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Die Idee der engagierten Literatur im Denken Theodor W. Adornos Adornos Rezeption der Theorie des Engagements nach Sartre bzw. nach Brecht I N H A L T 1. Einleitung .................................................................................................. 1 2. Traditionelle Begriffsdefinitionen ................................................................ 2 3. Allgemeine Betrachtungen Adornos zur Wirkung von Kunst ............................ 3 4. Exkurs: Sartres Idee der wesensmäßig engagierten Literatur ........................... 5 4.1 Utilitarität von Prosa ............................................................................. 5 4.2 Intentionalität von Prosa ....................................................................... 6 4.3 Appellativer Charakter von Prosa ............................................................. 6 4.4 Prosa als Akt des Vertrauens in die Freiheit ............................................... 7 4.5 Zusammenfassung: Engagement von Prosa ................................................ 7 5. Sartre-Rezeption Adornos ............................................................................ 9 6. Brecht-Rezeption Adornos ......................................................................... 13 7. Zur Engagiertheit autonomer Kunst ........................................................... 17 8. Schlußbetrachtung.................................................................................... 20

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Die Idee der engagierten Literatur im Denken Theodor W. Adornos

Adornos Rezeption der Theorie des Engagements nach Sartre bzw. nach Brecht

I N H A L T

1. Einleitung..................................................................................................1 2. Traditionelle Begriffsdefinitionen ................................................................2 3. Allgemeine Betrachtungen Adornos zur Wirkung von Kunst ............................3 4. Exkurs: Sartres Idee der wesensmäßig engagierten Literatur...........................5

4.1 Utilitarität von Prosa............................................................................. 5 4.2 Intentionalität von Prosa ....................................................................... 6 4.3 Appellativer Charakter von Prosa ............................................................. 6 4.4 Prosa als Akt des Vertrauens in die Freiheit ............................................... 7 4.5 Zusammenfassung: Engagement von Prosa ................................................ 7

5. Sartre-Rezeption Adornos ............................................................................9 6. Brecht-Rezeption Adornos ......................................................................... 13 7. Zur Engagiertheit autonomer Kunst ........................................................... 17 8. Schlußbetrachtung.................................................................................... 20

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Die Idee der engangierten ... Einleitung, Seite 1

1. Einleitung

Beschäftigt man sich mit Theodor W. Adornos Noten zur Literatur in-nerhalb einer

wissenschaftlichen Arbeit, so fällt nicht nur eine notwen-dige Strukturierung der Inhalte

schwer, sondern ebenso die Rechtferti-gung der eigenen Methode. Während Adorno das

essayistische, also versuchende Schreiben propagiert, Erkenntnis mittels Kunst ermögli-

chen will, und das analytische, strukturierende Schreiben und Denken scharf kritisiert,

stellt eine wissenschaftliche Arbeit genau diese Anfor-derungen an den Verfasser.

Einerseits verbietet sich eine Zerstücke-lung der doch stark poetisierenden Schriften - als

arbeitete man mithilfe einer Konkordanz - , andererseits ist eine thematische

Eingrenzung unbedingt notwendig. Aus diesen Gründen liegt dieser Arbeit lediglich eine

sehr grobe Struktur zugrunde. Innerhalb der einzelnen Abschnitte habe ich versucht, wie

Adorno in seinem Essay-Essay vorschlägt, mich um den Gegenstand kreisend diesem zu

nähern. Es soll vor allen Din-gen um das Verständnis von engagierter Kunst bei Adorno

gehen, ein Schwerpunkt wurde auf die Auseinandersetzung mit dem Sartreschen Denken

gelegt. Es soll gezeigt werden, inwiefern Adornos dialektisches Denken den traditionellen

Antagonismus von engagierter und autono-mer Kunst aufzuheben versucht, um gerade

die Engagiertheit autono-mer Kunst offenzulegen und fordern zu können. Die Analyse

dieser engagierten und gleichzeitig autonomen Kunst kann hier allerdings nur in

Ansätzen erfolgen. Der Themenkomplex 'Lyrik nach Auschwitz' wurde ausgelassen, da er

(gerade durch die Konsequenzen des Adorno'schen Diktums ) zu komplex erschien, als

daß er verkürzt dar-gestellt werden könnte. Aus den Noten zur Literatur wurden vor allem

drei Essays berücksichtigt: 'Der Essay als Form', 'Der Artist als Statt-halter' und

'Engagement'. Im folgenden werden der Übersicht wegen Zitate kursiv gekennzeichnet

werden, auf die benutzte Literatur wird weitgehend direkt verwiesen.

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Die Idee der engangierten ... Traditionelle Begriffsdefinitionen, Seite 2

2. Traditionelle Begriffsdefinitionen

Autonome Kunst (auch im Sinne absoluter, reiner Kunst verstanden), bezeichnet im

Bereich der Literatur / Dichtung eine reine Wortkunst, die die Eigengesetzlichkeit der

Sprache in den Mittelpunkt stellt. Sie will auf nichts außerhalb ihrer selbst verweisen,

sondern für sich selbst stehen, d.h. sie hat das Ideal einer zweckfreien, nicht von

äußeren Anlässen beeinflußte Kunst, die sich allein durch die Idee des Schönen

legitimiert. Autonome Kunst soll über praktische Bedürfnisse und ethi-sche Werte

erhaben sein. Die Wirkung soll auf der ästhetischen Ge-staltung beruhen und nicht auf

dem inhaltlichen Material. Besonders der französische Symbolismus (Valéry, Huysman,

Gide, Mallarmé) machte sich die von Victor Cousin geprägte Formel des l'art pour l'art

zum Gesetz, sah Kunst nur als Selbstzweck, abgelöst von allen ihr fremden Zielen und

Interessen. Durch diese kunsttheoretische An-schauung legitimiert, konnte eine Dichtung

ohne bestimmten 'Inhalt' entstehen, die aus alogischen bis völlig sinnfreien Wort- oder

Buchsta-benzusammenstellungen besteht. Im Sinne der poésie pure (u.a. Valéry) ist die

autonome Dichtung eine, bei der alle Inhalte (Stoffe, Er-lebnisse, Ideen u.a.) so weit

zurückgedrängt sind, daß der poetische Akt als solcher rein heraustritt und die Sprache

ein in sich selbst schwingender Klangzauber ist.

Im Unterschied zum l'art pour l'art gilt bei der engagierten Kunst nicht das Primat von

ästhetischen Werten. Engagierte Kunst meint im Be-reich der Literatur im weitesten

Sinne alle Literatur, die ein religiöses, gesellschaftliches, ideologisches, politisches

Engagement erkennen läßt, bzw. aus einem solchen resultiert. Sie strebt eine

Veränderung des Bewußtseins an. Engagierte Literatur ist Literatur der Praxis, die

Stellungnahme des in der Literatur stehenden Dichters. Engagement meint im

existentialistischen Denken das Sich-Einlassen auf das Ge-gebene oder das in

persönlicher Verantwortung Sich-Einsetzen für eine (sittliche, politische, religiöse o.a.)

Idee.

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Die Idee der engangierten ... Allgemeine Betrachtungen Adornos zur Wirkung von Kunst, Seite 3

3. Allgemeine Betrachtungen Adornos zur Wirkung von Kunst

In der Auseinandersetzung mit Adornos Kunstverständnis müssen wir uns immer wieder

in die Erinnerung rufen, daß es "keine Wahrheit der Kunstwerke ohne bestimmte

Negation" (Ästhetische Theorie 195) ge-ben kann. Kunstwerke negieren, was außerhalb

ihrer selbst ist. Diese Negation ist unabhängig von deren Inhalt. Vielmehr ist sie darin

konsti-tuiert, daß das Kunstwerk sich notwendigerweise von der Realität ab-setzt, in der

sie begründet ist, daß dem Abbilden stets ein Nicht-Abbil-den, dem Erzählen stets ein

Verschweigen immanent ist.

Was kann das Kunstwerk angesichts dieser Negativität leisten? - "Was Natur vergebens

möchte, vollbringen die Kunstwerke: sie schlagen die Augen auf" (ÄT 104). Aus dem

Kunstwerk (der 'geschichtsphilosophi-schen Sonnenuhr') soll der geschichtliche Stand des

Geistes herausge-lesen werden. Hierdurch statuiert Adorno die Möglichkeit der

Konvergenz von Kunst und Erkenntnis. Diese Erkenntnis ist eine tiefere als die des bloß

rationalen Erkennens: "Auf der Bahn ihrer Ra-tionalität und durch diese hindurch wird

die Menschheit in Kunst dessen inne, was Rationalität vergißt und woran deren zweite

Reflexion [= ästhetische Reflexion / Erkenntnis] mahnt" (ÄT 105). Erkenntnis wird also

dem Prozeß ästhetischer Wahrnehmung einverleibt. Hierin liegt die eigentliche Leistung

von Kunst. Erkenntnis liegt nicht allein im Ge-halt von Kunst, "Kunst heißt nicht:

Alternativen pointieren, sondern durch nichts anderes als ihre Gestalt, dem Weltlauf

widerstehen, der den Menschen immerzu die Pistole auf die Brust setzt" (Noten zur Lite-

ratur 413, Hervorhebung durch die Verfasserin).

Nach Adorno bezeichnet der Antagonismus zwischen autonomer und engagierter Kunst

zwei Stellungen zur Objektivität, also zu der ihr äußerlichen Realität: "Jede der beiden

Alternativen negiert mit der an-deren auch sich selbst: engagierte Kunst, weil sie, als

Kunst notwendig von der Realität abgesetzt, die Differenz von dieser durchstreicht; die

des l'art pour l'art, weil sie durch ihre Verabsolutierung auch jene un-auslöschliche

Beziehung auf die Realität leugnet, die in der Verselb-ständigung von Kunst gegen das

Reale als ihr polemisches Apriori ent-halten ist" (NL 410). Kunst ist also

notwendigerweise von der Realität abgegrenzt und doch gleichzeitig in Beziehung mit

dieser.

Hierin liegt der Doppelcharakter von Kunst. Für Adorno ist sie “als Pro-dukt

gesellschaftlicher Arbeit des Geistes stets fait social” (ÄT 335). Kunst ist immer

gesellschaftlich aufgrund ihres negierenden Charak-ters: “weder nur durch den Modus

ihrer Hervorbringung [...] noch durch die gesellschaftliche Herkunft ihres Stoffgehalts.

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Vielmehr wird sie zum Gesellschaftlichen durch ihre Gegenposition zur Gesellschaft, und

jene Position bezieht sie zuerst als autonome” (ÄT 335) Sie ist nicht gesell-schaftlich

normiert oder nützlich, sondern übt Kritik an der Gesellschaft durch ihr bloßes Dasein als

Negation dieser, ist durch die Negation einer bestimmten Gesellschaft wesensmäßig

asozial.

Durch das Nicht-Erkennen dieser Aporie / Doppelheit kann der Anta-gonismus zwischen

engagierter Kunst und autonomer bestehen und es ergeben sich verschiedene Strategien

für die Legitimation von Kunst. Während das engagierte Kunstwerk sich in Synthese mit

der Realität versteht und sich dadurch zu legitimieren meint, verweigert das auto-nome

eine solche Legitimation durch seine Abgrenzung von der empi-rischen Realität. Doch

auch diese Verweigerung ist, so Adorno, nicht zulässig. “Wird jedes Kunstwerk als Ding,

das die Dingwelt negiert, a priori hilflos, wenn es vor jener sich legitimieren soll, so

kann es doch nicht, um solcher Apriorität willen, jene Legitimation einfach verweigern”

(ÄT 182). “Der Widerstand des Subjekts gegen die empirische Realität im autonomen

Werk ist auch einer gegen die unmittelbar erscheinende Natur” (ÄT 104).

Das engagierte Kunstwerk entzaubert zwar das autonome als "höchst politisches

Apolitisches" (NL 409), bleibt aber selbst zumeist politisch zu vieldeutig, solange es sich

nicht auf reine Propaganda reduziert.

Engagierte Literatur ist von einer solchen Tendenzliteratur abzugren-zen: "Engagement

ist eine höhere Reflexionsstufe als Tendenz; will nicht einfach mißliebige Zustände

verbessern, obwohl Engagierte allzu leicht mit Maßnahmen sympathisieren; es zielt auf

Veränderung der Bedingungen von Zuständen, nicht auf den blanken Vorschlag [sondern

auf eine bestimmte Haltung] [...] Der Begriff des Engagements ist nicht allzu wörtlich zu

nehmen. Wird er zur Norm einer Zensur, so wiederholt sich in der Stellung zu den

Kunstwerken jenes Moment herrschaftlicher Kontrolle, dem sie vor allem kontrollierbaren

Engagement opponieren” (ÄT 365).

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4. Exkurs: Sartres Idee der wesensmäßig engagierten Literatur

Sartre räumt der Literatur, insbesondere der Prosa als wesensmäßig engagierte eine

Sonderstellung unter den Künsten ein. Form und Stoff der verschiedenen Künste

variieren, nur die Literatur habe es als Spra-che mit Zeichen, Symbolen und Bedeutungen

zu tun, nur sie verwiese auf etwas außerhalb ihrer selbst, könne den Rezipienten lenken.

Töne, Farben und Formen aber könnten niemals Symbol sein, da sie Dinge ("imaginäre

Gegenstände", vgl.: Was ist Literatur? 14), nicht Zeichen sind. "Man malt keine

Bedeutungen, man setzt sie nicht in Musik; wer würde unter diesen Bedingungen wagen,

vom Maler oder Musiker zu verlangen, daß sie sich engagieren?" (WiL 16). Die Poesie ist,

so Sartre, allerdings ebensowenig Zeichen: In ihr bedient sich der Dichter nicht der

Sprache als Zeichensystem (also als bloßes Instrument), sondern sie bedient sich

vielmehr des Dichters instrumentell; der Dichter bleibt immer außerhalb der Sprache. In

der Poesie wird die Be-deutung von Wörtern eher dargestellt als ausgedrückt. Der

physische Aspekt des Wortes spiegelt sich in der Bedeutung, die wiederum durch diesen

erst realisiert wird (vgl.: WiL 18). D.h. die Wörter haben eine natürliche Bedeutung, die

ihnen verbale Einheit gibt. In der Poesie er-geben sich Bedeutungen insofern nicht

lediglich in Kontext-Relationen, sondern können durch ihre direkte Anbindung an die

Physis der Wörter zu weitgehend unabhängigen Entitäten werden. Aus diesem Grund sei

es töricht, poetisches Engagement zu verlangen (vgl.: WiL 20f).

Die Prosa steht in einem anderen Verhältnis zum Menschen als die Poesie: "Ursprünglich

schafft die Poesie den Mythos des Menschen, während der Prosaist sein Porträt zeichnet"

(WiL 21), d.h. der Prosaist ist stets Enthüller und Aufklärer. Für ihn sind die Wörter nicht

Gegen-stände, sondern vielmehr Gegenstandsbezeichnungen, wobei die 'Kor-rektheit' der

gewählten Wörter wichtiger ist als ihre Ästhetik. Sartre betont den Handlungscharakter

von Prosa als Sprache: es handele sich stets um eine von mir auf den anderen oder vom

anderen auf mich angewandte Aktion, Zweck der Sprache sei also Kommunikation. Hier-

aus leitet Sartre verschiedene Wesensmerkmale von Prosa ab, die seine These der

notwendigen Engagiertheit von Literatur untermauern (4.1. bis 4.5.):

4.1 UTILITARITÄT VON PROSA

Der Schriftsteller ist nach Sartre ein Sprechender, und weiß, daß Spre-chen Handeln ist.

Dieses Sprechen ist eine Handlung der Enthüllung. Enthüllung meint bei Sartre das

Aufdecken weltlicher / äußerer Phä-nomene der Welt. Das Verhältnis zwischen Kunst und

Welt ist also ein enges, der Terminus der Enthüllung bezieht sich nicht ausschließlich auf

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das Kunstwerk selbst . Laut Sartre muß der Schriftsteller Rechen-schaft ablegen dafür,

daß er entschieden hat, die erzielten Resultate anderen darzubieten, er hat gewählt, "die

Welt und besonders den Menschen den anderen Menschen zu enthüllen, damit diese

gegen-über dem der-art aufgedeckten Gegenstand ihre ganze Verantwortung

übernehmen" (WiL 27). Diese Wahl ist eine allen Schriftstellern ge-meinsame tiefere

unmittelbare Wahl. Die Entscheidung für die Enthül-lung setzt den Wil-len nach

Veränderung und nach Erfolg beim Schriftsteller voraus. Die-ser hat zwei Gewißheiten: er

ist enthüllend und gegenüber dem enthüll-ten Ding unwesentlich. Hierin liegt, so Sartre,

ein Hauptmotiv des künstlerischen Schaffens: in dem Bedürfnis, sich gegenüber der Welt

als wesentlich zu fühlen.

In der Enthüllung durch den Schriftsteller wird die Dialektik des Schrei-bens deutlich: er

" [...] kann nicht gleichzeitig enthüllen und hervorbrin-gen" (WiL 36). Schaffen und

Wahrnehmen bleiben unvereinbar, da im Schaffen das Objekt unwesentlich wird, im

Wahrnehmen hingegen das Subjekt. Stets aber erstrebt der Autor, der sich in der

Wahrnehmung unwesentlich fühlt, die Wesentlichkeit im Schaffen und zerstört somit die

Wesentlichkeit des Objektes.

4.2 INTENTIONALITÄT VON PROSA

Der Künstler vermittelt, so Sartre, zwischen der "Zweckmäßigkeit ohne Zweck" (Kant, zit.

nach WiL 42) und dem Blick der anderen Men-schen. Die vom Künstler übermittelte

Illusion wird im Kunstschaffen intentional. Sartre formuliert die These, der Rezipient

könne die übermittelte Illusion mit Vertrauen betrachten, da es für ihn stets die Garantie

dafür gibt, daß der Schriftsteller sämtliche Bezüge und Ver-weise ausdrücklich wollte.

Kurz: Die Verantwortung und Legitimation des Schriftstellers geht bei Sartre einher mit

der Annahme, alles im Werk Enthaltene sei intendiert. Kausalität wird im Kunstwerk zum

Schein, Zweckmäßigkeit ist die eigentliche Realität, d.h. die immanente Kausalität des

Stoffes existiert nicht aufgrund des Gegenstandes, son-dern aufgrund des Zwecks. Das

heißt: Beim Kunstwerk handelt es sich "um den Ausdruck einer tieferen Zweckmäßigkeit,

denn der Park ist nur zur Existenz gekommen, um mit einem bestimmten Seelenzustand

zu harmonieren" (WiL 47) .

4.3 APPELLATIVER CHARAKTER VON PROSA

Zwar entwirft der Schriftsteller die Form und den Inhalt seiner Prosa, er schafft den

Gegenstand aber nicht für sich. "Kunst gibt es nur für und durch andere" (WiL 39). Das

Lesen ist von Hypothesen, Hoffnungen und Enttäuschungen bzgl. des weiteren Verlaufs

des 'Beschriebenen' gekennzeichnet Der Schriftsteller aber kann sein Werk nicht (so)

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lesen und es gilt: "ohne Erwartung, ohne Zukunft, ohne Unkenntnis keine Objektivität"

(WiL 38). Andererseits enthält der Vorgang des Schrei-bens stets eine 'Quasi-Lektüre', die

die tatsächliche Lektüre verhindert: der Schriftsteller entwirft (wie auch der Leser), stößt

aber immer auf sich selbst, schafft also den Gegenstand nicht für sich. Die Lektüre ist als

Synthese aus Wahrnehmen und Schaffen; als Schaffen und Enthül-len, als 'gesteuertes

Schaffen' zu verstehen. Und "da das Schaffen sei-nen Abschluß erst in der Lektüre finden

kann [...] ist jedes literarische Werk ein Appell" (WiL 41).

4.4 PROSA ALS AKT DES VERTRAUENS IN DIE FREIHEIT

Das gesteuerte Schaffen des Lesers wird von seiner Freiheit vollbracht; ein Buch ist nicht

Mittel eines Zwecks, sondern selbst Zweck der Frei-heit des Lesers, "das Kunstwerk hat

keinen Zweck [...] Aber das liegt daran, daß es ein Zweck ist [...] Es ist nicht ein

Instrument, dessen Existenz offenkundig und dessen Zweck unbestimmt ist: es bietet sich

als eine zu erfüllende Aufgabe dar, es versetzt sich auf Anhieb auf die Ebene des

kategorischen Imperativs" (WiL 43). Im Lesen liegt Verant-wortung, die Freiheit erfährt

sich in einer schöpferischen Handlung, die vom Imperativ verlangt wird. Dieser Zweck

oder Imperativ heißt 'Wert', d.h. das Kunstwerk ist Wert, weil es Appell ist. Der

Schriftsteller darf nicht erschüttern wollen, vielmehr ist die 'reine Präsentation' ein be-

sonderes Merkmal des Kunstwerkes. Der Leser muß über einen ästhe-tischen Abstand

verfügen, der Künstler schlägt die zu erfüllende Auf-gabe nur vor. Die ästhetische Freude

des Schriftstellers entspricht dem ästhetischen Bewußtsein des Lesers und äußert sich in

der Aner-kennung eines transzendenten, absoluten Zwecks. Diese Anerkennung beinhält

die Anerkennung eines Appells, also eines Wertes.

Prosa ist also ein Akt des Vertrauens in die Freiheit des Schriftstellers, sowie in die des

Lesers: "je mehr wir unsere Freiheit erfahren, desto mehr erkennen wir die des anderen

an; je mehr er [der Autor] von uns verlangt, desto mehr verlangen wir von ihm" (WiL45).

Hierin liegt die eigentliche Dialektik der Lektüre.

4.5 ZUSAMMENFASSUNG: ENGAGEMENT VON PROSA

Wir fassen zusammen: Wenn der Autor Schöpfer von Ungerechtigkei-ten ist, so ist es

auch der Leser, beide tragen Verantwortung für das Universum. Dieses Universum muß

ein Werden sein, stets prospektiv auf die Zukunft gerichtet. Die Entscheidung des Autors

(auch die des Lesers) ist, so Sartre, die "Möglichkeit, überhaupt zu existieren, gegen-

über zuschauerhafter Neutralität" (NL 412). Im Schreiben und Lesen passiert ein

unausgesprochener Rückgriff auf eine ganze Welt, die Autor und Leser gemeinsam haben,

diese Welt "muß ich verändern oder erhalten, für mich und die anderen" (WiL 58), mit

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anderen Worten: "Schreiben und Lesen sind zwei Seiten ein und desselben Geschichts-

faktums" (WiL 58). Die Situation des Autors ist als determinierender Faktor zu

betrachten, aber die Situation des Menschen erklärt das Werk nicht, da das Schreiben

immer Überschreitung der Situation ist.

Der engagierte Schriftsteller muß versuchen, "das klarste und vollstän-digste Bewußtsein

davon zu gewinnen, daß er [...] für sich und für die anderen das Engagement von der

unmittelbaren Spontaneität zum Re-flektierten übergehen läßt" (WiL 62). Das

Engagement des Schriftstel-lers ist immer Vermittlung. Am Horizont der historischen /

konkreten Befreiung taucht die ewige Freiheit auf, am Horizont der konkreten Le-

sergruppe die Allgemeinheit des Menschengeschlechts. Insofern be-deutet Schreiben die

Anfechtung der etablierten Werte, des Systems, als notwendige Veränderung der

Gesellschaft, sogar als Revolution.

Sein Postulat der engagierten Literatur verteidigt Sartre gegen den Vorwurf der reinen

Zweckmäßigkeit seiner Kunst, also gegen den Vor-wurf des Unkünstlerischen, indem er

den Stil von Prosa diskutiert. Stil mache die Prosa aus. "Man ist nicht Schriftsteller , weil

man gewählt hat, bestimmte Dinge zu sagen, sondern weil man gewählt hat, sie auf

bestimmte Weise zu sagen" (WiL 28). Dieser Stil muß aber unbemerkt bleiben. Die Wahl

des Stils kann niemals der Wahl der Idee voraus-gehen, meist handelt es sich um eine

einzige Entscheidung, Stil und Idee sind proportional ("Aber niemand könnte auch nur

einen Augen-blick annehmen, daß man einen guten Roman zum Lobe des Antisemi-

tismus schreiben kann." WiL 53). Die Kunst verliere, so Sartre, nichts beim Engagement,

vielmehr erfordere es das Entstehen immer neuer 'Kunstformen' (Sprachveränderung,

Formveränderung). Ohnehin gilt für Sartre: reine Kunst ist gleich leerer Kunst, ein

ästhetischer Purismus ist vollkommen zu verwerfen.

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Die Idee der engangierten ... Sartre-Rezeption Adornos, Seite 9

5. Sartre-Rezeption Adornos

In der Auseinandersetzung mit Sartre zweifelt Adorno bereits die Vor-gabe jener Theorie,

nämlich die Sonderstellung der Literatur, an, da "die Gattungen der Kunst nicht

umstandslos unter deren allgemeinen Oberbegriff subsumiert" (NL 411) werden können.

Seine Kritik beginnt schon bei der von Sartre angenommenen Bedeutung von Wörtern.

Die Bedeutung eines Wortes innerhalb eines Werkes ist, so Adorno, nie unverwandelt die

gleiche, welche es außerhalb des Kunstwerkes hat, "Die Rudimente der Bedeutungen von

draußen in den Dichtungen sind das unabdingbar Nichtkünstlerische an der Kunst" (NL

411) . Das Formgesetz von Prosa liege in dem, worein die Bedeutungen sich ver-wandeln,

konstituiere sich in dem Herauslesen aus der Dialektik der beiden Bedeutungen (der

inneren und äußeren). Das Kunstwerk sei insofern nicht fixiert, sondern noch einmal im

Mitvollzug durch den Re-zipienten hervorzubringen: “Ohne Rezeptivität wäre kein [..]

objektiver Ausdruck, aber er reduziert sich nicht aufs Subjekt" (ÄT 111), nicht auf den

Rezipienten aber genauso wenig auf den Autor. “Die Regungen der Autoren erlöschen in

dem subjektiven Gehalt, den sie ergreifen. Die objektive Fülle von Bedeutungen jedoch,

die in jedem geistigen Phä-nomen verkapselt sind, verlangt vom Empfangenden, um sich

zu ent-hüllen, [...] Sponaneität subjektiver Phantasie [...]. Nichts läßt sich

herausinterpretieren, was nicht zugleich hineininterpretiert wäre” NL 11). Daher kritisiert

Adorno: "Sartres Frage 'Warum schreiben' und ihre Zurückführung auf eine tiefere Wahl ist

darum untriftig, weil fürs Ge-schriebene, das literarische Produkt, die Motivationen des

Autors irrele-vant sind" ( NL 413/4) (vgl. Hegel: je weniger das Kunstwerk in der

empirischen Person verhaftet bleibt, desto höher sein Rang). Für Adorno ist im Gegensatz

zu Sartre klar, "daß dem Künstler das wenig-ste 'gehört'; daß in Wahrheit der

künstlerische Produktionsprozeß, und damit auch die Entfaltung der im Kunstwerk

beschlossenen Wahrheit, die strenge Gestalt einer von der Sache erzwungenen

Gesetzmäßigkeit hat, und daß ihr gegenüber die viel berufene schöpferische Freiheit des

Künstlers nicht ins Gewicht fällt" (NL 122).

Eine Aussage, die irgendwo zwischen Künstlerintention und dem "Gebot eines objektiv

sich aussagenden, metaphysischen Sinns" (NL 411) liegt, sei nicht anzunehmen. Aus

diesen Gründen darf niemals nach der Künstlerintention, sondern nur nach der Intention

des Werkes selber gefragt werden. Außerdem ist in der Intention großer Kunst-werke

manifestiert, daß etwas versprochen / getroffen wird, "die Dop-pelfunktion der Kunst

war: zu sagen, wie es ist - Comment c'est hieß ein von Adorno [...] gern zitierter Titel

[...] -,und zu sagen, wie es sein könnte und müßte - vom Kunstwerk als promesse du

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bonheur sprach Adorno [...] Leid und Traum sollten sich in ihm vermählen"

(Wiggershaus, 113). Wenn aber dieses Wie es sein soll, dieses Ver-sprechen nicht ex

negativo vorgenommen wird, so lügt das Kunstwerk. (Insofern muß das Kunstwerk stets

eine Prospektivität aufweisen, die in der Negation des Gegenwärtigen begründet ist.)

Ein weiterer, bereits im Vorangegangenen angeklungener Kritikpunkt Adornos ist die

Subjektivität Sartres. Sein Kunstwerk verkomme zu ei-nem Aufruf von Subjekten, sei

nichts anders als Kundgabe des Sub-jekts, seiner Entscheidung / Nichtentscheidung, die

Objektivation fehle und somit auch der 'objektive Ausdruck'. Sartre ignoriert, daß Schrei-

ben auch und besonders objektive Anforderungen an den Schreiben-den stellt. Aber, so

Adorno: Erst durch die Objektivation kann sich das Kunstwerk verselbständigen. Insofern

ist diese stets korrektiv (neutralisierend / qualitativ verändernd). Die Objektivation

entrückt das Kunstwerk der bloßen Intention, wie auch der Dingwelt. In der Objekti-

vation ordnen sich die ästhetischen Bilder eines Kunstwerkes ihrer Unwirklichkeit unter,

stoßen sich von der Realität ab, sind Negation. Für die Objektivation bedarf es einer

Vergeistigung von Kunst: "[...] das polemische Selbstbewußtsein der Kunst setzt ihre

Vergeistigung voraus; je empfindlicher sie gegen die sinnliche Unmittelbarkeit wird, der

man ehedem sie gleichsetzte, desto kritischer wird ihre Haltung zur rohen Realität [...]

Nicht nur formal schärft der kritisch reflexive Zug von Vergeistigung das Verhältnis der

Kunst zu ihrem Stoffgehalt [...] Durch Vergeistigung wird das Kunstwerk an sich zu dem,

was man ihm einst unbesehen als Wirkung auf andern Geist zutraute oder attestierte."

(ÄT 365/6). Objektivation ist also vor allem durch Gestaltung und Form zu erreichen.

Form ist "Methexis der Aufklärung" (ÄT 134), durch sie hat Kunst "teil an der Zivilisation,

die sie durch ihre Existenz kritisiert" (Konvergenz von Form und Kritik, ÄT 216).

Adorno geht es - im Gegensatz zu Sartre - um die Verselbständigung der Kunstwerke, die

nur durch Objektivation erreicht werden kann, durch sie tritt "ihr [der Kunstwerke]

immanenter Prozeß [..] nach außen als ihr eigenes Tun, nicht als das, was Menschen an

ihnen getan haben und nicht bloß für Menschen" (ÄT 125). Subjektivität sei notwendige

Bedingung des Kunstwerkes, nicht aber ästhetische Qualität, sie werde dies erst durch

die Objektivation.

Für Sartre ist aber jegliche literarische Objektivation als Erstarrung verdächtig , aber er

sieht nicht, daß Objektivation notwendig ist, um das Drama / den Roman über bloße

Mitteilung hinauszubringen. Ob-jektivität ist jedoch nur durch Negation zu erreichen, das

heißt, dem Werk muß ein negierender Charakter immanent sein, da sonst "die reine

Unmittelbarkeit und Spontaneität, [...] an keinem ihr Entgegenge-setzten sich bestimmt,

[und so] verkommt" (NL 414).

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Die Idee der engangierten ... Sartre-Rezeption Adornos, Seite 11

Ist das Kunstwerk jedoch nichts anderes als die Kundgabe eines Sub-jekts, so rutscht bei

Sartre das Engagement in die Gesinnung des Schriftstellers. Dieses Engagement bindet

Sartre zudem noch lediglich an das Menschsein des Schriftstellers - eine solche Bindung

sei, so Adorno, viel zu generell, eine "Differenz von irgendwelchen menschli-chen Werken

und Verhaltensweisen" (NL 414) sei nicht mehr gegeben, ein Programm nicht erkennbar.

Laut Adorno ist die Verpflichtung des Schriftstellers keine des (ans Menschsein

gebundenen) Entschlusses, sondern eine der Sache selbst, eine des Schreibens (vgl. NL

414). Der Künstler soll sich also der Sache unterwerfen, er soll "zum Statthalter des

gesellschaftlichen Gesamtsubjekts [werden]. Indem er der Not-wendigkeit des Kunstwerks

sich unterwirft, eliminiert er aus diesem al-les, was bloß der Zufälligkeit seiner

Individuation sich verdanken könnte" (NL 126)

Da die nötige Objektivation fehlt, bleiben für Adorno Sartres Stücke "Vehikel dessen, was

der Autor sagen will, zurückgeblieben hinter der Evolution der ästhetischen Formen" (NL

414). Hiermit kritisiert Adorno Sartres theoretische Leugnung, daß Kunstwerke

unabhängig von ihrem Inhalt Wirkung haben können. Adorno statuiert: "so wenig es in

der Kunst auf die Wirkung, so sehr es auf ihre eigene Gestalt ankommt: ihre eigene

Gestalt wirkt gleichwohl" (ÄT 359).

Ein weiterer Kritikpunkt an Sartres Subjektivismus ist sein "Mitweben am Schleier der

Personalisierung" (NL 415): die Situationen werden auf Entscheidungen verfügender,

handelnder Personen zurückgeführt, nicht auf die Wirksamkeit von Systemen, die

"anonyme Maschinerie" (NL 415). Dieses kann sogar personenkultischen Charakter

erlangen, das heißt, anstatt den Menschen in die Verantwortung einzubinden, wird ihm

seine Verantwortung durch andere, höhergestellte Personen vermeintlich abgenommen:

"Die Schwäche in der Konzeption des En-gagements befällt, wofür sich Sartre engagiert"

(NL 415). Hierauf wird im folgenden noch eingegangen werden, wenn es um die

kritisierte Kompatibilität der Sartreschen Thesen mit faschistischen Denkweisen geht.

Adorno kritisiert, daß das Konzept der freien Wahl bei Sartre nicht auf-gehen kann.

Freiheit schlägt um in Unfreiheit, da die Wahl , durch den kategorischen Imperativ

motiviert, anbefohlen ist. Genau: "Die ur-sprünglich Kierkegaardsche Kategorie der

Entscheidung übernimmt bei Sartre die Erbschaft des christlichen Wer nicht für mich ist,

der ist wider mich, aber ohne den konkreten theologischen Inhalt. Übrig davon ist nur

die abstrakte Autorität anbefohlener Wahl, gleichgültig dagegen, daß deren eigene

Möglichkeit abhängt von dem zu Wählenden" (NL 413). Adorno schließt sich der Kritik

Marcuses an, der diese Unabhän-gigkeit und Freiheit der Wahl in Frage stellt: man kann

die Marter nicht innerlich annehmen oder ablehnen (vgl. NL 413). Hier versagen Sartres

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Die Idee der engangierten ... Sartre-Rezeption Adornos, Seite 12

Dramen als Modelle seines eigenen Existentialismus'. Vielmehr thematisieren sie das

Scheitern ihrer Charaktere und die Auswegslo-sigkeit ihrer Situation als die freie Wahl. In

'Huis Clos' und 'Les yeux sont fait' beispielsweise werden Situationen erzeugt, die das

Indivi-duum auf sein An-Sich-Sein fixieren (nämlich auf den Tod): Im Tod er-starrt man

zu den bestimmten Möglichkeiten, die man verwirklicht hat, und hat kein Recht mehr,

sich auf die anderen Möglichkeiten zu beru-fen, die man hätte verwirklichen können.

Durch diese Irreversibilität der Entscheidungen wird vor allem Handlungsunfähigkeit und

Ausweglo-sigkeit thematisiert. Die Wahl als eigentlich lebenskonstituierendes Moment

wird zwangsläufig nicht in Unabhängigkeit zur Lebenssituation dargestellt ('L'Enfance

d'un chef'), Sartres Dramen enthalten “der Wahrheit zu Ehren die ganze verwaltete Welt

[in sich], die jener [Sartre] ignoriert, lernen läßt sich an ihnen die Unfreiheit" (NL 413).

Wie schon zuvor zitiert, befällt "die Schwäche in der Konzeption des Engagements [...] ,

wofür sich Sartre engagiert" (NL 415). D.h.: So-lange es Sartre absolut um das Konzept

der freien Entscheidung selbst geht, ist seine Philosophie als eine mit dem Faschismus

kompatible verstehbar. Das Ausblenden systemischer Bedingungen schließt ein, daß auch

die Unfreiheit als Bedingung ausgeblendet wird; d.h. das Ab-solutsetzen der freien Wahl

verhindert, 'die Hölle' der Bedingungen zu sehen. Wenn es kein normatives Element gibt,

welches die Entschei-dung korrigieren kann (z.B.: Moral), so ist eine jegliche

Entscheidung legitim, auch die für den Nationalsozialismus. Auch die Legitimität von

Gewalt als Mittel angesichts der einmal gefällten Entscheidung, die Sartre in seinen

Dramen teilweise thematisiert, wäre für den Faschis-mus anwendbar. "Daß es um

Entscheidung an sich gehe, würde sogar das nationalsozialistische 'Nur das Opfer macht

uns frei' decken" (NL 415).

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Die Idee der engangierten ... Brecht-Rezeption Adornos, Seite 13

6. Brecht-Rezeption Adornos

Adornos Kritik an Brechts engagiertem Theater basiert auf zwei we-sentlichen

Betrachtungen. Obwohl Brecht mehr noch als Künstler denn als Theoretiker durchaus

Adornos Anerkennung erlangt, kritisiert die-ser, daß Brechts Anspruch der theoretischen

Verbindlichkeit (vor allem aufgrund des Reduktionsprozesses) fehlschlagen muß.

Weiterhin the-matisiert er mit Blick auf Brecht die von Sartre motivierte Überlegung, daß

politisch Schlechtes zwangsläufig zu ästhetisch Schlechtem werde (und umgekehrt).

Ersteres überprüft er anhand der formkonstituieren-den Verfahren Brechts (Reduktion,

Simplifikation, Verfremdung) und deren Wirksamkeit.

Brecht geht es in seiner Theorie des Engagements um die didaktischen Fähigkeiten seines

dialektischen Theaters: er will zu einer distanzier-ten, denkenden, experimentierenden

Haltung erziehen. Hierin grenzt sich seine Literatur gegenüber der Tendenz-Literatur ab:

engagierte Kunst will nicht Maßnahmen, gesetzgeberische Akte, praktische Ver-

anstaltungen herbeiführen, Tendenz-Literatur schon. Adorno aber räumt ein: der

Anspruch des Brechtschen Werkes, 'politische Wahr-heit'' widerzuspiegeln, "bürdete ihm

aber die Verpflichtung zu theoreti-scher Richtigkeit des eindeutig Intendierten auf" (NL

416), wobei jedoch das Lehrstück um seiner "ästhetischen Gestalt willen" (NL 416) sich

von der Realität emanzipiert, die sie gerade zeigen will. Das heißt, daß die

formkonstituierenden Verfahren die empirische Realität verzerren anstatt sie

aufzudecken. Brecht denkt sein Lehrstück als artistisches Prinzip, d.h. seine Dramatik als

Formgesetz "einer didaktischen Poesie, die den traditionellen Begriff der dramatischen

Person ausschaltet" (NL 416). Dies geschehe, so Adorno, sehr viel konsequenter als bei

Sartre, allerdings verzerre gerade das Reduktionsverfahren die Realität. Form und Inhalt

werden von Brecht als Einheit gedacht, tatsächlich aber er-weise sich die Form als

inadäquat zur Veränderung der Welt. Der von Brecht gemeinte Primat der Lehre über die

Form wird zu deren eige-nem Moment: Das führt zu wesentlichen Formberichtigungen,

alles Or-namentale wird der Zweckmäßigkeit zuliebe getilgt, wobei diese Til-gung der

Autonomie zuträglich ist. Andererseits ist die Verfremdung vielmehr Formkonsitution als

daß sie zur Wirkung beitrüge, und das Prinzip der Simplifikation verfälscht das Objektive.

Insofern gewinnt bei Brecht die Form an Eigendynamik und verselbständigt sich. Brecht

er-kennt zwar, daß die Oberfläche des gesellschaftlichen Lebens (=Konsumsphäre) das

Wesen der Gesellschaft (=Tauschgesetz) ver-hüllt und abstrahiert daher in der

Darstellung; Adorno aber bemängelt, daß durch die Form die Verhüllung des Wesens

durch die Oberfläche bewirkt wird.

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Die Idee der engangierten ... Brecht-Rezeption Adornos, Seite 14

Zum Verfahren der Reduktion: Vorab ist zu bemerken, daß Brechts Methode der

ästhetischen Reduktion seiner eigenen Konzeption des engagierten Theaters zu

widersprechen scheint: rein ästhetisch läßt sich der Reduktionsprozeß mit dem Argument

des l'art pour l'art recht-fertigen, daß Kunst primär sich selbst, ihren ästhetischen

Prinzipien verpflichtet ist.

Das Prinzip der ästhetischen Reduktion wird auf mehreren Ebenen verwirklicht: Einerseits

handelt es sich hierbei um die Simplifikation und Ausblendung von allem Ornamentalen

innerhalb der Handlung, ande-rerseits geht es vor allem auch um die Reduktion von

Charakteren.

In der Reduktion schrumpfen die Charaktere "sichtbar zusammen zu [...] Agenten sozialer

Prozesse und Funktionen" (NL 416). Adorno kriti-siert, daß die Reduktion bei Brecht zu

politischem Infantilismus ver-komme, Figuren werden mit sozio-ökonomischen

Bedeutungspositio-nen besetzt, die mit der Situation der gemeinten Individuen in der

ge-sellschaftlichen Realität nicht übereinstimmen Zwar ist positiv zu be-werten, daß

Brecht "nicht länger, wie Sartre, Identität zwischen den le-bendigen Individuen und dem

gesellschaftlichen Wesen, oder gar die absolute Souveränität des Subjekts" (NL 416)

postuliert, also nicht dem Subjektivismus Sartres verfällt, aber durch die Reduktion der

Charak-tere auf Rollen wird das Eigentliche zugunsten von Epiphänomenen

vernachlässigt. Brecht beschränke sich, so Adorno, bei der Darstellung gesellschaftlicher

Verhältnisse auf Randerscheinungen, das Phänomen 'Macht' werde an falschen Beispielen

demonstriert: Nicht die "Raufereien einiger Großviehhändler" (NL 417) dürften als Abbild

von Machtstrukturen gelten; vielmehr müsse gezeigt werden, daß soziale Ungerechtigkeit

durch die Bündelung verschiedener Machtfelder ent-stehe (Bsp. Johanna:

Konkurrenzkampf ist real nur Epiphänomen der Aneignung des Mehrwerts der

Produktionsphäre, niemals Ursache der Krise, wird aber als solche dargestellt). Auch

zerstört das Verfahren der Reduktion die Logizität bestimmter Vorgänge, so sind die

ökonomi-schen Vorgänge in der 'Johanna' zwar stark vereinfacht, jedoch in kei-ner Weise

logisch nachzuvollziehen. Die Reduktion führt ebenso zu falscher Ursachenfindung in

Brechts Dramen. Oft werden zum Beispiel Katastrophen auf Zufall und Unglück

zurückgeführt. Hierin besteht der Konstruktionsfehler von 'Mutter Courage' und

'Johanna': Indem die Zufälle die Verantwortung übernehmen wird das eigentliche Grauen

eskamotiert, die planmäßige gesellschaftliche Konzentration von Macht wird nicht als

Ursache der Katastrophe deutlich.

Auch die Verfremdungstechnik habe, so Adorno, einen ähnlichen, dop-pelten Effekt: die

Verfremdung wird zwar zur Offenlegung gesellschaft-licher Verhältnisse eingesetzt,

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Die Idee der engangierten ... Brecht-Rezeption Adornos, Seite 15

verfälscht aber durch Verzerrung eben diese: "Nimmt man Brecht beim Wort; macht man

Politik zum Kriterium seines engagierten Theaters, so erweist es an dieser sich als

unwahr"

Im Zusammenhang mit den Exemplifizierungen innerhalb der Rollen-konzeption betont

Adorno noch eine andere Unstimmigkeit: "Alles ist erlaubt zu spielen, nur nicht den

Proletarier". Die Ermächtigung, den Proletarier als dramatische Person zu wählen, um

eine politische Theorie zu verdeutlichen, die einer intellektuellen Sprache bedarf, ist

unzulässig: "Noch Brechts bester Teil wird vom Trügerischen seines Engagements

angesteckt. Die Sprache bezeugt, wie weit das tragende poetische Subjekt und das von

ihm Verkündete auseinanderklaffen. Um über den Bruch hinwegzukommen, affektiert sie

die der Unterdrückten. Aber die Doktrin, für die sie wirbt, verlangt die des

Intellektuellen. Ihre Schlichtheit und Simplizität ist Fiktion [...] Usurpation und wie

Hohn auf die Opfer ist es, zu reden wie diese, als ob man selbst eines wäre" (NL 421/2).

Hierdurch werde die Absicht bemerkt, was zu einer Verstim-mung der Rezipienten führe.

Adorno blendet bei der Kritik der Ästhetik Brechts das Moment der Interpretation beim

Rezeptionsprozeß aus und legt zwei gegenläufige Kriterien zur Beurteilung von Kunst an:

Ist sie konkret, setzt sie also wenig Interpretationsleistung voraus, so beklagt Adorno

Eindimensionalität und spricht ihr das genuin 'Künstlerische' ab; wenn Kunst aber Inhalte

über ein Drittes oder abstrakt transportiert, muß sie sich ungedeutet mit der Realität

messen. Da Authentizität in der Kunst nicht erreichbar ist, dürfe auf keiner Bühne und in

keiner Li-teratur eine fremde Stimme als Stimme der Opfer sprechen. In diesem

Zusammenhang bemerkt Adorno, daß die Adressaten Brechtscher Kunst einen elitären

intellektuellen Zirkel ausmachen, der ohnehin schon über gesellschaftliche Situation

informiert ist; das 'aufklärerische' Engagement verpufft, weil die relevante Zielgruppe im

Sinne eines "preaching to the saved" (NL 418) verfehlt wird. Ohnehin sei die fabula

docet des Brechtschen Theaters, "daß es in der Welt ungerecht zu-geht" (NL 418), in

ihrer Vereinfachung wenig neu, politisch oder enga-gierend: “Brecht lehrte wohl nichts,

was nicht unabhängig von seinen Stücken, und bündiger in der Theorie, erkannt worden

oder den auf ihn geeichten Zuschauern vertraut gewesen wäre: daß die Reichen es besser

haben als die Armen, daß es unrecht auf der Welt zugeht, daß bei formaler Gleichheit

Unterdrückung fortbesteht, daß private Güte von der objektiven Bosheit zu ihrem

Gegenteil gemacht wird; daß - freilich eine dubiose Weisheit - Güte der Maske des Bösen

bedarf” (ÄT 366).

Zusammenfassend kann man sagen, daß Brechts Verfahren der Re-duktion zu (seit der

'Johanna' immer größeren) Abstraktheit führt, politi-sche Wahrheit aber der Vermittlung

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Die Idee der engangierten ... Brecht-Rezeption Adornos, Seite 16

bedarf. Hierin liegt die Infantilität Brechts. "Dem politischen Engagement zuliebe wird

die politische Reali-tät zu leicht gewogen: das mindert die politische Wirkung" (NL 418).

Insofern ist es Brechts politische Haltung, die Adorno Anlaß zu Kritik gibt. Wie bereits

im Vorangegangenen angeklungen, ist Politik nicht wirklich Kriterium des Brechtschen

engagierten Theaters, obschon die-ser dies beabsichtigte, vielmehr stehen die 'neuen'

Formelemente sei-nes Theaters im Vordergrund. Trotzdem aber ist Brechts Theater mit

Politik durchtränkt. Dies bewirkt beim Rezipienten das Bewußtsein, "es gehe ums

Ernsteste" und regt ihn daher tatsächlich zum Denken an. Ausgehend von Sartres

Ausspruch "Niemand aber sollte auch nur ei-nen Moment glauben, man könne einen

guten Roman zum Lobe des Antisemitismus schreiben" (WiL 53; NL 420) leitet Adorno die

für ihn allgemein gültige Formel des 'Politisch Schlechtes = Ästhetisch Schlechtes' her.

Brechts politische Überzeugung sei jedoch eine fal-sche: er sehe einen unvollkommenen

Sozialismus, wo Gewaltherr-schaft sei und erblinde gegenüber der Irrationalität des

gesellschaftli-chen Kräftespiels. Insofern beflecke "die politische Unwahrheit [..] die

ästhetische Gestalt. Wo dem thema probandum zuliebe die gesell-schaftliche Problematik

zurechtgebogen wird, die Brecht auf dem epi-schen Theater diskutiert, zerbröckelt das

Drama in seinem eigenen Be-gründungszusammenhang" (NL 420). So laufe er "aus

Verzweiflung an Gewalt kurzschlüssig" selbst zur "gewaltsamen Praxis über"; "das wilde

Gebrüll in der Maßnahme überschreitet das Unheil, das der Sache wi-derfuhr" (NL 421).

Genau dieser Umstand führe zu einer politischen Naivität, welche den von Brecht

Bekämpften nur zu einem Grinsen ver-hülfe. "So verordnet es der agitatorische Zweck;

der Gegner muß ver-kleinert werden, und das fördert die falsche Politik" (NL 417). Die

Ver-niedlichung der Feinde nämlich unterstützt die Stabilisierung der Machtverhältnisse,

anstatt sie anzugreifen.

Da Brechts Konstruktion der Gesellschaft zur gesellschaftlichen Fehl-konstruktion wird,

wird sein Theater dramatisch unmotiviert. So werden Ausweglosigkeiten dargestellt,

Zufälle verursachen Katastrophen, de-nen der Mensch sich nicht entziehen kann.

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Die Idee der engangierten ... Zur Engagiertheit autonomer Kunst, Seite 17

7. Zur Engagiertheit autonomer Kunst

Zunächst möchte ich Adornos Stellungnahme zum engagierten Kunst-werk

zusammenfassen.

Jede Kunst, die ein Programm verfolgt (sei es auch ein ethisch-mora-lisch gutes) grenzt -

indem sie sie an den eigenen Maßstäben mißt - andere Kunst aus. Das Programm, das

noch mit gutem Willen festge-legt sein worden mag, widerspricht sich selbst: die

autonome Kunst wird mit jener Unmenschlichkeit verurteilt, die man ihr aufgrund ihrer

Positionslosigkeit vorwirft: "Die heute noch auf ihr Ethos und die Menschlichkeit pochen,

lauern nur darauf, die zu verfolgen, die nach ihren Spielregeln verurteilt werden, und in

der Praxis die gleiche Un-menschlichkeit zu betreiben, die sie theoretisch der neuen

Kunst vor-werfen" (NL 429).

Engagierte Kunst will unmittelbar zu den Menschen sprechen, unge-achtet der Tatsache,

daß das Unmittelbare nicht unmittelbar realisiert werden kann, "Gerade damit aber

degradiert sie Wort und Gestalt zum bloßen Mittel, zum Element des

Wirkungszusammenhangs, zur psycho-logischen Manipulation und höhlt die Stimmigkeit

und Logik des Kunst-werkes aus, das nicht mehr nach dem Gesetz der eigenen Wahrheit

sich entfaltet" (NL 120). Insofern sei es erste Aufgabe der Kunst, "die Schmach

abzuwehren, welche die Werke zu Medien und die Konsu-menten zu Opfern

psychotechnischer Behandlung macht " (NL 125). Das Künstlerische verkommt in der

engagierten Kunst, "unbekümmert um die Wirklichkeit der ästhetischen Bilder, ordnet sie

[die engagierte Kunst] die Antithesis der Kunst zur Realität ein und integriert sie in die

Realität, die sie befehdet." (ÄT 134). Dennoch räumt Adorno dem En-gagement durchaus

eine ästhetische Produktivkraft ein und sieht die Verteufelung aller engagierter Kunst auf

der Basis der ebenso fal-schen, reaktionären Haltung. "Generell ist das Geblök gegen

Tendenz und Engagement gleich subaltern. Die ideologische Sorge, Kultur rein zu halten,

gehorcht dem Wunsch, daß in der fetischisierten Kultur damit real alles beim Alten

bleibt" (ÄT 367). Er sieht die Kunstproduktion auf zwei Pole zutreiben, nämlich "in die

sterilen Verwalter der Ewigkeits-werte auf der einen Seite und auf der anderen die

Unheilsdichter" (NL 115), anstatt der Doppelheit der Kunstwerke als autonomer Gebilde

und gesellschaftlicher Phänomene gerecht zu werden. Dies allerdings führe zu einer

eindimensionalen Denkweise: "autonome Werke reizen zum Verdikt des gesellschaftlich

Gleichgültigen, schließlich des frevle-risch Reaktionären; umgekehrt, solche, die

gesellschaftlich eindeutig, diskursiv urteilen, negieren dadurch die Kunst und mit ihr sich

selbst.” (ÄT 368). Lediglich immanente Kritik könne diese Alternative brechen.

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Die Idee der engangierten ... Zur Engagiertheit autonomer Kunst, Seite 18

Wie also muß Kunst aussehen, die sich dieser Doppelheit bewußt ist?

"Aufgeklärt sind Kunstwerke, welche in unnachgiebiger Distanz von der Empirie richtiges

Bewußtsein bezeugen" (ÄT 134). Diese Distanz wird nur durch die Negation der

Wirklichkeit erreicht. Diese Negation ist auch und vor allem in der autonomen Kunst

enthalten, autonome Kunstwerke "zerstören die zerstörende [Realität], das was bloß ist

und als bloßes Dasein die Schuld endlos wiederholt" (NL 424). Diese Zer-störung, also

Kritik wird allein durch die Form möglich. Der Wirkungs-zusammenhang ist nicht das

Prinzip, "dem die autonomen Werke un-terstehen, sondern ihr Gefüge bei sich selbst. Sie

sind Erkenntnis als begriffsloser Gegenstand. Darin beruht ihre Würde." (NL 428f). Jedes,

also auch das völlig autonome Kunstwerk, birgt durch seine Gestalt ein Es soll anders

sein. Eine völlig verwissenschaftliche Durchkonstruktion sei allerdings ebenso wenig

anzustreben, da sie vorkünstlerisch sei, beispielsweise sei die "Mathematisierung als

Methode zur immanenten Objektivation der Form" (ÄT 215) trügerisch.

Das Wollen des Werkes (nicht des Autors!) liegt allein in der Gestalt des Werkes, wird

durch sie vermittelt. Insofern "sind Kunstwerke [...] Anweisungen auf die Praxis, deren

sie sich enthalten: die Herstellung richtigen Lebens." (NL 429).

Die von Adorno geschätzte zeitgenössische Kunst ist dementspre-chend jene, die die

Verständigung verweigert, kommunikative Formen ablehnt, die herrschende Gesellschaft

insofern dekonstruiert und ent-larvt. Diese Kritik wird vor allem in der Form verankert.

Insofern ist "der Akzent auf dem autonomen Werk jedoch [..] selber gesellschaftlich-po-

litischen Wesens" (NL 429f), d.h. in die autonomen Kunstwerke sei die Politik

eingewandert und "dort am weitesten, wo sie politisch tot sich stellen." (NL 430). Für

Adorno sind Beckett, Schönberg und Kafka bei-spielsweise Künstler, die seine

Kunstanforderungen einlösen. Ihre Werke sind kompromißlos radikal, antworten der

Abstraktheit des ge-sellschaftlichen Gesetzes mit eigener, neuer, avantgardistischer Ab-

straktheit. Sie kündigen jedes Engagement für die Welt und genügen insofern der Idee

eines engagierten Kunstwerkes (vgl. NL 425). Der einzig menschenwürdige Ruhm einer

Dichtung liege in der direkten Wirkung der Dichtungen Becketts: "alle schaudern davor

zurück, und doch kann sich keiner ausreden, daß die exzentrischen Stücke und Romane

von dem handeln, was alle wissen und keiner Wort haben will [...]: der Abdankung des

Subjekts" (NL 425). Insofern erregen sie "die Angst, welche der Existentialismus nur

beredet. Als Demontagen des Scheins sprengen sie die Kunst von innen her" (NL 426).

Adorno sieht in der bestimmten Negation von Sinn einerseits die Mög-lichkeit, überhaupt

zeitgemäße Kunst zu produzieren, andererseit die Gefahr, daß nur noch Sinnleere, bzw.

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Die Idee der engangierten ... Zur Engagiertheit autonomer Kunst, Seite 19

die schlechte Positivität von Sinnlosem, deutlich wird (vgl. 'kybernetische Literatur', NL

426).

Adorno versteht seine Forderung nach autonomer Kunst als einzig en-gagierte nicht als

ein "Mixtur von avancierten Formelementen und ei-nem auf wirklich oder vermeintlich

progressive Politik abzielenden gei-stigen Gehalt" NL 429f, will also nicht engagierte und

autonome Kunst zwanghaft synthetisieren, sondern das Engagement und die engagie-

renden Kompetenzen des autonomen Kunstwerkes aufdecken.

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Die Idee der engangierten ... Schlußbetrachtung, Seite 20

8. Schlußbetrachtung

Während der Beschäftigung mit Adornos Thesen zu engagierter Kunst blieb eine

Hinterfragung des eigenen Kunstverständnisses nicht aus. Da ich mich zunächst

eingehend mit Sartre auseinandersetzte, er-schien mir sein Kunstverständnis, welches

Prosa als wesensmäßig engagiert beschreibt, als durchaus schlüssig und nachvollziehbar.

Die Eindimensionalität des Sartreschen Denkens, nämlich die Reduktion von Kunst auf

ein Instrument äußerer Intentionen, wurde mir erst mit Adorno bewußt. Die bei Sartre

unauflgelöste Aporie der 'Verurteilung zur Freiheit' schien dialektisch gedacht zu sein,

aber Adornos Offenle-gung der Wahl als anbefohlener, sowie der Freiheit als Unfreiheit

ver-deutlichte mir das Fehlen von Logizität und Kosequenz in Sartres Phi-losophie der

Freiheit. Auch zustimmen konnte ich Adorno bei der Kritik an der Umsetzung Sartres.

Liest man seine apologetische Rede "L'Existentialisme est un humanisme", so soll der

Existentialismus als optimistische Lehre verstanden werden, die dem Menschen vor allem

seine Freiheit verdeutlicht. Sartres Dramen hingegen lassen von die-sem Optimismus

nichts spüren. Adornos Aussagen zur Subjektivität Sartres und zum Fehlen der

Objektivation erschienen mir durchaus nachvollziehbar, allerdings nicht unbedingt

'richtiger' als Sartres eigene Konzepte, es handelt sich um zwei verschiedene

Kunstverständnisse, die nicht in Einklang zu bringen, aber beide denkbar sind. Adornos

Kri-tik an Sartre als Künstler kann ich nicht wirklich teilen, selbst wenn er traditionelle

Formen benutzte und somit "hinter der Evolution ästheti-scher Formen" (NL 414)

zurückblieb, büßten seine Werke meiner Mei-nung nach nicht an Ästhetik und Kunst ein.

Adornos Kritik an Brecht erschien mir als Basis für die hergeleiteten Aporien Adornos

sehr interessant und nützlich. Daß die theoretische Verbindlichkeit fehlschlägt, ist wohl

kaum zu bestreiten. Daß politisch Schlechtes zu ästhetisch Schlechtem werde, ist eine

durchaus zu ver-stehende, aber auch beruhigende Haltung, wenn man Ästhetik als Wir-

kungsästhetik denkt.

Adornos Forderung nach autonomer Kunst, wie sie ihm Kafka, Schön-berg und Beckett

zeigten - Kunst, die die Realität durch ihre Form kriti-siert - ist die logische Konsequenz

seines Denkens. Allerdings ist hier der Prozeß der Objektivation, die Vergeistigung bis in

ein solches Maß gestiegen, daß die Rezeption einer intellektuellen Elite vorbehalten ist.

Aus Becketts Stücken läßt sich wohl vor allem Einsamkeit, Kommuni-kationslosigkeit,

Resignation heraushören; die formimmanente Kritik an genau diesen gesellschaftlichen

(vielleicht sogar gesellschaftskonstitu-ierenden) Erscheinungen wird wahrscheinlich

wenigen deutlich. Einfa-cher sind hier sicherlich Brechts 'Schuldramen'. Allerdings darf

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Die Idee der engangierten ... Schlußbetrachtung, Seite 21

man, will man Adorno gerecht werden, Kunst natürlich nicht auf ihre Funktio-nalität hin

überprüfen.

Insgesamt kann man wohl sagen, daß Adorno durch sein Essay über das Engagement

neue Einblicke in das Thema gegeben hat; nicht zu-letzt die Bedeutung des hier

ausgelassenen Themenkomplexes 'Lyrik nach Ausschwitz' in der gesamten Nachkriegszeit

(bis heute) zeugt von der Wichtigkeit des behandelten Textes.

Page 23: Die Idee der engagierten Literatur im Denken Theodor …laus/texts/ha/adorno.pdf · äußeren Anlässen beeinflußte Kunst, die sich allein durch die Idee des Schönen ... Hierdurch

Die Idee der engangierten ... Literaturverzeichnis, Seite 22

9. Literaturverzeichnis

Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970. Adorno, Theodor W.: Noten zur Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 61994. Arnold, Heinz Ludwig (Hrsg.): Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur. Theodor W. Adorno. München: edition

text + kritik GmbH, 1983. Brecht, Bertold: Die heilige Johanna der Schlachhöfe. Berlin: Suhrkamp, 1962. Hochkeppel, Willy: Endspiele. Zur Philosophie des 20.Jahrhunderts. München: dtv, 1993. Kiedaisch, Petra (Hrsg.): Lyrik nach Ausschwitz? Adorno und die Dichter. Stuttgart: Reclam, 1995 (Reclam

Universal-Bibliothek Nr.9363) Sartre, Jean-Paul: Gesammelte Dramen. Reinbek: Rowohlt, 1984. Sartre, Jean-Paul: Was ist Literatur? Reinbek: Rowohlt, 1981. Wiggershaus, Rolf: Theodor W. Adorno. Beck'sche Reihe. Große Denker. München: Beck, 1987.