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ONKOLOGIE heute 9/2018 UPDATE: THERAPIE DES REKTUMKARZINOMS 50 Beim Rektumkarzinom haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten erhebliche Fortschritte in der Thera- pie erreichen können. Die Sensibilisierung der Chirurgen für die korrekten anatomischen Schichten ei- nerseits und die multimodale Therapie führten zu einer signifikanten Reduktion der Lokalrezidivrate. Denn insbesondere das Lokalrezidiv bedingt eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität bei den Betroffenen. Neben der radikalen Therapie sind beim frühen Rektumkarzinom aber auch lokale Verfahren etabliert, die mit einer geringen Morbidität und bestmöglichem Erhalt der Funktion einher- gehen. Insgesamt sind bei der Therapie des Rektumkarzinoms drei wesentliche Aspekte zu berücksich- tigen: Die Onkologie, mögliche Komplikationen der Therapie und der Funktionserhalt in Bezug auf Sexualität und Kontinenz. Epidemiologie Definitionsgemäß sind Rektumkar- zinome bösartige Neubildungen, die 16 cm oder weniger von der Ano- kutanlinie liegen – gemessen mit ei- nem starren Rektoskop. Die Gruppe der Rektumkarzinome wiederum wird weiter unterteilt in Karzinome des oberen (12-16 cm), des mittle- ren (6 bis 12 cm) und des unteren Drittels (0 bis 6 cm) [1]. In Deutschland ist die Inzidenz der kolorektalen Karzinome insgesamt rückläufig seit Einführung der Vor- sorgekoloskopie. Stattdessen steigt die Inzidenz der Frühkarzinome und Adenome an [2, 3]. Die Inanspruch- nahme der Vorsorge ist insgesamt nicht so schlecht wie im Allgemei- nen kommuniziert, da viele Patien- ten aufgrund von Symptomen ko- loskopiert werden und damit in der Statistik der Vorsorge verloren ge- hen – faktisch aber wie zur Vor- sorge koloskopiert sind. Insgesamt erkrankten im Jahr 2013 60.580 Personen an einem kolorek- talen Karzinom in Deutschland, wo- von etwas weniger als die Hälfte auf das Rektum entfiel. Im gleichen Zeitraum starben 25.262 Erkrankte, was einer Sterberate von ca. 40 % entspricht [4]. Die meisten Rektumkarzinome tre- ten sporadisch auf. Zur Risikogrup- pe für das Auftreten eines Rektum- karzinoms gehören Verwandte von Patienten mit kolorektalen Karzi- nomen, nachgewiesene oder mög- liche Anlageträger für ein hereditä- res Karzinom und Personen mit ei- ner chronisch entzündlichen Darm- erkrankung. Diagnostik Aus dem Staging des Rektumkarzi- noms in Kombination mit dem All- gemeinzustand des Patienten, der individuellen Risikobereitschaft so- wie den Wünschen des Patienten ergibt sich die Therapie. Daher ist dem Staging und der Führung des Patienten ein hoher Stellenwert zu- zuordnen. Die Inhalte des Stagings sind in der 2017 aktualisierten S3-Leitlinie [1] vorgegeben. Zum lokalen Staging wird eine starre Rektoskopie zur Hö- henlokalisation durchgeführt. Die Endosonographie kann die Infiltra- tionstiefe besonders gut bei frühen Karzinomen differenzieren, das MRT erkennt die fortgeschrittenen Karzi- nome besser und kann insbesondere die Tumorabstände zu den Hüllfas- zien gut erkennen. Zur Suche nach Fernmetastasen sind die Abdomen- sonographie sowie das Röntgen des Thorax in zwei Ebenen empfohlen. In vielen Kliniken wird zur besseren Detektion und Dokumentation eine CT des Thorax und Abdomens statt der beiden vorhergenannten Unter- suchungen durchgeführt. Als Aus- gangsbefund für Verlaufskontrollen soll das CEA bestimmt werden. Zum Ausschluss eines Zweitkarzinoms soll eine Komplettierung der Koloskopie angestrebt werden. Falls das nicht möglich ist, muss diese nach einer Operation erfolgen. Da das lokale Staging die Tumorfor- mel vor Einleitung der Therapie be- stimmt, ist dessen Genauigkeit von entscheidender Bedeutung. Der En- doskopiker neigt reflexartig zur so- fortigen Biopsie bei Sichtung eines Prozesses bei der Koloskopie. Aller- dings könnte genau dieser „Reflex“ zu einem lokalen Overstaging füh- ren [5]. Daher könnte es zielführen- Die Therapie des Rektumkarzinoms im ständigen Umbruch Schiffmann L 1,2 1 Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Marburg 2 Universitätsmedizin Rostock, Abteilung für Allgemeine, Thorax-, Gefäß- und Transplantationschirurgie, Rostock CME

Die Therapie des Rektumkarzinoms im ständigen Umbruch · 2020. 2. 21. · Beim Rektumkarzinom haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten erhebliche Fortschritte in der Thera-pie erreichen

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  • ONKOLOGIE heute 9/2018

    UPDATE: THERAPIE DES REKTUMKARZINOMS50

    Beim Rektumkarzinom haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten erhebliche Fortschritte in der Thera-pie erreichen können. Die Sensibilisierung der Chirurgen für die korrekten anatomischen Schichten ei-nerseits und die multimodale Therapie führten zu einer signifikanten Reduktion der Lokalrezidivrate.Denn insbesondere das Lokalrezidiv bedingt eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität beiden Betroffenen. Neben der radikalen Therapie sind beim frühen Rektumkarzinom aber auch lokaleVerfahren etabliert, die mit einer geringen Morbidität und bestmöglichem Erhalt der Funktion einher-gehen. Insgesamt sind bei der Therapie des Rektumkarzinoms drei wesentliche Aspekte zu berücksich-tigen: Die Onkologie, mögliche Komplikationen der Therapie und der Funktionserhalt in Bezug aufSexualität und Kontinenz.

    Epidemiologie

    Definitionsgemäß sind Rektumkar-zinome bösartige Neubildungen, die16 cm oder weniger von der Ano-kutanlinie liegen – gemessen mit ei-nem starren Rektoskop. Die Gruppeder Rektumkarzinome wiederumwird weiter unterteilt in Karzinomedes oberen (12−16 cm), des mittle-ren (6 bis I 12 cm) und des unterenDrittels (0 bis I 6 cm) [1].

    In Deutschland ist die Inzidenz derkolorektalen Karzinome insgesamtrückläufig seit Einführung der Vor-sorgekoloskopie. Stattdessen steigtdie Inzidenz der Frühkarzinome undAdenome an [2, 3]. Die Inanspruch-nahme der Vorsorge ist insgesamtnicht so schlecht wie im Allgemei-nen kommuniziert, da viele Patien-ten aufgrund von Symptomen ko-loskopiert werden und damit in derStatistik der Vorsorge verloren ge-hen – faktisch aber wie zur Vor-sorge koloskopiert sind.

    Insgesamt erkrankten im Jahr 201360.580 Personen an einem kolorek-talen Karzinom in Deutschland, wo-von etwas weniger als die Hälfteauf das Rektum entfiel. Im gleichen

    Zeitraum starben 25.262 Erkrankte,was einer Sterberate von ca. 40 %entspricht [4].

    Die meisten Rektumkarzinome tre-ten sporadisch auf. Zur Risikogrup-pe für das Auftreten eines Rektum-karzinoms gehören Verwandte vonPatienten mit kolorektalen Karzi-nomen, nachgewiesene oder mög-liche Anlageträger für ein hereditä-res Karzinom und Personen mit ei-ner chronisch entzündlichen Darm-erkrankung.

    Diagnostik

    Aus dem Staging des Rektumkarzi-noms in Kombination mit dem All-gemeinzustand des Patienten, derindividuellen Risikobereitschaft so-wie den Wünschen des Patientenergibt sich die Therapie. Daher istdem Staging und der Führung desPatienten ein hoher Stellenwert zu-zuordnen.

    Die Inhalte des Stagings sind in der2017 aktualisierten S3-Leitlinie [1]vorgegeben. Zum lokalen Stagingwird eine starre Rektoskopie zur Hö-henlokalisation durchgeführt. DieEndosonographie kann die Infiltra-

    tionstiefe besonders gut bei frühenKarzinomen differenzieren, das MRTerkennt die fortgeschrittenen Karzi-nome besser und kann insbesonderedie Tumorabstände zu den Hüllfas-zien gut erkennen. Zur Suche nachFernmetastasen sind die Abdomen-sonographie sowie das Röntgen desThorax in zwei Ebenen empfohlen.In vielen Kliniken wird zur besserenDetektion und Dokumentation eineCT des Thorax und Abdomens stattder beiden vorhergenannten Unter-suchungen durchgeführt. Als Aus-gangsbefund für Verlaufskontrollensoll das CEA bestimmt werden. ZumAusschluss eines Zweitkarzinoms solleine Komplettierung der Koloskopieangestrebt werden. Falls das nichtmöglich ist, muss diese nach einerOperation erfolgen.

    Da das lokale Staging die Tumorfor-mel vor Einleitung der Therapie be-stimmt, ist dessen Genauigkeit vonentscheidender Bedeutung. Der En-doskopiker neigt reflexartig zur so-fortigen Biopsie bei Sichtung einesProzesses bei der Koloskopie. Aller-dings könnte genau dieser „Reflex“zu einem lokalen Overstaging füh-ren [5]. Daher könnte es zielführen-

    Die Therapie des Rektumkarzinomsim ständigen UmbruchSchiffmann L1,2

    1 Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Marburg2 Universitätsmedizin Rostock, Abteilung für Allgemeine, Thorax-, Gefäß- und Transplantationschirurgie, Rostock

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    UPDATE: THERAPIE DES REKTUMKARZINOMS 51

    der sein, bei einem malignitätsver-dächtigen Befund im Rektum zu-nächst das lokale Staging durchzu-führen und dann die Biopsie zu ent-nehmen, es sei denn, der Befundkann in toto abgetragen werden.Der Anteil der overstagten Patien-ten wird mit bis zu 20 % angenom-men [6, 7]. Um eine möglicherweiseschlechte postoperative Funktionabschätzen zu können, sollte dieSphinkter- bzw. Kontinenzfunktionbereits zu diesem Zeitpunkt evalu-iert und dokumentiert werden.

    Therapie

    In den von der DKG zertifiziertenDarmkrebszentren wird beim Rek-tumkarzinom die Therapie präthe-rapeutisch in der interdisziplinärenTumorkonferenz besprochen. In dieEmpfehlung geht neben dem Er-gebnis des Stagings auch der Allge-meinzustand und Wunsch des Pati-enten ein sowie zu berücksichtigen-deStudien.Füreinennormalgesun-den Patienten sind allgemeingülti-ge Empfehlungen in der Leitliniehinterlegt [1]:

    Lokale TherapieDas T1-low-risk-Karzinom wird lo-kal mit einer Vollwandresektiontherapiert. Dieses Karzinom ist de-finiert als ein T1-Karzinom mit gu-ter oder mäßiger Differenzierungohne Lymphbahninfiltration bei ei-nem Durchmesser von bis zu 3 cm.Bezüglich der Infiltrationstiefe inder Submukosa konnte in der letz-ten Leitlinie kein Konsens gefundenwerden. Sicher scheint jedoch zusein, dass die lokale Exzision beieiner sm1-Infiltration ausreichendist. Dabei wird die Submucosa inDrittel eingeteilt (sm1–3). Durch dieDefinition der Einteilung ist die In-filtrationstiefe also nur bestimm-bar, wenn die gesamte Submucosaauch im Präparat ist.

    In Abhängigkeit des Abstandes zurAnokutanlinie stehen verschiedene

    Resektionsmethoden zur Verfügung.So können tiefsitzende Karzinometransanal reseziert werden, Karzino-me ab 2−3 cm Abstand gut in TEM-Technik und höhere als FTRD. Bei derTEM handelt es sich um die trans-anale endoskopische Mikrochirur-gie, bei der mit einem Operations-endoskop transanal operiert wird.Die FTRD ist eine endoskopischeVollwandresektion. Der Defekt wirdzeitgleich zur Resektion mittelsOTSC-Clip verschlossen. Diese Me-thoden können selbstverständlichmiteinander kombiniert werden.Wichtig ist die R0-Resektion!

    Wenn sich in der histopathologischenUntersuchung wider Erwarten dochein höheres Tumorstadium oder eineschlechtere Differenzierung heraus-stellensollte, so istdiePrognosedurchdas zweizeitige Vorgehen im Falleeiner radikalen Nachresektion nichtverschlechtert. Falls der Patient dieseradikale Nachresektion dann ableh-nen sollte, so kann eine adjuvanteRadiochemotherapie erwogen wer-den [1].

    NeoadjuvanteRadiochemotherapie (RCT)Die Deutsche Rektumkarzinomstu-die von 2004 veränderte das thera-peutische Vorgehen nachhaltig [7].Durch die neoadjuvante Radioche-motherapie konnte die Lokalrezi-divrate halbiert werden. Allerdingszeigten Langzeitergebnisse dieserals auch der schwedischen und hol-ländischen Studien keinen Überle-bensvorteil durch die neoadjuvanteBehandlung. Die lokale Kontrollewird in allen lokalen Stadien verbes-sert, allerdings ist dieses erst ab uT3deutlich. Die präoperative Evaluati-on der Lymphknoten ist insgesamtmit einer Sensitivität zwischen 50und 80 % sowie einer Spezifitätzwischen 75 und 80 % unzurei-chend. Durch die konsequente Ver-besserung der chirurgischen Tech-nik infolge der Einführung und

    Schulung der Chirurgen in der An-wendung der TME ist der Anteil derBestrahlung an der Verhinderungdes Lokalrezidivs seit damals zu-rückgegangen. Der Abstand zurmesorektalen Hüllfaszie erscheintin Kombination mit einer gutenTME entscheidend zu sein und ge-winnt daher zunehmend an Bedeu-tung für die Indikationsstellung zurneoadjuvanten Radiochemothera-pie [8]. Eine radiale Infiltration indas perirektale Fettgewebe führt inder Kombination aus einem ausrei-chenden Abstand zur Faszie und ei-ner guten TME zu einer einem T1-Stadium vergleichbaren lokalen Re-zidivwahrscheinlichkeit.

    Die Leitlinie empfiehlt im Stadium IIund III die Durchführung der neo-adjuvanten Radiochemotherapie fürTumoren im unteren und mittlerenRektumdrittel. Im oberen Rektum-drittel kann bei einem entsprechen-den Risikoprofil (T4b-Karzinom) ei-ne neoadjuvante Radiochemothe-rapie erfolgen. In der aktuellen Fas-sung erlaubt die Leitlinie aber be-reits Ausnahmen von dem skizzier-ten Vorgehen. So kann bei uT1/2mit fraglicher Lymphknotenbeteili-gung oder bei einer limitierten In-filtration des Fettgewebes auf dieRCT verzichtet werden.

    Auch ist das Intervall zwischen Be-endigung der RCT und der Opera-tion nicht mehr allzu eng zu sehen.So kann im Falle der Sphinkterinfil-tration zum Zwecke des Downsta-gings bei einer 5x5 Gy-Bestrahlungdie Operation bis zu 12 Wochen he-rausgezögert werden, um einen op-timalen Effekt zu erreichen.

    Radikale chirurgische TherapieDie radikale chirurgische Therapiesollte nach Ausschluss von patien-teneigenen Kontraindikationen beiallen Tumorstadien ab einem T1-high-risk-Karzinom bis zu einemmetastasierten Stadium durchge-

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    führt werden. Im metastasiertenStadium ist entsprechend des Aus-maßes der Metastasierung und dersich daraus ergebenen Prognose einindividuelles Therapiekonzept fest-zulegen.

    In Abhängigkeit von der Lokalisati-on des Karzinoms, des Stagings undder präoperativen bzw. zu erwar-tenden Kontinenzleistung gibt esvier Standardoperationen:

    1. Die kontinuitätserhaltende ante-riore Rektumresekion mit partiel-ler mesorektaler Exzision (PME)für Tumoren des oberen Rek-tumdrittels.

    2. Die kontinuitätserhaltende tiefeanteriore Rektumresektion mit to-taler mesorektaler Exzision (TME)für Tumoren des mittleren Rek-tumdrittels sowie des oberen An-teils des unteren Rektumdrittels.

    3. Diekontinuitätserhaltendeultra-tiefe anteriore intersphinktäreRektumresektion mit totaler me-sorektaler Exzision unter Mitnah-me von Teilen des Beckenbodensund der oberen Sphinkteranteilefür Tumoren des unteren Rek-tumdrittels.

    4. Die Rektumexstirpation mit zylin-drischer Exzision und totaler me-sorektaler Exzision und Anlageeines endständigen Stomas.

    Diese Operationensvarianten erge-ben sich aus der Anatomie des Be-ckens und der Tumorausbreitung.Jeweils doppelt angelegte Faszienmit einer hauchdünnen dazwischen-liegenden bindegewebigen Schichtumgeben das Mesorektum undgrenzen es gegen die restlichen Be-ckenorgane ab. In dieser bindege-webigen Schicht erfolgt die Prä-paration (Spatium präsacrale undSpatium prärectale). Die Nerven ver-laufen jeweils in der vom Rektumentfernten Faszie, so dass diesebeim Präparieren in der richtigenSchicht und der entsprechenden

    Identifikation gut geschont werdenkönnen. Die Tumorausbreitung er-folgt zunächst innerhalb des Meso-rektums. Es konnten extramuraleSatellitenmetastasen bis zu 4 cmdistal des unteren Tumorrandes imMesorektum gefunden werden. Da-her reicht bei Tumoren im oberenRektumdrittel ein Abstand von 5 cmzwischen Tumorunterrand und Re-sektionsebene im Sinne einer PMEaus, bei Tumoren im mittleren undunteren Rektumdrittel muss aberimmer das gesamte Mesorektumentfernt werden (TME). Die intra-murale Ausbreitung der Tumoreandererseits ist gering, so dass eindistaler Sicherheitsabstand außer-halb des Mesorektums von 1−2 cmals ausreichend erachtet wird. DieExstirpation muss immer dann er-folgen, wenn auch diese Sicher-heitsabstände nicht mehr realisier-bar sind.

    Eine möglicherweise prognostizier-te schlechte Kontinenzleistung be-stimmt dann im Gegensatz zu denonkologischen Vorgaben im We-sentlichen die Art der Rekonstruk-tion und nicht die Art der Resektion.

    Die nächste Frage ist, ob das Abset-zen der A. rectalis superior unter-halb des Abgangs der A. colica sinis-tra onkologisch ausreichend ist odernicht. Onkologisch findet sich hierkein Unterschied, allerdings reichtdas Colon descendens bei belassenerA. colica sinistra in der Regel nichtmehr spannungsfrei zur Anlage derAnastomose in das kleine Beckenhinab, so dass bei kontinuitätser-haltenden Operationen in der Regelein hohes Absetzen der A. mesen-terica inferior erfolgt.

    Die Mobilisation der linken Flexurist ebenfalls ein obligater Anteilder Operation bei kontinuitätser-haltender Operation, um ein span-nungsfreies Herabziehen des Dar-mes zu gewährleisten.

    Bei den beiden TME-Varianten istdie Anlage eines protektiven Sto-mas obligat. Diesbezüglich habensich die Heidelberger Kollegen ver-dient gemacht [9]. Sie haben in ei-ner Studie untersucht, ob die Anla-ge eines protektiven Stomas einenEinfluss auf die Anastomoseninsuf-fizienz haben könnte. Die Studiemusste aufgrund der eindeutigenErgebnisse abgebrochen werden.37,5 % in der Gruppe ohne Stomahatten eine Anastomoseninsuffizi-enz, wohingegen nur 5,5 % in derGruppe mit einem protektiven Sto-ma eine Anastomoseninsuffzienzerlitten. Die sich anschließende Me-taanalyse erbrachte korrespondie-rende Erkenntnisse.

    Die nächste Frage ist, ob Patientenvon einer laparoskopischen Ope-ration profitieren und/oder ob sieeventuell sogar Nachteile durch einminimalinvasives Verfahren habenkönnten. Es wurden mehrere rando-misierte Studien mit dieser Frage-stellung durchgeführt. Die Ergeb-nisse zeigen, dass Rektumresektio-nen und Rektumexstirpationen si-cher laparoskopisch durchgeführtwerden können [10]. Am schlech-testen schneiden die Patienten ab,bei denen von einem minimalinva-siven zu einem konventionellen Ver-fahren umgestiegen werden muss.Diese Patienten scheinen allerdingsauch konventionell schwierig zuoperieren zu sein.

    Im aktuellen Fokus steht die Fragenach der Nervenschonung. Dass dieNerven geschont werden sollten,um eine optimale Funktion zu be-wahren, erscheint logisch und ein-leuchtend. Welches aber der besteWeg zur Nervenschonung ist, istderzeit Gegenstand aktueller Un-tersuchungen. Hierbei wurde derBegriff der NOME (Nerve OrientedMesorectal Excision) geprägt [11].Bei dieser speziellen Technik orien-tiert man sich an den Nerven und

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    UPDATE: THERAPIE DES REKTUMKARZINOMS 53

    nicht ausschließlich an den meso-rektalen Hüllfaszien. Eine Weiter-entwicklung ist das intraoperativepelvine Neuromonitoring, bei demdie Nerven nicht nur optisch ge-schont, sondern intraoperativ auchgemessen werden [12]. Inwieweitsich dieses System mittel- und lang-fristig aufgrund möglicherweisebestehender Vorteile durchsetzenwird, bleibt derzeit noch offen.

    Weitere offene Fragen sind die Mo-difikation der Technik durch eintransanales Vorgehen. Dieses Ver-fahren ist als taTME (transanaleTME) beschrieben [13]. Der Tumorwird von transanal identifiziert undmit einem Abstand von mehr als ei-nem Zentimeter wird der Darm vonendoluminal eröffnet. Der darüber-liegende Darm wird verschlossenundvontransanal indieTME-Schichteingegangen und nach proximalpräpariert. Dabei handelt es sichdann natürlich selbstredend für alleTumoren oberhalb des Beckenbo-dens immer um eine PME in unter-schiedlichen Höhen. Die oben ange-gebenen Operationstypen verlierendamit ihre Gültigkeit. Inwieweit die-ses zu onkologisch und oder funk-tionell besseren Ergebnissen führt,bleibt abzuwarten. Hier könnten dieoben beschriebenen Tumorsatelli-ten ein das Verfahren limitierenderFaktor sein. Für Tumoren unterhalbdes Beckenbodens könnte hier einVorteil bestehen, da eine definierteintersphinktäre Resektion erfolgenkann und dann auch die kompletteTME erfolgt. Ein definitiver Vorteilist die Operationszeitreduktion, dain zwei Teams von transanal und vonintraabdominell zueinander hinoperiert werden kann. Durch dieseAnwendung wird natürlich die Fra-ge nach der letztendlichen Verant-wortlichkeit der Operateure neudefiniert, da diese gleichwertig imTeam und nicht mehr alleine ar-beiten. Ob durch die Zeitreduktionüber die Freigabe des Operations-

    saals weiterreichende Vorteile er-zielt werden können, bleibt eben-falls abzuwarten.

    Eine weitere Frage ist die nach demEinsatz eines Operationsroboters.Zunächst muss natürlich mit derNomenklatur aufgeräumt werden.Beim Roboter handelt es sich nichtum ein selbstständig operierendes

    Gerät, sondern vielmehr um eineFernbedienung von laparoskopi-schen Instrumenten. Der Roboterwird an den Patienten angedockt,der betreuende Assistent verbleibtam Tisch und wechselt bei Bedarf In-strumente aus. Der Operateur sitztan der Konsole und bedient diese In-strumente. Die Instrumente beste-chen durch hohe Freiheitsgrade und

    Rektumkarzinom (bis 16 cm ab ACL)

    Verdacht auf das Vorliegen eines RektumkarzinomsStaging: – Komplette Koloskopie mit Biospie – bei unpassierbarer Stenose Vervollständigung 3 – 6 Monate

    postoperativ) – WICHTIG: Biopsie erst nach Endosonographie und MRT Becken!

    Was nicht komplett entfernt werden kann bleibt unangetastet! – digital rektale Untersuchung – Lebersonographie – Röntgen Thorax – CEA-Bestimmung – Endosonographie – MRT Becken

    Intraepitheliale Neoplasie, T1G1 Rektumkarzinom +/– Metastasen (Karzinomnachweis vor der Operation erforderlich) Im Falle der Metastasierung wird ein individuelles Therapie-konzept festgelegt

    Höhe des Karzinoms (Unterrand ab ACL mit dem Rektoskop)

    < 6 cmunteres Rektumdrittel

    Neoadjuvante RCT ab T3, N+ unabhängig von M

    Abstand zum Sphinkter < 1 cm oder Infiltration vor oder nach RCT?

    Tis Bei ausreichendem Sicher-

    heitsabstand und R0: Nachsorge, sonst Nach-

    resektion

    Bei neoadjuvanter RCT Komplettierung des postoperativen Chemotherapieanteils

    Sonderfall: Intraepitheliale Neoplasie, T1G1 Rektumkarzinom LOKALES VERFAHREN: En-Bloc Resektion in TEM Technik, u. U. auch als SMR wenn Histo fortgeschrittenes Stadium zeigt oder > SM2, dann NACHOPERATION,

    ansonstens Nachsorge.

    UICC INur Koloskopie als Nachsorge

    UICC II und IIIadjuvante RCT wenn nicht

    neoadjuvant behandelt Nachsorge entsprechend

    der Leitliinien

    UICC IVpalliative (R-) Chemothera-pie Überprüfung der (ggf. sekundären) Resektabilität

    ja

    Rektumexstirpation mit TME

    Bei bekannter isolierter Lebermetastasierung synchrone Resektion in Abhängigkeit vom AZ und Befall (Restgewebe), bei intraoperativem Verdacht Biopsie, Therapie ggf. als en-bloc Resektion unter Mitnahme weiterer Organe (Vorstel-

    lung präop. Tumorkonferenz), bei sehr fortgeschrittenem Befall und schlechtem AZ ggf. nur Stromaanlage

    (ultra-) tiefe anteriore Rektum-resektion mit TME

    HistologieMindestanforderungen: Tumortyp nach WHO-Klassifikation, Tumoinvasionstiefe (pT-Klassifikation),

    Status der regionären Lymphknoten (pN-Klassifikation), Anzahl der untersuchten Lymphknoten, Mindestanzahl der zu untersuchenden Lymphknoten, Grading, Abstand von den Resektionsrädern, L, V, R-Klassifikation

    anteriore Rektumresektion mit PME

    nein

    Neoadjuvante RCT ab T4 unabhängig von N und M

    6- < 12 cmmittleres Rektumdrittel

    12 – 16 cmoberes Rektumdrittel

    Abb. 1: Vereinfachtes Schema zur Behandlung des Rektumkarzinoms. Nicht darge-stellt sind die Behandlung im metastasiertem Fall und die Modifikationen in Bezugauf die Tumorinfiltrationstiefe in das Mesorektum sowie der Lymphknotenbefall imMesorektum. Die Einlassung zur Biopsie ist nicht allgemein anerkannt und nicht leit-liniengestützt.

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    Rotationsmöglichkeiten. Anderer-seits muss der Roboter beim Wechseldes Operationsgebietes wie z. B. derPräparation der linken Flexur undder Präparation im kleinen Beckenneu angedockt werden. Dadurchverlängert sich die Operationszeit.Weiterhin ist die Operation mit demRoboter derzeit noch erheblich teu-rer als die „konventionelle“ laparos-kopische Operation. Sich aus demEinsatz des Roboters ergebene über-zeugende Vorteile konnten bishernicht nachgewiesen werden [14].

    Als Paradigmenwechsel kann dieEinführung der cytoreduktiven Chi-rurgie (CRS) in Kombination mit derHIPEC (hypertherme intraperitone-ale Chemotherapie) im Falle einerPeritonealkarzinose angesehen wer-den. Dabei wird präoperativ dasAusmaß einer Peritonealkarzinoseabgeschätzt und auf jeden Fall int-raoperativ bestimmt. Hält sich dasAusmaß in Grenzen und alle mögli-cherweise vorhandenen weiterenMe-tastasen können potentiell ku-rativ reseziert werden, so werdenALLE sichtbaren Peritonealkarzinose-herde chirurgisch entfernt. Mögli-cherweise verbliebene mikrosko-pisch kleine Tumorreste sollen danndurch die hypertherme Chemothe-rapie abgetötet werden. Um dasAusmaß des intraabdominellen Tu-

    morleidens zu bestimmen, wird dasAbdomen in 9 Regionen zzgl. 4 Re-gionen für den Befall des Dünn-darms eingeteilt. Je nach Knoten-größe erhält jede dieser 13 Regio-nen einen Punktwert von 0−3, sodass sich ein Index (PCI: perito-neal carcinoma Index) zwischen 0und 39 ergibt.

    InStudienkonnte fürdaskolorekta-le Karzinom nachgewiesen werden,dass die Patienten mit einem PCIvon bis zu 19 Punkten von einer CRSund HIPEC profitieren [15]. Bei er-folgreicher CRS und HIPEC ist eintumorfreies 5-Jahresüberleben zwi-schen 20 % und 30 % zu erwarten.Selbstverständlich kann das Verfah-ren auch wiederholt angewandtwerden. Offen ist der Stellenwertdes Verfahrens zur Prophylaxe imFalle einer Tumorperforation odereiner T4-Situation am Peritoneumohne den Nachweis von Peritoneal-karzinoseherden. Vieles deutet aberdarauf hin, dass sich hier Vorteile er-geben könnten. Dieser Eingriff kanndann sogar laparoskopisch durch-geführt werden. Wichtig ist, daraufhinzuweisen,dasses sichbeiderCRSund HIPEC nicht um ein die adju-vante Therapie ersetzendes son-dern vielmehr um ein ergänzendesVerfahren im Rahmen der multi-modalen Therapie handelt.

    Ausblick

    Im Wesentlichen sind die bisherigenausgeführtenVorgehensweiseneta-bliert und entsprechen der Leitlinie.BeimRektumkarzinomistabervielesim Fluss und das bisher Aufgeführtemuss möglicherweise partiell in Fra-ge gestellt werden.

    Unbestritten ist, dass es durch dieOperation zu einer Verschlechterungder Kontinenzfunktion kommt. Durchdie zusätzliche Radiochemotherapie(neoadjuvant oder adjuvant) kommtes vermutlich zu einer weiteren Ver-schlechterung der Funktion. Diedann vorliegende Situation hat alsLARS (Low Anterior Resektion Syn-drom)Eingang indieLiteraturgefun-den. Demzufolge ergeben sich meh-rere Ansätze zur Verbesserung derSituation. Zum einen könnte mögli-cherweise auf einen Teil der Behand-lung verzichtet werden.

    Die im Rahmen der deutschen Rek-tumkarzinom-Studie operierten Pa-tienten wurden bis 1999 operiert.Inwieweit zu diesem Zeitpunkt tat-sächlich eine flächendeckende TMEdurchgeführt wurde, lässt sichschwer nachvollziehen. Durch dieflächendeckende Einführung vonzertifiziertenDarmkrebszentrenwirddas Präparat in Bezug auf die Voll-ständigkeit der TME durch den Pa-thologen nach Mercury beurteilt.Dabei wird zwischen einer komplet-ten TME (good), weitestgehend kom-pletten (moderate) und inkomplet-ten TME (poor) unterschieden. 95 %derPräparatemüsseneineguteodermoderate Qualität aufweisen. Be-reits 1993 konnte die Arbeitsgruppeum den britischen Chirurgen BillHeald nachweisen, dass die Lokalrezidivrate bei kompletter TME oh-ne den Einsatz der Radiochemothe-rapie unter 5 % betrug [16]. Dieseswar weniger als in der Gruppe derneoadjuvantbehandeltenPatientenin der deutschen Rektumkarzinom-

    Abb. 2: (A) Ein Rektumkarzinom vor neoadjuvanter Radiochemotherapie. Das Karzi-nom ist stenosierend wachsend und kann nicht mehr passiert werden. Die Endosono-graphie kann bei diesem Karzinom nur die aboralen Tumoranteile beurteilen. (B) Einder Endosonographie gut zugängliches Rektumkarzinom ebenfalls im mittleren Rek-tumdrittel (MRT in Abb. 3A).

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    UPDATE: THERAPIE DES REKTUMKARZINOMS 55

    Studie. Es wurde von der OCUM-Gruppe die Hypothese aufgestellt,dass bei vollständiger TME und ei-nem ausreichenden Abstand des Tu-mors bzw. der Lymphknoten vonden mesorektalen Hüllfaszien vonI 1 mm auf die Durchführung einerneoadjuvanten Radiochemotherapieverzichtet werden könnte bei Kar-zinomen im unteren und mittlerenRektumdrittel.

    Die jüngst publizierten Daten bestä-tigen das Konzept [8]. Von den 428nach Studienprotokoll behandeltenPatienten erhielten 254 aufgrund ei-ner Low-Risk-Konstellation eine al-leinige TME, 174 Patienten erhieltenbei einer HIGH-Risk-Konstellationeine neoadjuvante Radiochemothe-rapie gefolgt von einer TME. Im Fol-low-Up zeigten sich 3-Jahres- und5-Jahres-Lokalrezidivraten von 1,3und 2,7 % ohne Unterschied in bei-den Gruppen. Die Rate der Fernme-tastasierung und des tumorfreienÜberlebens unterschied sich signifi-kant zu Ungunsten der vorbehan-delten Gruppe. Die Autoren sehensich in ihrem Konzept bestätigt undschlussfolgern aus ihren Ergebnis-sen, dass sich die neoadjuvante Ra-diochemotherapie bei ca. 40 % derPatienten „einsparen“ lässt. Weiter-hin ist nicht mehr das Lokalrezidiv,sondern vielmehr das Fernrezidivzum adressierten Problem des Rek-tumkarzinoms geworden.

    Falls es zur Insuffizienz einer Anas-tomose kommen sollte, so kann die-se häufig gerettet werden. Im Falledes Verdachts auf das Vorliegen ei-ner Anastomoseninsuffizienz er-folgt die Endoskopie der Anasto-mose. Im Falle des Nachweises derInsuffizienz wird bei ausreichenddurchbluteten „Darmenden“ unddem Ausschluss einer generalisier-ten Peritonitis die Insuffizienz en-doskopisch lavagiert und zum Ab-saugen von Sekret sowie der Anre-

    gung der Granulation ein Polyure-than-Schwamm transanal einge-brachtundeinUnterdruckangelegt(Endoskopische Vacuumtherapie –EVT). Dieser Schwamm muss im Ver-lauf des Heilungsprozesses mehr-fach gewechselt werden. Wenn dieHöhle gut granuliert, kann die Be-handlung beendet werden. Im Falleeiner generalisierten Peritonitis istin der Regel die operative Explora-tion der Anastomose sowie der Peri-tonealhöhle notwendig [20].

    Ein weiterer neuer und komplettkonträrer Ansatz ist der Verzicht auf

    die Durchführung der Operationnach der Radiochemotherapie. Durchmoderne Bestrahlungstechniken inKombination mit einer Intensivie-rung der Chemotherapie stieg dieRate der Komplettremissionen anund das Prinzip von „Watch-and-Wait“ wurde geboren. Diesbezüg-lich hat sich die brasilianische Strah-lentherapeutin A. Habr-Gama ver-dient gemacht. Mehrere Studien be-schäftigen sich aktuell mit dem An-satz. Patienten mit einem lokal frü-hen Stadium (T1 und T2) werdennicht operiert, sondern vielmehr be-strahlt und das Ergebnis kontrolliert

    Abb. 3: MRTs von Patienten mit fortgeschrittenen Rektumkarzinomen vor neoadju-vanter Radiochemotherapie im mittleren (A) und unteren (B) Rektumdrittel. (C) zeigtein Karzinom im Rektumstumpf nach Anteriorer Rektumresektion wegen eines Karzi-noms im Bereich des rektosigmoidalen Übergangs einige Jahre zuvor. Die Patientinwurde symptomatisch wegen vaginaler Blutungen. Die Blutungsquelle war das T2Karzinom. Nebenbefundlich war noch eine hohe rektovaginale Fistel vorhanden.

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    [17–19]. Hier ergeben sich mehrereProbleme: Zum einen besteht dasProblem der Evaluation der Kom-plettremission und zum anderen dasder Nachsorge. Intraluminal erge-ben sich durchaus Anhaltspunkte fürein Lokalrezidiv und es besteht dieMöglichkeit der Entnahme von Pro-ben. Die extraluminale Situationlässt sich sehr viel schwerer evaluie-ren. Eine sichere Unterscheidungzwischen Narbe und Tumorrezidiverscheint mehr vom Wunsch als vonderRealitätgeleitetzusein.ObdieseTumoren dann während der Watch-and-Wait-Phase bereits metastasie-ren können und sich dadurch erheb-liche Nachteile ergeben könnten,bleibt Gegenstand der Forschung.Sicher ist, dass die Patienten im Falleeiner Nachresektion potentiell funk-tionell schlechter dastehen als diePatienten, die lediglich operiertwurden.

    Aber auch aus Sicht des kritischenChirurgen könnte durchaus eine In-dikation für das Verfahren beste-hen. Zum einen bei Patienten, dieein erhebliches operatives Risiko ha-ben und eine Operation unbedingtzu vermeiden ist. Zum anderen aberauch bei Patienten mit tief sitzendenRektumkarzinomen, bei denen eineExstirpation durchgeführt werdenmüsste. Zum einen könnte bei die-sen Patienten die Kontinuität erhal-ten bleiben, zum anderen erschei-nen diese Patienten der Nachbeo-bachtung durch den tiefen Tumor-sitz zugänglicher zu sein als Patien-ten mit höher sitzenden Tumoren.

    Zuletzt möchte ich die Aufmerksam-keit noch auf ein Problem lenken.Sollten alle Patienten operiert wer-den bzw. inwieweit profitieren tat-sächlich alle Patienten von einer Re-sektion des Primärtumors? Im Falleeiner multiplen inoperablen Metas-tasierung in mehrere Organe er-scheint dieses durchaus fraglich. Hierstellt sich die Frage, ob die Patienten

    nicht von einer Schienung des Tu-mors durch die Einlage eines Kolos-tents oder Anlage eines vorgeschal-teten Stomas mit anschließendemfrühzeitigen Beginns einer palliati-ven Therapie stärker profitieren.

    Die Aufarbeitung des Präparats hatsich inzwischen deutlich verbessert.Durch die zertifizierten Zentrenund die Vorgabe der DeutschenKrebsgesellschaft resp. Onkozertwerden inzwischen viele Parame-ter untersucht, dokumentiert undschließlich auch bewertet. Dadurchkommt es zum einen dazu, dass dieChirurgen mit adäquater Technik inden richtigen Schichten operierenund andererseits besteht eine ge-wisse Standardisierung der Aufar-beitung des Präparats. So müssendie aboralen, oralen und zirkumfe-rentiellen Abstände gemessen wer-den, die Qualität des TME-Präparatswird beurteilt und letztendlich derRegressionsgrad nach Dworak nachneoadjuvanter Therapie angege-ben. Die Anzahl der untersuchtenLymphknoten muss mindestens 12betragen. Diese sind insbesonderenach neoadjuvanter Therapie rechtklein und potentiell schwierig zufinden, so dass diese Anzahl einedurchaus prognostische Relevanzhat. Die Angabe der Lymphknoten-ratio (Anzahl der tumorbefallenenLymphknoten geteilt durch die An-zahl der untersuchten Lymphkno-ten) erscheint gegenüber der N-Kategorie des TNM-Systems keinenwesentlichen Vorteil zu haben. Diepathologische Tumorformel mussnoch durch die klinische Dokumen-tation von Fernmetastasen ergänztwerden.

    Die weitere Behandlung

    Die adjuvante und palliative Thera-pie ist inzwischen recht differen-ziert geworden, so dass diese in ei-ner eigenen Fortbildung abgehan-delt werden könnte und sollte. Hiersollen lediglich die Grundlagen um-

    rissen werden und die Vorgabender Leitlinie wiedergegeben wer-den.

    PostoperativZunächst die postoperative Situationohne neoadjuvante Radiochemothe-rapie. Im Stadium I soll nach R0-Re-sektion keine adjuvante Therapie er-folgen. Das Risiko eines Lokal- undFernrezidivs ist gering.

    Im Stadium II und III besteht die In-dikation zur Durchführung einerRadiochemotherapie im Falle einerRisikokonstellation. Diese bestehtbei einer R1/2-Situation, intraope-rativem Tumoreinriss, einen in dieAbsetzungsebene hineinreichen-den Tumor, einer schlechten TME-Qualität, Tumor-Budding, ab pT3c/doder pT3 im unteren Rektumdrittelund pN2. Bei pT1/2-pN1-Tumorenbesteht keine Indikation. In den an-deren Fällen im Stadium II und IIIsoll vielmehr eine adjuvante Che-motherapie durchgeführt werden.Die Basis für alle Chemotherapie-regimen ist weiterhin 5-FU, ggf. alsCapecitabine und in Kombinationmit weiteren Substanzen.

    Nach neoadjuvanter Radiochemo-therapie kann keine Empfehlungfür oder gegen eine adjuvante The-rapie ausgesprochen werden.

    MetastasierungIn der metastasierten Situationmüssen wieder mehrere Szenarienbetrachtet werden. Zunächst mussevaluiert werden, wie viel Therapieder Patient vertragen könnte. Da-nach sollte das primäre Therapie-ziel festgelegt werden: Für die Me-tastasen besteht eine primäre Re-sektabilität, eine potentielle sekun-däre Resektabiltät oder der Patientbefindet sich bereits in einer pal-liativen Situation. Soweit möglich,sollte bei primärer Resektabilitätund dem entsprechenden Zustanddes Patienten die Resektion ange-

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    strebt werden. Im Falle der nichtvorhandenen primären Resektabi-lität sollte eine möglichst effektiveChemotherapie durchgeführt wer-den, um ggf. sekundär eine Resek-tabilität zu erreichen. Die Thera-pieempfehlung sollte im Rahmeneiner Tumorkonferenz festgelegtwerden. Weiterhin sollten die Pa-tienten bei Veränderungen auchwiederholt in der Tumorkonferenzbesprochen und die Möglichkeitder Resektion immer wieder neuevaluiert werden.

    Vor der Wahl der Substanzen sollteder RAS- und BRAF-Mutationsstatusbestimmt werden sowie die Testungauf eine Mikrosatelliteninstabilitäterfolgen. Sollte es unter der Erstlini-entherapie zum Progress kommen,wird auf eine Zweitlinientherapieumgestellt. Die sekundäre Resekta-bilität sollte dabei stets im Auge be-halten werden.

    Bei Leber- und Lungenmetastasenkönnen auch lokal-ablative Verfah-ren ggf. auch in Kombination mitchirurgischen Verfahren angewandtwerden. Der Vorteil ist die Einfach-heit sowie die gute Wiederholbar-keit. In der Lunge sind diese lokalenVerfahren stark eingeschränkt an-wendbar, die Evidenzlage ist für dieLunge und Leber verbesserungsfä-hig und -würdig.

    Bei einer disseminierten Metasta-sierung in der Leber stehen auch lo-koregionär wirksame Verfahren zurVerfügung. Hier kommen insbeson-dere die SIRT (Selektive InterneRadioembolisation) und die intra-arterielle Chemotherapie der Leberzum Einsatz. In kleinen Studienkonnten gute Resultate erreichtwerden.

    Nachsorge

    Alle Patienten mit einem Karzinomdes Kolons und des Rektums habenein gegenüber der Normalbevölke-

    rung erhöhtes Risiko zur Entwick-lung eines metachronen Zweitkarzi-noms, so dass die Frequenz der en-doskopischen Tumorvorsorge ent-sprechend angepasst werden sollte.Da zum Zeitpunkt der Operation dasRisiko für ein synchrones Zweitkar-zinom ca. 5 % beträgt, muss die Ko-loskopie bei unvollständiger Dia-gnostik zum Zeitpunkt der Opera-tion zeitnah nachgeholt werden.

    Die Nachsorge erfolgt stadienab-hängig. Diese sollte prinzipiell wiebei allen Tumorerkrankungen abernur durchgeführt werden, wenn sichaus dem Ergebnis eine therapeuti-sche Konsequenz ergeben könnte.

    Im UICC-Stadium I ist die Gefahr ei-nes Tumorrezidivs als gering einzu-stufen. Es besteht daher keine ge-nerelle Empfehlung zu einer pro-grammierten Nachsorge. Im Falleder Risikokonstellation eines G3-oder G4-Tumors kann aber durch-aus von dieser Empfehlung abge-wichen werden.

    R0-resezierte Patienten im StadiumII und III sowie nach kurativer Resek-tion von Metastasen sollten nachdem angegebenen Schema nachge-sorgt werden (� Tab. 1).

    Hinzuweisen ist auf den Sonderfallder lokalen Resektion: Hier sind en-doskopische Befundkontrollen nach

    6, 24 und 60 Monaten in der Leitli-nie empfohlen. Da die Lymphknotennicht untersucht wurden, ist einehäufigere endosonographische undsonographische Kontrolle sicherlichauch eine vertretbare „Überdiag-nostik“ – unabhängig von der Kon-trolle des Restdarmes zur Detektionvon metachronen Zweitkarzinomen.

    Einen weiteren Sonderfall stellt dieTumorperforation in die Peritone-alhöhle dar. Hier wird bislang dieadjuvante Therapie empfohlen. DerStellenwert der prophylaktischenHIPEC muss noch evaluiert werdenund könnte zu einer Änderung die-ser Empfehlung führen. Konzeptio-nell wird allerdings alternativ aucheine programmierte Laparoskopiezur frühzeitigen Detektion einerPeritonealkarzinose nach sechs Mo-naten durchaus von vielen Prota-gonisten des Verfahrens empfoh-len.

    Zusammenfassung

    Das Rektumkarzinom ist ein häufi-ges Karzinom. Die zum Staging not-wendigen Untersuchungen sind gutdefiniert. Die Genauigkeit des Sta-gings ist weiterhin verbesserungsfä-hig. Neben der Onkologie findet zu-nehmend der Allgemeinzustand desPatienten, die Funktion des Konti-nenzorgans und die Wünsche desPatienten bei der Wahl der TherapieBerücksichtigung.

    Untersuchung Monate

    3 6 12 18 24 36 48 60

    Anamnese, körperliche Untersuchung, CEA X X X X X X X

    Koloskopie X X X

    Abdomensonographie X X X X X X X

    Rektoskopie (starr oder flexibel) X X X X

    CT X

    Röntgen Thorax X X X X X

    Tab. 1: Nachsorgeschema beim Rektumkarzinom im Stadium II und III nach der AWMF-Leitlinie [1]. Die CT-Untersuchung nach drei Monaten erfolgt als Ausgangsbefund zumVergleich mit ggf. später anzufertigenden Aufnahmen. Die Koloskopie nach sechs Mo-naten erfolgt nur, wenn keine vollständige Koloskopie präoperativ durchgeführt wur-de. Im Falle einer unauffälligen Koloskopie erfolgt die nächste nach einem 5-Jahres-Intervall.

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    PD Dr.Leif Schiffmann

    Über eine Periode von mehrerenJahren war die Therapie – basierendauf dem Ergebnis des Stagings –standardisiert mit den „Bausteinen“neoadjuvante Radiochemotherapie,operative Versorgung und ggf. ad-juvante Therapie. Durch die Verbes-serung der chirurgischen Techniktritt das gefürchtete Lokalrezidivseltener auf und der Beitrag derneoadjuvanten Radiochemotherapiezur Verhinderung des Lokalrezidivsist zurückgegangen. Die Empfeh-lungen der Leitlinie sind wesentlichkomplexer geworden. Aber auch diechirurgische Technik wird weiterverfeinert und modifiziert. Ande-rerseits gibt es aber auch Konzepte,die gänzlich auf die Radiochemothe-rapie setzen unter Vermeidung ei-ner operativen Komponente.

    Vermutlich werden alle hier vorge-stellten Konzepte in speziellen Situ-ationen umgesetzt werden.

    Fazit für die Praxis

    Um für den Patienten die optimaleTherapie umsetzen zu können, istdas korrekte Staging und die Kennt-nis der Wünsche des Patienten not-wendig. Hier sind zum einen dieindividuelle Risikobereitschaft inBezug auf die Onkologie und dieFunktion genannt. Die Wahl derTherapie wird in der Zukunft nichtleichter, sondern eher komplizierterwerden aufgrund der sich eröffnen-den multiplen Therapieoptionen.

    Literatur:1. Leitlinienprogramm Onkologie (deut-

    sche Krebsgesellschaft, DeutscheKrebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Kolo-rektales Karzinom, Langversion 2.0,2017, AWMF Registrierungsnummer:021/007OL, http://www.leitlinienpro-gramm-onkologie.de/leitlinien/kolo-rektales-Karzinom [abgerufen am2.1.2018]

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    Korrespondenzadresse:PD Dr. med. Leif SchiffmannBereichsleitung kolorektale ChirurgieUniversitätsklinikum Gießen undMarburgStandort MarburgKlinik für Visceral-, Thorax- undGefäßchirurgieBaldingerstrasse35043 [email protected]

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