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HANNOVER. Aufräumen – das machen nur wenige gern. Eine der wenigen ist Edelgard Härter aus Wunstorf. „Das war schon immer so“, sagt die 57-Jährige. „Es ist mir einfach ein inneres Bedürf- nis“. Sie schafft Ordnung, wo sie kann – auch für andere, sagt sie und lacht. „In meiner Kindheit waren es die Näh- kästen der Verwandtschaft.“ Vor etwa acht Jahren hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht. Sie ist „Ihr Auf- räumservice in Hannover und Niedersachsen“ – oder kurz gesagt: Edelgard Härter ist „Aufräumexpertin“. Und sorgte bei mir zu Hause für Ordnung. Ein kurzer Rundgang durch die Wohnung, und sie hat einige Problemzonen erkannt: „Unordentlich ist es nicht, aber Sie könnten ein paar mehr Schränke vertra- gen.“ Das offene Küchenre- gal überm Frühstückstisch etwa, wo Honig, Zucker, Mehl, leere Einmachgläser und Spielzeug von den zwei Kindern steht. „Brauchen Sie das alles täglich?“, fragt Här- ter. Und hat damit den Kern getroffen. Zu viel Unbenutz- tes liegt offen herum. Mehr Stauraum durch Schränke an den Wänden – das muss nicht für jeden das Richtige sein, betont die Expertin. „Es gibt auch Men- schen, die wollen sich die freien Wände bewahren. Dann muss man aber anderswo, etwa im Keller, verstauen.“ Kommen wir zum Filet- stück für Ordnungsexperten: der Kleiderschrank. Hier wird täglich hin- und hergeschich- tet, neue Lieblingsteile kom- men dazu, alte Wegbegleiter verschwinden. Gerne in den Tiefen des Schranks. Das Ergebnis: Ein bunt zusam- mengewürfelter Klamotten- Haufen. „Wessen Schrank ist das?“, fragt Edelgard Härter erstaunt. Ihr Urteil: „Für zwei Personen ist er eigentlich zu klein. Respekt, dass Ihre Frau damit auskommt.“ Und trotzdem wird innen auch noch Platz verschenkt: Die Fächer sind viel zu hoch. „Da bieten sich ein paar Zwi- schenböden an“, so die Wunstorferin. „Das hätte auch den Vorteil, dass nicht gleich alles durcheinander purzelt, wenn man ein Klei- dungsstück herausnimmt.“ Die Fachtiefe lässt sich lei- der nicht ändern. „Die wird vom großen Fach nebenan vorgegeben, in dem die Hem- den hängen.“ Unpraktisch ist das allerdings schon, da schnell zwei Reihen entste- hen und die hinteren Klei- dungsstücke schlecht erreichbar sind. Dagegen hat Härter ein Rezept: „Die Klei- dung beim Zusammenlegen an die Tiefe des Schranks anpassen.“ Aus einem Fach mit geroll- ten und recht unordentlich geschichteten Pullis wird so in kurzer Zeit eine übersicht- liche Sache: Die Pullis liegen nun flach gefaltet in zwei lan- gen Blöcken nebeneinander. Das spart Höhe – und alles ist auf einen Blick zu sehen, weil im Hintergrund nichts mehr „verloren“ gehen kann. Übrigens: Die von der japanischen Aufräum-Ikone VON SIMON POLREICH Leben wir zunehmend in ungeordneten Verhältnis- sen? Mein Eindruck ist, dass wir in einer fast schon übersättig- ten Gesellschaft leben. Wenn ich alles habe und mir sogar noch mehr anschaffen kann, häuft sich extrem viel an. Oder anders gesagt: Shop- pen gehen ohne etwas zu shoppen würde keinen Spaß machen. Shoppen ist inzwi- schen ein Freizeitvergnügen. Die Herausforderung ist dann, den Konsum zu mana- gen und das zu bewältigen, was wir haben, also Ordnung zu halten. Aus diesem Satten heraus gibt es auch immer wieder Trends, sich abzugrenzen und umgekehrt mit besonders wenig auszukommen. Das kann man aber nur in einer Gesellschaft als Trend sehen, in der die meisten viel haben und keinen Mangel kennen. Es gibt auch Menschen, die räumen nur auf, um wichti- gere Arbeiten aufzuschie- ben. Dafür gibt es sogar einen Fachbegriff, Prokras- tination ... Das Fatale an der sogenann- ten Prokrastination ist, dass tatsächlich wichtige Aufga- ben aufgeschoben werden und vermeintlich Wichtiges erledigt wird. Ich schiebe dann beispielsweise die Steuererklärung auf und put- ze lieber die Fenster. Das Fatale: Ich erlebe eine kurz- fristige Belohnung, weil ich etwas geschafft habe, aber das langfristige Wichtige habe ich nicht unter Kontrol- le. Die Prokrastination tritt häufig da auf, wo wir ein hohes Maß an Selbststeue- rung brauchen und wenig äußere Strukturen und externen Druck haben. Häu- fig untersucht wurde dieses Phänomen etwa bei Studie- renden. Viele Unis haben inzwischen Anlaufstellen zur Behebung von Arbeitsstö- rungen. In schweren Fällen – nicht nur bei Studierenden – ist sogar therapeutische Hil- fe wichtig, weil es zu gravie- renden Baustellen im Leben führen kann. Leichte Fälle von Prokrastination kennt aber vermutlich jeder. Die Frage ist immer: Entstehen Schwierigkeiten in der Lebensführung, etwa wenn viele Fristen verstreichen, und dann sogar die Kranken- versicherung oder das Ein- kommen gefährdet ist? Das passiert bei den meisten Menschen nicht. Wann wird Ordnung zum Zwang? Die Ordnung, die von Men- schen mit einer Zwangsstö- rung verfolgt wird, hat selten etwas mit dem Ordnung hal- ten im eigentlichen Sinne zu tun. Hinter Ord- nungszwängen ver- birgt sich oft eine Form des „magi- schen Denkens“. Betroffene glauben, wenn sie Tassen bei- spielsweise nicht symmetrisch, die Tel- ler nicht der Größe nach oder die Klei- dung im Schrank nicht der Farbe nach anord- nen, wird etwas Schlimmes passieren. Bis dahin ist es ein schleichender Prozess. Es wird dann immer anstren- gender oder aufwendiger für Betroffene, im Alltag ihrem Anspruch nachzukommen. So entsteht ein enormer Lei- densdruck. In den Häusern ist es aber interessanterwei- se nicht besonders ordent- lich, auch weil die Betroffe- nen ihrem eigenen Zwang nicht mehr nachkommen können. Es bleibt immer mehr liegen, das Aufräumen wird aufgeschoben oder sogar vermieden. In einer Extremform kann das auch zu messiemäßigen Erschei- nungen führen. Und dann gibt es ja noch die Menschen, die von Natur aus etwas unordentlicher sind ... Natürlich. Der Unterschied zum krankhaften ist, dass es bei den meisten Menschen einen Punkt gibt, an dem man sich in der wachsenden Unordnung unwohl fühlt. Die einzige Lösung ist dann: Man räumt auf – und fühlt sich besser. Lotta Winter TIPPS ZUM AUSSIEBEN Die wichtigsten Hinweise der Auf- räumexpertin: 3 Schere, Schlüssel, Mütze: Alle Sachen haben einen festen Platz im Haus. 3 Routine einbauen: Jeden Tag zehn Minuten, eine Stunde in der Woche oder einen anderen Zeitraum für das Ordnung halten oder Sauber- machen fest einplanen. 3 Frei halten: Fußböden sollten frei gehalten werden. Auch auf Schränke sollte nichts gestapelt werden, was auch im Schrank Platz hat. Zur Not lieber um- und aussortieren. 3 Im Kleiderschrank: Mützen, Shirts und alles, was man jeden Tag braucht, in Griffhöhe aufbewahren. Bettwäsche und Handtücher nach ganz unten oder oben sortieren. Alles beim Zusammenlegen an die Tiefe der Fächer anpassen. 3 Handtaschen und Rucksäcke, die nicht täglich in Gebrauch sind, kön- nen ineinander gesteckt und so bes- ser verstaut werden. Das spart zudem Platz. 3 Unordnung im Kinderzimmer: Den Nachwuchs an das Aufräumen gewöhnen – etwa: Bevor es ins Bett geht, die Spielsachen wegpacken. „Oft haben Kinder aber auch einfach zu viel Spielzeug für das Zimmer“, sagt die Expertin. 3 Schreibtisch: Wenige Ablagefä- cher, und diese regelmäßig sortieren. Spätestens wenn das Fach voll ist. Papiere einscannen oder abfotogra- fieren und digital aufbewahren. GUTER TIPP: Sachen, die nicht täglich gebraucht werden, können im Schrank ineinander gelegt werden. Das spart Platz. Foto: Behrens „Aufräumen kann glücklich machen“ HANNOVER. Eine aufge- räumte, saubere Wohnung – vielen ist das wichtig, man- che behaupten sogar, es macht glücklich. Doch kann Ordnung wirklich Glücksge- fühle auslösen? Und wann wird daraus sogar Zwang? Die NP sprach mit Psycholo- gin Lotta Winter von der Medizinischen Hochschule Hannover über den Sinn und Unsinn des Aufräumens. Macht Ordnung glücklich? Ordnung ist nicht für jeden gleich wichtig. Das hängt mit den unterschiedlichen Grundbedürfnissen nach Ordnung und Kontrolle zusammen, die bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind. Aber ja: Aufgeräumt zu haben kann tatsächlich glücklich machen. Warum ist das so? In der Regel geht es uns gut, wenn das Prinzip der Selbst- wirksamkeit greift, wenn wir uns also bestätigen, dass wir etwas können und etwas geschafft haben. Greifen die- se beiden Faktoren, sind wir meistens hinterher glücklich. Es tut gut zu merken: Ich habe etwas drauf. Sogar in der Behandlung von an Depression erkrankten Men- schen werden diese Mecha- nismen genutzt, um Lustge- winn zu erfahren. Aber nicht jeder hat gleich viel Lustgewinn beim Aufräumen, richtig? Das hat damit zu tun, wie wir selber sozialisiert und geprägt wurden. Ein sehr hohes Bedürfnis nach Ord- nung sehe ich oft bei Patien- ten besonders ausgeprägt, die selbst früher wenig davon erlebt haben, lange in unge- ordneten oder chaotischen Verhältnissen gelebt haben. Das Bedürfnis nach Ord- nung scheint zu wachsen – zumindest ist der Markt mit Büchern voller Aufräum- Tipps übersät. Eine der Bestseller-Autorinnen, Marie Kondo, hat jetzt sogar eine Netflix-Serie bekom- men, in der sie Wohnungen anderer Leute aufräumt. NPINTERVIEW aber dieser Anfang gemacht, wird das weitere Vorgehen zum Selbstläufer. Die Angst vor dem Papierberg ist oft größer als der Berg selbst.“ Apropos Papierberg: Zahlreiche Schreibtische hat die Aufräumerin schon in Ordnung gebracht. „Das ist einfach“, sagt sie. Zunächst trenne man Berufliches und Privates, bevor es zur inhalt- lichen Strukturierung geht (Versicherung, Bank, Steuer und weiteres). Die Blätter wandern entweder in eigene Ordner oder werden einge- scannt und auf dem Compu- ter in digitalen Ordnern abgelegt – das spart Platz und erleichtert das Heraus- suchen. Doch wie bleibt der mühe- voll entrümpelte Schreib- tisch frei? „Indem ich mir ein minimales Ablagesystem schaffe“, sagt Härter. „Mini- mal, weil: Je mehr Ablage- plätze ich habe, desto mehr lege ich hin.“ Ihr selbst reiche sogar nur ein Ablagekasten als „Eingang“: „Einen Tag in der Woche setze ich mich hin und sortiere die Papiere dann ein.“ Sammlern von Magazinen oder Zeitschriften empfiehlt Härter einen Korb oder Kas- ten: „Ist der Behälter dann voll, wird aussortiert. Das Prinzip lässt sich auf vieles übertragen.“ Klar sei es am einfachs- ten, alles wegzuwerfen, was man nicht unmittelbar braucht. Aber davon ist die 57-Jährige kein Fan. „Da darf man auch nicht zu kritisch mit sich selbst sein.“ Das weiß sie aus beruflicher Beobachtung: „Viele Men- schen haben zunächst Scheu, mich einzuladen und schämen sich für ihre Unord- nung. Wenn ich die Wohnung dann betrete, denke ich aber oft: So schlimm ist es doch gar nicht“, sagt sie und lacht. Etwas Unordnung ist dann manchmal auch ganz in Ord- nung. Marie Kondo propagierte Methode, das Kleidungs- stück in ein schokoladenta- felgroßes Päckchen zu falten und sie dann auf der langen Kante ins Fach zu stellen, lehnt die Wunstorferin ab. „Die Kleidungsstücke fallen schlichtweg um, wenn nichts daneben steht. Stapeln las- sen sie sich so auch nicht.“ Und noch mit einem ande- ren „Grundgesetz“ der Best- seller-Autorin geht sie ins Gericht: Laut Kondo solle man massiv ausmisten – indem man sich für jeden Gegenstand fragt: Macht er mich glücklich? Härter: „Das ist übertrieben. Mich muss nicht jeder Alltagsgegen- stand glücklich machen!“ Das massive Ausmisten erwarten auch die Kunden der Wunstorferin häufig: „Viele den- ken, die kommt jetzt und schmeißt alles weg“, sagt Härter. „Aber warum sollte man etwas wegwerfen, wenn Platz dafür da ist?“ Was man ein Jahr nicht gebraucht hat, kann weg, lautetet noch eine Faustre- gel. Auch das lehnt die Aufräumerin ab: „Ein Jahr ist für mich kein Maßstab. Ich habe oft Sachen lange liegen gelassen und erst später gemerkt, dass ich sie wieder gebrau- chen kann“, sagt sie. „Und man darf sich auch Erinne- rungsstücke zugestehen, das gehört zum Leben dazu.“ Häufig mangele es ihren Kunden nicht am Platz, son- dern an Kraft und Zeit, Ord- nung zu schaffen und zu hal- ten. „Viele sind berufstätig, haben Kinder, da bleibt meis- tens der Haushalt auf der Strecke.“ Härters einfache Grundregel lautet deshalb: Disziplin ist das A und O. „Jeder schafft es, sich mor- gens die Zähne zu putzen. Wenn man zu dieser Disziplin fähig ist, kann man auch für die Ordnung Routinen in den Alltag einbauen – egal, ob ein fester Termin in der Woche für das Badezimmer oder zehn Minuten morgens für die Küche.“ In schwereren Fällen sollte man sich allerdings auch mal einen ganzen Tag Zeit neh- men – etwa für das unter Papieren vergrabene Arbeitszimmer. Um eine Grundordnung zu schaffen, hilft nur: stupide die Papiere zu sortieren. „Das ist eine Sisyphusarbeit“, weiß Här- ter. Am besten sortiert man zunächst aus, was man nicht mehr braucht, dann kommt die inhaltliche Ordnung. „Ist Das Bedürfnis nach Ordnung ist groß, das zeigt nicht nur der Netflix-Erfolg der japanischen Aufräum-Expertin Marie Kondo. NP-Redakteur Simon Polreich sprach mit einer Psychologin über die Gründe – und ließ seinen Kleiderschrank von einer Aufräumexpertin aus der Region Hannover neu ordnen. Die neue Ordnungsliebe VOM FACH: Aufräum-Expertin Edelgard Härter zeigte NP-Reporter Simon Polreich, wie Ordnung in den Fächern des heimischen Kleiderschranks einzieht. Fotos: Behrens BESSER: Die schlampig gerollten Pullis legt die Expertin so zusammen, dass sie die Tiefe des Fachs ausnutzen. Wenn ich eine Wohnung betre- te, denke ich oft: So schlimm ist es gar nicht. EDELGARD HÄRTER Aufräum-Expertin Hannover 15 Neue Presse Nr. 33 Freitag, 8. Februar 2019

Die neue Ordnungsliebe · 2019. 2. 12. · Gegenstand fragt: Macht er mich glcklich? Hrter: ¹Das ist bertrieben. Mich muss nicht jeder Alltagsgegen-stand glcklich machen!ª Das massive

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  • HANNOVER. Aufräumen –das machen nur wenige gern.Eine der wenigen ist EdelgardHärter aus Wunstorf. „Daswar schon immer so“, sagtdie 57-Jährige. „Es ist mireinfach ein inneres Bedürf-nis“. Sie schafft Ordnung, wosie kann – auch für andere,sagt sie und lacht. „In meinerKindheit waren es die Näh-kästen der Verwandtschaft.“Vor etwa acht Jahren hat sieihr Hobby zum Berufgemacht. Sie ist „Ihr Auf-räumservice in Hannoverund Niedersachsen“ – oderkurz gesagt: Edelgard Härterist „Aufräumexpertin“. Undsorgte bei mir zu Hause fürOrdnung.

    Ein kurzer Rundgangdurch die Wohnung, und siehat einige Problemzonenerkannt: „Unordentlich ist esnicht, aber Sie könnten einpaar mehr Schränke vertra-gen.“ Das offene Küchenre-gal überm Frühstückstischetwa, wo Honig, Zucker,Mehl, leere Einmachgläserund Spielzeug von den zweiKindern steht. „Brauchen Siedas alles täglich?“, fragt Här-ter. Und hat damit den Kerngetroffen. Zu viel Unbenutz-tes liegt offen herum.

    Mehr Stauraum durchSchränke an den Wänden –das muss nicht für jeden dasRichtige sein, betont dieExpertin. „Es gibt auch Men-schen, die wollen sich diefreien Wände bewahren.Dann muss man aberanderswo, etwa im Keller,verstauen.“

    Kommen wir zum Filet-stück für Ordnungsexperten:der Kleiderschrank. Hier wirdtäglich hin- und hergeschich-tet, neue Lieblingsteile kom-men dazu, alte Wegbegleiterverschwinden. Gerne in denTiefen des Schranks. DasErgebnis: Ein bunt zusam-mengewürfelter Klamotten-Haufen. „Wessen Schrank istdas?“, fragt Edelgard Härtererstaunt. Ihr Urteil: „Für zweiPersonen ist er eigentlich zuklein. Respekt, dass Ihre Fraudamit auskommt.“

    Und trotzdem wird innenauch noch Platz verschenkt:Die Fächer sind viel zu hoch.„Da bieten sich ein paar Zwi-schenböden an“, so dieWunstorferin. „Das hätteauch den Vorteil, dass nichtgleich alles durcheinanderpurzelt, wenn man ein Klei-dungsstück herausnimmt.“

    Die Fachtiefe lässt sich lei-der nicht ändern. „Die wirdvom großen Fach nebenanvorgegeben, in dem die Hem-den hängen.“ Unpraktisch istdas allerdings schon, daschnell zwei Reihen entste-hen und die hinteren Klei-dungsstücke schlechterreichbar sind. Dagegen hatHärter ein Rezept: „Die Klei-dung beim Zusammenlegenan die Tiefe des Schranksanpassen.“

    Aus einem Fach mit geroll-ten und recht unordentlichgeschichteten Pullis wird soin kurzer Zeit eine übersicht-liche Sache: Die Pullis liegennun flach gefaltet in zwei lan-gen Blöcken nebeneinander.Das spart Höhe – und allesist auf einen Blick zu sehen,weil im Hintergrund nichtsmehr „verloren“ gehen kann.

    Übrigens: Die von derjapanischen Aufräum-Ikone

    VON SIMON POLREICH

    Leben wir zunehmend in ungeordneten Verhältnis-sen?Mein Eindruck ist, dass wir ineiner fast schon übersättig-ten Gesellschaft leben. Wennich alles habe und mir sogarnoch mehr anschaffen kann,häuft sich extrem viel an.Oder anders gesagt: Shop-pen gehen ohne etwas zushoppen würde keinen Spaßmachen. Shoppen ist inzwi-schen ein Freizeitvergnügen.Die Herausforderung istdann, den Konsum zu mana-gen und das zu bewältigen,was wir haben, also Ordnungzu halten. Aus diesem Sattenheraus gibt es auch immerwieder Trends, sichabzugrenzen undumgekehrt mitbesonders wenigauszukommen. Daskann man aber nur ineiner Gesellschaftals Trend sehen, inder die meisten vielhaben und keinenMangel kennen.

    Es gibt auch Menschen, die räumen nur auf, um wichti-gere Arbeiten aufzuschie-ben. Dafür gibt es sogar einen Fachbegriff, Prokras-tination ...Das Fatale an der sogenann-ten Prokrastination ist, dasstatsächlich wichtige Aufga-ben aufgeschoben werdenund vermeintlich Wichtigeserledigt wird. Ich schiebedann beispielsweise dieSteuererklärung auf und put-ze lieber die Fenster. DasFatale: Ich erlebe eine kurz-fristige Belohnung, weil ichetwas geschafft habe, aberdas langfristige Wichtigehabe ich nicht unter Kontrol-le. Die Prokrastination tritthäufig da auf, wo wir einhohes Maß an Selbststeue-rung brauchen und wenigäußere Strukturen undexternen Druck haben. Häu-fig untersucht wurde diesesPhänomen etwa bei Studie-renden. Viele Unis habeninzwischen Anlaufstellen zurBehebung von Arbeitsstö-rungen. In schweren Fällen –nicht nur bei Studierenden –ist sogar therapeutische Hil-fe wichtig, weil es zu gravie-renden Baustellen im Leben

    führen kann. Leichte Fällevon Prokrastination kenntaber vermutlich jeder. DieFrage ist immer: EntstehenSchwierigkeiten in derLebensführung, etwa wennviele Fristen verstreichen,und dann sogar die Kranken-versicherung oder das Ein-kommen gefährdet ist? Daspassiert bei den meistenMenschen nicht.

    Wann wird Ordnung zum Zwang?Die Ordnung, die von Men-schen mit einer Zwangsstö-rung verfolgt wird, hat seltenetwas mit dem Ordnung hal-ten im eigentlichen Sinne zu

    tun. Hinter Ord-nungszwängen ver-birgt sich oft eineForm des „magi-schen Denkens“.Betroffene glauben,wenn sie Tassen bei-spielsweise nichtsymmetrisch, die Tel-ler nicht der Größenach oder die Klei-dung im Schrank

    nicht der Farbe nach anord-nen, wird etwas Schlimmespassieren. Bis dahin ist es einschleichender Prozess. Eswird dann immer anstren-gender oder aufwendiger fürBetroffene, im Alltag ihremAnspruch nachzukommen.So entsteht ein enormer Lei-densdruck. In den Häusernist es aber interessanterwei-se nicht besonders ordent-lich, auch weil die Betroffe-nen ihrem eigenen Zwangnicht mehr nachkommenkönnen. Es bleibt immermehr liegen, das Aufräumenwird aufgeschoben odersogar vermieden. In einerExtremform kann das auchzu messiemäßigen Erschei-nungen führen.

    Und dann gibt es ja noch die Menschen, die von Natur aus etwas unordentlicher sind ...Natürlich. Der Unterschiedzum krankhaften ist, dass esbei den meisten Menscheneinen Punkt gibt, an demman sich in der wachsendenUnordnung unwohl fühlt. Dieeinzige Lösung ist dann: Manräumt auf – und fühlt sichbesser.

    LottaWinter

    TIPPS ZUM AUSSIEBEN

    Die wichtigsten Hinweise der Auf-räumexpertin:3 Schere, Schlüssel, Mütze: AlleSachen haben einen festen Platz imHaus.3 Routine einbauen: Jeden Tagzehn Minuten, eine Stunde in derWoche oder einen anderen Zeitraumfür das Ordnung halten oder Sauber-machen fest einplanen.3 Frei halten: Fußböden sollten freigehalten werden. Auch auf Schränkesollte nichts gestapelt werden, wasauch im Schrank Platz hat. Zur Notlieber um- und aussortieren.3 Im Kleiderschrank: Mützen,Shirts und alles, was man jeden Tagbraucht, in Griffhöhe aufbewahren.Bettwäsche und Handtücher nachganz unten oder oben sortieren. Allesbeim Zusammenlegen an die Tiefeder Fächer anpassen.3 Handtaschen und Rucksäcke, dienicht täglich in Gebrauch sind, kön-nen ineinander gesteckt und so bes-ser verstaut werden. Das spartzudem Platz.3 Unordnung im Kinderzimmer:Den Nachwuchs an das Aufräumengewöhnen – etwa: Bevor es ins Bettgeht, die Spielsachen wegpacken.„Oft haben Kinder aber auch einfachzu viel Spielzeug für das Zimmer“,sagt die Expertin.3 Schreibtisch: Wenige Ablagefä-cher, und diese regelmäßig sortieren.Spätestens wenn das Fach voll ist.Papiere einscannen oder abfotogra-fieren und digital aufbewahren.

    GUTER TIPP: Sachen, die nicht täglich gebraucht werden, können im Schrank ineinander gelegt werden. Das spart Platz. Foto: Behrens

    „Aufräumen kann glücklich machen“HANNOVER. Eine aufge-räumte, saubere Wohnung –vielen ist das wichtig, man-che behaupten sogar, esmacht glücklich. Doch kannOrdnung wirklich Glücksge-fühle auslösen? Und wannwird daraus sogar Zwang?Die NP sprach mit Psycholo-gin Lotta Winter von derMedizinischen HochschuleHannover über den Sinn undUnsinn des Aufräumens.

    Macht Ordnung glücklich?Ordnung ist nicht für jedengleich wichtig. Das hängt mitden unterschiedlichenGrundbedürfnissen nachOrdnung und Kontrollezusammen, die bei jedemMenschen unterschiedlichstark ausgeprägt sind. Aberja: Aufgeräumt zu habenkann tatsächlich glücklichmachen.

    Warum ist das so?In der Regel geht es uns gut,wenn das Prinzip der Selbst-wirksamkeit greift, wenn wiruns also bestätigen, dass wiretwas können und etwasgeschafft haben. Greifen die-se beiden Faktoren, sind wirmeistens hinterher glücklich.Es tut gut zu merken: Ichhabe etwas drauf. Sogar inder Behandlung von anDepression erkrankten Men-schen werden diese Mecha-nismen genutzt, um Lustge-winn zu erfahren.

    Aber nicht jeder hat gleich viel Lustgewinn beim Aufräumen, richtig?Das hat damit zu tun, wie wirselber sozialisiert undgeprägt wurden. Ein sehrhohes Bedürfnis nach Ord-nung sehe ich oft bei Patien-ten besonders ausgeprägt,die selbst früher wenig davonerlebt haben, lange in unge-ordneten oder chaotischenVerhältnissen gelebt haben.

    Das Bedürfnis nach Ord-nung scheint zu wachsen – zumindest ist der Markt mit Büchern voller Aufräum-Tipps übersät. Eine der Bestseller-Autorinnen, Marie Kondo, hat jetzt sogar eine Netflix-Serie bekom-men, in der sie Wohnungen anderer Leute aufräumt.

    NPINTERVIEW

    aber dieser Anfang gemacht,wird das weitere Vorgehenzum Selbstläufer. Die Angstvor dem Papierberg ist oftgrößer als der Berg selbst.“

    Apropos Papierberg:Zahlreiche Schreibtische hatdie Aufräumerin schon inOrdnung gebracht. „Das isteinfach“, sagt sie. Zunächsttrenne man Berufliches undPrivates, bevor es zur inhalt-lichen Strukturierung geht(Versicherung, Bank, Steuerund weiteres). Die Blätterwandern entweder in eigeneOrdner oder werden einge-scannt und auf dem Compu-ter in digitalen Ordnernabgelegt – das spart Platzund erleichtert das Heraus-suchen.

    Doch wie bleibt der mühe-voll entrümpelte Schreib-tisch frei? „Indem ich mir einminimales Ablagesystemschaffe“, sagt Härter. „Mini-mal, weil: Je mehr Ablage-plätze ich habe, desto mehrlege ich hin.“ Ihr selbst reichesogar nur ein Ablagekastenals „Eingang“: „Einen Tag inder Woche setze ich mich hinund sortiere die Papiere dannein.“

    Sammlern von Magazinenoder Zeitschriften empfiehltHärter einen Korb oder Kas-ten: „Ist der Behälter dannvoll, wird aussortiert. DasPrinzip lässt sich auf vielesübertragen.“

    Klar sei es am einfachs-ten, alles wegzuwerfen, wasman nicht unmittelbarbraucht. Aber davon ist die57-Jährige kein Fan. „Da darfman auch nicht zu kritischmit sich selbst sein.“ Dasweiß sie aus beruflicherBeobachtung: „Viele Men-schen haben zunächstScheu, mich einzuladen undschämen sich für ihre Unord-nung. Wenn ich die Wohnungdann betrete, denke ich aberoft: So schlimm ist es dochgar nicht“, sagt sie und lacht.Etwas Unordnung ist dannmanchmal auch ganz in Ord-nung.

    Marie Kondo propagierteMethode, das Kleidungs-stück in ein schokoladenta-felgroßes Päckchen zu faltenund sie dann auf der langenKante ins Fach zu stellen,lehnt die Wunstorferin ab.„Die Kleidungsstücke fallenschlichtweg um, wenn nichtsdaneben steht. Stapeln las-sen sie sich so auch nicht.“

    Und noch mit einem ande-ren „Grundgesetz“ der Best-seller-Autorin geht sie insGericht: Laut Kondo solleman massiv ausmisten –indem man sich für jedenGegenstand fragt: Macht ermich glücklich? Härter: „Dasist übertrieben. Mich mussnicht jeder Alltagsgegen-stand glücklich machen!“

    Das massive Ausmistenerwarten auch die Kundender Wunstorferinhäufig: „Viele den-ken, die kommtjetzt und schmeißtalles weg“, sagtHärter. „Aberwarum sollte manetwas wegwerfen,wenn Platz dafürda ist?“

    Was man einJahr nichtgebraucht hat,kann weg, lautetetnoch eine Faustre-gel. Auch das lehntdie Aufräumerinab: „Ein Jahr ist für mich keinMaßstab. Ich habe oftSachen lange liegen gelassenund erst später gemerkt,dass ich sie wieder gebrau-chen kann“, sagt sie. „Undman darf sich auch Erinne-rungsstücke zugestehen,das gehört zum Leben dazu.“

    Häufig mangele es ihrenKunden nicht am Platz, son-dern an Kraft und Zeit, Ord-nung zu schaffen und zu hal-ten. „Viele sind berufstätig,haben Kinder, da bleibt meis-tens der Haushalt auf derStrecke.“ Härters einfacheGrundregel lautet deshalb:Disziplin ist das A und O.„Jeder schafft es, sich mor-gens die Zähne zu putzen.Wenn man zu dieser Disziplinfähig ist, kann man auch fürdie Ordnung Routinen in denAlltag einbauen – egal, ob einfester Termin in der Wochefür das Badezimmer oderzehn Minuten morgens fürdie Küche.“

    In schwereren Fällen sollteman sich allerdings auch maleinen ganzen Tag Zeit neh-men – etwa für das unterPapieren vergrabeneArbeitszimmer. Um eineGrundordnung zu schaffen,hilft nur: stupide die Papierezu sortieren. „Das ist eineSisyphusarbeit“, weiß Här-ter. Am besten sortiert manzunächst aus, was man nichtmehr braucht, dann kommtdie inhaltliche Ordnung. „Ist

    Das Bedürfnis nach Ordnung ist groß, das zeigt nicht nur der

    NetflixErfolg der japanischenAufräumExpertin Marie Kondo.

    NPRedakteur Simon Polreich sprach mit einer Psychologin

    über die Gründe – und ließ seinen Kleiderschrank von einer

    Aufräumexpertin aus der Region Hannover neu ordnen.

    Die neue Ordnungsliebe

    VOM FACH:Aufräum-ExpertinEdelgard Härterzeigte NP-ReporterSimon Polreich, wieOrdnung in denFächern desheimischenKleiderschrankseinzieht.Fotos: Behrens

    BESSER:Die schlampig

    gerolltenPullis legt die

    Expertin sozusammen,dass sie die

    Tiefe des Fachsausnutzen.

    Wenn ich eine Wohnung betrete, denke ich oft: So schlimm ist es gar nicht.EDELGARD HÄRTERAufräum-Expertin

    Hannover 15Neue PresseNr. 33 Freitag, 8. Februar 2019

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