen Erfolg des welt-weiten Kampfes gegen den Terror unverzichtbar. Die Entwicklungspolitik bekämpft viele Ursachen: die ökono-mische Perspektivlosigkeit, die krassen sozialen Gegen-sätze oder die oft unhaltbaren politischen Zustände in vie-len Entwicklungsländern. All das sind Nährböden fürFrustration, Hass und Gewaltbereitschaft. Bin Laden und andere Terroristen sind nicht arm, aber die sozialenSprengsätze der Welt sind der Scheiterhaufen für dieLunte, die die Terroristen anzünden wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sehen auch, dass die Probleme der Entwicklungs-länder wachsen und auf uns zuwachsen. Deshalb ist dieTerrorbekämpfung eine Aufgabe auch für eine moderneEntwicklungspolitik als Teil einer vorausschauenden Si-cherheits- und Verteidigungspolitik. Hinsichtlich dieserAufgabe steht die rot-grüne Entwicklungspolitik kurzvor der Kapitulation. Alle vollmundigen Ankündigun-gen, die vielen pressewirksamen Auftritte und Initiati-ven, wie die Armutsinitiative, die Klimainitiative, die

Kaukasusinitiative oder auch die Aidsbekämpfung, sindangesichts der Realitäten des Haushalts Schall undRauch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der PDS � Peter Weiß [Emmendingen][CDU/CSU]: Traurig, traurig, aber wahr!)

Der entwicklungspolitische Haushalt ist in der Tat einrot-grüner Steinbruch. Unverdrossen wird er weiter abge-meiert und steuert jetzt auf ein Zehnjahrestief zu. Die neu-erliche Kürzung um 5,3 Prozent lässt ihn sogar noch un-ter die Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung � diesewar ohnehin schon traurig genug � abrutschen. Wir sindjetzt bei einer ODA-Quote von 0,2 Prozent angelangt;diese betrug früher immerhin einmal 0,42 Prozent. Das istfür Sie, Frau Ministerin, die Bundesregierung undDeutschland ein Armutszeugnis.

(Beifall des Abg. Peter Weiß [Emmendingen][CDU/CSU] � Zuruf von der SPD: Ein einsa-mer Klatscher!)

Sie haben vorhin einen Betrag von 200 Millionen DMerwähnt, der jetzt angeblich noch draufgesattelt werdensoll. Ich kann mich gut daran erinnern, dass Sie uns die-sen Betrag schon einige Wochen vor dem Anschlag an-gekündigt haben. Entweder haben Sie damals leere Ver-sprechungen gemacht oder Sie haben bei der Runde zurVerteilung der zusätzlichen 3 Milliarden gestern nichts,aber auch gar nichts herausgeholt.

Ich möchte Ihnen die Folgen dieser Steinbruchpolitikam Beispiel Pakistans aufzeigen. Pakistan � das wissenwir � steht seit Jahren auf der Kippe zum Extremismus.Sie haben die Leistungen der Entwicklungspolitik vonfrüher 100 Millionen DM auf 36 Millionen DM herunter-gefahren. Das Goethe-Institut in Lahore wurde geschlos-sen und die Stiftungen in Pakistan mussten ihre Ausgabendrastisch kürzen, weil Sie die Mittelzuweisungen zurück-gefahren haben. Genauso dramatisch ist die Situation inZentralasien. Den gleichen Fehler machen Sie auch beimStabilitätspakt für den Balkan.

Ein anderer qualitativer Fehler ist Ihre verfehlteSchwerpunktsetzung � wir haben das schon öfter disku-tiert �, die zum Beispiel Länder wie Indonesien dazu ver-führt, sich das herauszupicken, was den einzelnen Regie-rungen gefällt, statt das zu nehmen, was der Bevölkerungund der Wirtschaft gut tut und für eine wirkliche Auf-wärtsentwicklung des Landes wirklich dringend notwen-dig ist. Angesichts dieser gewaltigen Aufgaben ist IhrHaushalt bereits jetzt Makulatur. Sie werden mit dieserHaushaltsvorlage in der Zukunft im Grunde genommenvollkommen handlungsunfähig sein.

Deswegen fordern wir einen grundlegenden qualitati-ven und quantitativen Wandel. Wir wollen eine stärkere,schnellere und flexiblere Unterstützung rechtschaffener,reformbereiter Staaten, Politiken und Parteien in denEntwicklungsländern. Wir wollen eine Stärkung der Kir-chen und der Stiftungen, zum einen für die Basisarbeit,zum anderen auch für eine bessere Politikberatung. Wirfordern die Rücknahme der Kürzungen im Bildungs- undAusbildungsbereich. Wir fordern eine stärkere Unterstüt-zung vieler Entwicklungsländer beim Prozess der Globa-

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lisierung. Das ist ein ganz wichtiger Punkt gerade für dieinternationale Wirtschaftspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zusammengefasst: Wir fordern nicht nur die Rück-nahme der Kürzungen des Entwicklungshaushaltes um5,3 Prozent, sondern ein Anwachsen des Haushalts analogzum Bundeshaushalt um 1,6 Prozent und die Absicherungder deutschen Entwicklungspolitik in der mittelfristigenFinanzplanung.

Gerade nach dem Terroranschlag in den USA kämpfenwir um die deutsche Entwicklungspolitik. Wir kämpfenauch um Ihren Haushalt. Wir werden uns auch mit detail-lierten Vorschlägen und Vorstellungen an der zukünftigenBeratung des Entwicklungshaushaltes beteiligen.

Ich darf aber auf eines hinweisen: Die jetzige misera-ble Finanzausstattung des Entwicklungshaushaltes istkein gottgewolltes Schicksal. Ich brauche auch keine Tobin-Steuer, um tief greifende Veränderungen zum Bes-seren vorzunehmen. Sie haben zum Beispiel die DEG fürein Linsengericht verscherbelt. Das war Ihr Fehler. Daswar ein großes Versäumnis. Allein mit einem ordentliche-ren Erlös hätten wir den Entwicklungshaushalt auf demNiveau des Vorjahres halten können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Stunde ist auch die Stunde einer durchdachterenund stärkeren Entwicklungspolitik, aber nicht mit diesemHaushalt und nicht mit diesen Strukturen. Wir sind bereit,konstruktiv an einer Wende zum Besseren mitzuarbeiten.Aber diese Wende muss von Ihnen eingeleitet werden. Siesind in der Verantwortung � zumindest bis zu den nächs-ten Wahlen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zu einer Kurz-intervention erhält jetzt die Abgeordnete Wieczorek-Zeuldas Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Frau Präsiden-tin! Ich möchte einige falsche Aussagen richtig stellen.

Erstens. Die offizielle Entwicklungszusammenarbeitder Bundesrepublik Deutschland umfasste im Jahre 1982,bei Ende der sozialliberalen Koalition und zu Beginn derRegierung Kohl, 0,48 Prozent des Bruttosozialprodukts.Als wir 1998 die Regierung übernahmen, lag der Anteilbei 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts. Er betrug � das ist die letzte offizielle Zahl � im Jahr 2000 0,27 Pro-zent des Bruttosozialprodukts. Die Steigerungen könntengrößer sein; das ist sicher richtig. Aber die Wahrheit ist,dass Sie den Entwicklungsetat abgewirtschaftet haben,was sich aus diesen Zahlen ganz eindeutig ergibt. Dassollten Sie nachträglich wirklich nicht verdrängen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Ich finde es schade, dass in einer solchenDiskussion, bei der wir doch auch mit ganz anderen Pro-

blemen zu ringen haben, falsche Behauptungen aufge-stellt werden. Die Wahrheit ist doch, dass die finanzielleZusammenarbeit in der Entwicklungspolitik mit Pakistanund Indien von meinem Vorgänger eingestellt worden ist,und zwar nachdem die Atomwaffentests durchgeführtworden waren. Nach einer Übergangsphase, in der wir indiesen Fragen Klarheit geschaffen hatten, hat unsere Re-gierung die Entwicklungszusammenarbeit wiederaufge-nommen. Das möchte ich an dieser Stelle um der histori-schen Gerechtigkeit willen deutlich machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bitte einfach darum, solche Dinge nicht in die Dis-kussion zu bringen, weil dies unserer Debatte nicht ange-messen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Aus gegebenemAnlass weise ich darauf hin, dass in diesem Saal Handysnicht erlaubt sind.

Zur Erwiderung erhält Herr Kollege Ruck das Wort.

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Frau Ministerin,dass es um ganz andere Probleme gehe, ist schlichtwegnicht meine Meinung. Die Entwicklungspolitik ist, wiegesagt, ein ganz wichtiger Eckpfeiler im Kampf gegenden Terrorismus. Daher ist es auch sehr wichtig darüberzu diskutieren, wie Ihr Haushalt in Zukunft ausgestattetsein wird. Er ist miserabel ausgestattet. Am Ende unsererRegierungszeit standen für Entwicklungshilfe immerhin1 Milliarde DM mehr zur Verfügung als heute.

(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Das ist falsch!)

� Das ist nicht falsch. Damals waren es 8 Milliarden DM,heute sind es 7 Milliarden DM. Sie haben 1 Milliarde DM�auf dem Gewissen�. Die Quote von 0,42 Prozent � hiersteht Aussage gegen Aussage � stammt von 1990, also ausunserer Regierungszeit.

(Dagmar Schmidt [Meschede] [SPD]: Von 1982!)

Jetzt sind wir � ich bleibe dabei � bei einer ODA-Quotevon 0,2 Prozent, wenn Sie Ihren rechnerischen Trick mitden Ostmitteln herausnehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt die Abgeordnete Angelika Köster-Loßack.

Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen undKollegen! Der 11. September hat auch für die Entwick-lungspolitik einen neuen Rahmen gesetzt. Es wäre aller-dings falsch, eine direkte Verbindung zwischen denschrecklichen Angriffen auf New York und Washingtonund der Ungerechtigkeit in der Welt herzustellen. Aber

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diese Terroranschläge haben uns nachdrücklich vor Au-gen geführt, dass wir uns viel intensiver als bisher mit denUrsachen, insbesondere dem fanatischen Hass auf dieModerne und die offene Gesellschaft, beschäftigen müs-sen, und zwar nicht nur in Afghanistan.

Die zivilen Mittel, mit denen gehandelt werden kann,sind bekannt. Erfolgreiche Krisenprävention muss natür-lich auf den Abbau von Armut und Ungerechtigkeit zie-len. Dies kann aber nur im Dialog mit den Menschen undden Regierungen des Südens geschehen. Sie müssen amGlobal-Governance-Prozess teilhaben können, damit Ge-fühle von Ausgeschlossenheit und struktureller Unterle-genheit, die den Nährboden für Gewalt bereiten können,erst gar nicht aufkommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Mitte letzten Jahres hat die Bundesregierung ein Ge-samtkonzept �Zivile Krisenprävention, Konfliktlösungund Friedenskonsolidierung� verabschiedet. Diesem Kon-zept liegt ein erweiterter Sicherheitsbegriff zugrunde. DieAchtung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit,Rechtsstaatlichkeit, partizipatorische Entscheidungsfin-dung und die Bewahrung der natürlichen Ressourcen neh-men in diesem Konzept einen wichtigen Platz ein. Mit ei-ner stärkeren Orientierung auf dieses Konzept können wirviel dazu beitragen, die Ursachen jenes internationalenTerrorismus auszutrocknen, der jetzt nicht nur in und umAfghanistan und nicht nur gegenüber den USA agiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Rot-grüne Entwicklungspolitik ist als globale Struktur-politik bereits auf dieses Konzept ausgerichtet. Aber wirbrauchen neue Anstrengungen vorrangig in den akutenKrisenregionen, etwa in Afghanistan und seinen Nach-barstaaten � dort sind heute bereits 7 Millionen Flücht-linge zurückzuführen �; das gilt nicht minder für Südost-europa und den Nahen Osten. Gleichzeitig aber müssenwir die Anstrengungen auch in den übrigen Entwick-lungsländern � den anderen Krisengebieten von heute undmorgen � verstärken. Das bedeutet, dass wir die Analysenderjenigen ernst nehmen müssen, die sich in diesen Län-dern besonders gut auskennen und dort vor Ort für uns inder Entwicklungszusammenarbeit, bei den Stiftungen undin den Kirchen arbeiten.

Nun zu den dafür erforderlichen Mitteln: Es gab imJahr 2001 für die Entwicklungszusammenarbeit mehrGeld. Wir werden dieses Niveau auch 2002 halten. Wirbrauchen einen Etat,

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Er stürzt ab!)

der mehr Möglichkeiten für die Armutsbekämpfung, fürden Ressourcenschutz, für erneuerbare Energien und� dies betone ich � für zivile Friedenssicherung bietet. Ichbegrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung aus denzusätzlichen Steuereinnahmen einen wesentlichen Beitragfür die Entwicklungszusammenarbeit bereitstellen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund der SPD)

Die Verhandlungen in diesem Hause werden noch Verän-derungen in diesem Bereich und auch hinsichtlich der Pri-oritäten mit sich bringen.

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das kannich nur hoffen!)

Ich bin auch froh, dass das Thema Globalisierungdurch die Intervention des Bundeskanzlers bereits vor denAttacken auf die Vereinigten Staaten ganz oben auf die po-litische Agenda gesetzt wurde. Globalisierungskritiker� das ist in Genua klar geworden � sehen natürlich die in-ternationalen Finanzmärkte und ihre Wirkung auf die Ent-wicklungsländer als ein Hauptproblem. Die Kontrolle vonOffshore-Zentren und die Verfolgung von Geldwäsche ha-ben angesichts der Terroranschläge eine Priorität gewon-nen, die wir ihnen vorher nicht einräumten. Im Hinblickauf eine Reform des Finanzsektors in den Entwicklungs-und Schwellenländern wird die Entwicklungszusammen-arbeit eine zentrale Rolle spielen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Auch sollten wir gemeinsam an eine erweiterte Entschul-dungsinitiative mit positiven Anreizen für die Länder den-ken, die sich aktiv an der Terrorismusbekämpfung betei-ligen.

Im Rahmen der Globalisierung ist auch über neue In-strumente nachgedacht worden, zum Beispiel die Tobin-Steuer. Ich unterstütze diesen Vorschlag, weil eine Devi-senumsatzsteuer zur Finanzmarktstabilisierung beitragenkann und gleichzeitig neue Finanzierungsmöglichkeitenfür internationale Aufgaben erschließt. In diesem Zusam-menhang begrüße ich es sehr, dass die Ministerin für Ent-wicklungszusammenarbeit gerade ankündigte, dass es inBezug auf dieses Instrument, über das sehr viele merk-würdige Vorurteile bestehen, eine Studie geben wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Im Rahmen der Vorbereitungen auf die Weltkonferenzfür Entwicklungsfinanzierung, die Anfang nächstenJahres stattfinden wird, wird auch über eine Kohlenstoff-steuer auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe diskutiert.Die Besteuerung von Flugbenzin wäre eine weitere Op-tion, durch die Umwelt- und Entwicklungsprobleme, aberauch Sicherheitsprobleme angegangen werden könnten.

Alle diese Optionen haben mit zentralen Herausforde-rungen der Globalisierung zu tun. Sie zeigen kreativeWege auf, wie negative Wirkungen auf Finanzsystemeund Umwelt bekämpft und gleichzeitig Mittel für die Be-wältigung internationaler Krisen aufgebracht werdenkönnen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin,denken Sie bitte an die Zeit.

Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Ich bin mir bewusst, dass diese Steuerinstru-mente nicht kurzfristig greifen werden. Deshalb möchteich noch einmal auf das in vielen Dokumenten bekräftigte0,7-Prozent-Ziel zurückkommen, das auch von HerrnKöhler vom IWF und von Herrn Wolfensohn von der

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Weltbank immer wieder ins Gespräch gebracht wird. Ins-besondere im Hinblick auf die notwendige Verstärkungder multilateralen Zusammenarbeit und für all die vor unsstehenden Aufgaben sollte das noch einmal ins Auge ge-fasst werden.

Am nötigsten brauchen wir heute � �

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nein, Frau Kol-legin, Sie können jetzt keine weiteren Ausführungen ma-chen. Sie müssen einfach einen Punkt setzen.

Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Ich setze jetzt mit dem letzten Satz einenPunkt: Die Entwicklungspolitik hat gute Möglichkeiten,dem �Kampf der Kulturen� den �Dialog der Kulturen�gegenüberzustellen. Dafür muss sie auch finanziell hand-lungsfähig sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU und der PDS)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Detlef Dzembritzki.

Detlef Dzembritzki (SPD): Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Die strikte Trennungzwischen innerer und äußerer Sicherheit gibt es nichtmehr. Der jetzt auf so erschütternde Art und Weise sicht-bar gewordene Terrorismus entzieht sich dieser eindeuti-gen Zuordnung. Wir sind entsetzt über die kriminelleEnergie eines international agierenden Terrorismus; wirschöpfen aber auch Hoffnung aus der weltweiten Reak-tion und daraus, dass sich fast alle Staaten der Welt inihrem Streben, den Terrorismus zu bekämpfen, zu einerGemeinschaft zusammengeschlossen haben. Auch dies isteine neue Qualität in der internationalen Zusammen-arbeit.

(Beifall bei der SPD)

Die neue, in Konturen sichtbar gewordene Weltgemein-schaft braucht eine Zukunft. Dafür braucht sie eine Vor-stellung von der zukünftigen Ausgestaltung ihrer Bezie-hungen. Die aktuelle Lage zwingt uns als erste Priorität einumfassendes Konzept zur Prävention und Bewältigungvon Krisen auf, das in politischen, wirtschaftlichen, kultu-rellen und in Sicherheitsfragen zusammengeführt werdenmuss. Der Grundstein dafür ist ein internationaler und vorallem langfristiger Dialog. Dieser Dialog muss so gestaltetsein, dass nicht nur der Westen auf die anderen Staaten zu-geht und versucht, seine Vorstellungen zu übertragen; hierist im Gegenteil ein Dialog gefordert, der � wie Otto Schilyes formuliert hat � von einer geistigen Offenheit geprägtsein muss, der Bereitschaft, die eigenen Maßstäbe zu for-mulieren, aber genauso die Vorstellungen anderer an-zuhören und sich mit diesen auseinander zu setzen.

(Beifall bei der SPD)

Aus diesem Dialog wird sich Zusammenarbeit ent-wickeln. Auch hier plädiere ich für eine Zusammenarbeit

auf gleicher Augenhöhe. Wenn wir unsere Maßstäbe vonDemokratie, Rechtsstaatlichkeit und Ausgestaltung derWirtschaft gern in die Empfängerländer weitergebenmöchten, müssen wir sensibel bleiben für Traditionen undIdentitäten, die in diesen Ländern existieren.

Meine Damen und Herren, die Aufgaben, die uns be-vorstehen, werden ganz wesentlich mit im Kernarbeitsbe-reich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Ent-wicklungspolitik angesiedelt sein. Mittel- und langfristigwerden wir � schon aus sicherheitspolitischen Gründen �unsere Anstrengungen, auch unsere finanziellen Anstren-gungen in der Entwicklungszusammenarbeit erheblich ver-stärken müssen. Auch dies, meine Damen und Herren undlieber Christian Ruck, ist ein Argument für die Konsolidie-rung der öffentlichen Finanzen. Ich träume davon, was wirmit den über 80 Milliarden DM machen könnten, die wirJahr für Jahr als Zinsen für über 1 500 Milliarden DMSchulden ausgeben, die ihr uns hinterlassen habt. Das istdoch mit das Kernproblem, das wir hier zu sehen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Widerspruch bei der CDU/CSU)

Armut, Umweltzerstörung, Hunger und Gewalt sind glo-bale Probleme. Zwar sind nicht alle gleichermaßen direktdavon betroffen, doch die Folgen spüren wir alle, seien esFlüchtlingsbewegung und Migration, sei es internationa-ler Terror.

Ein gutes Beispiel für erfolgreiche deutsche, europä-ische und internationale Politik in unserem Bereich ist derStabilitätspakt Südosteuropa. Er bietet einen Rahmen,um die Region politisch, wirtschaftlich und gesellschaft-lich zu stabilisieren.

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Der läuftaus!)

Ganz konkret bedeutet das für mich: Jeder Euro, der dortin ein Projekt gesteckt wird � sei es für die Instandsetzungvon Schulen, von Krankenhäusern, von Straßen, von Was-ser- und Energieversorgung �, ist ein Euro, der dem Frie-den dient.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Sondersitzung zur Entsendung deutscher Soldatennach Mazedonien haben wir auch der Verlängerung des Sta-bilitätspaktes zugestimmt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Wo ist denndas im Haushalt zu finden?)

Diese wichtige und richtige Entscheidung, Herr Kollege,muss nun natürlich Konsequenzen haben. Deswegen geheich davon aus, dass in den Haushaltsberatungen auch dienotwendigen Maßnahmen in Form von Verpflichtungser-mächtigungen und bei der mittelfristigen Finanzplanunggeschehen werden.

Aber es gibt auch andere Gründe, meine Damen undHerren, die für eine Stärkung der Entwicklungspolitiksprechen. Bislang haben viele übersehen, dass Entwick-lungspolitik mit ihrer engen Kooperation mit Nichtregie-rungsorganisationen, mit UNO, WTO und anderen

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Institutionen und mit ihrer Rolle bei den Weltkonferenzeneinen Baustein im Fundament von globaler Strukturpoli-tik und �global governance� darstellt. Hier besteht bereitsein Dialog, der in anderen Politikbereichen erst noch auf-gebaut werden muss, und hier liegen auch die Erfolge dieser Bundesregierung, die sich nämlich gerade der glo-balen Strukturpolitik mit einer Schwerpunktpolitik ge-widmet hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lieber Kollege Ruck, ich bin froh, dass es trotz massi-ver Engpässe gelungen ist, im Haushalt zum Beispiel denNichtregierungsorganisationen, den Kirchen und den Stif-tungen mehr Geld zur Verfügung zu stellen, als sie imJahre 2001 hatten. Auch dies ist eine Realität, die man se-hen muss.

(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das stimmtnicht!)

Wir werden das mit dem Stabilitätspakt diskutieren. ZurHaushaltsklarheit und -wahrheit gehört erst einmal, dassein begrenztes Programm wie der Stabilitätspakt auchauslaufen muss. Es ist jetzt unsere Aufgabe, ihn wiedereinzusetzen; dann werden wir auch diejenigen Bereiche,die Sie bei den Stiftungen und anderen Institutionen im-mer herausrechnen, wieder einzurechnen haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dankbar, dassdie Ministerin die Situation der Entwicklungshelfer inKolumbien und Afghanistan angesprochen hat. Wir habenbei der Debatte über den Militäreinsatz ausführlich und zuRecht über die Risiken für Leib und Leben unserer Sol-daten gesprochen.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege,Ihnen bleibt leider keine Zeit mehr.

Detlef Dzembritzki (SPD): Frau Präsidentin, ichkomme zum Schluss.

Ich denke, dass wir gerade bei der Diskussion, die wirheute führen, darauf einzugehen haben, dass die acht inAfghanistan, in Kolumbien und in Uganda ermordetenEntwicklungshelfer tagtäglich ein Risiko eingingen, dasim Interesse unserer Politik ist, die dem Frieden, derPrävention und der internationalen Zusammenarbeit ge-schuldet ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön.

Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nichtvor. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 14/6881 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt esanderweitige Vorschläge? � Das ist nicht der Fall. Dannist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen zu den Geschäftsbereichen des Bundes-ministeriums des Innern, Einzelpläne 06 und 33, sowiedes Bundesministeriums der Justiz, Einzelpläne 07und 19. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 4 aund 4 b auf:

4 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zurÄnderung der Pfändungsfreigrenzen� Drucksache 14/6812 �

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zurBereinigung offener Fragen des Rechts an Grund-stücken in den neuen Ländern (Grundstücks-rechtsbereinigungsgesetz � GrundRBerG)� Drucksachen 14/6204, 14/6466 �(Erste Beratung 176. Sitzung)Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses (6. Ausschuss)� Drucksache 14/6964 �Berichterstattung:Abgeordnete Hans-Joachim HackerAndrea VoßhoffHans-Christian StröbeleRainer FunkeDr. Evelyn Kenzler

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDSvor.

Ich eröffne jetzt die Debatte und erteile das Wortzunächst dem Bundesminister des Innern, Otto Schily.

Otto Schily, Bundesminister des Innern: Frau Präsi-dentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Im fahlenLicht der schrecklichen Terroranschläge in den Vereinig-ten Staaten von Amerika, die nicht so schnell aus unseremGedächtnis verschwinden werden, gewinnt die heutigeDebatte über die innere Sicherheit ein besonderes Ge-wicht. Dieser Sachverhalt mahnt uns zugleich, bei derVerteidigung von Demokratie, Freiheit und Menschen-rechten bei allem notwendigen Streit über das Detail zu-sammenzustehen. Die Bürgerinnen und Bürger erwartenvon uns, dass wir alles Menschenmögliche tun, um die Si-cherheit in unserem Lande zu gewährleisten. Sie erwartenvon uns Klarheit und Entschlossenheit; sie erwarten vonuns keinen Wettbewerb in Polemik. Deshalb hoffe ich,dass wir zu einer sachlichen Debatte kommen. Damithier � das sage ich an die Adresse der CDU/CSU � keinMissklang wegen meiner zeitweiligen Abwesenheit vonder Regierungsbank während des Vortrags IhresFraktionsvorsitzenden entsteht: Ich bitte dafür um Ent-schuldigung. Ich muss � wie Sie, Herr Marschewski, wis-sen � einige Gespräche mit den Spitzen der Infrastruktur-bereiche führen. Eines dieser Gespräche war heuteangesetzt. Ich bitte, das hier entgegenzunehmen.

Es kommt der Sicherheit in unserem Lande zugute,dass wir als Bundesregierung eine konsequente Politik

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zur Festigung und Stärkung der inneren Sicherheit betrie-ben haben.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kann man janicht behaupten!)

� Das lässt sich auch an den Haushaltszahlen, Herr Geis,nachweisen. � Wir haben ungeachtet der Tatsache, dasswir selbstverständlich solidarisch an den Konsolidie-rungsbemühungen im Gesamthaushalt teilnehmen muss-ten und wollten, weil wir den Marsch in den Schulden-staat nicht weiter gehen können � auch im Interesse derMenschen �, gleichwohl die Ansätze in den Ressortteilender inneren Sicherheit nicht gesenkt, sondern stetig er-höht. Sehen Sie sich die Ansätze an: Seit Regierungsein-tritt 1998 bis zum Jahre 2001 � das sind die Haushalts-zeiträume, die hinter uns liegen � haben wir eineSteigerung von rund 10 Prozent. Das sind immerhin376 Millionen DM mehr, als wir ursprünglich in diesemEtat hatten.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, das ist wirklich ein deutlicher Nachweis fürdas, was wir getan haben.

Wir haben beispielsweise wesentliche Beschaffungs-programme in Gang gesetzt bzw. fortgeführt. So habenwir heute hochmoderne Hubschrauber zur Verfügung;hierfür haben wir 220 Millionen DM eingesetzt. Die Be-schaffung von Seefahrzeugen für den Bundesgrenzschutzhatte ein Volumen von 90 Millionen DM. Weitere Be-schaffungsprogramme sind vorgesehen. Dabei vernach-lässigen wir übrigens auch nicht die Sicherheit unsererBGS-Piloten. Durch Einführung eines neuen Antikollisi-onssystems haben wir dafür gesorgt, dass die Sicherheitunserer BGS-Piloten und der Hubschrauberbesatzungenverbessert wurde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in den Haushaltsgesprächen mit dem Bun-desfinanzminister auch dafür gesorgt � ich verschweigeIhnen nicht, dass das nicht immer ganz einfach war �, dasssich die Besoldungsstruktur im Bundesgrenzschutzdeutlich verbessert hat. Wir haben in den letzten drei Jah-ren 3 772 Hebungen und 11 870 Beförderungen realisie-ren können. Ich werde Ihnen gleich sagen, dass wir in demHaushaltsjahr, über das wir heute sprechen, weitere Maß-nahmen dieser Art vorsehen.

Für die Luftsicherheit � aktuell ist das, wie Sie wis-sen, ein besonderes Thema � haben wir in dem Zeitraum,den ich Ihnen genannt habe, 1,2 Milliarden DM ausgege-ben. Deshalb können wir uns auch rühmen, dass Deutsch-land im internationalen Maßstab die schärfsten Sicher-heitsstandards hat; damit erhöhen wir auch die Sicherheitunserer Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben die Ansätze für das Technische Hilfswerk inden zurückliegenden drei Jahren verstärkt; wir haben dieAnsätze für die internationale polizeiliche Zusammenar-beit, beispielsweise bei Europol, verstärkt bzw. Mittel für

die Gründung einer europäischen Polizeiakademie � eineInitiative der deutschen Ratspräsidentschaft � eingesetzt.Maßnahmen in beiden Bereichen sind natürlich geradeauch in der gegenwärtigen Situation von herausragenderBedeutung, weil wir alle wissen, dass Terrorismus und all-gemeine Kriminalität nicht mehr isoliert national, sondernnur noch im internationalen Rahmen bekämpft werdenkönnen. Auch angesichts der aktuellen Debatte verweiseich darauf, dass wir für die Kontrolle der Schengen-Außengrenzen der Europäischen Union die Mittel ver-stärkt haben und auch den Kandidatenländern, die späterdie Außengrenzen zu schützen haben werden, Mittel zurVerfügung gestellt haben, damit sie sich darauf vorberei-ten können.

Ich will im Rahmen einer allgemeinen Haushaltsde-batte, die ja durch die Ereignisse eine neue Dimension ge-wonnen und sicherlich dadurch auch einen neuen Schwer-punkt erhalten hat, hier nicht alles aufführen, was wir alsBilanz in der Innenpolitik unter dem Stichwort �innere Si-cherheit� zu nennen hätten; wir dürfen aber, auch wennuns das Thema Terrorismus jetzt in besonderem Maße be-schäftigt, nicht andere Kriminalitätsbereiche vernachläs-sigen. Das wäre nicht angemessen. Wir müssen unsselbstverständlich auch mit diesen Kriminalitätsbereichenauseinander setzen. Deshalb darf ich noch einmal daranerinnern, dass wir auch politisch zur Bekämpfung derKriminalität einiges in Gang gesetzt haben, sowohl be-züglich des Einsatzes der Mittel und durch Stärkung derSicherheitsgremien als auch durch gesetzliche Neurege-lungen. Wir haben das Waffenrecht � mit dem haben Siesich ja über Jahrzehnte ohne Ergebnis geplagt � jetzt indas Gesetzgebungsverfahren eingebracht.

Wir haben eine besondere Einrichtung geschaffen, vonder ich glaube, dass sie auch für die Präventionsarbeit vonBedeutung ist: nämlich die Stiftung �Deutsches Forumfür Kriminalprävention�. Das gilt vor allen Dingen imHinblick darauf, dass wir Erkenntnisse der Wirtschaft undstaatlicher Instanzen zugunsten einer besseren Präventi-onsarbeit zusammenführen. Mit dem periodischen Si-cherheitsbericht haben wir etwas geschaffen, was uns ei-nen besseren Einblick in das Kriminalitätsgeschehenvermittelt. Dafür haben beide Häuser, nämlich das Minis-terium meiner Kollegin Däubler-Gmelin und dasBundesministerium des Innern, viel Lob erfahren. Er ver-schafft uns einen sehr viel besseren Einblick in das Kri-minalitätsgeschehen als die bloße Kriminalstatistik.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, wir können mit großem Selbstbewusstseindarauf verweisen, dass wir die Sicherheitsarchitektur im In-und Ausland ausgebaut und verstärkt haben. Es gibt inzwi-schen � abgesehen von zwei Bundesländern, mit denen ent-sprechende Vereinbarungen noch ausstehen � Sicherheits-kooperationen zwischen dem Bundesgrenzschutz und denLandespolizeien. Diese Sicherheitskooperationen habensich bewährt, besonders in Berlin. Wir haben selbst-verständlich auch auf der internationalen Ebene Sicher-heitskooperationen zustande gebracht, und zwar im europä-ischen Rahmen sowohl auf bilateraler als auch aufmultilateraler Ebene. Deutschland spielt eine besonders

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aktive Rolle in der Europäischen Union im Bereich der In-nen- und der Justizpolitik.

Diese erfolgreiche Politik werden wir mit dem jetztvorgelegten Etatentwurf fortsetzen. Er enthält � das kön-nen Sie nachlesen � Steigerungsraten. Ich möchte sie allegar nicht im Einzelnen aufführen. Ich möchte nur daraufhinweisen, dass wir ein besonderes Augenmerk auf dieSicherheitsinteressen im Informations- und Kommunika-tionsbereich richten. Wir müssen uns die Tatsache be-wusst machen, dass gerade die erheblichen technisch-zi-vilisatorischen Fortschritte, die unsere Gesellschafterzielt hat, zu sicherheitsempfindlichen Bereichen geführthaben. Wir müssen uns besonders um diese Bereichekümmern. Deshalb ist es ein Vorteil, dass Deutschlandjetzt ein Bundesamt für die Sicherheit in der Informa-tionstechnik hat, in dessen Zuständigkeitsbereich allerechtswidrigen Angriffe im Bereich der Informations-technik fallen, also nicht nur terroristische. WelchenSchaden solche Angriffe anrichten können, kann sich je-der ausmalen. Deshalb haben wir das Bundesamt für dieSicherheit in der Informationstechnik eingerichtet, dasein Sicherheitsdienstleister ganz besonderer Art ist.

Die von uns geschaffenen Einrichtungen haben ihreFeuerprobe schon hinter sich: Sie haben sich beim Jahr-tausendwechsel, als man aufgrund des dadurch verur-sachten Datumswechsels bei den Computern ein Chaoserwartete, und beim Absturz der �Mir� � einige hattenschon apokalyptische Szenarien an die Wand gemalt � be-währt. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Ein-richtungen möchte ich ein besonderes Lob und meine An-erkennung aussprechen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister,gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Uhl?

Otto Schily, Bundesminister des Innern: Bitte schön,Herr Uhl.

Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Herr Minister, Siehaben in Ihrer Rede, die Sie vergangene Woche zumThema �Terrorismusbekämpfung� gehalten haben, einenSatz gesagt, dem Sie heute keine Ergänzung haben folgenlassen. Der Satz lautet: Identitätssicherung � damit derStaat seine Kontrollpflichten und Kontrollrechte ausübenkann � ist in einem Rechtsstaat eine Selbstver-ständlichkeit. � Es stellt sich aus aktuellem Anlass dieFrage, ob die Auslandsvertretungen Fingerabdrückevon denjenigen, die ein Visum für Deutschland beantra-gen, nehmen und sie anschließend in das automatisierteInformationssystem AFIS einspeisen sollen. Das Auswär-tige Amt hat sich bisher geweigert, so etwas zu machen.

Meine Frage: Wie lange werden Sie voraussichtlichbrauchen, bis Sie bei den Kollegen im Auswärtigen Amtdurchgesetzt haben, dass in allen Auslandsvertretungendie entsprechenden der Identifizierung von Fingerab-drücken dienenden Geräte, die bereits erprobt sind, in-stalliert sind? Diese Geräte müssen schließlich noch be-

schafft werden. Nach meinen Erkenntnissen könnte dasüber ein Jahr dauern, wenn man den üblichen Weg desAusschreibungsverfahrens wählt.

Otto Schily, Bundesminister des Innern: Herr Uhl, fürIhre Zwischenfrage bin ich Ihnen sehr dankbar, weil ichjetzt bei der Beantwortung Ihrer Frage das darlegen kann,was ich aufgrund meiner knappen Redezeit nicht mehrhätte sagen können.

Selbstverständlich werden wir das auf den Weg brin-gen, Herr Uhl. Ich halte das für dringend erforderlich. Ichmöchte Sie daran erinnern, dass wir im Rahmen der deut-schen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999entsprechende Vorschläge auf europäischer Ebene einge-bracht haben. Leider sind sie auf der europäischen Ebenenoch nicht so angekommen, wie ich es mir gewünschthabe. Angesichts der jüngsten Sonderkonferenz ist dieseÜberlegung in der Kommission aber angenommen wor-den. Wir werden das auch auf der europäischen Ebene vo-rantreiben.

Ich will nicht versäumen, Sie darauf hinzuweisen � ichsage das an die Adresse der FDP; ich komme daraufzurück �, dass solche Vorschläge auch in der alten Regie-rung durchaus kontrovers debattiert worden sind, aberdann nicht verwirklicht worden sind, weil man sich zwi-schen CDU, CSU und FDP nicht einigen konnte.

(Dr. Max Stadler [FDP]: Das kam vor, ja!)

Das erinnert mich an manches, was vielleicht auch bei unsmitunter vorkommt.

Herr Uhl, wir müssen an diesem Thema weiterarbeiten.Ich bin dafür, dass wir das rasch umsetzen. Sie können si-cher sein, dass wir das unter Beachtung aller rechtsstaat-lichen Prinzipien verwirklichen werden. Ich befinde michin dieser Angelegenheit in einem sehr konstruktiven Ge-spräch mit dem Kollegen Fischer. Er hat mir zugesagt,dass wir zu guten Ergebnissen kommen werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Hans-Peter Kemper [SPD]:Herr Uhl, könnten Sie noch eine Zwischenfragestellen?)

� Das wäre nicht schlecht. Vielleicht kann sich jemand er-muntert fühlen, eine weitere Zwischenfrage zu stellen.Dann komme ich mit meiner Redezeit besser klar.

Ich möchte nun auf die aktuelle Lage eingehen.

(Abg. Erwin Marschewski [Recklinghausen][CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischen-frage)

� Wunderbar, Herr Marschewski.

(Heiterkeit)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sieeine Zwischenfrage des Abgeordneten Marschewski?

Otto Schily, Bundesminister des Innern: Bitte schön.

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Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU):Herr Minister, ich habe Ihrer Aufforderung Folge geleis-tet. Wir wollen noch ein bisschen über Innenpolitik dis-kutieren. Die Union hat vor geraumer Zeit einen Gesetz-entwurf � Stichwort �Ausländerzentralregister� bzw.�Warndatei� � eingebracht. In diesem Gesetzentwurfwurden diese Dinge, das heißt Kontrollen in Visaverfah-ren im Ausland, angesprochen. Können Sie mir sagen,warum die sozialdemokratische Mehrheit in diesemHause und natürlich auch die Grünen diesen Gesetzent-wurf abgelehnt haben?

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wegen der Grü-nen!)

Otto Schily, Bundesminister des Innern: Ich muss Ih-nen erst einmal sagen: Auch in der von Ihrer Fraktion ge-tragenen Regierung war AZR ein Thema. Es stimmt, dassSie entsprechende Vorschläge gemacht haben, die disku-tiert worden sind. Mir liegt eine Notiz vor, die sich auf sol-che Fragen bezieht:

Allerdings ist bei der Ressortabstimmung mit Wider-stand des BMJ und des Bundesbeauftragten für denDatenschutz zu rechnen. Auf die Weigerung der FDP,die unter Punkt 2.2 beschriebene Ausweitung desAZR in dieser Legislaturperiode mitzutragen, wirdhingewiesen.

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Und deswe-gen haben Sie das abgelehnt?!)

Auch Sie hatten mit einigen Problemen zu kämpfen. Nunbringen wir die Dinge voran.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber die FDP istdoch nicht in Ihrer Koalition!)

� Ja, gut. Die Koalitionsmöglichkeiten sind in manchenFragen gar nicht so groß.

Damit mich niemand missversteht, Herr Marschewski:Ich tadele die FDP dafür nicht. Genauso wenig tadele ichdie Grünen dafür, dass sie sich für rechtsstaatliche Be-lange einsetzen. Das ist zu loben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Norbert Geis [CDU/CSU]:Aber das tun wir doch auch!)

Das heißt nicht, dass wir uns immer im Detail einig sind.Die Grünen müssen damit umgehen können � das tun sieauch �, dass ich die Auffassung vertrete, dass man dierechtsstaatlichen Bedenken entkräften kann. Die Koa-litionspartner führen in dieser Sache ein sehr konstrukti-ves Gespräch. Sie werden sehen, dass wir zu guten Er-gebnissen kommen.

Herr Marschewski, denken Sie nicht, wir hätten ir-gendetwas beiseite gelegt: Leider liest keiner meinen Ent-wurf für ein Zuwanderungsgesetz.

(Zurufe von der SPD: Doch!)

� Doch, die SPD. Ich bedanke mich bei meiner eigenenFraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die CSU liest den Entwurf nicht. Sie will ihn auch garnicht lesen. Seehofer sagt, ich könne in diesen Gesetzent-wurf hineinschreiben, was ich will, er lehne ihn immer ab.Diese Haltung eines Oppositionspolitikers sollte mannicht als Opposition, sondern als Obstruktion � diese Be-zeichnung ist treffender � bezeichnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! So ist es!)

Herr Marschewski, wenn Sie meinen Entwurf für einZuwanderungsgesetz lesen würden, dann würden Sie dasalles entdecken.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Genau!)

Schauen Sie doch einmal hinein! Ich lade Sie zu einemPrivatgespräch in mein Ministerium ein. Ich werde Ihnensämtliche Fundstellen zeigen. Wir haben alle diese Dingeaufgenommen. Ich mache Sie nur auf Folgendes auf-merksam: Die Identitätssicherung bei der Visumantrag-stellung ist in § 49 Abs. 3 Nr. 5 des Entwurfes des Auf-enthaltsgesetzes enthalten. Ich schlage Ihnen vor, daseinmal nachzulesen.

Wir haben diesen Punkt jetzt ausreichend erörtert. Ichbedanke mich ausdrücklich dafür, Herr Marschewski,dass Sie mir diese Frage gestellt haben.

(Abg. Erwin [Recklinghausen] [CDU/CSU]meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

� Noch eine weitere Zwischenfrage? � Bitte schön.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Minister,ich muss im Interesse des ganzen Hauses auch an die fol-genden Redebeiträge denken.

Otto Schily, Bundesminister des Innern: Frau Präsi-dentin, ich glaube, es lag im Interesse des ganzen Hauses,einmal zu erfahren, was in dem Gesetz enthalten ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derCDU/CSU)

Ich finde, das ist Demokratie. Es ist gut, dass wir diesendemokratischen Dialog im Parlament führen. Herr Marschewski ist darin einer der Geübtesten. Deshalb: Bitteschön, Herr Marschewski.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dann einigenwir uns darauf, dass ich noch eine Zwischenfrage zulas-se. � Bitte.

Erwin Marschewski (Recklinghausen) (CDU/CSU):Herr Minister, ich habe Sie danach gefragt, warum dieSPD damals Nein gesagt hat. Sie kennen die SPD; Siekennen die Grünen. Sie kennen noch nicht die FDP undSie kennen auch noch nicht die CDU/CSU. Man weißaber nicht, was noch wird.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Ich habe Sie danach gefragt, was die Kollegen der SPDdamals gesagt haben.

Ein weiterer Punkt. Ich weiß, Herr Minister, dass das,was Sie damals abgelehnt haben, jetzt bezüglich derWarndatei Inhalt Ihres Entwurfes zum Zuwanderungs-gesetz ist. Meine Frage lautet: Wann werden Sie diesenReferentenentwurf im Kabinett mit den Grünen zusam-men verabschieden und endlich das realisieren, was Sieandauernd hier ankündigen? Wir stehen dabei an IhrerSeite das wissen Sie.

(Zurufe von der SPD: Oh! � Hans-Peter Kemper[SPD]: Wer ist denn �wir�, Herr Marschewski?)

Otto Schily, Bundesminister des Innern: Frau Präsi-dentin, ich muss erst einmal darauf hinweisen, dass meineRedezeit gerade um eine Minute gekürzt wurde. Vorhinhatte ich noch 8:42 Minuten und jetzt aber nur noch 7:42Minuten Redezeit. So geht das nicht. Ich bitte, die Regu-larien einzuhalten.

Herr Marschewski, wenn Sie Ihren Gesetzentwurf mitunserem Gesetzentwurf vergleichen, dann werden Sienatürlich bestimmte Unterschiede entdecken. Unter-schiede müssen schon sein. Wir können nicht immer100 Prozent �CDU/CSU� machen. Das geht nicht. Wirmüssen schon unsere eigenen Vorschläge machen können.

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das würdedem Land aber gut tun! � Weiterer Zuruf vonder CDU/CSU: Das erwartet auch niemand!)

� Sie erwarten das auch nicht.

Vielen Dank, Herr Marschewski, bis demnächst.

(Heiterkeit bei der SPD)

Nach diesen humorvollen Bemerkungen möchte ichauf die Bedrohungslage zu sprechen kommen, die nicht zuScherzen Anlass gibt. Ich möchte darauf hinweisen, dasswir, gerade was die terroristische Bedrohung angeht,nicht erst am 11. September angefangen haben, uns mitdiesem Problem zu befassen. Seit meiner Amtsübernahmehabe ich das als wichtiges Problem angesehen.

Ich will übrigens daran erinnern � diese Tatsache verdient der Erwähnung �, dass der frühere Präsident desBundesamtes für Verfassungsschutz in Köln, HerrDr. Frisch, dieses Thema besonders sorgfältig und mit be-sonderem Ernst angesprochen hat. Mir ist gut in Erinne-rung, dass er das auch in Gesprächen mit mir getan hat.Sie müssen nicht etwa denken, dass mir dieses Thema neuist. Das erkennt man an meinen öffentlichen Äußerungen,an den Interviews, die ich gegeben habe, und an den Ver-fassungsschutzberichten, die ich vorgelegt habe. Ich musszugeben: Die öffentlichen Äußerungen, die ich dazu ge-macht habe, haben nicht den Widerhall gefunden, denman heute vielleicht finden kann. Dafür kann ich nieman-den tadeln; denn niemand hat sich vorstellen können, dasses eine solche verbrecherische Energie geben kann, wiewir sie in New York und Washington erlebt haben.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Hinweis. Ichteile die Ansicht, die meine Kollegin Frau Wieczorek-Zeul geäußert hat, was den Nährboden, die Armut und die

Aufgaben angeht, die uns in diesem Zusammenhang erwarten. Aber wir sollten nicht den Fehler machen, die-sen Terrorkrieg mit dem sozialen Ungleichgewicht in derWelt zu erklären. Das wäre eine völlig verkürzte Sicht-weise.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage noch einmal: Es geht um den sehr entschlos-senen Einsatz repressiver Mittel. Das machen wir schonjetzt durch eine Reihe von Sofortmaßnahmen, die ich we-gen der Kürze der Zeit jetzt nicht im Einzelnen darstellenkann. Bei einigen Maßnahmen ist es vielleicht gar nichtnotwendig, das zu tun. Darüber habe ich auch im Innen-ausschuss berichtet; ich brauche das hier nicht zu wieder-holen.

Wir werden in diesem Bereich einiges neu organisierenmüssen. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Ich glaube,es ist notwendig, Luft-Marshals einzusetzen. Früher gabes ja seitens der Lufthansa bzw. vieler Piloten zahlreicheVorbehalte. Diese Vorbehalte musste man ernst nehmen.Heute sind auch sie der Meinung, dass wir Luft-Marshalsbrauchen. Aber dafür benötigt man natürlich gut ausge-bildete Personen. Man kann nicht irgendjemanden einset-zen. Deswegen bin ich dafür, eine eigene Einheit zu schaf-fen. Das werde ich in Gang bringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen all diese Maßnahmen auf internationalerEbene koordinieren. Das, so finde ich, ist notwendig.

Ich bin dem Bundesfinanzminister besonders dankbardafür, dass er für die notwendigen Erhöhungen des Perso-nal- und Sachmitteleinsatzes bei den Sicherheitsinstitu-tionen ein entsprechendes Haushaltsvolumen zur Verfü-gung stellt. Ich möchte mich bei ihm für die guteZusammenarbeit bedanken. Das sage ich, um das zu wi-derlegen, was aus einigen Zeitungsberichten, in denenstand, es sei ein Streit entstanden, gefolgert werden kann.Natürlich geht es zunächst einmal darum, einige Dinge zuklären. Leider ist es ja so, dass irgendwelche Zuträger ausFraktionssitzungen � Fraktionssitzungen sind eigentlichnicht öffentlich � berichten.

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Das gibt esbei uns nicht! � Erwin Marschewski [Reckling-hausen] [CDU/CSU]: Völlig ausgeschlossen!)

� Bei Ihnen kommt das ja nie vor, wie ich weiß. Sie habenda eine geschlossene Gesellschaft. Darum kann man Siebeneiden. Aber bei uns passiert das nun einmal. � Dadurchwird natürlich wie bei dem Spiel �Stille Post� einiges verzerrt.

Also, ich stelle fest: Ich habe das allerbeste Einverneh-men mit dem Bundesfinanzminister und bedanke michausdrücklich dafür, dass er an dieser Stelle ein entspre-chendes Finanzvolumen zur Verfügung gestellt hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden diese zusätzlichen Mittel sehr zielbewussteinsetzen. Ich habe es übrigens meinem Hause ausdrück-

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lich untersagt, zu sagen, man habe im Zuge der Haus-haltskonsolidierung den einen oder anderen Titel etwaseinschränken bzw. Umschichtungen vornehmen müssen,nun könne man das Geld gut gebrauchen. Ich habe gesagt:Wir bleiben fair, so wie wir das bisher waren. Dort, woVerstärkungen notwendig sind, werden wir diese Mitteleinsetzen. Das gilt für das Bundeskriminalamt, für denBundesgrenzschutz und für das Bundesamt für Verfas-sungsschutz.

Gerade Aufklärung ist das A und O bei der Bekämp-fung des Terrorismus. Dabei muss man wissen: Es reichtnicht aus, einfach zu sagen, man müsse 500 Personenmehr einstellen. Diese müssen wir nämlich erst einmal zurVerfügung haben und sie sollten die entsprechende Qua-lifizierung aufweisen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch auf dem Gebiet der Vorfeldarbeit ist der Verfas-sungsschutz, der bisher gute Arbeit geleistet hat, gefor-dert. Er muss sich in den interreligiösen und interkultu-rellen Dialog einarbeiten. Auch der Verfassungsschutzmuss sich ein bisschen von seinem alten Image befreien,das tut er auch zunehmend. Zudem sollten manche ihrVorurteil abbauen, dass er ein Schlapphutverein ist, der anvielen Orten mit dem Horchrohr oder Ähnlichem herum-läuft. Nach meinem Verständnis wird der Verfassungs-schutz eine moderne Aufklärungstruppe, die einem fort-schrittlichen Verfassungsverständnis entspricht. Dafürwerde ich sorgen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, selbstverständlich werdensich diese Maßnahmen auch auf den Zivilschutz er-strecken. In diesem Zusammenhang will ich darauf hin-weisen, dass wir mit der Neuorganisation des Zivil-schutzes nicht erst am 11. September 2001 begonnenhaben. Wir haben zum Beispiel die Maßnahme getroffen,an einer Zentralstelle, an einer Koordinationsstelle, allegesammelten Informationen zusammenzuführen. Aller-dings werden wir einige von uns getroffene Entscheidun-gen revidieren müssen. Wir werden also im Mitteleinsatzsehr viel weiter gehen müssen, als wir das früher konnten.Dafür haben wir jetzt die entsprechenden Voraussetzun-gen.

Das gilt auch im Hinblick auf die Länder. Wir werdendie Mittel für die Ausrüstung der Bereitschaftspolizeiender Länder erhöhen.

(Beifall bei der SPD � Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Grünen klatschen nicht!)

Es wird auch notwendig sein, zu einigen gesetzlichenVeränderungen zu kommen. Herr Marschewski, HerrBosbach, es ist nicht so, dass es bei dem ersten Kabi-nettsbeschluss � er sah die Einfügung des § 129 b in dasStrafgesetzbuch und die Streichung des Religionsprivi-legs im Vereinsrecht vor � bleiben wird. Das ist nur eineerste Stufe. Es wird eine zweite Stufe mit einem um-fangreichen Ansatz in verschiedenen Bereichen folgenmüssen.

Wir haben in diesem Zusammenhang auch in dem ge-planten Zuwanderungsgesetz einiges vorgesehen. Viel-leicht müssen wir diese Aspekte gesondert behandeln. Siewissen, wir haben vorgesehen, dass das Zuwanderungs-gesetz am 1. Januar 2003 in Kraft tritt. Die Länder müs-sen das dann im Vollzug umsetzen. Vielleicht müssen wiretwas herauslösen, weil die Sicherheitssituation dies not-wendig macht.

Ich werde mich auch beim Zuwanderungsgesetz, so-weit es wirtschaftlichen Interessen dient, von der Einhal-tung humanitärer Prinzipien nicht abbringen lassen.

Auch dieses Zuwanderungsgesetz werden wir konse-quent in das Gesetzgebungsverfahren hineinbringen. Ichmuss noch einmal fragen, Herr Bosbach und Herr Marschewski: Ich höre von Ihnen jeden Tag etwas anderes.

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Von mirnicht!)

� Von Ihnen nicht, da bilden Sie vielleicht eine rühmlicheAusnahme. � Herr Goppel sagt: Wir wollen es in dieserLegislaturperiode machen. Am nächsten Tag sagt HerrGlos etwas anderes. Herr Beckstein lobt einmal den Ent-wurf, dann wird er von Herrn Stoiber ermahnt, ihn dochnicht so gut zu finden. Dann sagt Herr MinisterpräsidentMüller wieder, es sei alles hervorragend.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben nie etwas von �hervorragend� gesagt!)

Dann kommt Ihr Fraktionsvorsitzender Merz und sagt:Wir müssen das machen.

Ich bin ja gesprächsbereit, wenn Sie meinen, es gebenoch Diskussionsbedarf. Ich muss mit vielen reden. Ichmuss mit den Grünen, mit der SPD und mit anderenOrganisationen reden. Ich rede natürlich auch gerne mitIhnen. Aber ich muss den Willen erkennen, etwas be-werkstelligen zu wollen. Das, finde ich, brauchen wir. Ge-rade als Antwort auf Terrorismus brauchen wir ein Zei-chen, dass wir ein weltoffenes Land sind, das die Zeichender Zeit erkannt hat,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Max Stadler[FDP])

nicht etwa das Zeichen, jetzt eine Abschottungspolitik zubetreiben.

Sie haben doch früher den Anspruch erhoben, eine Par-tei zu sein, die eine gewisse Wirtschaftskompetenz hat.Also rufen Sie doch einmal Herrn Hundt an oder HerrnRogowski und wie sie alle in den Verbänden heißen. Dortwerden Sie erfahren, dass Sie das machen sollen.

Ich glaube, hier sind wir auf einem guten Weg. Setzenwir uns also zusammen für ein wichtiges Vorhaben, dasfür die Zukunft unseres Landes von großer Bedeutung ist.

Herr Glos hat die Greencard getadelt. Ich muss Ihnendazu nur sagen, dass damit bereits 9 000 IT-Techniker zuuns gekommen sind. Sie haben 27 000 neue Arbeitsplätzefür die hier lebenden Arbeitsuchenden zustande gebracht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Bundesminister Otto Schily

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Von diesen IT-Technikern sind die meisten nach Bayerngegangen, an zweiter und dritter Stelle liegen Baden-Württemberg und Hessen. Wollen Sie nun diesen Ländernschaden? Im Moment werden sie ja noch von Ihnen re-giert.

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Deswegensind die ja gekommen!)

Meine Damen und Herren, wir müssen rasch, ent-schlossen, zielbewusst, aber auch überlegt handeln. Dazufordere ich Sie auf und dazu bin ich bereit.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hatjetzt der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Frau Präsidentin!Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminis-ter Schily, ich möchte gerne mit Ihrem letzten Gedankenanfangen. Das ist wohl wahr: Ein Drittel der so genanntenGreencard-Inhaber sind nach Bayern gegangen, ganzvernünftige Leute. Aber Bayern wendet nicht die Rechts-vorschriften an, die dieses Kabinett beschlossen und durchden Bundesrat hat bestätigen lassen. Bayern erlaubt denZuzug und die Arbeitsaufnahme in Bayern auf einer ganzanderen Rechtsgrundlage.

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Der zweite Punkt: Es ist richtig, dass in Ihrem Gesetz-entwurf auch einige Maßnahmen enthalten sind, die derGefahrenabwehr dienen. Wenn Sie sagen, das könneman herauslösen oder vorziehen, sollten wir darübernachdenken, ob das unter dem Gesichtspunkt der Gefah-renabwehr notwendig und vielleicht sogar dringend ist.Aber eines geht nicht an: ein Problem lösen und mit IhremGesetzentwurf fünf neue schaffen. Genau das werden wirnicht machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir alle stehen � darauf ist vorhin zu Recht hingewie-sen worden � unter dem Eindruck der fürchterlichen An-schläge.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sieeine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily? � Bitte.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Die Uhr für die Re-dezeit läuft jetzt auch bei mir weiter, aber ich beklagemich nicht darüber.

Otto Schily (SPD): Herr Bosbach, ich habe mir ein-mal erzählen lassen � aber da war Herr Stoiber noch nichtMinisterpräsident �, dass die Bayerische Staatsregierungeine Untersuchung zu der Frage in Auftrag gegeben hat,ob man aus der Bundesrepublik auch austreten könne. Ichbin jetzt aber doch etwas verwundert darüber, dass Sie dieAuffassung vertreten, dass in Bayern ein anderes Recht

gilt als im übrigen Bundesgebiet. Das müssen Sie mir ein-mal erklären.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Das kann ich Ihnengenau erklären!

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es kommt daraufan, ob etwas rechtmäßig ist!)

Otto Schily (SPD): Inwiefern wird das Bundesrechtnicht angewandt? Worin liegt der Unterschied?

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es gibt doch Lexspecialis!)

Wie Sie wissen, kenne ich Herrn Beckstein ganz gut.Er hat die Bluecard erfunden, weil ihn aufgrund der Greencard der Hafer ein wenig gestochen hat. Wenn inDeutschland die Greencard eingeführt wird, muss Bayerndie Bluecard haben. Blau-weiß ist ja auch eine schöneFarbe.

(Zuruf von der CDU/CSU: Weiß-blau!)

Worin liegt denn der entscheidende Unterschied zwischender Blue- und der Greencard? Ich glaube, dass mögli-cherweise die Familienzusammenführung etwas erleich-tert wurde. Sonst haben Sie in diesem Punkt immer einegewisse Skepsis. Vielleicht können Sie uns das einmal er-klären.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Seien Sie mir nichtböse, aber ich hatte geglaubt, Ihnen das nicht erklären zumüssen.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich tue das aber gern.

(Otto Schily [SPD]: Bitte schön!)

Die beiden verabschiedeten Rechtsverordnungen ba-sieren auf der Überlegung, dass der Betroffene entwedereinen Hochschulabschluss oder ein Jahreseinkommen inHöhe von 100 000 DM nachweisen muss.

(Otto Schily [SPD]: Ja!)

Bayern wendet § 8 der Arbeitsaufnahmeausnahmeverord-nung an, einer Verordnung also, die es bereits gab, und hatdann durch die Landesarbeitsverwaltung definieren las-sen, dass per se ein öffentliches Interesse � das war geltendes Recht, es musste nicht erst neu geschaffen wer-den � an diesem Personenkreis, über den wir gerade ge-sprochen haben, besteht. Dabei wurden zwei wesentlicheAusnahmen geregelt: Es gibt keine Befristung auf fünfJahre und kein Aufenthaltsrecht mehr, wenn der Betref-fende auf Dauer auf staatliche Leistungen angewiesen ist.Das ist der Unterschied der bayerischen Lösung zu derLösung, die das Bundeskabinett beschlossen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dass diese Lösung für die Betroffenen attraktiver ist,mögen Sie daran erkennen, dass ein Drittel � und damitüberproportional mehr als in die übrigen Bundesländer �nach Bayern gegangen ist. Offensichtlich ist der Aufent-

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halt in Bayern und sind die dortigen Beschäftigungsmög-lichkeiten für diesen Personenkreis attraktiver als im übri-gen Bundesgebiet. Das spricht für und nicht gegen Bay-ern.

(Beifall bei der CDU/CSU � Dr. Jürgen Gehb[CDU/CSU]: Wieder was dazugelernt! � ErwinMarschewski [Recklinghausen] [CDU/ CSU]:Auch ein schlauer Bundesminister muss nichtalles wissen!)

� So ist das.

( V o r s i t z : Vizepräsidentin Anke Fuchs)

Natürlich haben wir heute eine völlig andere sicher-heitspolitische Lage als noch vor dem Fall der Mauer unddes Eisernen Vorhangs. Die Bedrohungen für Friedenund Sicherheit sind andere, aber nicht minder gefährli-che als noch vor 15 oder 20 Jahren. Deswegen dürfen wirzu keinem Zeitpunkt unsere Anstrengungen vernachlässi-gen, den Frieden und die innere Sicherheit in unseremLande mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen.

CDU und CSU haben in den letzten Jahren und Jahr-zehnten bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hin-gewiesen, dass wir im Innern und nach außen wachsambleiben müssen, dass es weder die innere noch die äußereSicherheit zum Nulltarif gibt und dass Versäumnisse aufdiesen Gebieten unverantwortlich sind.

Jetzt auf einmal, erst nach den Anschlägen in den USA,entdeckt auch die Bundesregierung die Bedeutung desThemas Sicherheit.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig! �Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!Das wissen Sie doch ganz genau!)

Plötzlich werden sogar von Mitgliedern der Bundesregie-rung Reden gehalten, die zwar in vielen Punkten richtigsind, aber besser vor dem 11. September gehalten wordenwären. Noch wichtiger wäre es, wenn den starken Wortenjetzt auch starke Taten folgen würden.

(Beifall bei der CDU/CSU � Wilhelm Schmidt[Salzgitter] [SPD]: Sie entdecken doch die in-nere Sicherheit erst seit Herrn Schill!)

Kaum sind die ersten konkreten Maßnahmen für mehrSicherheit beschlossen worden, melden sich sofort dieersten Bedenkenträger, die schon wieder den Rechtsstaatin Gefahr sehen. Die gleichen Bedenkenträger haben inder Vergangenheit den Rechtsstaat schon x-mal in Gefahrgesehen, ohne dass sich ihre düsteren Prophezeiungenauch nur ein einziges Mal bewahrheitet hätten. Nicht dieDurchsetzung des Rechts bringt den Rechtsstaat in Ge-fahr, sondern Unaufmerksamkeit und mangelnde Ent-schlossenheit beim Kampf gegen Kriminalität und Terrorjeder Art.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Manche wollen es nicht begreifen: Freiheit und Si-cherheit sind keine Gegensätze, es sind zwei Seiten einund derselben Medaille.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist die wichtigste Aufgabe des Staates, die Sicherheitder Bürger zu gewährleisten. Wir wollen keinen allmäch-tigen Staat, der seine Bürger rund um die Uhr über-bewacht. Wir wollen aber einen starken Staat, einen Staat,der seine Bürger, sich selbst und seine Institutionen zuschützen weiß. Deswegen müssen wir nicht nur mehr inSicherheit investieren � Bundeswehr, Grenzschutz, Nach-richtendienste, Polizeien, Zivilschutz �, sondern wir müs-sen auch das Recht fortentwickeln, um die Bürger wirk-samer vor Verbrechen schützen zu können.

Insbesondere dürfen wir keine Erosion des Rechtsbe-wusstseins zulassen, die dazu führt, dass die Bürger denGlauben an eine wirksame Verbrechensbekämpfungdurch den Staat verlieren. Das Markenzeichen für die In-nenpolitik der letzten Jahre war die zu große Diskrepanzzwischen dem, was der Innenminister öffentlich gesagthat, und dem, was er getan bzw. nicht getan hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)Das erste Beispiel betrifft das Demonstrationsrecht:

14. September 2000, Rathaus Hamburg, 50-jähriges Ju-biläum der Gewerkschaft der Polizei. Es spricht der Bun-deskanzler. Er könne es im In- und Ausland niemandemmehr vermitteln, dass wir es zulassen, dass Neonazis zurErinnerung an Hitlers Machtergreifung mit schwarz-weiß-roten Fahnen durch das Brandenburger Tor marschieren.Diese Bilder gingen um die Welt, sie würden das AnsehenDeutschlands beschädigen. So ginge es nicht weiter, hiermüsse dringend etwas geschehen. � Donnernder Applaus.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen][CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Das sind starke Worte. Was hat aber die Bundesregie-rung in den letzten 12 Monaten getan,

(Erwin Marschewski [Recklinghausen][CDU/CSU]: Nichts!)

um das geltende Demonstrationsrecht so zu ändern, dassderartige Aufmärsche zukünftig unter erleichterten Be-dingungen verboten werden können? Erkennbar nichts.Wir haben vor geraumer Zeit hierzu einen Gesetzentwurfeingebracht. Rot-Grün lehnt ihn ab. Sie müssen dann aberauch die Verantwortung für die Folgen tragen, und zwarganz alleine. Wenn diese widerlichen Demonstrationenweiterhin geduldet werden, sollten Sie wenigstens auf öf-fentliche Empörung verzichten, wenn sie stattfinden.

(Beifall bei der CDU/CSU � Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]:Sehr richtig!)

Das nächste Beispiel ist die Kronzeugenregelung.Rot-Grün hat die alte Regelung auslaufen lassen, ohneeine neue zu beschließen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: War ein großerFehler!)

Das war ein schwerer Fehler. Nach einer seriösen Um-frage haben sich 90 Prozent aller Praktiker für die Wie-dereinführung einer Kronzeugenregelung ausgesprochenund gesagt, sie sei beim Kampf gegen die organisierteKriminalität ein unverzichtbares Mittel, nicht nur, umschon begangene Straftaten aufzuklären und Straftäter zuüberführen, sondern auch und vor allen Dingen, um neueTaten zu verhindern.

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Vor wenigen Tagen hat auch der Bund Deutscher Kri-minalbeamter die Wiedereinführung der Kronzeugenre-gelung und ein Aussteigerprogramm für islamistische Ex-tremisten vorgeschlagen. Aber was macht die Regierung?Nichts. Zwar verkündete sie Anfang des Jahres, dass aneiner neuen Regelung gearbeitet werde � immerhin �,dann aber lässt der Kronjurist der Koalition, der KollegeBeck, verlauten, dass die Kronzeugenregelung �einschmutziger Deal mit Mördern und anderen Schwerver-brechern und daher eines Rechtsstaates unwürdig� sei.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Diese Meinungvertritt der Innenminister nicht!)

Das war es dann, jedenfalls bis heute, obwohl Sie eigent-lich wissen müssten, dass es im Betäubungsmittelgesetzimmer noch eine Kronzeugenregelung gibt, die Sie ausgutem Grund auch nicht abschaffen wollen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Nirgendwo wird so viel gelogen wie aufder Grundlage dieser Regelung!)

Es mag vernünftig sein, Herr Minister, ein �Lagebildorganisierte Kriminalität� erstellen zu lassen, um aus-führlich über die organisierte Kriminalität in unseremLande zu informieren. Viel wichtiger wären jedoch kon-krete Maßnahmen für einen entschlossenen Kampf gegendie organisierte Kriminalität. Sie lässt sich nicht mit Sta-tistiken bekämpfen, sondern nur durch hoch motivierteErmittler, die sowohl das technische als auch das rechtli-che Instrumentarium besitzen, um handeln zu können.Wir haben schon vor dem 11. September einen entspre-chenden Gesetzentwurf vorgelegt und werden bald wis-sen, ob die Regierung die organisierte Kriminalität nurmit Worten oder auch mit Taten bekämpfen will.

Beim Kampf gegen den Rechtsextremismus habenwir auch von dieser Stelle aus die Kultur des Wegsehensbeklagt und Hinsehen, Zivilcourage gefordert. Dann mussaber erst recht der Staat hinsehen und eingreifen, wennGefahr im Verzug ist. Wenn der Staat von seinen BürgernZivilcourage verlangt, dann muss er selber erst einmalStaatscourage zeigen.

(Beifall bei der CDU/CSU � Zuruf von derSPD: Tun wir auch!)

Niemand von uns will einen Schnüffelstaat, niemandwill Unbescholtene verfolgen. Aber der Staat darf sichauch nicht künstlich dumm stellen. Er muss zur Verhin-derung und Aufklärung von Straftaten alle Erkenntnis-quellen nutzen und die zuständigen Stellen informieren,damit sie Gefahren erkennen und abwehren können.

Was spricht eigentlich dagegen, vor der Entscheidungüber einen Einbürgerungsantrag eines Ausländers beimVerfassungsschutz anzufragen, ob Erkenntnisse vorlie-gen, dass sich der Bewerber extremistisch oder gewaltbe-reit verhalten hat?

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das können Sie doch machen! SchauenSie doch einmal ins Gesetz! � Cem Özdemir[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: GeltendeRechtslage!)

Das hat nichts mit einem Generalverdacht zu tun, sondernes hat etwas damit zu tun, dass wir unserem Land, denBürgern, die hier leben, schaden, wenn wir Ausländer ein-bürgern, von denen wir wissen oder wissen könnten, dasssie sich extremistisch verhalten und gewalttätig zu Werkegehen. Das ist der Grund. Das hat nichts mit einem Gene-ralverdacht zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU � Volker Beck[Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ken-nen Sie das Gesetz?)

Die unbescholtenen Bürger haben von einer solchen An-frage nichts zu befürchten. Wieso sollten wir einem Aus-länder die deutsche Staatsbürgerschaft verleihen, wennwir wissen, dass er für unser Land ein Sicherheitsrisikodarstellt?

(Otto Schily [SPD]: Das tun wir doch garnicht!)

Ich zitiere aus der Urteilsbegründung des zuständigenSenats des OLG Düsseldorf zu dem Urteil gegen den is-lamistischen Extremisten Kaplan:

(Zuruf von der SPD: Genau, das ist geltendesRecht!)

Nahezu mit Verblüffung musste der Senat zur Kennt-nis nehmen, dass eine Vielzahl von Zeugen aus denReihen des Kaplan-Verbandes, und davon nicht we-nige mit inzwischen deutscher Staatsangehörigkeit,mit einer kaum zu glaubenden Unverblümtheit oderbesser Unverfrorenheit erklärten, dass für sie auchhier in Deutschland nicht die deutschen Gesetze, janicht einmal die deutsche Verfassung, sondern das is-lamische Recht, die Scharia, maßgeblich sei. DieMitglieder und Anhänger des Kaplan-Verbandesließen erst gar keinen Zweifel daran, dass ihnen un-sere demokratische Gesellschaftsordnung, ja dieWerteordnung des Grundgesetzes insgesamt völliggleichgültig ist, ja, dass sie diese sogar ablehnen.Umso mehr muss diese Haltung verwundern oder garBefremden hervorrufen, wenn viele der Zeugen aufBefragung ausdrücklich einräumten, dass sie geradewegen der Möglichkeit, ihre Religion frei und ohneBehinderung ausüben zu können, also wegen der ih-nen aufgrund unserer Verfassung gewährten Rechteund Freiheiten, nach Deutschland gekommen sind.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, gestat-ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Ja.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr.

Otto Schily (SPD): Herr Kollege Bosbach, ist Ihnenbekannt, dass wir in das neue Staatsangehörigkeitsrechteine Bestimmung aufgenommen haben, die den Zugangzur deutschen Staatsbürgerschaft dann ausschließt, wennsolche Sachverhalte vorliegen, wie Sie sie gerade aus derUrteilsbegründung zitiert haben? Sie können dies selbst-

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verständlich auch mit einer Regelanfrage klären. DieLänder können das tun, praktizieren es aber unterschied-lich.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: NRW macht esnicht!)

� Doch.

(Zurufe von der CDU/CSU: Sie tun es nicht! �Bayern vielleicht!)

Herr Kollege Bosbach, ich darf eine zweite Fragegleich anfügen: Wissen Sie, dass die Sachverhalte, diehier zur Debatte stehen, unter der Geltung des altenRechts zustande gekommen sind, das Sie zu verantwortenhaben?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Norbert Geis [CDU/CSU]: Esgeht doch um die Verwaltungsbehörden, die dieLeute aufnehmen, nicht um die gesetzlichenGrundlagen!)

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Herr KollegeSchily, Sie haben sich richtig ausgedrückt: Die Länderkönnen es tun, aber viele Länder tun es aus ideologischenGründen nicht. Warum tun sie es nicht? Weil sie keineAusländer unter �Generalverdacht� stellen wollen. DieseArgumentation ist deswegen albern, weil nur über dieje-nigen Erkenntnisse vorliegen können, die sich extre-mistisch oder gewaltbereit gezeigt haben. Diese solltenwir nicht einbürgern. Das ist der ganze Vorgang.

(Beifall bei der CDU/CSU � Wiederspruch beider SPD � Abg. Otto Schily [SPD] meldet sichzu einer weiteren Zwischenfrage)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Wir sollten jetzt in derDebatte fortfahren, Herr Schily. Es tut mir Leid, aber jetzthat Herr Bosbach das Wort und soll seine Rede zu Endebringen.

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Es hat keinenZweck, wenn allein Bayern nicht nur nach einer Länder-liste verfährt, sondern Regelanfragen macht. Wenn dieBetroffenen einen verfestigten Aufenthaltsstatus habenund ihren Wohnsitz frei wählen können, dann gehen sieeinfach in ein anderes Bundesland, in dem keine Regel-anfragen gemacht werden, und lassen sich dort einbür-gern. Das ist der Punkt, um den es geht.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das ist doch Praxis! � Weitere Zurufevon der CDU/CSU: Völlig richtig! � Leiderwahr!)

Wir können es nicht länger dulden, dass unter demDeckmantel der Humanität und der Religionsfreiheit Ex-tremisten ihr Unwesen treiben. Ich bin sehr dafür, dass wirdifferenziert argumentieren. Der allergrößte Teil der Aus-länder lebt rechtstreu und friedlich in unserem Land. Aberes darf nicht so sein, dass jede kritische Auseinanderset-zung mit kriminellen und extremistischen Ausländern,ganz gleich, ob sie aus religiösen oder aus politischen Mo-

tiven handeln, sofort als ausländerfeindlich gegeißeltwird. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen. Tun wirdas nicht, dann wird sich die Bevölkerung jenen zuwen-den, die mit scheinbar einfachen Rezepten rasche Lösun-gen versprechen.

(Sebastian Edathy [SPD]: Das machen Sie jaauch in Hamburg!)

Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Der Landtag von Nord-rhein-Westfalen wollte auf Initiative der CDU einen frak-tionsübergreifenden Antrag mit dem Titel Integrationsof-fensive Nordrhein-Westfalen verabschieden.

(Otto Schily [SPD]: Das haben sie doch ge-tan!)

Dabei waren die Grünen nicht einmal bereit, folgendePassage zu akzeptieren:

In dem Bewusstsein, dass Kriminalität keine Frageder Staatsangehörigkeit ist, betrachten wir mit großerSorge die vergleichsweise hohe Straffälligkeit jungerZuwanderer.

Sie wollen noch nicht einmal die Lebenswirklichkeit zurKenntnis nehmen, weil nicht sein kann, was nicht seindarf.

(Beifall bei der CDU/CSU � Volker Beck[Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So einUnsinn!)

Diese Wirklichkeitsverweigerung ist auch eine Belastungfür die notwendige Debatte über eine Neuregelung desZuwanderungs- und Integrationsrechtes.

Herr Minister, Sie haben gesagt, die Grenze der Be-lastbarkeit der Bundesrepublik Deutschland durch Zu-wanderung ist überschritten, also: Deutschland trägt eineBelastung durch Zuwanderung, die es nicht tragen kann.In diesem Punkt haben Sie Recht. Wir haben keinen Man-gel an Zuwanderung, sondern einen erkennbaren Mangelan Integration und ein nicht ausgewogenes Verhältnis vonZuwanderung aus humanitären Gründen einerseits undaus eigenem, wohlverstandenem nationalen Interesse an-dererseits. Ihr Gesetzentwurf löst keine Probleme, son-dern schafft neue. Das ist der Grund, warum wir ihm un-ter keinem Gesichtspunkt zustimmen können.

(Beifall bei der CDU/CSU � Zuruf von derSPD: Ist doch schizophren, was die Union beidiesem Thema veranstaltet!)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile dem Kolle-gen Volker Beck für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde,man hat dem Debattenbeitrag von Herrn Bosbach ange-merkt, dass ihm die entschlossene und besonnene Vor-gehensweise der Bundesregierung in der gegenwärtigen Si-cherheitslage wenig Platz für Alternativen und Kritik lässt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kommt auf dieSichtweise an! Sie haben das vorher aufge-schrieben!)

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Es ist bedauerlich, dass die gegenwärtige Diskussiondie umfangreiche Leistungsbilanz der Bundesregierungund dieser Koalition in der Innen- und Rechtspolitik inden Hintergrund treten läßt. Ich will einige wichtigePunkte nennen: Schadenersatzreform, Modernisierungdes Schuldrechts, Mietrechtsreform, Justizreform, Insol-venzordnung und eingetragene Partnerschaft.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Justizpolitikkommt erst nachher!)

Wir haben eine Menge auf den Weg gebracht, eine Mengeerreicht und werden als Koalition auch die vor uns lie-genden Aufgaben � die Bewahrung der inneren Sicher-heit unter Wahrung von Freiheit und Rechtsstaat-lichkeit � meistern.

Seit dem 11. September haben wir eine neue Lage. Wirmüssen alle Instrumente prüfen, auf Schwachstellen ab-klopfen und gegebenenfalls der Sicherheitslage anpassen.Wir vom Bündnis 90/Die Grünen machen als Rechts-staatspartei die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mit-tel zum Zentrum unserer Entscheidungen. Maßnahmen,die jetzt geprüft und ergriffen werden sollen, müssen ge-eignet, erforderlich und praktikabel sein.

Wir müssen auch bei jeder einzelnen Maßnahme da-nach fragen, welchen Preis an Rechtsstaatlichkeit undFreiheit sie fordert und welchen Gewinn an Sicherheit siebringt. Danach müssen wir nach einer politischen Abwä-gung der genannten Kriterien eine Entscheidung fällen.Wir werden hierbei weiterhin Entschlossenheit und Be-sonnenheit an den Tag legen. Herr Bosbach, ich finde esrichtig, dass Sie gesagt haben, Rechtsstaatlichkeit, Bür-gerrechte und Freiheit sind kein Gegensatz zur Sicherheit.Sie sollten dann aber auch nicht den Eindruck erwecken,nur der mache eine vernünftige Sicherheitspolitik, derRechtsstaatlichkeit und Freiheit infrage stellt.

Hamburg hat gezeigt, dass es keinen Sinn hat, vor offensichtlichen Problemen im Bereich der inneren Sicher-heit die Augen zu verschließen. Ich glaube, alle demo-kratischen Parteien müssen sich da ein bisschen selbstkri-tisch an die Nase fassen. Wir dürfen aber nicht den Fehlermachen � ich spreche besonders die Partei an, die einmal, sowie wir, für den Rechtsstaatsliberalismus gekämpft hat �,uns zum Steigbügelhalter für diejenigen zu machen, die be-stehende Defizite populistisch ausnutzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte Sie ausdrücklich warnen � Herr KollegeStadler, sagen Sie es Ihrem Parteivorsitzenden �: HerrWesterwelle sollte nicht der von Papen des 21. Jahrhun-derts werden.

(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! � Was solldenn der Unsinn?)

Hüten Sie sich davor, Rechtspopulisten, die gegenRechtsstaatlichkeit, gegen Ausländer und gegen Flücht-linge hetzen und damit Stimmung in der Bevölkerung ma-chen, zur Macht zu verhelfen. Ich meine, alle demokra-tischen Parteien haben die Aufgabe, in Hamburg eineOhne-Schill-Koalition zu schmieden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Zum Thema innere Sicherheit zurück: Wer meint, Ter-roristen aus der Gruppe Bin Laden könnte man mit sozia-len Integrationsprogrammen oder mit Armutsbekämp-fung aus der Welt schaffen, der irrt, er ist naiv. Wirbrauchen innen- und außenpolitisch gezielte Aufklärungund geeignete Maßnahmen der Repression.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer aber meint, den Zulauf zu solchen Organisationenallein mit repressiven Mitteln bekämpfen zu können, istgenauso naiv. Deshalb finde ich es sehr gut, dass die Bun-desregierung im Rahmen ihres Sicherheitspaketes � indiesen Bereich gehört es auch � die Erhöhung des Etatsder Entwicklungshilfe und der zivilen Konfliktlösung mitvorgesehen hat.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN)

Auch innenpolitisch müssen wir entsprechend vorge-hen. Wir müssen den interreligiösen und den interkultu-rellen Dialog pflegen. Auch müssen wir darüber nach-denken, wie wir � und zwar nicht nur repressiv � damitumgehen, dass wir eine große Zahl von radikalen Islamis-ten in unserem Land haben. Hier ist keine Hau-drauf-Stra-tegie gefragt. Vielmehr sollten wir uns die Doppelstrate-gie der Niederländer genauer anschauen, die versuchen,diesem Problem mit Repression gegen die Scharfmacherund Hardliner sowie mit Integration und Dialogange-boten an ihre Anhänger näher zu treten. Hier sind großeBesonnenheit und Differenzierung gefragt.

Wer jetzt in der Debatte um die innere Sicherheit nurseine Schubladen leert und schaut, welche alten Vor-schläge es gibt, die noch nicht realisiert wurden, der hatden Ernst der Lage nicht begriffen. Vorschläge wie dieGründung einer Nationalgarde, der Einsatz der Bundes-wehr im Inneren oder andere Maßnahmen, die der Bevöl-kerung einen nationalen Notstand suggerieren, sollten wirin den Schubladen lassen und uns auf die neue Situationund die neue Debattenlage einstellen.

Auch dürfen wir nicht unbesehen einfach die Etats er-höhen. Deshalb finde ich den Ansatz der Bundesregie-rung, die entsprechenden Mittel im Einzelplan 60 zu be-lassen und einzeln zu prüfen, welche Maßnahmenerforderlich und effizient sind, sehr richtig. Das zeigt,dass wir an dieses Thema sehr seriös herangehen. Ich be-grüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung die not-wendigen Maßnahmen im Bereich der Schaffung derFlugsicherheit � beim Personal und bei der Überprü-fung der Gepäckstücke � ergriffen hat. Auch hinsichtlichder Frage der Sky-Marshals müssen wir eine intensiveFachdebatte darüber führen, wer einen solchen Vor-schlag umsetzen könnte. Ich meine, hier ist eine hoheAnforderung an das Personal zu stellen, weil mit einerbewaffneten Person immer auch eine Waffe an Bord desFlugzeugs geht. Deshalb wäre die Umsetzung diesesVorhabens wahrscheinlich am besten beim Bundes-grenzschutz und nicht bei privaten Sicherheitsfirmenaufgehoben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Meine Damen und Herren, die Maßnahmen beim Ver-einsrecht, das Religionsprivileg zu streichen und zu ver-hindern, dass Geld aus Deutschland heraus an terroristi-sche Vereinigungen fließt, sind richtig und notwendig.Hier müssen wir auch das Thema Geldwäsche anspre-chen. Ich glaube, dass wir es hierzulande beim Bankge-heimnis mit dem Datenschutz zuweilen tatsächlich über-treiben. Wir müssen dafür sorgen, dass problematischeGeldbewegungen transparent werden. Von Bankange-stellten höre ich zum Beispiel, dass auf so manche merk-würdigen Konten in Köln regelmäßig viel Geld überwie-sen wird. Diese Vorgänge müssen transparent sein. Damüssen wir entsprechend eingreifen.

Die Bundesregierung hat auch eine Maßnahme ergrif-fen, um terroristische Vereinigungen im Ausland zukünf-tig strafrechtlich verfolgen zu können. Ich sage ausdrück-lich: Wenn wir der Strukturen von Bin Laden habhaftwerden können, dann wäre es auch richtig, sie strafrecht-lich zu verfolgen. Aber auch hier müssen wir besonnensein und genau abwägen, welche Formulierung tatsäch-lich zum Ziel führt. Ich finde es sehr gut, dass der Innen-minister diese Woche im �Spiegel� gesagt hat, es dürfenicht sein, dass sich ein Graf Schenk von Stauffenbergwegen des versuchten Tyrannenmordes an Hitler auch un-ter die Strafbarkeit einer solchen Bestimmung begebenhätte. Darüber werden wir in den Fachausschüssen im De-tail diskutieren müssen.

Herr Kollege Bosbach, Sie haben die Kronzeugen-regelung angesprochen. Man muss der Bevölkerung ein-mal erklären, was die alte Kronzeugenregelung eigentlichbeinhaltete. In der Tat handelte es sich um einen schmut-zigen Deal des Rechtsstaates mit Schwerverbrechern.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben dochkeine Ahnung!)

Wenn jemand ausgesagt hat und ihm geglaubt wurde,konnte zum Beispiel ein Mörder � unabhängig davon, obseine Aussage richtig oder falsch war � nach einer Ge-fängnisstrafe von drei Jahren wieder in die Freiheit ent-lassen werden.

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Unter wel-cher Voraussetzung?)

Ich muss sagen: Da regt sich mein rechtsstaatliches Ge-wissen. Dies kann man den Opfern meines Erachtensnicht zumuten.

(Beifall des Abg. Cem Özdemir [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Hier brauchen wir eine seriöse Regelung für das Nachtat-verhalten, und zwar ohne die rechtsstaatlichen Mängel deralten Regelung. Auch dürfen wir im RechtsstaatFalschaussagen nicht belohnen.

Wir als Bündnis 90/Die Grünen werden die Bundesre-gierung bei der Schaffung von Sicherheit immer unter-stützen. Wir werden uns aber auch herausnehmen � das istmanchmal anstrengend, macht das Geschäft aber auch le-bendig �, immer nachzufragen, was die jeweils zu tref-fenden Entscheidungen für Rechtsstaatlichkeit, Freiheitund Bürgerrechte bedeuten. Das, was erforderlich ist,werden wir mittragen, und, meine Damen und Herren von

der Union, Ihre Maßnahmen, die regelmäßig über das Zielhinausschießen, werden wir ablehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat der Kol-lege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (FDP): Frau Präsidentin! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Dieser Tage ist viel von ei-ner Neuorientierung der deutschen Innenpolitik nach derMaxime �Sicherheit vor Freiheit� die Rede. Aber HerrMinister Schily hat � wie ich finde: zu Recht � gesagt, dieTerrorismusbekämpfung � ich könnte ergänzen: die Kri-minalitätsbekämpfung � habe nicht erst nach dem11. September dieses Jahres begonnen. Tatsächlich ist dieinnere Sicherheit schon immer eine elementare Staatsauf-gabe, eine zentrale Aufgabe des freiheitlichen Rechtsstaa-tes gewesen.

(Beifall bei der FDP)

Als Liberaler sage ich sehr bewusst: Während es in ande-ren Bereichen, zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik,richtig ist, den staatlichen Einfluss zurückzudrängen,bleibt die innere Sicherheit eine nicht privatisierbareKernaufgabe des Staates.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSUund dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowiedes Abg. Dr. Ilja Seifert [PDS])

Meine Damen und Herren, der Staat muss daher denSicherheitsbehörden das notwendige gesetzliche Instru-mentarium an die Hand geben. Aber dies allein nütztnichts, wenn die Personal- und Sachausstattung für dieUmsetzung der gesetzlichen Vorschriften fehlt. In diesemPunkt sowie bei den Problemen der internationalen Zu-sammenarbeit müssen wir ansetzen; auf diese Punktemüsste sich die Debatte nach Ansicht der FDP konzen-trieren. Die FDP sagt zu denjenigen Maßnahmen im Be-reich der Gesetzgebung und des Gesetzesvollzugs Ja, dienotwendig und geeignet sind, die innere Sicherheit zu ver-bessern. Das ist der Maßstab.

Eine nüchterne Analyse ergibt freilich, dass die Haupt-defizite im Gesetzesvollzug liegen. Wenn Tausende vonDNA-Analysen nicht bearbeitet werden können, wennrichterliche Beschlüsse über Telefonüberwachungennicht ausgeführt werden können, wenn Polizeipersonal zusachfremden Aufgaben anstelle der eigentlichen polizei-lichen Tätigkeit herangezogen wird, ist dies nicht zu ak-zeptieren.

(Beifall bei der FDP)

In den öffentlichen Haushalten müssen Prioritäten zu-gunsten der personellen und sächlichen Ausstattung derSicherheitsbehörden gesetzt werden. Dies betrifft natür-lich vor allem die Bundesländer, aber in gewissem Aus-maße auch den Bund.

Zum Stichwort internationale Zusammenarbeit: Eswar sehr aufschlussreich, dass auf dem ersten Europäischen

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Juristentag, der vor kurzem in Nürnberg stattgefunden hat,heftig beklagt wurde, dass Rechtshilfeersuchen auch imeuropäischen Ausland bis zu ihrer Erledigung heute im-mer noch durchschnittlich ein Jahr dauern. Daran siehtman, wo der Hebel angesetzt werden muss.

Meine Damen und Herren, soweit der Bundestag ge-fordert ist, stellt sich allerdings schon die Frage nach derHandlungsfähigkeit der rot-grünen Koalition. Mantritt niemandem zu nahe, wenn man feststellt, dass geradein der Innenpolitik zwischen den Vorstellungen von Rotund Grün tiefe Gräben liegen. Ein Blick in das Bundes-tagswahlprogramm der Grünen, das 1998 in Magdeburgverabschiedet wurde, zeigt

(Ludwig Stiegler [SPD]: Wenigstens einer, der esgelesen hat! � Zuruf der Abg. Marieluise Beck[Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

� ich lese es alljährlich mindestens zur Haushaltsdebatte,Frau Kollegin Beck �, dass die Grünen von ihren Wahl-versprechungen zur Innenpolitik in dieser Koalition fastnichts umgesetzt haben.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen][CDU/CSU]: Zum Glück, Max!)

� Manchmal muss man allerdings sagen, zum Glück.Wahrscheinlich sind sie selber froh, dass nur wenige die-ses Programm noch nachlesen, wie ich es getan habe.

(Hans-Peter Kemper [SPD]: Max, du kennstdas ja: Das war bei euch nicht anders!)

Damals haben die Grünen zum Beispiel die Abschaffungder Geheimdienste gefordert, während Volker Beck ebendie Verbesserung der Mittelausstattung für die Geheim-dienste propagierte.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das nennt man Wahlversprechen hal-ten!)

Meine Damen und Herren, die Distanz zwischen denKoalitionspartnern wird aktuell im Streit um die Zu-wanderungsregelungen sichtbar. Eigentlich sollte dasKabinett gerade heute das Zuwanderungsgesetz be-schließen. Aus Sicht der FDP ist es bedauerlich, dasssich die Koalition nicht auf einen Entwurf einigen kann.Ich sage aber auch den Kolleginnen und Kollegen vonder CDU und der CSU, dass sie hier in ihrer Argumen-tation redlich bleiben müssen. Wenn Herr Bosbach vorhin ausgeführt hat, bei uns gebe es keinen Bedarf an Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, dann frage ichmich, warum der Freistaat Bayern Krankenschwesternin Kroatien und Pflegekräfte in der Slowakei anwirbt.Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei der FDP � Erwin Marschewski[Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das hat er auchnicht gesagt! � Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Es haben auch nur zwei geklatscht!)

Meine Damen und Herren, noch ein Punkt, der die Not-wendigkeit von Gesetzgebung deutlich macht: Festzustellenist, dass die wesentliche Gesetzgebung � Kollege Marschewski, Sie waren daran maßgeblich beteiligt � in den

letzten beiden Legislaturperioden während der CDU/CSU-FDP-Koalition stattgefunden hat. Es gab etwa 50 Gesetze,

(Erwin Marschewski [Recklinghausen][CDU/CSU]: Sehr wahr!)

zum Beispiel das Gesetz gegen die organisierte Krimi-nalität, das Verbrechensbekämpfungsgesetz, das BKA-Gesetz und das Bundesgrenzschutzgesetz.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Genau!)

Daher ist ein Übermaß an neuer Gesetzgebung keinesfallserforderlich.

(Beifall bei der FDP)

Es wundert mich deswegen nicht, dass die Beschlüssedes Kabinetts vom letzten Mittwoch relativ wenig anneuer Gesetzgebung vorsehen

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Da müs-sen Sie jetzt erst einmal Herrn Schill fragen!)

und dass Herr Minister Schily in seiner Argumentation zuRecht auf die Praxisdefizite abgestellt hat. Das, was vor-geschlagen wurde, wird die FDP im Gesetzgebungs-verfahren mit zustimmender Grundtendenz begleiten.Manches ist von vornherein nicht akzeptabel, etwa derEinsatz der Bundeswehr im Inneren. Das ist aber vom Ka-binett auch nicht beschlossen worden.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So istes!)

Anderen Maßnahmen wie der verstärkten Überprüfungdes Flughafenpersonals kann man sofort zustimmen.Manche der diskutierten Maßnahmen sind in Wahrheitgeltendes Recht; das ist vorhin erwähnt worden. So istjetzt vor einer Einbürgerung die Regelanfrage beim Ver-fassungsschutz möglich. Ich halte sie auch für durchausnotwendig und akzeptabel.

Meine Damen und Herren, der Bundestag wird rascheEntscheidungen treffen müssen. Das erwartet die Bevöl-kerung. Gleichwohl muss das Gesetzgebungsverfahren,das uns auf dem Gebiet der inneren Sicherheit bevorsteht,sorgfältig durchgeführt werden. Eine rationale Sicher-heitspolitik erfordert konkrete Defizitanalysen. Ich kannetwa mit einer Bemerkung, der Datenschutz müsse allge-mein zurückgefahren werden � so hört man manchmal inder öffentlichen Diskussion �, nichts anfangen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielmehr muss konkret dargestellt werden, wo es Defizitegibt.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen][CDU/CSU]: Völlig richtig!)

Dann können wir als Gesetzgeber darauf reagieren.

Ich empfehle dringend die Auswertung des neuen Si-cherheitsberichts der Bundesregierung. Es war eine alteForderung der FDP, einen solchen Sicherheitsbericht zuerstellen. Er wird uns als Gesetzgeber helfen, auch in Zei-ten wie diesen rationale Maßnahmen zu treffen.

(Beifall bei der FDP)

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Über eines sind wir uns hoffentlich alle einig: DerRechtsstaat kann nur mit rechtsstaatlichen Mitteln vertei-digt werden. Dem wird die FDP ihre Zustimmung nichtversagen.

(Beifall bei der FDP � Wilhelm Schmidt [Salz-gitter] [SPD]: Sehr gut! � Erwin Marschewski[Recklinghausen] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt dieKollegin Petra Pau, PDS-Fraktion.

Petra Pau (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Ich spreche für die linke Opposition,für die PDS. Ich möchte eingangs mit einem Irrtum auf-räumen, der immer wieder gern verbreitet wird, nämlichmit der Behauptung, Linke seien für das Soziale und dieRechte für mehr Sicherheit zuständig. Das Soziale istnatürlich immer ein Thema der Linken, aber selbstver-ständlich gilt dies, grundsätzlich und auch praktisch,ebenso für die öffentliche Sicherheit. Die Differenzen lie-gen ohnehin nicht in den Überschriften zur öffentlichenSicherheit, sondern in der Beantwortung folgender Frage:Was schafft wirklich mehr Sicherheit für die Bürgerinnenund Bürger und was täuscht Sicherheit nur vor?

Ich zeige Ihnen diesen Unterschied gern an einer For-derung, die aktuell gestellt wird und die wir zu Beginn derheutigen Debatte auch schon gehört haben. Allgemeingilt: Wer nicht einer Straftat verdächtigt werden kann,sollte als unbescholten gelten. Das ist rechtsstaatlichesPrinzip. Eine Abkehr davon würde heißen, jede und jederist verdächtig und wahrscheinlich bescholten. Das wollenwir doch wohl alle nicht.

Deshalb möchte ich im programmatischen Polit-deutsch zitieren:

Die Einführung von verdachts- und ereignisunab-hängigen Personenkontrollen sowie die ständige po-lizeiliche Videoüberwachung des öffentlichenRaums sind unverhältnismäßige Notmaßnahmen.Sie schränken die Bürgerrechte ein, sie sind nahezunutzlos und kosten viel Geld.

(Beifall bei der PDS)

Das, Herr Kollege Stadler, war ein Zitat aus dem aktuel-len Wahlprogramm der Berliner FDP und � was noch bes-ser ist � es ist ein völlig stimmiger Gedanke. Ich fragemich nur, wie Herr Westerwelle und insbesondere HerrRexrodt dies ihren Koalitionspartnern in Hamburg bei-bringen wollen.

(Beifall bei der PDS und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Zuruf von der SPD: Sehr gut! �Dr. Max Stadler [FDP]: Herr Rexrodt kandidiertin Berlin!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnennoch ein zweites Beispiel nennen, um die Differenz klarzu machen. Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da habenwir in berechtigter Sorge und mit Empörung darüber dis-kutiert, wie wir gemeinsam eine wachsende Gefahr fürDemokratie und Menschenrechte zurückdrängen können.

Ich spreche vom Rechtsextremismus und vom Rassis-mus und ich erinnere an die Formel vom Aufstand der An-ständigen bzw. der Zuständigen.

Nun suche ich im Haushalt und lese in der �Frankfur-ter Rundschau� vom 24. September, Rot-Grün wolle imkommenden Jahr 40 Millionen DM weniger für Maßnah-men gegen den Rechtsextremismus aufbringen als in die-sem Jahr. Das ist auch aus der Sicht der öffentlichen Si-cherheit fatal und für mich einfach unbegreiflich.

(Beifall bei der PDS � Sebastian Edathy[SPD]: Warten Sie es ab!)

Aus ganz aktuellem Anlass: Wir alle hier, von CSU bisPDS, haben dem amerikanischen Volk unsere Solidaritätbekundet. Zugleich feiern rechtsextreme Parteien wie dieNPD den barbarischen Terroranschlag in New York undWashington als Sieg über den �weltlichen Judenkult undseinen Mammonismus�. Deshalb appelliere ich an Sie,Herr Minister � aber auch an Sie, liebe Kolleginnen undKollegen �: Korrigieren wir schleunigst gemeinsam dieseFehlplanung im Haushaltsentwurf!

(Beifall bei der PDS)

Fragen der öffentlichen Sicherheit haben derzeit zuRecht einerseits Konjunktur; andererseits waren sie inHamburg wahlentscheidend. In Berlin rangieren sie indieser Woche laut Umfragen auf Platz zwei der Sorgen derBürgerinnen und Bürger. Wer dies nicht ernst nimmt, derpolitisiert am Lebensgefühl der Bürgerinnen und Bürgervorbei. Wir nehmen diese Sorgen sehr ernst und setzenuns nicht erst seit heute dafür ein, dass Polizistinnen undPolizisten vor Ort � im Wohngebiet, auf Plätzen, in Parks �so arbeiten können, wie sie sollen und wie sie es im Übri-gen auch tun wollen. Dazu gehört aber auch eine entspre-chende Ausstattung und dazu gehört natürlich auch eineAnerkennung der Arbeitsleistung in Ost und West aufgleichem Niveau.

(Beifall bei der PDS)

Kein vernünftiger Mensch wird auch etwas dagegenhaben, wenn über mehr Flugsicherheit nachgedacht wird� wir jedenfalls nicht �; aber in diesem Zusammenhanglohnt es sich schon, über die Kontrolle von Passagierenund natürlich auch von Flugpersonal sowie über die Su-che nach technischen Möglichkeiten, um die Flugsicher-heit zu verbessern, hinaus auch noch über etwas anderesnachzudenken. Ich denke, prekäre Arbeitsverhältnisseund Leiharbeit schaffen eben keine Stammbelegschaftenin einem so hoch sensiblen Bereich, in die man Vertrauenhaben kann. Auch darüber sollte man reden und nicht nurdarüber, wie die Menschen überprüft werden, die dieseverantwortungsvolle Arbeit ausführen.

Auch die Streichung des Religionsprivilegs im Ver-einsrecht ist ein Vorschlag, den wir ernsthaft prüfen. Wennes hilft, Religion und die Ausübung eines Verfassungs-rechtes von Gewalt predigenden Extremisten zu trennen,dann kann das gut sein.

Die anderen Maßnahmen, die in der Debatte sind, wiedie gegen kriminelle Geldwäsche, sind ohnehin überfälligund gehören längst auf die Tagesordnung � und dies in

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allen Parteien; ich schaue hier auch zu den Kollegen derCDU/CSU. Aber ich sage Ihnen auch: Wer auf die Ängsteparteipolitisch draufsattelt, wer zusätzlich Ängste schürt,um untaugliche Ladenhüter vermeintlicher Innenpolitikzu preisen, der spielt mit dem Lebensgefühl der Bürge-rinnen und Bürger. Das ist verantwortungslos.

Damit komme ich zu einem Eindruck der letzten Tage� oder besser Abende �, den man gewinnt, wenn man inWahlkampfzeiten in dieser Stadt unterwegs ist. Ich erlebe,wie Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht deutscherHerkunft noch mehr verunsichert sind als wir alle ohne-hin schon. Wer dieser Tage abends durch Berlin-Kreuz-berg oder auch durch Köln geht, der sieht, dass er ebenfast nichts sieht, jedenfalls nicht das pulsierende Leben,das wir an den Abenden vor dem 11. September auf derStraße ebenso wie im Café hatten. Ich kann das durchausnachvollziehen, denn wenn man abends den Fernsehap-parat einschaltet, wird man penetrant mit Bildern belehrt,woher denn das Böse kommen soll.

Wer, wie ich gestern gemeinsam mit dem KollegenRexrodt, in eine Talkshow gerät, bekommt spätestensnach der zweiten Frage den �kriminellen Ausländer� oder�Asylsuchenden� präsentiert. Mit einer offenen Gesell-schaft, mit innerer Sicherheit und mit vielfältigem Lebenhat das nichts zu tun.

Deshalb mein letzter Satz � ich wiederhole mich �: Fürmehr öffentliche Sicherheit bekommen Sie von uns einklares Ja. Zu Populismus auf Kosten von Bürgerrechtenwerden wir ganz klar auch weiterhin Nein sagen.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat der Kol-lege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion.

Ludwig Stiegler (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Die Änderungen nach dem 11. Septem-ber sind hier oft besprochen worden. Ich finde, die Innen-politik und ihre Erfolge haben es nicht verdient, dass siehier ausgeblendet werden. Ich verstehe die Union: Siesind voller Neid, dass Sie keinen solchen Innenministerwie wir aufweisen können. Sie haben dazu auch meinherzliches Beileid.

(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So eineEselei!)

Wer jahrelang einem Experten der organisierten Krimina-lität nachgelaufen ist, wie Sie das getan haben, der hatjetzt natürlich Schmerzen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Stiegler hat immernur Gift und Galle!)

Dass Sie die Kronzeugenregelung verlangen, hängtvielleicht damit zusammen, dass Sie sie für den Kanther-Prozess haben wollen; das kann ja möglich sein.

(Beifall bei der SPD � Erwin Marschewski[Recklinghausen] [CDU/CSU]: Muss das sein?Das war das Niveauloseste dieser drei Wochen,Herr Stiegler!)

� Es tut mir furchtbar Leid: Es ist doch zu erkennen, dassSie objektiv an unserer Politik nichts auszusetzen haben.Daher müssen Sie sich jetzt künstlich an diesem Innen-minister reiben. In Wahrheit hätten Sie einen stolzen Tanzaufgeführt, wenn Sie jemals so einen Innenminister ge-habt hätten. So schaut doch die Realität aus.

(Beifall bei der SPD)

Hören Sie also auf, hier und da kleinlich herum-zumäkeln. Vielmehr sollten Sie akzeptieren, dass aufBundesebene � Hamburg hin oder her � die Fragen der in-neren Sicherheit von der rot-grünen Koalition mit diesemInnenminister und mit dieser Justizministerin ordentlichbehandelt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN � ErwinMarschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]:Es gibt Leute, die haben mit 60 immer noch Ju-soformat!)

Ich lege Wert darauf, dass Sie einmal den Sicherheits-bericht lesen und zur Kenntnis nehmen, wie sich das all-gemeine Sicherheitsgefühl verbessert hat. Da kann mannicht herummäkeln. Da muss man nur lesen, zur Kenntnisnehmen und seine alten Vorurteile überwinden.

(Zuruf von der SPD: Das ist schwer!)

Ich lege auch Wert darauf, dass wir zur Kenntnis neh-men, dass der Kampf gegen den Rechtsextremismus er-folgreich war, seitdem wir ihn aufgenommen haben,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und � dazu hat nicht nur der Antrag auf Verbot der NPDbeigetragen � dass die Zahl der rechtsextremistischenStraftaten zurückgegangen ist. Man muss auch zur Kennt-nis nehmen, dass der Innenminister � auch mithilfe desBGS � in der Bahn, aber auch in der Region dazu beige-tragen hat, das Sicherheitsgefühl der Menschen wieder zuverstärken. Auch das sollten wir bitte zur Kenntnis neh-men.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht auch zurKenntnis nimmt, dass die NPD Flugblätter verteilt, in de-nen sie die Anschläge in New York und Washington be-grüßt und bejubelt. Ich hoffe, dass hier dann auch deutlichwird, wes Geistes Kind sie sind; die Rechtsextremistenbei uns sind nämlich den islamischen Fundamentalistenim Geiste verwandt.

(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: So ist es!)

Das ist ja fast eine Ideologie wie früher bei den Nazis. Dieeine ist auf die Rasse aufgebaut, die andere auf die Reli-gion. Menschenverachtend sind sie alle. Auch das müssenwir im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mitdem Rechtsextremismus wieder zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Petra Pau

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Wir streiten auch um Integration. Darüber streiten wirauch mit Herrn Koch,

(Lothar Mark [SPD]: Wer ist denn das?)

der plötzlich wieder beginnt, mit der Ideologie der natio-nalen Identität eine Ideologie der Ausgrenzung zu ver-breiten. Wie will der, der wieder auf Geburtsrechte aus ist,all die Menschen anderen Glaubens und anderer Her-kunft, die hier dauerhaft heimisch geworden sind und hei-misch werden wollen, integrieren? Es ist eben nicht mög-lich, dass man in nationaler Identität schwelgt; dasbedeutete in Deutschland nämlich immer die Ausgren-zung anderer. Wir brauchen die Inklusion, den Einschluss,und eine offene Gesellschaft, die sich zu säkularisiertenWerten bekennt, die alle gemeinsam tragen können. Dasist der eigentliche Auftrag.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist es Gift, was Herr Koch hier verbreitet.

Die große kulturelle Aufgabe der Integration kannnicht durch einen romantischen Rückgriff auf die Natio-nalität bewältigt werden, gerade auch nicht vor dem Hin-tergrund der deutschen Geschichte. Vielmehr müssen wirsie miteinander mit einem anderen Ansatz angehen.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Jetztkommt langsam heraus, was er will!)

Ich möchte gerade auch unserem Kollegen Jochen Weltsehr herzlich danken, der im Bereich der Integration wirk-lich Großartiges leistet und auf eine gute Entwicklungverweisen kann. Wir werden ihn dabei unterstützen, in-dem wir insgesamt mehr Geld für die Sprachförderungzur Verfügung stellen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, schauen wir auf die euro-päische Entwicklung. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger,der in Brüssel kaum gesehen ward, ist Otto Schily ein eu-ropäischer Innenminister mit sehr guten Beziehungen undgroßem Einfluss in ganz Europa.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Man muss auch das sehen und nicht nur den Tampere-Pro-zess mit der Herstellung eines Raums der Freiheit, der Si-cherheit und des Rechts. Um diesen zu erreichen, mussnoch viel durchgesetzt werden. So denke ich an Genua.Die Situation dort ist mir so vorgekommen, als ob sich dasBewusstsein der Italiener vom Demonstrationsrecht aufdem Stand befindet, wie der von Edmund Stoiber bei denWackersdorf-Demonstrationen war. Das zeigt ungefährden Stand der Entwicklungen bezüglich des Demonstra-tionsrechts. Es wird wohl auch auf der internationalenEbene deutlich gemacht werden müssen, dass dort nichtalles korrekt gelaufen ist, sosehr auch die Täter verurteiltwerden müssen und wir nicht wollen, dass irgendwelcheHooligans verhindern, dass man sich auf internationalerEbene trifft. Ein kultivierter Umgang mit dem Demons-trationsrecht derer, die mit Recht Sorgen anmelden, istaber eine Errungenschaft, die in den letzten 20 Jahren inDeutschland von uns � meistens gegen Sie � durchgesetztwerden musste. Diese könnte durchaus auch zu einem Be-

standteil des europäischen Rechts und des europäischenBewusstseins werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss sehen, dass die Verhaftungen dort nach ech-ter Schill-Mentalität durchgeführt worden sind. Auch dorthat man ja lange gebraucht, bis man die Demonstrantenwieder freigelassen hat. Wenn Sie mit einem Herrn Schill,der wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung nochimmer angeklagt ist, koalieren wollen, dann wünsche ichIhnen alles Gute.

(Zuruf von der CDU/CSU: Koaliere nicht mitder PDS!)

Die innenpolitischen Erfolge des vergangenen Jahres,vom Datenschutz bis zum G-10-Gesetz, lassen sich sehen.Ich denke auch an die Fortschritte beim E-Government,die Fortschritte bei der inneren Sicherheit und die Fort-schritte beim BGS. Da kommen ausgerechnet Leute vonIhnen und beklagen den Abbau beim BGS, obwohl wirdem BGS in Wahrheit eine solide Basis gegeben, diekanthersche Reform bezüglich des Stellenabbaus nicht imgeplanten Tempo fortgesetzt und Stellenanhebungen ver-wirklicht haben, von denen Sie früher nur geträumt haben.Auch das sollte man bitte schön zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN �Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Der Mannist unter Niveau!)

Ich möchte jetzt auch den Sport nicht vergessen.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das istwichtig! � Zuruf von der SPD: Auch in der jet-zigen Zeit!)

� Auch in der jetzigen Zeit. Wenn der New Yorker Bür-germeister sagen kann: �Leute, geht zurück in die Stadienund in die Stadt und lebt euer Leben!�, dann gilt das auchfür uns.

Diese Koalition hat im Bereich der SportförderungErhebliches geleistet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke nur an die Drogen- und Dopingbekämpfung imSport. Ich erinnere an den Stadionausbau und an den Zu-schlag für die Weltmeisterschaft.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen][CDU/CSU]: Sehr gut!)

Damit kommen wir zu der Notwendigkeit, auch dieentsprechende Sicherheit zu gewährleisten. Stellen wiruns vor, meine Damen und Herren, wir führen sportlicheGroßveranstaltungen durch und können keine friedlicheUmgebung gewährleisten. Deshalb ist es jetzt unsere Auf-gabe, die akute Gefahr zu bekämpfen, aber auch daranmitzuwirken, dass in Europa und in der Welt wieder einKlima entsteht, das Fröhlichkeit und das Gefühl sichererFreiheit auch bei Großveranstaltungen aufkommen lässt.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Stiegler, lach mal, sei mal fröhlich!)

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Das werden wir erreichen: Eine Gesellschaft, in der mannicht Angst vor zu viel Sicherheit hat, sondern in der manseine sichere Freiheit genießt, ist unsere Zielsetzung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen keine alten Ladenhüter herausholen wie derHerr Bosbach, der vom AZR-Gesetz redet. Da schreienSie: Hurra, Mama, ich habe es schon immer gewusst undeuch immer gesagt.

(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Ich habeüberhaupt nichts davon gesagt!)

� Doch, Sie haben Ihr AZR gerühmt! � Dann schaue ich mirdas noch einmal zur Repetition an und stelle fest: Das be-zieht sich auf ganz andere Themen. Das hatte mit unseremheutigen Thema überhaupt nichts zu tun. Die alten Hundewerden nur deshalb wieder hervorgeholt, um zu zeigen,dass man schon immer alles besser gewusst hat. Gar nichtshaben Sie besser gewusst; denn Sie alle haben noch imSommer dieses Jahres die Antwort der Bundesregierungauf die Große Anfrage zum Islam und zum Islamismus be-grüßt. Herr Polenz hat hier eine zustimmende Rede gehal-ten, in der er deutlich gemacht hat, dass die Bundesregie-rung die Daten richtig erhoben und dargestellt habe unddass die Gefahren richtig eingeschätzt worden seien. Dannkönnen Sie doch heute nicht so tun, als ob Sie schon immeralles besser gewusst hätten. In Wahrheit sind Sie wie wirund die ganze Welt von der Brutalität des Angriffs am11. September überrascht worden. Wir müssen jetzt die an-stehenden Probleme lösen, ohne Vorwürfe zu erheben.

Rot-Grün wird entsprechende Regelungen auf denWeg bringen. Innerhalb der Koalition wird auf ordent-liche Art und Weise miteinander geredet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Wir werden ein Zuwanderungsgesetz vorlegen, mit demwir Sie daran hindern werden, feige auszubüxen, und Siezwingen werden, deutlich zu machen, wie Sie zu denDingen wirklich stehen. Bei allen Sicherheitsfragen sindwir uns der Scylla einer zu starken Sicherheit und derCharybdis einer zu geringen Sicherheit, die zur Bedro-hung der Freiheit wird, immer bewusst.

Sie alle reden immer von der offenen Gesellschaft. Sieübernehmen also einen Begriff von Karl Popper, den die-ser in seinem Buch �Die offene Gesellschaft und ihreFeinde�, dessen Texte er 1944 abgeschlossen hat, erstmalsverwendet hat. Ich habe noch einmal nachgelesen, was ergeschrieben hat:

Wir müssen das Kreuz auf uns nehmen und die Auf-gabe schultern, dass wir die Vernunft, die wir haben,nicht nur für die Organisation unserer Sicherheit, son-dern auch für die Organisation der Freiheit verwenden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, wer von der offenen Gesellschaft spricht, dersollte den ganzen Popper nehmen und nicht nur einen Teil.

Vielen Dank.(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Zeitlmann.

Wolfgang Zeitlmann (von Abgeordneten der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehrgeehrten Damen und Herren! Kollege Stiegler, Sie habenheute offensichtlich den Deutschen Bundestag mit einemBierzelt in der Oberpfalz verwechselt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU � Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Leider wahr!)

Auf das Niveau, auf dem Sie gesprochen haben, mag ichmich nicht begeben.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Sie erreichen dasNiveau nicht!)

Sie sollten irgendwann einmal Frieden mit einem Staatschließen, den Sie über viele Jahre hinweg vielleicht we-gen irgendwelcher internationaler Ideen, die Sie immerwieder verfolgt haben, nicht schließen konnten. Es hilftalles nichts: Der 11. September hat für einen Zeitenwech-sel gesorgt, den wir noch bewältigen müssen. Deswegenglaube ich, dass das, was Sie, Herr Stiegler, hier abgelie-fert haben, nicht würdig war.

(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer[CDU/CSU])

Die �Süddeutsche Zeitung� hat geschrieben, dass IhrePresseerklärungen zu Ihrem eigenen Schutz nicht mehrveröffentlicht werden. Vielleicht gibt Ihnen das zu denken.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Ein paar Punkte machen mich ein bisschen ängstlich,unter anderem der Umgang vieler Kollegen aus der Frak-tion der Grünen mit dem, was wir innere Sicherheit nen-nen. Ich habe ein paar Zeitungsartikel der letzten Wochenherausgesucht. Der Kollege Schlauch, immerhin Frakti-onsvorsitzender bzw. Mitfraktionsvorsitzender � ich ken-ne eure Hierarchien nicht so genau �, hat in der �Stutt-garter Zeitung� vom 17. September erklärt, dieVorstellung von einer Demokratie ohne Geheimdienstesei mit dem 11. September überholt. Herzlich willkom-men zu dieser neuen Einsicht! Dann müsst ihr konse-quenterweise euren Herrn Ströbele aus dem parlamenta-rischen Kontrollgremium zurückziehen und einen etwasstaatstragenderen Mann, der nicht für die Beendigung der Geheimdiensttätigkeit eintritt, in dieses Gremium berufen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Schlauch sagt weiter:

Der Bundesnachrichtendienst sollte aber effizienterarbeiten. 90 Prozent der Aktivitäten begrenzen sichauf das Auswerten von Publikationen und auf dasAusschneiden von Zeitungsartikeln. Das müssen wirändern.

Wer so redet, der ist, was innere Sicherheit angeht, nichternst zu nehmen.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Scheren werden eingezogen, ja!)

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Der Kollege Beck behauptet im Bonner �Express� vom22. September, dass auch der Fingerabdruck auf dem Per-sonalausweis problematisch sei. Dadurch behandele manein ganzes Volk wie Verdächtige.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Herr Beck, hören Sie einmal zu!)

Einen Nutzen gebe es nicht.

Ein letztes Bonmot: Vor dem 11. September habe ichfolgende Überschrift gelesen, die einen gleich hellhörigmacht. Der Kollege Wiefelspütz hat vor dem Hintergrundder Krawalle von Autonomen in Genua und in Stockholmder �Zeit� ein Interview zu der von Herrn Schily auf denWeg gebrachten Einführung einer Gewalttäterdateibeim BKA gegeben. In diesem Interview sagt er:

Es ist völlig klar: Das Grundrecht auf Versamm-lungsfreiheit und das Grundrecht, Deutschland zuverlassen, gilt auch für Extremisten. Als wir dasPassgesetz änderten, um die Ausreise von Gewalt-tätern kurzzeitig zu verhindern, haben wir natürlichniemanden in seinem Recht, auszureisen, beschrän-ken wollen.

Sie könnten die Auffassung vertreten: Er hat das vordem 11. September gesagt, das sollte man nicht so genaunehmen; denn es ist jetzt überholt. Wenn dem so ist, dannerklären Sie, dass diese Datei eingerichtet wird. Anderen-falls werden Sie keine Glaubwürdigkeit für sich bean-spruchen können, wenn Sie behaupten, dass Sie im Be-reich des Extremismus nicht nur gegen eine Seitevorgehen.

Im vorigen Jahr haben wir fast ausschließlich überRechtsradikalismus gesprochen. Wir haben schon damalsgewarnt, indem wir darauf hingewiesen haben, dass,wenn man die Anzahl der extremistischen Straftäter zu-grunde legt, mehr extremistische Ausländer als extremis-tische Inländer Straftaten begehen. Ich behaupte nicht,dass man die schrecklichen Geschehnisse vorausahnenkonnte. Zumindest jetzt wird es für Sie Zeit, nicht auf ei-nem Auge blind zu sein, sondern Ihre Aktivitäten in sämt-liche Richtungen auszuweiten und auch, was die Links-extremen in Genua und in Stockholm anbelangt, dasNötige zu tun.

Ich will den Rest meiner Redezeit darauf verwenden,über das Thema Zuwanderung zu diskutieren.

(Lothar Mark [SPD]: Das haben wir befürch-tet! Wir sind sehr gespannt!)

Sie sind jetzt drei Jahre an der Regierung. In diesen dreiJahren haben Sie sich auf ein großes Thema, mit dem Sieviele Schwierigkeiten hatten, konzentriert: Staatsbürger-recht. Ich erinnere mich noch genau daran, dass der Kol-lege Wiefelspütz in einer Haushaltsdiskussion im Innen-ausschuss gesagt hat, es seien keine Gesetzesvorhabenmehr geplant; denn man habe sich mit der Gesetzesma-terie Staatsbürgerrecht schon schwer genug getan.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten[CDU/CSU]: Verausgabt!)

So sah damals Ihre Vorstellung aus. Dann waren Siedem öffentlichen Druck ausgesetzt, etwas zu tun, und Sie

sind in Zeitdruck geraten. Darauf haben Sie mit der Beru-fung einer Kommission reagiert, um Zeit zu gewinnen.Neun Monate sind vertan worden.

(Abg. Sebastian Edathy [SPD]: IhreVorsitzende der Kommission!)

� Das kann ich Ihnen gleich sagen: Bei der Besetzung derKommission ist man taktisch-politisch vorgegangen undhat,

(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Die Mitglieder klug ausgewählt!)

zumindest was die Innenpolitik angeht, Outsider berufen.Man hat einen �Oldtimer� der CDU und eine Dame beru-fen.

(Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Wolfgang, auch ein Mann mit 61 ist nochjung! Mach mir den Tarif nicht kaputt! � CemÖzdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Esgibt keine Oldtimer im Deutschen Bundestag!)

Es ist Sache der Regierung, wen sie beruft. Aber sie darfhinterher nicht so tun, als wäre ihre Entscheidung über-parteilich getroffen worden; denn man ist mit Kalkül vor-gegangen.

Ich habe bei der Berufung der Kommission gesagt:Hätte man die Fachleute der Innenministerien damit be-auftragt, nach neun Wochen Antworten auf die entschei-denden Fragen der Innenpolitik vorzulegen, dann hätteman nach neun Wochen ein glattes Ergebnis gehabt. Jetzthaben Sie einen Kommissionsbericht, an den Sie sich � wie ich finde, aus guten Gründen � im Wesentlichennicht halten. Es ist nicht richtig, dass Sie jetzt Druck ma-chen und pausenlos erklären, das müsse aus dem Wahl-kampf herausgehalten werden. Der Kanzler hat außerdemerklärt, das dürfe nicht auf dem Rücken von Menschenausgetragen werden, die sich nicht wehren könnten.

(Lothar Mark [SPD]: Da hat er Recht!)

� Da hat er eben nicht Recht. Das ist purer Unsinn.

Von Ihrer Seite kommt immer wieder das Argument,das Volk müsse in größerem Umfang direkt mitentschei-den. Alle diejenigen, die das Plebiszit für eine Zukunfts-vision halten, reden aber gleichzeitig davon, dass mandieses und jenes Thema nicht im Wahlkampf behandelnkönne, weil es für den Bürger viel zu komplex und viel zuschwierig zu verstehen sei.

(Lothar Mark [SPD]: Das ist differenziertesDenken!)

Man muss sich schon entscheiden: entweder � oder. Ichkann sehr wohl der Bevölkerung auch im Wahlkampf einThema erläutern. Damit habe ich kein Problem. Ich habenur ein Problem damit zu sagen: Wir müssen dieses oderjenes Thema außen vor lassen, weil wir die wichtigenThemen nicht im Wahlkampf behandeln.

In der Frage der Zuwanderung brauchen Sie nach dem11. September eine lange Phase des Denkens, weil dieGrundstimmung in der Bevölkerung so ist � ich sage eseinmal ganz vorsichtig �, dass derzeit wichtigere Themenbehandelt werden sollten. Erst werfen Sie für die innere

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Sicherheit ganz schnell nach nur einer Sitzung 3 Milliar-den DM aus

(Lothar Mark [SPD]: Was heißt denn�auswerfen�?)

� vormittags tagte der Innenausschuss; da war mit keinerSilbe von 3 Milliarden DM die Rede; das ist ein Umgangmit dem Parlament, den die Koalition einmal erfahrenmüsste � und dann verkündet der Innenminister, es wür-den weitere Vorschläge folgen. Dies ist ja in Ordnung; ichhabe nichts dagegen. Wenn er von Zuwanderung spricht,dann muss er aber gleichzeitig sagen, dass er dafür vielGeld in die Hand nehmen muss. Ich wünsche Ihnen, dassSie in der Öffentlichkeit neben der Debatte um die innereSicherheit auch die Debatte um einige Milliarden DMführen müssen, die für die Förderung der Integration not-wendig sind.

Die Welt hat sich seit dem 11. September verändert.Die Prüfung dessen, was Sie an Ihrem Entwurf im Inte-resse der Sicherheit verändern müssen � der Ministerspricht selber davon, dass er den Entwurf durchcheckenmuss �, sollte in Ruhe erfolgen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ruhige Hand!)

Es hat keinen Sinn, jetzt in Hektik zu verfallen und diesesThema auf Teufel komm raus zu behandeln, nur um es ausdem Wahlkampf herauszuhalten. Es wäre aber ausgespro-chen gut, wenn dieses Thema im Wahlkampf verantwor-tungsvoll diskutiert würde.

Ich komme zum letzten Punkt. Sie haben die Neurege-lung des Staatsbürgerschaftsrechts nicht gemeinsam mitder Opposition durchgeführt, sondern haben sie durchge-paukt.

(Lothar Mark [SPD]: Die Opposition war jaunauffindbar!)

� Aber natürlich. � Weil es eine Gegenbewegung aus derBevölkerung gab und weil Sie das Thema für eine heißeKiste halten, sprechen Sie jetzt pikanterweise davon, Siewollten das Zuwanderungsgesetz gemeinsam mit derOpposition erarbeiten. Ich habe gar nichts dagegen, dasswir es gemeinsam tun.

(Lothar Mark [SPD]: Das geht uns doch allean!)

Aber dies sollte nicht unter Zeitdruck und auch nicht danngeschehen, wenn ein so wichtiges Thema wie die innereSicherheit die anderen Themen überlagert.

Wir sollten zur Sachlichkeit zurückkehren.

(Lachen bei der SPD � Wilhelm Schmidt [Salz-gitter] [SPD]: Ausgerechnet Sie sagen das! �Weiterer Zuruf von der SPD: Unsachlich!)

� Ich war nicht unsachlich. Sagen Sie einmal, an welcherStelle ich unsachlich war.

(Lothar Mark [SPD]: Sie haben doch nur zitiert!)

� Die Zuwanderung ist mit Sicherheit ein zu ernstesThema, als dass es unter Zeitdruck und unter Vermeidung

einer öffentlichen Debatte während der Wahlkampfzeitdurchgezogen werden sollte. Lasst uns vernünftig darüberdebattieren!

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Eben ha-ben Sie uns die neun Monate der Kommissionvorgeworfen! Was wollen Sie nun?)

� Entschuldigung, ich kann doch zur Besetzung der Kom-mission eine Meinung haben. Es ist überhaupt keineFrage, dass die neun Monate vertane Zeit waren.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Die Besetzung war auch falsch, weil sie zu einem Streitführte. Sie würden auch nicht morgen eine Familienkom-mission berufen und Herrn Beck und Herrn Wowereit alsVorsitzende bestellen.

(Beifall des Abg. Dr. Peter Ramsauer[CDU/CSU] � Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade die! � Alfred Hartenbach [SPD]: Sie sollten jetzt lieber auf-hören! Peinlich ist das!)

Es hilft Ihnen alles nichts: Wer es mit der Thematik Zu-wanderung ernst meint, der darf nicht unter Zeitdruckhandeln, sondern muss zur Sache kommen. Das heißt,dass wir uns damit ernsthaft auseinander setzen müssen.Angesichts der 4 Millionen Arbeitslosen werden Sie sichschwer tun, nur zu sagen, was die Wirtschaft will. DieWirtschaft auch in meinem Wahlkreis will Zuwanderung,weil Arbeitsplätze frei sind. Sie müssen uns einmal erklä-ren, wie Sie die Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen mit denForderungen der Wirtschaft in Einklang bringen wollen.Sie wissen das; auch Ihr Gewerkschaftsflügel weiß das.Nur wenn wir über dieses Thema sachlich reden, dient esder Sache.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU � Alfred Hartenbach[SPD]: Das war Ihr Beitrag zur Sachlichkeit!)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat nun dieBundesministerin der Justiz, Frau Dr. Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Jus-tiz: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Zeitlmann, es war sehr interessant, bei dem zu-zuhören, was Sie zur Frage der Zuwanderung gesagt ha-ben, und zwar deshalb, weil heute aus Ihrer politischenGegend ja auch schon andere Töne angeklungen sind. Ineinem möchte ich Ihnen aber zustimmen: Die furchtbarenEreignisse des 11. September 2001 waren für jeden vonuns schrecklich und sind keineswegs spurlos an uns vo-rübergegangen.

Dies sage ich nicht nur deswegen, weil wir um dieMenschen, die an diesem Tag ermordet wurden, trauernund mit deren Angehörigen mitleiden, oder deswegen,weil wir zur Solidarität mit Amerika eindeutig Ja sagen,oder deswegen, weil wir die für die terroristischen An-schläge Verantwortlichen selbstverständlich bekämpfenwerden und weil wir für die Sicherheit unserer Bevölke-rung all das tun, was, wie schon ausgeführt wurde, rechts-

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staatlich notwendig und geeignet ist, und weil wir die Sor-gen der Menschen ernst nehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage das vielmehr auch deshalb, weil wir genau wis-sen, was wir dabei verteidigen. Wir verteidigen ja nicht nurdas Abstraktum einer offenen Gesellschaft, sondern eineGesellschaft, die ganz konkret und ohne jeden Zweifel zu-kunftsfähig sein muss. Das ist sie nur dann, wenn sie je-dem Einzelnen Chancen gibt, wenn sie dann, wenn gehan-delt werden muss, rechtsstaatlich klar und begründetvorgeht und wenn sie klar erkennen lässt, dass Sicherheitund Rechtsstaatlichkeit keine Gegensätze sind, sonderndass der Rechtsstaat eine kulturhistorische Leistung erstenRanges ist, den wir natürlich an keiner Stelle preisgebenwerden. Ganz im Gegenteil! Wir sollten ihn als kulturhis-torische Leistung � jetzt knüpfe ich an das an, was Sie, lie-ber Herr Kollege Stadler, gesagt haben � in der Koopera-tion auf der europäischen Ebene � sei es nun die EU odersei es der Europarat � und darüber hinaus nicht nur expor-tieren, sondern auch stärken. Das werden wir tun.

Gerade weil das so ist, geht es darum, nicht allein dieAuswirkungen dieser furchtbaren Ereignisse des 11. Sep-tember 2001 auf die jeweiligen Bereiche � auch auf denBereich der Rechtspolitik � zu bedenken. Natürlich wer-den wir unsere Gesetze auf nationaler Ebene ruhig aufLücken überprüfen, auch wenn � da stimme ich Ihnen,Herr Stadler, wiederum zu � im Bereich der Gesetzgebungkaum mehr Lücken zu schließen sind. Es ist vielmehr so,dass wir in der internationalen Kooperation eine Mengemehr tun können. Das tun wir auch.

Aber es ist auch so, dass die Rechtspolitik wie nur we-nige andere Bereiche den Auftrag hat, die Grundsätze un-serer Verfassung unter den heutigen Umständen durchzu-setzen, und dass dort, wo neue Entwicklungen eingetretensind, wo die Gerechtigkeit eingeschränkt worden ist oderwo zum Beispiel die Stellung des Schwächeren nichtmehr den klaren Vorgaben entspricht, neue Regelungengetroffen werden müssen.

Auch deswegen ist die Diskussion über die Rechtspo-litik und damit auch die über den Justizhaushalt � lassenSie mich das sehr deutlich sagen � gerade auch heute aus-gesprochen wichtig. Gerade die Rechtspolitik unserer rot-grünen Regierung und der sie tragenden Mehrheit betontja diese Schwerpunkte. Sie bilden einen Dreiklang ausdrei Ansichten, die ich Ihnen kurz deutlich machenmöchte:

Zum einen muss die Stellung der Schwächeren ge-stärkt und ihr Schutz gewährleistet werden. Das gilt invielen Bereichen, die wir angepackt haben, zum Beispielbei dem Programm �Erziehung ja � Gewalt nein�. Die indiesem Zusammenhang notwendigen gesetzlichen Rege-lungen hat die größere Oppositionspartei, die CDU/CSU,ja leider nicht mitgetragen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Weil wir besserehatten!)

Das gilt für Gesetze wie das Gewaltschutzgesetz. Dasgilt auch ganz praktisch beim Opferschutz, im Bereich des

Sanktionensystems oder für den Bereich, zu dem wirheute eine Expertenanhörung veranstaltet haben, ob dasAdhäsionsverfahren zugunsten der Opfer verbessert wer-den kann. Das gilt für das Urhebervertragsrecht, dasSchadensersatzänderungsgesetz, aber natürlich auch fürdie Angleichung der Pfändungsfreigrenzen, die seit 1992nicht geändert worden sind.

All das � und das sind nur ausgewählte Beispiele � istin diesem Zusammenhang wichtig. Ich würde michfreuen, wenn wir die Diskussion über diese rechtspoliti-schen Themen stärker inhaltlich führen würden.

Der zweite Punkt betrifft die Modernisierung von Jus-tiz und Recht. Auch und gerade hier musste eine Mengenachgeholt werden. Auch im Bereich der Rechtspolitikhaben wir bereits � jetzt knüpfe ich an das an, was der Kol-lege Stiegler zum Bereich der Innenpolitik gesagt hat �eine Menge erreicht: ZPO � Sie waren dagegen �; Miet-recht � Sie waren dagegen �; Schuldrechtsmodernisierung �Sie waren dagegen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Mit Recht warenwir dagegen!)

� Lieber Herr Geis, eben nicht mit Recht und Sie wissendas auch ganz genau.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Selbst Leute, die sich inhaltlich damit auseinander gesetzthaben, bescheinigen Ihnen doch, dass Sie nicht inhaltlichargumentieren, sondern nur Interesse daran haben, derRegierung irgendetwas ans Bein zu binden. Ich finde dassehr schade,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es waren weiteFachkreise dagegen! Deswegen haben wir esauch nicht verabschiedet!)

einfach deswegen, weil wir damit eine Qualität der Aus-einandersetzung erreichen, die Sie zufrieden stellen mag,mich nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Norbert Geis [CDU/CSU]:Ihre Polemik stellt mich auch nicht zufrieden!)

Ich hätte ganz gerne eine inhaltliche Auseinandersetzungund Argumente; aber so ist es nun einmal mit Ihnen.

Zu unseren Erfolgen gerade in diesem zweiten Be-reich, im Bereich der Modernisierung, gehört auch dieSchaffung von Rechtsgrundlagen für die Möglichkeit deselektronischen Rechts- und Geschäftsverkehrs, die wirverabschiedet haben und ausbauen.

Dazu � lassen Sie mich das hier noch als zweites Stich-wort erwähnen � kommt noch die Modernisierung desDeutschen Patent- und Markenamtes.

(Beifall bei der SPD)

Auch das ist ein solches Beispiel. In den 90er-Jahren stiegdie Zahl der Patent- und Markenanmeldungen. Der Per-sonalbestand aber wurde von Ihnen um circa 16 Prozentzurückgefahren. Die Modernisierung in Form einer Aus-stattung mit elektronischen Arbeitsmitteln oder auch

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durch die Schaffung einer vernünftigen Organisation fandnicht statt. Obwohl auch wir mit dem Einzelplan 07 dieHaushaltskonsolidierung des Bundesfinanzministers un-terstützen, weil wir sehr klar sagen: Es ist unzumutbar,dass wir die Menschen in unserem Lande alle fünf Minu-ten als Erbe Ihrer Regierungszeit mit dem Gegenwert ei-nes anständigen schwäbischen Einfamilienhauses als Zin-sen belasten, haben wir beginnend mit dem Haushalt1999, dann 2000 und 2001 und jetzt 2002

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ihr habt immernoch nicht begriffen, dass wir die deutsche Ein-heit hatten! Die wolltet ihr ja nicht!)

auf dem Weg zur Modernisierung, dem Ausbau und vorallem die Verbesserung der Organisation dieses wichtigenAmtes mit dem Ziel der Dienstleistungen für Erfinde-rinnen und Erfinder und für die Wirtschaft einen großenSchritt nach vorn getan.

Mich stört es sehr, dass Sie von der Opposition � ichmeine jetzt nicht die FDP, sondern die CDU/CSU � auchhier nichts weiter tun, als falsche polemische Zwischen-rufe zu machen. Ich finde das schade, weil ich glaube,dass man in diesen Fragen jedenfalls mit denen, die einEngagement in der Sache haben, im Bundestag und in denAusschüssen erheblich konstruktiver zusammenarbeitenkönnen sollte, als dies bei Ihnen der Fall ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Den dritten Bereich in unserem Dreiklang aus Schutzsowie Stärkung der Rechte der Schwächeren und Mo-dernisierung bildet die Harmonisierung und die Koope-ration in der EU und darüber hinaus. Auch hier tun wireine Menge � lassen Sie mich einige Erfolge noch einmalin Erinnerung rufen: die Schaffung eines Menschen-rechtsinstituts zur besseren Vernetzung der Menschen-rechtspolitik über die Grenzen � das wurde hier imDeutschen Bundestag von allen Fraktionen getragen; daist die Unterstützung und Begleitung der EuropäischenGrundrechte-Charta, die Unterstützung bei der Schaffungdes Internationalen Strafgerichtshofs, der hoffentlich baldmit seiner Arbeit beginnen kann, und die Umsetzung derUN-Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus.

(Beifall bei der SPD)

Übrigens können wir, nachdem jetzt die Übersetzungenvorhanden sind, die Ratifizierung sofort mit vornehmen.Wir alle wissen, dass dies ein wichtiges Zeichen nachaußen ist. Wir helfen dadurch bei der globalen Bekämp-fung des Terrorismus mit. Bei uns hier im Innern brauchenwir keine Gesetze zu verändern, weil diese hier schon inder Form bestehen, wie wir sie zu Abwehr des Terroris-mus brauchen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN und der FDP)

Dies alles, meine Damen und Herren, haben wir er-reicht und weiter. Wir kümmern uns verstärkt darum,Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsfragen im inter-nationalen Kontext zum Thema zu machen � gerade auchmit Ländern, bei denen das wegen der internen Voraus-setzungen gar nicht so leicht ist. Das gilt für den außeror-

dentlich interessanten und wichtigen Rechtsstaatsdialogmit China und für die hervorragende Arbeit der IRZ-Stiftung. Deren finanzielle Sicherung haben wir jetzt ins-gesamt in den Haushalt übernommen. Ich bin mir ganzsicher, dass wir sie auch heute noch, so wie früher,gemeinsam über die Fraktionsgrenzen hinweg unter-stützen. Das ist gut.

Ich erinnere auch an die ganz praktische Hilfe des Bun-desministeriums der Justiz, die wichtig ist, bei der Be-wältigung von Sorgerechtsproblemen, weil sich immermehr Menschen über die heute faktisch nicht mehr exis-tierenden Grenzen kennen lernen, Familien gründen,dann Probleme haben, wenn es zu Scheidungen gekom-men ist. Wenn dann der eine Partner in Spanien oder inFrankreich und der andere in Schweden oder in der Bun-desrepublik wohnt, tauchen gelegentlich Probleme auf, zuderen Lösung auch wir beitragen müssen. Das tun wir ineinem modellhaften Verfahren auch mit dem französi-schen Justizministerium.

Ich möchte noch einmal auf das zurückkommen, wasich am Anfang gesagt habe. Bei der Bekämpfung desTerrorismus machen wir, was nötig ist. Wir machen das,was wir tun müssen, mit Entschlossenheit, Klarheit undBesonnenheit und mit Sinn für Rechtsstaatlichkeit. Das istklar: Innere Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Freiheitsind keine Gegensätze. Ganz im Gegenteil: UnsereGesellschaft braucht alle. Wir sind dazu berufen, dafür zusorgen, so gut wir das können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Wenn wir un-ser Augenmerk auf unsere Gemeinschaft und die Chan-cen, die jeder in dieser Gemeinschaft haben muss, richten,dann ist mir um unsere zukunftsfähige Gesellschaft nichtbange. Ich lade Sie alle ein, auch im Bereich der Rechts-politik mit uns auch über solche Fragen zu diskutieren.Ich freue mich dann ebenso auf eine durchaus streitigeAuseinandersetzung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und derFDP)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt derKollege Norbert Geis für die CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meinesehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, auchwir freuen uns auf eine streitige Auseinandersetzung. Siemüssen diesen Streit dann aber auch aushalten können.Manchmal haben wir den Eindruck, dass Ihnen das nichtso leicht möglich ist.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Auf Ih-rer Seite sind die Instanzen wohl anders!)

� Da mögen wir manches gemeinsam haben.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt hast du dieKurve aber noch bekommen!)

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� Na also, da bist du ja froh.

Die Rechtspolitik ist natürlich nicht nur beim Kampfum die innere Sicherheit und beim Kampf gegen denTerrorismus, sondern auch für die Regelungen des ganznormalen Alltags wichtig. In der Vergangenheit gab eshier viele Diskussionspunkte.

Wir halten in der Tat die ZPO-Regelungen für verun-glückt und stehen mit dieser Meinung nicht ganz allein.Viele Fachverbände sind in dieser Beurteilung mit uns einig.

Wir wollen aber natürlich auch helfen, das Gute darandurchzusetzen. Dies betrifft zum Beispiel die Möglich-keit, dass ein Anwalt von seinem Schreibtisch in Münchenaus per Videoschaltung in Hamburg einen Prozess führenkann, wenn die Technik stimmt. Daran mangelt es. Das istkein Versagen der Bundesregierung. Viele Länder habenaber immer noch nicht begriffen, dass die Justizbehördenauch Dienstleistungsunternehmen sind und dass sie ent-sprechend ausgestattet sein müssen.

Es geht um vernünftige Organisationsstrukturen undServiceeinheiten in den Land- und Amtsgerichten. Arbeits-plätze müssen mit Computertechnik ausgestattet sein, da-mit solche Videoschaltungen und die Möglichkeiten derTechnik überhaupt ausgenutzt werden können. Das giltauch für die Automatisierung des Grundbuchs und der Han-delsregister.

All diese Möglichkeiten haben wir nach dem Gesetz.Diese müssen aber auch von Länderseite her umgesetztwerden. Wir bitten die Bundesregierung, mit dafür Sorgezu tragen, dass der Standard in den einzelnen Bundeslän-dern gleich ist und nicht immer nur Bayern allein voran-schreitet.

(Zuruf von der SPD: Oh je!)

� Das muss ich sagen, weil es so ist.

(Beifall des Abg. Eckart von Klaeden(CDU/CSU � Wilhelm Schmidt [Salzgitter][SPD]: Außer Herrn von Klaeden hat das nie-mand mitbekommen!)

Wir haben im Rahmen der ZPO ebenfalls eine wichtigeNeuregelung geschaffen. Es handelt sich um die Mög-lichkeit der Schlichtung. In der Tat: Nach wie vor sind dieZugänge der Streitsachen zu den Amts- und Landgerich-ten hoch. Das Schlichtungsverfahren bietet die Möglich-keit der Entlastung, wenigstens im amtsgerichtlichen Be-reich. Es gibt Länder, die das Schlichtungsgesetz längstverabschiedet haben, und Länder, die dies noch nicht ge-tan haben. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass es auch indiesen Ländern erfolgt, weil dies ein richtiger Gedankeist; denn wir ändern damit auch ein wenig die Rechtskul-tur oder die Streitkultur. Es ist nunmehr möglich, Rechts-streitigkeiten von geringerem Umfang gewissermaßen eigenverantwortlich zu erledigen. Wenn wir damit in der Bundesrepublik Deutschland Erfolg haben, solltenwir darüber nachdenken, das Schlichtungsverfahren vielleicht noch auszuweiten.

Wir haben gegen die Mietrechtsreform gestimmt; dasist wahr.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Schade!)

Aber ich glaube, dass uns darin viele zugestimmt haben.

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr vonStetten [CDU/CSU])

Es ist ja nicht so, dass Sie die Mietrechtsreform im ge-sellschaftlichen Konsens durchgezogen hätten, sondernnach wie vor ist es Ihnen, Frau Ministerin, nicht gelungen,durch Ihre Vermittlung ein Formular für einen einheitli-chen Mietvertrag zustande zu bringen. Das liegt daran,dass hier zu viele verschiedene Meinungen aufeinanderprallen. �Haus und Grund� kritisiert nach wie vor das vonIhnen erlassene Mietrecht sehr heftig

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aberder Mieterbund nicht!)

und ist der Meinung, dass es in Karlsruhe auf seine Ver-fassungsmäßigkeit überprüft werden muss.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wirwissen doch, warum!)

Auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Lebens-partnerschaftsgesetzes ist in Karlsruhe anhängig. Hierhandelt es sich um zwei wichtige Gesetzgebungsvorha-ben und man sollte seitens der Mehrheit etwas mehr aufgesellschaftlichen Konsens achten, damit Überprüfungendurch das Verfassungsgericht erst gar nicht beantragt wer-den.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die schöns-ten Urteile nützen nichts, auch wenn sie schnell erfolgen,wenn die Zwangsvollstreckung nicht möglich ist.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten[CDU/CSU]: So ist es!)

Nun wollen Sie die Pfändungsfreigrenzen auf 1 800 DMerhöhen. Wir halten sie für zu hoch. Es wird vor allen Din-gen den Mittelstand treffen. Viele mittelständische Unter-nehmen werden dann ihre Forderungen nicht mehr durch-setzen können. Auch das sollten wir dabei bedenken.Natürlich muss man darüber nachdenken, ob man diePfändungsfreigrenzen erhöht, aber nicht gleich auf1 800 DM. Da werden wir nicht mitmachen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich spielt auch die innere Sicherheit in derRechtspolitik eine ganz entscheidende Rolle. Da habenSie in den letzten drei Jahren versagt. Es liegt kein ernstzu nehmender Gesetzentwurf von Ihnen hierzu vor. Dasmuss einmal festgestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir diskutieren schon sehr lange über das Sanktionen-system; aber es liegt bis heute nichts auf dem Tisch. Aller-dings dürfen wir dafür dankbar sein; denn das, was anVorschlägen durchgesickert und bekannt geworden ist,lässt Böses ahnen.

Wir sind gegen den Halbstrafenerlass, weil er einfalsches Signal setzen würde. Wir sind auch gegen die ge-nerelle Einführung der gemeinnützigen Arbeit. Natürlichsoll es möglich sein, dass ein Straftäter über gemeinnüt-zige Arbeit einen Teil seiner Schuld abtragen kann.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Sehr gut!)

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Aber das darf nicht dazu führen, dass die Geldstrafe ge-nerell abgeschafft wird

(Alfred Hartenbach [SPD]: Das wollen wirdoch gar nicht!)

oder dass Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, wie es der Re-ferentenentwurf vorsieht, abgeschafft und durch gemein-nützige Arbeit ersetzt werden.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Aber es ist dochbesser, sie verdienen Geld, als dass sie Geldkosten, Norbert!)

Auch das halten wir für falsch. Der Täter wird sich da-rüber freuen. Die Rechtsordnung wird dabei Schaden neh-men.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlichgeht es bei der inneren Sicherheit vor allen Dingen um dieBekämpfung der schweren Kriminalität und des Terroris-mus. Es ist ein Fehler gewesen, dass die Nachrichten-dienste vernachlässigt worden sind. Das ist eine Kritik,die zum Teil auch unsere Regierungszeit betrifft; das istwahr.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehrgut!)

Aber es sei durchaus vermerkt, dass es Länder gab � essind Bayern und Baden-Württemberg �, die nicht mitge-zogen haben, die die Dienste und den Verfassungsschutzbeibehalten haben. Wie wichtig dieser Verfassungsschutzist, erfahren wir in diesen Tagen. Er muss aufgebessertwerden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn ich die Bekämpfung der Kriminalität und desTerrorismus anspreche, denke ich nicht nur an speziell in-nenpolitische Themen, sondern insbesondere an dieRechtspolitik. Wir haben noch vor dem Ende der Som-merpause einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem wir dieKronzeugenregelung in abgeänderter Form erneut vor-sehen, sodass jemand, der sich durch einen Prozess lügt,danach zur Rechenschaft gezogen werden kann und nichtdas in seiner Sache gefällte Urteil gilt, das aufgrund sei-ner Kronzeugenstellung milde ausgefallen ist.

In unserem Gesetzentwurf haben wir auch eine bessererechtliche Stellung des verdeckten Ermittlers vorgesehen.Wir halten den verdeckten Ermittler gerade im Bereichdes Terrorismus für äußerst wichtig. Das sagen uns auchdie Fachleute.

Wir meinen, dass zur Gewinnabschöpfung endlichVorschläge vorgelegt werden müssen. Wir legen einenVorschlag vor. Wir diskutieren gern mit Ihnen über Ver-besserungen dieses Vorschlages. Aber dies ist ein Thema,das beim Kampf gegen den Terrorismus eine ganz ent-scheidende Rolle spielt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zudem muss die Telefonüberwachung eine wichtigeRolle spielen. Wir arbeiten schon sehr lange daran, bei derTelefonüberwachung auch die Korruption einzubeziehen,was immer noch nicht passiert ist. Es ist mir schleierhaft,weshalb Sie dagegen sind. Als wir die Videoüberwachung

eingeführt und die Verfassungsänderung durchgeführt ha-ben, haben Sie erklärt, dass eine solche Ergänzung derTelefonüberwachung erfolgen muss. Bis heute haben Sienichts getan. Wir machen entsprechende Vorschläge.

Wir meinen aber auch, dass wir die Computerkrimi-nalität viel ernster nehmen müssen. Auch hier sind An-sätze für Terroristen vorhanden, die wir uns überhauptnoch nicht vorstellen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der Computerwurm Nimda, wie er genannt wird, hat in-nerhalb weniger Stunden 134 000 Computer angegriffen.Durch ihn ist ein Milliardenschaden entstanden. Dies sindAnsatzpunkte für geschickte Terroristen, um unser gesell-schaftliches und wirtschaftliches Leben unter Umständenzumindest für eine bestimmte Zeit lahm zu legen. Ichweiß, dass dies ein rechtlich schwieriges Gebiet ist, überdas wir diskutieren müssen. Vielleicht sollten Sie hier mituns wenigstens einen Schritt machen. In dem von mir ge-nannten Gesetzentwurf gegen die schwere Kriminalitätund den Terrorismus, den wir vorgelegt haben und wohlin zwei Wochen im Parlament diskutieren werden, habenwir entsprechende Vorschläge gemacht.

Im Rahmen der Kommunikationsüberwachung sollteden Firmen, die diese Kommunikationsmöglichkeiten zurVerfügung stellen, auferlegt werden, die Verbindungsda-ten, also wer wann wo mit wem telefoniert hat, für 90 Tagezu speichern. Auf diese Weise kommen wir schneller anNetzwerke der Terroristen heran. Notwendig dabei ist al-lerdings, dass Sie Ihr Gesetzgebungsvorhaben zum§ 12 FAG fallen lassen. Der Zugriff zu solchen Daten mussfür die Ermittler schnell möglich sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und denTerrorismus ist für die Rechtspolitik eine ständige Auf-gabe. Hier kann man sich nicht ausklinken. Wir haben inder Vergangenheit viel auf diesem Gebiet getan; aber esist nach wie vor eine Aufgabe der Zukunft.

Es bleiben die großen Fragen im Kampf gegen dieSexualdelikte.

Frau Ministerin, ich möchte Sie zum Schluss bitten, anIhrer Auffassung zum Komplex Humangenetik festzu-halten. Das ist eine Frage, die jetzt zurückgedrängt wor-den ist, die aber vor dem 11. September 2001 in den Me-dien sehr intensiv behandelt wurde. Bei der Bioethik undder Humangenetik geht es um die Frage des Schutzes desmenschlichen Lebens von Anfang an. Das ist eine rechts-politische Frage ersten Ranges, die uns in den nächstenJahren begleiten wird. Hier hoffe ich auf eine gute Dis-kussion. Die Botschaft unserer Kultur ist � das sollten wirdenen sagen, die uns angreifen � die Würde des Men-schen, die Wahrung seiner Freiheit und der unbedingteSchutz seines Lebens von Anfang an.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

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Vizepräsidentin Anke Fuchs: Ich erteile dem Kolle-gen Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Der öffentlicheRaum ist ein Raum für alle Menschen. Jeder und jede hatein Anrecht darauf, sich dort wohl und sicher zu fühlen.Wenn es um die Sicherheit des öffentlichen Raumes geht,ist es nicht entscheidend, mehr Kameras zu installieren,sondern es geht vor allem darum, dass die Menschen dasGefühl haben, dass sie sich in diesem öffentlichen Raumsicher bewegen können. Dafür brauchen wir Polizei, diesichtbar in Erscheinung tritt und, wenn notwendig, fürOrdnung sorgt.

Ich möchte � mein Kollege Volker Beck hat dies in derersten Runde bereits getan � auch für meine Person sagen,dass wir mit Blick auf Hamburg ein paar selbstkritischeTöne anschlagen müssen. Das gilt wohl für beide Par-teien, die dort regiert haben. Sie haben den Bereich der in-neren Sicherheit in Hamburg offensichtlich falsch einge-schätzt.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]:Einsicht ist der Weg zur Änderung!)

Vielleicht kann man das Gefühl für Sicherheit wiefolgt wiedergeben: Eine alte Dame hat genauso dasRecht, sich im öffentlichen Raum sicher zu bewegen undsich sicher zu fühlen, wie der Nichtdeutsche das Rechthat, sich in so genannten national befreiten Zonen aufzu-halten. Beides zusammen macht innere Sicherheit ausund dafür sollten wir uns in diesem Hause gemeinsameinsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg.Dr. Max Stadler [FDP])

Alle haben ein Recht darauf, sich jederzeit an jedem Ortfrei zu bewegen, egal, wie alt sie sind, wie gut sie sich be-wegen können und wie sie aussehen. Bei dem Thema in-nere Sicherheit ist ein ideologiefreier Ansatz gefragt unddiese Ideologiefreiheit würde ich mir auch bei Ihnen wün-schen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD � Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]:Entschuldigung! Ideologie haben Sie dochauch! In der Terrorismusbekämpfung! Finger-abdruck, Kronzeugenregelung!)

� Geschätzter Kollege, Sie haben mit den alten Ladenhü-tern wie der Kronzeugenregelung angefangen. Ihre Kol-legen sagen im direkten Gespräch mit uns, dass sich diealte Regelung nicht bewährt hat. Was sollen also die altenLadenhüter? Machen Sie doch kein Recycling von altenVorschlägen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD � NorbertGeis [CDU/CSU]: Machen Sie mal einen neuenVorschlag!)

� Wir können uns ja gerne einmal zusammensetzen; imBundesrat sind wir ja auf Sie angewiesen. Ich glaube aber,

ein Ideenrecycling wird den Anforderungen nicht gerecht,die seit dem 11. September an uns gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD � NorbertGeis [CDU/CSU]: Der Gesetzentwurf ist vomJuni, also weit weg vom 11. September!)

Ich will die Debatte über die Zuwanderung nicht wie-der eröffnen, weil diese bereits an anderer Stelle geführtwurde. Sehr gewundert hat mich aber Ihre klare Absagean einen Konsens; ich glaube, dies wird den Notwendig-keiten in keiner Weise gerecht. Ich empfehle Ihnen, dieIdeologen in Ihren Reihen an die Kette zu nehmen

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD � Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]:Wer hat denn Ideologen in seinen Reihen? Siehaben doch Ideologen in Ihrer Partei! Ich lachemich halb tot! Sie verwechseln die Parteien!)

und den Pragmatikern � ich denke an Herrn Müller ausdem Saarland; auch Herr Bosbach zählt sicherlich dazu �die Chance zu geben, mit uns gemeinsam über einen ver-nünftigen Antrag zu verhandeln, der sowohl im Bundes-tag als auch im Bundesrat eine Mehrheit findet.

Ich will � es ist schon einige Wochen her � noch etwaszu Genua sagen: Ich glaube, dass Herr Wiefelspütz mitseinen Äußerungen in der �Zeit� � Herr Zeitlmann hat esangesprochen � nicht Unrecht hatte. Wir alle verurteilendie Bilder der Gewalt, die wir in Genua gesehen haben.Die Gewalt, die dort vom so genannten schwarzen Blockausging, ist durch nichts zu rechtfertigen.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das war keine rechte Gewalt!)

Auch Polizisten haben ein Recht auf körperliche Unver-sehrtheit. Aber gerade in einer solchen Situation gilt fürdie Polizisten, die einen sehr schweren Job haben: EinRecht auf Rache besteht nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bilder, die wir aus der Turnhalle gesehen haben, wün-schen wir nicht in Rechtsstaaten zu sehen. Darum mussgewährleistet sein, dass die Vorkommnisse von Genuaschonungslos aufgeklärt werden. Wir wollen nicht, dassbeispielsweise in italienischen Gerichtsverfahren Aktenaus der Bundesrepublik Deutschland Eingang finden, diedokumentieren, dass jemand in Deutschland eine Ratssit-zung gestört hat. Man kann das für falsch halten, muss esvielleicht auch. Aber solche Auskünfte haben in einemGerichtsverfahren nichts verloren. So etwas wäre inDeutschland nicht möglich und sollte auch woandersnicht möglich sein.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber natürlich! Bei Gericht wird das Le-ben aufgeblättert! Sie haben keine Ahnung vonGerichten!)

Wenn Sie mit uns gemeinsam mehr europäische Kom-petenzen, wenn Sie eine verstärkte Zusammenarbeit derPolizei wollen � wir wollen das auch �, dann gehört dazuauch eine justizielle Kontrolle. Dazu gehört auch die

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Überführung von der dritten in die erste Säule. Auch hierempfehle ich Ihnen: Machen Sie bitte mit.

Auch die Informationsfreiheit gehört für mich in die-sen Themenbereich. Manche werden fragen: Warum wirddieses Thema gerade jetzt aufgegriffen? Angesichts derAnschläge vom 11. September wäre es doch eher ange-zeigt, dass wir uns darüber unterhalten, wie wir mehr in-nere Sicherheit erreichen. Ich finde aber, gerade weil die-ser Angriff der offenen Gesellschaft galt, ist es wichtig,dass wir als Signal setzen: Dieser Staat bleibt offen, die-ser Staat wird kein Obrigkeitsstaat. Wir beschwören nichtden preußischen Obrigkeitsstaat herauf, sondern wir wol-len, dass sich unsere Bürgerinnen und Bürger über das,was dieser Staat macht, aus allgemein zugänglichen Quel-len � Internet, direkte Anfragen � informieren können.Deshalb bin ich froh, dass auch bei der Unionsfraktion aufdiesem Feld ein Umdenken begonnen hat.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wann waren wir denn ein Obrigkeits-staat? Sie sind im falschen Staat! Sie verwech-seln uns mit der Türkei!)

� Ich werde auf diesen Zwischenruf nicht eingehen, weilich glaube, dass er unter Niveau ist, Herr Kollege. Mirsind die Unterschiede zwischen der BundesrepublikDeutschland und der Türkei bekannt. Ich hoffe, Ihnenauch. Wenn nicht, kläre ich Sie gerne auf.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich höre von einem Gesetzentwurf aus Nordrhein-Westfalen; ich finde das gut. Wir sollten so schnell wiemöglich � noch in dieser Legislaturperiode � das Infor-mationsfreiheitsgesetz auf den Weg bringen. Nur eineswill ich dazu sagen: Ich wünsche mir, dass auch im Ka-binett die Energie bei der Umsetzung des Informations-freiheitsgesetzes zunimmt. Ich bin froh, dass das BMI ei-nen Entwurf vorgelegt hat. Ich bin auch froh, dassbeispielsweise das Umweltministerium Vorschlägemacht, wie man noch darüber hinausgehen kann. Nichtnachzuvollziehen ist jedoch, dass jedes Ressort aus fürsich selbst vielleicht verständlichen Gründen erklärt,warum gerade in dem jeweiligen Ressort keine Informa-tionsfreiheit möglich ist. Hier empfehle ich etwas mehrEngagement.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Denkt auchan eure Bundesregierung!)

Genauso viel Engagement wünsche ich mir bei demThema �direkte Demokratie�. Herr Zeitlmann, IhreAusführungen haben mich schon sehr gewundert. Wo sitzter denn eigentlich gerade? � Ich glaube, er ist schon ge-gangen. Er fand die Debatte wahrscheinlich nach seinerRede nicht mehr so spannend. Vielleicht können Sie demKollegen Zeitlmann Folgendes ausrichten: Er sprach da-von, dass wir ständig Punkte aus dem Bereich der direk-ten Demokratie herausnehmen würden. Meine Damenund Herren von der Opposition, Sie haben es doch in derHand. Nehmen Sie das Angebot der SPD-Fraktion undvon Bündnis 90/Die Grünen an! Setzen Sie sich mit unszusammen an einen Tisch, verhandeln Sie über das Thema�direkte Demokratie� mit uns und bringen Sie Ihre Be-

denken ein! Wir werden uns zusammensetzen und einenKompromiss finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie wissen, wir sind im Bundestag wie im Bundesratauf Sie angewiesen, weil wir eine Zweidrittelmehrheitbrauchen. Nur, eines geht nicht: sich hier hinzustellen undzu sagen, die anderen wollten bestimmte Themen ausneh-men, und dann zu verhindern, dass direkte Demokratiedurchgesetzt wird. 75 Prozent der deutschen Bevölkerungwollen mehr Demokratie. Die Menschen wollen nicht nuralle vier Jahre ihr Kreuz machen und dann nach Hause ge-hen, sondern sie wollen auch zwischen den Wahlen mit-wirken. Helfen Sie uns, dass dies realisiert wird. Wir wol-len die direkte Demokratie. Erinnern Sie sich an dasbiblische Motto: �Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein.Was darüber ist, das ist vom Übel.�

(Alfred Hartenbach [SPD]: Das ist der Römer-brief!)

In diesem Sinne war das, was Herr Zeitlmann gesagthat, vom Übel.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. Zum ThemaSicherheit gehört auch das Waffenrecht. Wir haben ge-rade gesehen, wie wichtig es ist, dass man die Kontrol-len an den Flughäfen verschärft. Obwohl wir inDeutschland schon hohe Standards haben, wollen wirsie weiter erhöhen. Dazu gehört sicherlich auch dasThema �Waffen in der Gesellschaft�. Ich weiß, dassviele rechtschaffene Bürger, die sich nichts haben zu-schulden kommen lassen, unter Umständen auch be-troffen sein könnten. Vielleicht gibt es ja auch hier Kol-leginnen und Kollegen, die in ihrer Freizeit inSchützenvereinen oder als Jäger aktiv sind und Waffentragen. Aber ich glaube, wenn wir uns die Zahl von6 000 Waffen, die jedes Jahr in der BundesrepublikDeutschland verschwinden,

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber nicht von den Jägern und Sport-schützen, Herr Kollege!)

vor Augen führen, dann ist es wichtig, festzustellen, dasswir das Waffenrecht verschärfen müssen, Herr Kollege.Wenn Waffen verschwinden, reduziert das nicht die in-nere Sicherheit, sondern erhöht sie.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sportschützen und Jäger sollten dochwegen des Terrorismus nicht bestraft werden!)

Im folgenden Punkt unterscheidet sich unsere Auffas-sung von der in den Vereinigten Staaten von Amerika: Wirglauben nicht, dass mehr Waffen bei den Bürgerinnen undBürgern zu mehr innerer Sicherheit beitragen. Vielmehrwird umgekehrt ein Schuh daraus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie bei Abgeordneten derPDS)

Lassen Sie uns darum gemeinsam überlegen � auch hierist Ihre Mitwirkung gefragt �, wie wir dies umsetzen kön-nen. Ich bin froh � ich muss zum Schluss kommen �, dasswir beispielsweise auch bei Wurfsternen und bei sonsti-

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gen so genannten Kleinwaffen entsprechende Verschär-fungen vorgenommen haben.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber Sportschützen haben keine Wurf-sterne und Jäger auch nicht!)

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei der SPD und der PDS)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Das Wort hat jetzt derKollege Rainer Funke, FDP-Fraktion.

Rainer Funke (FDP): Frau Präsidentin! Meine Da-men und Herren! Der Justizhaushalt kann als klein, aberfein bezeichnet werden: klein, weil es sich um relativ ge-ringe Summen handelt; fein, weil ein ordnungsgemäßfunktionierendes Justizministerium für unsere Rechts-und Gesellschaftsordnung unerlässlich ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir danken in diesem Zusammenhang den Mitarbei-tern des Justizministeriums für ihre engagierte Arbeit imInteresse unseres Rechtsstaats.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNIS-SES 90/DIE GRÜNEN und der PDS � LudwigStiegler [SPD]: Und der hervorragenden Lei-tung!)

Herr Stiegler, jetzt kommt die Einschränkung. Wir ver-kennen aber nicht und kritisieren, dass aufgrund der poli-tischen Vorgaben die parlamentarischen Gremien mit Ge-setzen befasst werden, die manchmal nicht gründlichgenug vorbereitet worden sind

(Zuruf von der SPD: Das widerspricht sichaber!)

und vor allem durch die parlamentarischen Gremien ge-peitscht wurden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Gejagt!)

Ich glaube, wir als Parlamentarierinnen und Parlamen-tarier sollten uns das auf Dauer nicht gefallen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und derCDU/CSU)

Ich sehe durchaus ein, dass das eine oder andere Gesetzeinmal schneller beraten werden muss. Aber dies solltenicht, wie es in letzter Zeit der Fall ist, die Regel sein.

Nach langem Zögern hat die Bundesregierung ein Ur-hebervertragsrecht vorgelegt, das ja bereits seit langemangekündigt war. Wir sind ganz froh darüber, dass der sogenannte Professorenentwurf, der vor gut einem Jahr vor-gelegt worden ist, nicht Wirklichkeit geworden ist. Aberauch der jetzige Entwurf kann nicht recht befriedigen. Ichglaube, dass wir hier noch nacharbeiten müssen. Ich binausgesprochen glücklich darüber, dass in den Diskussio-nen angekündigt worden ist, dass das Justizministeriumbereit ist, den Dialog mit Urhebern und Verwendern

wieder aufzunehmen. Ich hoffe, dass wir hierüber weiterim Gespräch bleiben.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Aber schon für dieUrheber!)

Die Internationalisierung unseres Kapitalmarktrech-tes muss weiterhin voranschreiten, denn es gibt imGrunde genommen weltweit nur noch einen Kapitalmarktund die Vergleichbarkeit beispielsweise der Bilanzen wirdimmer notwendiger. Deswegen ist es auch erforderlich,das Kapitalmarktrecht, das Aktienrecht und auch die Vor-schriften des HGB immer stärker zu internationalisieren.Wir unterstützen Sie, Frau Ministerin, bei diesem Vorha-ben, sind allerdings der Meinung, dass dieses Vorhabendann auch im Bundesjustizministerium und nicht im Bun-desfinanzministerium angesiedelt sein sollte. Es gehört zuIhnen, weil es das Aktienrecht betrifft.

(Beifall bei der FDP)

Sie haben zu Recht die Bedeutung des Deutschen Pa-tent- und Markenamtes für die Innovationsfähigkeit derdeutschen Wirtschaft angesprochen und dabei ein biss-chen Vergangenheitsbewältigung betrieben. Ich gebe Ih-nen zu, dass dieses Thema in den 90er-Jahren nicht sehrglücklich behandelt worden ist. Das lag an den damaligenfinanziellen Verhältnissen; vom Bundesfinanzministergab es keine weitere Unterstützung. Wir freuen uns daher,dass Sie sich für die personelle Verstärkung des Patent-und Markenamtes eingesetzt haben. Trotzdem ist die Zahlder unbearbeiteten Fälle gestiegen; hier muss dringendAbhilfe geschaffen werden. Die FDP sichert Ihnen beiIhren Bemühungen um weitere personelle Verstärkung fürdieses Amt Unterstützung zu.

(Beifall bei der FDP � Ludwig Stiegler [SPD]:Das ist aber notwendig!)

Wir haben im letzten Jahr das Stiftungssteuerrechtfraglos verbessert, wenn auch vielleicht nicht in dem Um-fange, wie wir es gerne gehabt hätten. Damals haben Siezugesagt, auch das materielle Stiftungsrecht zu verbes-sern.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Das kommt!)

� Es kommt eben nicht, weil es in einer Bund-Länder-Kommission liegt, ohne dass dort irgendetwas passierte.Ich sage Ihnen voraus, dass Sie es in dieser Legislaturpe-riode nicht mehr schaffen, eine Vorlage einzubringen.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Wetten, dass?)

� Ich wette grundsätzlich nicht, vor allem nicht mit Sozi-aldemokraten.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Feigling! � NorbertGeis [CDU/CSU]: Das ist sehr klug! � WilhelmSchmidt [Salzgitter] [SPD]: Haben Sie immerverloren oder was? � Heiterkeit)

Auch hier bitten wir darum, dass wir eine so wichtige Ma-terie wie das Stiftungsrecht gründlich beraten können.

(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Ich möchte nicht, dass ein Gesetzentwurf dazu in den letz-ten Minuten dieser Legislaturperiode beraten wird.

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Ein wichtiges Thema ist heute noch nicht angeschnit-ten worden: die Frage der Juristenausbildung. Heutehabe ich aber einer Presseerklärung der SPD entnommen,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Auch von den Grünen!)

dass Sie, nachdem der Gesetzentwurf der FDP nunmehrseit einem Dreivierteljahr oder einem Jahr vorliegt, in dieSchuhe kommen wollen. Darüber bin ich sehr glücklich.

Die Vereinten Nationen haben früh erkannt, wiewichtig es ist, den Terrorismus im Bereich der Finan-zierung zu bekämpfen. So liegt seit dem 10. Januar2000, also seit etwa eineinhalb Jahren, eine Konventionzur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismuszur Zeichnung aus. Frau Ministerin, Sie haben dieseKonvention bereits angesprochen und erklärt, Sie hät-ten eineinhalb Jahre benötigt, um eine Übersetzung an-fertigen zu lassen. Ich verstehe durchaus, dass einesorgfältige Übersetzung vonnöten ist. Aber eineinhalbJahre sind ein relativ langer Zeitraum. Wir wären glück-lich, wenn wir diese Konvention alsbald ratifizierenkönnten.

Wir haben heute auch die Pfändungsfreigrenzen zubesprechen. Hier muss ein ausgewogener Interessenaus-gleich zwischen Gläubigern, Schuldnern, Anwälten unddem Mittelstand vorgenommen werden. Ich habe den Ein-druck, dass dieser Interessenausgleich noch nicht hinrei-chend berücksichtigt worden ist, aber darüber werden wirin den Ausschüssen gründlich miteinander beraten und,wie ich glaube, auch zu einem vernünftigen Ergebniskommen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und derCDU/CSU)

Die Bundesregierung unterstützt nunmehr den Vor-schlag des Bundesrates, dass im früheren Ostberlin derGebührenabschlag für Rechtsanwälte aufgehobenwird. In den anderen neuen Bundesländern wird er abernicht aufgehoben, obwohl Sie, Frau Ministerin, vor ein-einhalb Jahren dem Deutschen Anwaltverein zugesagthatten, Sie wollten bis zum Frühjahr dieses Jahres einePrüfung durchgeführt haben. Das Frühjahr ist vorbeige-gangen.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Es gibt aber nächs-tes Jahr wieder ein Frühjahr!)

Wir wären froh und dankbar, wenn Sie nunmehr IhreMöglichkeit, Verordnungen zu erlassen, nutzten.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Welches Jahr?)

� Nein, nein, 2001. Ich weiß das ganz genau; es geht nichtum das Jahr 2002.

Wir müssten die Gebührenordnung für die Rechts-anwälte unter strukturellem Aspekt wirklich überdenken.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Jetzt kommt er zurSache!)

� Nein, nein, das ist nicht mein ceterum censeo.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege Stiegler,ermuntern Sie ihn nicht, noch länger zu reden. Seine Re-dezeit ist abgelaufen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetztwird es erst interessant! � Ludwig Stiegler[SPD]: Jetzt ist er beim Bimbes!)

Rainer Funke (FDP): Herr Kollege Stiegler, Sie wis-sen es selbst und haben es auch vor diesem Plenum ge-sagt, dass eine strukturelle Neuordnung der Bundesge-bührenordnung für Rechtsanwälte vorgelegt werdenmuss.

(Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin:Das machen wir schon längst!)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Wir sind gespannt,was die Kollegen Rechtsanwälte da für sich herausholenwollen.

Jetzt hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler, PDS-Frak-tion, das Wort.

Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Frau Präsidentin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich beschränke mich wegenmeiner sehr begrenzten Redezeit auf einige wenige Be-merkungen zu den Vorlagen, deren Behandlung mit derdes Einzelplans Justiz verbunden worden ist. Die uns be-wegenden Fragen zum Haushalt werde ich dann in die Be-ratungen im Rechtsausschuss einbringen.

Zunächst zum Grundstücksrechtsbereinigungsge-setz: Auch meine Fraktion sieht natürlich die Notwendig-keit einer abschließenden Regelung im Bereich der ausDDR-Zeiten herrührenden öffentlichen Nutzung vonPrivatgrundstücken.

(Zuruf von der SPD: Dann stimmen Sie dochzu!)

Wir unterschätzen auch nicht die damit verbundenenSchwierigkeiten. Wir können der Regierungsvorlage trotzder erreichten Verbesserungen nicht zustimmen.

Die Ankaufslösung im Verkehrsflächenbereinigungs-gesetz bzw. die Möglichkeit der Bestellung einer be-schränkten persönlichen Dienstbarkeit ist zwar im Prinziprichtig; in der Anhörung wurde jedoch sehr deutlich, dassdie Regierung nicht über einigermaßen genaue Angabenverfügt, wie viele Grundstücke davon betroffen sind undwie hoch die Kosten des Ankaufs sind. Auch die Länderund die Kommunen können zum großen Teil noch keineverlässlichen Zahlen vorlegen, welche finanziellen Belas-tungen angesichts der meist sehr angespannten Haus-haltslage bis zum Jahr 2007 tatsächlich auf sie zukommenwerden, zumal neben den Ankaufspreisen weitere nichtgeringe Verwaltungs-, Vermessungs- und Notarkostenentstehen.

Bekanntlich gehen uns auch die vorgesehenen Präzi-sierungen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes in Be-

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zug auf die so genannten Überlassungsverträge nicht weitgenug, auch wenn die Änderung des § 12 Abs. 2 durchauseinen Fortschritt darstellt. Wir gehen jedoch weiter undschlagen vor, die Überlassungsverträge über Wohngrund-stücke generell in die Sachenrechtsbereinigung einzube-ziehen. Dazu liegt Ihnen ein Antrag meiner Fraktion vor.Die Überlassungsvertragsnehmer mussten die Pflichteneines Eigentümers übernehmen und sind diesen in allerRegel auch unter Einsatz umfangreicher eigener Aufwen-dungen nachgekommen. Deshalb sollten sie auch durchvollständige Einbeziehung in die Sachenrechtsbereini-gung wie Eigentümer behandelt werden.

Verfassungsrechtlich halten wir die vorgeschlageneÄnderung auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchausnoch für möglich, da sich die bisherige Regelung als nichtpraktikabel erwiesen hat.

Ich begrüße es, dass nun endlich der Regierungsent-wurf für ein Siebtes Gesetz zur Änderung der Pfän-dungsfreigrenzen vorliegt. Meine Fraktion hatte bereitsim September 1999, also vor zwei Jahren, einen diesbe-züglichen Antrag in den Bundestag eingebracht.

(Alfred Hartenbach [SPD]: Das war aber nichtdurchdacht!)

Seit 1992 blieben die Pfändungsfreigrenzen unverändert,obwohl sich die Lebenshaltungskosten, darunter vor al-lem die Mieten, drastisch erhöht haben. Viele erwerbs-tätige Schuldner und ihre Familien leben deshalb zum Teilbereits unter dem Existenzminimum. Die Heraufsetzungder Pfändungsfreigrenzen ist also mehr als gerechtfertigt.

Selbstverständlich begrüße ich es, dass die Regierungden in unserem Antrag enthaltenen Vorschlag aufgegrif-fen hat, die Pfändungsfreigrenzen aus ihrer Erstarrung,die über Jahre hinweg bestand, zu befreien und das Prin-zip der Dynamisierung einzuführen.

Über weitere Punkte können wir gern im Ausschuss re-den.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat der KollegeAlfred Hartenbach, SPD-Fraktion, das Wort.

Alfred Hartenbach (SPD): Was war das? Hört� ichrecht? War das der alte Geis?

(Heiterkeit)

Mich deucht, sein Mut hat ihn verlassen.

Verehrte Frau Präsidentin, das musste nach dieser sehrmaßvollen Rede des Kollegen Geis sein.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten allerFraktionen � Norbert Geis [CDU/CSU]: Falschgedeucht, Herr Kollege! Das muss noch schär-fer werden!)

Kommen wir nun zum Justizhaushalt. Der Justizhaushaltist vom Umfang her der kleinste Haushalt, aber das Justiz-ministerium hat, wie es der Kollege Funke bereits gesagthat, eine Fülle von Aufgaben. Dieser Fülle von Aufgaben

kommt nunmehr � neben den unbestreitbar seit langemschon guten Leistungen der Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter dieses Ministeriums � auch die politische Leitungnach. Wir haben die Zeiten des Stillstands, des Ausruhenshinter uns; wir haben auch die Zeiten hinter uns, als Jus-tizpolitik vom Innenminister, dem Schwarzgeld-OnkelKanther, gemacht wurde. Jetzt wird Justizpolitik wiederdort gemacht, wo sie hingehört.

Wir haben in der Vergangenheit unbestreitbar gute Er-folge erzielt. Dies war das Mietrecht,

(Beifall bei der SPD)

das nämlich doch ganz überwiegend Zustimmung gefun-den hat.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das Mietrecht isteine Katastrophe!)

Dies war die ZPO-Reform, die leider

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Völlig verun-glückt!)

� das sage ich deutlich � wegen der Unbeweglichkeit ei-niger nicht zum Ende geführt werden konnte. Aber da wirnoch acht Jahre lang diese Regierung bilden werden, wer-den wir auch das noch schaffen.

(Beifall bei der SPD � Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist aber eine stille Hoffnung!)

Weiter haben wir mit der Änderung des Insolvenzver-fahrens � ich zähle hier nur einige Punkte auf � endlichdas Verbraucherschuldenrecht, das Verbraucherinsol-venzverfahren handhabbar gemacht und dafür bekommenwir allenthalben großen Beifall. Das ist auch gut so.

(Beifall bei der SPD � Zuruf von der SPD: Ja,wir spenden jetzt auch Beifall!)

Wir haben uns in der letzten Zeit � gestern haben wir diesabgeschlossen � auch der Modernisierung unseres Bür-gerlichen Gesetzbuchs angenommen. Die alte Bundes-regierung hat so getan, als sei das Bürgerliche Gesetzbuchein Trockenblumenstrauß, den man irgendwo hinhängenkönne und dort bleibe er unverändert. In der Tat ist es abereine Grünpflanze, die immer wieder gepflegt werden will.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Auch mit roten Blü-ten! � Norbert Geis [CDU/CSU]: Wo hat dernur seine blumige Sprache her! Er ist ja ein rich-tiger Lyriker geworden!)

Sie haben sich da sehr lange auf welkem Lorbeer ausgeruhtund gemeint, dieser Trockenblumenstrauß halte noch ewig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir hätten eigentlich erwartet, dass Sie sich hier imparlamentarischen Verfahren mit uns um die beste Lösungstreiten; statt dessen haben Sie als politischer Milizionärentpuppt, indem Sie sich im Verborgenen hinter die Län-der geduckt haben, so wie sich Herr Steffel hier beim Ei-erwerfen hinter Stoiber geduckt hat. Dann behaupten Sie,wir hätten das durchgepeitscht. Ich habe auch bei der FrauMinisterin noch keine Peitsche gesehen.

(Heiterkeit)

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Dr. Evelyn Kenzler

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Was sie meisterlich beherrscht, ist ihre Homepage. Viel-leicht verwechseln Sie das, weil Sie sprachlich nicht soganz �drauf� sind.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Niemand von unshat das Wort �Peitsche� gebraucht! Das musstevon der Regierungspartei kommen!)

Wir bringen heute ein Gesetz über die Pfändungsfrei-grenzen ein.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Darüber müssenwir einmal reden!)

Es wurde Zeit, dass hier etwas geschah.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Drei Jahre habt ihrZeit gehabt!)

Denn 1992 war die letzte Erhöhung und mittlerweile ha-ben sich die Lebenshaltungskosten kräftig entwickelt.

Dann bleiben wir doch bitte auch bei der Wahrheit,Kollege Geis, und sagen wir, wie es tatsächlich ist: dasses sich nämlich wirklich um maßvolle Erhöhungen han-delt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: 50 Prozent!)

� Sehen Sie, Sie können nicht nur nicht rechnen, Sie re-den hier auch noch falsch Zeugnis.

(Heiterkeit bei der SPD � Jörg Tauss [SPD]: Ju-risten rechnen nicht! � Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist eine einfache Rechnung!)

2 900 DM sind die Pfändungsfreigrenze für einen Fami-lienvater mit zwei Kindern. Das sind genau 153 DMmehr, als er vorher als Pfändungsfreigrenze hatte. Wenndas 50 Prozent sind, dann haben Sie natürlich Recht.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: 500 zu 800 sind gut50 Prozent! � Rainer Funke [FDP]: Dann lesenSie einmal die Stellungnahme des DeutschenAnwaltvereins!)

Mit Ihrer wirklich unfairen Pressekampagne zeigen Sie,dass Ihnen eines gänzlich abgeht, nämlich soziales Ver-ständnis. Dann werfen Sie auch noch die Restschuldbe-freiung mit der Pfändung durcheinander. Das sind zweivöllig verschiedene Dinge!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Norbert Geis [CDU/CSU]:Das hat ja keiner gemacht!)

Es ist nämlich nicht so, dass derjenige, der eine erhöhtePfändungsfreigrenze hat, ein Interesse daran hat, nichtsmehr zu tun, ganz im Gegenteil: Diejenigen, die wissen,dass es sich lohnt, zu arbeiten, bleiben bei der Arbeit undwerfen die Arbeit nicht hin, wie das in der Vergangenheitoft der Fall war.

Wir werden dieses Gesetz natürlich mit Ihnen beraten.Wir werden auf alle hören. Ich denke, es ist richtig, dasswir endlich zeigen, dass in diesem Land auch diejenigen,die nicht auf Rosen gebettet sind, am wirtschaftlichen Le-ben teilhaben können und teilhaben müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben endlich auch in das Gesetz eingefügt � dashaben Sie ja völlig übersehen �, dass alle zwei Jahre diePfändungsfreigrenzen angepasst werden müssen. Danngibt es nämlich nicht wieder diese großen Sprünge. Dannkommt es zu vernünftigen, maßvollen Erhöhungen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist ja nicht ver-kehrt! Darüber kann man ja reden! � Eckart vonKlaeden [CDU/CSU]: Kein Wunder bei der In-flation!)

Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Grundstücks-rechtsbereinigungsgesetz. Auch dabei entziehen Sie sichder Verantwortung. Sie vertreten Einzelinteressen, Privat-interessen und lassen das Allgemeinwohl � Sie habennachher sieben Minuten Zeit, darauf einzugehen, FrauVoßhoff � völlig aus den Augen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist nicht unsere Art. Wir stellen das Allgemeinwohlbei diesem Grundstücksrechtsbereinigungsgesetz in denVordergrund.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da verletzen Siegrob das Allgemeinwohl!)

Hätten Sie damals, 1990, vernünftige Gesetze gemacht,bräuchten wir uns heute überhaupt nicht mehr über dieseFrage zu unterhalten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden, so wie es Herr Funke heute richtig gesagthat, nach sehr sorgfältiger Beratung � die Sie ja immervon uns anmahnen, Herr Funke �

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das kennen wir!Das geht ganz schnell bei Ihnen mit der Sorg-falt!)

ein neues Gesetz zur Juristenausbildung vorlegen. Wirlegen großen Wert darauf, dass nach diesem Gesetz nichtmehr nur die als Richter eingestellt werden, die als Ein-ser-Subsumtionsmaschinen nur subsumieren: So ist derTatbestand, das kommt unten dabei heraus. Wir wollen,dass die Richterinnen und Richter, die Recht sprechen,über Lebenserfahrung, Berufserfahrung und vor allenDingen über soziale Kompetenz verfügen. Das halten wirfür den richtigen Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD � RainerFunke [FDP]: Schwacher Beifall!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie das so ist: DieOpposition unterbricht einen pausenlos. Ich habe das, wasich sagen wollte, aber gesagt. Wir haben mit diesem Jus-tizhaushalt den Weg des Fortschritts, den Weg der Mo-dernisierung weiter beschritten. Dazu gehört auch, dasswir � ich möchte das wiederholen � entsprechende wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen schaffen. Da haben wirnicht so sehr viel zu bieten; aber wir können das Patent-und Markenamt � da geschieht etwas � anführen. Wennbeim Patent- und Markenamt die Anträge zügig bearbei-tet werden, wird sich das positiv auf die deutsche Wirt-schaft auswirken.

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Alfred Hartenbach

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Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, kom-men Sie bitte zum Schluss.

Alfred Hartenbach (SPD): Ich möchte mich an dieserStelle, verehrte Frau Präsidentin, sehr herzlich bei der Jus-tizministerin bedanken

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

für die Art, wie sie uns mitnimmt auf dem Weg, die Justizzu modernisieren, für die Art, wie sie sich auch gegen Wi-derstände durchsetzt. Ich denke, verehrte Frau Justizmi-nisterin, diesen Weg gehen wir gemeinsam weiter. Wirwerden dann zeigen, dass wir eine vernünftige und guteJustizpolitik machen.

Vielen Dank, auch für Ihre Geduld, Frau Präsidentin.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nun hat das Wort dieKollegin Andrea Voßhoff für die CDU/CSU-Fraktion.

Andrea Voßhoff (CDU/CSU): Frau Präsidentin!Meine Damen und Herren! Der Kollege Hartenbach hates schon angesprochen und es ist vorhin auch schon vonder Kollegin Kenzler erwähnt worden: Neben demThema Justizhaushalt und der damit verbundenen politi-schen Weichenstellung in der Rechtspolitik, zu der esnoch die eine oder andere Anmerkung meinerseits zu ma-chen gäbe, beschränke ich mich auf den Gesetzentwurf,der heute abschließend beraten werden soll. Dabei gehtes um die Bereinigung noch offener Fragen des Rechts anöffentlich genutzten Grundstücken in den neuen Län-dern.

Mit dem dazu von der Bundesregierung vorgelegtenEntwurf soll eine weitere Klärung noch offener Fragen inden neuen Ländern herbeigeführt werden. So weit, so gut.Dieses Ansinnen ist dem Grunde nach auch richtig undmit Blick auf das am 30. September dieses Jahres auslau-fende Moratorium für öffentlich genutzte Grundstückeauch notwendig. Wenn wir dem vorgelegten Entwurfheute dennoch nicht zustimmen, dann nicht deshalb, weilwir den Regelungsbedarf verkennen.

(Zuruf von der SPD: Weil Sie nicht wollen!)

� Nein, weil genau das eingetreten ist, was wir befürchtethaben. Durch unnötigen Zeitdruck sind die Qualität unddie Sorgfalt, die eine abschließende Regelung dieserFrage erfordert hätte, auf der Strecke geblieben.

(Beifall bei der CDU/CSU und FDP)

Meine Damen und Herren, der Zeitdruck, unter demdas parlamentarische Beratungsverfahren stand, hat auchnichts mit dem Ablaufen der Frist am 30. September die-ses Jahres und einer notwendigen Anschlussregelung zutun. Wir hätten uns in diesem Hause nur früher damit be-schäftigen müssen. Die von uns aufgeworfenen Fragenhätten dann auch sorgfältig beraten und abgearbeitet wer-den können.

Das parlamentarische Beratungsverfahren Ende Junidieses Jahres, also drei Wochen vor der Sommerpause, zubeginnen und das Gesetz schon in der zweiten Sitzungs-woche nach der Sommerpause zu beschließen, entsprichtdem Grundsatz rot-grüner Rechtspolitik: Augen zu unddurch.

Die von der CDU/CSU eingeforderte Anhörung, diewir in der Sommerpause durchgeführt haben, hat gezeigt:Trotz der guten Vorarbeit auf Bund-Länder-Ebene � diesekonzediere ich gerne � bestand und besteht immer nochÄnderungsbedarf.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gerade für abschließende Regelungen offener Grund-stücksfragen in den neuen Ländern besteht ein hohes Maßan Verpflichtung, für Rechtsklarheit und Rechtsfriedenzu sorgen. Jede abschließende Regelung der offenen Fra-gen � auch die heute vorliegende ist eine solche � solltedaher in besonderem Maße von Qualität und Sorgfalt ge-prägt sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sorgfalt heißt in diesem Fall, im Jahre 11 nach der Wie-dervereinigung, Regelungsklarheit und Regelungssicher-heit für die Betroffenen. Ich gestehe zu, dass diese in demvorliegenden Entwurf wohl dank der Zuarbeit der Ländervon der einen oder anderen Stelle auch umgesetzt wurden.

Aber, meine Damen und Herren von der Regierungs-koalition und Frau Justizministerin, was werden Sie demEigentümer sagen, der nach diesem Gesetz künftig einGrundstück an die Kommune veräußern muss, der die Ablösung der Altlast, wenn es sich um eine im Grundbucheingetragene handelt, von der er nicht einmal einenwirtschaftlichen Vorteil gehabt hat � ich nenne das Stich-wort Abgeltungshypothek �, in der Summe höher ist alsder von Ihnen in der Entgeltbegrenzung festgelegte Kauf-preis? Was heißt das unterm Strich? � Der Eigentümergibt sein Eigentum auf, er verliert es, und er muss dabeinoch draufzahlen. Das hat nichts mit einseitigerInteressenvertretung zu tun.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Unerträglich istdas!)

Ich halte es für verfassungsrechtlich bedenklich und da-her für nicht zustimmungsfähig.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Verfassungs-widrig!)

Meine Bedenken gerade in dieser Frage sind in denBeratungsgesprächen auch durch die Antwort des Justiz-ministeriums, dass solche Fälle bisher noch nicht bekanntsind, nicht beseitigt worden. Auch die zu diesem Problemgestern im Rechtsausschuss vorgelegte Änderung löst dasProblem nicht. Ihre Neuregelung in § 7 besagt nämlichnichts anderes, als dass der Gläubiger zwar auf seinegrundbuchliche Absicherung verzichten muss, nicht aberauf sein Geld.

Die Bereinigung offener Grundstücksfragen kann imJahre 11 nach der Wiedervereinigung mit anderen Erfah-rungswerten gestaltet werden, als das in den Anfangsjah-ren der Fall war. Wir könnten heute selbstverständlich

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einen viel besseren Überblick über die zu regelnden Pro-blemfälle haben als damals. Ich sage deshalb �könnten�,weil es in diesem Beratungsverfahren leider keine Klar-heit zum Umfang der betroffenen Fälle gab. Es hieß, eskönnten hunderttausend, aber auch weit mehr sein. Mitwelchen grundbuchlichen Belastungen diese Grund-stücke noch behaftet sind, ist ebenso unklar.

Neben diesem von mir angeschnittenen Problem gibtes weiteren Regelungsbedarf für die stillgelegten Depo-nien. Hier ist zwar im Zuge der Anhörung und der Bera-tungen eine Änderung des Gesetzentwurfs erfolgt, aberdiese bezieht sich nur auf die genutzten Deponien. Wasaber macht ein Eigentümer, dessen Grundstück zu DDR-Zeiten von der Kommune als Deponie genutzt wurde,diese nun stillgelegt wurde, gleichwohl aber, wie es beiDeponien üblich ist, kontaminiert und damit wertlos ge-worden ist?

Auch die Ankaufsfrist der Kommunen bis zumJahre 2007 ist nach unserer Auffassung für den Ei-gentümer nur schwer zumutbar, heißt es doch, dass erunter Umständen noch weitere sechs Jahre auf eine ab-schließende Regelung warten muss. Wir sehen sehrwohl auch die Umsetzungsprobleme, wenn die Frist füralle genannten Fälle einfach nur verkürzt werdenwürde. Wir haben in der Anhörung vernommen, wieschwierig es für viele Kommunen ist. Eine diffe-renzierte Frist für die im Gesetz genannten Verkehrs-flächen einerseits und die sonstigen Flächen anderer-seits wäre aber denkbar gewesen.

(V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss)

Zur Vermeidung weiterer finanzieller Belastungenfür die Kommunen, die neben der Kaufpreiszahlungauch die gesamten Abwicklungskosten des Kaufvertragszu tragen haben, hätten wir uns eine Befreiung der Kom-munen von der Grunderwerbsteuerpflicht bei diesen Er-werbsfällen gewünscht.

Meine Herren, meine Damen, zu unserer Ablehnungdes Gesetzentwurfs lasse ich den Vorwurf, der im Rechts-ausschuss erhoben wurde, wir würden rigide Oppositi-onspolitik betreiben, nicht gelten. Ich habe im Beratungs-gespräch nach der Anhörung bereits dezidiert auf dieeinzelnen Problemfälle aufmerksam gemacht und unsereBedenken dazu geäußert. Ich habe auch unseren kon-struktiven Beitrag angeboten, hier Lösungswege zu fin-den und sie mitzutragen.

Wenn Sie von uns konkrete Regelungsvorschläge zuden aufgeworfenen Problemen erwarten � das klang in dergestrigen Sitzung des Rechtsausschusses an �, erwidereich Ihnen: Auch die CDU/CSU kann in der von Ihnen zuverantwortenden zu kurzen Zeit für die Beratung überdieses Gesetzgebungsvorhaben nicht das nachholen, wasSie in drei Jahren Ihrer Regierungszeit nicht geschafft ha-ben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir helfen Ihnen ja immer gerne auf die Sprünge. Nur, ineiner Woche die Schuldrechtsreform im Ausschuss abzu-schließen und mal eben so auch über das vorliegende Ge-setz abschließend zu beraten, das entspricht Ihrer

Hauruckgesetzgebung, aber nicht unserem Verständnisvom Gesetzgebungsauftrag des Bundestages.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Der letzte Redner indieser Debatte ist der Kollege Christian Ströbele für dieFraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum Grundstücksrechtsbereinigungsgesetzmöchte ich nur sagen, dass es ein gutes Gesetz ist und dasswir es heute verabschieden sollten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schade!)

Zwar ist das eine wichtige Materie. Aber heute gibt esnoch Wichtigeres, worüber diskutiert werden muss. Des-halb werde ich die wenigen Minuten meiner Redezeit aufeinen anderen Punkt verwenden.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Obwohl das einwichtiges Gesetz ist!)

� Ein sehr wichtiges Gesetz!

Ich habe für den Deutschen Bundestag kandidiert

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Oh!)

und sehe meine Aufgabe in der Politik unter anderemdarin, Gesetze, die unter einer terroristischen Bedro-hung in den 70er-Jahren vom Deutschen Bundestag er-lassen worden sind, und Maßnahmen, die damals einge-leitet und umgesetzt worden sind,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die waren not-wendig!)

zu überprüfen und eventuell zu korrigieren.

Heute befinde ich mich in einer Situation, in der wie-der wegen einer terroristischen Bedrohung uns allen, auchmir und meiner Fraktion, die Entscheidung abverlangtwird, ob es mehr Repressionen geben soll und die Frei-heitsrechte stärker eingeschränkt werden sollen. Ichmöchte nicht, dass man in einem Vierteljahrhundert überden heutigen Deutschen Bundestag und die heutige Ge-sellschaft sagen wird: Was haben die damals aus Angstvor einer bestimmten Form des Terrorismus, wie er inNew York und Washington sichtbar geworden ist, bloßmit dem Rechtsstaat und der freiheitlichen Demokratiegemacht!

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir haben doch den Terror der RAF auchdamit kaputtgekriegt!)

Deshalb ist für mich und meine Fraktion wichtig, dass beiallen Maßnahmen, die jetzt vorgeschlagen werden undüber die wir diskutieren, bestimmte Leitprinzipien ein-gehalten werden:

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Für uns ist dasauch wichtig!)

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Erstens. Wir müssen alle vorgeschlagenen gesetzgebe-rischen, finanziellen und sonstige Maßnahmen daraufhinüberprüfen, ob sie geeignet gewesen wären, eine solcheForm des Terrorismus, wie er in den USA sichtbar ge-worden ist, zu verhindern bzw. das Risiko eines solchenAnschlags zu vermindern.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist selbstver-ständlich!)

� Das ist nicht immer selbstverständlich gewesen, HerrKollege Geis.

Zweitens. Wir müssen uns bei jeder einzelnen Maß-nahme und bei jedem Gesetzesvorhaben immer fragen: Istdie Einschränkung der persönlichen Freiheit und der Frei-heitsrechte der Gesellschaft nicht zu groß im Vergleich zudem, was mit der entsprechenden Maßnahme in der Ge-sellschaft erreicht werden kann?

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenn sie notwen-dig ist!)

Anhand dieser Kriterien wollen wir über alles scho-nungslos, rückhaltlos und vorbehaltlos diskutieren.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sie haben die Wirksamkeit der damali-gen Gesetze auch bezweifelt!)

Auch ich bin dafür, dass es Maßnahmen geben muss, die inZukunft solche terroristischen Anschläge wie die in denUSA verhindern helfen � ich glaube, das ist das wichtigsteZiel � und die dazu beitragen, dass die Verantwortlichen die-ser Anschläge wirksam zur Rechenschaft gezogen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber alles, was darüber hinausgeht, müssen wir vermeiden,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir werden esschon nicht übertreiben!)

weil sich eine parlamentarische, tolerante, freiheitlicheund rechtsstaatliche Gesellschaftsordnung nicht nur beiSchönwetterlagen, sondern gerade in einer solchen Aus-nahmesituation wie der jetzigen bewähren muss.

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, gibt es eineReihe von Maßnahmen, mit denen wir uns anfreundenkönnen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Mit welchennicht?)

� Einige Maßnahmen, die Sie vorgeschlagen haben � icherwähne nur § 12 FAG, die Kronzeugenregelung und dengeplanten § 129 b StGB �, gehen uns in der jetzigen Formzu weit. Das heißt nicht, dass wir darüber nicht weiterhindiskutieren sollten, um Lösungen zu finden, mit denen wiralle leben können und die wir alle auch noch in 25 Jahren� ich bin dann schon sehr alt � rechtfertigen können. Wirsollten dann sagen können: Es war richtig und notwendig;wir haben die freiheitliche, tolerante Demokratie trotz-dem nicht aufgegeben, sondern wir haben die rechtsstaat-lichen Regeln gewahrt. � Das ist unser Leitprinzip.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so-wie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Weitere Wortmeldun-gen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 14/6812 an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. � Ich sehe keinenWiderspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Entwurf eines Grund-stücksrechtsbereinigungsgesetzes, Drucksachen 14/6204,14/6466 und 14/6964. Ich verweise darauf, dass es zweipersönliche Erklärungen zur Abstimmung gibt, zum einenvom Kollegen Hans-Joachim Hacker1) und zum anderenvom Kollegen Günter Nooke. Der persönlichen Erklärungdes Kollegen Nooke haben sich mehrere Kolleginnen undKollegen der CDU/CSU-Fraktion angeschlossen.2)

Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag derFraktion der PDS auf Drucksache 14/6966 ab. Wer stimmtfür den Änderungsantrag? � Wer stimmt dagegen? � Ent-haltungen? � Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmender PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in derAusschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-chen. � Wer stimmt dagegen? � Enthaltungen? � Der Ge-setzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stim-men von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. � Werstimmt dagegen? � Wer enthält sich? � Der Gesetzentwurfist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP undPDS angenommen.

Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft, Einzelplan 10, sowie zum Geschäfts-bereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Ein-zelplan 15.

Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 cauf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführungund Verwendung eines Kennzeichens für Erzeug-nisse des ökologischen Landbaus (Öko-Kennzei-chengesetz � ÖkoKennzG �)� Drucksache 14/6891 �Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (f)Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Hans-Christian Ströbele

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1) Anlage 32) Anlage 2

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b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführungdes diagnoseorientierten Fallpauschalensystemsfür Krankenhäuser (Fallpauschalengesetz � FPG)� Drucksache 14/6893 �Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit (f)Ausschuss für Arbeit und SozialordnungVerteidigungsausschussAusschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-abschätzung

c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPDund des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge-brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzungder Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflege-bedürftigen mit erheblichem allgemeinen Betreu-ungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz �PflEG)� Drucksache 14/6949 �Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Gesundheit (f)Ausschuss für Arbeit und SozialordnungAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendHaushaltsausschuss

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst dieBundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft, Renate Künast.

Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrte FrauPräsidentin! Meine Damen und Herren! Beim Start derAgrarwende vor neun Monaten sahen manche auf denOppositionsbänken den Untergang der deutschen Land-wirtschaft herannahen. Doch die Wirklichkeit sieht andersaus.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir habenIhnen zu viel zugetraut!)

Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts schätzen die Land-wirte in Deutschland ihre wirtschaftliche Lage im Som-mer dieses Jahres besser als vor einem Jahr ein. Sie haltenihre Lage im Jahr 2001 also für besser als vor derBSE-Krise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Wie kommt�s? Die Landwirte haben in diesem Jahreine hervorragende Getreideernte eingebracht. Auch beiRaps gab es sehr gute Erträge.

(Marita Sehn [FDP]: Damit haben Sie garnichts zu tun!)

� Zunächst einmal beschreibe ich hier die Ernte. Das wirdman als Agrarministerin wohl noch dürfen, oder?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENsowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Getreideernte ist hervorragend. Die Erzeuger-preise von Raps liegen 20 Prozent höher als im letztenJahr. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind die Erträge der

Milchbauern um 9 Prozent gestiegen. Auch in der Schwei-nemast hat sich die Situation erheblich verbessert. Dorthat man ordentliche Gewinne erwirtschaftet. Unser einzi-ges Problem betrifft den Rindfleischmarkt. Er hat sich � dank der konsequenten Maßnahmen der Bundesregie-rung � wieder ein gutes Stück erholt.

Trotzdem gibt es in diesem Bereich im AugenblickSchwierigkeiten. Die Schwierigkeiten dort haben einenNamen: mangelndes Vertrauen der Verbraucherinnen undVerbraucher in die Lebensmittelsicherheit. Deshalbmuss Lebensmittelsicherheit für uns das Thema Nummereins sein. Unser Interesse ist es, das Vertrauen der Ver-braucher zu stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Das Vertrauen der Verbraucher ist sozusagen das Kapitalder deutschen Landwirtschaft. Das ist ihre Zukunft. Des-halb wollen wir mit einer nachhaltigen Landwirtschaftaus der alten Sackgasse herausfinden.

Ich denke, dass der Haushalt 2002 im Bereich Er-nährung und Landwirtschaft ein Dokument der Zukunft-sorientierung ist. Wir wollen damit sichere und gesundeLebensmittel, umweltverträgliche und artgerechte Le-bensmittelerzeugung sowie neue Perspektiven für dieLandwirte und für den ländlichen Raum erreichen. Des-halb gibt es an dieser Stelle konkrete Maßnahmen.

Ich weiß, dass manche von Ihnen gehofft haben, dieAgrarwende würde am Geld scheitern. Nun stellen wirfest, dass die Länder und nicht der Bund zu wenig Geld andieser Stelle investieren. Insbesondere die Kolleginnenund Kollegen von der CDU/CSU werden versuchen, dasZiel auf andere Weise zu erreichen. Ich hoffe, Sie habenErfolg, weil wir alle um die Zukunft der Landwirtschaftkämpfen. Ich biete Ihnen meine Unterstützung an, wennin Ihrem Bundesland die Maßnahmen noch nicht entspre-chend umgesetzt werden konnten.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie haben in meinem Wahlkreis nochnicht einmal das Gespräch mit den Bauern ge-sucht, geschweige denn ein Angebot gemacht!)

Die Fundamente sind gelegt. Der ökologische Land-bau wird durch höhere Prämien, durch verbesserte För-derung der Vermarktung und der Verarbeitung der Pro-dukte stärker gefördert als bisher, damit die Vermarktungvon Ökomilch als Ökomilch am Ende nicht wie in denvergangenen Jahren und Jahrzehnten zum Beispiel an fehlenden Abfüllanlagen scheitert, nicht wahr, HerrCarstensen?

Der konventionelle Landbau erhält Anreize, beimUmwelt- und Tierschutz höhere Standards als gesetzlichvorgeschrieben umzusetzen. Wir tun auch einiges für dieEntwicklung der ländlichen Räume, zum Beispiel durchdie Aktivitäten im Hinblick auf die Modellregionen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Ein Teil unserer Aktivitäten bezieht sich auf das Bio-siegel. Wir beraten dazu heute das Öko-Kennzeichenge-

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setz, das von den beiden Regierungsfraktionen eingebrachtwurde. Ich weiß, es hat an der einen oder anderen StelleKritik gegeben. Aber ich kann Ihnen sagen � das wird dieOpposition natürlich mit Neid erfüllen �, dass die Beson-derheit dieses Siegels darin liegt, dass alle mitmachen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD � Zuruf von der CDU/CSU:Das ist ein Rückschritt!)

� Während Ihrer Regierungszeit hat es ein ÖPZ-Siegel ge-geben, bei dem nicht einmal 10 Prozent der Ökolandwirtein Deutschland mitgemacht haben. So groß war Ihre wirt-schaftliche Kompetenz. Wir gehen es anders an. Bei un-serem Siegel machen 100 Prozent mit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Das war nicht einfach. Wir haben uns angestrengt und Er-folg gehabt. Selbst die Öko-Prüfzeichen GmbH kann sichdarauf umstellen, ohne dass sie Aufgaben abgeben muss.Sie wird in Zukunft informieren.

Wir haben gemeinsam, angefangen beim Lebensmittel-einzelhandel bis zum ökologischen Landbau, vereinbart,dass wir daran arbeiten werden, dass die EG-Ökoverord-nung überarbeitet wird. Wir arbeiten an einem Memoran-dum. Wir haben bereits mit der Kommission und mit anderen Mitgliedstaaten eine Vereinbarung darüber ge-troffen, dass die Anforderungen zumindest in einigenPunkten erhöht werden. All diejenigen unter Ihnen, dierechnen können,

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Im Rechnen haben Sie doch einen blauenBrief gekriegt, wie Sie im Ausschuss gesagt haben!)

werden leicht erkennen, dass für Umwelt- und Natur-schutz und damit für die Reduzierung der Folgekosten, fürdie der Steuerzahler aufkommen muss, mehr getan ist,wenn der Anteil der Ökolandwirte verdoppelt wird, alswenn es weiterhin nur 10 Prozent Ökolandwirte gibt, dienach höheren als den EG-Standards arbeiten.

Wir wollen also das Niveau der EG-Verordnung er-höhen. Aber das ist noch nicht alles. Wir werden auch dieKontrolle verbessern. Wir kennen einen aktuellen Fall ausBayern � Sie alle haben darüber gelesen �, bei dem derVerdacht geäußert wurde, dass aus Drittländern impor-tierte Ware gar nicht öko ist. Das zeigt, dass die Länder-und die Bundeskontrolle an dieser Stelle noch verbessertwerden müssen.

Als Ergänzung haben wir im Haushalt ein Bundes-programm �Ökologischer Landbau� verankert, umLöcher, die Jahrzehnte lang bestehen blieben, zu stopfenund um Defizite bei der Forschung, bei der Be- und Ver-arbeitung zu beheben. Wir wissen, dass die Zahl der Öko-bauern in Deutschland deshalb so klein geblieben ist, weildie Vermarktung ihrer Produkte in der Vergangenheitnicht gefördert wurde und sie sträflich allein gelassenwurden. Das wollen wir ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Da Sie von der CDU/CSU und von der FDP immer Ihrewirtschaftliche Kompetenz herausstreichen, werden Sieneidvoll betrachten,

(Marita Sehn [FDP]: Wir sind überhaupt nichtneidisch, im Gegenteil!)

dass wir es geschafft haben, gemeinsam mit der Wirt-schaft, mit der CMA und auch mit dem Bauernverbandein Siegel für die konventionelle Landwirtschaft zu er-arbeiten. Mit dem Einstieg im Bereich Fleisch wollen wirdas magische Sechseck gewissermaßen zusammenbrin-gen. Wir diskutieren im Augenblick über eine durch-gehende Dokumentation und über Zusatzkriterien. Wennwir es schaffen, dass auch nur die Hälfte der konventio-nellen Bauern im nächsten Jahr auf dieses Siegel umstellt,was, wenn der Bauernverband mitmacht, geschehen kann,dann werden wir allein durch die Nichtverwendung vonTiermehl und die Nichtverwendung antibiotischer Leis-tungsförderer einen grandiosen Beitrag dazu leisten, dassdie Tiere artgerecht gehalten werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD � Zurufe von der CDU/CSU:Hören Sie doch auf!)

� Ich verstehe Ihren Neid!

Wir gehen des Weiteren die Modulation an. Das heißt,dass von Direktzahlungen für die Produktion auf Agrar-umweltmaßnahmen umgesteuert wird. Ich weiß, die Län-der � egal, welcher Couleur � tun sich schwer, an dieserStelle mitzuarbeiten. Ich weiß aber auch, dass sich geradebei den jungen Landwirten und bei den Studentinnen undStudenten eines durchsetzt � das haben auch Gespräche,die ich rund um den Bauerntag in Münster mit jungenLandwirten geführt habe, gezeigt �: Der Markt verändertsich, und zwar so, dass die Bauern heutzutage genau nach-rechnen, was die nächste WTO-Runde und die Erweite-rung der Europäischen Union für sie bringen. Sie achtendarauf, wonach sie sich ausrichten müssen.

(Marita Sehn [FDP]: Das haben sie schon immer gemacht!)

Wenn Sie ehrlich sind, wissen Sie eines genau: DieOsterweiterung wird dazu führen, dass wir in Deutsch-land zwar die gleiche Summe an die EU zahlen, aber dasswir wegen des Wegfalls der Ziel-1-Gebiete immer weni-ger für die Landwirtschaft in Deutschland entnehmenkönnen, wenn wir bei dem bestehenden System bleiben.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand][CDU/CSU]: Sehr richtig!)

In zehn bis 15 Jahren werden die Agrarsubventionen aufnull heruntergefahren. Wer also möchte, dass die Bauernin Deutschland eine Zukunft haben, muss sie rechtzeitigdarauf umstellen und dafür Sorge tragen, dass sie für denBereich, in dem sie gesellschaftliche Aufgaben erledigen,zum Beispiel im Umweltschutz, Geld erhalten.

(Marita Sehn [FDP]: Machen Sie mal!)

Wir möchten nicht, dass die Bauern weiter mit Karacho ineine Sackgasse getrieben werden. Genau das verhindertder Haushalt 2002.

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(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD � Peter Bleser [CDU/CSU]:Sie legen den Bauern doch Fußfesseln an!)

Auch im Verbraucherschutz haben wir die Mittel um60 Prozent erhöht. Wir wollen Verbraucheraufklärungund Verbraucherinformation. Es geht dabei nicht alleinum Lebensmittel. Wir haben ein Eckpunktepapier für einVerbraucherinformationsgesetz in Arbeit. Wir arbeiten aneinem Gesetzentwurf für die Änderung der Produktsi-cherheit, also gewissermaßen an einem kompletten Per-spektivenwechsel.

Das wird für den Verbraucherschutz nicht ausreichen.Wir brauchen neue Institutionen. Frau von Wedel hat dazugute Vorgaben gemacht. Wir wollen im Rahmen dieserHaushaltsberatung das Bundesamt für Verbraucherschutzfinanziell absichern, damit es in Deutschland bei der Le-bensmittelüberwachung ein einheitlich hohes Niveaugibt. Ich kann Ihnen eines sagen: Die BSE-Krise des letz-ten Jahres war nicht die letzte Krise; am Horizont zeigensich bereits die nächsten.

(Zurufe von der CDU/CSU: Welche?)

Wir wollen in diesem Haushalt Mittel für eine unab-hängige wissenschaftliche Stelle zur Risikoanalyse be-reitstellen, damit nichts verheimlicht wird und damit Ana-lysen und Krisenmanagement im wahrsten Sinne desWortes zusammenpassen.

Wir alle aus den Regierungsfraktionen und aus der Op-position wollen eines: gesundheitlichen Verbraucher-schutz. Das wird ohne zusätzliche Mittel vom Bund undvon den Ländern nicht möglich sein. Manche Bundeslän-der sind bereits vorausgegangen. Ich bitte Sie an dieserStelle um Ihre Unterstützung. Wir brauchen im Haus-halt 2002 eine entsprechende Finanz- und Stellenausstat-tung, damit wir tatsächlich sagen können: Wir bieten derBevölkerung höchstmögliche Lebensmittelsicherheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Annette Widmann-Mauz.

Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Frau Präsi-dentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Minis-terin Künast, Ihre Rede heute war wieder einmal ein Bei-spiel dafür, dass Ihre Verbraucherschutzpolitik einePolitik des schönen Scheins ist. Sie orientieren sich mehram Politbarometer als an den Erfordernissen der Verbrau-cherinnen und Verbraucher.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie setzen nur da Prioritäten, wo es Ihnen angesichts derWahl im Jahre 2002 parteipolitisch opportun erscheint.

Gerade eben haben Sie wieder ein gutes Beispiel dafürgegeben, wie grüne Politik mit den Ängsten der Men-schen arbeitet.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Sie sagen Skandale voraus, die es noch nicht gibt. FallsSie hier mehr wissen sollten, dann benennen Sie sie kon-kret und beschuldigen Sie hier nicht ganze Berufsstände!

(Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP)

Wir brauchen diesen Politaktionismus nicht, sondernwir brauchen Nachhaltigkeit beim Verbraucherschutz.Doch was machen Sie mit dem Haushalt 2002? � Genaudas Gegenteil. Was unscheinbar daherkommt, hat nämlicheinschlägige Folgen. Um Nachhaltigkeit in der Verbrau-cherschutzpolitik zu erreichen, brauchen zum Beispiel dieVerbraucherverbände und -organisationen eine angemes-sene finanzielle Basisausstattung und Planungssicherheit.Sie jedoch frieren die dringend notwendigen institutio-nellen Fördermittel ein und stopfen das Geld in Projekte.Da darf schon einmal darauf hingewiesen werden, dassbei der Förderung von Projekten die Entscheidung letzt-lich stets eine politische Entscheidung ist. Frau Künast,ich frage Sie: Sollen jetzt die Menschen nur noch dort ge-schützt werden, wo es Ihnen politisch opportun erscheint?

Ich will Ihnen meine Sorgen im Detail erläutern: Dieinstitutionelle Förderung bleibt in diesem Haushalt nied-rig. Bei der Stiftung Warentest erreicht die Förderung beiweitem nicht einmal das Niveau des Jahres 2000.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand][CDU/CSU]: So ist es!)

So können die Kapazitäten nicht mit den steigenden An-forderungen wachsen. Sie engen mit diesem Haushalt darüber hinaus den Verbraucherschutz abermals auf dieökologische Landwirtschaft ein. Und Sie nehmen denVerbraucherverbänden die Mittel und konzentrieren sieim Ministerium.

(Matthias Weisheit [SPD]: Absolut unwahr, wasSie da erzählen! � Gegenruf des Abg. Peter H.Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Absolutrichtig!)

Unabhängigkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz und thema-tische Breite des Verbraucherschutzes leiden darunterganz erheblich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich will Ihnen, Herr Weisheit, dies an einem konkretenBeispiel deutlich machen. Nehmen wir das Beispiel derVerbraucherzentrale Bundesverband, kurz VzBv.Schon zu unserer Regierungszeit hat das damals noch zu-ständige Wirtschaftsministerium den Verbraucherzentra-len den Auftrag gegeben, eine Reform der Strukturen undder Konzeption der Verbraucherzentralen zu erarbeiten.Und das war auch gut so. Aber seit Sie die Regierung stel-len, werden den Verbraucherzentralen mit immer neuenKriterien die Daumenschrauben angezogen.

Daraufhin wurde ein neues Konzept erstellt. Im No-vember letzten Jahres kam es zur Gründung des neuenDachverbandes. Doch die Probleme häufen sich. Aktuellarbeitet die VzBv ohne Stellenplan und ohne Wirt-schaftsplan. Im Haushalt 2001 steht eine Sperre von 2 Millionen DM.

(Josef Hollerith [CDU/CSU]: Ein Skandal!)

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Ich fordere Sie auf: Heben Sie diese Sperre auf!

Die Bundesregierung weist auch Forderungen nach ei-ner finanziellen Grundsicherung der VzBv zurück.

(Josef Hollerith [CDU/CSU]: Skandalös!)

Der Bundeshaushalt 2002 orientiert sich vielmehr anProjekten. Und das steht im Widerspruch zum Ergebnisder Strukturreform. Danach sollen die Zuwendungennämlich ausschließlich als institutionelle Förderungen ausBundesmitteln bereitgestellt werden. Das heißt also,Nachhaltigkeit und Planungssicherheit für die Verbrau-cherorganisationen sind mittelfristig nicht gewährleistet.

Schauen wir uns doch die Zahlen im Haushaltsplan ge-nauer an; die sind geschönt, denn sie stehen unter demVorbehalt des Wirtschaftsplans, der, wie wir im Haushaltlesen können, in Vorbereitung sei. Was jedoch nicht imHaushaltsplan steht, ist, dass der Wirtschaftsplan überar-beitet wurde und bereits vorliegt. Haushaltsplan und Wirt-schaftsplan stimmen nicht überein.

Ergebnis ist eine drastische Kürzung um 20 Prozent.Die Kosten für die Sachverständigen wurden reduziert.Der Titel Prozesskosten für die Klagetätigkeit der VzBvwurde sogar um fast 50 Prozent gekürzt. Die Ausgaben fürVeranstaltungen, Veröffentlichungen und zum Aufbau ei-nes bundesweiten Informationssystems wurden gekürzt.Im Ministerium aber bauen Sie jetzt genau dies auf. Eswerden also nicht die Verbände gefördert, sondern Sieverlagern die Aufgaben ins Ministerium und machenVerbraucherschutz mit Beamten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � PeterH. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ge-nauso ist es! Anders reden als handeln!)

Und dort, wo Handlungsbedarf besteht, handeln Sienur unzureichend. Die Aufarbeitung der BSE-Krise istnoch immer nicht gelungen. Das Problem der neuen Vari-ante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschenwird von Ihnen nicht wirklich angegangen. Der Arbeits-kreis BSE � Sie haben es uns schriftlich bestätigt � hatnoch nicht ein einziges Mal getagt, seit Sie im Amt sind.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]:Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

In der �Zeit� bezeichnen Sie es als Ihre Pflicht � ich zitiere �, �den Menschen ehrliche Informationen zu ge-ben�, also Klarheit und Wahrheit. Doch mit dem von Ih-nen, Frau Künast, eingeführten verwässerten Ökozeichentun Sie das glatte Gegenteil. Sie führen die Menschen indie Irre. Sie sagen in der �Zeit� weiter � ich zitiere �: �Undwir werden das Sicherheitsniveau laufend erhöhen, gna-denlos.� Auch das wieder starke Worte. Doch wie sehendie Fakten aus? Sie senken die bisher in Deutschland üb-lichen anspruchsvolleren Qualitätsstandards auf die um-strittenen EU-Standards ab. Ihr Verweis, dass Sie sichjetzt auf EU-Ebene für höhere Standards einsetzen wol-len, glaubt in unserem Land doch sowieso kein Mensch.Was haben Sie denn bisher auf EU-Ebene durchgesetzt?Nichts!

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Die lachen über Sie! Die EU lacht überdie Ministerin!)

Das Tiermehlverfütterungsverbot läuft aus. Es ist nachwie vor keine Rede von den Fetten. Es gibt keine einheitli-che BSE-Testung in Europa. Die Fleischimporte aus Län-dern, in denen kein Tiermehlverfütterungsverbot besteht,sind nach wie vor dadurch, dass wir sie nicht kontrollierenkönnen, möglich. Verbraucherschutz ist aber eine europä-ische Herausforderung. Verbraucherschutz im Europa ohneGrenzen erfordert Überzeugungskraft und Durchsetzungs-fähigkeit im Ministerrat. Beides geht Ihnen ab.

Es ist schon bemerkenswert, dass ausgerechnet einegrüne Verbraucherschutzministerin das bisherige Niveauder Ökozeichen in Deutschland unterbietet und sich aufeinen qualitativ niedrigeren Standard einlässt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit dem Ökozeichen treten Sie zu einem nationalenAlleingang an, der der regionalen Vermarktung hochwer-tiger Nahrungsmittel entgegenwirkt und stattdessen Türund Tor für Import-Ökoprodukte öffnet. Sie geben sichmit laxeren EU-Vorschriften zufrieden. Man hat fast denEindruck, dass Sie in der Aufweichung des Öko-Qua-litätsstandards die einzige Möglichkeit sehen, das von Ih-nen angekündigte Ziel eines Marktanteils der Ökopro-dukte von 20 Prozent zu erreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU undder FDP)

Angesichts meiner Redezeit möchte ich auf die Details� ich könnte sie Ihnen erläutern � nicht weiter eingehen.Es ist völlig klar � dies hat Ihnen Frau von Wedel auchganz klar ans Revers geheftet �: Die Verbraucherschutz-politik im BMVEL kann nicht wirksam und umfassendstattfinden, weil die Zuständigkeiten zersplittert sind, dieOrganisationsstruktur den Aufgaben nicht angepasst istund eine Grundsatzabteilung, in der Politikplanung statt-findet und die Lebensmittelsicherheit koordiniert wird,erst gar nicht vorhanden ist.

Frau Künast, vernichtender können die Versäumnissederjenigen, die die politische Verantwortung für diese Zu-stände tragen, kaum aufgelistet werden. Ich habe noch garnicht gesagt, was Verbraucherschutz im weiteren Sinnealles bedeutet.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin Widmann-Mauz, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Die Stich-worte kennen Sie; ich muss sie hier am Pult jedes Malwieder erwähnen.

Ich komme zu einem weiteren Zitat aus der �Zeit�.Dort sagten Sie:

Ich zumindest wüsste genau, was ich zu tun hätte,wenn ich nicht Ministerin wäre.

Frau Künast, ich frage Sie: Was wissen Sie wirklich, wasSie uns nicht sagen wollen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

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Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die SPD-Fraktionspricht jetzt die Kollegin Jella Teuchner.

Jella Teuchner (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehrgeehrten Herren und Damen! Frau Widmann-Mauz, ichweiß nicht, welche Grundlage Sie für Ihren Redebeitraggewählt haben.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Gar keine!)

Ich habe die Ausschussunterlagen gewählt. Wenn ich mirunter Titel 684 21 bei den Maßnahmen zur Unterrichtungder Verbraucher außerhalb des Ernährungsbereiches ge-rade die �Verbraucherzentrale Bundesverband� anschaueund sehe, dass die Summe von 8,45 Millionen Euro imJahre 2000 auf 10,907 Millionen Euro erhöht wird, dannkann ich mir nicht erklären, wo Sie das Minus sehen.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: In derFußnote!)

Das hat auch nichts mit der Projektförderung zu tun. Siemüssen schon grundsätzlich darüber diskutieren. So kön-nen wir keine Basis für eine weitere Diskussion schaffen.

Am Anfang dieses Jahres wurde die Zuständigkeit fürden Verbraucherschutz im neuen Bundesministeriumfür Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ge-bündelt. Dem Verbraucherschutz und der Verbraucher-politik sollte ein stärkeres Gewicht gegeben werden. DerEinzelplan 10 hat daher nicht nur drei zusätzliche Titelbekommen, es stehen auch mehr Mittel für den Verbrau-cherschutz zur Verfügung: Statt 21,4 Millionen Euro imJahr 2001 sind es 32,3 Millionen Euro für 2002. Das istein Anstieg, den die Ministerin schon erwähnt hat.

Die Lebensmittel müssen sicher sein. Dass dies an ers-ter Stelle auf der landwirtschaftspolitischen Tagesord-nung stehen muss, haben wir immer wieder gefordert. Wirmüssen für gute und sichere Lebensmittel sorgen, damitdie Verbraucherinnen und Verbraucher wieder Vertrauenin die Lebensmittel gewinnen, die Landwirte stabileMärkte für ihre Produkte vorfinden und sie eine Zukunftbekommen. Mit den Mitteln, die wir für die Aufklärungder Verbraucherinnen und Verbraucher im Ernährungsbe-reich ausgeben wollen, werden wir dies unterstützen.

Allein 7,7 Millionen Euro werden wir für eine Informa-tionskampagne zu den neuen Qualitätssiegeln bereitstellen.

(Peter Bleser [CDU/CSU]: Das ist Wahl-kampfhilfe!)

� Wenn das Wahlkampfhilfe ist, frage ich mich, was Siein der Vergangenheit gemacht haben. Dann war das nochgrößere Wahlkampfhilfe.

Wir werden 460 000 Euro für die regionale Vermark-tung zur Verfügung stellen. Wir schaffen damit Nachfragenach Qualitätsprodukten und sorgen dafür, dass Land-wirte gute Absatzchancen für ihre Lebensmittel von hoherQualität haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucherüber gesunde Ernährung wird auf gleich bleibendem Ni-

veau fortgesetzt. Auch der Zuschuss für die Deutsche Ge-sellschaft für Ernährung wird ab 2002 aus dem Einzel-plan 10 bezahlt.

Verbraucherschutz heißt zum einen, Produkte vomMarkt fern zu halten, die Verbraucherinnen und Verbrau-cher gefährden können. Zum anderen heißt es, die Markt-transparenz zu schaffen, die notwendig ist, damit dieVerbraucherinnen und Verbraucher ihre Entscheidungenam Markt auch bewusst treffen können. Die notwendigeMarkttransparenz für den gesundheitlichen Verbraucher-schutz unterstützen wir durch die Projekte der Verbrau-cheraufklärung im Ernährungsbereich.

Auch den wirtschaftlichen Verbraucherschutz un-terstützen wir verstärkt. Stehen 2001 14,9 Millionen Eurofür den wirtschaftlichen Verbraucherschutz zur Verfü-gung, sind es 2002 16,8 Millionen Euro. Das sind 13 Pro-zent mehr als 2001. Dabei liegt der Schwerpunkt auf derinstitutionellen Förderung der Verbraucherzentralen undder Verbraucherverbände.

Die Verbraucherzentralen stehen einem gestiegenenBeratungsbedarf gegenüber. Der elektronische Handelwirft genauso wie die private Altersvorsorge neue Fragenauf, bei denen die Verbraucherinnen und Verbraucher Be-ratung wünschen. Wie können Verbraucherinnen und Ver-braucher seriöse Geldanlagen erkennen? Können sie im In-ternet sicher einkaufen? Daneben bleiben Fragen zumEnergiesparen, zum sinnvollen Versicherungsschutz undzum Bauen unverändert aktuell. Wir sehen diesen Bera-tungsbedarf und unterstützen daher den Bundesverband derVerbraucherzentralen und Verbraucherverbände verstärkt.

Mit der stabilen Förderung der Stiftung Warentest si-chern wir den Fortbestand anbieterunabhängiger Infor-mationen über Produkte und Dienstleistungen. Auch hierleisten wir einen notwendigen Beitrag zur Markttranspa-renz und setzen ein Gegengewicht zur Werbung der Her-steller. Dies sichert die Qualität der Produkte, da dieseTests vielfach Impulse für Produktverbesserungen sind.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, der Haushalt 2002 istgeprägt davon, dass wir das Sparen und den Abbau derSchulden zielgerichtet anstreben. Dennoch wird das Not-wendige weiterhin finanziert, dennoch werden politischeSchwerpunkte gesetzt. Verbraucherpolitik hat nicht nurEingang in die Bezeichnung des Ministeriums gefunden,sie findet sich auch in den Zahlen des Haushaltsplaneswieder. Wir finanzieren eine leistungsfähige Verbraucher-aufklärung.

Wir müssen uns aber auch klar darüber sein, dass wirdiese finanzielle Unterstützung der Verbraucherpolitik inZukunft fortführen müssen. Im wirtschaftlichen Verbrau-cherschutz wird der Beratungsbedarf nicht geringer wer-den. Im gesundheitlichen Verbraucherschutz müssen wirsicherstellen, dass mit den neuen Behörden die bisherigeRessortforschung nicht infrage gestellt wird.

Wir müssen � ich bin mir sicher, dass wir dies auch tunwerden � auch im nächsten Haushalt das Signal aussen-den: Wir reden nicht nur vom Verbraucherschutz, sondernwir stellen dafür auch die notwendigen Mittel bereit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Vizepräsidentin Petra Bläss: Zu einer Kurzinter-vention erteile ich jetzt der Kollegin Annette Widmann-Mauz das Wort.

Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Sehr geehrteFrau Kollegin Teuchner, nachdem Sie mich gefragt ha-ben, ob ich die gleiche Unterlage habe wie Sie, und denEindruck vermitteln wollten, als würde ich mit altenHaushaltsplänen arbeiten, möchte ich Ihnen für Ihre Ar-beit und für die gemeinsame Arbeit im Ausschuss zurKenntnis geben, dass ich die Drucksache 14/6800 ver-wende, nämlich den Bundeshaushaltsplan 2002, Einzel-plan 10. In der Titelgruppe 684 21 sind die Zuschüsseverzeichnet, die der Bundesverband der Verbraucherzen-tralen und Verbraucherverbände erhält. Dort sind rund21 Millionen DM für diese Arbeit eingestellt. Wenn Siedann in die Erläuterungen hineinschauen, dann stellenSie fest, dass dabei der Wirtschaftsplan eine Rolle spielt.Wenn wir uns den Wirtschaftsplan ansehen, dann wirdschon deutlich, in welchem Maße den Verbraucher-zentralen die Daumenschrauben angelegt werden. Esgeht darum, die Einnahmen der Verbraucherzentralen um400 000 DM zu erhöhen und die Ausgaben um 4,4 Milli-onen DM zu drücken. Das heißt, aus den 21,4 Milli-onen DM werden in null Komma nichts nur noch16,6 Millionen DM. Das müssen Sie den Menschendraußen schon erklären.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Die nächste Rednerinin der Debatte ist die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion.

Gudrun Kopp (FDP): Frau Präsidentin! Sehr geehrteHerren und Damen! Frau Ministerin Künast, Sie habensich seit Ihrem Amtsantritt auf die Förderung des ökolo-gischen Anbaus konzentriert und fast ausschließlich die-sem Bereich Geld und Aufmerksamkeit gewidmet. Siesind nicht Ökoministerin, sondern Verbraucherminis-terin.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Landwirtschaftsministerin!)

� Natürlich, die Landwirtschaft gehört auch mit dazu. �Das heißt, Ihre Aufmerksamkeit müssen Sie auch aufviele andere Gebiete richten. Hier sehe ich große Ver-säumnisse.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)Wir haben grundsätzlich eine positive Einstellung zum

ökologischen Landbau. Aber es ist nicht Aufgabe desStaates, eine Werbekampagne für das Ökosiegel inHöhe von 15 Millionen DM in den Haushalt einzustellen.Auf der anderen Seite erklären Sie zum Antrag der FDP,die Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit zu entlassenund einen Kapitalstock aufzubauen, damit nicht erneut je-des Jahr über die zuzuweisenden Mittel diskutiert werdenmuss, dafür sei kein Geld vorhanden. Dieser Punkt ist eineklatantes Versäumnis Ihres Hauses und von Ihnen ganzpersönlich,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

weil für uns die Arbeit der Stiftung Warentest eine Säuleder unabhängigen Verbraucherinformation ist. Sie istganz wichtig.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU � Heinrich-Wilhelm Ronsöhr[CDU/CSU]: Das will Frau Künast nicht!)

Sie sprechen von Kontrolle und von Lebensmittel-sicherheit. Hierzu muss ich Ihnen etwas sagen: Ich findees mehr als traurig und unverantwortlich, dass Rest-bestände an Tiermehl aus dem Jahr 2000 über zehn Mo-nate bei den Produzenten gelagert wurden, weil es zwischen Bund und Ländern finanziell keine Einigunggab. Der Raiffeisenverband schätzt diesen Bestand auf64 000 Tonnen. Das ist eine ganze Menge. Dabei handeltes sich möglicherweise um kontaminiertes Tiermehl. Hin-ter das Thema Lebensmittelsicherheit kann ich bei Ihnennur ein Fragezeichen setzen.

Auf Bund- und Länderebene fehlen derzeit 2 500 Le-bensmittelkontrolleure. Es gibt jedes Jahr 200 000 Le-bensmittelerkrankungen, davon 80 000 Salmonellenin-fektionen. Sie sprechen von Kontrollen. Wie soll daskontrolliert werden? Wollen Sie die Kosten für Kontrol-len von Waren mit dem Ökosiegel künftig den Ländernaufdrücken? Sollen sie dafür sorgen, dass es zu einer ent-sprechenden Kontrolle kommt? Wenn ein Lebensmittel-kontrolleur für 1 400 Betriebe zuständig ist � also Gast-stätten, Restaurants und Lebensmittelgeschäfte �, dann istdies schlicht eine Überforderung. Es ist eine Farce, da vonLebensmittelsicherheit zu sprechen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU � Peter H. Carstensen [Nord-strand] [CDU/CSU]: Der ökologische Landbauist noch nicht einmal im Monitoring!)

Nächster Punkt: Energieberatung. Ich habe einegroße Zahl von Briefen von Verbraucherzentralen undVerbraucherberatungsstellen erhalten, die um Hilfe bitten,weil der Etat um 1,3 Millionen DM gekürzt werden soll.Diese Maßnahmen betreffen insbesondere die Energiebe-ratung für den ländlichen Raum. Das hat doch etwas mitÖkologie zu tun.

(Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU]: Unerhört!)

Das passt doch nicht in Ihr grünes Konzept. Wir müssenversuchen, den Verbraucherzentralen zu helfen, damit sieauch in Zukunft Energieberatungen leisten können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Zum Schluss möchte ich noch einmal sagen: Ich findees beschämend, dass zu anderen Themen, wie Schuld-rechtsreform oder Eurobargeldeinführung, nichts, aberauch gar nichts aus Ihrem Ministerium zu hören oder zulesen ist. Das heißt: Verbraucherpolitik ist umfassend. Siehaben sich � ob Sie das nun wollen oder nicht � auch umdiese Themen zu kümmern.

Die Liste der Versäumnisse ist sehr lang. Wir finden, esreicht nicht, einfach nur zu sagen: alles Öko, sonst nichts.

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Sie werden damit den Ansprüchen der Verbraucher nichtannähernd gerecht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die PDS-Fraktionspricht jetzt die Kollegin Kersten Naumann.

Kersten Naumann (PDS): Frau Präsidentin! MeineDamen und Herren! Wenn man sich den Entwurf desAgrarhaushalts für das Jahr 2002 ansieht, wünschte manden Landwirten, dass jedes Jahr Wahljahr ist. Aber ichdenke, das sollten wir den Wählerinnen und Wählern lie-ber nicht antun.

Die Aufstockung im Landwirtschaftshaushalt ist aller-dings nur vorübergehend angelegt. Auch wenn das Ver-braucherministerium von einem guten Kompromissspricht, bleibt die Frage, ob der Agrarhaushalt den Erfor-dernissen der überschwänglich gepriesenen Agrarwendeauch tatsächlich gerecht wird. Eine Aufstockung desAgraretats um 1 Prozent im nächsten Jahr ist vielleicht ge-rade genug, um die Zuschüsse für die Stiftung Warentestzu gewährleisten und die agrarsoziale Sicherung nichtweiter sinken zu lassen. Es ist nicht mehr als der berühmteTropfen auf den heißen Stein.

Was liegt also im Argen? Ich nenne einige Beispiele:

Erstens. Wettbewerbsnachteile können nicht mit derGasölversteuerung oder der Senkung von Steuerfreibeträ-gen ausgeglichen werden.

Zweitens. Finanzierungsnachteile in gartenbaulichenBetrieben bleiben nach wie vor bestehen.

Drittens. In der Gemeinschaftsaufgabe sind die bishergewährten Ausgleichszulagen in benachteiligten Gebie-ten zur Einkommensverbesserung in den letzten drei Jah-ren ebenfalls drastisch gesunken.

Viertens. Gleiches gilt für die Anpassungshilfe für äl-tere landwirtschaftliche Arbeitnehmer bei einem Arbeits-platzverlust infolge von Rationalisierung ebenso wie fürdie Förderung wasserwirtschaftlicher und kulturbautech-nischer Maßnahmen.

Fünftens. Die Kofinanzierung der Gemeinschaftsauf-gabe gestaltet sich insbesondere für die neuen Bundeslän-der immer schwieriger. Die Finanzhilfen lassen sich imZuge des Sparzwangs nicht mehr in der erforderlichenHöhe aufbringen, und der Bund zieht sich immer mehr ausder Verantwortung zurück. Frau Ministerin Künast � Siehaben das vorhin auch kritisiert �, vielleicht könnten Siesagen, woher die Länder das Geld für die Kofinanzierungnehmen sollen.

Sechstens. Die Mittelkürzung für die BSE-Folgekostenim Jahre 2001 reflektiert auch künftig auf die gesamteLandwirtschaft, sodass schließlich alle Landwirte unver-schuldet betroffen sein werden. Die Landwirtschaftmusste zwischen 1999 und 2002 zum Subventionsabbaudes Bundes im Umfang von 800 Millionen DM mehr alsdie Hälfte beitragen. Dies führt im Gesamtwirtschaftsge-

füge zu einer einseitigen und ungerechten Belastung derLandwirtschaft.

Fazit: Steuerreform, Ökosteuer, Reduzierung derGasölbeihilfe und bisherige Kürzungen im Bundesetattreiben immer mehr Landwirte in den Ruin. Arbeits-marktpolitische Maßnahmen greifen nicht oder sind alsProjekte auf dem Papier reine Makulatur. So stellt sich dieFrage: Wo ist der sozialpolitische Aspekt für den Erhaltund den Ausbau von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum?Wo spiegelt sich der multifunktionale Charakter derLandwirtschaft in den Haushaltsansätzen wider? Modell-regionen � so schön es auch klingen mag � entsprechenwohl eher dem Charakter von Wettbewerbsprogrammen,als dass wirklich Hunderte von Problemregionen im länd-lichen Raum davon profitieren könnten.

Mit anderen Worten: Die Bundesregierung versuchtgewissermaßen mit dem Fahrrad einen Schnellzug zu ver-folgen, und die Landwirte blicken in eine unsichere Zu-kunft. Allein in Nordrhein-Westfalen sind in den vergan-genen acht Jahren täglich im Schnitt fünf Betriebe denBach runtergegangen.

Die PDS plädiert daher für die Einstellung eines Titelsfür arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im ländlichenRaum zur Schaffung gewerblicher � außerlandwirt-schaftlicher � Arbeitsplätze; dies sollte in Verbindung mitdem Wirtschaftsministerium geschehen.

(Beifall bei der PDS)

Weiterhin fordern wir eine Neuauflage der Förderung derEinstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit undder Produktionsaufgaberente. Außerdem plädiert die PDSdafür, die Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebietewieder aufzustocken, um eine flächendeckende Landbe-wirtschaftung auch in Zukunft zu ermöglichen.

(Beifall bei der PDS)

Wir erwarten, dass aus der Gemeinschaftsaufgabe keinFördertatbestand gestrichen wird, und zwar weder dieBeihilfen für die Bewässerungswirtschaft oder den Wege-bau noch die Milchleistungsprüfung oder die Anpas-sungshilfen für ältere Landwirte. Darüber hinaus sindBiogasanlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung wiedermit einem Teilschuldenerlass zu fördern.

Dass der ökologische Landbau gefördert wird, ist posi-tiv. Das neue Biosiegel ist da und bringt den Verbrauchernmehr Information und Befähigung zur eigenen Entschei-dung. Die Aufregung über die niedrigen Standards derEG-Öko-Verordnung verliert ihr Gewicht, denn die Zei-chen der anerkannten Aufbauverbände können zusätzlichzu dem neuen Siegel verwendet werden. Um zu verhin-dern, dass das neue Siegel zum Scheitern verurteilt ist, istunseres Erachtens eine Aufklärungskampagne in der Di-mension notwendig, wie sie die CMA jetzt wieder fürFleisch startet.

Meine Damen und Herren, die Agrarwende ich wichtigund richtig. Landwirte, die sich im Rahmen der gültigenFachgesetze auf der Grundlage der guten fachlichen Pra-xis bewegen, dürfen aber nicht grundsätzlich von der För-derung ausgeschlossen werden. Förderausschlüsse brin-

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Gudrun Kopp

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gen Zwist und spalten die Bauernschaft. Entweder bestehtHandlungsbedarf bei den Fachgesetzen oder es sollte zu-erst der Prüfungs-, Beratungs- und Entscheidungsbedarfüber neue Fördergrundsätze abgeschlossen sein, sodassüber den Haushaltsplan entschieden werden kann. Letzt-endlich weiß man ja nicht, worüber man abstimmt.

(Beifall bei der PDS)

In den kommenden Haushaltsberatungen muss erreichtwerden, dass sich die künftigen Herausforderungen an dieAgrarpolitik auch im Haushalt widerspiegeln. Ich kannnur hoffen, dass die Koalitionsfraktionen für Veränderun-gen offen sind.

Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Kol-lege Gustav Herzog für die SPD-Fraktion.

Gustav Herzog (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Mit der Einbringung des Gesetz-entwurfes zur Einführung und Verwendung eines Kenn-zeichens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus inden Deutschen Bundestag setzt die Koalition ein deutli-ches Zeichen der Neuorientierung der Agrarpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Das neue Biosiegel ist entwickelt und muss dem Ver-braucher nun in einer groß angelegten Informations-kampagne bekannt gemacht werden. Hierfür werden imnächsten Jahr 7,7 Millionen Euro im Agrarhaushalt be-reitgestellt. In den letzten Tagen ist sehr häufig die Fragegestellt worden, warum wir überhaupt ein neues Biosie-gel benötigen. Tatsache ist, dass derzeit schon rund100 verschiedene Biomarkenzeichen bundesweit um dieVerbrauchergunst konkurrieren. Allein neun Anbauver-bände wie �Bioland� und �Demeter� arbeiten nach eige-nen Qualitätskriterien. In diesem Kennzeichendschungeldie Übersicht zu behalten, kann dem Verbraucher wohlniemand auf Dauer abverlangen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD � Eckart vonKlaeden [CDU/CSU]: Und jetzt gibt es nocheins!)

Für die Mehrheit der Konsumenten heißt das ResultatVerunsicherung: Warum soll ich für meine Lebensmitteleigentlich mehr bezahlen, wenn ich mir nicht sicher seinkann, was drin ist? Das neue Siegel soll hier Klarheitschaffen. Der Blick in andere Länder zeigt, dass einheitli-che staatliche oder verbandsübergreifende Dachwaren-zeichen für Ökolebensmittel die Konsumsicherheit fürVerbraucher deutlich erhöhen können und somit zu einemerfolgreichen Absatz der Produkte führen. Als eine Art�Über-Siegel� kann es in Deutschland für alle Produktedes ökologischen Landbaus verwendet werden, die min-destens nach den Kriterien der EG-Öko-Verordnung her-gestellt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das klingt einfach, ist einfach, und gerade in dieserEinfachheit liegt auch der innovative Ansatz.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD � Lachenbei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir für Ökoprodukte tatsächlich den Durchbruchaus der Nische heraus schaffen wollen,

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wenn die Grünen schon einmal alle kau-fen, dann haben wir schon 6 Prozent!)

dann geht es auch nicht an dem Ort vorbei, wo 80 Prozentunserer Lebensmitteleinkäufe getätigt werden: dem kon-ventionellen Lebensmitteleinzelhandel. Nur ein Siegelmit einfachen Regeln, die sich dem Verbraucher schnellund glaubhaft erschließen, hat auf diesem Markt eineChance.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD � Peter H.Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und dasmacht den Markt offen für die ausländischeProdukte!)

Das bedeutet: Öko rein in die Supermärkte und möglichstauch in die Discountermärkte.

Wir sprechen hier nicht über ein kleines Alibi-Ökosor-timent, vorzugsweise in einem Holzregal präsentiert undin irgendeiner Ladenecke versteckt. Ziel ist es vielmehr,ein gleichwertiges Nebeneinander von Ökoprodukten undkonventionellen Erzeugnissen zu schaffen. Öko darf nureinen Handgriff entfernt von anderen Markenproduktenin den Regalen stehen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Gerne! Kein Problem!)

Der Verbraucher soll die Wahl treffen.(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/

CSU]: Eben! Sehr richtig!)Wenn er sich für das Ökoprodukt entscheidet, dann soll erauch auf Anhieb erkennen können, dass dort wirklich Ökodrin ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und derFDP)

Das Biosiegel schafft unverwechselbare Einheitlich-keit, Klarheit und Orientierung. Und da gebe ich IhnenRecht �: Es ist kein leichter Schritt in den konventionel-len Lebensmitteleinzelhandel. Wir haben es hier mit ei-nem anspruchsvollen und machtvollen Marktpartner zutun. In diesem hart umkämpften Markt agiert niemand ausGründen des Idealismus, zum Wohl der Menschen undder Umwelt. Das Motto lautet hier: größer, weiter, zentra-listischer. Es darf nur derjenige mitmachen, der sich indiesen Strukturen behaupten kann. Auch diese Gefahrdarf in dieser Debatte nicht verschwiegen werden.

Aber an der Entstehung des neuen Biosiegels wurdenalle Akteure des berühmten magischen Sechsecks betei-ligt, auch der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel.Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Op-position, ist der eigentliche Sieg der Ministerin in dieserAngelegenheit.

(Beifall bei der SPD)

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Kersten Naumann

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Im Ergebnis konnte man sich auf ein einheitliches Sie-gel einigen. Bisher war es nicht gelungen, ein übergeord-netes Ökokennzeichen zu kreieren, das branchenübergrei-fend auf einen so breiten Konsens, eine so großeAkzeptanz trifft. Vielmehr � das füge ich kritisch hinzu �ist bisher jeder Versuch einer Vereinheitlichung an den Ei-geninteressen von Anbauverbänden und Herstellern ge-scheitert, die ihre eigenen Qualitätsmaßstäbe als derWeisheit letzter Schluss ansahen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wie wollen Sie Sicherheit haben, wennes eine Teilumstellung gibt? Das ist doch Un-sinn! Lebensmittelmonitoring!)

Schmeckt das neue Biosiegel nun zu sehr nach Kom-promiss, weil die Kriterien der EG-Öko-Verordnung ineinigen Bereichen unterhalb der deutschen AGÖL-Richt-linien liegen? Nein! Hier frage ich mich, wie Sie, FrauKollegin Widmann-Mauz, dazu kommen, dass die Orien-tierung an einem EU-Standard ein nationaler Alleingangsei. Diese Logik verschließt sich mir.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das hat sie doch gar nicht gesagt! �Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber eine na-tionale Verschlechterung kann das sein!)

Eine Orientierung an den Kriterien der EG-Öko-Ver-ordnung ist keinesfalls nur ein Kompromiss, sonderndient in einer sehr konsequenten Art und Weise dem Ziel,die Nachfrage nach Ökoprodukten in einem Maße zu stei-gern, dass eine kontinuierliche Ausweitung des Ökoland-baus als gesichert angesehen werden kann und dass eineUmstellung der Betriebe auf Ökolandbau Perspektivenfür die deutsche Landwirtschaft bietet.

Forschungsergebnisse besagen, dass künftig nicht dieNachfrage nach Ökolebensmitteln den begrenzendenFaktor für die Marktentwicklung darstellt. Dieser wirdeher in der Angebotsseite und vor allem darin gesehen,dass die Angebotsstruktur der Produkte den Verbraucher-wünschen nicht entspricht. Der Absatz der Produkte überden traditionellen Lebensmitteleinzelhandel bietet hierneue Chancen. Wir reden hier in der Tat von neuen Chan-cen, während die Opposition in der Regel nur Bedenken-träger war und Ängste verbreitet.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Widerspruch der Abg. MaritaSehn [FDP])

Hierfür ist jedoch eine zusätzliche Professionalisierungnotwendig, die im bisher klein strukturierten Ökomarkt sonicht erforderlich war. Das wird eine Herausforderungdarstellen.

Eine wichtige Voraussetzung für eine Kooperation mitdem konventionellen Handel ist aber eine ausreichendeSortimentsbreite. Dieser breite Einstieg kann derzeit nurüber den Standard der EG-Öko-Verordnung realisiertwerden. Frau Ministerin, ich kann Ihnen die Unterstüt-zung der SPD-Fraktion versichern,

(Marita Sehn [FDP]: Was für eine Überra-schung!)

wenn es darum geht, gemeinsam zu versuchen, die Stan-dards in Europa nach oben zu bewegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN � Peter H.Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dasmuss man auch einmal deutlich sagen!)

Mit dem neuen Biosiegel geben wir dem Verbraucher einhilfreiches Instrument an die Hand. Jetzt appellieren wir andie Mündigkeit des Verbrauchers. Ist das Siegel erst auf demProdukt, dann kann die Verbraucherin bzw. der Verbraucherüber den Einkaufskorb Einfluss auf landwirtschaftliche Pro-duktionsweisen nehmen und damit die Umwelt besserschützen und die Landwirtschaft besser verdienen lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Peter H. Carstensen [Nord-strand] [CDU/CSU]: Die dänische und dieholländische!)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner indieser Debatte ist der Kollege Josef Hollerith für die Frak-tion der CDU/CSU.

Josef Hollerith (CDU/CSU): Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selten ist einMinister bzw. eine Ministerin nach der Berufung von denMedien mit so vielen Vorschusslorbeeren ausgestattetworden wie Frau Künast nach dem 12. Januar 2001.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Kein falscher Neid, bitte!)

Nach rund acht Monaten ihrer Amtszeit stellen wir fest:Der Lack ist ab, sie ist von den Realitäten des Haushaltsund von den Einstimmigkeitserfordernissen beim europä-ischen Agrarrat eingeholt worden, die Lücke zwischenAnspruch und Wirklichkeit wird größer, die Landwirte,die ohnehin nichts von ihr erwartet haben, sind zuneh-mend darüber verbittert, dass sie Agrarpolitik nicht nachden sachlich-pragmatischen Erfordernissen des europä-ischen Binnenmarktes, sondern ideologisch durch ihregrün gefärbte Brille gestaltet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � SteffiLemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Siemüssen einmal mit dem Bauernverbandreden! � Peter Bleser [CDU/CSU]: Bevormun-dung ist das!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Berufs-stand ist auch darüber verbittert, dass sie einen Keil zwi-schen die Bauern treibt,

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Sie wollten doch etwas zum Haushalt sagen!)

indem sie zwischen den vermeintlich Guten, die ökolo-gisch wirtschaften, und den vermeintlich Schlechten, diekonventionelle Landwirtschaft betreiben, unterscheidet.Dies ist falsch, denn wir brauchen beide Richtungen. DerVerbraucher entscheidet durch seine Kaufentscheidungjeden Tag darüber, was wie und wo produziert wird.

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Gustav Herzog

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Das ist schlicht eine Beleidigung zehntausender bäuer-licher Betriebe, die über Jahrzehnte nachhaltig und kon-ventionell gesunde Nahrungsmittel höchster Qualitätproduziert haben, was wir daran sehen, dass die Lebens-erwartung der Menschen, die diese Nahrungsmittel ge-gessen haben, ansteigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Betrachten wir den ersten Haushalt, den Frau Ministe-rin Künast zu verantworten hat, so stellen wir fest, dassdas Soll im Haushaltsansatz für das Jahr 2002 gerade ein-mal um 109 Millionen DM auf rund 11,068 Milli-arden DM ansteigt. Das ist ein völlig unzureichender An-satz, um die gigantischen Herausforderungen der durchBSE, MKS und die daraus resultierenden Folgekosten ge-beutelten Landwirtschaft zu bewältigen.

Ich möchte Sie insbesondere auf zwei Beispiele für dieWidersprüchlichkeit rot-grüner Agrarpolitik hinweisen.

Erstes Beispiel: Sie haben den Verbraucherschutz aufeuropäischer Ebene nicht durchgesetzt.

(Albert Deß [CDU/CSU]: So ist es, genau!)

Fettaustauscher, die bei uns in der Tiermast verbotensind, werden um uns herum in der Mast von Hähnchen,von Truthähnen, von Gänsen und Enten massenweise ver-wendet. Genau diese Produkte konkurrieren auf demdeutschen Markt mit den Produkten unserer Landwirt-schaft und werden zu Weihnachten von den Verbraucherngekauft werden.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mit Ökosiegel!)

� Mit Ökosiegel. � Das ist Täuschung der deutschen Ver-braucher.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein zweites Beispiel für die Widersprüchlichkeit rot-grüner Politik: Sie verraten erneuerbare Energien.Durch Ihre falschen Beschlüsse lasten 400 Milli-onen DM Ökosteuer auf den erneuerbaren Energien.Trotzdem hat Ihr Amtskollege im Kabinett in einerNacht-und-Nebel-Aktion die ohnehin geringen Zu-schüsse von 12,5 Prozent der Investitionskosten bei Bio-gasanlagen von heute auf morgen abgeschafft. Er hat da-mit Planungssicherheit beseitigt und gegen die grüneProgrammatik verstoßen, die vorsieht, dass Sie erneuer-bare Energien fördern wollen.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und gegen den Koalitionsvertrag!)

Wir wollen Ihnen in den weiteren Beratungen diesesHaushaltes gern die Hand reichen, damit Sie diese falscheEntscheidung rückgängig machen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der Fördersatz von 12,5 Prozent bedeutet, dass bei je-der Investition von 100 DM gerade einmal 12,50 DM ge-fördert werden, aber gleichzeitig 16 DM Mehrwertsteuerin die staatlichen Kassen fließen. Daran erkennen Sie,dass zum einen der Fördersatz zu gering ist und sich zumanderen ein solches Programm aus sich selbst heraus fi-nanziert. Diese Entscheidung des Wirtschaftsministers

war also auch volkswirtschaftlich höchst unsinnig und wi-dersprüchlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie beiAbgeordneten der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Schluss-teil meiner Rede gehe ich auf die besonders dramatischeSituation der Rindermäster ein, die von BSE betroffensind. Ich stelle fest: Der bäuerliche Berufsstand ist an BSEam wenigsten schuld; gleichwohl hat er die Lasten dafürzu tragen. Vergleicht man den Preis, der vor der BSE-Krise für Rindfleisch erzielt wurde, mit dem jetzigenPreis, so erkennt man, dass der Bauer pro KilogrammSchlachttier 1 DM verliert. Die Hälfte dieses Verlustes istmarktbedingt; die andere Hälfte ist durch Kosten bedingt,die aufgrund der BSE-Gefahr entstehen: durch den BSE-Test, durch die Herausnahme des Risikomaterials, durchdie höheren Entsorgungskosten für das Konfiskat und fürdie Knochen, durch den Wertverlust des �fünften Fer-kels�, sprich: der Innereien. Diesen Verlust muss alleinder Landwirt schultern.

Wenn wir heute über innere Sicherheit reden, so ist einAnalogieschluss zur Lebensmittelsicherheit erlaubt.Beide Sicherheitsbegriffe betreffen den Menschen. Hin-sichtlich der inneren Sicherheit betrachten wir es alsselbstverständlich, dass die Mehrkosten � etwa durchKontrollen � vom Steuerzahler getragen werden und dieFluggesellschaften den Verlust durch den Rückgang derFluggastzahlen tragen.

Darum ist es völlig logisch und gerecht, dass die Kos-ten für die Sicherheit der Nahrungsmittel zum einen vonder Allgemeinheit der Steuerzahler getragen werden, wasdie BSE-bedingten Mehrkosten angeht, um die Lebens-mittelsicherheit zu erhöhen, dass auf der anderen Seiteaber auch � um die Analogie zum Flugverkehr aufrecht-zuerhalten � die Bauern die Belastungen des Verbrauchs-rückgangs schultern müssen. Darum fordern wir ein, dassder Staat, die Gemeinschaft der Steuerzahler, die innereSicherheit genauso behandelt � das unterstützen wir �

(Heiterkeit bei der SPD)

wie die Lebensmittelsicherheit,

(Zuruf von der SPD: Auf welcher Wolkeschweben Sie denn!)

die Kontrolle der Nahrungsmittel auf BSE. Mit unserenAnträgen wollen wir sicherstellen, dass in den Beratungenden BSE-gebeutelten Bauern durch vernünftige Anträgeein Stück weit bessere Chancen und bessere Perspektivenfür ihre Existenz gegeben werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden Sie von der Regierung daran messen, inwie-weit Sie unseren Anträgen folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Zu einer Kurzin-tervention erteile ich jetzt Herrn Kollegen Dr. GeraldThalheim das Wort.

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Josef Hollerith

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Dr. Gerald Thalheim (SPD): Herr Kollege Hollerith,zum Thema Verbraucherschutz habe ich selten so vielHeuchelei gehört wie von Ihnen und von Ihren Kollegin-nen und Kollegen in dieser Debatte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben uns eben vorgeworfen, wir hätten uns bei derUmsetzung europäischer Richtlinien oder bei dem ThemaMilchaustauscher nicht durchgesetzt.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Genau vor einem Jahr, am 1. Oktober 2000, ist das Verbotdes Risikomaterials Gesetz geworden. Vielleicht denkenSie alle einmal daran zurück, welche Reden hierzu gehal-ten worden sind � dass das viel zu weit gehe, dass das derUntergang der deutschen Landwirtschaft sei. Für diejeni-gen, die sich unter Risikomaterial nichts vorstellen kön-nen, füge ich hinzu: Da geht es um Gehirn, da geht es umalles, was drum herum ist, das heißt um jene Körperteileder Rinder, von denen tatsächlich eine Gefahr ausging.

Das bedeutet: Im vergangenen Jahr haben wir zumStichwort �Verbraucherschutz� das Mindeste dessen ge-macht, was man erwarten konnte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Hollerith, Ihre Parteifreundin, die Minis-terin Stamm, hat diese Heuchelei den Ministerpostengekostet. Wenn Sie weiter so agitieren, kann es passieren,dass Ihnen im nächsten Jahr Ähnliches geschieht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Zur Erwiderung HerrKollege Hollerith, bitte.

Josef Hollerith (CDU/CSU): Herr Kollege, HerrStaatssekretär Thalheim, ich finde es sehr erfreulich, dassSie sich von der Regierungsbank auf die Abgeordneten-bank begeben haben, um Ihre parlamentarischen Mög-lichkeiten wahrzunehmen.

Ich stelle erstens fest: Von mir haben Sie eine solcheAussage bezüglich Risikomaterial nicht gehört.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Das waren ja auch Praktiker!)

Zweitens stelle ich fest, dass in der damaligen DiskussionHerr Bundeslandwirtschaftsminister Funke, der heutenicht mehr im Amt ist, und der Landwirtschaftsministervon Niedersachsen die gleiche Position vertreten haben.

(Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss ja nicht richtig ge-wesen sein!)

� Ich behaupte nicht, dass das richtig war. Ich stelle nurfest, weil der Herr Kollege Thalheim diese Frage gestellthat, dass ich diese Position hier nicht vertreten habe, und

ich stelle fest, wer sie sonst noch in den Reihen der SPDvertreten hat. Dieses Spiel lässt sich fortsetzen.

Drittens stelle ich fest, dass die Fettaustauscher inDeutschland zu Recht verboten sind. Ich stelle weiter fest,dass sie in allen übrigen europäischen Ländern nach wievor verwendet werden, und ich stelle darüber hinaus fest,dass die Tiere, die mithilfe dieser bei uns verbotenen Fett-austauscher gemästet werden, reichhaltig nach Deutsch-land exportiert werden und hier zulasten des Verbrau-cherschutzes massenweise verzehrt werden,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

wie ich hinzufügen möchte: unter Belastung der Wettbe-werbsbedingungen der deutschen Landwirtschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächste Rednerin inder Debatte ist die Kollegin Steffi Lemke für die Fraktiondes Bündnisses 90/Die Grünen.

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): WertePräsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! HerrHollerith, Ihren Ausführungen soeben möchte ich für dasPublikum hinzufügen, dass Teile Ihrer Fraktion damalsgegen das Verbot der Verfütterung von Tierfetten ge-stimmt haben. Wenn die Diskussion so heuchlerisch ge-führt wird, wie es von Ihrer Seite aus hier teilweise ge-schehen ist und immer noch geschieht, dann brauchen wiruns nicht zu wundern, dass bisher ein generelles Verfütte-rungsverbot auf europäischer Ebene nicht durchsetzbargewesen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin Lemke,gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Straubinger?

Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja.

Max Straubinger (CDU/CSU): Frau Kollegin Lemke,weil Sie das Abstimmungsverhalten einzelner Kollegenunserer Fraktion bezüglich des Verbotes der Verfütterungvon Tierfetten angesprochen haben: Würden Sie zurKenntnis nehmen, dass wir in breiter Mehrheit zuge-stimmt haben? Ich persönlich habe dagegen gestimmt,

(Zurufe von der SPD: Wo ist die Frage?)

weil damit auch Fette verboten wurden, die für denmenschlichen Verzehr zugelassen waren. Das kann nichtin den Sinn des Gesetzes passen. Mittlerweile haben Sieselbst Ihre eigene Verordnung zum Fischmehlverbot wie-der zurückgenommen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Frage! � Gegenruf der Abg.Marita Sehn [FDP]: Er hat gefragt! Sie müssenzuhören!)

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 200118466

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Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ge-fragt war nichts, das ist schon okay. Ich kann trotzdem da-rauf antworten.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN und bei der SPD)

Es ging mir nicht darum, darzustellen, dass Ihre Fraktiongeschlossen gegen das Verbot der Verfütterung von Tier-fetten gestimmt hat. Hätten Sie sorgfältig zugehört, hättenSie meine Differenzierung auch bemerkt. Ich habe daraufabgezielt, dass es, so wie die Diskussion hier geführt wirdund damals geführt worden ist, kein Wunder ist, dass wirauf europäischer Ebene noch nicht weiter sind.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Wenn sich diese Form der Diskussion bei der Frage, obdas Fett der geschlachteten Tiere verfüttert werden solloder nicht, hindurchzieht und wenn wir nicht zu einersachlichen und fairen Diskussion miteinander kommen,dann werden wir kein umfassendes Verfütterungsverboterreichen; denn man kann natürlich immer mit Wirt-schaftlichkeitsaspekten argumentieren. Es ist selbstver-ständlich wirtschaftlich sinnvoller, das Tierfett zu verfüt-tern.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]:Das ist doch Unsinn! Man sollte beim Verhan-deln nicht so herumkaspern wie die Ministerin!)

� Jetzt bin ich dabei, seine Frage zu beantworten. Hört da-bei eine Sekunde zu!

Eines möchte ich noch anfügen: Wenn wir beim ThemaBSE auch über die Frage, was die Ministerin bisher an Er-forschung geleistet oder nicht geleistet hat, diskutierenwollen, dann muss ich sagen: Da bin ich einmal auf denbayerischen Beitrag in dieser Frage gespannt. Wir sollteneinmal zu der Frage kommen, was die Ursachen dafürsind, dass über die Hälfte aller bisherigen BSE-Fälle inBayern aufgetreten ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Ich komme zurück zur Debatte über den Haushalt fürVerbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft für dasJahr 2002. Wir setzen mit diesem Haushalt Zeichen für dieNeuorientierung der Agrarpolitik und der Verbraucher-schutzpolitik, indem wir eine Umschichtung der Mittel imHaushalt und auch eine Erhöhung der Mittel für den Be-reich Verbraucherschutz, für umweltgerechte Landwirt-schaft, für tierartgerechte Landwirtschaft, aber auch fürSozialpolitik im ländlichen Raum und für die Sicherungder Einkommen der Landwirte beschließen.

Ich will zu diesen einzelnen Punkten einige Ausführun-gen machen und fange mit dem Verbraucherschutz an.Der Verbraucherschutzetat im Bereich des Agrar- und Ver-braucherschutzministeriums wird in verschiedenen Punk-ten aufgestockt. Frau Widmann-Mauz, Sie haben den ei-nen Titel hier erwähnt und haben berechnet, dass dortkeine Erhöhung erfolgt. Man muss aber den Haushalt,wenn man ihn lesen will, vollständig lesen und darf sichnicht nur einzelne Titel herausnehmen. Hätten Sie das ge-tan, dann hätten Sie festgestellt, dass im Verbraucher-

schutzbereich keine Reduzierung eintritt. Erstens wird so-wohl im Bereich der institutionellen Förderung vonVerbraucherschutz eine Erhöhung um 2,5 Millionen DMvorgenommen. Zweitens wird eine Aufstockung der Stel-len für die Institutionen im Verbraucherschutz vorgenom-men, und zwar nicht nur im Ministerium, sondern auchbei den Verbänden. Wir stellen zusätzlich � zusätzlich! �Mittel für die Projekte zur Verfügung, nachdem die insti-tutionelle Förderung aufgestockt worden ist.

Die Ausführungen, die Sie hier gemacht haben, sindnicht richtig. Ich denke, dass wir das in der Diskussion imAusschuss noch klarstellen können, wenn wir uns überden gesamten Haushalt und nicht über Detailinformatio-nen aus einem einzelnen Haushaltstitel unterhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass klar ist, dass mit diesem Haushalt eineStärkung des Verbraucherschutzes erfolgen musste undauch erfolgt. Ich wäre für konstruktive Vorschläge seitensder Opposition in diesem Bereich wesentlich dankbarerals für eine Kritik, die sich lediglich darauf beschränkt,dass in einzelnen Punkten dieses oder jenes nicht so pas-siert ist, wie Sie das gerne vorgeschlagen hätten, ohneeine Gegenfinanzierung dafür vorlegen zu können.

Zum Bereich der umwelt- und tierartgerechtenLandwirtschaft. Wir haben das nicht auf den Ökoland-bau beschränkt. Ich bitte Sie noch einmal � ich habe dasvon dieser Stelle aus schon des Öfteren getan �, aufzu-hören, eine ideologische Diskussion �Konventionell ge-gen ökologisch� zu führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN undbei der SPD � Zuruf von der CDU/CSU: Dasmachen Sie doch! Da lachen ja die Hühner!)

� Hören Sie einmal zu. � Haben Sie, Frau Kopp, die einfa-che Tatsache zur Kenntnis genommen, dass wir ein Ak-tionsprogramm zur Stärkung des ökologischen Landbausauflegen, wie es in dieser Woche � Herr Deß, ich will aufBayern eingehen � der Bayerische Bauernverband gefor-dert hat? Er hat vorgeschlagen, die Haushaltsmittel in denBereichen Forschung, Stärkung der Umstellungsberatungetc. aufzustocken. Ich finde, dass es richtig ist, was derBayerische Bauernverband vorgeschlagen hat. Wenn dieFDP das aber zum Anlass nimmt, hier von Ökodiktat zusprechen, dann muss ich Ihnen erstens sagen, dass Sie keineAhnung von Diktat haben. Zweitens ist es vollkommen un-angemessen, auf eine sinnvolle Forderung, die inzwischenvon weiten Kreisen der konservativen Bauernschaft erho-ben wird, mit solchen Schlagworten zu reagieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD � Wiederspruch bei derCDU/CSU und der FDP)

Wir werden den ökologischen Landbau unterstützen.Das Ökosiegel, das die Ministerin vorgestellt hat � denentsprechenden Gesetzentwurf beraten wir heute mit�,wird zu einer deutlichen Ausweitung des ökologischenLandbaus führen, und es wird vor allem für die Verbrau-cher mehr Transparenz beim Kauf von Produkten ausökologischem Landbau schaffen. Wir haben uns natürlichbei der Frage, wie das Siegel ausgestaltet werden soll, ge-stritten. Es gab dazu verschiedene Auffassungen. Wir

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haben aber einen vernünftigen Vorschlag unterbreitet, undwir werden auch das, was auf europäischer Ebene bishernicht ausreichend geregelt ist, in Zukunft vernünftig re-geln. Dabei können Sie uns ja unterstützen, wenn Sie esmit Ihren Forderungen ernst meinen.

Das Wichtigste ist aber, dass wir ein Ökosiegel vorge-legt haben, das man in den Regalen finden wird und dasnicht in Schreibtischschubladen vergammelt, wie das bis-her der Fall war.

Wir werden darüber hinaus im Bereich der tierart- undumweltgerechten Landwirtschaft die Haushaltsmittel ver-stärken. Ich bedaure zutiefst, dass es aufgrund des Wider-standes von Bundesländern, aber auch aus dem Bauern-verband heraus nicht gelungen ist, die Modulation, die fürden Agraretat in bestimmten Bereichen der Landwirt-schaft mehr Haushaltsmittel bedeutet hätte, bereits imJahre 2002 beginnen zu lassen, sodass sie jetzt erst imJahre 2003 beginnen wird.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das hat doch nicht am Bauernverbandgelegen! Um den habt ihr euch nie gekümmert!)

Wir werden das trotzdem tun.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ihr habt euch nicht bei den Länderndurchgesetzt! Gib die Schuld doch nicht demBauernverband!)

Wir werden damit Akzente für die Stärkung von Umwelt-aspekten in der Landwirtschaft setzen.

Betrachten wir das, was in den USA im Hinblick aufGreen-Box-Maßnahmen bei der WTO und im Hinblickdarauf, dass auch die Vereinigten Staaten jetzt davon aus-gehen, dass die Förderung dieses Bereichs gestärkt wer-den muss, an vorsichtigen Akzentuierungen in der De-batte zu vernehmen ist, so bin ich sehr zuversichtlich, dasswir auf europäischer und internationaler Ebene ein gutesStück vorankommen werden.

Bezüglich der Sicherung des Einkommens der Land-wirte möchte ich noch einen Bereich ansprechen. Das sinddie erneuerbaren Energien. Wir werden im Gegensatz zumRegierungsentwurf eine Aufstockung der Mittel für dieerneuerbaren Energien vornehmen. Ich glaube, dass wirwenigstens in diesem Punkt gemeinsam voranschreitenkönnen, weil das, was Rot-Grün mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem Marktanreizprogramm vorge-legt hat, nicht nur für die Umwelt, sondern auch für dieEinkommen der Landwirte gut ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Wir werden für die Landwirtschaft neue Einkommens-möglichkeiten eröffnen. Wir werden den Sozialetat derLandwirtschaft weiter stärken, und wir werden außerdemdie Neuorientierung der Agrarpolitik, die bezüglich dertierart- und umweltgerechten und der ökologischen Land-wirtschaft dringend notwendig ist, einleiten.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat die Kol-legin Marita Sehn für die FDP-Fraktion.

Marita Sehn (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Eigentlich müsste der heutige Tagein Glückstag für die Landwirtschaft sein. Schließlichwird der Agrarhaushalt um 150 Millionen DM aufge-stockt. Doch bei genauerem Hinsehen bestehen berech-tigte Zweifel, ob die Gelder in ihrer Gesamtheit sinnvollverwendet werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Es stimmt bedenklich, dass die Bundesregierung, FrauLemke, noch immer keine Einzelheiten zu den Inhaltendes Bundesprogramms Ökolandbau nennt, oder sollteich sagen: nennen kann.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Machen Sie doch mal Vorschläge!)

Vielleicht wissen Sie selber noch nicht genau, was Siewie fördern wollen. 68 Millionen DM in 2002 und 68 Mil-lionen DM in 2003 sind ein bisschen viel Geld für eineKatze im Sack, auch wenn auf diesem Sack �Ökoland-bau� steht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Das Bundesprogramm �Ökolandbau� bleibt genausoim Dunkeln wie die gesamte Agrarwende, die � das habeich eben gehört � angeblich schon da ist. Aber ich habe sieleider noch nicht gesehen. Ich erinnere mich noch gut anden Anfang dieses Jahres, als uns das Ende der Landwirt-schaftspolitik alten Typs, die so genannte Agrarwende,und ein magisches Sechseck angekündigt wurden. Daseinzige Sechseck, das Sie bislang zustande gebracht ha-ben, ist ein Aufkleber für Ökolebensmittel und der ist al-les andere als magisch.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Mithilfe der Modulation wollten Sie eine kompletteNeuorientierung der Agrarpolitik erreichen. 6 Prozent derDirektbeihilfen sollten in Fördermittel für den ländlichenRaum umgewandelt werden. Bereits 2002 wollten Sie mitder Modulation beginnen.

(Heidemarie Wright [SPD]: Hätten Sie mitge-macht!)

Nun bezieht sie sich auf 2 Prozent der Direktbeihilfenund kommt erst 2003. Obendrein gibt es einen Freibetragvon 20 000 DM. Damit wird den einen geschadet, ohnedass jemandem geholfen wird. Die Modulation, liebeHeidi Wright, ist auf keinen Fall ein geeigneter Weg, diedeutsche Landwirtschaft auf die EU-Osterweiterung unddie bevorstehende Welthandelsrunde vorzubereiten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Landwirtschaft und Gartenbau brauchen vergleichbareWettbewerbsbedingungen in Europa. Davon sind wirmeilenweit entfernt. Warum dürfen zum Beispiel deut-

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sche Bauern nicht die gleichen Pflanzenschutzmittel wieihre europäischen Kollegen einsetzen?

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Die Bundesregierung sagt: Aus Gründen des vorsorgen-den Verbraucherschutzes. Aber worin besteht der �vor-sorgende Verbraucherschutz�, wenn entsprechend behan-delte Nahrungsmittel problemlos auf den deutschenMarkt gelangen können? Frau Künast ist auf dem bestenWege zu einer Exportgehilfin für europäische Konkur-renzprodukte zu werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie wendet sich damit gegen unsere Bauern, gegen dieländliche Bevölkerung und letztendlich auch gegen dieVerbraucher. Denn in unsere Kühe kommen vielleicht nurGetreide, Wasser und Gras. Aber was ist mit den Kühen inanderen Ländern? Vielleicht sollte man die Bundesregie-rung öfter daran erinnern: Wer Ja zu Europa sagt, der mussauch Ja zu einer gemeinsamen Agrarpolitik sagen und kannnicht bei jeder Gelegenheit sein eigenes Süppchen kochen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Die FDP lehnt die massive Förderung des ökologi-schen Landbaus am Markt vorbei ab. Wenn mehr Ökole-bensmittel produziert als nachgefragt werden, dann wer-den zunächst einmal die Preise sinken. Die Leidtragendenwerden die ökologisch wirtschaftenden Betriebe sein.Deshalb ist es wichtig, dass sich Angebot und Nachfragein gleichem Maße entwickeln können. Warum soll mandem Markt nicht das überlassen, was er viel schneller, bil-liger und besser als die Politik kann, nämlich Angebot undNachfrage in Einklang zu bringen?

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Auch der jetzt vorliegende Agrarhaushalt ist zu 70 Pro-zent ein Sozialhaushalt. Er beschäftigt sich vorrangig mitder sozialverträglichen Abwicklung der Landwirtschaft.Dagegen hilft auch keine Agrarwende. Im Gegenteil:Wenn jetzt 180 Millionen DM an zusätzlichen Sozialkos-ten auf den Agrarhaushalt zukommen, dann spricht dieseine deutliche Sprache.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Den Landwirten fehlen eine ökonomische Perspektiveund jegliches Vertrauen in die Politik.

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

Aber wie können unsere Landwirte auch Vertrauen in eineMinisterin haben, die sie wie Frau Künast in einem Inter-view mit der Zeitung �Die Zeit� der �Wasserverseuchungdurch Gülle� bezichtigt? Mit Verlaub: Blödsinn bleibtBlödsinn, auch wenn er von einer Ministerin stammt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Die Menschen in unserem Land sehen die Agrarwendelängst als das an, was sie ist: ein Märchen mit dem Titel

�Der Künast neue Kleider�. Auch ein Biosiegel reichtnicht aus, um die Blöße der Ministerin zu verdecken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Jetzt spricht der Kol-lege Matthias Weisheit für die Fraktion der SPD.

Matthias Weisheit (SPD): Frau Präsidentin! Ge-schätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsent-wurf des Bundesministeriums für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft weist für das kommendeJahr eine Steigerung von 109 Millionen DM auf. Das istangesichts der Haushalte der vergangenen Jahre durchausein positives Signal;

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

denn die Übertragung der Kosten für den Agrardiesel, diedieses Jahr mit 375 Millionen DM noch im Einzelplan 10aufgeführt sind, hätte eigentlich zu einer Senkung derAusgaben für die Landwirtschaft führen müssen. Tatsäch-lich wurde der Ansatz für die Gemeinschaftsaufgabe um130 Millionen DM auf 1,845 Milliarden DM erhöht.

Die Erhöhung des Mittelansatzes für Modell- und De-monstrationsvorhaben von 7 Millionen DM auf 31 Milli-onen DM und das neue Bundesprogramm Ökolandbau,für das 68 Millionen DM veranschlagt sind, versetzen unsin die Lage, neue, positive Entwicklungen in der deut-schen Landwirtschaft einzuleiten.

Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kannich in diesem Zusammenhang durchaus Zufriedenheitzum Ausdruck bringen; denn das Ziel der Konsolidierungdes von Ihnen, meine Damen und Herren von der Oppo-sition, zerrütteten Staatshaushaltes bleibt oberste Prio-rität. Mehrausgaben können sich daher nur in einem be-scheidenen Rahmen bewegen.

(Marita Sehn [FDP]: Nach drei Jahren! Jetztist gut! Es reicht!)

� Das werden Sie immer wieder hören müssen. (Marita Sehn [FDP]: Lieber Matthias Weisheit,noch nie etwas von Wiedervereinigung gehört?)

Wir müssen in den Haushalt jedes Jahr 80 Milliarden DMfür die Tilgung von Zinsen einstellen. Ich sähe es furcht-bar gern, wenn ein Teil dieses Betrags für den Agrarhaus-halt zur Verfügung stünde; das wäre wunderbar. Wirkönnten dann alle Ihre Wünsche erfüllen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit den zusätzlichen Mitteln werden wir, wie die Bun-desministerin ausgeführt hat, längst überfällige neue Pri-oritäten setzen. Multifunktionale Landwirtschaft undländliche Entwicklung sind Schlagwörter, die wir durchModellvorhaben in 15 Regionen mit Leben erfüllen wol-len.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr KollegeWeisheit, gestatten Sie eine Zwischenfrage des KollegenHollerith?

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Matthias Weisheit (SPD): Nein, heute nicht. Wir sindohnehin schon weit über die Zeit.

Was die verbraucherorientierte nachhaltige Produktionund die Vermarktung hochwertiger und gesunder Nah-rungsmittel bzw. den Aufbau regionaler Verarbeitungs-und Vermarktungsstrukturen angeht, lohnt sich ein Blicküber die Grenzen auf die Staaten, die demnächst der EUbeitreten werden, also einige mittel- und osteuropäischeStaaten. Diese Staaten sind uns auf dem Gebiet um eini-ges voraus.

(Marita Sehn [FDP]: Das ist wohl wahr!)

Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in dieAngebote von Bildung, Weiterbildung und Beratung stehtim Mittelpunkt dieser Projekte. Der spannende und zu-kunftsweisende Ansatz dieser Modellprojekte ist, dass sienicht, wie Sie gerne glauben machen würden, von Regie-rungsseite übergestülpt werden, sondern dass sich die Re-gionen für eine Teilnahme bewerben können und selbstVorstellungen entwickeln müssen, wie sie diese Zielset-zungen den jeweiligen Verhältnissen vor Ort, die wirklichüberall anders sind, anpassen wollen.

Es geht zum Beispiel darum, zu klären, wie außer denBauern die Handwerker, die Gastronomie, die bestehen-den oder zu gründenden verarbeitenden Betriebe, Verwal-tung und Handel, Volkshochschulen, allgemeinbildendeSchulen, Landwirtschaftsberatung und Verbraucherbera-tung zusammenwirken können und wollen, um ein sol-ches Projekt auf den Weg zu bringen. Ich weiß durchaus,wovon ich rede. In meinem Wahlkreis gibt es ein ähnli-ches Modellprojekt, das über das Land Baden-Württem-berg angestoßen wurde. Nach einigen Jahren ist es eineErfolgsstory geworden.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Der Weisheit hat ja der Ministerin einenBrief geschrieben und ihr ein paar Tipps gege-ben!)

� Ach, Peter Harry.

Auch ich weiß, dass es nicht einfach ist, die vielen un-terschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen.Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass über diesen Titeldas erforderliche Regionalmanagement, das diese Pro-jekte leitet und zusammenführt, finanziert werden soll.Erst danach folgen zusätzliche Aktivitäten, die nicht ausirgendwelchen anderen Töpfen der EU, der Länder, desBundes oder der Kommunen bezuschusst werden können.Ich halte die zeitliche Begrenzung dieser Förderung fürrichtig. Es darf keine Dauersubvention werden. Ichkönnte mir durchaus vorstellen, dass die vorgesehenenzwei Jahre nicht ganz ausreichen werden.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand][CDU/CSU]: Aha!)

Die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe�Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-schutzes� werden um über 100 Millionen DM angehoben.Für viele Bundesländer ist die GA ein wesentliches In-strument zur Gestaltung und Kofinanzierung der zweitenSäule der gemeinsamen Agrarpolitik, der Politik für denländlichen Raum. Mit den zusätzlichen Mitteln lassen

sich die zwischen Bund und Ländern verabredeten neuenZielsetzungen realisieren. Niemand soll hier die Illusionverbreiten, die Gemeinschaftsaufgabe werde nur vomBund bestimmt. In Wirklichkeit machen das Bund undLänder gemeinsam.

Ich denke insbesondere an die Verarbeitungs- und Ver-marktungsförderung. Mittelfristig müssen wir dazu kom-men, dass Bauern nicht ausschließlich Rohstofflieferan-ten sind, sondern dass sie durch Beteiligung an derVerarbeitung und an der Vermarktung am Mehrwert teil-haben, der daraus entsteht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN � Marita Sehn [FDP]: In Rheinland-Pfalz istschon einiges passiert!)

Die Möglichkeiten für Erzeugergemeinschaften werdenwir durch eine Novellierung des Marktstrukturgesetzes ver-bessern. Auch die Neuausrichtung der Ausgleichszulage fürdie benachteiligten Gebiete und die Investitionsförderungfür eine besonders artgerechte und flächengebundene Tier-haltung gehören zu den wichtigen neuen Impulsen in derGemeinschaftsaufgabe.

(Albert Deß [CDU/CSU]: Das ist doch nichtsNeues!)

Der Agrarteil des Haushaltsentwurfs ist zukunftsorien-tiert und gleichzeitig dem Ziel der Haushaltskonsolidie-rung verpflichtet. In den parlamentarischen Beratungenwerden wir noch die eine oder andere Korrektur vorneh-men. Dabei denke ich auch an die 10 Millionen DM, dieals Liquiditätshilfe an den Unterglasbau vorgesehen wa-ren, aber von der EU nicht genehmigt wurden. Vielleichtkönnen sie auf andere Weise zur Stärkung der Wettbe-werbsfähigkeit des Gartenbaus eingesetzt werden; denndie Situation des Unterglasbaus ist nach wie vor prekär.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ökosteuer weg! Dann haben Sie es!)

Das Gutachten der Frau von Wedel schlägt eine Reihegrundlegender organisatorischer Veränderungen vor,durch die ein Höchstmaß an Sicherheit und Zuverlässig-keit für Lebensmittel erreicht werden soll. An dieser Stellemuss ich noch auf zwei Beiträge von vorhin eingehen. Esist doch in der Tat so, dass die Lebensmittelkontrolle bis-her in der Hoheit und im Aufgabenbereich der Länderliegt. Hätten die Länder � Herr Hollerith, insbesonderedas Land Bayern �

(Peter H. Carstensen [Nordstrand][CDU/CSU]: Na, na!)

bei der Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle in derVergangenheit nicht sträflich versagt, dann hätten wir dieganzen Probleme mit BSE wahrscheinlich gar nicht ge-habt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Albert Deß [CDU/CSU]: Soein Schmarrn! So etwas Dummes kann mandoch wirklich nicht erzählen! In Bayern gab esmehr Lebensmittelkontrollen als in Nordrhein-Westfalen! Es gab sechsmal mehr, auf dieTonne bezogen!)

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� Aber keine Futtermittelkontrollen! Dafür gab es nur einehalbe Planstelle.

Wir wollen ein Höchstmaß an Sicherheit und Zuver-lässigkeit für Lebensmittel erreichen. In diesem Zusam-menhang wird es im Haushalt noch Änderungen gebenmüssen; denn neue Bundeseinrichtungen lassen sich ohnezusätzliches Personal nicht aufbauen.

Ich bin mir sicher, dass es im Zusammenwirken zwi-schen Ministerien, Haushaltsausschuss und Fachaus-schuss im Laufe der Beratungen in diesem Herbst zu ei-ner einvernehmlichen Lösung kommt. Ich will aber auchankündigen: Wir werden alle noch so verlockenden An-träge der Opposition ablehnen, die auf eine Ausweitungdes Haushaltsvolumens abzielen.

Herzlichen Dank.(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner zumEinzelplan 10 ist der Kollege Peter Bleser aus der Frak-tion der CDU/CSU.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das macht alles wieder gut!)

Peter Bleser (CDU/CSU): Verehrte Frau Präsidentin!Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach diesemwirren Strauß agrarpolitischer Vorstellungen der Ministe-rin und dem inhaltsschweren Satz, das Kapital derLandwirtschaft sei ihre Zukunft, möchte ich etwas Struk-tur in die Debatte bringen

(Zurufe von der SPD: Oh!)und zunächst einmal unsere agrarpolitischen Ziele de-finieren, damit Sie wissen, was wir an Ihrer Stelle tunwürden.

Wir würden die Bevölkerung mit sicheren, gesundenund hochwertigen Nahrungsmitteln versorgen. Dies wol-len wir unter ganz konkreten Bedingungen erreichen: Ers-tens. Eine an den Verbraucherwünschen orientierteNahrungsmittelerzeugung muss dem vorbeugenden undvorsorgenden Verbraucherschutz verpflichtet sein.

(Beifall bei der CDU/CSU � Steffi Lemke[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetztauch ein bedeutungsschwerer Satz!)

Zweitens. Unsere hohen Standards beim Tierschutz müs-sen eingehalten werden. Drittens. Der Schutz unsererUmwelt und die Erhaltung unserer Kulturlandschaft dür-fen nicht dem Wettbewerb geopfert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU � Zuruf von derSPD: Peter, du bist ja voll auf unserer Linie!)

Um diese Ziele erreichen und eine flächendeckendeLandwirtschaft erhalten zu können, müssen unsere Land-wirte in die Lage versetzt werden, aus ihren Unternehmens-erträgen ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand][CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Genau an diesem Punkt hat die Regierung schwere Fehlerbegangen. Frau Ministerin, seit die SPD und die Grünendie Regierung übernommen haben, haben die Landwirteviele Sonderbelastungen tragen müssen. Ich will bei-spielhaft die entsprechenden Stichworte nennen: Agenda2000, Ökosteuer, Kürzung der Zuschüsse für die Berufs-genossenschaft

(Albert Deß [CDU/CSU]: Bis zu 110 Prozent!)

und eine enorme Verteuerung des Agrardiesels. Das isteine Wettbewerbsbenachteiligung gegenüber allen ande-ren europäischen Nachbarstaaten. Darüber hinaus habenSie in den letzten Jahren die Landwirtschaft mit einerBürokratie überzogen, die kaum noch zu bewältigen ist.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie züchten schon Kängurus, die die For-mulare im Bauch herumtragen können!)

Mit der BSE-Krise im November vergangenen Jahreswurde die mangelnde Krisenfestigkeit dieser Regierungerneut deutlich. Geradezu in zynischer Weise haben Sie,Frau Ministerin, und der Bundeskanzler wissentlich undzu Unrecht die bäuerlichen Familien mit dem Wort vonden Agrarfabriken als Verursacher der Krise gebrand-markt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Sie haben sich mit Frau Höhn einen regelrechten Wettbe-werb geliefert, wie man aus der Verunsicherung von Ver-brauchern politisches Kapital schlagen kann. Frau Minis-terin, ich werfe Ihnen Folgendes vor: Sie haben IhreUmfragewerte mit einer unseriösen Verängstigung derVerbraucher und auf den Knochen der Bauern nach obengetrieben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Ihre Umfragewerte sind Gott sei Dank wieder im Sink-flug; die Folgen Ihrer Politik sind aber nach wie vor fürviele ländliche Bereiche und für die Bauern existenz-gefährdend.

Einvernehmlich haben wir den deutschen Bauernhöhere Auflagen bei der Verbesserung der Nahrungs-mittelsicherheit aufgelastet: Jedes Rind, das älter als24 Monate ist, muss einem BSE-Test unterzogen werden.Tiermehl darf nicht mehr verfüttert werden. Wir habendiese Maßnahmen mitgetragen und mitbeschlossen. Des-halb kann ich hier � sicher in Ihrer aller Namen � fest-stellen: Das sicherste Rindfleisch auf der Welt ist deut-sches Rindfleisch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Ich kann die Verbraucher nur bitten, dieses gute Fleischweiterhin zu genießen.

Sie aber, Frau Ministerin, haben es nicht geschafft, animportierte Lebensmittel die gleiche Messlatte anzulegen.

(Albert Deß [CDU/CSU]: So ist es!)

Denn weiterhin wird Fleisch nach Deutschland aus denLändern importiert, in denen keine BSE-Tests durchge-führt und unsere Auflagen im Rahmen der Fütterung nichtbeachtet werden müssen.

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Matthias Weisheit

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Die Bundesregierung hat wie keine andere Regierungin der Europäischen Union unsere Bauern bei der Besei-tigung der BSE-Folgen im Stich gelassen. Die Heraus-kaufaktion von Rindern ist verspätet und schleppendangelaufen und dann mussten die Bauern auch noch mo-natelang auf ihr Geld warten. Dies ist eine Unverschämt-heit in Anbetracht der Notlage, in der sich die Betriebe be-finden.

Jetzt möchte ich eine Forderung stellen: Frau Ministe-rin, der Weideabtrieb steht an. Der Rindfleischmarkt istam Boden. Obwohl die Verbraucher für Rindfleisch mehrzahlen müssen als früher, sind die Bauern in argeExistenznöte geraten. Ich fordere Sie auf, ein Hilfspro-gramm aufzulegen, damit wenigstens die derzeitigeMarktübersättigung überwunden werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP � Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen wir das beim Agrar-diesel weg, oder wie?)

Frau Ministerin, das Einzige, was Sie bisher vorzuzei-gen haben, ist die Schaffung eines Ökosiegels. Diesesneue Siegel wollen Sie deshalb einführen, weil Sie IhreVersprechungen, nämlich einen 20prozentigen Marktan-teil von Ökoprodukten, mit der Absenkung von Qualitäts-kriterien erreichen wollen. Dabei opfern Sie kaltschnäu-zig die mit hohen Investitionen auf dem Markt bereitsetablierten deutschen Ökosiegel wie Bioland, Demeterund viele andere.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)

� Fragen Sie doch einmal die Vertreter dieser Güte-zeichen!

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:Die wollten das doch, Herr Kollege!)

Die auf europäischen Kriterien basierenden wachswei-chen Vorgaben dieses Ökosiegels öffnen der Verbraucher-täuschung Tür und Tor.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Finanzieren wollen Sie dieses Ökosiegel im Rahmen derModulation, bei der Sie konventionell wirtschaftendenLandwirten das Geld aus der Tasche ziehen. Das lehnenwir ganz entschieden ab.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP �Matthias Weisheit [SPD]: Wo steht das denn?)

Wie inkonsequent die Bundesregierung mit ihrem öko-logischen Anspruch umgeht, zeigt die Rücknahme derFörderung von Biogasanlagen. Ein Pilotprojekt auf demFlugplatz Hahn, der in meinem Wahlkreis liegt, zeigt,dass die Nutzung von Biomasse � auch in Kombinationmit kommunaler Abwasserentsorgung und Kraft-Wärme-Kopplung � sowohl in ökologischer als auch in ökonomi-scher Hinsicht viele neue Perspektiven bietet.

Deshalb ist es ein Skandal, dass die Bundesregierungdie Förderung von Biomassefeuerungsanlagen zurückge-fahren hat. Ich freue mich, wenn jetzt bei Ihnen die Ein-

sicht wächst, diese Rücknahme wieder zurückzunehmen.Aber diesen Umweg hätten wir uns alle sparen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Genauso verwerflich ist, dass Sie den dort gewonnenenStrom noch mit der Ökosteuer belasten. Auch dies istnicht in Ordnung und dient keinem ökologischen Ziel. DieEinschränkung, dass die räumliche Bindung zwischenStromerzeuger und Stromverbraucher sehr eng sein muss,hemmt die weitere Entwicklung.

Frau Ministerin, Sie machen sich bei einem weiterenPunkt unglaubwürdig: beim Tierschutz. Sie wollen dieKäfighaltung von Legehennen verbieten. Der Aufschreider Wissenschaft, dass die Bodenhaltung keineswegstiergerechter sei, stört Sie genauso wenig wie die Verla-gerung der Produktion ins Ausland.

(Peter H. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann kommt ein Stempel drauf: DasEssen dieser Eier gefährdet Ihre Gesundheit!)

Eine neue, die Tierhygiene und den Tierschutz beachtendeKleinvolierehaltung lehnen Sie stur ab. Um eine euro-päische Lösung kümmern Sie sich erst gar nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Was Glaubwürdigkeit im Tierschutz angeht, so ist eines sehr deutlich, Frau Künast: Während wir über vieleJahre die Zahl der Tierversuche zurückgeführt haben, istsie nach dem neuesten Tierschutzbericht, den Sie vorge-legt haben, im Jahre 1999 um 100 000 angestiegen � daszur Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung in SachenTierschutz.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Bleser,Sie müssten bitte zum Schluss kommen.

Peter Bleser (CDU/CSU): Ich bin schon am Schluss,Frau Präsidentin.

Verehrte Frau Ministerin, Sie sind nun seit wenigenMonaten im Amt und stehen vor einem ScherbenhaufenIhrer Politik. Nicht BSE und MKS sind das Hauptproblemder deutschen Landwirte. Das Hauptproblem sind Sie undIhre Regierung.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � Zu-ruf von der SPD: Das ist aber übel!)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Weitere Wortmeldun-gen zum Einzelplan 10 liegen nicht vor.

Auch wenn die Rednerliste für den Einzelplan 15 nochnicht ausgedruckt ist, eröffne ich bereits jetzt die Aus-sprache dazu und erteile das Wort der Bundesgesund-heitsministerin Ulla Schmidt.

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Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit: FrauPräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habegerade daran gedacht, dass das alles gut zusammenpasst;denn gesunde Ernährung ist auch gut für die Gesundheit.Menschen, die sich dank der Politik der Landwirtschafts-ministerin gesund ernähren, bleiben länger fit, und werlänger fit bleibt, bleibt länger gesund.

(Zuruf von der CDU: Aber Sie sind nicht fitfür die Gesundheitspolitik!)

� Ich bin zuständig für die Gesundheitspolitik. Wenn Siedafür zuständig wären, wüssten Sie, dass ein gesundes Le-ben oder eine gesunde Ernährung und die Verantwortungfür die eigene Gesundheit etwas mit Gesundheitspolitikzu tun haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die aktuellen Auseinander-setzungen über Einsparungen im Arzneimittelbereich zei-gen erneut, dass es in der Gesundheitspolitik immer auchum Geld geht. Insgesamt steuert das Bundesgesund-heitsministerium ein Ausgabenvolumen von rund520 Milliarden DM. Bei diesen Zahlen ist es kein Wun-der, dass es immer wieder zu großen Verwerfungen undStreitereien kommt, dass immer wieder um alles hart ge-rungen wird.

Demgegenüber ist der Haushalt des Bundesgesund-heitsministeriums, den wir heute einbringen, mit knapp1,4 Milliarden Euro eine geradezu verschwindend kleineGröße. Grund dafür ist, dass das Finanzvolumen, das imBereich Gesundheit bewegt wird, in den Haushalten derKassen und zum Teil auch in den Haushalten der Ländervorkommt. Wir haben die Rahmenbedingungen dafür zuschaffen, dass mit diesen Geldern verantwortlich umge-gangen wird.

Auch die aktuellen Gesetzesvorhaben, die wir heutemit beraten, sind Weichenstellungen für die Zukunft. Siesollen dafür sorgen, dass die Gesundheitsversorgung anden Bedürfnissen der Menschen orientiert wird und dassdie Ausgaben zwei Forderungen gerecht werden: Aus-gaben sollen qualitätsgesichert und wirtschaftlich erfol-gen.

(Beifall bei der SPD)

Angesichts der Debatten der letzten Wochen ist es viel-leicht notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen, dasswir in Deutschland ein leistungsfähiges Gesundheitswe-sen haben, um das uns viele Länder beneiden. Wir habeneine flächendeckende Behandlung durch Ärzte undZahnärzte, eine flächendeckende Behandlung durchKrankenhäuser. Bei uns gibt es keine Wartelisten für Ope-rationen.

(Dr. Dieter Thomae (FDP): Na, na, na!)

Wir haben eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit Arz-neimitteln und ein funktionierendes Rettungswesen. Aufalle diese Leistungen haben die Menschen, die gesetzlichkrankenversichert sind, Anspruch und dies soll auch inZukunft so bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Anspruch ist unabhängig vom Alter, vom Ge-schlecht, vom Familienstand und vom Einkommen. Unddas ist gut so, Herr Kollege Thomae!

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das sind aber Märchen!)

� Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist; in meiner Stadt istdie Versorgung so.

Weil das so ist, halten wir an der solidarischen Kran-kenversicherung fest. Eine Aufteilung ihres Angebots inGrund- und Wahlleistungen kann nicht die Sicherheit, wiewir sie heute haben, bieten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will nicht verschweigen, dass wir vor großen He-rausforderungen, auch in der Gesundheitspolitik stehen.Ich nenne hier nur einmal die Herausforderungen durchden medizinischen Fortschritt, Herausforderungen auf-grund der demographischen Entwicklung und aufgrundder wachsenden Zahl multimorbider Menschen und chro-nischer Erkrankungen. Deshalb ist eine Weiterentwick-lung des Systems notwendig, eine Weiterentwicklung hinzu mehr Patientenorientierung, mehr Versorgungsqua-lität, vor allem für chronisch kranke Menschen, und mehrWirtschaftlichkeit.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf heute sagen: Knapp drei Jahre nach dem Regie-rungswechsel haben wir vieles erreicht.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid][CDU/CSU]: Ja, aber was!)

Die Stärkung der hausärztlichen Versorgung, mehr Qua-lität und Transparenz, eine bessere Verzahnung der Leis-tungsbereiche

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Und höhere Bei-tragssätze!)

sowie die Förderung der Prävention und Selbsthilfe be-deuten nichts anderes als mehr Orientierung an den Pati-enten und deren Bedürfnissen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Trotz Leistungsverbesserungen � da sollten Sie mal gutzuhören �, trotz einer Entlastung der Patientinnen und Pa-tienten bei den Zuzahlungen

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid][CDU/CSU]: Eine Mark!)

und trotz einer rapide voranschreitenden Entschuldungder Kassen in den neuen Bundesländern, die Sie ja stop-pen wollten,

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Und in den altenLändern?)

konnten wir, meine Damen und Herren von derCDU/CSU und der FDP, die Beiträge stabil halten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz liegt im-mer noch bei 13,6 Prozent.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber das Defi-zit beträgt mehrere Milliarden!)

Das war genau der Beitragssatz, den uns der KollegeSeehofer übergeben hat,

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und einenÜberschuss!)

nachdem unter seiner Ägide der Beitragssatz in siebenJahren um durchschnittlich 0,2 Prozent jährlich angestie-gen war.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Wolfgang Zöller [CDU/CSU]:Das stimmt nicht! Das wissen Sie genau!)

Unser Gesundheitswesen � �

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Ist pleite!)

� Es ist nicht pleite, da brauchen Sie gar keine Angst zuhaben. Ich habe da auch keine Sorgen. Wenn man aktuelleSchwierigkeiten hat, muss man darauf reagieren.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Aber richtig!)

Wir brauchen kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen.Wir brauchen vor allen Dingen eines: Wir müssen das Ge-sundheitswesen mehr als bisher an medizinischen Be-dürfnissen ausrichten.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir brauchenFachverstand! � Wolfgang Lohmann [Lüden-scheid] [CDU/CSU]: Schön wäre es!)

Dazu gehört richtigerweise, dass wir uns mit einer umfas-senden Umgestaltung der Entgeltsysteme auseinandersetzen müssen.

Für den niedergelassenen ärztlichen und zahnärztlichenBereich werden die Vergütungssysteme grundlegend re-formiert. Daran arbeiten zurzeit die Selbstverwaltungsgre-mien. Im Krankenhaus wird mit dem heute eingebrachtenGesetz zur Einführung der Fallpauschalen ebenfalls einleistungsorientiertes Preissystem eingeführt und damit diebislang umfassendste Reform im Krankenhausbereich ein-geleitet. Die konkrete Umsetzung erfolgt mit dem Fall-pauschalengesetz. Da wir uns in der Zielsetzung einigsind, gehe ich davon aus, dass wir uns auch bei der Frageder konkreten Umsetzung, so wie wir sie im Gesetzent-wurf vorgesehen haben, einig werden.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn Sie IhreBudgets abschaffen, können wir darüber re-den!)

Ich glaube, dass der große Fortschritt darin besteht,dass wir mit dem Fallpauschalensystem wirklich einestarre, fiskalisch orientierte Budgetierung im Kranken-haus überwinden und dass ein modernes, prozessoffenesVergütungssystem auf den Weg gebracht wird. Das Geldmuss der medizinischen Leistung folgen. Es muss klar er-kennbar sein, wohin die Ressourcen fließen und für wel-che Leistungen sie gebraucht werden.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die Worte höreich wohl! Allein mir fehlt der Glaube!)

Diese Transparenz schaffen wir mit dem Fallpauschalen-system. Dies ist eine wirklich große Reform, die auchlangfristig Wirtschaftlichkeitsreserven im größten Ausga-benbereich der Krankenversicherungen erschließen unddie Qualität verbessern wird.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer Ja sagt zur Leistungsorientierung und dazu, dassdie Krankenhäuser mehr Freiräume erhalten sollen, dermuss auch zu den Instrumenten Ja sagen, die wir brau-chen, um sicherzustellen, dass nur das medizinisch Not-wendige � dies aber in jedem Fall � erbracht wird und dassLeistungen in der Qualität abgesichert werden.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Und was istnotwendig?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,deshalb müssen die Kontrollmechanismen und die Prüf-möglichkeiten der Krankenkassen und der Medizini-schen Dienste angepasst werden. Ich sage dies auch andie Kritiker gerichtet, die oft aus den Krankenhäusernkommen: Wer mehr Freiheit will � und das wollen jaalle �,

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Der muss mehr kontrolliert werden!)

der muss sich der fachlichen Überprüfung stellen, HerrKollege Lohmann. Ich glaube, wir sind uns einig, dassdies notwendig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf wird dem, was zurzeit diskutiertwird, gerecht: Es herrscht die Befürchtung, dass die Kran-kenhäuser durch die Verzögerung der Softwareeinführungin Bedrängnis kommen. Wir sehen eine behutsame undabgestufte Einführung der Fallpauschalen vor,

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Bis wann?)

sodass alle Beteiligten � Krankenhäuser und Krankenkas-sen � eine faire Chance zur Anpassung haben und manwirklich sagen kann, dass dies ein lernendes System ist.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Bis wann?)

� Die Krankenhäuser können ab 1. Januar 2003 starten,aber wir verlängern die budgetneutrale Phase um ein Jahr,sodass spätestens zum 1. Januar 2004 alle Krankenhäuserin diesen Prozess eintreten und wir dann Zeit haben, zweiJahre lang zu beobachten, wo es Schwierigkeiten gibt undwie sie überwunden werden können.

Deshalb trifft der Gesetzentwurf auch noch keine Fest-legungen für die Zeit ab 2007. Es versteht sich von selbst,dass wir bei einem lernenden System erst im Jahre 2006aufgrund der Erfahrungen der Zeit davor festlegen kön-nen, wie es nach 2007 weitergehen soll.

(Beifall bei der SPD)

Sonst würden wir Dinge vorwegnehmen, die man imGrunde genommen heute nicht entscheiden kann.

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Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schritt für Schritt,das ist auch die Maxime für die Verbesserungen derVersorgung pflegebedürftiger Menschen in Deutsch-land. Ein Baustein ist die bessere Versorgung demenz-kranker Menschen durch das Pflege-Leistungsergän-zungsgesetz.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Darauf warten wir schon so lange!)

� Ich habe �ein Baustein� gesagt, Kollege Lohmann, weilich mir darüber im Klaren bin,

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Dass Sie es noch nicht gemacht haben!)

dass dies vor dem Hintergrund der begrenzten finanziel-len Mittel der Pflegeversicherung nur ein erster Schrittsein kann. Es müssen weitere Schritte folgen, aber ichhalte es für einen wichtigen Schritt.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Hätten Sie dasGeld in der Kasse gelassen, hätten wir mehrSpielraum!)

Wir machen mit diesem Gesetzentwurf vor allem den-jenigen ein Angebot, die zu Hause rund um die Uhr de-menzkranke Angehörige pflegen und sehr viel Kraft indiese Aufgabe stecken. Ich weiß, dass sehr viel mehr Geldnötig wäre.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid][CDU/CSU]: Müsste!)

Aber 900 DM im Jahr für den, der einen demenzkrankenMenschen betreut, machen immerhin 500 Millionen DMin der gesetzlichen Pflegeversicherung aus. Wir müssen jaauch sehen, es ist ein Baustein, ein erster Schritt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD � WolfgangLohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Es sind2,47 DM pro Tag!)

Die Mittel sind zweckgebunden für die Tages- undNachtpflege, die Kurzzeitpflege und andere niedrig-schwellige Betreuungsangebote. Wir sind in Gesprächenmit den Landesarbeitsämtern bzw. mit dem Bundesar-beitsministerium, um zu erreichen, dass durch ergänzendeMaßnahmen die Vorraussetzungen dafür geschaffen wer-den, dass mit diesem Geld Betreuung finanziert werdenkann. Es sind vor allen Dingen Frauen, die die Krankenpflegen, und unser Ziel ist es, dass man für sie ein StückEntlastung erreicht.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Also mit 2,47 DM pro Tag!)

Darüber hinaus sollen Modellvorhaben zur Entwick-lung neuer Versorgungskonzepte und -strukturen auf denWeg gebracht und gefördert werden. Wir wollen mit die-sem Gesetzentwurf ein Netz von abgestuften, bedarfsori-entierten und gemeindenahen Hilfen anbieten. Ich sage esnoch einmal: Wir werden dies ausbauen müssen, auch imZuge der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, weilhier ein großer Bedarf besteht.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen Schritt fürSchritt die Reform des Gesundheitswesens an:

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Gestern standen wir am Abgrund, heutesind wir einen Schritt weiter!)

Solidarität mit den Kranken, Wettbewerb um die besteVersorgung, optimale Leistungen, auch bei Beratung,Vorsorge und Prävention. Die weitere Eindämmung derKosten und die Stabilisierung der Beiträge sind und blei-ben unser Ziel. Ich bin davon überzeugt, dass wir diesesZiel am Ende auch erreichen werden.

Diesem Ziel diente auch das vorgestern mit den Spit-zenverbänden der Kassen, der Selbstverwaltung der Kas-sen und dem DGB vereinbarte Maßnahmenpaket zur Ein-dämmung der Kosten im Arzneimittelsektor. Wenn mansich einmal die großen Leistungsbereiche in der gesetzli-chen Krankenversicherung ansieht, ist neben dem Bereichder Krankenhäuser und dem Bereich der ambulanten Ver-sorgung der Arzneimittelbereich derjenige, der die größtenZuwächse zu verzeichnen hat. Es hat im ersten Halbjahr2001 etwas stattgefunden, was wirklich zu einer Wendeführt, wenn wir nicht dagegenhalten, nämlich dass für dieArzneimittel im Bereich von Apotheken und anderen mehrGeld ausgegeben wird als für die gesamte Vergütung imambulanten Bereich. Da kann etwas nicht stimmen, meineDamen und Herren. Da kann man sich Gedanken machen,wie wir in diesem Bereich zu Einsparungen kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das, was wir vorschlagen und auch in den nächstenWochen hier diskutieren werden, führt zusammen mit derAbsenkung der Festbeträge und der Initiative der Selbst-verwaltung, der Kassenärztlichen Vereinigungen und derKrankenkassen, im Hinblick auf die Steuerung der Arz-neimittelausgaben Schritt für Schritt zur Sicherung unse-res solidarischen Systems. Das führt dazu, dass wir dieBeiträge auch langfristig stabil halten können.

Mit diesem Schritt � das geht noch einmal an Sie � ha-ben wir einen Weg gefunden, bei steigenden Kosten nichtIhre Politik fortzusetzen, die immer darin bestanden hat,dass Sie bei Kostenexplosionen die Zuzahlungen für dieKranken erhöht

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Explosionen hat es nie gegeben!)

und zusätzlich Leistungen eingeschränkt haben. Würdeman diese Politik fortsetzen, untergräbt man die Akzep-tanz der solidarischen Versicherung, weil die Menschennicht bereit sind, das hinzunehmen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Wolfgang Lohmann [Lüden-scheid] [CDU/CSU]: Bei Ihnen werden Leis-tungen vorenthalten!)

Wir haben einen besseren Weg gefunden. Ich hoffe aufIhre Unterstützung, damit wir die gesetzliche Kranken-versicherung gemeinsam stabilisieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Kol-lege Horst Seehofer für die Fraktion der CDU/CSU.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt kommtwieder etwas Sachliches!)

Horst Seehofer (CDU/CSU): Frau Präsidentin!Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Wo-che hat �Der Spiegel� eine Umfrage veröffentlicht. Da-nach sind 68 Prozent der Deutschen mit der aktuellenGesundheitspolitik unzufrieden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU �Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Das war zu Ihrer Amtszeit genauso!)

� Das war keine Umfrage über meine Amtszeit. Aber ichdarf Ihnen sagen, Frau Göring-Eckardt: Das ist derschlechteste Wert, der jemals bei einer Befragung zur Ge-sundheitspolitik herausgekommen ist. Kein anderer Poli-tikbereich wird von der Bevölkerung schlechter bewertetals die Gesundheitspolitik dieser Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Diese miserable Bewertung hat einen Namen und ei-

nen Grund: Ulla Schmidt mit einer chaotischen Gesund-heitspolitik, bei der niemand mehr weiß, wohin die Reisegeht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Frau Schmidt, Sie nennen immer wieder den Beitrags-

satz von 13,6 Prozent, den Sie übernommen haben. Ichwill mich gar nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dassin den 90er-Jahren die Gesundheitspolitik größtenteils ge-meinsam von SPD, CDU/CSU und FDP gemacht wurde.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Leider! � Heiter-keit bei der CDU/CSU)

Aber ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Die13,6 Prozent Beitragssatz, die Sie 1998 übernommen ha-ben, können Sie nur halten, erstens, indem Sie MillionenMenschen in Deutschland, die einer geringfügigen Be-schäftigung nachgehen, mit einer Sozialversicherungs-pflicht belegt haben und somit bei kleinen Verdienstver-hältnissen abkassieren; zweitens, indem Sie durch IhreBudgetierung dazu beitragen, dass Millionen krankeMenschen in Deutschland die notwendige Versorgungnicht mehr bekommen;

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)drittens, indem Sie ein riesiges Defizit vor sich herschie-ben.

(Zuruf von der SPD: Beispiele!)Es ist eine einfache Politik: Der Beitragssatz wird sta-

bil gehalten, indem ich nicht die Krankenversicherungs-beiträge belaste, sondern die Menschen mit einer gering-fügigen Beschäftigung, mit 630-DM-Jobs, zu einemBeitrag zwinge, indem ich über die Budgetierung Leis-tungen ausgrenze und außerdem ein riesiges Defizit an-häufe. Das ist keine politische Kunst. Deshalb kam es zudieser schlechten Bewertung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU undder FDP)

Jetzt möchte ich Ihnen sagen, wie ich zu meinem Ur-teil gekommen bin, Ihre Gesundheitspolitik sei chaotisch.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das wollte ichauch sagen!)

Ich möchte meine Kritik nur an einem Punkt festmachen,weil er symptomatisch für alle anderen Bereiche ist. Mankönnte beispielsweise auch über den Medikamentenpassreden, aber ich bleibe bei dem Punkt, den Sie in dennächsten Monaten offensichtlich in den Mittelpunkt IhrerGesundheitspolitik stellen werden, nämlich die Medika-mentenversorgung in Deutschland.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das geht daneben!)

Sie haben am 6. März dieses Jahres vor der Bundes-pressekonferenz Folgendes gesagt:

Es gibt bisher keinen Hinweis auf den Anstieg derArzneimittelausgaben seit Anfang 2001. Eher dasGegenteil ist zu erwarten wegen der Verhandlungenmit den Kassenärztlichen Vereinigungen.

So Ulla Schmidt im März dieses Jahres! Dann kam derSeptember. Im September mussten wir registrieren: DieArzneimittelausgaben waren um 11 Prozent gestiegen.Siehe da: Nach der Verlautbarung des Ministeriums � Siehaben das vor der Presse wiederholt � begründen Sie denArzneimittelanstieg, den Sie noch im März verneint ha-ben, als Sie das Gegenteil angekündigt haben, wie folgt:

Der nunmehr im 1. Halbjahr 2001 registrierte An-stieg der Ausgaben in Höhe von 11 Prozent hängtauch zusammen mit einem erheblichen Zuwachs derArzneimittelausgaben für die Verordnung von Arz-neimitteln zur Behandlung von schwerwiegendenund lebensbedrohlichen Erkrankungen. So sind ins-besondere die Ausgaben für die Krebsmedikationund die Aids-Therapie deutlich angestiegen. In die-sen Therapiebereichen hat es in letzter Zeit wichtigeInnovationen gegeben. Weiterhin ist zu beachten,dass die zur Verfügung stehenden Rationalisierungs-potenziale, zum Beispiel bei den umstrittenen Arz-neimitteln, zunehmend an Grenzen stoßen.

Das war die Begründung, die im September dieses Jah-res gegeben wurde.

Vorgestern sagt die gleiche Ministerin: Stopp, wederdie erste Prognose, es gebe keinen Anstieg, noch die Be-gründung für den Anstieg � er betreffe nur schwere Er-krankungen � stimmt. Jetzt sagen Sie, die Pharmaindus-trie habe sehr gut verdient und deswegen müssten wir sienun zur Verantwortung ziehen.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ihr habt sie jaimmer geschont!)

Innerhalb von wenigen Monaten wird eine dreifache Pro-gnose und Begründung zum gleichen Sachverhalt abge-geben.

(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. RudolfSeiters)

Frau Ministerin, Ihr Wort ist ein Muster ohne Wert. Sie be-treiben eine chaotische Gesundheitspolitik.

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(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � HorstSchmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Das wider-spricht sich überhaupt nicht!)

Ich kann Sie nur dringend davor warnen � es wird einegewaltige Auseinandersetzung geben �, Ihren Vorschlagweiter zu verfolgen, dem Arzt die Therapiefreiheit zunehmen, indem Sie ihn dazu verpflichten, nur eine Wirk-stoffgruppe zu verschreiben, und der Apotheker dann dasbilligste Arzneimittel aus der verordneten Wirkstoff-gruppe abgeben muss.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Nicht das billigste!)

Sie können nicht auf der einen Seite in schönen Schal-meienklängen sagen, im Mittelpunkt steht der Patient, wirlegen höchsten Wert auf die Qualität, der Patient inDeutschland soll das Beste bekommen, was für ihn zurVerfügung steht,

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Er hat einen Anspruch darauf!)

während Sie auf der anderen ein Gesetzgebungsverfahrenmit dem Ziel einleiten, für die Menschen nur das billigsteMedikament zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP �Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das preiswertes-te! � Dr. Dieter Thomae [FDP]: Unverschämt-heit!)

Eine solche Politik halten wir für absolut falsch und wirwerden sie mit massiven Mitteln bekämpfen. Der ersteGrundsatz muss sein: Die Verantwortung für die Medika-mententherapie gehört in die Hand des Arztes und darfihm nicht genommen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Stellen Sie sich einmal vor, was diese Maßnahme in der

Praxis bei Lipobay bedeutet hätte. Ich garantiere Ihnen:Bei Lipobay wären Sie die Erste gewesen, die gefragthätte, wer diesen Unsinn gemacht hat, und gefordert hätte,das Medikament zurückzurufen. Wenn Sie Ihren Vor-schlag � der Arzt verordnet eine Wirkstoffgruppe und dasArzneimittel wählt der Apotheker aus � bereits umgesetzthätten, hätte das im Zusammenhang mit dem Arzneimit-telskandal um Lipobay bedeutet � ich nenne nur zwei Me-dikamente �: Es gibt das Medikament mit dem Namen Li-previl. In der kleinsten Packung � 50 Tabletten � kostet es112,04 DM. 50 Tabletten Lipobay � zur gleichen Wirk-stoffgruppe der Statine gehörend � kosten nur 98,45 DM,also rund 14 DM oder 10 Prozent weniger.

Hätten Sie Ihren Gesetzentwurf bereits umgesetzt ge-habt, hätte das dazu geführt, dass unabhängig von der Be-findlichkeit des Patienten, von seinem Blutbild und seinensonstigen Erkrankungen der Apotheker das billigere Arz-neimittel abgegeben hätte.

(Widerspruch bei der SPD)Dann wäre aus dem Problem Lipobay eine Katastrophe inDeutschland geworden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � HorstSchmidbauer [Nürnberg] [SPD]: So ein Dema-goge! � Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es!)

Ich kann mir vorstellen, dass dagegengehalten wird,der Arzt sei zu einem solchen Vorgehen nicht verpflichtet.In welchem Land leben Sie eigentlich? Wenn Sie als Ge-setzgeber den Arzt verpflichten, nur noch den Wirkstofffestzuschreiben � es sei denn, er wünscht ausdrücklich einanderes Medikament �, dann müssen Sie doch wissen:Entzieht sich der Arzt diesem gesetzlichen Auftrag undweicht damit im Umfang der Verordnungen vom Durch-schnitt seiner Kollegen ab, dann werden anschließend dieKassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassenden Arzt, der sich sinnvoll verhält, einer Wirtschaftlich-keitsprüfung unterziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)Dem werden sich die Ärzte entziehen. Deshalb kann

ich Sie nur dringend davor warnen, die Therapiefreiheitdes Arztes so massiv einzuschränken und die Verantwor-tung für die Medikamententherapie in andere Hände zulegen. In der Medikamententherapie wird es ein undurch-schaubares Durcheinander geben und der nächste Arznei-mittelskandal ist vorprogrammiert.

Frau Schmidt, wir werden Sie dann ganz persönlichdafür verantwortlich machen;

(Susanne Kastner [SPD]: Hören Sie doch aufmit diesen Drohungen!)

denn Sie wissen so gut wie ich, dass es nicht alleine aufdie Wirkstoffgruppe ankommt. Für die Befindlichkeitsind andere Umstände, zum Beispiel die Galenik verant-wortlich. Auch in unserer Zeit mussten wir erleben, welchgewaltige Auswirkungen bei kranken Menschen entste-hen, die in ihrer Medikamententherapie umgestellt wer-den. Die Betroffenen haben häufig nur gesehen, dass sieanstelle einer weißen eine blaue Tablette bekommen. Da-hinter stand die Bioverträglichkeit.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid][CDU/CSU]: So ist es!)

Diesen Umstand können Sie nicht außer Acht lassen, in-dem Sie nur auf Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen abstel-len.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb sage ich Ihnen: Die Arzneimittelsicherheit unddie Verantwortung für die Verordnung müssen beim Arztbleiben. Das kann nicht geteilt werden.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ist es!)

Nun zu der Sicht der Apotheker � ich übrigens würdeals Apotheker genauso handeln �: Wenn nach wirtschaft-lichen Gesichtspunkten auszuwählen ist, dann werden dieZielfahnder der Pharmaunternehmen den Apotheker in ihrZielkreuz nehmen. Sie werden natürlich Rabatte anbieten.Ich sage gar nicht, dass dies unanständig ist. Das ist einganz normaler Prozess. Wenn Sie im Gesundheitsbereichalleine auf die Betriebswirtschaft und auf das Geld ab-stellen, dann werden Rabatte angeboten. Dann wird dasMedikament natürlich dort gekauft, wo die höchsten Ra-batte gewährt werden. Das ist eine ganz normale Verhal-tensweise.

Durch diese Maßnahme tragen Sie letzen Endes dazubei, dass der Patient bei der Medikamententherapie in der

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Zukunft nicht mit solchen Medikamenten behandelt wird,die gut und nötig sind, sondern mit solchen, die so billigwie möglich sind. In eine solche Situation wollen wir inDeutschland nicht kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � La-chen bei der SPD)

Wir wollen in Deutschland nicht zu der Lösung kommen,dass die Masse der Bevölkerung mit den billigsten Medi-kamenten abgespeist wird und diejenigen, die privat zah-len können, erste Sahne bekommen. Das haben wir vorzehn Jahren gerade beseitigt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP �Dr. Dieter Thomae [FDP]: Zweiklassenmedi-zin!)

Sie ökonomisieren die Medizin total. Die Medikamen-tentherapie wird von A bis Z ökonomisiert. Das Patien-teninteresse spielt keine Rolle mehr.

Dazu setzen Sie noch einen drauf: Sie bürokratisieren.Ohnehin haben Sie jetzt schon wieder die unsinnige Posi-tivliste eingeführt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)Man muss sich einmal Folgendes vorstellen: Ein Arznei-mittel wird von einer staatlichen Behörde zugelassen.Dann kommt Ihre Wissenschaftlergruppe mit der Positiv-liste ins Spiel. Nun kommt noch das Sahnehäubchen anUnsinn obendrauf:

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Der Bundesaus-schuss!)

Jetzt wird der Bundesausschuss �Ärzte und Krankenkas-sen� noch eine dritte Prüfung durchführen, ob mit demMedikament wirklich ein medizinischer Fortschritt ver-bunden ist.

Jetzt kann es Ihnen passieren, dass ein Medikament,das vom Staat zugelassen ist, in der Positivliste erscheint

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie erzählenMärchen!)

und plötzlich vom Bundesausschuss �Ärzte und Kran-kenkassen� für nicht verordnungsfähig erklärt wird. Siemüssen mir einmal sagen, wie wir der Bevölkerungdraußen eine solche dreifache Zulassung mit jeweils un-terschiedlichen Ergebnissen erklären sollen. Das istBürokratie total.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � Dr. Dieter Thomae [FDP]: So ein Schwach-sinn!)

Frau Schmidt, ich möchte Sie nur darauf hinweisen:Sie können jede Richtgröße für die Wirtschaftlichkeit-sprüfung der Ärzte vergessen, wenn Sie den Arzt bei derTherapiehoheit nicht mehr in die Verantwortung nehmen.Erst haben Sie die Budgetierung aufgehoben, ohne Richt-größen einzuführen. Jetzt wollen Sie Richtgrößen mit ent-sprechenden Gesetzen einführen und während Sie sie ein-führen, schaffen Sie ihre Wirksamkeit dadurch wieder ab,dass Sie dem Arzt die Verantwortung aus der Hand neh-men. Das ist ein Schwachsinn ohnegleichen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Frau Ministerin, eine letzte Bemerkung! Sie lächeln jagerne. Ich darf Ihnen sagen: Der Bevölkerung ist das La-chen durch Ihre Gesundheitspolitik vergangen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich muss auch sagen, dass wir Sie sehr nachsichtig und amAnfang auch mit einem Stück Hoffnung begleitet haben.Auch nach den Lipobay-Vorfällen im August haben wirSie noch mit Nachsicht behandelt, obwohl Ihr Staatsse-kretär in der Öffentlichkeit eine hemmungslose Kampa-gne gegen den Hersteller durchgeführt hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordne-ten der FDP � Dr. Dieter Thomae [FDP]: EineFrechheit war das!)

Wegen der Vorkommnisse in Amerika haben wir diesnicht zu einem politischen Thema gemacht,

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Unfähig war derMann!)

aber � das sage ich Ihnen � man hätte daraus sehr wohl einpolitisches Thema machen können.

Sie haben uns enttäuscht. Sie haben viele Menschen,die Hoffnungen in Sie gesetzt haben, mit jedem Auftritt � auch heute wieder � enttäuscht. Sie sind weit hinter un-seren Erwartungen zurückgeblieben. Das hätte ich nichtfür möglich gehalten.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Ich auch nicht!)

Sie sind jetzt insgesamt drei Jahre in der Verantwor-tung. Sie können Ihre drei Jahre Gesundheitspolitik nichtmehr mit den letzten 30 Jahren deutscher Gesundheitspo-litik begründen. Auch Sie persönlich sind bereits langeZeit im Amt.

(Susanne Kastner [SPD]: Sie sind doch selbstgescheitert!)

Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie weiter diesen falschenWeg der staatlichen Intervention und der ständigen Re-glementierungsspirale gehen, dann werden wir Sie per-sönlich für das, was in der Praxis geschieht, mehr undmehr zur Verantwortung ziehen.

Verzichten Sie auch auf Ihr Argument bezüglich derZuzahlung und der kleinen Leute. Meine Damen undHerren, ich stehe zu der Erhöhung der Zuzahlung um5 DM, weil die Bevölkerung in der Praxis erlebt hat, dasseine Erhöhung der Zuzahlung, von der 20 Millionen Men-schen, die ein geringes Einkommen haben, befreit sind,sozialer ist als eine hundertprozentige Leistungsausgren-zung, wie Sie sie bei der Behandlung von chronischen Er-krankungen durchgeführt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sprechen Sie mit Marianne Koch, die die Schmerzkran-ken und die Parkinsonkranken Deutschlands vertritt unddie vor kurzem mit diesen Kranken vor die Öffentlich-keit trat. Sie steht bestimmt nicht in dem Verdacht, einAnwalt der Union zu sein. Sie hat der Öffentlichkeit mit-geteilt, dass von den 600 000 Schmerzpatienten inDeutschland nicht einmal 5 Prozent aufgrund der Arz-neimittelbudgets und der Arzneimittelregresse eine adä-

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quate Arzneimittelversorgung erhalten und dass nichteinmal die Hälfte der Parkinsonpatienten wegen IhrerBudgets die notwendigen Leistungen von ihren Ärztenerhält. Frau Schmidt, das ist die wahre Wirkung IhrerPolitik und der Budgets. So etwas bewirken nicht 5 DMmehr Zuzahlung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deshalb rufe ich Sie auf: Korrigieren Sie Ihren Kurs! An-sonsten werden Sie mit uns in den nächsten Monaten nochviel Freude haben. Sie werden auch noch schlechtere Um-frageergebnisse erhalten, als sie heute schon in den68 Prozent Unzufriedenheit mit Ihrer Politik zum Aus-druck kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich erteiledas Wort der Kollegin Katrin Göring-Eckardt für dieFraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Herr Seehofer, wir müssen uns darüber unterhalten,ob bei dem Beispiel, das Sie zum Schluss genannt haben,die Ursachen, die Sie in der Budgetierung ausgemacht zuhaben glauben, wirklich in den Gesetzen oder nicht viel-mehr in der Umsetzung der Gesetze begründet liegen. Da-rauf werde ich später noch einmal zurückkommen.

Die Frau Ministerin hat zu Recht darauf hingewiesen,dass sich unsere Bilanz in der Gesundheitspolitik sehenlassen kann. Ich nenne deshalb hier nur die Stichworte,die mir besonders wichtig sind: das Thema �Hausärztestärken�, das Thema Qualität und das Thema Selbsthilfe.Diese Themen haben wir mit der Gesundheitsreform 2000auf den Weg gebracht, dies werden wir weiter ausgestal-ten. Trotzdem � daran gibt es keinen Zweifel, nicht in die-sem Haus, nicht in der Regierung und auch nicht darüberhinaus � gibt es weiteren Reformbedarf.

Wir alle wissen, dass es Wirtschaftlichkeitsreservengibt. Weil uns die Krankenkassenbeiträge eben nicht egalsind und weil es uns nicht egal ist, mit welchen Lohnne-benkosten wir konfrontiert sind, sind wir mit der Absichtangetreten, die Wirtschaftlichkeitsreserven im System zumobilisieren. Sie haben uns lange aufgefordert, eine neueGesundheitsreform auf den Weg zu bringen. Aber immerdann, wenn über einen weiteren Schritt diskutiert wird,sagen Sie, dieser Schritt dürfe es auf keinen Fall sein. Sohaben Sie es auch heute wieder in Bezug auf die Arznei-mittelverordnung getan. Herr Seehofer, was Sie heute zuder Therapiehoheit der Ärzteschaft gesagt haben, ist eineArt von Angstmacherei und Verunsicherung, die über-haupt nicht nötig ist.

(Zuruf von der FDP: Sie haben keine Ahnung!)

Den Vorschlag, Medikamente, die kostengünstigersind, dort zu verordnen, wo dies sinnvoll ist, halte ich fürvöllig berechtigt. Das hat nichts damit zu tun, dass denÄrzten die Therapiehoheit genommen werden soll, wohlaber damit, dass wir auf die Einsparmöglichkeiten achten.

Genau das haben Sie immer wieder von uns verlangt.Natürlich kann man nicht sagen, es komme allein auf denWirkstoff an. Aber es ist eben auch nicht richtig, dass einMedikament nur deshalb besser ist, weil es teurer ist. In-soweit sind wir hier auf einem richtigen Weg.

In der Ausschusssitzung von vor zwei Wochen habenwir sehr viel über die Finanzierung im Gesundheitssystemgeredet. Ich war über das, was dazu vonseiten der Uniongesagt worden ist, sehr erschrocken. Die Union hat klarund deutlich in den Raum gestellt, es komme nun daraufan, dass der Bundeshaushalt für das Gesundheitssystemin die Pflicht genommen werde. Dies ist wirklich entlar-vend.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Bei versicherungsfremden Leistungen!Fragen Sie Ihre eigenen Leute!)

All das, was Sie hier und an anderer Stelle über Schul-denabbau und Einsparungen sagen, passt damit ebensowenig zusammen wie Ihre Kritik an den jüngsten Steuer-erhöhungen.

Sie wissen, Herr Lohmann, dass auch ich die Auffas-sung vertrete, hinsichtlich der versicherungsfremdenLeistungen müsse etwas geändert werden.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Meine ich doch! � Dr. Dieter Thomae[FDP]: Darüber reden wir schon seit drei Jah-ren!)

Das hat aber nichts damit zu tun, dass man mehr Geld indas System geben darf, damit die Versorgung besser wird.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Darüber reden wir nicht! Wir reden vonden versicherungsfremden Leistungen!)

Sie wissen ganz genau, dass es nicht so ist. Ich bin froh,dass die von uns begonnene Politik der Verbesserung derVersorgung, der Qualität und der Patientenorientierung

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Oh Gott, oh Gott!)

nicht damit einhergeht, dass wir auf der anderen SeiteStrukturveränderungen als unnötig abtun, und einfach nurmehr Geld in das System pumpen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann müssenSie laufend die Zuzahlungen für Arzneimittelerhöhen!)

Das können wir uns im Übrigen auch deswegen nichtleisten, weil wir alle wissen � das hat uns der Sachverstän-digenrat zu Recht noch einmal ins Stammbuch geschrieben�, dass es in Deutschland auch Unterversorgung gibt.Diese Unterversorgung ist das entscheidende Thema, daswir angehen müssen. Wir werden sie nicht angehen, in-dem wir einfach mehr Geld in das System stecken; viel-mehr müssen wir sehr genau hinschauen, an welchenPunkten Veränderungen notwendig sind.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid][CDU/CSU]: Ihr streicht ständig!)

Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten deutlich gesagt, dass es bei den Asthmaerkrankungen

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überhaupt nicht darauf ankommt, mehr Geld oder teurereMedikamente zur Verfügung zu stellen, sondern auf Pati-entenschulungen. Das ist nicht Aufgabe der Politik, son-dern klassische Aufgabe der Selbstverwaltung, die von ihrnicht angenommen wird. Das trifft auch auf die Proble-matik der Krebserkrankungen zu. Nicht umsonst sind bei-spielsweise die Heilungschancen bei einigen Krebsartenin den USA doppelt so hoch wie in Deutschland. DieserTatsache müssen wir uns stellen.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Weil sie bessereMedikamente bekommen!)

� Das hat eben nichts mit den Medikamenten zu tun,

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Natürlich!)

sondern damit, dass es eine andere Art von Diagnose undTherapie in Krebszentren gibt.

Wir sollten darüber nachdenken, wie wir sehr schnellsolche Kompetenzbündelungen erreichen können. Esliegt nicht an der Zahl der Arztbesuche, es liegt nicht anden Medikamenten, sondern an der Kompetenz-bündelung. Ich bin sehr dafür, dass wir solche Fragen wiedie in Deutschland existierende Unterversorgung auf dieTagesordnung setzen, statt einfach mehr Geld für das be-stehende System zu verlangen, wobei wir durchaus dievorhandenen Strukturen beibehalten sollten.

Sie haben erneut die Budgetierung kritisiert. Sie kriti-sieren seit der Gesundheitsreform 2000, damit werde eineAusgabenbegrenzung vorgenommen. Sie haben aberselbst � ich erspare Ihnen das auch heute nicht; HansEichel hat es heute Morgen schon einmal gesagt � die Fle-xibilität innerhalb der Budgetierung durch Ihre Blockadeim Bundesrat verhindert.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Oh Gott, oh Gott!Wie war das mit den SPD-geführten Ländern?Wie war das damals mit Hessen?)

� Natürlich haben Sie damit einen ernsthaften Schritt inRichtung auf weitere Möglichkeiten der Strukturverände-rung verhindert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

An dieser Stelle gehe ich auf etwas ein, was mir wirk-lich Sorge bereitet. Über diese Frage müssen wir in dernächsten Zeit gemeinsam diskutieren, denn sie hat nichtsmit parteipolitischen Auseinandersetzungen zu tun. WieSie wissen, kann ich das nicht aus eigener Erfahrung sa-gen, weil ich damals nicht im Bundestag war, aber ichmeine, dass auch die Gesundheitspolitik von HorstSeehofer unter der durch die Selbstverwaltung nicht oderviel zu langsam erfolgenden Umsetzung der beschlosse-nen Gesetze litt. Ich halte es für unbedingt erforderlich,dies auf die Tagesordnung zu setzen � hierzu wird sich derSachverständigenrat im nächsten Jahr äußern �, damit esuns gelingt, zu Veränderungen zu kommen, die dann auchwirksam werden, weil die Selbstverwaltung tatsächlich indie Pflicht genommen wird.

Lassen Sie mich zum Schluss eine Anmerkung zu ei-nem Papier machen, das Sie im Zusammenhang mit derArbeitsmarktpolitik vorgelegt haben und in dem sich auchwenige Zeilen zum Thema Gesundheitspolitik finden.

Daran kann man sehr gut erkennen, worin sich Ihre Ge-sundheitspolitik von der von Rot-Grün unterscheidet.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie wollenStaatsmedizin und wir wollen eine freiheitlicheMedizin!)

Sie haben darin von Transparenz, Wettbewerb und Wirt-schaftlichkeit gesprochen. Das sind sehr wichtige Stich-worte. Sie wissen, dass ich viele der damit verbundenenGedanken teile. Sie haben aber nicht von der Bedeutungder Solidarität gesprochen.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Oh Gott, oh Gott!)

Sie haben nicht davon gesprochen, was sinnvolle Eigen-verantwortung und Selbstbestimmung bedeuten.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist doch für uns eine Selbstverständ-lichkeit!)

Dieses Aufgeben der Solidarität, die man aus diesem Pa-pier erkennen kann, unterscheidet uns. Die FDP redetüberhaupt nur von Wettbewerb.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Darum lehnen68 Prozent Ihre Gesundheitspolitik ab!)

Bei Ihnen kommt gar nichts anderes mehr vor; Ihnen gehtes nur um Ökonomie.

Sie können sich darauf verlassen, dass die Gesund-heitspolitik von Rot-Grün mit einem vernünftigenGleichgewicht von Effizienz und Wettbewerb auf der ei-nen Seite und von Patientenorientierung und Solidaritätauf der anderen Seite fortgesetzt wird und dass wir dafür� dessen bin ich mir ganz sicher, Herr Seehofer � auch dieZustimmung der Bürgerinnen und Bürger bekommenwerden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD � Horst Seehofer [CDU/ CSU]:Da werden Sie sich wundern!)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich erteiledas Wort nunmehr dem Kollegen Dr. Dieter Thomae fürdie Fraktion der FDP.

Dr. Dieter Thomae (FDP): Herr Präsident! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dassHorst Seehofer es schon vorweg gesagt hat: Diese Politikist ein Chaos. Jeden Tag erfahren wir irgendetwas Neues,was diese Bundesregierung oder diese Koalition unbe-dingt durchsetzen will.

(Beifall bei der FDP � Susanne Kastner [SPD]:Sie bringen die Lobbyisten durcheinander, HerrThomae!)

Der eine spricht davon, die Hausärzte zu stärken, der An-dere fordert den Medikamentenpass, obligatorisch. Undjeder, der ein bisschen Ahnung hat, weiß, dass dies ausdatenschutzrechtlichen Gründen einfach nicht machbarist.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das stimmtdoch gar nicht!)

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Ich würde mir wünschen, dass man einmal nachdenkt, be-vor man solche Schlagwörter in die Debatte wirft und diedeutsche Bevölkerung verunsichert.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Jetzt geht es ja weiter, Schlag auf Schlag. Nachdemman viele Leistungen und finanzielle Mittel dem gesetz-lichen System im Krankenversicherungsbereich entzogenhat, muss man mit aller Macht verhindern, dass die Bei-tragssätze steigen. Jetzt geht es los, jetzt hat man wiederdie Arzneimittel entdeckt und beginnt erneut, träumeri-sche Ideen zu verbreiten. Man glaubt, man könne die The-rapiefreiheit einfach so in andere Hände legen.

Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Was Sie betreiben, istorganisierte Verantwortungslosigkeit in diesem Bereich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU � Susanne Kastner [SPD]: Na,na! Was die Lobbyisten machen, ist verantwor-tungslos!)

Es ist so! � Es ist unverantwortlich, welches Spiel Sie jetztmit Arzneimitteln betreiben. Wenn Sie sagen, Sie wolltenauf der einen Seite �aut idem� in diesen Bereich verla-gern, Sie wollten die Rabatte reduzieren

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ja, sicher!)

� meine Damen und Herren, wir wollen die Rabatte sprei-zen �, dann wissen Sie, dass das für die allgemeine Ver-sorgung in der Bundesrepublik gerade im Flächenbereicherhebliche Nachteile hat. Da gibt es überhaupt keine Dis-kussion.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Dann soll jetzt auch noch der Bundesausschuss ent-scheiden. Meine Damen und Herren, wir setzen Expertenins Arzneimittelinstitut, die über viele Jahre hinweg über-prüfen, ob Arzneimittel keine Nebenwirkungen habenund keine Probleme bereiten. Und jetzt soll ein Bundes-ausschuss � man muss sich einmal die Zusammensetzungansehen � auch noch entscheiden, welche Arzneimittelgenutzt werden können. Es ist unglaublich, welchenSchwachsinn Sie in die Diskussion werfen.

(Beifall bei der FDP � Regina Schmidt-Zadel[SPD]: Das ist unverschämt!)

Ich begreife Sie einfach nicht und verstehe nicht, wie ver-antwortliche Politiker aus Ihren Reihen,

(Jürgen Koppelin [FDP]: Die haben doch garkeine verantwortlichen Politiker! � SusanneKastner [SPD]: Na, na, Herr Koppelin, mehr alsdie FDP!)

die diese Probleme seit vielen Jahren kennen, so etwasmitmachen können.

Es gibt ja noch weitere Probleme. Von der Ministerinwird davon gesprochen, die Versorgung in der Bundesre-publik Deutschland im ambulanten Bereich und im sta-tionären Bereich � sei ideal. Gehen Sie einmal in dieneuen Bundesländer! Ich nenne Ihnen nur Brandenburg.Da gibt es Allgemeinpraxen, die seit über einem Jahrleer stehen und für die sich kein Nachfolger findet. Das

Problem wird sein: Wir werden in einem Jahr oder inzwei Jahren nennenswerte Arztprobleme in dieser Repu-blik haben. Dafür gibt es heute schon massive Kennzei-chen in der Form, dass an den Kliniken zu wenig jungeÄrzte sind. Was tun Sie? Nichts tun Sie! Sie zerstörenganz bewusst die freiheitlichen Strukturen in unseremSystem.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die hört janicht einmal zu!)

In Brandenburg können wir Ihnen Praxen zeigen, dienicht besetzt werden. Was machen Sie da? Nichts! Das istfür Sie selbstverständlich. Das liegt auch an dem Hono-rierungssystem, das Sie in den letzten Jahren etabliert ha-ben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Wir sind für DRGs, aber ich sage Ihnen auch: Ich ma-che mir Sorgen, wie im Laufe Ihrer Politik die DRGs ver-ändert werden. Sie bekommen unsere Zustimmung nurdann, wenn Sie die DRGs so organisieren, dass daraus einechtes Preissystem wird, dass die Budgetierung fällt.Sonst können wir das nicht machen.

Ganz wichtig ist auch, dass die Hochschulmedizin beiden DRGs nicht vor die Hunde geht. Auch dies ist einwichtiger Bereich, der beachtet werden muss. Hier habeich noch viele Bedenken und Vorbehalte, aber ich denke,wir werden in den Beratungen noch weiter über diesesThema sprechen.

Lassen Sie mich bitte noch einen Punkt außer der Ärz-teproblematik ansprechen, der mir sehr am Herzen liegt.Das ist die Pflegeproblematik. Wir haben heute schonKliniken und Altenheime, die teilweise oder ganz ge-schlossen werden müssen, weil wir keine Pflegekräftemehr haben. Frau Ministerin, ich denke, Sie haben auchdie Aufgabe, mit den Verbänden und Organisationen eineImagekampagne in diesem Bereich zu starten. Sonst wer-den wir dramatische Entwicklungen erleben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Ich fordere Sie auf, endlich Ihre Funktion und Ihre Auf-gaben in diesem Bereich wahrzunehmen.

Ich bin pessimistisch, dass Sie unser Gesundheitssys-tem wirklich weiter organisieren können. Sie haben bis-her voll versagt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Nun sprichtfür die Fraktion der PDS die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (PDS): Herr Präsident! Meine Damenund Herren! Für uns ist es keine Überraschung, dass auchdieser Haushalt im Zeichen der Spar- und Konsolidie-rungspolitik steht. Massiv davon betroffen sind die ge-setzliche Krankenversicherung und das Gesundheitswe-sen. Um die Neuverschuldung des Bundes abzubauen,bedient sich leider auch diese Regierung kräftig aus den

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Beitragseinnahmen der Krankenkassen. Und niemand hatden Mut, das zu korrigieren.

Festgehalten werden muss auch, dass es � mit Aus-nahme der Arzneimittelkosten � nicht die Ausgabenent-wicklung ist, die für die aktuellen Finanzprobleme derGKV verantwortlich ist. Beim Arzneimittelbudget hat dieMinisterin den Fehler gemacht, Restriktionen aufzuhe-ben, ohne ein sinnvolleres Steuerinstrument zu etablieren.Jetzt bemüht sie sich um eine Begrenzung der Medika-mentenkosten. Das halten wir für richtig, auch wenn mansich über die einzelnen Vorschläge durchaus streiten kann.Nur, Frau Ministerin, das allein wird den politischenDruck nicht abbauen, unter dem Sie wegen der drohendenBeitragserhöhungen stehen.

So zeigen die jüngsten gesundheitspolitischen Ausei-nandersetzungen, dass die Privatisierer von Gesundheits-kosten wieder auf breiter Front gegen die solidarischeKrankenversicherung angetreten sind. Aus der Erfolglo-sigkeit der bisherigen Kostendämpfungsgesetze wird jetztabgeleitet, dass das ganze System radikal umgebaut wer-den muss. Am lautesten kommt dieser Ruf aus dem Ar-beitgeberlager, begleitet von der rechten Seite dieses Hau-ses. Dem Umbau soll vor allem eine Marktradikalitätzugrunde liegen. Genau das halten wir für grundfalsch,weil damit die soziale Funktion des Gesundheitswesensvöllig verloren geht.

(Beifall bei der PDS)

Verlangt wird von den Rufern, dass es möglichst sofortzu einer neuen großen Gesundheitsreform kommt. Einsolches Vorhaben, soll es Sinn machen, muss natürlich tiefin die Strukturen und Anreizsysteme des Gesundheitswe-sens eingreifen. Das aber bedarf selbstverständlich sorg-fältiger Vorbereitung. Doch darum geht es anscheinendnicht. Ziel ist vielmehr, einen möglichst schnellen unddeutlichen Schub bei der Privatisierung des Krankheitsri-sikos zu erreichen. Das ist die nackte Wahrheit, die hinterden ständigen Rufen nach mehr Eigenverantwortung,nach Grund- und Wahlleistungen und mehr Wettbewerbim Gesundheitswesen stecken.

Natürlich, der Wettbewerb um bestmögliche medizi-nische Qualität und höhere Effektivität im Gesundheits-wesen ist sinnvoll. Allerdings wird gefordert, jeder Kassedas Recht zu geben, mit ausgewählten Krankenhäusernund Ärzten einzeln Verträge abzuschließen. Das heißt, ei-nen ökonomischen Wettbewerb auch auf die Leistungser-bringer auszudehnen. Wer Einkaufsmodelle favorisiert,sollte aber offen sagen, was er damit bezweckt und wasdie Folgen sind. Erstens. Der für die Versicherten prinzi-piell mögliche Zugang zu allen Versorgungseinrichtungenwürde aufgegeben. Zweitens. Die Krankenhäuser undÄrzte würden in einen Preisunterbietungswettbewerb ge-zwungen, der zu wachsenden Abstrichen in der medizini-schen Qualität führen muss. Drittens. Die Kassen werdenfrüher oder später bestrebt sein, Einfluss auf die unmittel-bare Behandlung ihrer Versicherten zu nehmen.

Regel- und Wahlleistungen � meine Damen und Her-ren von der rechten Seite, da können Sie reden, was Siewollen � bedeuten die Abkehr vom Prinzip einer sozialenKrankenversicherung, das jedem Mitglied im Bedarfsfall

alle notwendigen Leistungen zur Verfügung stellt. Die of-fene Zweiklassenmedizin lässt grüßen. Um das zu ver-hindern, halten wir es für umso wichtiger, dass die Sozi-aldemokraten in all diesen Fragen wieder mit einer Zungesprechen.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Einer? Zehn!)

Nicht einzelne Politikerinnen und Politiker � wie Sieheute wieder, Frau Minister, was uns freut �, sondern IhrePartei selber muss den Menschen, und zwar noch vor denBundeswahlen, sagen: Dieser Weg, den ich eben vorge-zeichnet habe, wird es mit der SPD nicht geben.

(Beifall bei der PDS)

Nun zur neuen Krankenhausvergütung: Sie, FrauMinister, sagen, das sei eine gute Sache. Ich wünschemir das von Herzen, nur leider scheint das nicht so zuwerden. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wer Fallpau-schalen einführt und damit zu einer prospektiven Finan-zierungsform übergeht, verlagert das finanzielle Risikovon der Versicherung allein auf die Leistungserbringer.Das hat nach allen internationalen Erfahrungen auchgravierende Folgen für das medizinische Handeln derÄrzte und Schwestern. Außerhalb der Krankenhäuserentsteht neuer Behandlungs- und Pflegebedarf. Das allesbleibt in der Diskussion bisher weitgehend unberück-sichtigt.

In den Beratungen zum Gesetzentwurf werden wir unsdeshalb dafür einsetzen, dass die Versorgungsqualität fürPatienten und Pflegebedürftige sowie angemessene Ar-beits- und Tarifbedingungen in den Krankenhäusern nichtunter die Räder kommen.

(Beifall bei der PDS)

Der heute auch vorgelegte Gesetzentwurf zur Leis-tungsverbesserung für bestimmte Pflegebedürftige gehtohne Frage in die richtige Richtung. Aber auch er bleibtsowohl im Leistungsumfang als auch in der konkretenAusgestaltung Stückwerk. Auch hier werden wir die Ein-zelheiten in den Ausschüssen beraten. Ich hoffe, dass wiraus dem Stückwerk für die zu Pflegenden ein gutes Ge-setz machen können.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe dasWort dem Kollegen Dr. Martin Pfaff für die Fraktion derSPD.

Dr. Martin Pfaff (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle-ginnen und Kollegen! Jeder, aber auch jeder seriöse Ge-sundheitspolitiker und vor allem die Fachleute wissen:Wenn Ausgabendruck besteht, gibt es letztlich nur vierWege, um ihm zu begegnen. Man kann erstens die Bei-tragssätze steigen lassen. Das wollen wir aber weder denErwerbstätigen noch den Arbeitgebern zumuten.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Hat die Ministeringesagt!)

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Die zweite Möglichkeit wäre, die Zuzahlungen steigen zulassen. Das ist die Faust aufs Auge. Wir haben sie am An-fang der Wahlperiode gesenkt; das kann keine Lösung sein.Die dritte Möglichkeit ist die Leistungsausgrenzung. Da-rüber hinaus könnte man noch ein wenig Camouflage be-treiben und die Bürgerinnen und Bürger zu täuschen versu-chen, indem man von Wahl- und von Regelleistungenspricht. Aber auch das ist im Endeffekt eine Auslagerungvon Leistungen. Nur diejenigen können diese Wahlleistun-gen bezahlen, die mehr DM oder Euro in der Tasche haben.Und es gibt viertens den Weg der Einsparungen.

Herr Seehofer, Sie haben mit Stolz auf die Beitrags-sätze am Ende der letzten Legislaturperiode hingewiesen.Auch Ihre Kollegen haben öfter auf den Überschuss desJahres 1998 aufmerksam gemacht. Ich sage Ihnen: WerAusgaben durch Zuzahlungen und Leistungsausgrenzun-gen auf die Alten und Kranken verlagert, wer den Weg derPrivatisierung geht, der bekommt wie Sie 1998 zu Rechtdie politische Quittung für einen solchen Weg.

(Beifall bei der SPD � Dr. Dieter Thomae[FDP]: Was glaubt ihr, was ihr bekommt?)

Sie haben selbst zugestanden, dass dies ein Grund war,weshalb Sie die Wahl verloren haben. Das war ein vieldeutlicheres Zeichen des Missbehagens der Bevölkerungüber die Gesundheitspolitik als die Umfrage, die Sie heutezitiert haben.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wartet mal ab!)Sie haben der Gesundheitsministerin Schmidt bei-

spielsweise vorgeworfen, dass sie jetzt eine Preisabsen-kung um 5 Prozent vorsieht.

(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Das habe ichnicht gesagt!)

� So habe ich Sie zumindest verstanden. Dann ist es ebenin Ihrer Gruppe gefallen. Ich frage Sie, Herr Seehofer, ha-ben Sie in Ihrer Amtszeit eine Absenkung um 5 Prozentdurchgesetzt, ja oder nein?

(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Ich habe dazunichts gesagt!)

� Dann ist es ja gut. Dann sind Sie in dieser Geschichteauf unserer Seite. Das möchte ich festhalten. Ich hoffe,dass Sie es auch in Zukunft nicht sagen können.

Das, was Sie, Herr Seehofer, zur Therapiefreiheit ge-sagt haben, hat mich enttäuscht. Ich hätte von Ihnen schonein höheres Niveau erwartet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)Wir wissen, dass das, was der Arzt verschreibt, gemäßmedizinischer Indikation und nach sonst gar nichts zu er-folgen hat. Ich frage Sie: Wo ist die Therapiefreiheit ein-geschränkt, wenn ein Arzt ein Arzneimittel einer be-stimmten generischen Art verschreibt, weil es angebrachtist, und der Apotheker � es werden übrigens heute schonbei 25 Prozent der Rezepte Kreuzchen gemacht �, anhanddieser Verschreibung ein günstigeres Arzneimittel wählt?Das kann ich wirklich nicht erkennen. Ich kann das beimbesten Willen nicht erkennen.

(Horst Seehofer [CDU/CSU]: Weil der Druckauf die Kassen kommt!)

Wenn Sie die Argumente wiederholen, ist das eine be-wusste Täuschung der deutschen Öffentlichkeit.

Ich komme jetzt auf den Kassenrabatt zu sprechen, damuss ich Dieter Thomae erwähnen, der sagte: Sie zer-stören die freiheitlichen Strukturen in unserem System.Ich frage: Sind Monopol- oder Oligopolpreise, sind oli-gopolistische Strukturen wie im Pharma- und Apotheker-bereich, die durch gesetzgeberisches Handeln bestimmtwerden, Ausdruck der Freiheit in unserem System?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich meine nicht. In keinem anderen Bereich unsererVolkswirtschaft würden Sie solche Preisstrukturen dulden� die wenigen Ausnahmen wie die Landwirte und Ähn-liche will ich nicht angehen �, Sie würden vielmehr dieEinsparungen fordern, die diese Bundesregierung vor-nimmt. Sie hat nämlich festgestellt, dass Einsparungenmöglich sind; und wenn es Einsparungsmöglichkeitengibt, dann müssen sie auch genutzt werden.

Sie haben der Ministerin gesagt � das hat mich beson-ders überrascht �, Sie seien die ganze Zeit sehr nachsich-tig gewesen. Herr Seehofer, wir waren am Anfang IhrerAmtszeit mit Ihnen nicht nur nachsichtig, sondern habenSie auch tatkräftig unterstützt. Das müssen Sie zugeste-hen. Das sage ich nicht nur, um Punkte bei Ihnen zu sam-meln. Wir haben Ihre Konzepte � ich nenne nur die Lahn-stein-Reform � nach bestem Wissen verbessert. Wir habendie Entscheidungen zusammen getroffen. Jetzt der Minis-terin zu sagen, man sei angesichts dessen, was sie getanhat, noch nachsichtig mit ihr gewesen, finde ich nichtrichtig. Wenn ich die Haltung Ihrer Partei in der Frage desRisikostrukturausgleichs sehe, dann frage ich: Wo bleibtIhre Glaubwürdigkeit, wenn Sie behaupten, dass Sie anden Fehlentwicklungen, die wir gemeinsam zu verant-worten haben � 90 Prozent der Abgeordneten dieses Par-laments haben das von Ihnen jetzt kritisierte Gesetz ver-abschiedet; wir haben es also gemeinsam beschlossen �,keine Schuld hätten? Mit welchem moralischen Anspruchkönnen Sie der Bundesministerin jetzt solche Vorhaltun-gen machen?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben wieder auf das Budget hingewiesen. Dasscheint für Sie die Zauberformel zu sein, mit der man alleArgumente der anderen Seite entkräften kann. Ich frageSie: Steht in Norbert Blüms Gesundheitsreformgesetz et-was von Beitragssatzstabilität? Wird mit dem Gesund-heitsstrukturgesetz Beitragsstabilität angestrebt, ja odernein? Die Antwort auf beide Fragen lautet: Ja! Wie soll Bei-tragssatzstabilität gewährleistet werden? Sie kann nur ge-währleistet werden, wenn die Ausgaben im Gesundheits-wesen nicht stärker steigen als die Löhne, auf derenGrundlage die Beiträge zur Krankenkasse bemessen wer-den. Das Gebot der Beitragssatzstabilität führt zu nichts an-derem als zur Begrenzung der Ausgaben entsprechend derHöhe der Einnahmen. Das haben Sie damals, als Sie an derRegierung waren, auch so dargestellt. Jetzt sind Sie in derOpposition und nun scheint das alles nicht mehr zu gelten.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es steht etwasanderes im Gesetz!)

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Ich sage dazu: Wer im Glashaus sitzt, der sollte wahrlichnicht mit Steinen werfen.

(Beifall bei der SPD)

Noch ein anderer Punkt: Wenn Sie Einsparungen nichtrealisieren, wie wir das tun wollen, und die Beiträge an-geblich auch nicht steigen lassen wollen � das wollen wiralle nicht �, dann sollten Sie, lieber Herr Seehofer, denFrauen und Männern in diesem Land sagen: Wir von derCDU/CSU und FDP wollen, dass eure Zuzahlungen undeure Beiträge steigen, und zwar wegen Kapazitäten, dieüber den Bedarf hinausgehen. Aber dazu fehlt Ihnen si-cherlich der politische Mut; denn Sie wissen, dass Siedann im nächsten Jahr die gleiche Quittung wie 1998 be-kommen werden.

Wir wissen, dass Beitragssatzdruck im System be-steht. Wir wissen, dass dies die Konsequenz aus mehrerenFaktoren bzw. Verschiebebahnhöfen ist, die Sie und auchwir � das sage ich ganz offen � zu verantworten haben. Siehaben nach Schätzung der Krankenkassen ein Defizit von66 Milliarden DM � das entspricht, hochgerechnet aufdieses Jahr, in etwa einem halben Beitragssatzpunkt � zuverantworten. Auch die jetzige Bundesregierung musste � das kann doch wirklich keinen Gesundheitspolitiker be-glücken � Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen ergrei-fen; denn Sie haben uns � das haben Sie vorhin nicht er-wähnt � einen hohen Beitragssatz und einen Schuldenbergim fiskalischen Haushalt in Höhe von 1,5 Billionen DMhinterlassen. Glaubt denn irgendeine oder irgendeiner indiesem Hohen Hause, dass zum Beispiel die Reform derRente und anderes geschehen wäre, wenn wir keine Spar-maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung hätten ergrei-fen müssen? Das kann doch niemand ernsthaft glauben.Das ändert natürlich nichts daran, dass es sich um Ver-schiebebahnhöfe gehandelt hat. Aber sie müssen auch imLichte ihrer Hinterlassenschaft gesehen werden. Daranmuss man gar nicht lange herumdeuteln.

Sie haben aber jetzt eine Chance, der staunenden Öf-fentlichkeit zu zeigen, wie konstruktiv Sie in der Opposi-tion sein können, indem Sie nichts anderes tun als das,was wir während Ihrer Amtszeit, lieber Herr Seehofer, ge-tan haben: Wir haben Sie bei Ihrem Gesetz, mit dem Siedie Finanzen der GKV-Ost stärken wollten, unterstützt.Wir haben Sie unterstützt, als die CSU in Bayern und dieCDU in Baden-Württemberg Sie im Regen hat stehen las-sen. Obwohl wir in der Opposition und die Fronten da-mals verhärtet waren, haben wir gesagt: Es ist gut undrichtig, dass wir etwas für die Menschen in den neuenLändern tun; wir werden Herrn Seehofer trotz allem un-terstützen! Wir haben es auch getan. Wo bleibt Ihr Bei-spiel heute, wenn es um die RSA-Reformen geht?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist doch nichts, was wir erfunden haben. Wir habendas gemeinsam zu verantworten. Wo bleibt Ihr Verant-wortungsgefühl in diesem Bereich?

Ihr Versuch, irgendetwas gegen die Regierungskoali-tion zu finden, ist legitim. Es ist irgendwie nachzuvollzie-hen, dass Sie immer wieder auf die Ladenhüter zurück-kommen, wenn Ihnen gute Argumente fehlen. Ich will

daher gnädig sein und nicht zu hart mit Ihnen ins Gerichtgehen. Aber glauben Sie doch nicht, dass irgendjemand indeutschen Landen annehmen wird, dass die Folgen für dieBeitragssatzentwicklung, die wir jetzt spüren, systembe-dingt, also eine zwingende Konsequenz aus Fehlelemen-ten unseres Systems, sind. Diese Entwicklung ist dieFolge einer fehlerhaften Politik. Teilweise haben wir sievon Ihnen als Erblast übernommen, teilweise haben wirdiese fehlerhafte Politik fortgesetzt.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Jetzt hören Sie doch auf! Sie wollen dochWissenschaftler sein, Herr Professor!)

Wir werden uns nicht beirren lassen. Wir bleiben beiden Grundprinzipien einer sozialen Krankenversiche-rung. Auch in Zukunft wird jeder Mann, jede Frau und je-des Kind Leistungen nach dem Bedarf � nur danach, nichtnach dem Umfang der Geldbörse � erhalten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch in Zukunft wird es so sein, dass diejenigen mit brei-teren Schultern eine schwerere Last zu tragen haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Dr. Dieter Thomae [FDP]:Das glauben die Bürger gar nicht mehr!)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für dieCDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Hans GeorgFaust.

Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Herr Präsident!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren hatFrau Ministerin Fischer mit dem Gesetz zur Reform dergesetzlichen Krankenversicherung � das Wort Reformstreiche ich � versucht, die in der Bundesrepublik ge-wachsene Krankenhauslandschaft gewissermaßen einzu-dampfen. Vieles ist damals � Sie erinnern sich: monis-tische Krankenhausfinanzierung, Krankenhausplanung inKrankenkassenhand � im Bundesrat gescheitert. Übriggeblieben ist die Einführung eines neuen Entgeltsystemsfür die stationären Leistungen der Krankenhäuser ab dem1. Januar 2003. Allen Kennern der Materie ist die Brisanzdieser Grundsatzentscheidung bewusst. Zunehmend wirdauch den Beteiligten klar, dass die Einführung der DRGsin Deutschland einer Revolution im Krankenhaussektorgleichkommt, von der alle im und um das Krankenhausbetroffen sein werden.

Die Geschichte kennt blutige und auch friedlicheRevolutionen. Die Steuerung ist immer schwierig und dasEnde immer ungewiss. Was die komplette Umstellung desEntgeltsystems angeht, wissen wir zwar im Jahr 2003,spätestens 2004, welche Krankenhäuser in dem dann viel-leicht fertigen System gute, schlechte oder gar keine Über-lebenschancen haben; die harten Folgen werden abergleich danach, in den folgenden Konvergenzjahren, ein-setzen.

Sie, Frau Ministerin Schmidt, transplantieren jetzt einwettbewerbsorientiertes, scharfes Preissystem in ein vonBudgets und sektoralen Abgrenzungen geprägtes, in den

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letzten Jahren zunehmend reguliertes und von Ankündi-gungen gestütztes Gesundheitssystem. Diese Operation � das garantiere ich � werden viele kleine Krankenhäuserin der Fläche dann mit Sicherheit nicht überleben, wenndie Einführung der Fallpauschalen nicht in einen Gesamt-reformansatz eingebunden ist.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Herr Dr. Faust,Sie sind doch sonst ein netter Mensch!)

� Ich bin immer ein netter Mensch, auch jetzt.

Drei wesentliche Rahmenbedingungen stimmen nicht,Frau Ministerin:

Erstens. Der Zeitplan ist vollkommen durcheinandergeraten. Die aus Prestigegründen beibehaltene, mittler-weile nur teilweise vollzogene Einführung eines aus-tralischen Systems schon 2003 führt zu überflüssigenBindungen von Kapazitäten in vielen Bereichen, insbe-sondere � das wissen Sie genau � im Softwarebereich. EinJahr budgetneutrale Anpassung für alle Häuser imJahr 2004 und auch die Konvergenzphase sind zu kurz.Von einer Konvergenzphase für die Krankenkassen, diesich bei unterschiedlichen Ausgangsbedingungen eben-falls anpassen müssen, und von dem dann auftretendenMischmasch zwischen Konvergenzphase der Kranken-häuser und Konvergenzphase der Krankenkassen sprichtüberhaupt niemand.

Zweitens. Die Einbettung in das Gesamtsystem istnicht vorbereitet. Ein erklärtes Ziel der Fallpauschalen ist,die Verweildauer in den Krankenhäusern zu verkürzen.Wenn das geschieht, dann verdichten sich die Kran-kenhausleistungen und der Anreiz ist groß, durch Abbauvon Kosten � das ist ja teilweise gewünscht � Qualität zusparen. Die Patienten werden durch ein neues Entgelt-system nicht gesünder. Wer schon eine personalbelas-tende Leistungsverdichtung in Kauf nimmt, muss wenigs-tens erklären, wie die vor- und nachgeschalteten Bereiche,der Reha-Sektor und insbesondere die niedergelasseneÄrzteschaft, die dann nicht mehr im Krankenhaus er-brachten Leistungen abdecken sollen. Der Hinweis aufdas Budgetablösungsgesetz hilft da wenig; denn Richt-größen mit Regressdrohungen wird es auch in Zukunft ge-ben. Das prophezeie ich Ihnen.

Drittens. Die Krankenhausplanung stimmt mit derneuen Krankenhauslandschaft nicht überein. Wie Sie,Frau Ministerin, die sich dann an Entgelten orientierendeKrankenhausentwicklung mit der von den Ländern zuverantwortenden Kapazitätsplanung abgleichen wollen,bleibt mir ein Rätsel. Ökonomische Wirklichkeit undSicherstellungsvorstellungen der Länder werden weitauseinander klaffen. Auch der von Ihnen zugesagte Kittder Zuschlagsvereinbarung wird diese Spalten nicht fül-len können.

Alles in allem: eine evolutionäre Weiterentwicklungdes Fallpauschalensystems � ja. Das kann auch mit demZiel einer weitgehenden Abdeckung von Diagnosen undProzeduren geschehen, aber bitte in einem angemessenenZeitrahmen, unter Berücksichtigung des gesetzlichenAuftrags der Länder und vor allem, Frau Ministerin, ein-gebettet in eine Gesamtreform des Gesundheitswesens.Dann haben Sie uns auf Ihrer Seite.

Klinische Experimente, die die Krankenhauslandschaftweitgehend unkontrolliert zerschlagen und die wohnort-nahe Versorgung gefährden, sind mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich erteilenunmehr dem Kollegen Horst Schmidbauer für die Frak-tion der SPD das Wort.

Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Herr Präsi-dent! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon auf-fallend: Wenn in Deutschland über DRGs geredet wird,will niemand mehr zurück. Es ist auffallend, dass niemandmehr eine Bezahlung nach belegten Betten haben will.Die Menschen wollen, dass auch in Deutschland nachLeistung bezahlt wird. Es ist auffallend: Wenn über DRGsdiskutiert wird, werden keine wirklichen Alternativen zudem aufgezeigt, was wir jetzt einleiten werden.

Es ist aber auch klar � das dürfen wir dabei nicht ver-kennen �, dass mit der Einführung der DRGs ganz ent-scheidende Weichenstellungen stattfinden. Die Ministerinhat heute deutlich gesagt: Was den Krankenhaussektor an-geht, steht die umfassendste Reform im Gesundheitswe-sen vor uns. Es geht daher bei vielen Betroffenen eine ArtAngst um. Wenn wir aber unsere Werte von einer ganz-heitlichen Krankenbehandlung sichern und befördern,überwinden wir die Ängste auch bei denjenigen, die vorden Entscheidungen stehen.

(Beifall bei der SPD)

Unser Gesetz zur Einführung des diagnoseorientiertenFallpauschalensystems für Krankenhäuser steht erstensfür eine umfassende Patientenorientierung, zweitens füreine umfassende Mitarbeiterorientierung, drittens für eineumfassende Qualitätssicherung und viertens für eine um-fassende Effizienzverbesserung.

(Beifall bei der SPD)Erstens. Für umfassende Patientenorientierung

steht: Der Patient rückt jetzt in den Mittelpunkt. DieStruktur und die Betriebsabläufe orientieren sich absolutan den Bedürfnissen der Patienten; denn Krankenhäuserarbeiten in Zukunft nur dann wirtschaftlich, wenn sie dieBetriebsabläufe patientenorientiert einführen. Dann istder Patient gleichzeitig der Gewinner.

Zweitens. Für umfassende Mitarbeiterorientierungsteht: Der gerechte Preis für die Leistung rückt in den Mit-telpunkt. Die Leistung der Mitarbeiter wird transparent.Diese Transparenz schafft mehr Gerechtigkeit bei der Ver-teilung von Ressourcen in Krankenhäusern. Schauen wireinmal nach Hamburg und woandershin: Selbst Verant-wortungsträger, die diesem Vorgehen kritisch gegenüberstanden, sind davon überzeugt, dass mit DRGs mehr Ge-rechtigkeit innerhalb der Krankenhäuser eingeführt wird.

(Beifall bei der SPD)Damit aber das Geld der Leistung folgen kann, müssenwir eine gerechte Vergütungsform schaffen. Das neueEntgeltsystem gleicht die individuelle Leistung am Pati-enten ab. Es differenziert nach Diagnosen, nach Schwere-grad, nach Alter und Begleiterkrankung und sorgt für eine

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gerechte Bezahlung. Auch die individuelle Belastung derBeschäftigten durch den Versorgungsauftrag eines Kran-kenhauses wird durch Zu- und Abschläge gerecht ausge-glichen. Krankenhäuser, die ausbilden, werden nicht mehrbestraft. Durch einen von allen Krankenhäusern gespeis-ten Ausgleichsfonds werden diejenigen KrankenhäuserGeld erhalten, die zukünftig ausbilden.

Drittens. Für umfassende Qualitätssicherung steht:Die Qualität der Versorgung des Patienten rückt in denMittelpunkt. Zur Sicherstellung der Versorgungsqualitätwird der Medizinische Dienst der Krankenkassen erwei-terte Rechte bekommen. Damit wird gewährleistet, dassPatienten nicht vorzeitig entlassen werden, dass im Kran-kenhaus kein Drehtüreffekt entsteht und dass nicht falschabgerechnet wird. Dazu schaffen wir eine �Qualitätssiche-rung mit Biss�. Denn nur mit finanziellen Sanktionen kannman eine Wirkung erreichen. Wenn ein Krankenhaus vor-sätzlich zu hohe Rechnungen gestellt hat, ist anstelle desDifferenzbetrages der doppelte Differenzbetrag zurückzu-zahlen.

Viertens. Für umfassende Effizienz steht: Die Wirt-schaftlichkeit rückt in den Mittelpunkt. Das Gesetzzwingt Krankenhäuser zu einer besseren Prozess- und Pa-tientenorientierung. Unnötig lange Liegezeiten werdenvermieden. Es wird nicht mehr so sein, dass am Freitagdie Einweisung in ein Krankenhaus erfolgt und am Mon-tag die Behandlung beginnt. Diese Dinge werden der Ver-gangenheit angehören.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das ist doch nichtsNeues! Das sind doch alte Kamellen!)

Die Krankenhäuser, die schon heute gut arbeiten, werdengewinnen. Die Krankenhäuser, die eher schlampig ge-führt sind, werden sich wandeln müssen. Mit einer ver-besserten Effizienz � darauf sind wir dringend angewie-sen � werden wir in Deutschland vom letzten Platz, wasVerweildauer und Bettenzahl angeht, zumindest wiederauf einen mittleren Platz innerhalb der OECD-Staatenvorrücken.

Was wir mit Patienten- und Mitarbeiterorientierung,mit Qualitätssicherung und Effizienz erreichen wollen, istdeutlich geworden. Wir haben uns auf dem Weg dahin fürein lernendes System entschieden.

(Beifall bei der SPD � Wolfgang Lohmann[Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Learning bydoing!)

Die eine Seite des lernenden Systems ist: Die Kranken-häuser lernen, mit dem neuen Vergütungssystem umzuge-hen. Keinem Krankenhaus wird die Neuregelung überge-stülpt. Der Wandel geht vielmehr Schritt für Schritt vorsich.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Aber in sehr kleinen, langsamen Schrit-ten! Man muss dafür Zeit geben!)

Die Umstellung erfolgt in drei Phasen. Voll eingeführtund voll angewendet wird das neue Vergütungssystem abdem 1. Januar 2007. Ich weiß nicht, wie bei einer Ein-führungszeit von fünf Jahren ein Zeitplan durcheinandergeraten kann. Wir werden vielfach gefragt:

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Wer fragt Sie denn? Die Betroffenenwohl kaum!)

Seid ihr verrückt? Warum braucht ihr denn fünf Jahre, umein Vergütungssystem einzuführen? Das muss doch auchin kürzerer Zeit erreicht werden können.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Wer fragt Siedenn?)

� Gehen wir einmal zusammen in Ihre Heimat, Herr Thomae. Dann können wir das feststellen. Ich werde Ih-nen im Anschluss gerne sagen, welche Krankenhäuserdiese Frage gestellt haben. Viele wollen dieses neue Ver-gütungssystem nämlich lieber morgen als übermorgen.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Einige ja!)Die zweite Seite des lernenden Systems ist: Auch die

Politik lernt mit dem neuen System. Die daraus gewonne-nen Erfahrungen finden vor 2007 Eingang in ein Folge-gesetz.

Lassen Sie mich beim Leitbild des lernenden Systemsbleiben, wenn ich zur Pflege und zu unserem Pflegeleis-tungs-Ergänzungsgesetz überleite. Gelernt haben wir,dass die Pflege um die Betreuung für demenzkranke Men-schen ergänzt werden muss. Gelernt haben wir, dass es fürdie Dementen nicht die Lösung gibt. Gelernt haben wir,dass wir eine Palette von Angeboten, ein Angebot unter-schiedlicher Bausteine, brauchen.

(Beifall bei der SPD � Dr. Dieter Thomae[FDP]: Das ist vernünftig!)

Wir brauchen Bausteine, die sich kombinieren lassen, so-dass sie der individuellen Situation der Erkrankten und ih-rer Angehörigen gerecht werden.

Bekanntlich durchläuft die Demenz drei Phasen. JedePhase führt sowohl bei den Betroffenen als auch bei denAngehörigen zu anderen Bedürfnissen, zu anderen Erfor-dernissen. Anneliese Heyde, die in Baden-Württembergeine Betreuungsgruppe für Demente leitet, hat es so for-muliert:

Mein Mann war zehn Jahre demenzkrank. Ich habeihn in den ersten Jahren durch die Krankheit beglei-tet. Die folgenden Jahre waren von Versorgung be-stimmt.

� Das ist also die zweite Phase: Es ging darum, da zu sein.Die letzten drei Jahre waren von Pflege rund um dieUhr geprägt.

Das sind diese drei Phasen. Vor allem für die erstenzwei Phasen schaffen wir niedrigschwellige Angebote,die die betroffenen Familien entlasten. Somit ist es derBezugsperson für die Dauer von zwei oder drei Stundenmöglich, einen Arzttermin wahrzunehmen, zum Friseurzu gehen oder auch, wenn es notwendig ist, den Nacht-schlaf nachzuholen, den sie nicht hatte.

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Für 2,47 DM pro Tag!)

Oft erleichtern gerade diese niedrigschwelligen Angeboteden pflegenden Angehörigen den für sie schweren Schritt,erstmals Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen.

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Aber mit Betreuungsgruppen wird auch den Pflege-bedürftigen nachhaltig geholfen. Den Pflegebedürftigenwird in der Entlastungsphase der Angehörigen eine Be-treuung geboten, die ihnen helfen soll, vorhandene Fähig-keiten zu erhalten oder verloren gegangene Fähigkeitenwieder zu gewinnen. Damit wird für Demenzkranke undpflegende Angehörige ein Netz von abgestuften, be-dürfnisorientierten, gemeindenahen Hilfen und Versor-gungsangeboten geschaffen. Dazu braucht man Men-schen, die in die Familie gehen. Wir müssen also vielmehr Menschen finden, die dazu bereit sind.

Aber auch die Angehörigen verdienen unser Augen-merk, denn die Angehörigen brauchen Beratung und Un-terstützung. Sie müssen wissen, was auf sie zukommt. Siemüssen lernen, dass sie mit der Aggression der Krankennicht persönlich gemeint sind; sie lernen damit umzuge-hen. Deshalb sind im Netz auch Angehörigengruppen undSelbsthilfegruppen mehr als gefragt.

Aber auch wir wollen mit allen Beteiligten gemeinsamlernen. Wir wollen lernen, wie die Zukunft am besten ge-staltet werden kann. Dazu werden fünf Jahre lang 20 Mil-lionen Euro Jahr für Jahr für Modellvorhaben zur Verfü-gung gestellt.

(Beifall bei der SPD)

Also, auch die Pflege braucht Pflege. Pflege brauchtneue Versorgungsformen. Pflege muss an die gesell-schaftliche Entwicklung angepasst werden. Pflege mussauf die individuellen Bedürfnisse des Pflegebedürftigenund seiner Angehörigen ausgerichtet sein. Pflege mussdas Selbstbestimmungsrecht respektieren und stärken. Siesehen, wir sind auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Zu einer Kurz-intervention gebe ich dem Kollegen Ulf Fink das Wort.

Ulf Fink (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr ver-ehrten Damen und Herren! Der Kollege Schmidbauer hatdargetan, was die Regierungskoalition Großartiges für diePflegebedürftigen tun will. Ich muss nur darauf hinwei-sen, dass im Gesetzentwurf der Regierungskoalition undder Bundesregierung null Verbesserungen � ich wieder-hole: null Verbesserungen � für die Dementen in denHeimen vorgesehen ist.

(Dr. Dieter Thomae [FDP]: Das stimmt!)Aber gerade dort besteht der allergrößte Bedarf. Fast dieHälfte der Menschen, die in den Heimen leben, sind de-ment.

Sie wollen den Leuten zwar ein neues Kontrollgesetzaufbürden, dadurch werden die Pflegekräfte zusätzlichmit Bürokratie belastet. Aber eine Hilfestellung gebenSie ihnen nicht. Sie haben gesagt, jetzt könnten sichwenigstens diejenigen, die zu Hause sind, die Verwand-ten, einmal zwei bis drei Stunden am Tag eine Hilfe be-sorgen. Ich kann Ihnen nur sagen, was das, was Sie vor-schlagen, bedeutet. Das bedeutet für ambulant Demente2,50 DM pro Tag. Versuchen Sie einmal, für 2,50 DM amTag irgendjemanden zu finden, der Sie für zwei oder drei

Stunden entlastet. Ich habe das bisher noch nicht gese-hen.

(Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie haben dasnicht verstanden!)

Sie haben schon ein sehr merkwürdiges Verständnisvon Solidarität und Gerechtigkeit. Sie sagen, Sie hättenkein Geld, um die notwendigen Verbesserungen für diePflegebedürftigen, für die Dementen einzuleiten. AberSie hatten das Geld. Nun haben Sie den Krankenkassen 1 Milliarde DM aufgebürdet, weil Sie der Meinung wa-ren, dass die Selbstbeteiligung nicht 9, 11 und 13 DM,sondern nur 8, 9 und 10 DM betragen soll. Dafür hattenSie 1 Milliarde DM, obwohl es Härtefallklauseln, Über-forderungsklauseln usw. gibt. Aber hier lassen Sie dieMenschen allein, ohne jede Härtefallklausel, ohne jedeÜberforderungsklausel. Was ist denn das für ein Ver-ständnis von Gerechtigkeit?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Kol-lege Schmidbauer, möchten Sie antworten?

Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Ich möchteden Kollegen nur fragen: Was haben Sie, während Sie Re-gierungsverantwortung trugen, aus den neuen Er-kenntnissen, die Ihnen heute Abend so plötzlich gekommensind, an Konsequenzen gezogen? � Fehlanzeige! Null!

(Beifall bei der SPD)

Sie haben wissentlich diese Aspekte außen vor gelassen.

Ich meine, unser entscheidender Vorteil ist, dass wirlernfähig sind. Wir haben gelernt, dass es für das Problemder Dementen nicht die Lösung gibt, die teilweise am Anfang der Diskussion stand, sondern wir haben von denAngehörigen, den Selbsthilfegruppen, den großen Orga-nisationen gelernt, dass wir dazu eine bestimmte Ange-botspalette brauchen. Diese Angebotspalette gilt es jetztzu entwickeln. Es ist ein genialer und richtig angelegterZug der Ministerin gewesen,

(Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid][CDU/CSU]: Genial!)

dass sie dies mit einem 20-Millionen-Euro-Modellpro-gramm begleitet hat, um die Entwicklung voranzutreibenund sie wissenschaftlich zu unterstützen, damit wir inDeutschland die notwendige Erfahrung bekommen, umentscheiden zu können, welchen Weg wir in den nächstenJahren und Jahrzehnten zielorientiert gehen müssen, umdiese schwierige Aufgabe zu erfüllen.

Ich persönlich habe mich am meisten darüber gefreut,dass unsere Idee, niederschwellige Angebote zu unterbrei-ten und entsprechende Bausteine einzuführen, mit denender Bedarf von den betreuenden Familienangehörigen ab-gerufen werden kann, gerade bei den Selbsthilfegruppenauf unheimlich hohe Akzeptanz gestoßen ist.

(Dr. Dieter Thomae [FDP): Das kam doch garnicht von Ihnen! Das war doch gar nicht eureIdee!)

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Die Menschen sind uns dankbar. Wir lassen es nicht zu,dass Sie dies mies machen. Wir werden in der nächstenStufe auch über die Dinge in den Heimen sprechen müs-sen. Dazu haben wir die ersten Maßnahmen eingeleitet,auf Qualitätssicherungsaspekte hingewiesen und entspre-chende Rahmenbedingungen geschaffen.

(Dr. Dieter Thomae [FDP): Aber kein Geld!)

Auch die Heime können � ich denke, das ist möglich � jetztauf diese Herausforderungen entsprechend reagieren.

Der Einstieg ist richtig. Die 500 Millionen Euro zusätz-lich zu dem Modellvorhaben sind ein angemessener Rah-men. Das zeigt, dass wir es ernst meinen. Ich denke, dieMenschen draußen werden es honorieren, auch wenn Ih-nen dazu die Größe fehlt.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließedie Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfeauf den Drucksachen 14/6891, 14/6893 und 14/6949 andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-schlagen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/6893soll zusätzlich an den Ausschuss für Arbeit und Sozial-ordnung und an den Verteidigungsausschuss überwiesenwerden. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/6949 sollzusätzlich an den Ausschuss für Familie, Senioren,Frauen und Jugend sowie an den Haushaltsausschussüberwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? � Dasist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeri-ums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ein-zelplan 17, auf.

Mit Blick auf die angesetzten Fraktionssitzungen bitteich darum, auf die Einhaltung der Redezeiten besondersachten.

Ich gebe das Wort der Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann.

Dr. Christine Bergmann, Bundesministerin für Fa-milie, Senioren, Frauen und Jugend: Herr Präsident!Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!Lassen Sie mich, bevor ich zu der eigentlichen Haus-haltsdebatte komme, noch ein paar Worte sagen.

Die unfassbaren Anschläge in New York und Wa-shington haben � so denke ich � bei uns allen Spuren hin-terlassen. Insbesondere für Kinder und Jugendliche ist esschwer, diese Eindrücke zu verarbeiten und mit diesenBildern fertig zu werden. Die vielen Aktionen der Solida-rität an den Schulen, in der Jugendarbeit und in den Kitasund die vielen Gespräche, die Eltern und Erziehungsver-antwortliche mit den Kindern führen, um die Angst zuüberwinden, sind auch ein positives Zeichen für dasmenschliche Klima in unserem Land.

Ich möchte noch einmal besonders darauf hinweisen,wie viele Initiativen von Kindern und Jugendlichen aus-gegangen sind. Sie haben Wandzeitungen erstellt und

Trauerveranstaltungen organisiert. Ich sage das, weil wirüber diese Generation häufig nicht nur freundlich reden.Wir müssen auch einmal wahrnehmen, dass Kinder undJugendliche in dieser Situation Anteil genommen und ver-sucht haben, Hilfe zu leisten.

Das gilt auch für die vielen Initiativen und Vereine, diezum Teil auch von uns unterstützt werden. Sie haben ver-mehrt Angebote für Eltern sowie Erzieherinnen und Erzie-her bereitgestellt, um ihnen bei Telefonberatungen und woauch immer zu helfen. Wir werden das weiter unterstützenund in den nächsten Tagen eine Internetseite � aufbauendauf unsere Akiju-Plattform � bereitstellen, um Möglichkei-ten für Eltern und Jugendliche zu bieten, sich auszutau-schen. Wir werden dies auch moderieren und das eine oderandere Informationsmaterial für die Beratungsstellen zurVerfügung stellen, um diese wichtige Arbeit zu unter-stützen. Ich wollte an dieser Stelle auch einmal dafür dan-ken, dass sich diese Menschen, die das meist ehrenamtlichmachen, so schnell mit diesem Thema auseinander gesetzthaben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Familien brauchen Unterstützung � nicht nur in Kri-senzeiten. Ich bin froh, dass der Stellenwert von Familienfür unsere Gesellschaft endlich wieder deutlich gewordenist. Endlich wird deutlich, dass die Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf eine Zukunftsfrage für unser Land ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Endlich wird auch deutlich, dass Familienpolitik eineAufgabe ist, die Männer und Frauen gleichermaßen an-geht, also nicht nur Frauen.

Das Klima für Familien verändert sich in unseremLand Schritt für Schritt. Das ist nun wirklich das Verdienstdieser Regierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN � Zurufevon der CDU/CSU: Oh!)

� Ja, wir waren es. Wir haben die Rahmenbedingungenfür Familien in unserem Land ganz wesentlich verbes-sert. Ich weiß, dass Sie das nicht gerne akzeptieren, aberes ist so.

Wir haben in den drei Jahren der Regierungsarbeit diefinanziellen Leistungen für Familien ganz beträchtlich er-höht. Ich will das nicht im Einzelnen aufzählen; es istauch heute Morgen schon getan worden. Das kann sich se-hen lassen � vom Kindergeld über die Steuererleichterun-gen, über das Wohngeld bis zum BAföG und was noch al-les dazu gehört. Das ist eine beträchtliche finanzielleEntlastung für Familien, die sie auch bitter nötig haben.Wir haben das seriös finanziert,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

weil es für Familien auch nicht gut ist, wenn die Schuldensteigen. Das müssen wir uns doch nicht jedes Mal wiederneu erzählen. Es sind die Familien, es sind die Kinder, dieam Ende die Lasten zu tragen haben.

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Deswegen ist auch das, was Sie an finanziellen Leis-tungen mit Ihrem Familiengeld vorschlagen, so unglaub-würdig.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das einzig richtigeKonzept!)

Die Menschen wissen, dass es nicht zu finanzieren ist,außer durch mehr Schulden. Das wollen die wenigstenBürgerinnen und Bürger in unserem Land. Es ist auch insich unausgewogen.

Ich sage es noch einmal, obwohl wir es schon mehrfachgesagt haben: Das, was Sie mit Ihrem Familiengeld vor-schlagen, kommt vor allen Dingen den Besserverdienen-den zugute. Denn Familien mit einem geringen Einkom-men, die jetzt vom Erziehungsgeld profitieren undKindergeld beziehen, haben schon mindestens 900 DM,mit der Budgetierung haben sie 1 200 DM an Förderung.Das wollen Sie quasi allen geben, unabhängig von derEinkommenshöhe. Ich glaube, hiermit kommen Sie beiden Familien nicht allzu weit.

Wir haben über unsere finanziellen Leistungen hinausbessere Rahmenbedingungen für Familien geschaffen.Das sollten Sie wirklich einmal anerkennen. FrauBöhmer, ich wende mich jetzt einmal an Sie: Man kann jaimmer schon vorher lesen, was nachher kommen wird.Das ist nett. Dann kann man sich schon ein bisschen da-rauf einstellen.

(Ina Lenke [FDP]: Das wissen wir bei Ihnenauch!)

� Bei mir auch, klar. So ist das.

Sie haben geschrieben, Sie wollen eine familien-freundliche Arbeitswelt. � Na prima! Aber das, was wirhier schon auf den Weg gebracht haben, haben Sie in garkeiner Weise unterstützt. Wir haben Familienfreundlich-keit in der Arbeitswelt gesetzlich beträchtlich verbessert.Denken wir an das Bundeserziehungsgeldgesetz,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

wonach Väter und Mütter zur gleichen Zeit Erziehungs-urlaub nehmen können. Denken wir an das Teilzeitgesetz.Der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit ist natürlich sehrwichtig für Familien. Was ist wichtiger als dies,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

wenn es darum geht, Familie und Arbeitswelt in Überein-stimmung zu bringen?

Wir haben nicht nur Gesetze gemacht. Wir haben diesauch ganz kräftig mit Kampagnen begleitet. Im Rahmender Väter-Kampagne war ich in vielen Unternehmen unter-wegs, um zu versuchen, Familienfreundlichkeit in den Be-trieben zu verwirklichen, auch in kleinen. Das ist nicht nurein Thema für große Firmen, auch für kleine und mittlere.Sie ziehen zum Teil prima mit � das muss man auch einmalsagen �, weil sie in ihren Arbeitskräften auch die sozialenWesen und nicht nur die Arbeitskraft sehen. Darum geht esdabei. Sie sind auch daran interessiert, die gut eingearbei-teten Mütter und Väter im Unternehmen zu halten.

Bei solchen Dingen könnten Sie auch einmal die Größeaufbringen zu sagen: Okay, das habt ihr gut gemacht, wirkönnten uns vielleicht noch mehr vorstellen, machen wires doch gemeinsam!

(Ina Lenke [FDP): Sagen Sie doch einmal etwaszum Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft!)

Aber so etwas höre ich nicht. Das zeigt natürlich, wieernst Sie es mit Ihrem Vorhaben, Familienfreundlichkeitin der Arbeitswelt durchzusetzen, wirklich meinen. Dassind schlichtweg leere Worte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Thema Familienfreundlichkeit spielt natürlichauch bei der Vereinbarung zur Chancengleichheit in denUnternehmen eine große Rolle. Ich sage allen Kritikernund Kritikerinnen dieser Vereinbarung: Lesen Sie sie ersteinmal. Manchmal hilft das schon. Da sieht man, dasseine Menge darin enthalten ist, womit man richtig etwasmachen kann. Es sind durchaus Vorgaben darin enthalten,wie Familienfreundlichkeit und Chancengleichheit umzu-setzen sind. Es gibt eine Kontrolle. Wir sind im Momentdabei, die Bestandsaufnahme mit den Unternehmen zuvereinbaren. Wir haben eine wirksame Kontrolle bis zumJahr 2003. Es ist auch klar, was passiert, wenn die Unter-nehmen sich nicht von der Stelle bewegen. Dafür habenwir dann das Gesetz; das ist auch klar.

In diesem Bereich können wir durchaus agieren, vor al-lem auch mit dem, was das Betriebsverfassungsgesetz aufden Weg gebracht hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass Siedas Betriebsverfassungsgesetz begeistert begrüßt hätten.Sich jetzt hinzustellen und zu fragen, warum wir hier keinGesetz gemacht haben, und das, was vorhanden ist, perma-nent herunterzureden, ist auch nicht sehr überzeugend.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordnetendes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie wissen: Wir haben die Quotierung im Betriebsver-fassungsgesetz eingeführt. Wir haben sowohl bei den Ar-beitgebern als auch bei den Gewerkschaften � auch diebrauchen manchmal den einen oder anderen Anschub �für Regelungen gesorgt, mit denen die Chancengleich-heit wirklich vorangebracht wird. Das ist Bestandteil derPersonalplanung. Darüber muss berichtet werden. DieArbeitnehmer müssen sich um dieses Thema kümmern.Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Wenn Ihnen diesesThema so sehr am Herzen liegt, dann können wir versu-chen, gemeinsam Vorschläge umzusetzen. Darauf kommtes an.

Ein Satz zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie inBezug auf Kinderbetreuung. Ich kann mich an Haushalts-beratungen erinnern, in denen Sie mir immer vorgewor-fen haben, ich würde mich allzu sehr um die Erwerbsar-beit von Frauen kümmern. Über dieses Stadium sind wirhinaus. Um diesen Punkt müssen wir uns aber nach wievor kümmern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dass Sie sogar anerkennen, dass die Vereinbarkeitvon Beruf und Familie ein Thema ist und dass man sich

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um die Kinderbetreuung kümmern muss, ist schön. Abermachen Sie nun endlich etwas in den von Ihnen regiertenLändern und Kommunen, denn dies ist deren Sache. Wirhaben den Ländern im zweiten Familienfördergesetz, dasvon Ihnen sehr gescholten wurde, finanzielle Möglichkei-ten eröffnet. Der Bund übernimmt beim Kindergeld einenhöheren Anteil, wodurch 2 Milliarden DM für die Kin-derbetreuung an die Länder und Kommunen gehen. Dashaben auch einige Ministerpräsidenten anerkannt.

Was passiert in den Ländern? Wenn ich mir das nichtsehr arme Land Bayern anschaue und feststelle, dass dieVersorgungsquote für Kinder unter drei Jahren bei mage-ren 1,4 Prozent liegt, dann komme ich wirklich ins Grü-beln. Das kann man nicht allzu ernst nehmen.

(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: 0,8 Prozent inNordrhein-Westfalen!)

Ich will auf einen anderen Punkt eingehen, der nichtnur mit der Familie etwas zu tun hat. Es geht um die Un-terstützung der Erziehungskompetenz der Familien.Ich habe in Ihrer Vorlage gelesen, dass sich Familien mitwachsenden Herausforderungen konfrontiert sehen. Wei-ter steht dort: Tradierte Verhaltensweisen erweisen sichimmer öfter als nicht mehr hilfreich. Danach kommen einpaar vage Formulierungen. Es wird nicht konkret. DerAnalyse konnte man aber zustimmen.

Ich will darauf hinweisen, dass wir genau das, was Sieallgemein formulieren � man könnte es auch hohle Wortenennen �, umsetzen. Ich denke dabei an das Gesetz, dasden Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung garan-tiert. Hier werden wir konkret und liefern den Eltern ge-zielte Hilfen. Wir verändern etwas im Bewusstsein derMenschen.

Wir haben große Kampagnen gestartet, die weiterhinlaufen. Unsere Hilfsangebote werden viel in Anspruch ge-nommen. Ich bin sehr froh, dass wir von vielen gesell-schaftlichen Gruppen Unterstützung erfahren. Wir setzenan der Wurzel an, wo die Gewalt entsteht. Es ist leider so,dass Gewalterfahrungen zuallererst in der Familie ge-macht werden. Also muss man hier ansetzen.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Ab-geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN)

Sie von der Opposition haben dies nicht unterstützt. Im-mer, wenn es konkret wird, machen Sie nicht mit.

Im Bereich der Gewalt gegen ältere Menschen ha-ben wir einiges getan. Wir haben ein Modellprojekt zumAbschluss gebracht, das mit seinen Erfahrungen für dieKommunen sehr wichtig ist, die entsprechende Ange-bote für Betroffene und Angehörige bereitstellen. Auchmit dem Aktionsprogramm zur Bekämpfung von häus-licher Gewalt haben wir viel angestoßen. In den Län-dern und Kommunen gibt es zum Teil Aktionspro-gramme. Dazu gehört das Gewaltschutzgesetz. Endlichsind wir so weit, dass die Täter und nicht die geprügel-ten Frauen mit ihren Kindern die Wohnung verlassenmüssen.

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht werden Sie sogar zustimmen. Das hoffe ichjedenfalls. Aber es ist ein mühsames Geschäft, mit Ihneneinen Konsens zu finden.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Ich habe Ihnen gerade die Beispiele genannt. Ich könntedies noch fortsetzen. Wenn es konkret wird, ist von Ihnennicht mehr viel zu sehen.

Ich will noch die Altenpflege ansprechen, weil ichmich vorhin über einen Beitrag hierzu geärgert habe. HerrThomae von der FDP hat sich darüber beschwert, dassnicht genügend zur Aufwertung der Altenpflege getanwird. Ich darf daran erinnern, dass wir gegen die Stimmender Opposition ein Gesetz verabschiedet haben.

(Widerspruch bei der FDP)

� Ja, die FDP hat zugestimmt. Ich korrigiere mich. Wassoll ich denn noch alles tun?

Bayern klagt gegen dieses Gesetz beim Bundesverfas-sungsgericht. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wirdieses Gesetz auf den Weg gebracht haben. Der Beruf desAltenpflegers wird dadurch aufgewertet. Wir wollen, dassältere Menschen, wenn sie pflegebedürftig sind, würde-voll behandelt werden.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz zur Freiwilli-genarbeit sagen. Wir haben das Internationale Jahr derFreiwilligen. Es ist viel Neues in Gang gekommen; auchbisher gab es schon viel Positives.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

� Doch, doch. Wir können darüber an anderer Stelle dis-kutieren.

Wir werden unsere Vorhaben weiterführen; in diesemBereich geht es uns um Nachhaltigkeit und Freiwilligkeit.Wir wissen, dass es viel Engagement gibt; das hat sichdeutlich erwiesen. Wir wollen die freiwilligen Jahre aus-weiten. Es laufen bereits Modellversuche. In der nächstenWoche wird ein Gesetzentwurf auf den Tisch kommen, umim Sport- und Kulturbereich das freiwillige soziale unddas freiwillige ökologische Jahr zu erweitern. Ich sehe,dass es zu diesem Punkt eine große Zustimmung gibt; dasist erfreulich. Wir wollen die Freiwilligkeit erhalten; waswir nicht brauchen können, sind Pflichtjahre, am allerwe-nigsten Pflichtjahre für Senioren. Eine Diskussion darü-ber � Herr Schönbohm hat das Thema auf den Tisch ge-bracht � ist ein nicht zu überbietender Zynismus.

(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Ab-geordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-NEN)

Wir brauchen die Älteren, die auf freiwilliger Basisviel leisten. Wir brauchen aber auch Junge, die sich enga-gieren. Deswegen machen wir im Jugendbereich eine ak-tivierende Politik. Wir werden in den nächsten Wochenein Regierungsprogramm zur Jugendpolitik vorlegen. Wirstärken die Beteiligung von Jugendlichen. Ich lade Sieein mitzumachen. Im November gibt es einen Auftakt zueiner bundesweiten Beteiligungsbewegung für Jugendli-che. Es geht uns darum, Jugendliche noch stärker an die

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Demokratie heranzuführen. Ich bin der Meinung, dass dasfunktioniert, wenn wir die richtige Form finden. Wir se-hen, wie stark Jugendliche bei der Bekämpfung desRechtsextremismus in Projekten mitarbeiten. Auf diesemFeld laufen sehr viele Aktivitäten.

Ich will zum Schluss betonen, dass wir mit dem, waswir in der Politik angeschoben haben, die wichtigen The-men nicht nur angeschnitten, sondern kräftig vorangetrie-ben haben. Wir haben auf diesem Feld noch viel zu tun;nach 16 Jahren Ihrer Regierung ist das klar. Ich bedankemich für die Unterstützung, soweit sie gegeben wurde.Vielleicht sind in dem einem oder anderen Bereich nochVerbesserungen möglich.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für dieCDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Dr. MariaBöhmer.

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Sehr geehrter HerrPräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe FrauMinisterin Bergmann, ich würde Sie wirklich gerne ein-mal für innovative, richtungsweisende Lösungen loben,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Irmingard Schewe-Gerigk[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trauen Siesich doch!)

aber wo ich auch hinsehe, muss ich feststellen: Fehlan-zeige. Sie müssen auch erst einmal in den eigenen Reihenwerben. Als der Bundeskanzler vor der Sommerpauseseine große Pressekonferenz gab � bekanntlich ging es umdie Erfolge dieser Bundesregierung �, wurde über vielesgesprochen. Es wurde über die Steuerreform, die Renteund die Greencard gesprochen, es wurde aber kein Wortüber die Familienpolitik verloren. Wenn selbst der Bun-deskanzler bei seiner Erfolgsbilanz die Familienpolitiknicht aufzählt, dann muss es um die Familienpolitik die-ser Bundesregierung düster bestellt sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie sollten auch mehr auf Ihren eigenen Beirat hören.Die �Frankfurter Rundschau� schrieb im Mai � die Pres-semitteilung ist also noch nicht so alt �: Rot-grüne Fami-lienpolitik gerügt. � In dieser Zeitung � wahrlich keinBlatt, das auf der Seite der CDU/CSU steht, sondern eherbei Ihnen zu orten ist � wurde deutlich gesagt: Der Wis-senschaftliche Beirat des Bundesfamilienministeriumskritisiert massiv die Gerechtigkeitslücke bei der Famili-enpolitik der rot-grünen Koalition. � Das ist die Wahrheitund darüber täuscht nichts hinweg.

(Beifall bei der CDU/CSU � Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wis-sen Sie, über welchen Zeitraum gesprochenwurde?)

� Das war im Jahr 2001.

Sie glauben, die Familienpolitik neu erfunden zu ha-ben. Ich muss Ihnen sagen, Frau Bergmann: All das, wasSie eben aufgezählt haben � familienfreundliche Arbeits-welt, Kinderbetreuung, Erziehungsurlaub und dessenWeiterentwicklung �, ist von der früheren Bundesregie-rung geschaffen worden � von niemandem sonst.

(Beifall bei der CDU/CSU)In diesem Land hätte es ohne die Union keine Anerken-nung von Kindererziehungszeiten bei der Rente gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU � Widerspruch beider SPD)

In diesem Land hätte es ohne die Union keine Anerken-nung von Erziehungszeiten und keinen Erziehungsurlaubgegeben. In diesem Land hätte es ohne die Union keinenRechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gegeben.

(Beifall bei der CDU/CSU)Da Sie vielleicht eher der amtlichen Statistik glauben alsmir � das ist ja, wie ich es eben bei Ihnen gemerkt habe,durchaus realistisch �, will ich einmal nachschauen, wie esmit der Kinderbetreuung in den einzelnen Bundeslän-dern aussieht. Denn in der Tat gilt: Handeln, nicht reden.

(Zuruf von der SPD: Dann fangen Sie mal an!)Ich habe mir die amtliche Statistik �Kindergartenplätzepro 100 Kinder für die Drei- bis Sechsjährigen� des Statis-tischen Bundesamtes angeschaut. Spitzenreiter ist Baden-Württemberg, das bekanntlich seit vielen Jahren CDU-re-giert ist.

(Zuruf von der FDP: Und von der FDP! Jetztreicht es aber!)

� Ich nehme Sie gerne mit in das Boot.Wenn Sie sich die neuen Bundesländer, die diese Sta-

tistik anführen, anschauen, stellen Sie fest: In Thüringengibt es pro 100 Kinder 153 Plätze

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)und in Sachsen 135 Plätze. In Baden-Württemberg sind es125 Plätze. Das sind Spitzenleistungen.

(Beifall bei der CDU/CSU � Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Undwie ist das in Bayern?)

� Das kann ich Ihnen gern sagen: In Bayern sind es97 Plätze. Bayern liegt deutlich vor Nordrhein-Westfalen,Schleswig-Holstein und Hamburg; denn in Hamburg ste-hen nur ganze 75 Plätze zur Verfügung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)Nach 44 Jahren eindeutiger SPD-Regierung in Hamburg

(Zuruf von der FDP: Ganz magere Jahre! �Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Mit Schill wird alles besser!)

ist die bisherige Regierung nicht nur wegen der innerenSicherheit, sondern auch wegen einer verfehlten Famili-enpolitik abgewählt worden.

Wenn ich schon in Richtung Norden blicke, möchte ichIhnen auch einmal die Situation in Schleswig-Holsteinschildern:

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Liebe Frau Ministerin Bergmann,

(Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Der Schill steckt die Kinder in denKnast! Das macht der! Mit dem koalieren Sie!)

Ich glaube, Sie müssen erst noch in den eigenen Reihenfür Ihre Ideen werben. Denn Frau Simonis hat sich am30. August dieses Jahres gegen weitere Kindergeld-erhöhungen ausgesprochen. Sie sollten in den Reihen derMinisterpräsidentinnen und Ministerpräsidenten einmalaufräumen. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dasseine solche Aussage von einer Ministerpräsidentin ge-troffen wird. Davon kann auch nicht dadurch abgelenktwerden, dass anschließend gesagt wird, sie wolle das ein-gesparte Geld für einen Ausbau der Kinderbetreuungs-möglichkeiten verwenden.

Man kann nicht die eine Gruppe von Eltern damit be-strafen, dass man der anderen etwas gibt. Eltern verdienendie gleiche Förderung. Dies ist nicht als Alternative zu se-hen nach dem Motto: Für die einen die Kinderbetreuung,für die anderen die Familienförderung. � Wir brauchen einGesamtkonzept einer zukunftsorientierten Familienpoli-tik, die beides einschließen muss.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU � Zu-ruf von der SPD: So wie es in früheren Jahrenwar, als Sie noch regiert haben!)

Sie muss die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowiedie finanzielle Gerechtigkeit für Familien in diesem Landeinschließen.

Da Sie häufig auf die Lebensbedingungen abheben, diein SPD-regierten Zeiten unwahrscheinlich gut seien,möchte ich Ihnen sagen: Ich habe mir einmal die Er-werbsstatistik von Frauen in den einzelnen Bundeslän-dern angesehen. Auch dies ist die Stunde der Wahrheit.Wo bestehen die höchsten Erwerbsquoten? Sie würdenwahrscheinlich vermuten: in Nordrhein-Westfalen odervielleicht sogar in Hamburg, weil Sie dort ja so lange ander Macht waren.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN]: Im Land von Kohle und Stahl gibtes die meisten Frauenerwerbsplätze!)

Die stärkste Erwerbsbeteiligung von Frauen gibt es mit62,3 Prozent in Bayern und in Baden-Württemberg mit60,9 Prozent. Nordrhein-Westfalen steht mit 53,6 Prozentan drittletzter Stelle. Daran sieht man doch, wer wirklichetwas für Frauen und Familien tut und wer sie im Regenstehen lässt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt muss ich Ihnen etwas zu den Themen Kindergeld-erhöhung und Besserstellung der Familien, die hier im-mer wieder angeführt werden, sagen: Auch hier ist dieStunde der Wahrheit. Wenn es um die Kindergeld-erhöhung geht, ist festzuhalten: Sie haben 30 DM mehrgegeben.

(Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 80 DM in drei Jahren!)

� Sie haben 30 DM mehr gegeben.

(Susanne Kastner [SPD]: Sie haben uns eineErblast von 48 Milliarden DM hinterlassen! �Gegenruf von der CDU/CSU: Sie sind bereitsdrei Jahre in der Regierung!)

� Ich finde es wunderschön, dass Sie mir das noch einmalsagen. Für diejenigen, die, wie Sie, daran erinnert werdenwollen, was die damalige Bundesregierung aus Union undFDP getan hat, sage ich: Wir haben das Kindergeld vondamals 50 DM � in dieser Höhe haben wir es übernom-men � auf 220 DM erhöht.

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber unredlich!)

An eine solche Steigerung des Betrages müssen Sie ersteinmal herankommen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der FDP)

Deshalb sollten Sie aufhören, solche Märchen zu er-zählen. Denn dadurch, dass Sie Märchen erzählen, wird dieSituation nicht besser. Denn auf der einen Seite gehen Siehin und geben den Familien 30 DM mehr Kindergeld, aberauf der anderen Seite � wir haben ja gerade die Gesund-heitsdebatte geführt und auch Sie sind, wie ich, einige Zeitdabei gewesen � hat eine völlig verfehlte Gesundheitspoli-tik zu einem Ansteigen der Kassenbeiträge geführt.

Wenn man ein durchschnittliches Einkommen von5 000 DM im Monat zugrunde legt, macht ein halber Pro-zentpunkt 25 DM mehr aus, die den Menschen aus demPortemonnaie genommen werden. Damit ist die Kinder-gelderhöhung durch Ihre verfehlte Politik von den Sozial-abgaben verfrühstückt worden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Frau Kolle-gin Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-gin Irmingard Schewe-Gerigk?

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Aber gerne.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das verlängertdie Redezeit! Das ist auch gut!)

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Frau Kollegin Böhmer, sind Sie bereit, anzu-erkennen, dass Sie nicht das Kindergeld von 50 DM auf200 DM erhöht haben, sondern dass es zu der Zeit, als dasKindergeld 50 DM betrug, noch einen zusätzlichen Kin-dersteuerfreibetrag gab, sodass die Differenz sehr viel ge-ringer war? Würden Sie dies dem Hohen Hause einmal er-läutern?

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Frau KolleginSchewe-Gerigk, Sie wissen, dass wir den dualen Famili-enleistungsausgleich eingeführt haben. Sie setzen ihn jaauch fort, allerdings am unteren Rand, sodass die finanziellschwächeren Familien, die mehr Geld brauchen, im Re-gen stehen bleiben.

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(Arne Fuhrmann [SPD]: Das Bundesverfas-sungsgericht hat bestätigt, dass das bei Ihnen sowar!)

Ihre Verbesserungen nützen gar nichts. Hinzu kommt,dass Sie die Familien mit einer Familienstrafsteuer, näm-lich der Ökosteuer, belastet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

All dies bedeutet, dass Sie keine Verbesserungen für Fa-milien erreicht haben. Vielmehr sind die Belastungen fürFamilien in diesem Land größer geworden, seit Sie an derRegierung sind.

(Beifall bei der CDU/CSU)Nun schauen wir einmal, was sich im Bereich der

Frauenpolitik getan hat. Hinsichtlich dieses Politikfeldeshatte ich immer die Erwartungshaltung, nach dem Regie-rungswechsel werde alles besser, für die Frauen werdeeine neue Zeit anbrechen und wir könnten den Leistungender Bundesregierung endlich einmal Beifall zollen. Aberwas lese ich beim Deutschen Frauenrat? Nachdem Sie dasGleichberechtigungsgesetz endgültig eingemottet haben,schrieb der Deutsche Frauenrat � ich zitiere die Vorsit-zende nach einer Pressemeldung vom 3. Juli 2001 �:

Versprochen hat uns die Regierung ein Gesetz, nunwollen die Spitzenverbände der Wirtschaft ihrenMitgliedern die Förderung empfehlen. Es ist einHohn, wie sich die Regierung das versprochene Ge-setz hat abschwatzen lassen. Die rot-grüne Gleich-stellungspolitik wurde wie beim Sommerschlussver-kauf verramscht.

Das ist die Wahrheit über die Frauenpolitik dieser Bun-desregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer so für Familien und Frauen im Lande Politikmacht, bei dem wundere ich mich nicht mehr, dass er inder Erfolgsbilanz nicht vorkommt. Die Bürgerinnen undBürger in diesem Land wissen sehr wohl, woran sie mitIhnen sind, denn die Waagschale geht in Sachen Famili-enkompetenz für diese Bundesregierung nach unten.

(Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Was waren jetzt Ihre Vorschläge?)

� Wenn das eine Frage sein sollte, Herr Präsident, werdeich sie gern beantworten.

(Christian Simmert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: Das war ein Zwischenruf!)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich sehenoch keine Frage.

Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Das war ein Zwi-schenruf. Aber ich beantworte Ihre Frage trotzdemgern: Wir haben eine Alternative entwickelt. Wir sagennicht nur, wo es Schwachpunkte gibt und wo Hilflosig-keit herrscht. Wir sagen, dass wir für die Familie einezukunftsorientierte Politik brauchen, die auf drei Säulen

steht: auf der besseren Vereinbarkeit von Familie undBeruf mit einem deutlichen Ausbau der Kinderbetreu-ungsmöglichkeiten, auf einer gerechten finanziellenFörderung mit einem Familiengeld, das diesen Namenwirklich verdient und keine Minischritte beinhaltet,sondern die Kinder aus der Sozialhilfe holt. FrauBergmann, dieses Familiengeld würde nicht zu einerSchlechterstellung der Familien führen; denn wer biszum dritten Lebensjahr eines Kindes 1 200 DM erwar-ten kann, wäre deutlich besser gestellt als jetzt. Drittenswollen wir die Erziehungskompetenz der Familien stär-ken; denn die Familien und die Kinder sind das wich-tigste Gut, das wir haben. Deshalb brauchen wir in die-sem Lande eine starke Familienpolitik. Daran werdenwir arbeiten und dafür werden wir kämpfen.

Ich danke.(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-

neten der FDP)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für dieFraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kol-legin Irmingard Schewe-Gerigk.

(Arne Fuhrmann [SPD]: Irmingard, jetzt zeigedenen mal, wo es langgeht!)

Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Frau Böhmer, Sie wissen selbst, dass Sie mir aufmeine Frage nicht geantwortet haben. Diesen Abwehr-mechanismus, diesen pawlowschen Reflex, immer wiederdie Ökosteuer anzusprechen, hätten Sie sich eigentlichsparen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Mit dem Haushaltsplan 2002 ist es uns gelungen, imEinzelplan 17 ein ausgewogenes Verhältnis zwischenKonsolidierung und gestalterischer Politik herzustellen.Die Einsparungen in Höhe von 79 Millionen Euro resul-tieren hauptsächlich aus der Umsetzung des Zukunftspro-gramms 2000 im Bereich des Zivildienstes. Ich bin froh,dass die Arbeit des Bundesamtes nicht beeinträchtigtwird. Durch die Verkürzung des Zivildienstes auf zehnMonate konnte hier problemlos eingespart werden. Damitnimmt auch die Bedeutung des Zivildienstes als Ausfall-bürge für Arbeitsplatzverkürzungen im sozialen Bereichab. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass in den alten Tätig-keitsfeldern der Zivildienstleistenden neue Arbeitsplätzegeschaffen werden. Die Reduzierung geht also nicht, wieSie von der Opposition immer so gern behauptet haben,auf Kosten der bis dato Betreuten.

Im letzten Haushalt hatten wir einmalig Mittel in Höhevon 15,3 Millionen Euro zur Bekämpfung des Rechts-extremismus eingesetzt. Diese Mittel sind im Haushalt2002 nicht mehr vorhanden. Allerdings haben wir für wei-tere Projekte gegen Rechtsextremismus 5 Millionen Euroveranschlagt.

Für die Integration junger Migrantinnen und Migranten wurde mit der Veranschlagung von 41 Milli-onen Euro eine deutliche Aufstockung der Mittel erreicht

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und das ist auch gut so, denn Sprachförderung ist � daswissen wir alle � für die Integration besonders wichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD � Ina Lenke [FDP]: Das woll-tet ihr auch sparen! Das habt ihr euch überlegt!)

� Was wir wollten, darüber entscheiden wir nicht. Es gehtum das, was im Haushalt steht, Frau Kollegin.

An dieser Stelle ein Wort zur Familienzusammen-führung: Natürlich ist es für die Integration besser, wenndie Kinder von Migrantinnen und Migranten möglichstjung nach Deutschland kommen. Aber eine Aufspaltungder Gruppen von Kindern in solche, die bis zur Vollen-dung des 18. Lebensjahres nachziehen dürfen, weil derenEltern hochqualifiziert sind, und solche, die nur bis zum12. Lebensjahr nach Deutschland kommen sollen, weilderen Eltern weniger qualifiziert sind, werden wir nichtzulassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Nach unserem Grundgesetz steht die Familie unterdem besonderen Schutz des Staates. Das darf natürlichnicht nur für deutsche Familien gelten. Damit bin ich beider Familienpolitik, Frau Böhmer. Gerade auf diesem Ge-biet hat die rot-grüne Bundesregierung Enormes geleistetund das lassen wir uns auch von ihnen nicht kleinreden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD � Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Was wahr ist, ist wahr!)

� Ich nenne Ihnen die Zahlen. Durch das Zweite Fami-lienförderungsgesetz erreichten wir eine zusätzliche Ent-lastung in Höhe von 2,3 Milliarden Euro und erfüllten damit termingerecht die Vorgaben des Bundesverfas-sungsgerichts. Dies, die Erhöhung des Kindergeldes indieser Legislaturperiode um 41 Euro, Verbesserungenbeim BAföG und beim Wohngeld sowie die Erhöhungvon Freibeträgen � das macht im Jahr 2001 insgesamt98 Milliarden DM aus. Das können Sie sich auf der Zungezergehen lassen. Die Tendenz ist steigend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD � Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Trotzdem haben die Familien immer we-niger!)

Natürlich könnte es immer noch etwas mehr sein.Wenn Sie aber bedenken, dass trotz einer Erhöhung desEtats für familienpolitische Leistungen um 20 Milliar-den DM seit dem Regierungsantritt der Konsolidierungs-kurs weitergeführt wurde, wir also nicht länger wie Sieauf Kosten der nächsten Generation leben, dann solltenSie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, unsdafür ein Kompliment machen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Solche Beträge für die Familien haben Sie bei IhremFinanzminister, der ja auch immer Familienminister seinsollte, nicht durchsetzen können. Darum nützt es Ihnenauch gar nichts, wenn Sie nun in der Opposition die

Spendierhosen anhaben und allen Familien, ob sie esbrauchen oder nicht, ein Familiengeld von 1 200 DM zah-len wollen. Sie haben folgendes Problem: Niemand glaubtIhnen, dass Sie das machen würden, denn Sie hätten javiele Jahre Gelegenheit gehabt, das durchzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD � Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Da haben wir das durchgesetzt, was wirvorher versprochen haben!)

Aber wir haben nicht nur finanzielle Verbesserungenfür Familien durchgesetzt. Damit Väter und Mütter Er-werbsarbeit und Familienarbeit besser vereinbaren kön-nen, wurden Regelungen zur Elternzeit geschaffen, um aufdie individuellen Bedürfnisse der Eltern Rücksicht neh-men zu können. Ich hoffe mit guten Grund, dass künftigmehr Väter als bisher davon Gebrauch machen. Nehme ichdie Mitarbeiter meiner Fraktion zum Maßstab, so wird esin Deutschland künftig die neue Väterlichkeit geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Es ist ein schöner Gedanke für mich, nicht länger in einervaterlosen Gesellschaft zu leben. Das könnten wir durcheinen 14-tägigen Vaterschaftsurlaub, wie es ihn in Frank-reich gibt, noch attraktiver machen. Aber natürlich müs-sen auch Staat und Wirtschaft ihren Beitrag zu einerkinderfreundlichen Gesellschaft leisten. So haben wirnoch enormen Nachholbedarf bei der Errichtung von Kin-derbetreuungseinrichtungen, gerade in den alten Bundes-ländern.

Aus dem Titel Frauenpolitik wird eine Vielzahl von zu-kunftsweisenden Projekten finanziert, im Übrigen auchfür Männer, die sich immer über ihre Benachteiligung be-klagen;

(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Es ist einJammertal!)

denn eine wirklich gleichberechtigte Gesellschaft ist nurvorstellbar, wenn sich nun endlich auch die Männer än-dern und ihr eingeengtes Rollenverhalten ablegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich danke der Ministerin ausdrücklich dafür, dass sie dieVäter-Kampagne umgesetzt hat, denn das ist ein Beitragzum �gender mainstreaming�.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Lassen Sie mich noch auf eines der Frauenprojektebesonders eingehen, die Förderung des bundesweiten Ko-ordinierungskreises gegen Frauenhandel und Gewalt anFrauen in Migrationsprozessen. Dieses Projekt läuft imNovember des nächsten Jahres aus, und wir alle mit-einander sollten ein Interesse daran haben, dass diesewichtige Arbeit weitergeführt werden kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD sowie der Abg. Petra Bläss[PDS])

Natürlich brauchen wir begleitend zu dem Gesetzesvor-haben hinsichtlich der Verbesserung der Situation von

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Prostituierten auch eine Kampagne, damit Prostituierteüber ihre neuen Rechte informiert werden und diese auchnutzen können. Dafür muss der Haushaltstitel nichtzwangsläufig ausgeweitet werden.

Zum Schluss noch ein Wort zur Seniorenpolitik. Dortsind die Haushaltsansätze nahezu gleich geblieben. Aller-dings haben wir zwei wichtige Gesetze auf den Weg ge-bracht: das Heimgesetz und das Altenpflegegesetz. Worü-ber wir in diesem Parlament aber insgesamt noch einmalnachdenken sollten, sind grundsätzliche Veränderungenim Heimbereich. Der Anteil der alten und hochbetagtenMenschen wird in den kommenden Jahren enorm steigen.Darum brauchen wir neue Formen des Wohnens, derPflege und der Betreuung. Aus diesem Grund begrüße ichdie Initiative, die unter anderem die Universität Bielefeldins Leben gerufen hat, in der nächsten Legislaturperiodeeine Enquete-Kommission des Bundestages dazu einzu-richten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nur dasGeld ausgeben, das wir einnehmen. Darum ist es umsowichtiger, unseren Gestaltungsspielraum um kreative undzukunftstaugliche Maßnahmen zu erweitern. Das mussnicht zwangsläufig Mehrausgaben zur Folge haben. DieMenschen erwarten von uns, dass wir auch mit knapperenRessourcen verantwortungsvoll umgehen. Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENund bei der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebedem Herrn Kollegen Klaus Haupt das Wort. Er spricht fürdie FDP-Fraktion.

Klaus Haupt (FDP): Herr Präsident! Meine liebenKolleginnen und Kollegen! Wenn es um die Chancen unddie Perspektiven unserer Kinder und Jugendlichen geht,ist die Politik mehr denn je gefordert. Der Anteil der jun-gen Menschen in unserer Gesellschaft, die aus Immigran-tenfamilien stammen, wächst immer mehr an, währenddie Geburtenrate in Deutschland auf niedrigem Niveauverharrt. Daher wird die Jugendpolitik immer mehr zu einem Element der Zuwanderungspolitik. Die Integra-tion von Zuwanderern ist ein großes Problem, eine ent-scheidende Herausforderung für unsere Gesellschaft.

Der Etatansatz für die Integration junger Zuwandererist durch Übertragung der Mittel aus dem BMA-Haushalterhöht worden. Eine wirkliche Steigerung ist daraus nichtablesbar; in Anbetracht der immensen Aufgabe, die unshier bevor steht, wäre aber genau dies notwendig.

(Beifall bei der FDP)

Migrationsexperten stellen mittlerweile fest, dass ge-rade die Bildung von abgeschotteten kulturellen Diaspora-Gruppen ethnischen Extremismus und religiösen Funda-mentalismus massiv begünstigt. Hier besteht also eindringender Handlungsbedarf, den wir schon bei den Haus-haltsberatungen der vergangenen Jahre angemahnt haben.Aber leider ist den �Weiter-so�-Haushalten der Jugend-ministerin nicht anzusehen, dass das Problem in seinerganzen Tragweite wirklich erfasst worden ist.

Das Gesamtsprachkonzept der Bundesregierung ist ansich zwar begrüßenswert, aber der Finanzrahmen wirddem Bedarf nicht gerecht. Für alle Zuwanderer ist das Er-lernen der deutschen Sprache wesentliche Voraussetzungfür eine erfolgreiche Integration in die deutsche Gesell-schaft und für eine erfolgreiche Zukunft auf dem Arbeits-markt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Erfolgreiche Integrationsarbeit ist auch eine wesent-liche Voraussetzung für die Bekämpfung des Rechts-extremismus unter Inländern. Ich halte es deshalb für be-denklich, dass die Bundesregierung die Mittel zurBekämpfung des Rechtsextremismus kürzt � auch dieMittel zur Hilfe für die Opfer rechtsextremer Gewalt.

Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang auchdie Kürzung der Mittel für die politische Bildung. Ichfürchte, hier spart die Ministerin entschieden an falscherStelle.

Wichtig für den Kampf gegen Rechtsextremismus sindauch internationale Bildung und Verständigung der Ju-gend. Deshalb begrüßen wir die Aufstockung der Mittelfür das deutsch-polnische Jugendwerk. Wir fordern aberauch die Errichtung eines deutsch-russischen Jugend-werkes.

(Beifall bei der FDP)

Dabei sind wir uns durchaus über die in beiden Ländernsehr unterschiedliche Jugendarbeit im Klaren. Aber ge-rade mit der Jugend Russlands muss ein Austausch zu-stande kommen, damit auch auf dieser Ebene das größteLand Europas besser in die europäische Völkergemein-schaft, wie Präsident Putin in seiner Rede gestern hierwünschte, eingebunden wird.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordnetender CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße aus-drücklich, dass Kinder- und Familienpolitik in unsererGesellschaft in den Vordergrund tritt. Ich bedaure aber,dass in unserem Land offenkundig vor allem dasBundesverfassungsgericht dafür zuständig ist.

(Zuruf von der SPD: Bei uns aber nicht!)

Ich bedaure auch, dass bei Rot-Grün die Förderung derFamilien weitgehend durch die Familien selbst finanziertwird und dass Alleinerziehende und Familien mit vielenKindern benachteiligt werden. Ein Beispiel: Der Präsi-dent des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger,hat kürzlich moniert, dass in Deutschland sogar Katzen-futter unter den ermäßigten Mehrwertsteuersatz fällt, aufKinderbedarf wie Kindernahrung, Windeln und Kinder-bekleidung dagegen mehr als der doppelte Satz erhobenwird. Das ist eine Schande. Wir alle müssen uns fragen,ob wir nicht viel entschlossenere Schritte für Familien mitKindern tun müssen; auch, aber nicht nur, angesichts derdemographischen Schieflage.

Wir bürden jungen Familien im Moment immenseKosten auf, obwohl sie ihre Leistungen im Interesse dergesamten Gesellschaft erbringen. Wir müssen ihnen einePerspektive bieten, sich ein Leben mit Kindern wirklich

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Irmingard Schewe-Gerigk

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leisten zu können. Wir müssen Kindern in unserer Gesell-schaft endlich nicht nur einen höheren Stellenwert, son-dern einen hohen Stellenwert geben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das bedeutet aber mehr als nur Diskussionen über Geld.Kinder dürfen nicht nur als Bilanzproblem und als Belas-tung gesehen werden. Kinder sind kein Gut � Kinder sindgut.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie sind eine Bereicherung der Gesellschaft. Ja, Kinder-lärm ist Zukunftsmusik. Das ist eine gesellschaftspoliti-sche Herausforderung an alle � ich betone: an alle �, fürdie sich jede Mühe lohnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorgelegte Haus-haltsentwurf sinkt insgesamt um circa 79 Millionen Eurogegenüber dem Vorjahresetat. Dieses Einsparvolumengeht fast vollständig auf Kosten der Zivildienstleisten-den. Die Bundesregierung spart aber nicht, indem sieetwa eine neue Struktur für den Zivildienst aufbaut, son-dern indem sie einfach an der Dienstzeitschraube dreht.Die anhaltenden und neuerdings wieder verstärkten Dis-kussionen um Sinn oder Unsinn der Wehrpflicht führennicht dazu, dass Vorbereitungen getroffen würden, Dau-erarbeitsplätze im Sozialbereich zu schaffen, die in ab-sehbarer Zeit die Zivildienstleistenden ersetzen könnten.

(Beifall bei der FDP)

Ein schlüssiges Gesamtkonzept für den Zivildienst istnicht erkennbar.

Gestatten Sie mir ein Wort zur Seniorenpolitik. Auchseniorenpolitisch ist in diesem Haushalt offenbar Stagna-tion Trumpf. Demographischer Wandel ist das Thema derGesellschaftspolitik � nur im Haushalt der Senioren-ministerin spiegelt sich das nicht wider. Es ist eine großeAufgabe, die Ressourcen, die die älteren Menschen in un-serer Gesellschaft bieten, besser in das Leben unserer Ge-sellschaft zu integrieren und zu nutzen. Hier hätte ich miraus dem zuständigen Ministerium doch eine entspre-chende Akzentsetzung gewünscht.

Im Etat des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauenund Jugend ist eine weitgehende Fortschreibung der bis-herigen Zahlen bei einigen Umtitelungen � vor allemschmerzlichen Kürzungen � oder stagnierenden Zuwen-dungen gerade im Bereich der derzeitigen gesellschaftli-chen Problemfelder festzustellen. Wir Liberalen meinen:Jugend, Familie, Senioren und Frauen verdienen einenhöheren Stellenwert in der deutschen Politik, als im Haus-halt von Frau Bundesministerin Bergmann deutlich wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für dieFraktion der PDS spricht nun die Kollegin Petra Bläss.

Petra Bläss (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Was im Nachfolgeprozess zur viertenWeltfrauenkonferenz immer wieder betont worden ist, hatfür uns alle in unserem Bewusstsein seit dem 11. Septem-

ber eine neue Dimension bekommen. Es gibt einen un-auflöslichen Zusammenhang zwischen Gleichberech-tigung, Entwicklung und Frieden. Bewaffnete Konflikte,Angriffskriege und Terror sind schwerwiegende Hinder-nisse für die Förderung von Frauen.

Ich denke, auch wir haben uns auf nationaler Ebene zufragen, was daraus folgt, dass Frauen in Entscheidungs-gremien zur Friedenssicherung und Konfliktlösung nachwie vor unterrepräsentiert sind, dass Frauen einen großenBeitrag zur Friedenserhaltung und -schaffung im Dialogder Kulturen leisten und die Zivilgesellschaft, insbeson-dere die NGOs und die Frauen eine große Rolle dabeispielt.

Wenn ich den Bundeshaushalt 2002 betrachte, danndenke ich vor allem an Schlussfolgerungen für die insti-tutionelle und die Projektförderung. Ich gehe davonaus, dass es durchaus notwendig ist, hier neue Akzente zusetzen. Ich gebe nur Stichworte in die Runde. Dazugehören Integrationsprojekte für Migrantinnen und Mi-granten. Ich denke aber auch an bilaterale Austausch-projekte. Der Kollege Haupt hat gerade vom Jugendaus-tausch gesprochen; darüber hinaus gibt es aber auchbilaterale Frauenforen. Ich denke aber auch an Planspielewie das National Model United Nations oder das Europä-ische Jugendparlament, in dem junge Leute den Dialogder Kulturen seit Jahren ziemlich professionell praktizie-ren.

Zu allererst denke ich aber an den notwendigen Kampfgegen den Rechtsextremismus. Ich empfinde es als fata-les Signal, dass der Haushalt in diesem Bereich um40 Millionen DM, insbesondere beim Kinder- und Ju-gendplan, gekürzt wird. Wir waren uns in den letzten Jah-ren in diesem Hause darüber einig, dass die Bekämpfungdes Rechtsextremismus tatsächlich Priorität haben mussund solche Projekte nachhaltig unterstützt werden müs-sen.

(Beifall bei der PDS)

Ich denke dabei an das Programm �Civitas�, das nicht nurverstetigt, sondern auch in die alten Bundesländer ausge-dehnt werden muss. Bei Prävention, Beratung und Opfer-unterstützung darf es keine Kürzungen geben.

(Beifall bei der PDS)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierungwollte die Gleichstellung von Mann und Frau zu einemgroßen gesellschaftlichen Reformprojekt machen. Ichgehe davon aus, dass es dafür grundlegender Änderungenin den Bereichen der Arbeitsförderung, der Gleichstellungin der privaten Wirtschaft sowie bei der Vereinbarkeit vonBerufstätigkeit und Familie bedarf.

Schauen wir in den Etatentwurf 2002, so sehen wirzunächst, dass der Zuschuss an die Bundesanstalt für Ar-beit um 614 Millionen Euro auf null reduziert wird. Dashalte ich angesichts der Tatsache, dass nach wie vor einGroßteil der Langzeitarbeitslosen Frauen sind und Frauenstrukturell auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden,für einen frauenpolitischen Offenbarungseid.

Nun haben Sie sich als rot-grüne Bundesregierung zuRecht den Anspruch gestellt, die Frauendiskriminierung

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Klaus Haupt

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im Arbeitsförderungsrecht abzubauen. Sie haben dasJob-Aqtiv-Gesetz in dieser Woche vorgelegt. Zu be-grüßen ist zweifellos die Einbeziehung von Pflege- undErziehungszeiten in die Arbeitslosenversicherung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hier möchte ich aber gleich eine Frage stellen: Woher sollder Finanzbedarf in Höhe von 1 Milliarde Euro, den Sieselbst ermittelt haben, kommen? Dazu habe ich im Haus-halt nichts gesehen.

Sie schrecken in diesem Gesetz vor verbindlichen Re-gelungen zurück. Zentrale frauenpolitische Forderungenwerden nicht aufgenommen. Ich erinnere an die Wieder-einführung des Berufs- und Qualifikationsschutzes, anden Abbau der frauendiskriminierenden Pendelzeiten, andie Einbeziehung ausschließlich geringfügig Beschäftig-ter in die aktive Arbeitsmarktpolitik und in die Arbeitslo-senversicherung sowie an die Verbesserung der eigen-ständigen Existenzsicherung durch den Wegfall derBedürftigkeitsprüfung in der Arbeitslosenhilfe.

Mit dem Rückzieher bei der gesetzlichen Regelung derGleichstellung in der Privatwirtschaft � sei er auch nochso schöngeredet wie heute wieder � haben Sie nicht nurauf ein politisches Schwerpunktthema verzichtet, sondernauch auf den diesbezüglichen politischen Gestaltungsan-spruch. Ich erinnere an die massiven Proteste zum Bei-spiel der 100 Frauen, aber auch der Gewerkschaften, hiernicht locker zu lassen. Die PDS hat dazu einen Antrag indie parlamentarische Beratung eingebracht.

Abschließend möchte ich noch einen kurzen Kom-mentar zum angekündigten Paradigmenwechsel in derFamilienpolitik machen. Wir haben die Schritte in dierichtige Richtung durchaus wohlwollend begleitet: dieErhöhung des Kindergeldes und die Festschreibung desRechts auf einen Teilzeitarbeitsplatz mit Rückkehrrecht.Der richtige Paradigmenwechsel fehlt aber nach wie vor.

Ich möchte auf die Alternativvorlage der PDS auf-merksam machen, in der ein Zeitkonto bei der Freistel-lung von erwerbstätigen Eltern, eine einjährige Lohner-satzleistung und ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuungin den ersten 14 Lebensjahren eingefordert werden.

Lassen Sie mich angesichts der aktuellen Situation inAfghanistan noch kurz einen Vorschlag machen. Wir ha-ben seit Jahren überfraktionell über das Elend der Frauenunter der Gewaltherrschaft des Talibanregimes diskutiert.Im Moment ist die Lage so prekär, dass wir Frauen uns in-terfraktionell recht schnell darauf verständigen sollten,hier tätig zu werden. Wir sollten den Vorschlag der Aus-länderbeauftragten Marieluise Beck, rasche humanitäreHilfe zu leisten, aufnehmen. Danke.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordnetender SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Die Kolle-gin Christel Humme spricht nun für die Fraktion der SPD.

Christel Humme (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol-leginnen und Kollegen! Frau Böhmer, wenn Sie schon

Statistiken anführen, dann sollten Sie sie auch vollständigvortragen. Wir freuen uns natürlich, dass Sie das Ziel derVereinbarkeit von Familie und Beruf in Ihr Programmaufgenommen haben. Aber wenn dieses Ziel erreicht wer-den soll, dann müssen in ausreichendem Maße Plätze fürdie Ganztagsbetreuung von Kindern zur Verfügung ge-stellt werden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich führe jetzt ein paar Zahlen auf, die in der von Ihnenvorgetragenen Statistik nicht vorgekommen sind. In Ba-den-Württemberg beträgt die Versorgungsquote im Be-reich der Ganztagsbetreuungsplätze in Kindergärten4,3 Prozent. In Bayern liegt die Versorgungsquote im Be-reich der Hortplätze bei 3 Prozent. Das sind 20 Plätze für1 000 Kinder. Bei den Krippenplätzen kommen 14 Plätzeauf 1 000 Kinder. Das entspricht einer Versorgungsquotevon 1,4 Prozent. Ich denke, Ihre Statistik musste um dieseZahlen ergänzt werden, um deutlich zu machen, wie esum die Kompetenz für die Familie, die Sie für sich ein-gefordert haben, tatsächlich bestellt ist.

Sie reden immer von Familienoffensive, Familiengeldund liberaler Familienförderung. In Sonntagsreden wett-eifern Sie, meine Herren und Damen von der CDU/CSUund der FDP, um die Gunst der Familien. Diese schönenBegriffe können allerdings nicht über die Unglaubwür-digkeit Ihrer Familienpolitik hinwegtäuschen. Sie ist un-glaubwürdig, weil Sie in Ihrer Regierungsverantwortunggenug Zeit hatten, Politik für Familien und Kinder zu ma-chen, Familienpolitik aber quasi nicht vorkam.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten derPDS)

Als wir 1998 � damals waren wir noch in der Opposition� das Kindergeld auf 250 DM erhöhen wollten � Sie soll-ten ruhig zuhören �, haben Sie dies verhindert.

Und heute? Heute wollen Sie plötzlich ein Familien-geld in Höhe von 1 200 DM, so Angela Merkel, oder1 000 DM, so Edmund Stoiber, einführen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

� Doch, das wollen Sie. � Das würde eine jährliche Haus-haltsbelastung von bis zu 60 Milliarden DM ausmachen.Auch hier zeigt sich Ihre Unglaubwürdigkeit, weil Sieschnell in Verlegenheit kämen, wenn Sie deutlich machenmüssten, wo Sie die Milliarden hernehmen wollen.

Anzunehmen ist, dass Sie Ihre Politik in alter Manierüber Schulden finanzieren wollen. Genau das geht nicht,liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU. Sieleisten mit Ihrem Familiengeld den Familien einenBärendienst; denn Familienpolitik über Schulden zu fi-nanzieren ist nicht seriös und hieße, Familienpolitik zulas-ten derjenigen zu machen, die man eigentlich entlastenwill.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Zeche für nicht finanzierbare Konzepte von heutezahlen morgen und übermorgen unsere Kinder.

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Petra Bläss

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Darüber hinaus leisten Sie auch den Frauen einenBärendienst. Für den Betrag Ihres Familiengeldes bleibtkaum ein Mann zu Hause. Mütter dagegen werden durchdieses Familiengeld in das berufliche Abseits geschickt;denn jeder weiß, wie schwierig ein beruflicher Wieder-einstieg nach einer längeren Pause ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN � Hans-Peter Repnik[CDU/CSU]: Es muss doch keiner zu Hausebleiben!)

Der von der rot-grünen Bundesregierung eingebrachteHaushaltsentwurf für 2002 macht dagegen deutlich: Wirrücken die Familien dahin, wo sie hingehören, nämlich indas Zentrum unseres politischen Handelns. Wir schaffenbeides: Wir setzen den soliden Konsolidierungskurs fortund stellen trotzdem mehr Mittel für die Förderung derFamilien zur Verfügung. Rund 102 Milliarden DM beträgtdas Gesamtvolumen der Leistungen und der Steuerer-leichterungen für Familien im Jahr 2002. Das sind rund24 Milliarden DM mehr als bei unserem Regierungsantrittim Jahr 1998, also 24 Milliarden DM mehr, als Sie, meineHerren und Damen von der Opposition, für Familienübrig hatten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die rot-grüne Regierungskoalition hat in Sachen Fa-milienpolitik ein gerechtes Reformpaket geschnürt, dassich im Haushaltsentwurf 2002 deutlich widerspiegelt.Familien erhalten ab dem 1. Januar 2002 mehr Kinder-geld. Frau Böhmer, das sind in der Tat 80 DM mehr in-nerhalb einer kurzen Zeit.

(Dr. Maria Böhmer [CDU/CSU]: Das nehmenSie den Familien ja an anderer Stelle durchhöhere Sozialabgaben weg!)

Sie hatten 16 Jahre Zeit. 80 DM mehr, das sind 36 Prozentmehr für die Familien und ihre Kinder.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Familien können auch einen höheren Freibetrag fürBetreuung, Erziehung und Ausbildung steuerlich geltendmachen. Gleichzeitig wird der Kinderfreibetrag für denexistenziellen Sachbedarf eines Kindes endlich den ge-stiegenen Lebenshaltungskosten angepasst.

Familien profitieren nicht nur im Rahmen des Gesetzeszur Familienförderung, sondern auch � hören Sie ruhigzu! � von der Steuerreform. Gerade Familien mit kleinemund mittlerem Einkommen werden erheblich wenigerSteuern zahlen. Klar, Ökosteuer ist das Stichwort. DieseEntlastung bleibt auch dann noch bestehen, wenn man dieBelastung durch die Ökosteuer hinzurechnet. Wir habenfür eine umfangreiche Entlastung gesorgt; denn keine Fa-milie kann so viele Kilometer fahren, dass die Entlastung,die wir den Familien zukommen lassen, durch die Öko-steuer aufgehoben wird.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus haben wir viele andere Maßnahmen für Familien auf den Weg gebracht. Der Sorge der Fami-lien um die berufliche Zukunft ihrer Kinder treten wir unter anderem mit dem Sofortprogramm gegenJugendarbeitslosigkeit entgegen. Das JUMP-Programmhat zu einer deutlichen Senkung der Jugendarbeitslosigkeitgeführt. Da dieses Programm so erfolgreich war, versteti-gen wir die Maßnahmen und übernehmen wesentlicheElemente in das neue SGB III, in die reformierte Arbeits-förderung.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch eine weitere Sorge beschäftigt die Familien: dieGefahr des Rechtsextremismus, der Jugendliche ausge-setzt sind. Frau Bläss, Sie haben gerade gesagt, dass wirin unserem Haushalt eine Kürzung von 40 Millionen DMvornehmen. Das ist so nicht richtig. Sie wissen ganz ge-nau, dass wir in den Haushalt 2001 einmalig einen Kin-der- und Jugendplan im Umfang von 30 Millionen DMeingestellt haben. Den Etat für Projekte gegenRechtsextremismus in den neuen Bundesländern versteti-gen wir mit 10 Millionen DM im Jahr 2002.

Ich gebe Ihnen aber Recht, dass wir vielleicht noch einbisschen mehr tun müssen. Vielleicht sollten wir darüberhinaus gemeinsam genauer hinschauen, welche Projektebesonders erfolgreich waren, und in der parlamenta-rischen Debatte einen höheren Betrag zur Verstetigungder zielorientierten präventiven Jugendarbeit einfordern.Da teilen wir Ihre Auffassung.

Konsolidierung der Haushalte, Reformierung der Fa-milienförderung, Steuerreform, Reform des Erziehungs-geldes, BAföG-Reform, Wohngeldreform � das sindMaßnahmen, die bei den Familien unmittelbar ankom-men. Im Mittelpunkt des rot-grünen Haushaltsent-wurfs 2002 steht eindeutig die Familie.

(Zuruf der Abg. Ina Lenke [FDP])

� Frau Lenke, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen:Es ist so.

Unsere Familienpolitik sorgt für mehr soziale Gerech-tigkeit. Unsere Familienpolitik schafft die Voraussetzun-gen für mehr Bildungsbeteiligung von Familien mit nied-rigem und mittlerem Einkommen. Unsere Familienpolitiksorgt für Chancengleichheit von Männern und Frauen.

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Frau Kolle-gin Humme, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kolle-gin Lenke?

Christel Humme (SPD): Nein, ich möchte jetzt zumSchluss kommen. Danach kann Frau Lenke gerne etwassagen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,Sie sehen: Wir handeln, Sie halten Sonntagsreden.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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Christel Humme

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Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Als letzterRedner in dieser Debatte spricht nun der Kollege KlausHoletschek für die CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Holetschek (CDU/CSU): Herr Präsident!Meine Damen und Herren! Was Sie hier geboten haben,wäre noch nicht einmal in einem schlechten Bauernthea-ter zu verkraften. Was Sie uns hier als Familienpolitik vor-setzen wollen, das ist doch wohl eine Zumutung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie brüsten sich hier irgendwelcher Wohltaten, zum Bei-spiel der Kindergelderhöhung. Denken Sie einmal da-ran, was Sie eigentlich für diejenigen Familien tun, diemehr als zwei Kinder haben! Wo sind denn da Ihre Leis-tungen?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP � Wider-spruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN)

� Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen.

Sie stellen sich hierhin und behaupten: Früher war al-les schlecht; wir sind jetzt drei Jahre an der Regierung; wirkönnen jedoch nichts ändern und nichts für die Familientun, weil uns die nötigen Mehrheiten fehlen. Es ist ganzeinfach: Sie versuchen, schwarzer Peter zu spielen; aberdas klappt nicht immer. Auch die Leute draußen werdenIhnen das nicht abkaufen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie nehmen eine Umverteilung vor. Ich kann Ihnen � die Fraktion der Grünen ist nur noch mit einer Personvertreten � das Wort Ökosteuer nicht ersparen.

(Widerspruch bei der SPD)

Es ist eine typische Umverteilung: raus aus der einen Ta-sche und rein in die andere Tasche. Das wird nicht klap-pen und das werden die Menschen draußen im Lande Ih-nen auch übel nehmen.

Es besteht kein Zweifel: Wir sind für die Wahlfreiheitzwischen Familie und Erwerbstätigkeit. Aber Sie müssenauch die Leistungen der Mütter und Hausfrauen in unse-rem Land anerkennen und gleich werten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da ist es wenig hilfreich � hören Sie bitte zu; vielleichtkönnen Sie daraus etwas mitnehmen �, wenn Ihr Bundes-presseamt Kampagnen unter dem Motto startet: Internetist in und die drei K � Kinder, Küche, Kirche � sind out.Es ist letztendlich eine Diffamierung auch derer, die da-heim als Mutter und Hausfrau tätig sind. Es gibt nicht nurIhr Familienleitbild, sondern ein vielfältiges Bild derFamilie. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU � Susanne Kastner[SPD]: Genau das haben wir!)

Die Prioritätensetzung in Ihrer Familienpolitik istklar. Sie verwenden viel Zeit darauf, ein Lebenspartner-schaftsgesetz auf den Weg zu bringen.

(Christel Humme [SPD]: Gott sei Dank!)

Kein Thema: Wir sind tolerant; andere Lebensformenmüssen respektiert werden. Aber vielleicht hätten Sie einbisschen mehr Zeit auf eine nachhaltige Familienpolitikverwenden müssen.

(Christel Humme [SPD]: Das haben wir in derTat!)

Am 1. August waren sehr viele von Ihnen auf den Stan-desämtern; Sie haben sich um die Standesämter förmlichgedrängelt. Vielleicht gehen Sie auch einmal hin, wennnormale Eheschließungen stattfinden, und gratulierenauch diesen Menschen.

(Beifall bei der CDU/CSU � Susanne Kastner[SPD]: Was soll der Unsinn denn jetzt?)

Frau Ministerin, freiwilliges soziales Jahr und Entsen-degesetz: Es war eine große Ankündigung, dass Sie fürdie freiwillig im Ausland Tätigen etwas tun wollen. Wasist bis jetzt passiert? � Gar nichts. Sie haben gesagt, Siemachen ein Entsendegesetz, um die sozialversicherungs-rechtliche Absicherung auch dieser Personen zu gewähr-leisten. Jetzt wollen Sie uns einen Entwurf zur Reform desfreiwilligen sozialen und des freiwilligen ökologischenJahres verkaufen. Da werden die entsprechenden Rege-lungen hineingemixt. Ich habe schon die Ankündigungaus Ihrem Ministerium gehört, dass in der nächsten Wahl-periode ein Entsendegesetz kommen wird. Es wird si-cherlich kommen, aber hoffentlich nicht unter Ihrer Re-gierung.

(Susanne Kastner [SPD]: Prinzip Hoffnung!)

Hier ist eindeutig noch nichts passiert, obwohl es einwichtiger Bestandteil in Ihrer Koalitionsvereinbarungwar.

Den Zivildienst hat die Kollegin Böhmer schon ange-sprochen. Die Kürzungen sind uns alle bekannt. Es sindauch keine Qualitätsverbesserungen in Bezug auf Fort-und Ausbildung zu spüren. Im Gegenteil: Hier ist gestri-chen worden.

Ich komme zum Ehrenamt. Für dieses Jahr haben Sieeinen großen Ansatz für das Ehrenamt im Haushalt. Das istsehr gut. Aber er wird im nächsten Jahr erheblich gekürzt.Es kann nicht sein, dass man ein Jahr das Ehrenamt und dieRegierung für ihr Engagement feiert; aber im nächsten Jahrist wieder Schluss damit. Wir haben eine Enquete-Kom-mission, die sich diesem Thema widmet. Das Ehrenamtmuss nachhaltig gefördert werden, weil die Leistungen fürunsere Gesellschaft von unvorstellbarem Wert sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Auch hier zeigt sich wieder einmal, dass es sich nur umPlattitüden und Ankündigungen handelt.

Familienpolitik hat nicht nur etwas mit materiellenDingen zu tun. Wir haben ein geschlossenes Konzept desFamiliengeldes. Ich weiß, dass Sie Schwierigkeiten mitder Unterscheidung zwischen einer Vision und einer Uto-pie haben. Familiengeld ist eine Vision, die wir haben unddie sich auch umsetzen und finanzieren lässt. Ich erinneredaran: Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslo-senhilfe, bessere Durchsetzung des Lohnabstandsgebots,

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Abschaffung der Sozialleistungen, wenn zumutbare Ar-beit nicht angenommen wird, und vieles mehr. Das allesträgt zu einer Finanzierung bei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bereitschaft, die Familien immateriell zu fördern,und Erziehungskompetenz sind bei Ihnen nicht zu finden.Die Werte, die für die Familien als Fundament und Keim-zelle unserer Gesellschaft wichtig sind, kommen eindeu-tig zu kurz. Angesichts Ihrer Politik brauchen wir nichtnur ein Bündnis für Arbeit, sondern ein Bündnis für Fa-milienwerte, die vermittelt werden müssen und die wiederim Zentrum stehen müssen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In ein solches Bündnis für Werte gehören auch die Kir-chen.

Minimallösungen auf Ihrer Seite und kein Gesamtkon-zept. Ich kann nur wiederholen: Wenn wir der Familien-politik den Stellenwert in unserer Gesellschaft einräumen,den jeder hier fordert, dann müssen wir auch die Prioritä-ten dementsprechend setzen. Ich vermisse eindeutig diePrioritätensetzung bei Ihnen.

Ein weiteres Thema wäre sicher auch der familienori-entierte Umbau der sozialen Sicherungssysteme, wie wir

ihn auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurPflegeversicherung jetzt vorgegeben bekommen haben.Auch das müssen wir uns zu Herzen nehmen.

Die Zeit drängt. Die demographische Entwicklungzwingt uns zum Handeln. Ich sage Ihnen noch einmal:Stoppen wir diesen Trend! Widmen wir uns den Familienals Basis unserer Gesellschaft! Das Ziel darf dabei nichtnur die ökonomisch optimierte Familie, sondern das Zielmuss die glückliche Familie sein. Das muss auch die Po-litik erkennen.

(Beifall bei der CDU/CSU � Zuruf von derSPD: Gut! Da haben Sie Recht!)

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließedie Aussprache.

Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-tags auf morgen, Donnerstag, den 27. September 2001, 9 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluss: 21.05 Uhr)

Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001

Klaus Holetschek

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(B)Berichtigung

171. Sitzung, Seite 16787 (A), dritter Absatz ist wie folgtzu lesen: �Es liegen schriftliche Erklärungen nach § 31 derGeschäftsordnung vor, und zwar seitens der SPD-Fraktionvon Andrea Nahles, Rainer Brinkmann (Detmold), RenéRöspel, Willi Brase und Heino Wiese (Hannover) sowie sei-tens der CDU/CSU-Fraktion von Hartmut Koschyk.�

171. Sitzung, Seite 16794 (B), erster Absatz ist wie folgtzu lesen: �Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten RainerBrinkmann (Detmold), René Röspel, Willi Brase, HeinoWiese (Hannover) und Andrea Nahles (alle SPD) zur Ab-stimmung über die Beschlussempfehlung: Zweite Verord-nung zur Änderung der Verpackungsverordnung (Tagesord-nungspunkt 21 a).�

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Deutscher Bundestag � 14. Wahlperiode � 189. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2001 18501

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Adam, Ulrich CDU/CSU 26.09.2001*

Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 26.09.2001Gila DIE GRÜNEN

Behrendt, Wolfgang SPD 26.09.2001*

Bierwirth, Petra SPD 26.09.2001

Bindig, Rudolf SPD 26.09.2001*

Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 26.09.2001

Bohl, Friedrich CDU/CSU 26.09.2001

Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 26.09.2001*Klaus

Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 26.09.2001DIE GRÜNEN

Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 26.09.2001

Friedrich (Altenburg), SPD 26.09.2001Peter

Götz, Peter CDU/CSU 26.09.2001

Haack (Extertal), SPD 26.09.2001*Karl-Hermann

Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 26.09.2001DIE GRÜNEN

Hoffmann (Chemnitz), SPD 26.09.2001*Jelena

Dr. Hornhues, CDU/CSU 26.09.2001*Karl-Heinz

Hornung, Siegfried CDU/CSU 26.09.2001*

Dr. Hoyer, Werner FDP 26.09.2001

Jäger, Renate SPD 26.09.2001*

Dr. Kolb, Heinrich L. FDP 26.09.2001*

Kors, Eva-Maria CDU/CSU 26.09.2001

Lintner, Eduard CDU/CSU 26.09.2001*

Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 26.09.2001*DIE GRÜNEN

Lörcher, Christa SPD 26.09.2001*

Lotz, Erika SPD 26.09.2001*

Dr. Lucyga, Christine SPD 26.09.2001*

Maaß (Wilhelms- CDU/CSU 26.09.2001*haven), Erich

Mertens, Angelika SPD 26.09.2001

Michels, Meinolf CDU/CSU 26.09.2001*

Müller (Berlin), PDS 26.09.2001*Manfred

Neumann (Gotha), SPD 26.09.2001*Gerhard

Nolte, Claudia CDU/CSU 26.09.2001

Ohl, Eckhard SPD 26.09.2001

Ostrowski, Christine PDS 26.09.2001

Polenz, Ruprecht CDU/CSU 26.09.2001

Rehbock-Zureich, SPD 26.09.2001Karin

Schloten, Dieter SPD 26.09.2001*

Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 26.09.2001*Hans Peter

von Schmude, Michael CDU/CSU 26.09.2001*

Siebert, Bernd CDU/CSU 26.09.2001*

Dr. Solms, Hermann FDP 26.09.2001Otto

Steiger, Wolfgang CDU/CSU 26.09.2001

Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 26.09.2001

Wiesehügel, Klaus SPD 26.09.2001

Wolf, Aribert CDU/CSU 26.09.2001

Zierer, Benno CDU/CSU 26.09.2001*

* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-sammlung des Europarates

Anlage 2

Erklärung nach § 31 GOder Abgeordneten Günter Nooke, KatherinaReiche, Gerhard Schulz, Christa Reichard(Dresden), Margarete Späte, Dr. SabineBergmann-Pohl, Siegfried Helias, DiethardSchütze (Berlin), Edeltraut Töpfer, RainerEppelmann, Ulf Fink, Michael Stübgen, AndreaVoßhoff, Ulrich Adam, Dr. Angela Merkel,

entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich

entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

Anlagen zum Stenographischen Bericht

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Günter Baumann, Klaus Brähmig, WolfgangDehnel, Gottfried Haschke (Großhennersdorf),Arnold Vaatz, Monika Brudlewsky, ManfredGrund, Manfred Heise, Norbert Otto (Erfurt),Werner Lensing, Beatrix Philipp, HeinzSchemken, Dr. Gerhard Friedrich (Erlangen),Franz Romer, Horst Seehofer, Dr. MichaelMeister, Hermann Gröhe, Norbert Geis, BerndWilz, Norbert Hauser (Bonn), Friedhelm Ost, Dr. Hermann Kues, Dr. Klaus W. Lippold (Of-fenbach), Ilse Falk, Georg Janovsky, Dr. HansGeorg Faust, Wolfgang Bosbach, SusanneJaffke, Martin Hohmann, Hartmut Büttner(Schönebeck), Dr. Michael Luther, Dr. HaraldKahl, Dr. Joachim Schmidt (Halsbrücke), HansMichelbach (alle CDU/CSU/) zur Abstimmungüber den Gesetzentwurf der Bundesregierungzur Bereinigung offener Fragen des Rechts anGrundstücken in den neuen Ländern (Grund-stücksrechtsbereinigungsgesetz) (Drucksachen14/6204 und 14/6466)

Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzent-wurf greift richtigerweise einen Regelungsbedarf auf, derdurch das Auslaufen des zum 30. September 2001 befris-teten Moratoriums für öffentlich genutzte Grundstücke inArt. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB entstanden ist.

Zur weiteren und insbesondere abschließenden Berei-nigung offener Fragen des Rechts an Grundstücken in denneuen Ländern ist der im Gesetzentwurf in Art. 1 aufge-zeigte Weg des Ankaufsrechts öffentlicher Nutzer fürVerkehrsflächen und sonstige Flächen, die im Beitrittsge-biet schon vor dem 3. Oktober 1990 öffentlich genutzt,aber noch heute im Privateigentum stehen, prinzipiell einsinnvoller Regelungsansatz.

Dies insbesondere auch deshalb, weil eine abschließendeRegelung dieser offenen Fragen des Rechts an Grund-stücken in den neuen Ländern elf Jahre nach der Wieder-herstellung der staatlichen Einheit mehr als geboten er-scheint.

Inhaltlich sind mit dem Gesetzgebungsvorhaben in Art. 1 des vorgelegten Artikelgesetzes (Verkehrsflächen-bereinigungsgesetz � VerkFlBerG) und dem Ankaufsrechtder Kommunen die besonderen Interessen der Eigen-tümer und der öffentlichen Nutzer zu berücksichtigen.

Dem Bundestag obliegt daher in hohem Maße die Ver-antwortung, die erforderlichen Ankaufsmodalitäten so-wohl für den Eigentümer als auch für den öffentlichenNutzer ausgewogen, verfassungskonform und sozialver-träglich zu gestalten.

Dieser Verantwortung wird der vorgelegte Gesetzent-wurf nur unzureichend gerecht. Im Ergebnis kann deshalbdem Gesetz nicht zugestimmt werden.

Bereits die mit Blick auf das Auslaufen des sachen-rechtlichen Moratoriums zum 30. September 2001 zeitlichspäte Einbringung des Gesetzentwurfes durch die Bundes-regierung Ende Juni 2001 hat eine sorgfältige parlamenta-rische Beratung erheblich erschwert. Unbefriedigend istebenfalls, dass der zahlenmäßige Umfang der betroffenenFlächen bis heute nicht vollständig zu ermitteln ist.

Inhaltlich hat die von der CDU/CSU-Fraktion durch-gesetzte Anhörung des Rechtsausschusses am 30. August2001 gezeigt, dass noch Änderungsbedarf an diesem Ge-setzentwurf bestand und noch besteht. Das haben die imAnschluss an die Anhörung aufgenommenen Änderungengezeigt, so die Klarstellung in § 1, dass unter anderemauch Deponien zum Regelungsbereich gehören und die in§ 3 zugunsten des Eigentümers abgeänderte Beweislast-regel. Diese Änderungen werden von uns begrüßt und ha-ben zu Recht den von der CDU/CSU-Fraktion dargeleg-ten notwendigen Änderungs- und Ergänzungsbedarfdeutlich gemacht. Sie reichen aber allein zur Zustimmungzu dem Gesetzvorhaben nicht aus.

Weiterhin ungeklärt sind nach wie vor die Schicksalevon zeitweilig im Beitrittsgebiet öffentlich genutzten Pri-vatgrundstücken, deren öffentliche Nutzung zwischen-zeitlich eingestellt wurde. Insbesondere für Flächen mitstillgelegten Deponien besteht ein gesetzgeberischer Re-gelungsbedarf und damit die Notwendigkeit der Auf-nahme in dieses Gesetz.

Zudem dürfen die Ankaufbedingungen im Gesetzent-wurf nicht dazu führen, dass etwaige grundbuchlich ge-sicherte und noch bestehende Grundpfandrechte � zumBeispiel Althypotheken �, die noch im Grundbuch der vonder öffentlichen Nutzung betroffenen Grundstücke ver-zeichnet sind, im Falle der Lastenfreistellung für den Ei-gentümer kostenaufwendiger sind als die gesetzlich fest-gelegte reduzierte Entgeltregelung. Es erscheintverfassungsrechtlich bedenklich, wenn der Eigentümerdas Eigentum durch ein Ankaufrecht der Kommune ver-liert und dabei unter Umständen auch noch draufzahlenmuss. Die Gegenargumentation im Beratungsverfahren,dass dies faktisch kaum vorkommen dürfte, räumt dieserechtlichen Bedenken nicht aus.

Die in dieser Frage in § 7 Abs. 2 des Gesetzentwurfesvorgenommenen weiteren Änderungen bewirken zwarklarstellend den Verzicht des Gläubigers auf die Rechteaus der grundbuchlichen Besicherung, ändern am Bestandder Forderung und der damit verbundenen Durchsetzbar-keit aber wohl nichts. Nach § 7 Abs. 2 Satz 3 muss derGläubiger auf die Sicherheit verzichten, nicht aber auf dieForderung.

Auch die im Gesetzentwurf genannte Ankaufsfrist biszum 30. Juni 2007 ist mit Blick auf eine bisher unterblie-bene Regelung aus Sicht der Eigentümer nur schwer zu-mutbar. Die im Falle einer Fristverkürzung zusätzlichenUmsetzungsprobleme der Kommunen werden von unsnicht verkannt, gleichwohl wäre eine Fristverkürzung fürdie in § 1 Abs. 1 Ziffer 2 des Entwurfes genannten Flächendenkbar gewesen.

Mit Blick auf die Finanzkraft der Kommunen ist diePflicht zur Entrichtung der Grunderwerbsteuer bei diesenErwerbsvorgängen für die Kommunen ebenfalls bedenk-lich. Nach Angaben der Kommunen ist die Pflicht zurEntrichtung der Grunderwerbssteuer bei diesen Erwerbs-vorgängen für die Kommunen ebenfalls bedenklich. NachAngaben der Kommunen wurden in der Vergangenheitnahezug alle Erwerbsvorgänge von der Verpflichtung zurZahlung der Grunderwerbssteuer nach dem Grund-

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erwerbssteuergesetz freigestellt, in denen es bei Bund,Ländern und Kommunen zum Eigentumswechsel im Zu-sammenhang mit dem Einigungsvertrag, dem Vermö-genszuordnungsgesetz oder anderen Gesetzen kam. Einesolche Freistellung ist in diesem Entwurf nicht vorge-sehen.

Den Regelungsbedarf dieser Problemfelder hat die Re-gierungskoalition nicht weiter verfolgt bzw. nicht zufrie-den stellend geregelt und im Ergebnis abgelehnt.

Dem Gesetzentwurf kann daher nicht zugestimmt werden.

Anlage 3

Erklärung nach § 31 GO

des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD)zur Abstimmung über den Gesetzentwurf derBundesregierung zur Bereinigung offener Fra-gen des Rechts an Grundstücken in den neuenLändern (Grundstücksrechtsbereinigungsgsetz)(Drucksachen 14/6204 und 14/6466)

Der von der Bundesregierung vorgelegte und am heu-tigen Tage im Deutschen Bundestag zur Abstimmung ge-stellte Gesetzentwurf ist ein weiterer wichtiger Schritt,um ungeklärte Rechtsverhältnisse bei der Nutzung vonprivaten Grundstücken in den neuen Ländern einer Lö-sung zuzuführen.

In der DDR sind in einer Vielzahl von Fällen Privat-grundstücke für öffentliche Zwecke in Anspruch ge-nommen worden, ohne dass die erforderlichen Regelun-gen zum Eigentum bzw. zur Nutzung am Grundstück

erfolgt sind. Der vorgelegte Gesetzentwurf beinhaltetfür diesen Konfliktbereich eine rechtsförmlich und ver-fassungsrechtlich abgesicherte Lösung. Eine Regelungnoch in diesem Monat ist dringend geboten, da das gel-tende Moratorium über den Bestand der Eigentums- undNutzungssituation mit dem 30. September 2001 ausläuftund beim Ausbleiben eine Anschlussregelung auf dieKommunen in den neuen Ländern, aber auch auf dieneuen Länder und den Bund unkalkulierbare finanzielleFolgen zukommen, die nicht zu verantworten sind. Da-her stimme ich dem Gesetzentwurf, der in den Bericht-erstattergesprächen ausführlich erörtert worden ist undin deren Ergebnis sowie in Auswertung einer Sachver-ständigenanhörung präzisiert wurde, uneingeschränktzu.

Die Ablehnung des Gesetzentwurfes durch die Vertre-ter der Fraktionen von CDU/CSU, FDP und PDS ist nichtnachvollziehbar. Das Abstimmungsverhalten kann nurals Ausdruck einer Fundamentalopposition verstandenwerden, da die dargestellten rechtlichen und finanziellenRisiken aus dem Auslaufen des Moratoriums regiert wer-den und konkrete Änderungsvorschläge für die Lösungdes Grundproblems nicht vorgelegt worden sind.CDU/CSU und FDP habe im Weiteren den bisherigenKonsens, der auf eine abgewogene Lösung zielte, die so-wohl berechtigten Eigentümerinteressen als auch die fi-nanziellen Folgelasten für die öffentliche Hand ausge-wogen berücksichtigt, aufgegeben. Die PDS-Fraktionblockiert nicht nur dringend notwendige Regelungen,sondern nährt nach wie vor die Vorstellung, dass hin-sichtlich der Überlassungsverträge weiter gehende Rege-lungen, als im Gesetzentwurf vorgesehen, möglich sind.Dass der Gesetzgeber über derartigen Handlungsspiel-raum verfügt, wurde in der Anhörung von den Sachver-ständigen eindeutig verneint.

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