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Die Wertungstheorie der Steuer ~ Von Emil Sax Ein schwedischer NationalSkonom, an der Universit~t in Lund lehrend, hat Ende 1919 in einer beachtenswerten, die Revision der Steuertheorie bezweckenden Schrift bezeugt ~, dab seit der zweiten H~lfte der achtziger Jahre eine neue Richtung der Finanzwissenschaft durch die Arbeiten zweier Autoren angebahnt wurde, welche ,,ungef~hr gleichzeitig, doch unabh~n- gig voneinander, die ersten Versuche einer kausalen Erkl~rung der 5ffent- lichen Wirtschaft marhten" dutch ,,Anwendung der Gesetze des wirt- schaftlichen Wertes auf das finanzielle Gebiet" und ,,durch die neuen Ge- sichtspunkte, insbesondere in Italien, den Impuls zu einer reichhaltigen finanztheoretischen Literatur gaben, die zwar nicht streng einheitlich ist, abet sich doch im ganzen in der von den beiden Grundlegern angegebenen Richtung bewegt". Als diese werden Sax und De Viti de Marco ge- nannt a. Pantaleoni hat ebenfalls den Gedanken der Anwendbarkeit der neuen Wertlehre auf das Finanzwesen gefaBt und ihn als erster ausge- sproehen, jedoch ohne ihn zu einer fSrmlichen Theorie auszugestalten 4. Die Neuorientierung lag offenbar in der Entwicklungslinie tier Wirt- schaftswissenschaft, wofiir spricht, dab klangvolle Namen der italienischen Fachliteratur sich ihr anschlossen, wie: Ricca-Salerno, Graziani, Einaudi -- um nur diejenigen anzufiihren, welche die neue Richtung am entschiedensten aufnahmen. In Deutschland und Osterreich hat sic keine Verbreitung gefunden; aus Griinden, die nicht in ihr selbst gelegen sind. x Diese Abhandlung wird gleiehzeitig in italienischer Spraehe von Giornale degli Economisti in Rom verSffentlieht. 2 Erik Lindahl: Die Gerechtigkeit der Besteuerung. Eine Analyse der Steuerprinzipien auf Grundlage der Grenznutzentheorie. S. 21. 3 AuBer inhaltlichen Differenzen zeigen die Sdariften der Genannten haupt- s~,hlich den Unterschied, dab De Vitis ,,ll earattere teorieo dell' economia fi- nanziaria", 1888, vorerst nut ein Programm darstellt, w~ihrend Sax: Grundle- gung der theoretischen Staatswirtschaft, 1887, schon die Skizze einer Liisung bietet (ira folgenden als ,Grundlegung" zitiert). Das letztbezeichnete Buch ist in der BibIioteca dell' Eeonomista, 5. Serie XV, unter dem Titel Princlpii teoretici di economia di Stato erschienen. 4 Der betreffende Essay: Contributo alla teoria del riparto delle spese pubbliche ist bereits im Jahre 1883 in einer Finanzzeitschrift erschienen (wie es seheint, ohne yon den Theoretikern beachtet worden zu sein) und ist in den Scritti varii, 1. Serie 1904, abgedruckt.

Die Wertungstheorie der Steuer

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Die Wertungstheor ie der Steuer ~ Von

Emil Sax

Ein schwedischer NationalSkonom, an der Universit~t in Lund lehrend, hat Ende 1919 in einer beachtenswerten, die Revision der Steuertheorie bezweckenden Schrift bezeugt ~, dab seit der zweiten H~lfte der achtziger Jahre eine neue Richtung der Finanzwissenschaft durch die Arbeiten zweier Autoren angebahnt wurde, welche ,,ungef~hr gleichzeitig, doch unabh~n- gig voneinander, die ersten Versuche einer kausalen Erkl~rung der 5ffent- lichen Wirtschaft marhten" dutch ,,Anwendung der Gesetze des wirt- schaftlichen Wertes auf das finanzielle Gebiet" und ,,durch die neuen Ge- sichtspunkte, insbesondere in Italien, den Impuls zu einer reichhaltigen finanztheoretischen Literatur gaben, die zwar nicht streng einheitlich ist, abet sich doch im ganzen in der von den beiden Grundlegern angegebenen Richtung bewegt". Als diese werden Sax und De V i t i de M a r c o ge- nannt a. P a n t a l e o n i hat ebenfalls den Gedanken der Anwendbarkeit der neuen Wertlehre auf das Finanzwesen gefaBt und ihn als erster ausge- sproehen, jedoch ohne ihn zu einer fSrmlichen Theorie auszugestalten 4.

Die Neuorientierung lag offenbar in der Entwicklungslinie tier Wirt- schaftswissenschaft, wofiir spricht, dab klangvolle Namen der italienischen Fachliteratur sich ihr anschlossen, wie: R i c c a - S a l e r n o , G r a z i a n i , E i n a u d i -- um nur diejenigen anzufiihren, welche die neue Richtung am entschiedensten aufnahmen. In Deutschland und Osterreich hat sic keine Verbreitung gefunden; aus Griinden, die nicht in ihr selbst gelegen sind.

x Diese Abhandlung wird gleiehzeitig in italienischer Spraehe von Giornale degli Economisti in Rom verSffentlieht.

2 Erik L indah l : Die Gerechtigkeit der Besteuerung. Eine Analyse der Steuerprinzipien auf Grundlage der Grenznutzentheorie. S. 21.

3 AuBer inhaltlichen Differenzen zeigen die Sdariften der Genannten haupt- s~,hlich den Unterschied, dab De Vit is ,,ll earattere teorieo dell' economia fi- nanziaria", 1888, vorerst nut ein Programm darstellt, w~ihrend Sax: Grundle- gung der theoretischen Staatswirtschaft, 1887, schon die Skizze einer Liisung bietet (ira folgenden als ,Grundlegung" zitiert). Das letztbezeichnete Buch ist in der BibIioteca dell' Eeonomista, 5. Serie XV, unter dem Titel Princlpii teoretici di economia di Stato erschienen.

4 Der betreffende Essay: Contributo alla teoria del riparto delle spese pubbliche ist bereits im Jahre 1883 in einer Finanzzeitschrift erschienen (wie es seheint, ohne yon den Theoretikern beachtet worden zu sein) und ist in den Scritti varii, 1. Serie 1904, abgedruckt.

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Der einzige Adolf Wagner war einsiehtsvoll und vorurteilsfrei genug, den wissenschaftliehen Charakter der Neuerung zu erkennen und anzuerken- nen, konnte abet yon ihren Ergebnissen innerhalb seines Systems erkl~r- licherweise keinen Gebraueh maehen. In Italien hat sieh indes eine Gegen- str5mung herausgebitdet, die von der politischen Seite, die dem Steuer- wesen und fiberhaupt der Finanzt/itigkeit eigen ist, den Ausgang nahm, um die Stiehh~ltigkeit der neuen Auffassung anzuzweifeln oder minde- stens einzuschr/inken. Die Vertreter dieses Standpunktes: Mazzola, Co- n igl iani , Roneali , Gr iz io t t i , Lolini , ferner Murray , Borgat ta , letztere unter starkem Einflusse Paretos , iiben s/imtlieh an der neuen Riehtung Kritik; in positiver Hinsieht, das ist hinsiehtlieh der von ihrer Pr/imisse fiir die Finanztheorie zu gewinnenden Ergebnisse, geht abet jeder seinen eigenen Weg.

Bei jenen Kritiken ist die 5konomisehe Finanztheorie, wie sie in der ,Grundlegung" niedergelegt ist, einerseits MiBverst/indnissen ausgesetzt gewesen, anderseits aber geben sie in einem wiehtigen Punkte die Anre- ~mang zu einer RidatigsteUung, die innerhalb des logisehen Gefiiges der Lehre zu vollziehen war, ja yon diesem geradezu erfordert ist. Es ist daher vielleieht angezeigt, zum Zweeke des Vergleiches die Theorie in dieser verbesserten Gestalt noehmals vorzuf/ihren, wobei die Besehr~nkung auf den Kernpunkt, die Steuerdoktrin, die erwiinsehte Kiirze der Darstel- tung ermSglieht.

Zu riehtiger Wiirdigung der Theorie ist es jedoeh unerl/il]lieh, die wis- sensehaftliehen Voraussetzungen, auf welehen sie beruht, im Auge zu be- halten. Diese miissen daher in raschem ~berblicke vorangestellt werden. Nicht Neues soll hier gelehrt, sondern Bekanntes angef/ihrt werden, das die Basis der Theorie gebildet hat.

Methodologische und soziologische Voraussetzungen Der Drang nach Fortschritt zielte dahin, die wirtschaftliche Seite dec

Staatst~tigkeit als Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung in die all- gemeine Theorie der NationalSkonomie einzubeziehen, was die wissen- schaftliche Erfassung der Volkswirtschaftspolitik und des Finanzwesens im Sinne der reinen Theorie bedeutet.

Entscheidend fiir die Neuerung war eine ~nderung des Standpunktes, yon welehem aus die Wirtschaftswissenschaft bis dahin den Staat ins Auge gefaBt hatte. Sie hatte ihn als eine auBerhalb der Wirtschaft stehende Macht angesehen, die als ,,Sffentliche Gewalt" in das Getriebe der gesell- schaftlichen Wirtschaft eingreift und es beeinfluBt nach wirtschaftlic~en Zweckm~Bigkeitsrficksichten oder nach Motiven, welche anderen Lebens- gebieten entnommen sind, und auBerdem ffir die Zwecke ihrer Wirksam- keit aller Art eine eigene Wirtschaft fiihrt, indem sie die erforderlichen Giiter den Privatwirtschaften vorenth~lt oder ihnen nach Riid~sichten der Klugheit und Gerechtigkeit enmimmt. Diese Macht bride ein Eigenwe- sen, das, unterscheidbar von den StaatsangehSrigen und ihrer Gesamtheit, ein selbst~ndiges Leben ffihrt und Zweckhandlungen ausfiihrt, die diesem

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dienen. Bei realistischer Betrachtung des Menschendaseins muBte marl je- doch dessen inne werden, dab es doch nur die je in einem konkreteu Staats- verbande vereinten Menscken sein k5unen, die bestimmte Zwecke setzen und die Ausfiihrungshandlungen vornehmen: Zwecke, zu denen sie eben nur infolge der AngehSrigkeit zu dam Verbande motiviert werden, und dal3 sie in dieser Hinsicht dem allgemeinen 5konomischen Grundverhiilt- nisse unserer Existenz in gleicher Weise uuterworfen sein miissen wie in den ~uBerungen ihres Individuallebens. Damit war die Einsicht gewonnen, daft in der Staatsbet~tigung der Volkswirtschaftspflege und des Finanz- weseus im Grunde wirtschafttiehe Vorgiinge vorliegen, mittels dereu die in dem Verbande zusammengefaBte Menschenmenge aus inneren Griinden der Okonomie uud nach den Gesichtspunkten eben dieser sich selbst bet~tigt. Es ist freilich unverlcennbar, dal3 die Gesamtheit der Verbundenen gegen- fiber einzelnen ihrer Mitglieder als handelndes Subjekt auftritt, also unterscheidbar yon jedem einzelnen, somit auch yon allen zusammen, diese als Summe gedacht. Aber die Realit~t der Dinge besteht doeh darin, dab dieses Subjekt aus einer Vielheit bestimmter Einzelwesen sich zusammen- setzt, die unter gewissen Voraussetzungen sich zu einem Gesamthandeln gegenfiber einzelnen aus ihrer Mitre bestimmt finden. Die Motivation dieses Gesamthandelns aber quillt aus einem geistigen Zusammenhange, der das Ergebnis einer Reihe yon Ursachen ist, welche die Sozialwissen- schaft aufzeigt. Die NationalSkonomie, das Gebot der wissenschaftl,:chen Arbeitsteilung befolgend, macht sich die Ergebnisse der Sozialwissen- schaft uutzbar, um sie auf ihrem eigenen Gebiete welter zu verfolgen.

Die Soziologie ist bekauntlich eine junge Wissenschaft. Zwar haben sdmn Denker des Altertums die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen in die zwei sich wechselseitig bedingenden Lebensgebiete ge- schieden, die wir mit den Namen des Individualismus uud des Kollekti- vismus bezeichnen, und schon friihzeitig wurde als das Wesen des letzte- ten erkannt die Zusammenfassung yon Menschenmengen zu Gruppen nfit einheitlichem Ffihleu und Wollen, aus welchem Gesamthandlungen entspringen, die gemeinsameu Lebenszweckeu gelteu. Doch erst neuere Untersuchungeu auf positiv-wissenschaftlicher Grundlage haben den Ent- wicklungsgang anniihernd aufgehellt, durch welchen aus den persSnlichen Beziehungen der Menschen der Urzeit, die naturgem~13 auf dem Familien- bande und der Blutsverwandtschaft beruhten, umfassendere Zusammen- h~uge in aufsteigender Stufenfolge sich herausbildeten, bis schlieBlich aus der urspriiuglichen Kampfgeuossenschaft des Volksstammes der Staat als allgemeinster Verbaud mit inhaltlich reicher Lebensfiihrung erwuchs. Sol- daerart sind an Stelle der frfiher gepflegten rechtsphilosophischen und geschichtsphilosophischen Spekulation fiber das Wesen, die Entstehung und Wirkungsweise des Staates realistische Erkenntnisse getreten, gewon- nen durch Analyse, die auch fiir die kollektivistischen Gebilde von den Individuen als den Elementen ausgeht, oder -- vielleicht besser gesa~ -- auf sie zurfickgeht. Dal3 sich die Untersuchung der Eigenschaften an- schtieBt, welche das Aggregat als solches zeigt, ist selbstverst~i.ndlieh.

Die Zurfickffihrung der KoItektivt~itigkeit auf die Individuen ist nicht so zu verstehen, dab das Individuum an jeder einzelnen konkreten Handlung

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unmittelbar beteiligt sein mfisse, sondern in dem Sinne, dab die Indi- viduen dutch den Kollektivismus zueinander in ein Verhgltnis tretem zufolge dessen der einzelne auch passiv in die LebensiiuBerung des Ganzen sich verflochten sieht. Right or wrong, my country! sagt der Engliinder: Ob es recht oder unrecht ist, was die Verbandsorgane im einzelnen Falle getan haben, ich stimme zu als Verbandsmitglied, wenngleich ich nicht persSnlich mitgewirkt habe 1!

Im Sinne der Soziologie vorgehend, ist auch bei der Analyse der soziaP ~konomischen Erseheinungen vom Individuum auszugehen, und dies fiihrt zu Ergebnissen, die fiir wichtige Schliisse die Grundlage abgeben. Es driingt sich im Geiste dieser Methode von selbst auf, dab die sozial- 5konomisehen Beziehungen der Menschen zueinander unter dem Drueke der beschr~nkten ~ul3eren Lebensbedingungen sich in die Richtlinien des Egoismus, Mutualismus und Altruismus sondern. Aus diesen ergibt sich eine ~eihe sozialSkonomiseher Grundverh~ltnisse, deren Erfassung auch flit die allgemeine Sozialwissensehaft eine Mehrung der Einsichten be- deutet. AuBerdem iiben jene Beziehungen, die als Motivation wirtschaft- lieher Handlungen sich zwischen den AngehSrigen der kollektivistisehen Verb~nde ihrem Wesen nach genau so wiederfinden miissen, wie sie in den freien individuellen Beziehungen unverkennbar sind, auf die wirt- schaftliehe Durehfiihrung der Staatszweeke durch die aus den Einzel- wirtschaften entnommenen Giiter einen bestimmenden Einflul3. Das wird klarzulegen sein, und es bildet dieser Naehweis einen wesentliehen Bestand- tell unserer Lehre 2.

I Man hat an der Konzeption des ,,Kollektivismus" in der Darstellung der ,,Grundlegung" Anstol] genommen: man fand sie zu unbestimmten Sinnes. Ein gewisser Mangel an Bestimmtheit r'fi_hrt indes daher, dab dem Worte eine zwei- fame Bedeutung zukommt. Es ist einerseits eln Sammelname fiir das Gesamt- gebiet der einschl~gigen Sozialerscheinungen und den Ursachenkomplex, aus dem sie hervorgehen (vereinzelte Redewendungen, wie: ,,Trieb", soziale ,Grund- kraft", sind nicht als kausale Erklgrung gedacht), anderseits ein Name fiir die Motivation, welche der einzelne dutch die ZugehSrigkeit zum Verbande empf~.ngt. In tetzterem Sinne ist es in dem Satze des Textes oben gebraucht. Was aber die Unbestimmtheit des Begriffes anbelangt, so ist das Erscheinungsgebiet selbst in der Tat hinsichtlich des Umfanges nicht mit haarscharfer Genanigkeit abzugren- zen. Es stellt eine Entwiddung dar, die sich in ~berg~ngen vollzieht, indem all- m~hlich dutch das Aufkommen iibereinstimmender Lebensanschauungen und gleicher Interessen zwischen bestimmten Menschenmengen Gemeinsamkeitsgefiihle hervorgerufen werden, die einerseits, zuerst im Kreise persSnlicher Beriihrung erwachsen, in steigendem MaBe sich in die Weite ausbreiten und anderseits mit den Fortschritten der Lebensfiihrung und der Technik zur. Ausdehnung der Ge- meinschaft anf zunehmend umfassendere Zweckgebiete fiihren. Nur gegeniiber dem Staate zeigt sich eine Z~sur zufolge des spezifischen Merkmals, das diesem eigen ist.

2 Es sei erlanbt, auf die die Vorbereitung der ,Grundlegung" bildende Schrift ,Das Wesen und die Aufgaben der Nationa|Skonomie. Ein Beitrag zu dan Grundproblemen dieser Wissenschaft", 1884, hinzuweisen. In der dort gebotenen Analyse (der wohl auch die Unvollkommenheit eines ersten Versuches anklebt) ist mithin eine der Wurzeln unserer Theorie zu suchen.

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Hervorragend wichtig ffir die Staatswirtschaft werden die Erkennt- nisse, welche die Sozialwissenschaft uns in betreff der spezifischen Natur und Wirkungsart des Staates vermittelt. Diese stellt sich dar als eine dutch die Technik des Zusammenwirkens einer Vielzahl yon Individuen zu gemeinsamen Zwecken bedingte Organisation, die in dem Verh£1tnisse der Oberordnung und Unterordnung besteht. Wie Wahrnehmung und einiges Nachdenken lehren, kann dieses Verh~lmis nut auf Uberlegen- heit der einen fiber die andern beruhen, und zwar zumeist, aber nicht immer, auf der Uberlegenheit einer Minderheit -- zuweilen selbst eines einzigen, der aber immer nut als Exponent seiner Klasse wirksam wird. Die Beschaffenheit und der Ursprung dieser (Jberlegenheit kann ver- schiedenartig sein, ihre Geltendmachung setzt ihre Anerkennung voraus. Dieser Sachverhalt in seinen vielf£1tigen Erseheinungen bildet bekannt- lich einen viel erSrterten Punkt in den Untersuchungen der Sozialwissen- schaft, die aus der Beobachtung der menschlichen Natur und aus den Tatsachen der Geschichte ihre Schlfisse zieht. Eine weitverbreitete Ansicht geht dahin, dab die Unterordnung jeweils durch einen siegreichen Kampf erzwungen wird, in dem sich eben die Oberlegenheit einer bestimmten Kategorie yon Individuen bew£hrt. Eine andere Ansicht erklKrt dies als unzul~sige Verallgemeinerung und stellt ihr die Individuation als st£ndig wirkende Ursache k~irperlicher und geistiger Differenzierung entgegen. Ohne nEher darauf einzugehen, wozu uns auch die Kompetenz mangelt, genfigt es fiir unseren Zweck, das Ergebnis der bezfiglichen Feststellun- gen in den Satz zusammenzufassen, ein wesentliches Merkmal des Staates bestehe in der Ausfibung einer Herrschaft yon seiten bestimmter Volks- elemente fiber die anderen, die fiber das Mittel des Zwanges gegen Ver- bandsmitglieder ffir Sieherung der Verbandszwecke verfiigt. Der Zwang erstreckt sich auch auf das wirtschaftliche Gebiet, und dieser Umstand bezeichnet einen Unterschied yon anderen kollektivistischen Gebilden wie zum Beispiel Nationalit~it, Glaubensgemeinschaft, die eine inhaltlich be- schr£nktere, personell lose geistige Gemeinschaft bleiben und die Mit- glieder gegebenenfalls nur in ihrer Privatwirtschaft beriihren. Die Ver- ffigbarkeit des Zwanges hebt aber selbstverst~ndlich die 5konomische Gebundenheit der kollektivistischen Zwecksetzungen in keiner Weise auf.

Als Resultierende der individuellen Willen und der verschiedenen Interessen ergibt sich unter Einwirkung der KolIektivgeffihle jeweils ein labiler Gleichgewichtszustand zwischen den Bestrebungen der Herrschenden und der Beherrsehten, in dem sich die staatliche Willensbildung in Hin- sicht auf bestimmte staatliche Bet~tigung £ul3ert.

Die Einsicht in diese Vorg~nge, welche die Sozialwissenschaft uns erSffnet, hat ffir die Wirtschaftswissens(haft eine pr~judizielle Konse- quenz. Es ist ersichtlich, dab fiir die Staatswirtschaft die jeweiligen kon- kreten staatlichen Zwecksetzungen ein Gegebenes sind und es daher ein verfehltes Beginner* war, sie aus wirtschaftlichen Erw~gungen erkl~iren zu wollen. Die Staatswirtschaftstheorie hat nur die Aufgabe, die Vor- g~nge der 5konomisehen Durchfiihrung der staatlichen Zwecksetzungen aufzuhellen, und das ist eben der Inhalt der Finanztheorie. Nur eine ge- wisse Kategorie yon staatlichen BetKtigungen bedarf der wirtschafflichen

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Erkl~rung, n~mlich diejenigen, welche die Wirtschaft selbst zum Objekte haben. Das sind die Akte jenes ,Eingreifens" in die Privatwirtschaft, yon denen oben die Rede war und die tats~ichlich erfolgen, soweit die wirtschaftlich-technischen Voraussetzungen fiir solche gegeben sind, wenn die Verbandsmitglieder im Gesamturteile dem konkreten Staate den Beruf und die Eignung hiefiir zuerkennen. Die allgemeine Voraussetzung ist, dab die Absicht vorliege, dutch Bet~tigung des Staates mit seiner Zwangs- gewalt ein hSheres MaB yon Kollektivnutzen zu erreichen als dasjenige~ welches die in den Tauschbeziehungen jedem fiir sich erwachsenden Nutzen zusammen ergeben. Das tritt ein, wenn auf die Wohtfahrtszust~inde yon Wirtschaftssubjekten Bedacht genommen wird, die ohne den persSnlichen und zeitlichen Zusammenhang durch das kollektivistische Band nicht in Betracht k~men 1. Eine Theorie der in Rede stehenden staatswirtschaft- lichen Bet~tigung hat somit zum Vorwurf, die 5konomisch-technischen Voraussetzungen und die ffir die Verbandsmitglieder maBgebenden Be- stimmungsgrfinde solcher Bet~tigung in allgemeiner Gestaltung aufzu- zeigen. Daraus lassen sich eine Anzahl typischer F~lle soleher Akte ab- leiten, denen gegeniiber dann die praktische Politik Abweichungen in Ziel und Mittel aufweisen kann, welche die besonderen Umst~nde des bestimmten Landes zu gegebener Zeit an die Hand geben. Das ist die Theorie der Volkswirtschaftspflege oder wirtschaftlichen Verwaltung. Von dieser soll im folgenden nicht welter die Rede sein ~.

Die eingangs erw~hnten Finanztheoretiker der politischen Richmng sehen als das im Staate handelnde Subjekt nicht die Gesamtheit der StaatsangehSrigen, sondern die Gruppe der im Staate die Herrschaft ffihrenden Individuen an. Dieser schreiben sie einen kollektiv geltend gemachten Egoismus als einzige Richtschnur ihres Handelns zu, und sie erkt~ren konsequent auch die Finanzt~tigkeit als AuBerungen dieses Klassenegoismus. Demnach lehren sie, dab die Herrschenden nicht nur die yon ihnen ausgehenden Zwecksetzungen des Staates zu ihrem Vor-

1 Diese Unterscheidung des Kollektivnutzens im Sinne yon addiertem Er- gebnis der individuatistischen T~tigkeit der Verbandsmitglieder in ihren Sonder- wirtschaften von dem Gesamtnutzen, der zufolge Einbeziehung der kollektivisti- schen Zusammenhiinge in den Kalkfil resultiert, hat P a n t a l e o n i in einer ebenso scharfsinnigen als geistreichen Ausfiihrung klargestellt (Cenni sul conceito di massimi edonlstici individuali e collettivi. Giornale degli Econ. 1891, Scr~tti varii, 1. Serie). Die Tragweite dieser Erkenntnis beschr~nkt sich keineswegs auf das Finanzwesen, sondern beriihrt hauptsiichlich das eben in Rede stehende Gebiet der Staatswirtschaft.

2 Der Inhalt dieses Teiles der Staatswirtschaftslehre ist in dem Buche ,,Die Verkehrsmittel in Volks- und Staatswirtschaft", zweite, neu bearbeitete Auflage, ffir dieses eine Gebiet des Wirtschafts- und Soziallebens dargestellt, und zwar im 1. Bande, der ,,Allgemeinen Verkehrslehre", abstrakt-deduktiv, in Band 2 und 3, in welchen die einze]nen Arten der Transport- und Kommunikationsmittel be- handelt sind, in konkreter Gestaltung. Die allgemeinen Lehrs~tze (1. Band, S. 115 ft.) gelten nicht bloB ffir dieses eine Gebiet allein, sondern sind der Anwen- dung auf alle iibrigen Gebiete f~hig. Sie beriihren sich mit dem vorerw~hnten Gedankengange Pan ta l eon i s , jedoch in selbst~ndiger Konzeption, wie eine Vergleichung orgibt.

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teile gestalten, ohne Riieksicht durauf, ob die Beherrschten darunter leiden oder nicht, sondern auch die Beschaffung der zur Durchfiihrung tier beschlossenen Mal3nahmen erforderlichen Mittel den Beherrschten auf- biirden, sei es ganz, sei es wenigstens zum iiberwiegenden Teile, und nur so welt auf die wirtschaftliche Lage der letzteren Riicksicht nehmen, als sie etwa eine ungiinstige Riickwirkung auf die eigene oder eine gewaltsame Auflehnung gegen ihre Herrschaft besorgen.

Beschriebe diese Schilderung eine Tatsache yon allgemeiner Geltung und bSte sie ein genaues Bild der Wirkliehkeit, dann g~ibe es im Finanz- wesen keine staatswirtschaftlichen Handlungen, sondern nur Gewalthand- lungen, da die Staatseinnahmen und -ausgaben lediglic,h durch die tat- s~ichliehe Stii.rke der Macht und die tats~ehlichen Ergebnisse ihrer An- wendung bestimmt wiirden: einer Theorie der Staatswirtsehaft w~re der Boden entzogen. Demgegeniiber mul3 man doch fragen: Ist es fiberhaupt mSglich, sich der 5konomischen Gebundenheit auf irgendeinem Lebens- gebiete zu entziehen? Und w~re ein Bestand des Staates auf dieser Grand- lage auf die Dauer mSglich? Wir verneinen die Frage und meinen, dab dem kollektiv geltend gemachten Egoismus der herrschenden Volksele- mente die Grenze gesetzt sei, Abweichungen vom wirtschaftlich richtigen Handeln herbeizufiihren, welche zwar die wirtschaftliehe Entwicklung in gewissem MaBe hemmen, selbst Verkiimmerung breiter Volksschichten bewirken kSnnen - was sich bei der Lebensdauer von Staaten auf l~ingere Zeitr~ume erstrecken kann - , aber Reaktion auf seiten der Betroffenen hervorrufen, die ~ul3erstenfalls sich schlieBlich in staatlichen Umbildun- gen oder Umw~ilzungen entl~dt. Wit erblicken daher in der erwiihnten These eine Einseitigkeit. Die Tendenz der Ausbeutung der Macht in dem erw~hnten Sinne zugegeben, so steht ihr doch einesteils das Staa.tsgefiihl der Herrschenden entgegen, die sich in der Regel mit dem Staate identi- fizieren, somit ihrem Sondervorteile nur so welt nachstreben, a.ls sich mit dem Gedeihen des Verbandes, von dem ja ihr eigenes Wohl abh~ngt, ver- einigen l~Bt, und es ist anderseits der Widerstand der Beherrschten wirksam, der durch das Auftreten erleuchteter, altruistisch gesinnter Wortfiihrer gen~hrt und politisch zur Geltung gebracht wird. Und ist nicht in jenen Sch~digungen geradezu ein Entwicklungsmoment zu er- kennen, indem durch sie der Ansporn zur Ausgleichung der Machtver- h~iltnisse im Staate gegeben erscheint, der schlieBlieh zur Vertretung aller Interessen in den staatlichen Verfassungseinrichtungen fiihrt? Zum schi~rf- sten Ausdruck gelangt die bezeichnete Einseitigkeit, wertn die Behauptung aufgestellt wird, das Finanzwesen sei iiberhaupt nur Sache der Politik; wirtschaftstheoretische Erkl~rungsversuche seien daher Ideologie. Viel- !eicht kann man die Verfeehter jener Ansicht zu Zeugen gegen sich selbst anrufen. Das Vorgehen der herrschenden Klasse wird yon ihnen, wenn- gleich sie es wissenschaftlich nur als Tatsache behandeln wollen, doeh als etwas zu Tadelndes verstanden: als etwas, was nieht sein sollte. Damit wird das, was sein sollte, als das Riehtige vorausgesetzt. Worin besteht letzteres? Da die Wirtschaft in Frage kommt, offenbar in wirtschaftlichem Handeln! Die Einr~umung, dab die Verteilung der ,,iiffentlichen Lasten" nach dem Maehtgebote die ~berlasteten wirtschaftlieh sch~digt, schlieflt

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dodl die Erkenntnis ein, daB die richtige Bestimmung nach wirtschaft- lichen Gesichtspunkten erfolgt. Indes weist man der Wirtschaft doch nicht durchwegs so schroff die Tiir. Vielmehr sagt man, dab im Finanzwesen die politische Seite vorwiege, oder man erkliirt, dal] beide, die politische und die wirtschaftliche Seite, in Betracht kommen. Das bringt einleuch- tenderweise die Frage mit sich, wie welt denn die eine Seite der andern in der Praxis das Gegengewicht biete? An Klarheit fiber diesen doch ent- scheidenden Punkt gebricht es aber. Einer der erw~hnten Schriftsteller analysiert die Erscheinungen nach beiden Seiten getrennt und versucht dann eine Synthese der gewonnenen Ergebnisse, Damit kommt er schliel]- lich zu dem Konklusum, dab das Bestreben der herrschenden Klasse, die Last der 5ffentlichen Ausgaben auf die Beherrschten zu wiilzen, ,begrenzt und geziigelt werde durch die T~tigkeit der letzteren, die vorwiegend 5konomischen Charakter hat ''l. Der Satz l~Bt sich ohne weiteres um- kehren: die Finanzt~tigkeit geht im Sinne der Beherrschten nach wirt- schaftlichen Gesichtspunkten vor sich, soweit nicht die herrschende Klasse Abweichungen davon durchsetzt. Damit ist abet doch wohl der Boden flit eine LSsung gewonnen. Die staatswirtschaftliche Theorie daft jene ~uBe- rungen des kollektiven Egoismus allerdings nicht iibersehen 2, aber sie erscheinen ihr methodologisch als ,,StSrungen", deren Wirkungsgrad yore tats~ichlichen AusmaBe abh~ngt. Damit ist nicht gesagt, dab sie Neben- sache seien, vielmehr bilden sie in dem gesamten Ursachenkomplexe der einschlggigen Erscheinungen ein wichtiges Moment. Aber sie sind ein Moment, das gegenfiber dem Allgemeinen der wirtschaftlichen Erscheinung nur konkret zur Geltung gelangt und daher der wissenschaftlichen Er- forschung in derselben Weise zu unterziehen ist wie die andern Besonder- heiten, welche zusammen das Konkrete der Erscheinungen ausmachen.

Wirtschaftstheoret ische Voraussetzungen

Die prinzipielle Anschauung, dab in Hinsicht auf die Kollektivzwecke die Individuen dem 5konomischen Grundverh~ltnisse unserer Existenz in gleicher Weise unterwoffen sein mfissen wie in ihrem Eigenleben, hatte fiir die Wirtschaftstheorie eine zwingende Konsequenz. Diese besteht in der These, da~ die allgemeinen Erscheinungen der Wirtschaft in beiden Gebieten die gleichen sind, dab also die Begriffe und Gesetze, mittels weleher wit in der gedanklichen Effassung die Ffille dieser Erscheinungen unserem Geiste vermitteln, in der Staatswirtschaft in gleicher Weise gelten miissen wie in der Privatwirtschaft. Die gleiche Wesenheit bedingt jedoch keineswegs aueh gleiche Erscheinungsformen, und es bet sich daher zu- n~chst die Aufgabe (in der an sich ein Hauptreiz der theoretischen Denk- weise gelegen ist), unter der Hfille des Verschiedenartigen den gleichartigen

1 Murray : Principal fondamentali di scienza pura delle finanze. Saggio dl un' organica sistemazione teorica delle dottrine finanzlarie nel loro duplice aspetto politico-economico, 1914, S. 311.

Sie wurden auch in der ,,Grundlegung" nicht fibersehen, vielmehr hervor- gehoben (§ 26, S. 161; § 82, S. 521), nut vielleioht nicht nachdriiddid~ genug.

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Kern zu erkermen. Das ergab eine bestimmte Anforderung an die Theorie, tier vor allem zu entspreehen war, ehe ein befriedigendes Ergebnis gew~r- tigt werden konnte. Die 5konomisehen Grundbegriffe und Grundgesetze waren bis dahin aus den Erscheinungen der Privatwirtschaft abgeteitet worden. Dabei konnte es gesehehen, dab Besonderheiten als Allgemein- heiten aufgefat]t wurden, die erwiihnten Denkbehelfe demnaeh, wie man sagen kann, eine privatwirtsehaftliehe F~rbung erhielten. Es galt daher vor allem anderen zu untersuchen, ob und inwieweit solches in der Tat der Fall gewesen sei und welehe Korrekturen demnaeh an den beziigliehen Lehren anzubringeu seien, um sie zu einer Allgemeinheit zu erheben, die ihnen fiir beide Gebiete der Wirtsehaft Geltung verleiht.

Der Zweck war dadurch zu erreichen, dab der Menseh, als Wirtsehafter der Natur allein gegeniiberstehend ins Auge gefaBt, yon den sozialen Beziehungen hingegen zun~ehst abgesehen wurde. In der Synthese finden dann die sozialSkonomisehen Erseheinungen ihren Platz.

Von den theoretisehen Konsequenzen dieses Vorgehens sei die wieh- tigste als Beispiel angefiihrt. Die herkSmmliche Wirtsehaftstheorie bezieht die Dienstleistungen in den Gutsbegriff ein, wodurch Beziehungen des Mensehen zur ~ufleren Natur und Beziehungen der Menschen zueinander als gteiehe Dinge behandelt werden. Das ermSglichte es -- und wurde wohl aueh dadureh veranlal~t --, dal3 die Vorg~nge der Dienstvergiitung dureh Anatogie der Preisbildung tier Waren unter Konkurrenz yon Angebot und Naehfrage erkliirt werden konnten. Die Analogie ist freilich nieht in alle Einzelheiten zu verfolgen; es treten Unstimmigkeiten zutage, da wichtige Aussagen, die fiir Saehgiiter gelten, auf die Dienste keine Anwendung zu- lassen, aber die Analogie geniigte reeht und schlecht fiir den bezeichneten Zweck. In der Staatswirtschaft liegen die Dinge anders, hier sind der Versehmelzung der Dienstleistungen mit dem Gutsbegriff theoretische Konstruktionen entsprossen, an welehen die Logik AnstoB nehmen mull Solchen ist dutch Festlegung des (wirtsehaftliehen) Gutsbegriffes auf ,,Saehgiiter" ein Ende bereitet.

Da die Staatswirtschaft der Gegenwart die vollentwickelte Privat- wirtsehaft voraussetzt und die beiden Seiten der Wirtsehaft einander bedingen, so mul3ten aber auch die Erscheinungen der Privatwirtsehaft in ihren allgemeinen Zusammenh~ngen so welt verfolgt werden, als zum Verstiindnis ihrer Weehselbeziehungen zur Staatswirtschaft notwendig er- sehien.

Die gewonnenen obersten Begriffe bezeichnen die Erscheinungen, in welchen die Triebfedern des wirtschaftlichen Handelns mit bezug auf die yon der Natur gebotenen Mittel enthalten sind. AIs solche erkennen wir ,,Bedfirfnis" und ,,Wert", in letzteren die ,Kosten" als Werterscheinung einbezogen verstanden. Die Wirtschaftshandlungen vollziehen sich durch die seelischen Vorg~nge, die sich bei jedem menschlichen Handeln abspie- len. Die ,,Grundlegung" ist ein Versuch, die Psychologie in dieser Rich- tung fiir die NationalSkonomie nutzbar zu machen. Seine Unvollkommen- heir, soweit nicht der Verfasser an ihr Schuld tri~gt, ist dem damaligen Stande der Wissenschaft zuzuschreiben. Immerhin war schon damals die

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Erkenntnis gesichert und konnte zum Ausgangspunkt genommen wer- den, dab das Gefiihl als das wesentlich Wirksame in den Handlungen an- zusehen ist. In der Zeit, welche seither verflossen, sind bedeutende Fort- schritte gemaeht vorden, tells in der Psychologie selbst -- die sich inzwi- schen viel mit Weft und Wertung besch~ftigt hat --, tells dutch monogra- phische Arbeiten, welche die Anwendung auf die Votkswirtschaftstheorie bezielten 1.

Die Vertiefung der Erkenntnisse durch die erw/ihnten Fortschritte hat zu einer auf allgemeiner i3bereinstimmung beruhenden endgiiltigen LSsung zwar noeh nicht gefiihrt, was auf abweichende psychologische Grund- anschauungen zuriickzufiihren ist. Immerhin abet i s t ein gewisser Ein- klang der Ansichten in einem Sinne festzustellen, der eigentlich yon der in der ,,Grundlegung" vertretenen Lehrmeinung nicht sehr verschieden ist. Demnach erblicken wir im ,,Bedfirfnis" das mit dem Streben nach Erreichung unserer leiblichen und geistigen Lebenszwecke (Wohlfahrt) notwendigerweise verbundene Begehren nach den in beschr~i~nktem Mal3e gegebenen /~uBeren Mitteln (Giiter), und im ,,Wert" eine auf der Ab- hKngigkeit konkreter Bediiffnisbefriedigungen je yon bestimmten Giitern beruhende gefiihlsm~iBige Beziehung des Wirtschaftssubjektes zu eben diesen Giitern 2.

F/Jr die Wortfassung vorstehender Definitionen war das Bemiihen um grSBte Kiirze des Ausdrucks maBgebend, was der sprachlichen Form und vielleicht der Pr£zisierung des Begriffsinhaltes nicht gerade fSrderlich war. Zur Erl~iuterung nut folgende Bemerkungen. Die Wertung der Giiter ist eine ,,fibertragene", abgeleitet yon der Wertung der Lebenszwecke, die durch die betreffenden Giiter erreidlt werden. Diese letztere Wertung ist ein origin/it seelischer Vorgang, seine Erkl~rung Sache der Philosophie. Diese ,,prim~iren Werte" sind fiir die Wirtschaft ein Gegebenes, die Wirt- schaftswissenschaft hat sich mit ihnen nicht zu befassen. Sie kommen fiir uns nu t als relative in Betracht. Man kSnnte die Obertragung der Seh/itzung yon den Zwecken auf die Mittel als eine unmittelbare anneh- men. In diesem Falle wiirde das Bediirfnisgefiihl als Zwischenglied weg- fallen. So 1/iBt sich eine Lehrmeinung auffassen, deren Inhalt in den Schlul3 zu fassen ist: Das Werten besteht im Vorziehen des einen gewerte-

1 Diese Fortschritte, soweit der Verfasser sie sich als Lesefr/ichte angeeignet hat, sind in seinem Buche ,,Der Kapitalzins, kritische Studien", Abschnitt ,,Bediirfnis und Weft im Lichte der Psychologie" dargostetlt und fiir das spe- zielle Thema der Untersuchung verwertet. Das Buch ist w~hrend des Krieges (1916) in Berlin erschienen.

2 Der sprachliche Ausdruck, welchen diese Beziehung bei den Theoretikern gefunden hat, kann zu MiBverst~ndnis ffihren. Man nennt sie ,,Grenznutzen", mret~ final oder marginal utility, ofelimit& In dieser Wortfassung kann sie oberfl~chlichem Denken als eine Eigenschaft der Giiter erscheinen, was jede Er- kenntnis der Natur der Erscheinung ausschlieilt. Schliet]lidl ist dasselbe yon dem Namen ,Wert" zu sagen. Mit Riicksicht hierauf empfiehlt es sich yon ,Wertung" anstatt yon Wert zu sprechen. Dem steht freilich entgegen, dab solche Abstrakta in unseren Denkgewohnheiten so alteingelebt sind, dab wit sie in der Rede sehwer entbehren kiinnen.

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ten Dinges gegenfiber dem andern. Man zieht ieweils unter gegebenen Um- stiinden die Erreichung eines bestimmten Lebenszweckes vor der Errel- chung eines andern. Demgem~B zieht man auch ein Gut, yon dessen Besitz und Verwendung die Erreichung des erstgedachten Zweckes ab- h~ngt, einem Gute vor, welches dem anderen Zwecke dient.

Dem ist jedoch Ausschlaggebendes entgegenzuhalten. An die Wertung der Zwecke schlieBt sich zun~chst das Streben nach Erreichung der Zwecke durch die Mittel der AuBenwelt an: eben das Bediirfnis. Dieses Streben qualifiziert sich als Gefiihls~uBerung. Eine bekannte philosophische Grund- ansehauung will das durch den Hinweis darauf erweisen, dab hierin nur ein Fall des allgemeinen, dem Menschen innewohnenden Strebens naeh Lust und Vermeidung yon Unlust vorliege. Es ist klar, dab ffir den, der diese Meinung vertritt, die Qualifikation des ,,Bediirfnis" als Gefiihl eo ipso entschieden ist. Eine andere Ansicht geht dahin, dab Lustgeffihle zwar nicht das Ziel unseres Zweckstrebens sind, wohl abet eine Begleit- erscheinung, die mit dem Begehren tier Zweckerreichung in irgendeiner kausalen Verbindung steht, fiber welche die Psychotogen sich ihre Meinung zu bilden haben. Auch damit ist in dem Begriffe ,,Bediirfnis" das Geffihl eingeschlossen. Zufolge dieser Qualifikation erscheinen die Bediirfnisse als Seelenzust~nde gleicher Art, die sich nur quantitativ, da~ ist durch die St~irke des Begehrens nach Befriedigung, die yon der Wertung der beziig- lichen Zwecke abh~ngt, unterscheiden.

Die Wirksamkeit der Bediirfnisse als Motivation von Wirtschafts- handlungen ist nicht zu bezweifeln. Mit Bezug auf ein gegebenes Gut entscheidet der Wirtschafter fiber seine Verwendung lediglich mit Rfick- sicht auf das st~rkste der in Vergleich kommenden Bediirfnisse, ein iiber- tragener Giiterwert kommt hiebei gar nicht in Frage.

Mit solch einfacher Sachlage ist abet bekanntlich die Wirtsehaft nicht ersehSpft. Vielmehr sieht der Mensch sich genStigt, die in der Natur vor- handenen beschr~nkten Mengen tedmisch nutzbarer Stoffe in dem den verschiedenen Lebenszwecken jeweils dienlichsten Verh~iltnisse zu verwen- den. ttier tritt nun der Giiterwert in Funktion. Wird ein Stoff unter dem bezeichneten Gesichtspunkte ins Auge gefaBt, so wird die eben durch ihn gesicherte Bediirfnisbefriedigung im Wege der Assoziation dem Geiste gegenw~rtig. Infolgedessen ist dem wirtschaftenden Menschen die- ser Bestandteil der AuBenwelt fortab nicht gleichg~iltig, sondern wird ein Gegenstand, dessen Gewinn ihm Freude, dessert Verlust Leid bereitet, da er auf das Mittel das Gefiihl iibertr~gt, welches der Zweck anregt. Bei Giitermengen, die aus gIeichen Teilen bestehen, ergibt sich beziiglich der Abh~ngigkeit der einzelnen Zwecke von bestimmten einzelnen dieser Gut- stficke ein Sachverhalt, den bekanntlich die Grenznutzentheorie erfaBt hat. Soweit er Platz greift, kann man den Giiterwert als fibertragenen Grenznutzen bezeiehnen. Nach der St~rke des Wertgefiihles zieht der Menseh unter den jeweils vortiegenden Umst~nden ein Gut dem andern vor, und darin ~uBert sich eben das Quantit~tsverh~ltnis, in welchem der Menseh die versehiedenen Stoffe als Gfiter nutzt. Dieses Quantit~tsver- h~ltnis wird ebenfalls Weft genannt.

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Zu der Darstellung in der ,,Grundlegung" ist noch eine Erg/inzung not- wendig, die gerade mit Rfieksicht auf die Formverschiedenheit, welche die begrifflich bezeichneten Erscheinungen in der Staatswirtschaft zeigen, wiehtig erscheint. In jener Darstellung ist, in dem Bestreben, die psycho- logische Begriindung der 5konomischenBegriffe zu erweisen undzubeto- nen, die Wirksamkeit des Gefiihls in den Vordergrund gestellt und dieser gegenfiber die Wirksamkeit der Reflexion nicht ausdrfieklich hervorgehoben. Die auf der Erkenntnis des Kausalzusammenhanges zwischen den Lebens- zwecken und den in der ~uBeren Natur in beschr~nktem MaBe verfiigbaren Mitteln beruhenden Geffihlsregungen des Bediirfnisses und des Gfiter- wertes sind sicherlich als die urspriinglichen Motive des wirtschaftlichen Handelns anzuerkennen. Es iibt aber auch die Reflexion, ausgehend yon der Erfahrung fiber die Folgen der emotionellen Handlungen, auf die nach- folgenden Handlungen EinfluB. Sie gewinnt mit der vorschreitenden gei- stigen Entwicklung, best~irkt dutch Erziehung und Unterricht, fiber die Geffihlsimpulse die Oberhand, bis letztere schlieBlich im regelm~Bigen Verlaufe des allti~glichen Wirtschaftens in das UnterbewuBtsein zuriick- gedr~ingt sind. Mit Bezug auf das Bediirfnis kSnnen wit das im plan- m~iBigen Handeln des ,,Haushalts" dutch die Verteilung einer bestimm- ten Giitersumme (Einkommen) auf die verschiedenen Verbrauche nach dem Grade ihrer Notwendigkeit und Erwfinsehtheit t~glich in unz~ihligen F~illen best~itigt sehen. Das gleiche findet beim Werte statt, nur in minder durchsidatiger Weise. Zun/iehst bietet jedem einzelnen das im Gedi~cht- nis bewahrte, bei frfiheren Wirtschaftshandlungen zutage getretene Quan- tit£tsverh~Itnis bestimmter Gfiter den Anhalt bei neuen F~illen. Dazu tritt nun aber in der Wirtschaft der Wirklichkeit die Einbeziehung in deu Tausehverkehr. Durch diesen wird das als Resultierende der in ihm sich kreuzenden Individualwerte zum Vorschein kommende Quantit~tsverh~ilt- nis der Gfiter fiir jeden ira Verkehr Stehenden verbindlich, so dab er es seinen Wirtschaftshandlungen zugrunde legen muB, solange nicht eine ~mderung dutch ~nderung der subjektiven Werte bzw. der diese bedingenden wirtschaftlichen Umst/inde eintritt. Da alle Giiter gegen- einander umsetzbar geworden sind, so kann man sie im Gelde ~ouf eine Einheit zuriickfiihren, derart, dab alle diese Qantit£ts- verhiiltnisse durch Zahlen dieser Einheit ausgedrfickt werden. In den Verh£1tnissen dieser Zahlen ist der Wert der Gfiter unserem Geiste gegenw/~rtig. Dadurch wird der Wert rechenbar. Rechnen bil- det sicherlich den denkbar grSBten Gegensatz zu Gefiihlsregungen, und niemand wfirde ohne Einsicht in diese genetische Entwicklung die ur- sprfingliche Erscheinung in den Erscheinungen unseres Alltaglebens wie- dererkennen. Die Reflexion erstreckt sich aber auch auf Handlungen ande- rer Personen, und as ist daher klar, dab sie im kollektivistischen Lebens- gebiete eine groBe Rolle spielen muB. Sie liegt vor in allen Wirtschafts- handlungen, welche Organe des Verbandes fiir die Verbundenen vorneh- men, oder insofern Verbandsmitglieder gegenseitig fiber ihren Wertst~nd Urteile f£11en. Hier herrscht also das Werturteil vollst/indig, und es wird beim Aufbau der Staatswirtsehaft auf die entwickelte Privatwirtschaft geradezu ein ziffernm£Biges. Diese Auffassung des Verh£1tnisses der vet-

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standesm~Bigen zur gefiihlsm~Bigen Motivation bedeutet, dab jene mit dieser im Wirtschaftsleben in Hinsicht auf AnlaB und Wirkung zusam- menf~llt. Mit Riicksicht auf das Gesagte sind Stellen der ,,Grtmdlegung", die dem Wortlaute nach lediglich auf Gefiihls~uBerungen zu deuten w~ren, erweitert richtig auszulegen.

Die Elementarerscheinungen miissen in den kollektivistischen Wirt- sdlaftshandlungen in ihrem ganzen Wesen erkennbar sein, somit ergeben sich aus unseren wirtschaftlichen Pr~missen Lehrsiitze, die fiir die Cha- rakteristik der Erscheinungen des Finanzwesens als Wirtschaftsvorg~nge entscheidend sind. Gerade in dieser Hinsicht erweist sich aber ein Glied in der Gedankenkette der ,,Grundlegung" als briichig. Darauf bezieht sich die Bemerkung in der Einleitung, wo von einer Richtigstellung ge- sprochen wird. Es ist efforderlieh, sie sofort vorzunehmen, und eben hier ist hiezu der geeignete Ort.

Aus dem Umstande, dab die Abh~ngigkeit der auf die Erhaltung und Entfaltung unseres Lebens gerichteten Zwecksetzungen vonder beschr~nk- ten AuBenwelt eine objektive Beziehung darstellt, die im kollektivisti- schen Verbande genau so besteht wie in der Individuallebensfiihrung, wird gefolgert, dab bei den kollektivistisch verbundenen Individuen der durch jene Beziehung angeregte psychische Vorgang sich in gleicher Weise ffir die Kollektiv- wie fiir die Individualbediirfnisse abspiele. Das ergebe eine Koordination der beiden Bediiffnisgruppen in den Bediiffnisstiinden. ,,W~hrend das Individuum nach einer Seite hin ffir die Zwecke seiner Sonderexistenz der Abh~ngigkeit yon den ~ul3eren Mitteln sich bewuBt ist, empfindet es nach der andern Seite das gleiche hinsichtlich der Be- dingtheit des Gemeinsehaftslebens und dessert einzelner Zwecksetzungen, die zugleich seine Zwecksetzungen sindl." Genau besehen erscheint diese These formal-logisch aus dem allgemeinen Bediirfnisbegriffe als Kon- klusum abgeleitet. Indes ist zu beachten, dab das geschieht, ungeachtet Umst~nde erw~hnt sind, welche einer solchen SchluBfolgerung entgegen- stehen. So wird hervorgehoben e, daB, w~hrend im Einzelleben jeder das BewuBtsein seiner Zwecke hat, das gleiche beziiglich der Kollektivlebens- zwecke nicht bei allen im Verbande inbegriffenen Individuen der Fall zu sein braucht, da ja die einzelnen nur zu ihrer Einordnung und Unter- ordnung in den kollektivistischen Verband sich gedr~ugt ffihlen, die kon- kreten ~uBerungen des Verbandes aber von den jeweiligen Tr~gern des Gesamtlebens ausgehen. Nur soweit die tats~chliche Anteilnahme des einzelnen am Leben der Gesamtheit reicht, trete die 5konomische Bedingt- heit der betreffenden Zwecke im Bereiche seines Lebens zutage, habe er somit am Kollektivbediirfnis Anteil. Und es wird ausdriicklich aner- kannt, dab die Anteilnahme des einzelnen am Leben der Gesamtheit dureh Zwang vermittelt sein kann, das Bedfiffnis auch ffir denjenigen bestehen bleibt, welcher im Gegensatz zur Gesamtheit den Zweck etwa nicht will. Trotz dieser Einschriinkungen wird an der Gleichartigkeit der Erscheinung in beiden Sozialgebieten festgehalten und aus dieser der SchluB gezogen,

1 Grundlegung, § 31, S. 194. 2 Ebenda, § 31, S. 193.

Zeltsehr. f. National6konomie, XV. Bd., Heft 3 22

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dab lediglich eine tats~chliche Verschiedenheit der Intensit~t der einzelnen konkreten Bediirfnisse beider Bedfirfnisgruppen fiber ihre Befriedigung ohne Untersehied der Art entscheide, wobei im Zusammenhange der Dar- stellung die Intensit~t auch der Kollektivbediirfnisse als individuell empfunden erscheint.

Das ist der Gedankengang, gegen den die Kritik ernste Einw~nde erhoben hat. Sein Konklusum -- wurde bemerkt -- wiirde praktisch dahin lauten, da~ die Steuern vom einzelnen, nach den Verh~ltnissen seiner Wirtschaft von ihm selbst bemessen, freiwillig entrichtet wfirden. Der krasse Widerspruch mit der Wirklichkeit beweise die Hinf~lligkeit der Beweisfiihrung 1. Einer Theorie, welehe derart als im Widerspruch mit der Wirklichkeit stehend erwiesen wird, ist das Todesurteil gesprochen.

Indes ist ein Umstand zu verzeichnen, welcher im vorliegenden FMIe der Exekution des Todesurteils im Wege steht. Es zeigt sieh n~mtich, dab in der weiteren Entwicklung der Theorie yon der Pr~misse, die in der uneingeschr~nkten Gleichartigkeit des Kollektivbediirfnisses mit dem individuellen liegt, kein Gebrauch gemacht wird. Die erw~ihnte praktische Konsequenz, auf welche die Einwendungen sich stfitzen, wird nicht ge- zogen: eine Steueriehre in diesem Sinne wird nicht vorgetragen. Viel- mehr wird an sp~terer Stelle in einem andern Zusammenhange der Vet- such gemacht, kollektivwirtschaftliche Vorgiinge zu schildern, durch welche dasjenige herbeigefiihrt werde, was geschh'he, wenn die Verbandsmitglie- der in freier Hingabe Giiter aus ihrem Besitze fiir Kollektivzwecke nach dem erw~hnten Gesichtspunkte verwenden wi~rden. Es wird ein verwickel- ter Vorgang dargesteIlt, dem dieses Ergebnis zugeschrieben wird.

Hiemit verr~t sich ein wunder Punkt, eine Inkongruenz in der Theorie, die eine Erkl~rung erforderlich macht.

Die Kl~rung ergibt sich aus einem Umstande, der bei n~hereln Ein- dringen in die Mannigfaltigkeit der kollektivistisdaen Zwecksetzungen nicht zu fibersehen ist. Diese zeigen n~mlich in betreff des Anteils der Teilhaber am gemeinsamen Zwecke einen durehgreifenden Unterschied. Es gibt F~ille solcher, bei welchen der Anteil jedes einzelnen ausscheidbar, somit seiner GrSfle nach bestimmbar ist. Folglich ist in diesen F~lten ein Vergleich mit den Zwecksetzungen des Sonderlebens mSglich, und es kann daher eine Bediirfnisbefriedigung nach dem Gesichtspunkte der Rangordnung ohne weiteres Platz greifen. Bei Kotlektivzwecken anderer Art hingegen ist der Anteil des einzelnen unbestimmbar, da sie auf Herbeifiihrung und Er- haltung dauernder Wohlfahrtszustiinde geriehtet sind, die alle Verbands-

Die Kritiker haben auch angefiihrt, dab der staatliche Zwang iibersehen werde und daft die Auffassung des subjektiven Bediirfnisses als dutch das Ge- fiihl vermittelt nicht zutreffe, da in der Staatswirtschaft nur reflektierte Hand- lungen vorliegen. Die beiden letzterw~ihnten Ausstelhmgen sind nicht haltbar, denn der Zwang wurde -- ganz abgesehen yon der ausdriicklichen Erw~hnung in der zitierten Stelle - schon als im Staatsbegriffe gelegen vorausgesetzt, und die durch Reflexion bewirkte Motivation ergibt doch keinen Unterschied yon der emotionellen und war auch in der Begriindung nicht ausgesehlossen, wenn- gleich im Wortlaute nut yon dieser als der urspriinglichen die Rede ist. Das ist also Nebensache. In der Hauptsache aber ist der Einwand vollstiindig berechtigt.

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mitglieder ununterscheidbar hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Individual- lebensffihrung umfassen. Man denke an staatlichen Schutz, Rechtspflege~ Abwehr ansteckender Krankheiten usw. Zwecksetzungen dieser Art er- geben Kollektivbediirfnisse im votlsten Sinne des Wortes: die eigentlichen Koltektivbediirfnisse. Diese hat man im Auge, wenn man im altgemeinen yon Kollektivbediirfnissen spricht, da Kollektivzwecke der vorher erw~hn- ten Art nur in besc~r~nktem MaBe zu verzeichnen sind. Bei der Unmel3- barkeit des Nutzens fiir jeden einzelnen ist bier ein individueller Ver- gleich mit den Sonderlebenszweeken und somit eine individuelle Wahl zwischen den Befriedigungen ausgeschlossen.

Damit ist aber auch schon der Hinweis auf den wirklichen Sachverhalt gegeben. Da mit Riicksicht auf die beschr/~nkten Befriedigungsmittel eine Wahl stattfinden muff, so kann sie nur kollektivistisch vor sich gehen. Es kSnnen nut bestimmte Kollektivbediirfnisse gegeniiber bestimmten Sonder- bedfirfnissen der Individuen in koltektiver Zusammenfassung (als Sum_me der Einzelwirtschaften) zur Geltung kommen. Es ist die Wichtigkeit bestimmter Verbandzwecke gegeniiber der kollektiv erfaflten Wichtigkeit bestimmter Zwecksetzungen des Individuallebens aller Verbundenen in Betracht zu ziehen. Danach ist je bestimmten Kollektivbediirfnissen der Vorrang in der Befriedigung gegeniiber bestimmten Individualbedfirf- nissen der Verbandsmitglieder und wieder letztgedachten Bediirfnissen dieses Inhalts und Umfangs der Vorrang vor anderen Kollektivbediirf- nissen einzur/~umen, was durch kollektivistisehe Willensbildung geschieht.

Die den unterscheidbaren Gruppen der KollektivtAtigkeit ent- sprechenden Finanzmaflnahmen

Bei allen Kollektivt/itigkeiten, einschlie$lich derjenigen, von welchen zuletzt die Rede war, fallen die den Verband bildenden Individuen, auch in ihrer Vertretung durch Verbandsorgane, als die Handelnden in unseren Gesichtskreis. Gerichtet ist das Gesamthandeln auf konkrete Individuen, sei es als einzelne, sei es als Gesamtheit, deren LebensfSrderung die Zweck- setzungen bewirken. In diesem Sinne sind die Individuen Objekte der Kollektivt/itigkeit; wohl zu unterscheiden von dem Sinne, in wetchem die einzelnen zufolge der Beriihrung dutch die Technik der Kollektivt~tigkeit Objekte dersetben bilden 1.

Alle diese Bet~tigungen haben wirtschaftlich den gleichen Charaktcr. Die Verwirklichung der Zwecke bedingt die Heranziehung yon Giitern, die aus den Einzelwirtschaften ausscheiden und in der Technik der Kollektiv- bet~tigung zur Verwendung gelangen, sei es als unmittelbarer Verbrauch, sei es als Vergiitung ffir Dienstleistungen der Verbandsorgane. Diese Giiter bilden die ,,Kosten", trod zwar die aus der Einzelwirtschaft aus- scheidenden Kosten ffir jeden einzelnen; die als Gesamtsumme zur Ver- wendung gelangenden Kosten fiir den Verband, das ist die Gesamtheit der Verbundenen als handelndes Subjekt. Die Wirtschaftlichkeit erfor- dert, dab die betreffenden Giitermengen in der Verwendung, zu welcher

1 Hierfiber § 65 der ,Grundlegung".

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sie bestimmt werden, einem hSherstehenden Bediirfnisse dienen im Ver- gleich zu demjenigsn, dem sie entzogen werden, das ist dem an letzter Stelle der Rangordnung als befriedbar stehenden. Eine Entschliel]ung in diesem Sinne muB im Gfiterwerte ihren Ausdruck finden. Nennen wit den Wert der Gfiter, welche ihrer bishsrigen Verwendung entzogen werden, den Kostenwert und den Wsrt derselben Gfiter in der beabsichtigten Ver- wendung den Zweckwert, so ergibt sich der Satz: der Zweckwert mu• den Kostenwert iibersteigen, daft niemals hinter dem Kostenwert zuriick- bleiben, widrigenfalls die betrsffende Wirtschaftshandlung unterbleiben miil]te. Das gilt auch yon den Gfiteriiberg~ngen aus den Einzelwirtschaf- ten, die uns hier besch~ftigen, auch yon den durch den Staat erzwungenen. Wird ein Gfiterausgang erzwungen, welcher dem Kostenwert widerspricht, so liegt ein antiSkonomischer Akt vor. Hiemit ist das gemeinsame Merk- mat bezeichnst, welches die in Rede stehsnden Gfiterfiberg~nge als Wsr- tungsvorgang charakterisiert. Da schon im Sinne des Wortss Kostsn die Beziehung auf irgsndeinsn Zweck, zu welchem die Aufwsndung der be- treffenden Cfiter erfolge, eingeschlossen ist, so kSnnen wir diesen Wertungs- vorgang kurz Kostenwertung nennen, wobei wir uns aber bewu~t bleiben miissen, da] immer der Vergleich mit dem Zweckwert verstanden ist.

Auch ffir die Verbandskosten kommt derselbe wirtsehaftliche Gesichts- punkt zur Geltung. Die bei Zweckbet~tigungsn jeder Art dem Staate er- waehsenden Aufwendungen ffir Ansehaffung von Gfitern des technischen Verbrauches und fiir Vergiitung von Dienstleistungen der Verbandsorgane stellen jedoch zugleich sozialSkonomische Beziehungen zwischen der Ge- samtheit der Verbundenen und denjenigen Individuen dar, die als Ver- k~ufer und Soldempf~nger auftreten. Im Hinblick auf jene Aufwendun- gen wird das egoistische Interesse der Verbandsmitglieder gegenfiber den Vsrk~ufern und den Soldempf~ngern in der Richtung angeregt, dab nicht mehr aufgewendet werde, als nach Lags der wirtschaftlichen Umst~nds erforderlich ist: keine hSheren Preise und Enflohnungen gezahlt werden, als welche im privatwirtschaftlichen Verkehre unter gleichen Umst~nden sich tats~hlich ergeben 1. Ein Gesetz fiber die Bemessung der Beamten- gehalte zum Beispiel ist der Ausdruck des Gesamtwillens der Verbundsnen unter der Einwirkung jenes Motivs, irides mit Modifikationen mit Rfick- sicht auf die Andauer des Dienstverh~Itnisses und auf die Anforderungen an die Lebensffihrung, welche nach den jeweiligen Anschauungen dis Stellung der betreffenden Personen als Vertreter der Autorit~it des Ver- bandes gegenfiber seinen AngehSrigen mit sich bringt. DaB auch hier jsne politischen ,,StSrungen" einwirken kSnnsn, wenn die herrschende Klasse, welche die Verbandsorgane aus ihrer Mitte bestellt, ihre Macht egoistisch zum Vorteile ihrer AngshSrigen ausnutzt, braucht wohl nut angemerkt zu werden.

Ffir das Ausmafl der Gfiterfiberg~nge yon der Einzel- in die Sta~ts- wirtschaft, insbesondsre auch ffir das Mall der aus jeder Einzelwirtschaft ffir Kollektivzwecke auszuscheidenden Giiter, wird, wie ffir jeden Giiter-

1 In der ,,Grundlegung" wurde diese Seite der kollektivistischen Wirtschafts- handlung kollektivistische Kostenwertung im engeren Sinne genannt, weft dabei noeh keine Beziehung auf konkrete Zwecke vorliegt.

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ausgang, der Individualwert entseheidend. Je niedriger jemand die Ein- heit seines Giiterbesitzes wertet, eine desto grS/3ere Anzahl solcher Ein- heiten (Geld) ist er bereit, fiir einen bestimmten Zweck, wenn es notwen- dig ist, aufzuwenden. Auflerdem sind aber auch die sozialgkonomischen Beziehungen, die zwischen den Verbandsmitgliedern als den Subjekten der Zweckt~tigkeit und den die Nutzwirkungen genie/]enden Individuen obwalten, auf das Mal3 der zu fibertragenden Giiter yon Einflul3: die Gestaltungen des Verh~ltnisses, in welchem die Individuen sich im Ver- bande egoistisch und altruistisch oder in dem eigenartigen Mischungs- verhiiltnisse des Mutualismus gegeniiberstehen. Nur daft diese MaBbe- stimmung die Kostenwertung nicht beeintr~chtigen.

Jene sozialSkonomischen Beziehungen werden abet angeregt je nach der Verschiedenheit, welche die Kollektivbet~tigungen aufweisen mit Bezug auf den Kreis der Personen, die sie je nach Anlal] und Zweck der Bet~tigung als Objekte beriihren, und mit Bezug auf die Art der Lebens- fSrderung, die sie vermitteln. Nach diesen Verschiedenheiten lassen sich die staatlichen Zwecktiitigkeiten in eine Anzahl Gruppen einordnen und dementsprechend auch die Mal3nahmen auseinanderhalten, mit welchen der Verband bzw. die Staatsorgane die Giiteriiberg~nge nach AnlaB, in Betracht kommenden Einzelwirtschaften und Ausmal3 des Giiterbetrages bestimmen. Das sind eben die Finanzmaflnahmen, die wir derart als Gruppen yon Wirtschaftshandlungen erfassen.

Fiihren wir uns die Gruppen der Kollektivt~tigkeiten in folgender rascher Oberschau vor.

Einen durchgreifenden Unterschied zwischen den kollektivistischen Zwecksetzungen ergibt der Umstand, dab gewisse Verbandzwecke neben der allgemeinen Beteiligung der Verbandsmitglieder einzelne bestimmte Individuen in ihrer Sonderlebensfiihrung betreffen, wogegen bei anderen Kollektivbet~tigungen eine solche Sonderbeteiligung nieht wahrnehmbar ist. Dadurch heben sich die erstgedachten als eine genau umschriebene Gruppe heraus, die wir partikulare Kollektivt~tigkeiten genannt haben 1.

Die partikularen Kollektivtiitigkeiten beruhen darauf, dal~ entweder die Befriedigung von Individualbedfirfnissen durch kollektivistische Be- schaffung yon Giitern und Dienstleistungen das Mittel zur Erreichung eines Kotlektivlebenszwedces bildet, oder daJ3 Zweekt~tigkeiten der letzt- gedachten Art in ihrer technischen Durchffihrung aus diversen AnI~ssen zugleich direkt oder indirekt ejnen ausseheidbaren Sondervorteil fiir bestimmte Individuen bieten. Hier wird der kollektivistische Egoismus der Verbandsmitglieder in der Richtung angeregt, dab sie yon den be- teiligten Singularwirtschaften die Aufbringung der Mittel fiir die betref- fende IndividuallebensfSrderung in jedem einzelnen Falle beanspruchen. Daneben wird aber ein durch das Verbandsgefiihl angeregter Altruismus besdhr~nkten MaBes wirksam, und zwar in verschiedenem MaBe, je nach- dem der eingeschlossene Gesamtlebenszweck es bedingt.

1 Da diese Unterscheidung und ihre Konsequenzen zur allgemeinen Aner- kennung gelangt sind, so ist grSflte Kfirze gestattet, selbst urn den Preis ge- ringerer Deuttichkeit.

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3~ E.S~:

Dadurch scheiden sich die partikularen Kollektivt~tigkeiten wieder in zwei Untergruppen. Bei der einen waltet auch im kollektivistischen Ver- bande der normale Egoismus gleich dem des individuellen Gesch~ftslebens, greift mithin das gleiche Verhalten wie das eines Privatunternehmers gegenfiber den Abnehmern seiner Produkte Platz. Der kollektivistische Altruismus spielt nur so welt herein, als der Verband als monopolistischer Unternehmer aus besonderen Anl~ssen einzelne Modifikationen in der Preisstellung zugunsten bestimmter Singularwirtschaften eintreten l~Bt, die einem Privatunternehmer fernliegen wiirden, die aber in der Regel die Gesamtsumme der iiberwiesenen Giiter nur sehr wenig beeinflussen. Im iibrigen verh~ilt sich die Gesamtheit der Verbundenen gleichgiiltig dazu, in welchem MaBe die Abnehmer in Gem~Bheit ihres Individualwert- standes yon den angebotenen Gfitern oder Dienstleistungen Gebrauch machen. Ffir Kollektivbet~tigung dieser Art leg* sich der Name ,Sffent- liche Unternehmung" nahe. Die Preise, zu welchen sie den Sonderwirt- schaften ihre Produkte anbietet, sind Taxpreise.

Ein hSherer Grad yon Altruismus tritt ein, wenn der Verband sich bewogen fiihlt, den betreffenden Individuen ein bestimmtes Marl yon Sonderlebensf~derung zu siehern. Sofern es sich um Befriedigung yon Individualbedfirfnissen handelt, die davon abh~.ngt, dab die Wirtschafter imstande sind, die angebotenen Giiter oder Leistungen in Gem~Bheit ihres Wertstandes zu erwerben, wird der Zweck dadurch erreicht, dab der Verband die Preise in einer HShe bemiBt, die bei keiner der in Betracht kommenden Sonderwirtschaften als Kostenwert den Zweckwert fibersteigt, wie immer die Kosten sich dem Verbande selbst stellen, was erkl~rlicher- weise nur nach weiten Durehschnitten yon Besitzst~nden durchfiihrbar ist. Bei Leistungen, ffir welche bestimrnte Individuen als Nutzempf~nger unfreiwillig, wenngleich aus besonderem AnlaB, die Bet~tigung yon Ver- bandsorganen in Anspruch nehmen (Amtshandlungen) wird, wieder ohne Rficksicht auf die Selbstkosten, ein Giiterbetrag yon den Betreffenden ein- gehoben, der dem Wertstande der verschiedenen Wirtschaften -- abermals in Durchschnittsabstufungen -- und selbst, wenn der Zweck es erfordert, dem Wertstande auch der Mindestbegiiterten entspricht, letzteres also nach dem durchschnittlichen Wertstande der groBen Masse der BevS1- kerung. Es wird also das MaB der zu iibertragenden Giiter so bestimmt, daB, wenn der Gfiteriibergang freiwillig w~re, er wirtschaftlich erfolgen wfirde, bei hSherem Giiterbetrage jedoch nicht erfolgen kSnnte. Bei Per~ sonen, deren Besitzstand nicht welter als zur Bestreitung der physisehen Lebensnotwendigkeiten im strengen Sinne reicht, wird altruistisch yon Erhebung eines Giiterbetrages ganz abgesehen. Einrichtungen dieser Art nennen wir ,,Sffentliche Anstalten" und die betreffenden Giiterfiberg~nge Gebi~hren. Der Ausfall an Kostendeckung wird auf den Verband als Kosten des einschl~gigen Gesamtlebenszweckes iibernommen 1.

1 Man hat die Scheidung der Kosten in General- und Spezialkosten heran- gezogen, um die Gebfihren und ihre HShe auf letztere zu bezlehen. Das ist theo- retische Willkfir und entspricht nicht der Wirklichkeit: die Wertung ist das Ent- scheidende. Das Verh~ltnis zu den Kosten ergibt sich erst nachhinein. In Italien

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Die Wertungstheorie der Steuer 335

Die andere Gruppe yon Kollektivt~tigkeiten umfaBt diejenigen, deren Zwecke und Wirkungen unmittelbar auf die Gesamtheit der Verbands- mitglieder gerichtet sind, und auch in dieser sind wieder zwei Unter- gruppen auszusondern nach dem bereits bemerkten Unterschiede, ob das MaB an LebensfSrderung, das der einzelne als Anteil zu verzeichnen hat, bestimmbar ist oder nicht. Bei diesen kollektivistischen Zwecksetzungen sind alle Verbandsmitglieder Handelnde und Nutzempf~nger zugleich, in der einen Eigenschaft beschlieBen sie, in der anderen tragen sie gemein- sam die Kosten. Im Verh~Itnis der einzelnen zueinander wird hier der Mutual ismus wirksam: ein durch die Notwendigkeit des Zusammenwirkens zur Erreichung des gemeinsamen Zietes geweckter Altruismus, gerichtet auf diese gegenseitige Unterstiitzung, mit Ausschlul~ des Egoismus, soweit der Zweck es erfordert. Jeder der Teitnehmer findet sich zur Beti~tigung bestimmt, wenngleich sie anderen nfitzt, und unbekiimmert um das MaB dieses Nutzens im Vergleich zu seinem eigenen, wenn er nur fiir sich selbst den Zweck erreicht. Die Obereinstimmung in dieser Sinnesrichtung ist ein Band formaler Gleichheit, das sich um die Verbundenen schlingt. Mit Bezug auf die Kosten bleibt die Spannung des Egoismus zwischen den Teilnehmern insoweit bestehen, dab keiner einen Vorteil gegeniiber dem andern erlange, da bei der Zusammensetzung der aufzubringenden Kosten- summe aus Teilbetri~gen ein Minus in den Beitr~igen auf der einen Seite eine ErhShung der Teilbetr~ge fiir die andere Seite bedeuten wiirde. Sol- &es ist ausgeschlossen, wenn jeder das volle Marl an Giiteraufwand fiir den Zweckanteil leistet, das er in seiner Sonderwirtschaft unter gleichen Umst~nden aufwenden wiirde, das ist: was er bereit wiire, naeh seinem Individualwertstande aufzuwenden, wie wit solehes ja auch in freien mutualistischen Vereinigungen beobachten kSnnen. Derart findet das Interessenverh~lmis der Teilnehmer untereinander seinen Ausdruek darin, dab der Kostenanteil eines jeden sieh nach seinem Individualwertstande bemesse. Durch das Zusammenwirken nach diesem Gesichtspunkte ist auch die wirtschaftlichs~e Verwirklichung des Zweckes gesichert, die in der Absicht aller gelegen ist. Das Gesamthandeln l~iuft in einen Giiterver- brauch aus, der entweder direkt Bediirfnisbefriedigung der Teilnehmer ergibt oder als Kupitalanlage solche vermittelt.

Fiir die Auswirkung der bezeiehneten Dispositionen zu konkreten Wirt- schaftshandlungen wird nun der Unterschied hinsichtlieh der Bestimm- barkeit des Ausmal3es der individuellen Anteile bedeutsam. Eine Aus- seheidbarkeit der Beteiligung der einzelnen am Gesamtergebnisse kann wohl nur in einem kollektivistischen ~bergangsgebilde, in welchem die

hat bekanntlich Pan ta l eon i durch seine Abhandlung Considerazioni suUe pro- prieth di un sistema di prezzi politici (Giornale degli Econ. 1911) die Erfas- sung dieser Gruppen yon Giiteriiberg~ingen zwischen den Singularwirtschaften und der Staatswirtschaft als Werterscheinungen m~ichtig gefSrdert. Mit dem angefiihrten Namen sollen Preise bezeichnet sein, deren AusmaB aui3er durch die Wertung durch ein besonderes Motiv bestimmt, also modifiziert wird. Das wiirdo fiir die in Rede stehenden Giiteriiberg~nge die Ausgabe bedeuten, dab bei Be- messung ihrer HShe immer politische Gesichtspunkte im eigentlichen Sinne des Wortes mitspielen. Das trifft bei den Taxpreisen und Gebiihren gewiI3 nicht zu.

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Wirksamkeit der 5ffentlichen Anstalt auf alle Verbandsmitglieder aus- gedehnt erscheint, oder bei Zwecksetzungen Platz greifen, die dem Wirt- s~aftslehen selbst angehSren, ffir die Gesamtheit der Verbundenen einen dem Verkehrswerte nach sch~tzbaren VermSgensvorteil bezielen, an dem jeder nach MaBgabe seines Besi-tzes beteitigt ist. Zwe&setzungen der |etzteren Art werden daher im Bereiche der engeren 5rtlichen Verb~nde in die Ers~einung treten.

Das wirtschaftliche Vorgehen ist auf Grund der dargestellten Pr~- missen gegeben. In F~llen der erstgedachten Art werden yon den Nutz- empf~ngern periodisch Giiterbetr~ge erhoben, die als Pauschalierung yon Gebiihren aufzufassen sind: nach dem Gesichtspunkte der Gebfihren be- messen fiir alle Teilnehmer im gleichen Verh~ltnisse zu den betreffenden Besitzst~nden, deren AusmaB aus ~uBeren Merkmalen, zum Beispiel Wohnungsmiete, zu entnehmen ist.

Wichtiger ffir unseren Vergleichszweck sind die F~lle der letzterw~hn- ten Art. Es erfolgt zun~chst die kollektivistische Kostenwertung im engeren Sinne, das ist die Feststellung der Gesamtkosten nach dem friiher bezeich- neten wirtschaftlichen Gesichtspunkte. Sodann handelt es sich um die Bemessung der Kostenanteile nach dem Individualwertstande der Teil- nehmer, was nicht anders als durch Aufteihng der Gesamtkosten nach dem feststellbaren Besitzstande, mit dem die einzelnen an dem Zweck- werke beteiligt sind, geschehen kann. Durch Aufteilung nach diesem MaB- stabe ergibt sich fiir jeden einzelnen im Werte seines Nutzanteiles das ~berwiegen des Zweckwertes gegeniiber dem Kostenwerte, das bei der Veranschlagung vorausgesetzt wurde und ohne welches die vorliegende Wirtschaftshandlung h~tte unterbleiben miissen. Wir sehen hier wieder den allgemeinen Wermngsvorgang.

Wenn, wie vorausgesetzt, die Nutzanteile reel]bar sind und der Besitz eines jeden in bestimmter Beziehung zu dem Nutzen steht, so muB die Aufteilung der gesamten Kostensumme nach MaBgabe des Besitzes iiir die Kostenanteile aller Teilnehmer das gleiche Verh~Itnis zu den Nutz- anteilen ergeben. Da die Unterlagen des Kalkiils ziffernm~Big feststehen oder mindestens ann~hernd festzustellen sind, so ist die vorliegende Wirt- schaftshandlung unschwer mit Erfolg im Sinne aller Beteiligten durch- ffihrbar. Mit Bezug auf die Bemessung der Kostenanteile durch Aufteilung ist in der ,Grundlegung" zur Kennzeichnung dieser Untergruppe der Name ,,Umlagen" vorgeschlagen.

Bei den Zwecksetzungen mit unausscheidbarem Anteile der einzetnen fr~gt es sich nun darum, auf welchem Wege trotz der Unbestimmbarkeit des Nutzanteiles jedes einzelnen das erwiinschte 5konomische Resultat erreicht werde, wie in den eben erSrterten F~llen. Damit sind wir bei dem speziellen Gegenstande unserer Untersuchung angetangt.

Die e igent l ichen Kol lekt ivbedfi r tnisse und ihre Be t r i ed igung

Zwecksetzungen der erw~hnten Beschaffenheit erstrecken sich fiber die weiten Gebiete der staatlichen Aufgaben, die man in altgemeiner Charak- teristik als den Macht- und Rechtszweck einerseits, den Kultur- und Wohlfahrtszweck anderseits bezeichnet hat. Da wir den vollentwickelten

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Staat vor Augen haben, so sind diese Zweckgebiete flit uns ein Gegebenes, das einer weiteren Erkl~rung durch uns nicht bedarf. Die einzelnen kon- kreten Kollektivbedfirfnisse ergeben sich dutch die jeweils erforderlichen technischen Mittel, deren Anwendung gegenfiber den Kosten als Zweck erscheint. Ein allgemeines Kollektivbedfirfnis bildet die Organisation, die zur Entfaltung der Verbandst~tigkeit iiberhaupt erforderlich ist, und die Beschaffung der Mittel des Verkehres, soweit er die territoriale Unter- lage des Soziallebens abgibt. Endlich z~hlen hieher die F~lle des Kosten- ausfalls bei 5ffentlichen Unternehmungen und Anstalten. Wohl nur der Erw~hnung bedaff es, dab auch die Bet~tigung der dem Staate unter- geordneten 5rtlichen und Personalverb~inde einzubeziehen ist, die als kollektivistische Bildungen keinen Unterschied im Wesen gegenfiber dem Staate im engeren Sinne auiweisen.

Kollektivt~tigkeiten dieser Art bezwecken und sehaffen Wohfahrts- zust~nde, die, fiber alle Verbandsmitglieder sich erstreckend, dem einen in gleicher Weise wie dem andern zugute kommen, wie wenn sie ffir jeden allein best~nden. Man vergegenw~rtige sich das an einem beliebigen Bei- spiele, etwa der Abwehr ansteckender Krankheiten: alle werden durch die bezfigliehe Veranstaltung vor Ansteckung bewahrt, der eine nicht mehr und nicht weniger als der andere. Man spricht daher mit Recht yon Unteil- barkeit dieser Nutzwirkungen. Die Tatsache der Unausscheidbarkeit und Unme~barkeit individueller Anteile fibersetzt sich in materielle Gleich- stellung aller hinsichtlich der betreffenden Zwecksetzungen. Vom Staate fiir alIe ins Werk gesetzt, bilden diese unter seiner Zwangsgewalt ffir jeden ein notwendiges Bedfirfnis, also ffir alle ein Bediirfnis subjektiv g]eichen Ranges.

Aus dieser Sachiage ergeben sich bestimmte Fotgen hinsichtlich der wirtschaftlichen Absichten der Verbandsmitglieder und der daraus ent- springenden Wirtschaftshandlungen. Es zeigt sich Willensfibereinstimmung darin, dab tier gemeinsame, ffir alle gleiche Zweck mit dem mindesten Giiteraufwande eines jeden im mbglich hbehsten MaBe erreicht werde, zugleich aber auch darin, daB, da es sich urn ein flit alle gleiches Bedfirf- nis handelt, die Kostenanteile aller dem mutualistischen Verh~ltnisse ent- sprechend wertgleich seien; es versteht sich: subjektiv wertgleich. Das erste betrifft den Gfiterbetrag der Steuer jedes einzelnen ffir sich, das ist die absolute Hi, he der Steuer, das zweite betrifft das Verh~ltnis der Steuer je des einen zu der aller andern, das ist die relative Steuerhbhe. Die Verbindung der beiden Gesichtspunkte im wirtschaftlichen Haudeln ergibt fiir unsere Untersuchung die Aufgabe, zun~chst die Vorg~nge der Bestimmung der absoluten Steuerhbhe zu analysieren und dann die Ein- wirkung festzustellen, welche die Handhabung des ~quivalenzprinzips auf diese ausiibt. Es ist nicht fiberfliissig zu betonen, dab hier unter Steuer- hbhe immer das GesamtmaB des dureh das Zusammentreffen verschiedener Steuern in einer Wirtschaft bewirkten Giiterausgangs verstanden ist.

Die wirtschaftlieh richtige Steuerhbhe besteht fiir jeden einzelnen in dem Giiterbetrage, welchen er den die unterste Stelle der Rangordnung einnehmenden Bedfirfnisbefriedigungen zu entziehen bereit w~re, um ihn zur Befriedigung hbherstehender Bedfirfnisse (ausgehend von der Spitze

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3,?,8 E. Sax:

der Rangordnung) zu verwenden. Die ,,hSherstehenden" Bedfirfnisse sind bier die in Frage kommenden Kollektivbed/irfnisse. Fiir das AusmaB der absoluten SteuerhShe wird daher das Interdependenzverh~ltnis, das zwi- schen den beiden Lebensgebieten obwaltet, entscheidend. Sie stehen zu- einander in dem Abh/~ngigkeitsverh~Itnis gegenseitiger Beschr~nkung, da die jeweils fiir Bedfirfnisbefriedigung vorhandenen Giiter sich fiber beide verteilen. Eine Mehrverwendung fiir das eine bedeutet entsprechende Minderverwendung ffir das andere. Je mehr Gfiter fiir Kollektivzwecke gebraucht werden, desto grSBer wird der auf den einzelnen entfallende Steuerbetrag, desto mehr oder auch desto wichtigere Individualbediirf- nisse scheiden aus der Reihe der befriedbaren aus. Dieser einleuchtende Sachverhalt hat fiir die richtige SteuerhShe eine zwingende Konsequenz. Es darf ffir die jeweils in Frage kommenden Kollektivbediirfnisse nur ein Giiterquantum von der HShe aufgewendet werden, dab die die einzelnen treffenden Steuern, deren Summierung jenes Gfiterquantum erbringt, nur Individualbediirfnisse yon der Befriedbarkeit ausschlieBen, die yon gerin- gerer Wichtigkeit sind als die zur Befriedigung gelangenden Kollektiv- bediirfnisse.

Wie ist abet festzustellen, ob das in einem gegebenen Falle tatsEch- lich geschieht, bzw. auf welche Weise wird bewirkt, dab es geschehe?

Der einzelne ffir sich bemiBt wohl die Bedeutung des Entgangs be- stimmter Wohlfahrtsmomente ffir sein Sonderleben; die Bedeutung des korrespondierenden Gewinnes an GesamtlebensfSrderung, die ununter- scheidbar alle Verbandsmitglieder umfaBt, kann er nicht ermessen. Abet unter dem EinfluB, den der geistige Zusammenhang des Kollektivismus auf ihn ausiibt, wird er hiezu imstande: der Kollektivismus ~uBert seine Wirkung, indem er die einzelnen in das Gesamtfiihlen und Gesamtwollen in Hinsicht auf die gemeinsame LebensfSrderung einbezieht. Auf Grund dieser Motivation eI:fassen die einzelnen als Verbandsmitglieder konkrete Zwecksetzungen in ihrer relativen Bedeutung ffir das Gemeinleben, mit dem klaren BewuBtsein oder dem dunkeln Gefiihle, dab jeder gleichen Anteil daran hat, und fiigen sich der Notwendigkeit, die zu ihrer Durch- fiihrung erfordertichen Giiter Individuallebenszwecken zu entziehen, inso- welt jenen Kollektivzwecken hShere Wichtigkeit fiir alle zusammen und somit fiir jeden zuzuerkennen ist 1.

Die Willensiibereinstimmung in diesem Sinne kommt durch Ver- bandsbeschluB zum Ausdruck. Durch welche Organe der Gemeinschaft die

1 Accanto all" uomo privato vi ~ l' uomo ,politico" il quale vede la necessith di far parte dello Stato, di ,,ricrearsi" in esso, di raggiungere fini che senza la Stato sarebbero inconceplbili. L' uomo ,politico" sa od intuisce che egli ~ un ,,nitro" appunto per la sua appartenenza al corpo collettlvo; sa od intuisee che la sun fortuna, i suoi redditi, le sue maniere di vita sono condizionate dalt" esistenza degli altri uomini e dello Stato; sa d~e, pagando l' imposta, egli non dh cosa creata da lui, ma cosa creata dallo Stato o da lui quale parte dello Stato. (Luigi E i n a u d i Osservazioni crltiche intorno alla teoria dell' ammortamento dell" lmposta etc. Es$r. dagli At t i della R. Academia detle Science di Torino 1918--1919, S. 46. Eine eindrucksvolle Schilderung des Kollektivismus, das ist der geistigen Disposition, die er in den Individuen erzeugt!)

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Die Wertungstheorie der Steuer 339

Willensbildung erfolgt, ist theoretiseh Nebensaehe, praktisch hingegen yon hSchster Wichtigkeit. Die Beschlul3fassung kann arntlichen Verbands- organen fibertragen sein, die aus den leitenden Kreisen des Staates her- vorgehen und fiber die erforderliche Kenntnis der einschl~gigen wirt- schaftlichen und sozialen Verh~ltnisse im Staatsgebiete verffigen. Diesen liefern die Staatsbtirger durch Darlegungen, Klagen, Beschwerden, selbst dureh das Streben, sich einer ungereehtfertigt hohen Steuer zu entziehen usw., kurz durch alle Mittel der Geltendmachuug ihrer Interessen die Unterlagen zur Beurteilung der Einsehr~nkung, welehe die individuelle Lebensffihrung zugunsten der Staatszwecke erfahren kann. In den parla- mentarisch regierten Staaten und insbesondere in Demokratien gesehieht die BeschluBfassung yon der BevSlkerung selbst in den Vertretungs- kSrpern durch den Kampf der Meinungen und durch die politischen Machtstellungen im Lichte der 0ffentlichkeit. Hier bringen die Mehrheits- voten die den Ausschlag gebenden sachlichen Grfinde (allenfalls auch den MiBbrauch der Macht zu den bewuBten ,StSrungen") zum Ausdruck. Die ,,Parteien" vertreten nieht lediglich die Sonderinteressen ihrer Mitglieder, sondern aueh bestimmte Anschauungen fiber die Aufgaben des Staates und die geistig hervorragenden PersSnlichkeiten, welchen sich die ver- sehiedenen Gruppen der BevSlkerung als ihren Ffihrern unterordnen, vermSgen beide Sozialgebiete zu fiberschauen. Dadurch gelingt es, dal3 aus dem Parteikampf ein BesehIuB hervorgeht, der der relativen Bedeu- tung der LebensfSrderung auf beiden Gebieten nach den jeweils herrschen- den Anschauungen entspricht.

Ist ein Verbandsbeschlufl in dem bezeiehneten Sinne gefaflt worden, so ist in ihm unausgesprochen ein Werturteil enthalten: das Urteil, dal3 die Aufwendung der dem einzelnen mit der ihn treffenden Steuer ent- gehenden Gfiter als Kosten mit Rficksieht auf die durch die Aufwendung erreichten Kollektivzwecke, die ffir jeden einzelnen den Charakter eines notwendigen Bedfirfnisses annehmen, gereehtfertigt sei. Das ist eine kollektivistische Kostenwertung vom Standpunkte der einzelnen. Der Zweekwert fibersteigt fiir jeden den Kostenwert, mit Ausnahme jener F~lle, in welehen notwendige Individualbedfirfnisse unbefriedigt bleiben wiirden; solche Aufopferung des Einzellebens fordert aber der Kollektivismus nicht.

Das angezogene Interdependenzverh~ltnis hat aber auch eine Richtung nach der Seite des Verbandes.

Das wirtschaftliche Grundverhiiltnis ergibt die NStigung, die Rang- ordnung der Kollektivbediirfnisse in ihrer Befriedigung einzuhalten, damit innerhalb der materiellen Sehranken das Maximum an WohlfahrtsfSrderung erreieht werde. Der einzelne an sieh beachtet diese Rangordnung der kollektivistisehen Zwecksetzungen mit Bezug auf seinen Anteil nicht, aber die Gesamtheit muff darauf aus dem bezeichneten Grunde ihr Augenmerk richten. Dies geschieht, indem die Verbandsorgane die Rangordnung fest- stelten und die Beffiedigung dieser Bedfirfnisse in der Reihenfolge bis zu dem Grenzpunkte durehgefiihrt wird, an dem die als vefffigbar voraus- gesetzten Mittel erschSpft sind. Dabei wird, wie wir wissen, die Kosten- wertung im engeren Sinne gehandhabt mit der Absicht und dem Ergebnisse,

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den erreichbaren Mindestaufwand im einzelnen zu erzielen und dadurch die Reihe der mit dem gegebenen Gfiterquantum zu befriedigenden Bediirfnisse so viel als mSglich zu verl~ngern. Die verffigbaren MitteI sind aber nicht lest gegeben, sondern ihr AusmaB h~ngt infolge des Interdependenzverhiilt- nisses davon ab, dab bestimmte Individualbediirfnisse unbefriedigt blei- ben. Das ergibt abermals eine Kostenwertung dadurch, dab die Befriedi- gang der in Frage stehenden Kollektivbedfirfnisse vom Gipfel der Rang- ordnung an bis zu demjenigen zu erfolgen hat, das als Zweck noch grS- Bere Wichtigkeit besitzt als die dutch Ausscheiden der erforderlichen Gii- ter aus den Einzelwirtschaften der Befriedbarkeit entzogenen Individual- bediirfnisse. Das ist Kostenwertung vom Standpunkt des Verbandes.

Die beiden Kostenwertungen fallen inhaltlich zusammen; sie sind eine und dieselbe, nur yon verschiedenem Standpunkte angesehen. Man kann sic Gesamtwertung nennen. Das Ergebnis ist, dab nach dem Gesamt'- urteile der Verbandsmitglieder keiner der jeweils zur Verwirklichung gelangenden Zwecke des einen Lebensgebietes die Verwirklichung hSher stehender Zwecke des andern ausschliel3t 1. In diesem Sinne kann man yon einem Gleichgewichtszustande der Zwedebereiche oder einem Niveau-Aus- gleich der beiden Lebensgebiete sprechen.

Mit Herbeiffihrung dieses Zustandes erweist sich als vollzogen, was im friiheren als die Aufgabe der kollektivistischenWillensbildung mit Bezug auf die Bediirfnisse beider Kategorien bezeichnet wurde (S. 331, zweiter Absatz).

Wenn der Gleichgewichtszustand im konkreten Falle nicht erreicht ist, so muB entweder durch Erm~fligung der Steuer die Befriedigung hSher stehender Individualbediirfnisse ermSglicht werden, wodurch zufolge der entsprechenden Verringerung der Gesamtsteuersumme die an der unteren Stelle der Rangordnung stehenden Kollektivbediirfnisse yon der Befriedi- gung ausgeschlossen werden, oder umgekehrt: es mut3 dutch Aufwendung eines grS~eren Giiterbetrages, der die Ausdehnung der Verbandst~tigkeit auf weitere Kollektivbediirfnisse gestattet und dutch erhShte Steuern auf- gebraeht wird, die individuelle Lebensfiihrung entsprechend eingeschr~nkt werden (woffir freilich die giinstigen Folgewirkungen der Staatst~tigkeit ein Gegengewicht bieten kSnnen). Es muB also durch Regelung der Steuern ein Einflu~ auf die Zwecksetzungen beider Lebensgebiete geiibt werden, der den Gleichgewichtszustand herbeiffihrt. Tats~ichlich hat be- kanntlich infolge der kulturellen Entwicklung ein Hervortreten der staat- lichen Aufgaben stattgefunden, so dab mit wenigen Ausnahmen eine Re- gelung zugunsten der Kollektivzwecke zur Notwendigkeit wurde. Datum drehen sieh die Kammerverhandlungen fiber die ,,Erfordernisse" zur Entfaltung einer regen Staatst~tigkeit modernen Zuschnitts und das Mal3 der zul~ssigen ,Belastung" der StaatsangehSrigen, die Budget- und Steuerdebatten. Zuweilen dauert der eingetretene Gleichgewichtszustand durch l~ngere Zeit in der Weise, dab bei einem bestimmten Stande der

1 Die Beurteilung, ob das jeweils fiir die Kollektivbediirfnisse gegeniiber den Individualbediirfnissen der einzelnen zutrifft, ist daher nicht Sadae des einzelnen fiir slob, sondern eben des Kollektivurteils, und so sind ~uch die Bemerkungen in der ,Grundlegung", § 82, S. 5]7, aufzufassen.

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Die Wertungstheorie der Steuer 341

Besteuerung die Ausdehnuug der Kollektivt~tigkeit von dem Anwachsen der Mittel abh~ngig gemacht wird, das sich dur(h Zunahme der BevSlkerung oder dureh Vermehrung ihres Besitzstandes (Hebung der Volkswirtschaft) ergibt, oder umgekehrt bei Einschr~nkung des Besitzstandes zufolge yon wirtschaftlichen Ereignissen man sich auch zur Einschriinkung der staat- lichen Bet~tigung, Zurfickstellung des Mindestwichtigen, entschlieBt. Hie- her z~htt auch die bekannte FinanzmaBnahme, die Beschaffung yon Mitteln fiir ,,notwendige Ausgaben", deren AuPoringung dutch Steuern das Gleich- gewicht stiiren wiirde, durch Schuldaufnahme der Zukunft zu iiberweisen. Anderseits hat das nie rastende Leben die Tendenz, den Gleichgewichts- zustand wieder aufzuheben. Die Fortschritte der Technik erzeugen neue Bediirfnisse im Einzel- und im Verbandsleben, und der Drang nach hSchster Lebensentfaltung beherrscht die Individuen in beiden Gebieten. Die Ver- bandsorgane als Vertreter der Gesamtheit streben die Kollektivt~tigkeit auszudehnen, die einzelnen suchen ihre Lebenshaltung zu steigern und vor allem vor Verkiirzung zu bewahren. Die Folge ist, daI] die gegenseitige MaBbestimmung, in der das Gesamturteil die vergleichsweise Wichtigkeit der LebensfSrderung in beiden Gebieten zum Ausdruck bringt, immer yon neuem gesucht werden muB.

Auf die Regelung der Einzelsteuer ist nun aber ein Zusammenhang zwischen der relativen und der absoluten Steuerh6he, der sich durch die Forderung der Aquivalenz ergibt, von entseheidendem EinfluB, und hiemit kommt der zweite der vorangestellten Gesichtspunkte in der Wirtschafts- handlung zur Geltung. Die durch die Gesamtwertung bestimmten Steuern miissen dieser Forderung entsprechen. Dadurch wird die relative Steuer- hShe Kontrolle und Regulator richtiger Bemessung der Einzelsteuer. Wenn die Gesamtsteuersumme nach dem Gesamturteile die angemessene Hiihe aufweist und die Einzelsteuern dem Grundsatz der Xquivalenz ent- sprechen, so hat die Steuer jedes einzelnen die richtige absolute HShe. Wenn aber die ~quivalenz der individuellen Steuerbetr~ge bei einer Steuereinrichtung nicht Platz greift, so ver~indert die Herstellung der )~quivalenz die absolute HShe der Einzelsteuern in der Weise, dab die Gesamtsteuersumme entweder trotzdem im richtigen AusmaBe bestehen bleibt oder aber eine Ver~nderung erleidet. Im ersteren Falle findet eine Richtigstellung der individuellen Steuerbetr~ge innerhatb des bestehen- bleibenden Gleichgewichtszustandes statt. In solchen Fiillen hSrt man sa- gen, die Steuern seien im ganzen nicht zu hoch, aber ungleichm~iBig ver- teilt, und es wird eine Steuerreform im Sinne gleichmiiBiger Verteilung durchgefiihrt. Wenn jedoch die Gesamtsteuersumme eine Ver~nderung erf~ihrt, so alteriert die ErhShung oder Verminderung den Gleichgewichts- zustand, und in der entsprechenden ~nderung individueller Steuern zeigt sich der Einflufl der relativen Austeilung auf die richtige absolute H~ihe, indem die SteuerhShe resultiert, welche dem neuhergestellten Gleichge- wichtszustand entspricht.

Die Besteuerung erweist sich sonach als ein Wirtschaftsvorgang, der zwei Seiten zeigt, die einander bedingen. Die einzelnen sind zur Aufbrin- gung der Kosten der Staatst~tigkeit unter der Bedingung bereit, dab ihre Kostenanteile Aquivalente seien, und die Gesamtwertung bestimmt die

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ffir Kollektivzwecke zu verwendenden Summen unter der Voraussetzung, dab sie dutch Einzelsteuern aufgebraeht werden, die naeh jenem Grund- satze bemessen sin& Die Gesamtwertung kSnnte nieht stattfinden, wenn nieht auf Grund der ~quivalenz die absolute HShe der Einzelsteuer be- stimmt wiirde, weil erst diese die Beurteilung der Einfliisse der Besteu- erung auf die Befriedigung der Individualbediirfnisse ermSglicht. Hie- nach fassen wir das Ergebnis der Untersuchung in den Satz zusammen: Die Besteuerung zum Zwecke der Befriedigung yon Kollektivbedfirfnissen charakterisiert sich als kollektivistische Kostenwertung auf Grand der durch das mutualistische Verhiiltnis bedingten individuetlen Jlquivalenz der Kostenanteile l.

Diese Wirtschaftshandlung erweist sich als Verwirkliehung des 5ko- nomischen Grundprinzips. Es ist einleuchtend, dab die Steuern, angelegt gemiif~ den beschriebenen Wertungsvorgi~ngen, des Maximum an Gesamt- steuersumme einbringen, das unter den jeweils gegebenen wirtschaftliehen Umstiinden erreichbar ist, und dab die veto einzelnen eingehobene Steuer das Minimum darstellt, des er nach seiner wirtsehaftlichen Lage zu ent- riehten hat, des aber auch als in absoluter HShe richtig bemessene Steuer nicht iiberschritten werden darf. Das erste bedeutet, dab das HSehst- mal~ an Kollektivbediirfnissen befriedigt wird, das unter den konkreten Umst~nden befriedbar ist; das zweite bedeutet, dab die dem Individuum verbleibenden Gfiter des HSchstmal] an Befriedigung yon Sonderbediirf-

1 Die vorstehende Analyse finder sich im wesentlichen schon in der ,~Grund- legung" (insbesondere § 82, S. 516 ft.). Es wird dort ausgefiihrt, dab und in welcher Weise durch ,,des kollektivistische Gesamturteil" ,das jedem der beiden Lebensgebiete zuzuteilende GiitermaB" bestimmt werde. Die kollektivistische Kostenwermng ist deft, allerdings nicht nnter diesem Namen (und wohl an& in den Einzelheiten der Erkliirung nicht ganz befriedigend), behandelt. Welters ist die Gleichwel~igkeit der Giiterausgiinge arts den Sonderwirtschaften als Ver- teilungsprinzip ffir die individuellen Kostenanteile begrfindet und der Wechsel- zusammenhang yon relativer und absoluter SteuerhShe betont. Die Darstellung hat jedoch nicht vollen Erfolg gehabt, wahrseheinlich weft die Leser auf Grund der vorangegangenen Gedankenentwicklung unter dem Eindruck standen, es sei individuelle Wertung gemeint.

Giulio Alessio, der in seiner Schrift Studi suUa teorica del Valore net Cambio interne (1890) der neuen Wertlehre volles Verst~ndnis entgegenbringt und die Erscheinungen des Finanzwesens ausdriicklich als Formen der Wertung ertdiirt, charakterisiert diese mit Ausdriicken, die unzweifelhaft als Kollektiv- wertung in unserem Sinne zu deuten Mud (a. a. 0., S. 125). Das trittum so mehr hervor, als er die individnelle Wertnng in dem obenerw~hnten Simle leugnet. Graziani, dem der Verfasser der ,,Grundlegung" speziell dafiir verbunden ist, dab or des Augenmerk der Studierenden nachdrikklich auf das Buch lenkte (lstituzioni di scienza delle finanze, I. Aufl. 1897, 2. Aufl. 1911), hatte eben- falls den Eindruck empfangen, es sei individuelle Wertung verstanden, und gtanbte, die Lehre dadareh verbessern zu sollen, dab er ihr die These entgegen- hielt, der relative Wert der Giiter (la utilith rdativa) in der Verwendung fiir Individualbediirfnisse oder Kollektivbediirfnisse entscheide den Giiteriibergang der Steuer. Das ist doch offenbar das Verhiiltnis zwischen Kostenwert und Zweck- weft. Wenn man diesen Wertvergleich Ms kollektivistisch vet sich gehend ansieht, so ist vollst~indige Obereinstimmung mit unserer Theorie ersichtlich.

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nissen ermSglichen, das unter denselben Umst/inden erreichbar ist. Im Gleichgewichtszustande erscheint also das Maximum an Kollektivnutzen, und zwar sowohl an SonderlebensfSrderung der Individuen, diese als Summe zusammengefaBt, als auch an FSrderung des Gesamtlebens im Verbande erreicht.

Von tier normalen Steuer, die unserer Theorie zugrunde liegt, ist die Steuer als konfizkatorische Ma]3regel zu unterscheiden, deren Absicht auf eine Ver/inderung der VermSgens- und Einkommensverhiiltnisse bestimm- ter Teile der BevSlkerung gerichtet ist. Die Bestimmungsgriinde fiir solche Eingriffe in die bestehende Besitzverteilung sind fiir die Theorie etwas yon auBen Gegebenes, gleichwie fiir sie die Frage der absoluten und relativen SteuerhShe bier nicht besteht, da diese Fragen jeweils yore politischen Zwecke und yon der politischen Macht im vorhinein entschieden sind. Abgaben solcher Art besch£ftigen uns nicht welter. Sie sind ein Mittel des Kampfes um den Besitz: jener sozialSkonomischen Beziehung, die ins Menschendasein eine so fatale Rolle spielt. Die Steuer, mit der wit uns besch/iftigen, gehSrt dem jeweiligen Ruhezustande an, ist eine Wirtschafts- handlung, die sich auf Basis der zurzeit tatsi~chlich bestehenden Besitzes- verh~ltnisse abspielt.

Bekannt ist, dab die Steuern auch Gesichtspunkten der Wirtschafts- politik (inklusive Sozialpolitik) dienstbar gemacht werden kSnnen. Damit ist yon selbst ausgesprochen, dab solche Abgaben nicht FinanzmaBnahmen im eigentlichen Sinne sind und daher ebenfalls auf3erhalb des Gesichts- kreises unserer Theorie bleiben.

Zum Schlu$ mu$ ein Einwand beriihrt werden, welcher gegen unsere Steuertheorie erhoben werden kSnnte. Die Theorie sei unhaltbar, well die Forderung der Aquivalenz nicht durchfiihrbar sei, und zwar aus dem Grunde, weil die Wertung der Bediirfnisbefriedigungen zufotge der Ab- weichungen der Geistesverfassung und der kSrperlichen Eigenart der Mefischen individuell verschieden und niemand imstande sei, die Wertung eines andern zu beurteilen. Das w/~re jedoch eine Verkennung des Inhal- tes der Theorie. Es handel~ sich den Verbandsmitgliedern nicht durum, je gegenseitig die inneren Vorg/~nge der Wermng bei den andern zu er- kennen, sondern durum, die individuellen Werte aus den /~uBerlich faB- baren Tatsachen, durch welche sie bestimmt werden, zu erschlieBen. Diese objektiven Tatsachen, yon welchen die WerthShe in jeder Sonderwirtschaft abh/~ngt, sind bekanntlich der Besitzstand einerseits, der Bediirfnisstand anderseits. Der Besitzstand ist dutch die Zurfickfiihrung auf Geldeinheiten mel~bar, die Gutseinheiten darstellen. Die Bediirfnisse nehmen in ihrer Reihenfolge konstant an IntensitKt ab. Je grSl3er die Zahl der im Besitz enthaltenen Gutseinheiten ist, desto weniger intensiv ist das letzte Be- diirfnis, das noch zur Befriedigung gelangt, um so geringer also -- bei gleichem Bediirfnisstand - d e r Wert der Gutseinheit. (Vorbehaltlich nKherer Untersuchung wird angenommen, dab die Intensit/itsabnahme der Bedfirfnisse in gleichem Verh~Itnisse zur Zunahme des Besitzes vor- schreite.) Somit driickt sich der Wertstand der verschiedenen Sonderwirt- schaften im umgekehrten VerhKltnisse des in jeder vorhandenen Gesamt- besitzos von Gutseinheiten aus und die Xquivalenz der Steuer durch

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Giitersummen im Verh~iltnis des Besitzes. Der Bediirfnisstand beeinfluBt den Wertstand dadurch, daB, je mehr und je hSher stehende Bedfirfnisse in einem solchen enthalten sind, bei gleichem Giiterbestande das an der Befriedbarkeitsgrenze stehende einen um so hSheren Grenznutzen auf- weist. Beim Vergleiche des Bediirfnisstandes verschiedener Individuen findet man ebenfalts gewisse quantitative Verschiedenheiten, die ~ul]er- lich faBbar sind: so nach der Anzahl der Personen, deren Bediirfnisse durch eine Einzelwirtschaft befriedigt werden, Vorhandensein oder Nicht- vorhandensein von Umst~nden, die gewisse Bediirfniskategorien ergeben, wie zum Beispiel Krankheit gegen Gesundheit, Alter gegen Jugendkraft, Schwerarbeit gegen Leiehtarbeit usw. Im iibrigen wird die Durchschnitts- gestaltung der Bediirfnisse dem Schlusse zugrunde gelegt, die bis zu einem gewissen Grade yon selbst gegeben ist als Folgewirkung natiirli- cher Ursachen und der nivellierenden Faktoren des Soziallebens, welche die leibliche und geistige Beschaffenheit der Individuen modeln. Mithin kommt zufolge Modifikation der durch den Giiterbesitz bestimmten Wert- hShe durch die quantitativen Verschiedenheiten der Bediirfnisst~nde ein Wertstand zum Vorschein, der, durch ~iuBere Tatsachen bestimmbar, die Erfiiltung der Forderung der Xquivalenz ermSglicht. Die Fotge der er- wiihnten Durchschnittsbemessung der Bediirfnisstiinde ist freilich, dab die Xquivalenz keine ganz genaue sein kann. Das vereitelt aber die Wirt- schaftshandlung nicht, denn der im Mumalismus enthaltene Altruismus be- wirkt, dab die Forderung im vorhinein nicht im Sinne vollstiindiger Gleich- heit, sondern nur im Sinne einer AnnKherung an diese erhoben wird. ~Jbri- gens KuBert der Altruismus, soweit er in einem Verbande konkret zu ver- zeichnen ist, eine noch weiter reichende Wirkung. Es sind F~lle zu beob- achten, in denen er das Motiv abgibt, gewissen Gruppen der BevSlkerung die sie auf Grund der Jkquivalenz treffenden Steuern zu mindern, selbst ganz zu erlassen.

Wenngleich also der angedeutete Einwand gegenstandslos ist, so'ist doch die Steuer ersichtlich eine Wirtschaftshandlung, die wegen der gro- Ben Zahl der in sie einbezogenen Individuen einerseits und der verwickel- ten Beschaffenheit des Vorganges anderseits eine vollkommene Verwirk- lichung des 5konomisch Beabsichtigten iiberhaupt niemals erreichen kann; ganz abgesehen yon den politischen StSrungen, welchen sie ausgesetzt ist. Das gilt in um so h5herem MaBe zufolge der praktischen Schwierigkeiten, die es bereitet, die Besitz- und Bediirfnisst~inde, welche den Individualwert- stand bestimmen, bei jedem einzelnen dem MaB nach zu erfassen. Die Technik der beziiglichen Ermittlungen muB eine der Differenzierung, in der die fortschreitende Kultur sieh offenbart, entsprechende Ausbildung er- fahren. Welters kSnnen Einfliisse der Besteuerung auf die Sonderwirt- schaften sdl~idliche Folgen fiir die Wirtschaft des ganzen Landes haben oder der Xquivalenz entgegenwirken, wodurch MaBregeln zur Verhfitung solcher Folgen, soweit sie im Bereiche der MSglichkeit liegt, notwendig werden. In der fortschreitenden Ausbildung aller dieser praktischen MaB- nahmen hat die Entwicklung des Steuersystems in allen L~indern bestan- den. Endlich wird niemand das Walten des individuellen antikollektivi- stischen Egoismus iibersehen, der zu dem Streben verleitet, der gebiihren-

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den Steuerleistung, auch der richtigen, durch List trod Lfige soviel als m6glich zu entgehen. Die hierin gelegene Verletzung der Verpflichtungen des kollektiv-mutualistischen Verh~ltnisses wird durch das ethische Ver- dammungsurteil, das sie trifft, wohl nur zum Tell verhindert (Steuer- moral!), im iibrigen muB sie, soweit mit ihr im gegebenen Falle tats/ich- Itch zu rechnen ist, nach kollektivistischer Willensiibereinstimmung dureh geeignete Vorkehrungen bek/~mpft werden, was in grSBerem oder geringerem MaBe yon Effolg sein kann. Die fortschreitende Ann~herung an die Vollkommenheit durch f0berwinden der bezeichneten Schwierigkei- ten bringt, soweit sie gelingt, das wirtschaftlich Richtige zur GeItung. Im Verstiindnis dieser Entwicklungserscheinung erfaBt die Theorie die Wirk- lichkeit in vollem MaBe.

Ein L@sungsversuch auf Grundlage der Grenznutzentheorie

Es diirfte nun wohl ersichtlich sein, wie grundverschieden die hier dargestellte Steuertheorie von derjenigen ist, die in buchstKblicher An- wendung der Grenznutzentheorie auf die Steuerzahlung besteht. Diese ist durehaus individualistischen Charakters. Das erhellt sehr klar aus der Wortfassung, in der Knut Wicksel l (Finanztheoretische Untersuchun- gen 1896) die Lehre vorgetragen hat. Erik L indah l hat sie in seiner eingangs erwKhnten Schrift aufgenommen und des n/iheren zu begriinden versucht; in der Absicht, damit die endgiiltige LSsung des Steuerproblems zu bieten. Es Iohnt sieh zuzusehen, ob dies gelungen ist und ob man fiber- haupt auf diesem Wege zum Ziele gelangt.

Die Grundlage der beziiglichen theoretisehen Anschauung ist, dal] der einzelne sich eines bestimmten Nutzens der Staatst~tigkeit fiir ihn per- s6nlich bewul]t werde, oder mit anderen Worten, dab die Staatsleistungen fiir jeden einen individuellen Wert haben, wobei aber nicht etwa die Staats- leistungen im allgemeinen gemeint sind, sondern die verschiedenen Staats- leistungen mit je einem speziellen Werte je nach ihrer Beschaffenheit. Auf Grund dieser Pr/~misse wird sodann die Steuerleistung als ein Preis auf- gefaBt, der durch den Gesichtspunkt der ,,Gleichheit des Grenznutzens der betreffenden Staatsleistung und der dafiir beigesteuerten Privatgiiter" bestimmt werde.

Offenbar steht und fiillt diese Lehrmeinung mit ihrer Voraussetzung: der Bestimmbarkeit und MeBbarkeit des individuellen Nutzens. Daher dr/~ngte sich ihren Vertretel~ die Notwendigkeit auf, das Zutreffen der Voraussetzung zu erweisen. Den Beweis glaubt Wieksel l mit einem ein- zigen Argumente erbracht zu haben. Er meint n~mlich, dab das ,,Gesamt- urteil" (unserer Theorie) sich ohne jene Voraussetzung nicht erkl~ren lasse. Er r~iumt ein, dab es ,,manchmal fiir den einzelnen sehr schwierig sein muB, zu entscheiden, inwieweit eine projektierte Entwicklung innerhalb eines gewissen Zweiges der staatlichen Wirksamkeit -- zum Beispiel die Ver- mehrung oder Gehaltsaufbesserung einer bestimmten Kategorie yon Staats- beamten --, wozu er seinerseits so und so viel beisteuern miiBte, ibm per- sSnlich oder denen, die ihn vorzugsweise angehen, einen dem Opfer ent- sprechenden Nutzen bringen wiirde". Allein ebenso schwierige Aufgaben,

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sagt er, bietet das privatwirtschaftliche Leben in Hfille und Ffille (ein Aus- sprueh, dem man -- nebenbei bemerkt -- ohneweiters den Glauben ver- sagen muB). Und er betont, so viel sei sicher: ,Wenn es dem einzelnen durchaus unmSglich wiire, sich hierfiber eine ann~hernd bestimmte Vor- stellung zu bilden, so wiire es a fortiori unmSglich -- und mag man die Entseheidung dem genialsten Staatsmann fiberlassen wollen - , Nutzen und Opfer der Gesamtheit gegeneinander abzuwiigen." Man sieht: Es ist eine durchaus individualistische Auffassung, die hier zutage tritt. Der Nutzen wird auf den einzelnen persSnlieh bezogen, gleichwie das Opfer und der Gesichtskreis des einzelnen ausschlieBlieh auf ihn selbst und seine AngehSrigen eingeschriinkt: yore weiteren Verbande und seinen Einwirkun- gen ist vSllig abgesehen. Die Voraussetzung begreift die Verschiedenheit des Nutzens der Smatst~tigkeit fiir die Individuen in sich, diese werden aber immer als in umfassenden Klassen der BevSlkerung eingegliedert angesehen.

Bei de-r zitierten Argumentation bietet sieh zuniichst ein kritischer AnstoB. Wenn der einzelne den persSnlichen Nutzen konkreter Staatst~- tigkeiten zu erkennen und zu ermessen in der Lage ist und sohin den die- sem Nutzen (Grenznutzen) entsprechenden Preis in der Steuer zu zahlen bereit ist: wozu bedarf es dann einer Schiitzung yon Nutzen und Opfer ffir die Gesamtheit? Jeder einzelne entrichtet eben die Steuer, deren MaB mit dem Grenznutzen der betreffenden Staatsleismng ffir ihn bestimmt ist, Gesamtnutzen und Gesamtsteuer ergeben sich danach eo ispo durcb Addition der einzehmn F~lle: eine Schiitzung wiire das ~berfliissigste yon der Welt. Das fiihrt auf einen Selbstwiderspruch in der Thecrie: der Beweis ffir die individuelle MeBbarkeit des Nutzens der Staatstiitigkeit beruht auf der Annahme der Notwendigkeit einer Schiitzung yon Gesamtnutzen und Gesamtopfer, die wirtschaftliche Konsequenz der MeBbarkeit des indivi- duellen Nutzens, das ist die individuelle Preisbestimmung nach dem Grenznutzen, hebt jedoeh die vorausgesetzte Gesamtsehiitzung auf.

Es muB aber doch wohl einen Grund gegeben haben, aus welchem yon der Gesamtsehiitzung ausgegangen wird. Wir finden ihn in der yon den Autoren festgehattenen Meinung, dab erst yon der auf diese Weise be- stimmten Gesamtsteuersumme die Steuer des einzelnen im Wege der ge- rechten Verteilung gefunden werde. Man wird nicht umhin kSnnen, darin eine Unvereinbarkeit der Gedanken zu erblicken. Wenn in dem erkenn- baren und erkannten Grenznutzen ein bestimmtes wirtschaftliehes Ma~ ffir die Steuer jedes einzelnen gegeben ist, so bedarf es doeh der relati- ven Steuerausteilung fiberhaupt nicht, da die absolute HShe der Steuer schon durch jenes Mafi bestimmt ist. In einer Grenznutzentheorie der Steuer ist fiir die relative Steuerausteilung kein Platz!

Mit Bezug auf die dargestellte Beweisfiihrung erheben wir zuniichst den formalen Einwaud, dab sie zum Erweise der unmittelbaren individuetlen Erkennbarkeit und MeBbarkeit des Nutzens der Staatsbetiitigung ffir den einzelnen logisch nicht ausreieht. Aus demjenigen, was im friiheren fiber den Nutzanteil des einzelnen an den Zwecksetzungen, welchen eigentliche Kollektivbediirfnisse entspringen, festgestellt wurde, ergibt sich uns auch ein sachlieher Einwand, auf Grund dessen die behauptete individuelle

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Bemessung des Nutzens unbedingt zu bestreiten ist. Es tritt hier eben der Gegensatz zwischen der individualistischen und der kollektivistischen Auf- fassung zutage. Nach der ersteren erkennt jeder den ibm erwachsenden Nutzen direkt wie in der Privatwirtschaft. Nach der kollektivistischen Auf- fassung erfaBt der einzelne nur die relative Bedeutung eines Gemeinlebens- zweckes, den Nutzen ffir ihn selbst jedoch nut mittelbar durch das Be- wuBtsein, an jenem Zwecke einen unbestimmbaren Anteil zu haben. An diese Einwendungen reihen sich aber noch weitere, welche sich mit Bezug auf die Formel ,,Gleichheit des Grenznutzens der Staatsleistung und der dafiir beigesteuerten Privatgiiter" aufdr~ngen.

Der Nutzen des einzelnen soll yon diesem als Grenznutzen der Staats- teismng aufgefaBt werden. Um zu untersuchen, inwiefern yon solchem Grenznutzen gesprochen werden kann, muB vorerst klargestellt sein, was unter ,Staatsleistung" zu verstehen ist. Das Wort Leistung hat einen zweifachen Sinn: es bedeutet entweder das Geleistete oder den Akt des Leistens. In welchem Sinne ist der Name bezfiglich der Staatsleistungen gebraucht? Als das Geleistete sind sie die erreichten Zwecke, das befrie- digte Bediirfnis. Die Akte des Leistens aber sind in Wirklichkeit solche der Staatsorgane. Die herrschende Theorie erkl~rt die Leistungen als Gii- ter. Hiebei unterscheidet sie die kSrperliche und geistige Anstrengung der Personen, welche die betreffenden Handlungen verrichten -- das ist Ar- beit -- und das Produkt der Arbeit: ihre unmittelbaren Nutzwirkungen als Mittel ffir bestimmte Zwecke. Die Nutzwirkungen sind das Leistungs- gut. Im Sinne dieser Begriffsbildung bestehen mithin die ,,Staatsleistun- gen", um die es sich handelt, beispielsweise in den Richterspriichen und den anderen MaBnahmen der Rechtspflege, in der TStung und den Zer- stSrungen im Kampfe und den milit~irisehen Vorbereitungshandlungen usw. Das sind die ,,Sffenttichen Gfiter". Die durch diese Giiter zu befrie- digenden Bedtirfnisse sind die Rechtssicherheit, der Sieg, aber auch die Niederlage bzw. die Erhaltung des Staates usw. Und nun fr~gt es sich um den Grenznutzen jener 5ffentlichen Giiter. Grenznutzen kann nut yon Gfitern ausgesagt werden, denn der Name bezeichnet ja die Beziehung je einer Einheit eines Giitervorrates zu bestimmten Bediirfnissen, deren Befriedigung je von einem Gutsstiieke aus dieser Menge abh~iIigt. Wenn yon Grenznutzen jener Leistungsgiiter gesprochen werden soll, so miiBten diese in Teilakte zerlegt werden kSnnen, um sie eben mit verschiedenen Bediirfnissen in Beziehung zu bringen. Wie soll man sich das vorstellen? Nicht ein einzelner Richterspruch bewirkt die Rechtssicherheit, nicht die einzelne militi~rische Bet~tigung die Sicherheit des Staates nach auBen, sondern diese Zwecke werden durch die fortlaufende Bet/i.tigung, dutch die Gesamtheit der Dienstleistungen erreicht. Es ist immer nur ein Zweck und ein diesem dienendes Mittel wahrzunehmen. Allerdings ist eine Zer- Iegung in der Weise mSglieh, dab man entsprechend dem kontinuierlichen Bediirfnisse als Teilungsmarke ein Zeitintervall verwendet. Auf Grund dessen steht jeweils dem bestimmten Bedfirfnisse die auf solche Art ge- wonnene Einheit yon Leistungsgut gegeniiber. Abet dadurch wird doch an dem erw~ihnten Sachverhalte nichts geiindert. Man kann wohl verschiedene

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Grade der Zwecksetzungen unterscheiden je nach dem grSBeren oder gerin- geren MaBe yon Wohlfahrt, das erreicht wird, und man kann diesen die verschiedenen Mengen der erforderlichen Leistungsgfiter gegeniiberstel- len. Aber as besteht dann doch immer nur die Beziehung je zwischen einem Zwecke und einem bestimmten Mittel. Das fiihrt zu einer Einsicht, die fiir die aufgeworfene Frage wichtig ist, n~imlich zur Erkenntnis, dab die Sachlage, welche die Basis der Grenznutzentheorie bildet, hier nicht vorhanden ist. Und das bedeutet: es kann nicht yon Grenznutzen, sondern nur yon Totalnutzen die Rede sein. Der Nutzanteil des einzelnen, wenn sein MaB bestimmbar w~re, w~re als Totalnutzen, nicht als Grenznutzen zu qualifizieren. Der Grenznutzen kommt nur insofern in Betracht, als bei Erwerbung eines Gutes, das nach seinem Gesamtnutzen gesch~itzt wird, ein Preis im AusmaBe dieses Nutzens gegeben wird, der in der Summe der Grenznutzen der hingegebenen Gfiter (Sachgiiter) besteht. Solche Fiille sind in der Privatwirtschaft zu verzeichnen und wiirden sich nun auch in der Staatswirtschaft zeigen, wenn der Gfiterumsatz nach diesem privatwirtschaftlichen Gesichtspunkte stattf~nde. D a a b e r die individuelle MaBbestimmung des Nutzens der ,,Staatsleistung" nicht mSglich ist, so kann hier ein Giiterumsatz auf Grund einer solchen individualistischen Preisbildung nicht erfolgen. Das ergibt das Konklusum, dab die Grenz- nutzentheorie im eigentlichen Sinne und ihr Korollar, die Angleichung von Preis und Grenznutzen, auf die Bestimmung der SteuerhShe nicht An- wendung finden kann. Sie kSnnte hSchstens als rage Analogie herangezo- gen werden, die selbstverst~indlich keine wirkliche LSsung bietet.

L i n d a h l bedient sich zur Stiitzung der Lehre des Verfahrens, mittels dessen die Volkswirte der mathematischen Schule die Preisgesetze ent- wickeln. Er konstruiert ein Verh~iltnis der Steuertr~iger zueinander (nicht zum Staate!) nach dem Vorbilde des Verh~iltnisses zwisehen K~iufer und Verk~ufer einer Ware! Auf dieser Grundlage gelangt er zum Schlusse, ,die Preisbildung der Kollektivgiiter gehe im groBen und ganzen in der Rich- tung, dab der Preis ffir jeden der Beteiligten dem Grenznutzen ent- spricht" (a. a. O., S. 93). Die Nachpriifung dieses eigenartigen Gedanken- ganges wfirde eine weitwendige Auseinandersetzung erfordern, eine soIche wird jedoch fiir uns entbehrlich, weil die Deduktion von Voraussetzungen ausgeht, deren Unzul~issigkeit soeben erSrtert wurde: der individuellen MeBbarkeit des Nutzens der ,,Staatsleistungen" und der Annahme eines Grenznutzens der ,,Sffentlichen Giiter". Die Pr~imissen berechtigen uns zu dem Urteile, dab auch mit dieser Begrfindung die Theorie nicht zu halten ist. Wit erblicken in der Lehre iiberhaupt nichts anderes als eine moderne Variante der alten relativen oder Tausehtheorie der Steuer, die doch wahrlich als endgfiltig abgetan angesehen werden kann. Sie wird auch in dem neuen Gewande nicht wieder aufleben 1.

1 Bisher war stets von der Steuer des einzelnen die Rede. Etwas anderes ist eine Anwendung der Grenznutzenlehre in kollektivem Sinne, d.h. auf die Gesamtsteuersumme und die gesamten Staatsleistungen oder auf eine bestimmte Art yon Staatsleistungen, zum Beispiel Milit~i.rwesen, und die betreffende Auf- wandsumme. So hat Pan t a l eon i in dem eingangs, S. 191, angefiihrten Auf- satze die Sache angefaBt: er bezieht die gradi finali di utilit~ auf die verschie-

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Zum Gliick f~illt ein Umstand auf, der es ermSglicht, der Theorie der beiden schwedischen Autoren doch nach einer Seite hin etwas Brauchbares abzugewinnen. Die Gesamtsch~tzung des Nutzens der Staatsleistungen wird n~mlich nicht fiir alle Verbandsmitglieder insgesamt ausgesagt, son- der nur je fiir gewisse Klassen, wobei die einzelnen immer dutch die Klassen reprEsentiert auftreten, und es wird auch zugegeben, dab das daraus fiir die Besteuerung Gefolgerte nicht fiir alle StaatstEtigkeiten der in Rede stehenden Art gelte. Das ist eine gewisse Ann~herung an die Wirklichkeit. Es gibt F~lle solcher Staatsbet~tigungen, die eine Besonder- heit hinsichtlich der Personenkreise, auf welche sie sich erstrec~en, auf- weisen, und auf diese l~Bt sich die Theorie modifiziert anwenden 1. Es gibt Kollektivt~tigkeiten, die unmittelbar nicht der Gesamtheit, aber auch nicht einem Teile der Verbundenen individuell, sondern vornehmli~ einer Gruppe oder Klasse der BevSlkerung, also einem Teile der Verbandsmit- glieder, in unausscheidbarer Gemeinschaft zugute kommen, die abet mittel- bar vermSge des Zusammenhanges aller Lebenskreise und der indirekten Wirkungen der betreffenden Zwecksetzungen ffir den Gesamtverband ein eigentliches Kollektivbedfirfnis ergeben. Hier sehen wir den Fall einer ungleichm~iBigen Beteiligung der VerbandsmitgIieder: einer grSBeren der beziiglichen Gruppen- oder KlassenangehSrigen und einer geringeren der gesamten StaatsangehSrigen. Innerhalb jeder der beiden Gruppen ist aber der Anteil jedes einzelnen gleich, weil ununterscheidbar. Das beding$ eine entsprechende Xul]erung des Kollektivismus in 5konomischer Hinsicht derart, dab einerseits eine Aussonderung des weiteren und des engeren Kreises yon Wirtschaftssubjekten mit Bezug auf die Beteiligung an der betreffenden Zwecksetzung eintritt, anderseits jede der beiden Gruppen den auf sie entfallenden Zweck als Kollektivbedfiffnis zu befriedigen hat

denen Budgettitel der Ausgaben und die zu ihrer Deckung dienenden Einnahmen. Dagegen ist zu bemerken: wenn der Lehrsatz beim einzelnen nicht zutrifft, wie sollte er fiir die Summe gelten! Abet man kSnnte dem vielleicht entgegenhalten: wenn durch die kollektivistische Kostenwertung der Gleichgewid~tszustand zwi- schen den Kollektiv- und den Individualzwecken herbeigefiihrt wird, so sei damit doch die Gleichwertigkeit ffir jeden der betreffenden Zwecke ausgesagt. Mit diesem Einwande were ersichtlich das Anerkenntnis ausgesprochcn, dab unsere kollek- tivistische Theorie die LSsung bietet, welche die individualistische Grenznutzen- theorie nicht zu bieten vermag.

Wenn die Charakteristik der Steuer als prezzi politici wortgetreu zu vcr- stehen ist, also Preise im genauen Sinne gemeint sind, die dutch die gradi finali di utilitd bestimmt, zugleich aber auch dutch politische Momente modifiziert werden, so wiirden die gegen die Anwendung der Lehre auf die Steuer des ein- zelnen erhobenen EinwEnde auch fiir diese theoretische Auffassung gelten. Dem- gegeniiber w~ire die Einwendug, dab politische Einfliisse sich nicht notwendiger- weise geltend machen miiBten, sogar nebens~chlich. Aber die Analogie der prezzi ist ein lautes Zeugnis daf/ir, dab die Steuer sich als eine Wirtschaftshandlung, und zwar Ms Wertung qualifiziert.

x Die beziiglichen Erscheinungen des Staatslebens sind schon in der ,,Grund- legung" in der Gesamtiibersicht verzeichnet (§ 70) und weiterhin auf ihre Kon- sequenzen ffir die Bcsteuerung untersucht (§ 85).

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und sohin als solches den umfaBten Wirtschaftssubjekten gegeniiber be- handelt 1. Am klarsten kommt dieses Verh~ltnis zur Erscheinung, wenn die engere Gruppe als eigener Verband innerhalb des Staates konstituiert ist. Ganz dasselbe im Wesen der Sache aber ist es, wenn die fSrmliche 5ffentlich-rechtliche Aussonderung unterbleibt, der Zweck vom Gesamt- verbande gesetzt und verwirklicht und der engere Kreis von ,,Inter- essenten" lediglich zur kollektiven Bestreitung eines Teiles der Kosten herangezogen wird. Letzteres geschieht durch Besteuerung ad hoc in der Weise, daB entweder eine spezielle Steuer den Mitgliedern der Gruppe auferlegt wird odor sie eine entsprechende ErhShung der allgemeinen Steuer in irgendeiner Form zu fibernehmen haben 2. Das AusmaB dieser Sondersteuer kann wieder nur durch das ,,Gesamturteil" bestimmt werden, wobei die Scheidung der Gesamtheit der StaatsangehSrigon und der spe- ziellen Gruppe als Interessengegensatz wirksam wird, der unter Umst~n- den im Wege eines Kompromisses zum Austrag gebrazht werden mug. Es handelt sich in solchen F~llen stets um wirtschaffliche Angelegenheiten, welche f/ir die Mitglieder einer solchen Gruppe odor Klasse ein iiber- einstimmendes Interesse ergeben und sohin mutualistisches Verhalten an- regen. Im gegenw~irtigen Staatsleben kann man das Vordringen der ,,Klasse" als kollektivistischer Verband in diesem Sinne beobachten. Auf diese F~lle kann also die bek~mpfte Theorie, wenn sie von ihrer indivi- dualistischen Voraussetzung losgelSst und kollektivistisch gedeutet wird, bezogen werden.

Was unsere Theor ie uns l ehren kann

Die Wertungstheorie der Steuer zeigt uns, dab diese FinanzmaBnahme~ die als der bezeichnendste Ausdruck selbstherrlicher Staatsgewalt gilt und die viele auch gar nicht anders zu begreifen vermochten, ihrem Wesen nach einen wirtschaftlichen Vorgang darstellt, mit dem die im staatlichen Verbande zusammengefaBte Menschengesamtheit sich aus inneren Grfinden der Okonomie nach den Gesichtspunkten eben dieser selbst bet~itigt. Wit erkennen in der Steuer eine Wirtschaftshandlung, gleich den anderen

i Woht zu unter'scheiden hievon sind die F~lle, in wolchen eino kollektivisti- scho Zweckhandlung einzolnon Individuen zufolge van speziollen Umst~nden ihrer Privatwirtschaft, durch diese vermittolt, ausscheidbaren persSnlichen Nutzen bringt. Hier wird der kolloktivistische Egoismus angeregt und fiihrt zur Ein- forderung von Kosten-,,Boitriigen", die jetzt wohl allgomein als oigeno Kategorie yon Vorbands-,Einnahmon" anerkannt sind. Die ,,Grundlegung" hat sic in § 86 klargestollt.

2 Die italienische Fachliteratur hat die beziiglichen Ausfiihrungen dor ,,Grundlegung" vollinhaltlich gobilligt und diese FinanzmaBnahmen n~iher unter- sucht. Insbesondero J a n n a c o o n e : 1 tributi speciali nella sclenza della finanza e nel diritto italiano 1904, Carlo F e r r a r i s : L" imposta militate nel sistema deUe imposte speciali, 1915, Graz i an i : Istituzioni, 2. Aufl., S. 381, E i n a u d i : Corse di scienza della finanza, 3. Aufl., S. 153. Boi einzelnen F~llen, wie zum Boispiel tier Wohrstouor odor Militiirtaxe, kann es fraglieh soin, ob sic als $pozialsteuer odor Ms Gobiihren zu erkl~iron soien: je nachdom man Klassen- odor individuelle Vorteile als das Bestimmonde ansieht.

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Gruppen der Finanzt~tigkeit, und wir sehen, dab sie wie diese auf die obersten allgemein-wirtschaftlichen Kategorien Bediirfnis und Wert und die im kollektivistischen Verbande wirksamen sozialSkonomischen Be- ziehungen zuriickzuffihren ist. Damit hat die Theorie ihre Aufgabe erfiillt und es ist ganz gleichgiiltig, ob sida aus ihr irgendein Gewinn fiir die Praxis ziehen l~Bt. Den Ausschlag gibt der theoretische Gewinn, bestehend in der Erkenntnis, dab in der Tat die allgemeinen Erscheinungen des Wirtschaftens sich im gesamten Umfange der Lebensffihrung, im Einzel- wie im Kollektivleben, wesenseinheitlich erweisen.

Indes l~Bt sich aus der Theorie noch anderer Nutzen ziehen. Vor allem gewinnt sie ausgesprochene Bedeutung dadureh, dab sie etwas bietet, das alle Steuertheorien bisher zu bieten nicht imstande waren. Alle diese Lehrmeinungen gaben fiber die 5konomischen Gesichtspunkte, nach wel- chen die absolute H6he der Steuer sich bemiBt, keinen AufschluB. Die einen yon ihnen waren an sich nur darauf angelegt, die relative Steuer- hShe zu begrfinden (die Opfer- und die Leismngsf~higkeitstheorie). Bei anderen, wie der Tausch-, der Produktions- und der Reproduktions- theorie, h~tte sich aus ihrer Grundlage der SchluB auf die richtige HShe der Steuer des einzelnen ziehen lassen, wenn der Wert oder die Wirkung der Staatst~tigkeit ffir die einzelne Sonderwirtschaft bestimmbar w~re, was eben nieht der Fall ist. Bestenfalls konnten die letztgedachten Lehren eine gewisse Beziehung zwischen den Kosten der Staatst~tigkeit und ihrem Nutzen ffir die Privatwirtschaft im ganzen konstruieren -- und das nut mit im einzelnen recht anfechtbaren Gedankengiingen --, aber fiir das kon- krete AusmaB der Steuer des einzelnen war daraus konkludent nichts abzuleiten t .

1 Dies ist des n~heren schon in der .Grundlegung", § 83, festgestellt und soil daher hier nicht welter ausgefiihrt werden.

Von neueren Autoren z~ihlt hieher u.a. Mazzola: I dati scientifici della flnanza pubblica, 1890. Er formuliert die Pr~imisse, die 5ffentlichen und die privatwirtschaftlichen Giiter seien komplement~r, well ohne den Verbrauch yon Gfitern der ersten Art die individuellen Bediirfnisse nicht in dem Mal]e befrie~ digt werden kSnnten, welches tats~ichlich ermSglicht ist. Es ist dies die theo- retische Einkleidung des Gedankens, dab ohne die Staatsleistungen des Schutzes usw. den Individuen weniger Giiter zur Befriedigung ihrer Bediirfnisse zur Ver- fiigung stehen wiirden. Hiemit erscheint der Nutzen der Staatsbet~tigung nur auf die Konsumtion bezogen. Indes, wie L indah l (a. a. O., S. 75) richtig be- merkt: Wenn die Staatstgtigkeit eine Bedingung fiir jede Konsumtion ist, muB sie in noch hSherem Grade eine notwendige Voraussetzung fiir die produktive T~itigkeit der Individuen sein und also auch eine privatwirtschaftliche Giiter- vermehrung direkt bewirken. Konsequent gedacht fiihrt mithin M a z z o 1 a s Lehre zur Produktionstheorie, und es trifft sic daher der oben erhobene Einwand in voUem MaBe. Es ist abel, auch die theoretische Einkleidung ihres Grund- gedankens hSchst bedenklich. Als die ,,Sffentlichen Gfitor", welche zu den privat- wirtschaftlichen komplement~ir seien, kSnnen nicht die Dienstleistungen der Staatsorgane, die Leistungsgiiter, anzusehen sein, sondern die geschaffenen Wohlfahrtszustgnde. Damit wird der Begriff der immateriellen Giiter heran- gezogen; jene Begriffsspielerei, die durch ihre Konsequenzen den wissenschaft- lichen Charakter der NationalSkonomie kompromittiert (einerlei, ob das Wort

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Bei solcher Sachlage ist es erkl~rlich, dab die Darstellungen des Finanzwesens in den Lehrbfichern fiber die Bestimmung der absoluten SteuerhShe nichts zu sagen wissen: sie enthalten hSchstens ErSrterungen fiber das Formelle des Vorganges, die Frage selbst vermSgen sie nicht zu beantworten. So gelangen sie schlieBlieh dahin, v o n d e r Annahme aus- zugehen, es seien jeweils die anzustrebenden Staatszwecke und die hieffir erforderlichen Geldsummen yon der gesetzgebenden Autorit~t festgesetzt, wonach sich ffir die Theorie das Problem ergebe, wie diejenigen Summen, welche nicht dutch spezielle Einnahmen gedeckt sind, auf die Steuer- tr~ger zu repartieren seien. Damit geht, genau besehen, die Steuertheorie in der Entwicklung der Gesichtspunkte der relativen Steuerbemessung auf und wird anderseits die Wirklichkeit theoretisch insofern in ihr Gegenteil verkehrt, als die erw~ihnte Voraussetzung yon etwas ausgeht, das die kollektivistische Wirtschaftshandlung erst bewirken soU!

Das finder insbesondere auch auf die Lehre der Finanztheoretiker der politischen Richtung Anwendung, soweit sie der 0konomie iiberhaupt noch ein Pl~tzchen im Hause g5nnen.

Aber auch was die relative SteuerhShe an sich betrifft, erscheint unsere Theorie geeignet, die Einsichten zu f5rdern. Man hat gesagt, die Forderung der )~quivatenz, die sie enth~iIt, sei mit der landl~ufigen Opfer- theorie identisch; es sei nur ein anderer Name ffir dieselbe Sache. Dem ist auf das entschiedenste zu widersprechen. Die Opfertheorie hat eine fest- stehende Gesamtsteuersumme vor Augen, unsere Theorie dagegen zeigt, daft die Steuer~quivalenz auf die Bestimmung der HShe der Einzelsteuer einwirkt, woraus erst die Gesamtsteuersumme sieh ergibt. Aber abgesehen davon: der Satz, dab die Steuer den Steuertr~gern das gleiche oder ver- h~ltnism~Bige Opfer auferlegen soUe, wurde aus einem Postulat abgeleitet:

als terminus technicus festgehalten oder auf der einen Buchseite als solcher, auf der n~chsten als Bild gebraucht wird). Dabei erweist sich diese begl~ffliche Kon- struktion als vSllig zwecklos. Die komplement~ren Giiter regen, wie jedermann well], einen Wertvergleich an: welchen Wert jedes derselben in gesonderter Ver- wendung babe gegeniiber dem Werte des Giiterkomplexes. Dieser Wertvergleich se~zt voraus, daft man die betreffenden Werte kenne. Nun ist sicherlich niemand imstande festzustellen, um wieviel die private Bediirfnisbefriedigung geringer wiirde, wenn die Staatsleistungen wegfielen!

Der Einwand trifft auch die Lehrmeinungen amerikanischer Autoren, die mit anderen sprachlichen Wendungen doch aueh wieder nur auf dis Produktions~ bzw. Reproduktionstheorie hinauskomrnen. L indah l (S. 77) weist auf Clark und Tur t le hin und bemerkt: ,,In demselben Mal]e, wie der Wert der Staats- leistungen wirklich auf ihrem fSrdernden EinfluB auf die privatwirtschaftliche Giiterproduktion beruht, ist der Anteil des Staates an dem Produktionsresultat auch naeh demselben Grundprinzip wie der der privaten Produktionsfaktoren zu regulieren, also nach dem Prinzip der Grenzproduktivit~it. DaB keiner der erw~hnten Theoretiker diese wichtige SchluBfolgerung gewagt hat, zeigt wohl am besten die Oberfl~chlichkeit ihrer theoretischen Konstruktion." Dem Urteil fiber diese Konstruktion soU nicht widersprochen werden, gleiehwohl haben die Autoren sehr wohl daran getan, die Schlul]folgerung auf die Grenzproduktivit~t der Staatst~tigkeit nieht zu ziehen, denn sie w~ren in die ~rgste Verlegenheit gegeniiber der Wirklichkeit geraten, wenn sie es versucht h~tten.

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als Konsequenz der Gleichheit der Staatsbiirger vor dem Gesetz oder als Gebot einer ideaIen Gerechtigkeit, die der Staat in allen seinen Handlungen zu iiben habe. Das heiBt doch ein Postulat durch ein anderes begriinden! Aber man kann vielleicht sagen, das sei nur die rhetorische Einkleidung, im Grunde genommen sei die Forderung seitens der Theoretiker formuliert worden, weil sie beobachteten, dal3 sie eben tats£chlich yon den Steuer- tri~gern immer und iiberall erhoben wird. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Auslegung in jedem Falle zutrifft. Aber selbst wenn man dem zustimmt, so w/ire doch mit jener Beobachtung nur eine empirische GIeich- f6rmigkeit festgestellt. Mit einer solchen mag auch der angewandten Wissenschaft ausreichend gedient sein. Was bietet hingegen unsere Theo- rie? Indem sie zeigt, dab die Forderung der )~quivalenz aus dem gegen- seitigen Interessenverh£1tnis der im kollektivistischen Verbande Stehenden notwendigerweise entspringt, erweist sie, aus welchem Motive sie aus- nahmslos erhoben wird. Das ist wohl ein Unterschied gegeniiber einer nut empirisch festgestellten Tatsache. Damit gibt unsere Theorie dem Postulate erst die Begri~ndung.

Indes noch ein anderer Unterschied dr~ngt sich auf. Man hat dem Begriffe ,,Opfer" Deutung in subjektivem Sinne gegeben. Damit begab man sich auf das Gebiet der Begriffe von GenuB und Entbehren, Lust und Leid, und setzte sich mithin all den Einwendungen aus, welche aus der Unmel3barkeit dieser GefiihIsgrSl~en herzuleiten sind. DaB es eine bare UnmSglichkeit ist, im Vergleich der verschiedenen Individuen fest- zustellen, ob der Verzidat auf gewisse Bedtirfnisbefriedigungen einen gleichen Teil yon dem Gesamtgenusse ausmacht, den ihr Giiterbesitz ihnen ermSglichen wiirde, bedarf wirklich keines Beweises, und man braucht sich nicht erst in die nutzlosen Griibeleien einzutassen, mit welchen einzelne Autoren sich in dieser Hinsicht abgequi~It haben. Mit der Aquivalenz unserer Theorie ist auf die Vorg~nge im Innern nicht Bezug genommen, sondern auf die in den Wirtschaftshandlungen zutage tretenden Wirkun- gen dieser Vorg~nge. W~hrend nach der Opfertheorie ein gewisser Steuer- betrag dem Steuertr~ger ein Leid auferlegt, das grSl3er ist als das Leid eines anderen -- was eben verhindert werden miil3te, wenn dieser Mal]- unterschied bestimmbar w£re! --, lehrt unsere Theorie, dab die Aufwen- dung des betreffenden Giiterquantums, weil nicht entsprechend dem Wert- stande, eine antiSkonomische Handlung w£re, die nach der Willensiiber- einstimmung der Verbandsmitglieder nicht stattfinden darf. Wenn man aber das ,,Opfer" nicht als Leid, sondern als objektiven Entgang an Lebensentfaltung auffaBt, dann bietet eben unsere Theorie die Erkliirung, wieso es gelingen kann, das Gleichmal3 des Entgangs bei verschiedenen Wirtschaften einzuhalten. Die Bedeutung eines solchen Entgangs fiir das Einzelleben bemiBt sich nach der Wertung der betreffenden Lebenszwecke yon seiten der Individuen, und yon diesen prim£ren Werten wird der Giiterwert abgeleitet. Wertgleiehheit der Steuer bedeutet gleichen Entgang, und wir haben gesehen, auf welche Weise man dahin gelangt, das Giiter- quantum zu bestimmen, welches je in den verglichenen Wirtschaften Wert- gleichheit aufweist. Dabei bleibt der Unterschied bestehen, dab die Opfer- theorie yon dem Gewinne am Gemeinleben absieht, nicht so unsere Theorie.

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Eine Variante der Opfertheorie zielt nicht mehr auf die relative, son- dern auf die absolute SteuerhShe und will eine gegebene, durch den Staats- bedarf bestimmte Sum.me auf die Steuertr~iger in der Weise aufgeteilt wissen, dab sich das geringste kollektive Opfer ergebe. Es ist dies die Theorie des Opferminimums, die vielleicht manchen imponiert hat, yon d er italienischen Fachliteratur aber grfindlich abgetan worden ist. Es ist nach- gewiesen worden, dab eine Steuerbemessung nach diesem Gesichtspunkte~ wenn sie ausffihrbar wgre, bei einer gewissen Besitzverteilung dahin ffihren miiBte, dab ein mehr oder minder groBer Tell der Staatsange- hSrigen gar keine Steuer zu entrichten h~itte, und dab ira fibrigen eine Angleichung der BesitzgrSBen die Folge w~re 1. Diese Folgen auf sich zu nehmen wiirde ein MaB yon Altruismus voraussetzen, welches t a t s ~ l i c h nicht besteht und weit fiber den Mumalismus des kollektivistischen Ver- bandes hinausginge. Der letztere allein, mit seiner 5konomischen Kon- sequenz, ist Realit~it. Es bedarf nicht erst des Ausmalens der ffir die Wirtschaft und den Staat ruinSsen weiteren Folgen, welche eine Ver- wirklichung der Ideologie nach sich ziehen mfiBte, um dem Ausspruche B a r o n e s zuzustimmen: Questa teoria del cosl detto sacrificio minimo rappresenta una delle maggiori aberrazioni cui si sia giunti in tali calcoli arbitrarii di piaceri e di pene 2. Aber es ist ein pr~judizieller Einwand gegen die Lehre zu erheben. Sie bezweckt offenbar die Durchsetzung des 5konomischen Grundprinzips in der Besteuerung nachzuweisen, wenn der- art eine bestimmte Zwecksetzung mit dem mindesten Aufwande realisiert wfirde. Dabei unterl~uft aber ein schweres Versehen. Es handelt sich doch nicht darum, eine jeweils gegebene oder als gegeben vorausgesetze Bedarf- summe auf die Steuertr~ger in der Weise aufzuteilen, dab ein Minimum yon Sonderlebensentgang zum Vorschein komme, sondern darum, die Steuern mit Rfieksicht auf kollektivistische Zwecke zu regulieren bzw. zu erhShen bis zu der Grenze, welche aus Rficksicht auf die Sonderlebens- zwecke nicht iiberschritten werden daft, so dab erst aus den Einzelsteuern eine Gesamtsumme sich ergibt, yon der das AusmaB der erffiIlbaren kollektivistischen Zwecke abh~ngt. Unsere Theorie berechtigt uns also dazu, die Theorie des Opferminimums als eine verunglfickte, der Wirk- lichkeit widersprechende Deutung der Wirksamkeit des 5konomischen Prinzips im Steuerwesen zu erkl~ren.

Uber die Leistungsfi~higkei~stheorie, die auch nur auf die relative SteuerhShe zielt, und die Inhaltslosigkeit dieser Formel, wenn sie nicht als das Postulat der Besteuerung im Verh~ltnis des Einkommens verstanden oder durch die Opfergleichheit erkl~rt wird, ist gegenw~rtig wohl kein Wort mehr zu verlieren. Sie ist ein Schlagwort, keine positive Theorie. Der Vergleich mit unserer mag dies denjenigen lehren, der etwa darfiber noch nicht im klaren ist.

Ein Detail, aber ein zur Beurteilung unserer Theorie wiehtiger Punkt,

1 Man sehe die treffende Beweisfiihrung bei E inaud i : Corso di scienza delle finanze, 2. Aufl., § 169--198. Obereinstimmend Barone: Studi di Econo- mia finanziaria, Giornale degli Econ., 1912.

Giornale degli Econ., a. a. O., S. 484.

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betrifft die Einsichten, welche sie uns in der Frage der Progressivsteuer bietet.

Es muB daran erinnert werden, dab man aus den alten Theorien mit gleicher Logik sowohl die Proportional- als die Progressivsteuer dedu- zieren kann 1. Nichts kennzeichnet drastischer die inhere Hohlheit jener Formeln. Anderseits ist damit erwiesen, dab die Frage eben mit den bis- her in Geltung gewesenen Theorien nicht zu 15sen war. Mit irgendeiner wirtschaftlichen Theorie muB das aber gelingen, sonst k~me man dazu, dab sie iiberhaupt wirtschaftlich nicht zu liisen ist; aui]er etwa nur mit Bezug auf eine einzelne Steuer, zum Beispiel auf eine direkte Steuer zur Ausgleichung der hSheren Belastung der unteren Einkommenstufen dutch Verbrauchsteuern. Dann h~tten vielleicht die Finanztheoretiker der politi- schen Richtung recht, wenigstens in diesem einen Punkte? Was sagt also unsere Theorie?

Sie zieht eine Beobachtung heran, die bezfigtieh der Intensit~tsab- nahme der Bediirfnisse in ihrer Reihenfolge gemacht wurde. Dureh Unter- suchung der wichtigsten groBen Kategorien der Bediirfnisse hat sich die Wahrnehmung ergeben, daB die Abnahme der Intensitiit in grSBerem MaBe erfolgt als im Verh~Itnis der Giitermengen, welche die Befriedigung der beziiglichen Bediirfnisse ermSglichen. Das bedeutet, daft der Indi- vidualwertstand sich in st~irkerem Verh~Itnis als im Verh~ttnis der Giiter- besitze erniedrigt. Daraus folgt, daB durch Steuern im Verhiiltnis des Giiterbesitzes die ~quivalenz nicht hergestellt ist. Und daraus folgt weiter, dab durch Bemessung der SteuerhShe in st~irkerem MaBe als dem des Besitzes eine Korrektur zu erzielen ist. An einer friiheren Stelle wurde bereits durch den Vorbehalt n~iherer Untersuchung auf diese Korrektur hingedeutet.

Was die Begriindung vorstehender S~tze betrifft, so mSge es gestattet sein, auf die Ausfiihrungen zu verweisen, in welchen der Gegenstand ex professo behandelt ist, weil eine Darstellung dieses Details unverh~Itnis- m~Big viel Raum eimlehmen wiirde ~.

Damit ist das Prinzip der Progression konkludent begriindet. Wohl- bemerkt: fiir die Steuer als Gfiterausgang, dem eine Sonderwirtschaft durch die Summe der verschiedenen, sie treffenden Steuern erleidet. Und das ist eben das Richtige. Denn die ~quivalenz ist auch nur in diesem Sinne verstanden. Daraus folgt, dab (lie Progression keineswegs auf ]ede einzelne Steuerart Anwendung findet. Und es ist eben nur die Frage des Prinzips beantwortet, nicht auch die des Ma~es, das notwendig sei, um die J(quivalenz zu ergeben. Das letztere ist nur konkret durch das Gesamt- ur~eil zu bestimmen, durch das auch die dem Theorem zugrunde liegende Beobachtung allein zu erweisen ist. Hieraus ergibt sich, wie nutzlos, ja

1 Das hat schon Seligman: Progressive Taxation in Theory and Practice, 1894, in ausffihrlicher Darstellung mit sorgfiiltigen Literaturnachweisen be- leuchtet.

2 Die beziigliche, etwas diirftige Ausfiihrung in der ,Grundlegung" (§ 81, S. 508) ist durch eine eingehendere in der Abhandlu~ng ,,Die Progressivsteuer" (Zeitschrift fiir Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, Bd. I, 1. Hefts 1892) ergiinzt und in einigen Einzelheiten berichtigt.

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verkehrt die Bemiihungen waren, irgendeine Formel, vollends eine mathe- matisch pr~zise, fiir den Gang der Progression zu linden. Daft die ein- zelnen F~lle der einsch]~gigen Vorg~nge staatlicher Willensbildung durch politische Bestrebungen beeinfluBt sein kSnnen, wird niemand bestreiten; ebensowenig, dab man die Progressivsteuer als Mittel einer Regelung der VermSgens- und Einkommenszust~nde anwenden kann: freilich ob mit praktischem Effolge, ist eine andere Frage.

Doch brechen wir ab! Nur noch ein Wort mit Bezug auf die ange- wandte Wisensd~aft. Unsere Theorie pr~judiziert dieser nicht, bietet viel- mehr die Grundlage fiir eine rationelle Durchbildung des Steuersystems in die Einzelheiten. Sie erkennt die verschiedenen Arten und Formen der Steuer als aufeinander abgestimrate Glieder einer Kombination, deren Zweck es ist, jeden Steuertr~iger mit einer Gesamtsteuer in richtiger absoluter und relativer H6he zu treffen. Sie gibt den Zweckm~Bigkeits- gesichtspunkten Raum, die fiir die Ermittlung des verschiedenen Besitz- und Bedfirfnisstandes der in Betracht kommenden Einzelwirtschaften im geschichtlichen Wechsel der Umst~nde maBgebend werden. Die Einwir- kungen der Steuer auf die Privatwirtschaft, die Produktion und den Gfiter- umsatz, die nur in einer ~uBerst verwickelten Kasuistik zu fibersehen sind und daher sicherlich dem Gebiet des Konkreten angehSren, geben AnlaB zu Erw~gungen, inwieweit es gelingt zu verhiiten, dab die auf Durch- fiihrung der Besteuerung in Gem£Bheit der Wertung gerichteten Absichten durchkreuzt werden. Die Erkenntnis des allgemeinen Wesens der Steuer als Wirtschaftshandlung schliel3t nicht aus, die anderen Seiten der Finanz- t£tigkeit zu erkennen und zu untersuchen, die dieser Wirtschaftshandlung das ~iuBere Gepr~ge geben. Derart schlieBt sich die angewandte Wissen- schaft als notwendige Erg£nzung der reinen Theorie an.