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Davis J. Harbord
Duell auf der Themse Tower-Pier, April 1598, vormittags.
Als die Fanfaren am Westtor zu schmettern begannen und die Vorreiter der Tower-Garde auftauchten, wußten die Arwenacks, daß die Königin erschien.
Philip Hasard Killigrew nickte seinen Mannen lächelnd zu und setzte mit einem gewaltigen Sprung gleich vom Achterdeck der Schebecke zur Pier hinüber.
Die Karosse Ihrer Majestät wurde von acht Schimmeln gezogen. Sie hielt auf der Höhe der Schebecke. Hinten sprangen zwei Lakaien vom Trittbrett,
eilten zur rechten Tür der Karosse und öffneten sie. Vom Bock der Karosse stiegen zwei wertere Lakaien und stellten eine kleine, dreistufige Treppe vor die Tür.
Die Gardisten auf ihren Pferden schirmten die Karosse ab. Hasard trat an die Karosse.
Ein Mann, groß, schlank und braunhaarig, entstieg der Karosse, musterte Hasard ans eisigen Augen, zog indigniert die rechte Braue hoch, wandte sich der Tür zu und
half Ihrer Majestät aus dem Prunkwagen. Das allerdings hatte Philip Hasard Killigrew tun wollen, aber der Höfling war ihm zuvorgekommen. Und mit untrüglichem Instinkt
wußte der Seewolf, daß dieser Mann gefährlich war...
Die Hauptpersonen des Romans:
Elisabeth I., Königin von England - Ihre Majestät verstößt gegen die Sitte, was ihr aber herzlich gleichgültig ist.
Robert Devereux - der Earl of Essex hat ein seltenes Geschick, sich immer zwischen zwei Stühle zu setzen.
Gilbert Batten - der Hauptmann der Seesoldaten befehligt eine Prunk-Yacht und führt stur Befehle aus.
Potter - der Bootsmann dieser Prunk-Yacht ist ein berüchtigter Schläger, findet jedoch seinen Meister.
Mac Pellew - hält sich für den schönsten Mann Englands, weil ihn die Königin geküßt hat.
Philip Hasard Killigrew - beugt sich auf Befehl Ihrer Majestät einer Herausforderung und zeigt die Zähne.
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Edwin Carberry konnte es nicht lassen.
Kaum hatte die Königin ihren Fuß auf die erste Stufe des Treppchens gesetzt, da röhrte der Profos los, und wenn der Profos röhrte, dann war was gefällig. Mac Pellew hatte mal erzählt, bei „Plymmie" Plymson, dem Kneipenwirt der „Bloody Mary" in Plymouth, wären beim Brüllen des Profosen die Kellerfenster aus den Rahmen geflogen, und in der Küche wäre ein Tellerbord auf die Steinfliesen gekracht.
Wie dem auch sei, der Profos riß begeistert den Arm hoch und röhrte: „Unserer geliebten Lissy ein dreifaches Hipp-hipp-hurra - Hipp-hipp-hurra — Hipp-hipp-hurra!"
Klar, daß die Mannen mit einstimmten, und so steigerte sich des Profosen Anfeuerungsruf zu einem Donner aus genau dreiunddreißig Männerkehlen, Philip Hasard Killigrew nicht mitgerechnet, und diese dreiunddreißig Arwenacks hatten allerlei auf der Lunge.
Daß auch Don Juan de Alcazar mitbrüllte - und dies als Spanier - hing
schlicht mit der Tatsache zusammen, daß er zu dieser verschworenen Gemeinschaft salzwassergetränkter Rauhbeine gehörte wie die gekreuzten goldenen Säbelklingen zum schwarzen Tuch der Kampfflagge des Bundes der Korsaren. Außerdem hatte er als Kapitän die spanische Schatzgaleone „Fidelidad" bis hierher an die Towerpier gesteuert.
Sie lag hinter der Schebecke, fest und sicher vertäut.
Also: die Begrüßung der Arwenacks für ihre „geliebte Lissy" fegte über die Pier, prallte gegen die Towermauern und raste über die Themse, daß die Möwen kreischend davonstoben und in den Hafengassen die Fensterscheiben klirrten.
Die königliche Lissy war entzückt, und ihr bleiches Gesicht mit der herrischen Adlernase und den dunkelblauen Augen färbte sich rot.
Das Gesicht des Mannes an ihrer Seite hingegen - Hasard sah es genau - zeigte kein Entzücken. Es wechselte vom Angewidertsein zu einer Maske arroganter Ablehnung.
Und mit Empörung und näselnder Stimme fuhr er Hasard an: „Wie kön-
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nen Sie Ihre Majestät derart erschrek-ken, Mister?"
Philip Hasard Killigrew blieb eine Antwort erspart.
Verärgert und abrupt löste sich die Königin von den stützenden Händen des Mannes und fauchte ihn an: „Halt's Maul, Essex!"
Sie konnte recht drastisch werden, diese Elisabeth I, Königin von England, und von den Arwenacks liebevoll „Lissy" genannt.
Aha! dachte Hasard. Dieser Schönling ist also Robert Devereux, Graf von Essex, der derzeitige Günstling Ihrer Majestät. Und er sah mit innerlichem Vergnügen, wie das arrogante Gesicht des Grafen rot wurde vor Wut.
Er hat nicht die Gabe, sein Mienenspiel zu beherrschen, dachte Hasard, verbeugte sich tief vor der Königin und nahm ihre rechte Hand, die sie ihm entgegenstreckte.
„Da bist du also wieder, Rebell", sagte sie mit klirrender Stimme. „Man berichtete mir, du wolltest nie wieder nach England zurückkehren!" Sie musterte ihn scharf.
„Da bin ich", sagte Hasard lächelnd, „also stimmt es nicht, was man Ihrer Majestät berichtete."
„Hm-hm, ich sehe silberne Haare an deinen Schläfen, Rebell", sagte die Königin, „und dein Gesicht ist härter geworden - und noch männlicher. Du wirst mir viel zu erzählen haben. Es heißt, du hättest vor etwa vier Jahren eine englische Expedition in die Karibik unter Sir Andrew Clifford, Sir Henry Battingham und Sir John Killigrew vernichtet und die drei Gentlemen erschießen lassen . . . "
„Unerhört!" fauchte der Graf von Essex. „Majestät, man sollte diesen Mann sofort von der Towergarde verhaften lassen!"
Die Königin drehte sich langsam zu ihm um, musterte ihn kühl und sagte: „Den Teufel werde ich tun, mein Guter! Und misch dich nicht in Sachen, die dich nichts angehen und von denen du nichts verstehst."
Da wurde der Graf von Essex noch röter im Gesicht. Innerhalb von ein paar Minuten hatte ihn die Königin zweimal zurechtgewiesen. Hasard fand das sehr beachtlich und legte es zu seinen Gunsten aus.
Als sich die Königin ihm wieder zuwandte, sagte er: „Ich muß diese Geschichte berichtigen, Majestät. Das Todesurteil gegen Henry Battingham und John Killigrew wurde von einem Kriegsgericht unter Vorsitz des Kommandanten der ,Orion' - Sir Edward Tottenham - ausgesprochen. Die Anklage lautete: Verletzung der Ehre Englands, Mißbrauch von Kriegsga-leonen Ihrer Majestät zum Zwecke der persönlichen Bereicherung sowie Verletzung der Ehre und Würde meiner Person als eines von Ihrer Majestät zum Ritter geschlagenen Mannes, womit auch die Ehre Ihrer Majestät in Frage gestellt und beleidigt worden war. Im einzelnen hatte sich Henry Battingham für Lüge, Betrug und Rechtsanmaßung zu verantworten und John Killigrew für Raub, Entführung und Desertion. Ich selbst war nicht Mitglied dieses Kriegsgerichts und hatte folglich nichts mit der Verhandlung und Urteilsfindung zu tun."
„Und was war mit Clifford?" fragte die Königin scharf.
„Das hatte mit dem Kriegsgericht nichts zu tun und passierte eine Woche zuvor", erwiderte Hasard. „Clifford behauptete, er habe bei Hofe und Ihrer Majestät gegen mich Anklage erhoben wegen Betruges, Unterschlagung von Beute sowie wegen Hoch-
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und Landesverrats. Damit hatte er meinen Namen, meine Ehre und mein Ansehen in den Dreck gezogen. Ich forderte ihn zum Zweikampf heraus und überließ ihm die Wahl der Waffe. Er entschied sich für Pistole. Wir nahmen an einem Strand Rücken an Rük-ken Aufstellung. Dann marschierten wir los. Erst auf Zuruf des Kampfrichters durften wir uns umdrehen und auf den Gegner feuern. Ohne Zuruf des Kampfrichters drehte sich Clifford nach etwa vier Schritten um, schoß mir eine Kugel in den Rücken, und ich brach zusammen. Wegen Verletzung der Duellregeln - in diesem Fall war es ein Mordversuch - wurde Clifford Sekunden später von einem meiner Männer erschossen."
Hasard zog seine ärmellose Lederweste aus, dann das weiße Hemd und drehte der Königin den Rücken zu. Da konnte sie die Schußnarbe sehen.
Hasard wandte sich wieder zu ihr um, sah ihr in die Augen und sagte: „Das ist die Wahrheit, Majestät, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Lump!" Sein Blick wurde eisig, als er jetzt zu dem Grafen von Essex schaute. „Das sollten Sie sich merken - Mi-ster!"
Die Rechte des Grafen zuckte zum Degengriff.
„Laß das Ding stecken, Essex", sagte die Königin, und sie schien sich zu amüsieren. „Ich habe Sir Hasard einmal bei Hof mit dem Degen kämpfen sehen - gegen Sir Jon Doughty, der ihn beleidigt hatte. Der gute Sir John stand hinterher nur noch im Unterbeinkleid da — ein gedemütigter Hanswurst, den Sir Hasard schließlich mit einem Tritt in den Hintern aus dem Saal beförderte. Ich warne dich also, mein Guter. Sir Hasard ist ein Sieger - nicht mal ein feiger Schuß in den Rücken hat ihn umge
bracht. Er steht unter meinem Schutz. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?"
„Jawohl, Majestät", sagte der Graf von Essex, und es klang, als habe er eine quabbelige Qualle im Mund.
„Danke, Majestät", sagte Hasard und verneigte sich wieder.
„Du hattest mir gestern eine Botschaft geschickt", sagte die Königin, „und mich gebeten, dich hier um diese Stunde aufzusuchen. Ist das nicht etwas ungewöhnlich, Rebell? Bittsteller kommen zu mir, aber nicht umgekehrt."
„Das gebe ich zu, Majestät", erwiderte Hasard, „aber ich bin kein Bittsteller. Vielmehr ist es mein Wunsch, Ihrer Majestät etwas zu übergeben, und das konnte ich nicht nach Whitehall schleppen. Ferner liegt mir daran, daß Ihre Majestät persönlich sieht, um was es sich handelt, nämlich um ein Schiff mit einer kostbaren Ladung. Leider ist es so - jedenfalls nach unserer Erfahrung -, daß bei unseren jeweiligen Ankünften in London zwischen Ihrer Majestät und uns stets gewisse Gentlemen auftauchten, die meinen, sie könnten ihr eigenes Süppchen kochen. Kurz, sie zeigen sich äußerst interessiert an den Ladungen, die wir mitbringen. Wir haben sie die ,Themsegeier' getauft, jene Kerle, die als Beamte in hohen Positionen sitzen und aufgrund ihrer Machtstellung meinen, sich an Ihrer Majestät vorbei die eigenen Taschen füllen zu können. Darum bat ich Ihre Majestät hierher -eben um zu verhindern, daß noch einmal Unbefugte auftauchen, die sich in ihrer Gier an einer für Ihre Majestät bestimmten Ladung vergreifen. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Ihre Majestät hierher bemühen mußte."
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„Das ist korrekt", sagte die Königin nachdenklich, „aber du weißt, daß die Schuldigen bereits enthauptet wurden."
„Ja, das weiß ich", sagte Hasard, „aber mir ist unbekannt, wie viele Schuldige es noch gibt. Die Hydra ist vielköpfig, wenn man ihr einen Kopf abgeschlagen hat, wachsen zwei neue nach. Meine Männer und ich wundern uns über nichts mehr. Vielleicht ist es unser Mißtrauen, daß wir alle noch am Leben sind. Also: Unser Geschenk für Ihre Majestät ist jene Ga-leone samt Ladung, die hinter unserer Schebecke liegt. . ."
„Schebecke?" unterbrach die Königin. „Was für ein merkwürdiges Schiff!" Sie spähte an Hasard vorbei zu dem schlanken Dreimaster.
Der Graf von Essex geruhte, die Nase zu rümpfen.
„Das ist kein Schiff, Majestät, sondern ein Unding, ein Nichts", sagte er verächtlich. „Ein Treffer unserer Schiffsgeschütze genügt, um dieses Brettergerüst in seine Bestandteile zu zerlegen. Ich habe selten etwas Minderwertigeres gesehen - ähem!"
„Sie scheinen überhaupt bisher wenig gesehen zu haben", sagte Hasard sarkastisch, „jedenfalls, was Schiffe betrifft. Ich habe mit diesem ,Bretter-gerüst', wie Sie das Kampfschiff der nordafrikanischen Piraten soeben bezeichneten, auf der Fahrt von Cadiz bis hierher einige spanische Kriegs-karavellen und Kriegsgaleonen zu den Fischen geschickt, die allesamt mit Ihren sogenannten Schiffsgeschützen bestückt waren. Das ,Brettergerüst' empfing zwar auch einige Treffer, über die Sie mein Schiffszimmermann gern belehren wird, aber in seine Bestandteile wurde es nicht zerlegt, sonst würde es nicht hier an der Pier liegen. Sie scheinen etwas vor
schnell zu urteilen, Mister - wie war doch Ihr Name?"
„Robert Devereux, Graf von Essex", schnappte der sehr ehrenwerte Earl. „Im übrigen bin ich der Generalfeldzeugmeister Ihrer Majestät, wenn Sie das bitte zur Kenntnis nehmen würden."
„Das nehme ich gern zur Kenntnis", entgegnete Hasard kühl, „hoffentlich sind Ihre Beurteilungen über die Ausrüstung, Bewaffnung und Kampfkraft spanischer Armeen besser als Ihr Urteil über das, was Sie ein Brettergerüst nannten."
Dem Grafen schwoll der Kamm. „Verbitte mir Ihre Belehrungen!"
schnarrte er. Hasard zuckte mit den Schultern
und wandte sich der Königin zu, die aufmerksam gelauscht hatte.
„Sehen Sie, Majestät", sagte er, „das ist genau der Punkt, den ich vor zehn Jahren ansprach, als Sie mir anboten, eine führende Position in der Royal Navy zu übernehmen. Majestät erinnern sich?"
Die Königin senkte den Kopf, dachte nach und murmelte: „Du sagtest dem Sinn nach, ihr - du und deine Männer - würdet euch keinem unterordnen. Ihr wäret euch eures Wertes bewußt, hättet aber oft genug Gelegenheit gehabt, bei den englischen Seeoffizieren bis hin zum Admiral auf Dilettantismus, Unfähigkeit und Arroganz gestoßen zu sein. Ihr wolltet mir lieber als Einzelkämpfer dienen, ohne dabei an die Kette gelegt zu werden. Stimmt's?"
„Richtig, Majestät, genau das. Vielleicht ist Ihr Generalfeldzeugmeister ein hervorragender Mann, was ich nicht zu beurteilen habe. Aber ich spreche ihm das Recht ab, dieses Schiff dort als ein Unding oder Nichts oder Brettergerüst abzuquali-
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fizieren. Mit diesem Schiff schafften wir es, unsere Beutegaleone abzuschirmen und alle Angriffe der Spanier abzuschlagen. Und sie waren hinter uns her wie der Teufel hinter der armen Seele." Hasards Stimme wurde schärfer. „Nein, nein, so geht das nicht. Wir haben überlebt, weil wir dieses Schiff hatten, genau dieses Schiff, das flinker, schneller und wendiger als alle Segler ist, die ich bisher kennenlernte. Wenn die Handelsfahrer im Mittelmeer ein solches Schiff an der Kimm auftauchen sehen, dann wissen sie, was die Stunde geschlagen hat. Und Kapitän und Mannschaft sprechen ihr letztes Gebet. Denn sie wissen, daß die Schebecken der nordafrikanischen Piraten wie Jagdhunde sind." Hasard schüttelte den Kopf und sagte fast wütend: „Aber was rede ich da! Entweder hat man einen Blick für Schiffe, oder man hat ihn nicht. Bei dem Grafen von Essex scheint der Blick vernebelt zu sein!"
Der Graf von Essex, seines Zeichens Generalfeldzeugmeister, blickte grimmig drein.
Die Königin indessen lächelte und sagte: „Der gute Essex liebt schnelle Yachten, Rebell, damit du das weißt! Er und seine Freunde veranstalten Wettfahrten auf der Themse. Bisher hat ihn noch niemand geschlagen."
Hasard runzelte die Stirn. „Wettfahrten auf der Themse? Haben die Gentlemen nichts Besseres zu tun? Was kostet denn so eine Yacht?"
Der Graf von Essex warf sich in die Brust und näselte: „Meine ,Arrow' hat zwanzigtausend Pfund gekostet, sie ist die verbesserte Kopie einer holländischen Staatenyacht - verbessert natürlich nach meinen Plänen -ähem."
„Soso", murmelte Hasard und erinnerte sich an jene „Arrow", die hinter
der „Fidelidad" an der östlichen Towerpier vertäut lag.
Sie waren an ihr beim Einlaufen zu ihrem Liegeplatz vorbeigesegelt.
„Scheint die Luxuslaube von so einem hochwohlgeborenen Arschloch zu sein", hatte der Profos in seiner unnachahmlichen Direktheit von dieser Prunkyacht gesagt und damit den Nagel auf den Kopf getroffen.
Was das Äußere dieser „Arrow" -es bedeutete soviel wie „Pfeil" - betraf, da konnte der Unterschied zur Schebecke der Seewölfe allerdings kaum größer sein. Gegen die Schmucklosigkeit der Schebecke war die „Arrow" ein funkelnder Edelstein.
Mein Gott, dachte Hasard, zwanzigtausend Pfund für ein Schiff, das diesen Nichtstuern zu Vergnügungsfahrten auf der Themse dient! Es ist nicht zu fassen. Es reicht nicht, daß sie wie die Gecken herumstolzieren, ihre Finger mit Ringen schmücken und Prunkwaffen zur Schau tragen, nein, sie müssen dem niederen Volk ihre eingebildete Erhabenheit auch noch mit solchen Prunkyachten demonstrieren.
Und die Königin ließ das zu? Sie las seine Gedanken und sagte:
„Es paßt dir nicht, Rebell, nicht wahr?"
„Ich habe nicht darüber zu befinden, ob sich der Graf von Essex einen goldenen Ring durch die Nase zieht", erwiderte Hasard geradeheraus. „Und ich muß dabei an die Admírale Hawkins und Drake denken. Meine Männer und ich waren Augenzeugen ihrer letzten Fahrt in die Karibik. Ich denke dabei an den Zustand der Mannschaften und der Schiffe. Er war erbarmungswürdig. Es lag an der mangelhaften Ausrüstung, an schlechtem Proviant und Trinkwas-
ser. So lautet denn die Frage, ob jene ehrenwerten Gentlemen, die sich für zwanzigtausend Pfund zum privaten Vergnügen eine Prunkyacht leisten können, nicht besser täten, mit diesem Geld die Schiffe Ihrer Majestät auszurüsten, jene Schiffe, die gegen Spanien kämpfen und England abschirmen? Nun, ich sagte, ich habe nicht darüber zu befinden. Dafür freut es mich um so mehr, Ihrer Majestät die ,Fidelidad' übergeben zu dürfen. Sie liegt hinter unserer Sche-becke. Darf ich Ihre Majestät an Bord bitten?"
„Gern", sagte die Königin lächelnd, hakte sich bei Hasard ein und ließ sich von ihm zur „Fidelidad" führen.
Der Graf von Essex stand ziemlich dumm da und zuckte zusammen, als Hasard über die Schulter sagte: „Sie sind ebenfalls herzlich zur Besichtigung eingeladen, Sir. Es wird Sie sicher interessieren, welcher Art unsere Geschenke für Ihre Majestät sind."
Da stelzte der Graf hinter dem Paar her, und seine Miene war nicht sehr fröhlich, was keineswegs verwunderlich war. Wer ließ sich schon gern sagen, er möge sein Geld in die Royal Navy stecken statt in eine private Prunkyacht!
Außerdem war er, der Favorit der Königin, zur Zeit restlos abgemeldet, ja, die Königin himmelte diesen Kerl geradezu an. Unmöglich! Wer war dieser Killigrew denn? Ein hergelaufener Bastard! Gerüchten zufolge ein Kuckucksei in der Killigrewsippe! Und so was wollte ihn, den Earl of Essex, belehren! Trotzdem, ein gefährlicher Bursche.. .
Plötzlich blieb die Königin am Arm des Bastards stehen und drehte sich um.
»Du siehst verdrießlich aus, mein
Guter", sagte sie. „Ist dir eine Laus über die Leber gekrochen?" Und sie lächelte spöttisch. „Aber nicht doch! Du solltest dir ein Beispiel an Sir Hasard nehmen. Er schenkt mir mal eben eine spanische Galeone samt ihrer Ladung."
„Wird nicht weit her sein mit der Ladung", knurrte der Graf von Essex. „Die Galeone sieht mir nicht gerade danach aus, als sei sie für den Transport einer wertvollen Ladung geeignet. Die Spanier müßten Dummköpfe sein, diesem maroden Schiff kostbare Güter anzuvertrauen!"
„Oh!" sagte Hasard. „Wir wissen zufällig, daß dieses marode Schiff in einem Geleitzug segelte, der auf der Fahrt von Havanna nach Cadiz unterwegs war. In einem Sturm wurde die ,Fidelidad' von dem Geleitzug getrennt und hatte das Pech, reichlich zerrupft von Überfahrt und Sturm in unsere offenen Arme zu laufen. Leider hatten wir dann nicht die Zeit, das Äußere der ,Fidelidad' so hübsch golden zu verzieren wie Ihre ,Arrow', was natürlich für das Auge wohlgefälliger gewesen wäre. Uns erschien die Ladung wichtiger und vielleicht leuchtet auch Ihnen ein, daß Schiffe aus Westindien - also der Neuen Welt - erstens nach den langen Wochen der Seefahrt nicht so geleckt und gelackt aussehen können wir Ihr Luxusspielzeug und zweitens in der Regel in ihren Laderäumen Güter mitführen, von denen Sie, verehrter Graf, allenfalls träumen können. Es handelt sich nämlich um jene Güter, die in den Goldturm von Sevilla wandern, falls Sie wissen, was ich damit meine."
Der Graf von Essex biß sich auf die Lippen, denn da hatte er allerlei Ohrfeigen einstecken müssen.
„Dieser Mann beleidigt mich ständig, Majestät!" beschwerte er sich.
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Bevor die Königin antworten konnte, sagte Hasard: „Bitte um Verzeihung, Sir. Es war nicht meine Absicht, Sie zu beleidigen. Ich habe nur den Eindruck, daß Sie manchmal nicht wissen, von was Sie sprechen. Ihre Beurteilung der ,Fidelidad' und ihrer Ladung war falsch, und ich habe Sie lediglich korrigiert."
„Sie haben meine ,Arrow' als Luxusspielzeug bezeichnet!" fauchte der Graf.
Hasard tat erstaunt. „Ist es doch auch! Oder etwa nicht? Während Sie mit diesem Gefährt Wettrennen auf der Themse veranstalten, sind wir mit dem sogenannten maroden Schiff und dem ,Brettergerüst' vor den spanischen Verfolgern weggerannt -oder stellten sie zum Kampf, je nach Lage und Aussicht auf Erfolg. Wir riskierten dabei Kopf und Kragen, wie das bei Seegefechten üblich ist. Tun Sie das auch bei Ihrem Zeitvertreib auf der Themse?"
Der Graf von Essex schnappte nach Luft.
Die Königin kicherte, hängte sich wieder bei Hasard ein und sagte: „Laß sehen, was du mir mitgebracht hast, Rebell!"
2.
Einige Arwenacks standen bereits auf der „Fidelidad" und hatten Luken und Schotten geöffnet. Klar, daß der Profos dabei war - und auch die Zwillinge. Sie standen auf der Kuhl und verbeugten sich, als die Königin von Hasard an Bord geleitet wurde.
Sie blieb vor Carberry stehen. „Ja, wen sehe ich denn da", sagte
sie entzückt. „Mister Carberry, nicht wahr, der Profos von diesen Rabauken!"
„Aye, aye, Sir - äh - Majestät!" schmetterte der Profos.
Und diesmal passierte es. Die Königin umarmte einfach die
ses Ungetüm und küßte es mitten auf den Mund. Der Profos wäre fast in Ohnmacht gefallen.
Wie war das damals vor zehn Jahren gewesen?
Da hatte Carberrys geliebte „Bessy", wie er sie nannte, auf den Planken der „Isabella VIII." gestanden und ihrem Gefolge die Leviten gelesen.
Sie hatte gesagt: „Gentlemen, ich wünsche, daß Sie sich diesen Mann genau anschauen. Das ist Mister Edwin Carberry, Profos der ,Isabella', ein Mann ohne Titel und Adel. Ein Mann, der von Ihnen, Gentlemen, allzu häufig wie ein Putzlappen behandelt wird. Ich überlasse es ihnen, was ich damit sagen will, wünschte mir aber, es gäbe mehr Carberrys in diesem Land!"
Und dann hatte sie dem verlegenen Profos einen Kuß geben wollen, aber das hatte Hasard verhindert.
Er hatte gesagt: „Nein, das wäre ungerecht, Majestät. Den Kuß hätte jeder Mann der ,Isabella' verdient -und das wären schon wieder zu viele Küsse für Ihre Majestät!"
Nun war's also passiert, und der Profos hatte ein Gesicht wie eine überreife Tomate.
„Ma-Majestät", stammelte er - und er war ja sonst nicht aufs Maul gefallen -, „d-das ist der schönste Tag m-meines Lebens!"
„Du alte Salzgurke!" donnerte die königliche Lissy und drosch ihm die rechte Hand auf die breite Schulter. „Was ich mich freue, dich wiederzusehen!"
Hinter ihr räusperte sich Hasard. „Jetzt ist er eifersüchtig", flüsterte
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die Königin dem Profos zu, zwinkerte mit dem rechten Auge und drehte sich zu Hasard um.
„Ist was, Rebell?" fragte sie. „Allerdings, Majestät", sagte Ha
sard, „ich muß Sie bitten - wegen der Gerechtigkeit -, jeden Mann dieser Crew zu ehren - ähem - mit einem Kuß!"
„Alle Mann antreten!" schmetterte die Königin. „Hier auf dem Deck der ,Fidelidad'!"
Na, da traten sie an, die Arwenacks, um etwas in Empfang zu nehmen, was erstens unüblich war, zweitens jeder Hofetikette Hohn sprach und drittens die Hofschranzen und Hochwohlgeborenen in empörte Erregung versetzen würde.
Der Graf von Essex sah jetzt schon so aus, als sei er gegen ein Scheunentor gerannt oder einem Ochsen begegnet, der Handstand übt oder Männchen baut.
Merkwürdigerweise landete Sir John als erster auf der „Fidelidad" und schien in seinem kleinen Vogelhirn was aufgeschnappt zu haben, was aus dem unmöglichen Repertoire des Profusen stammte, jedoch in diesem besonderen Fall durchaus stubenrein war.
Es paßte auch, was sonst selten der Fall war.
Mit seiner Plärrstimme, die so manchem Arwenack die Stiefel ausziehen konnte, verkündete er von der Großrah herunter: „Hepp-hepp! Gib Küüüßchen - gib Küüüßchen, alte Salzgurke!" Und er schickte flügelschlagend ein schauriges Gelächter hinterher.
Dem Grafen von Essex quollen die Augen aus dem Kopf.
Die Königin lachte sich schief. Und der Profos betete zum Großen
Kapitän im Himmel, er möge doch so
freundlich sein und dem lieben Sir Jöhnchen die verdammte Klappe zunageln.
Der Große Kapitän hatte ein Einsehen und ließ Sir John nur noch albern kichern und unverständliches Zeug brabbeln. Es bildete die Geräuschkulisse zur Kuß-Parade Ihrer Majestät.
Sie lernte ein paar neue Gesichter kennen, denn Philip Hasard Killi-grews Stammannschaft hatte sich ja vergrößert im Verlauf der letzten zehn Jahre.
Und so stand sie denn auch vor Don Juan de Alcazar und vernahm mit Staunen, was Hasard über ihn zu berichten hatte.
„Sie kämpfen gegen das eigene Land, Don Juan?" fragte sie konsterniert.
Der schlanke und große Spanier mit dem scharfgeschnittenen Gesicht lächelte hintergründig: „Nicht gegen mein Land, Majestät, aber gegen die Krone und ihre Vertreter, die sich einbilden, Götter zu sein und dabei unter dem Zeichen des Kreuzes ins Ländern, die ihnen nicht gehören, rauben, plündern und morden. Ich bin stolz, ein Spanier zu sein, aber ich schäme mich über die Greueltaten meiner Landsleute."
„Da sind Sie wohl der einzige!" sagte der Graf von Essex verächtlich. „Außerdem: Spanier bleibt Spanier. Das weiß man doch!"
„Halt's Maul, du Idiot!" sagte die Königin, ohne sich zu dem Grafen umzudrehen. Sie blickte Don Juan an und fügte hinzu: „Entschuldigen Sie bitte, er hat ein loses Maulwerk, hält sich für besonders schlau und ist trotzdem ein Dummkopf."
„Danke, Majestät", sagte Don Juan und verneigte sich lächelnd. „Von Dummköpfen kann man auch nicht beleidigt werden, nicht wahr?"
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„Genau das meinte ich", erwiderte die Königin. „Ich sah etwas in Ihren Augen aufblitzen, was verriet, daß Sie sich getroffen fühlten." Sie seufzte. „Der Graf hat schon genug Ehrenhändel am Hals und muß allen Leuten beweisen, daß er der beste Degenfechter Englands ist - meint er jedenfalls. Ich möchte nicht, daß die Gentlemen die Klingen kreuzen. Es gibt wichtigere Dinge zu tun, als sich gegenseitig zu verunstalten und die Ohren abzusäbeln." Sie fuhr zu dem Grafen herum. „Hast du verstanden, Essex?"
„Jawohl, Majestät", quetschte der Graf heraus und mußte mitansehen, wie seine „teuerste und angebetete Herrscherin" - wie er sie in einem seiner Briefe genannt hatte - sogar einen riesigen Neger mit einem königlichen Kuß bedachte. Einen Neger!
Sie muß verrückt sein, dachte er in Panik, und schon nagte wieder der Wurm verletzter Eitelkeit an ihm, als er bemerkte, mit welchem Ungestüm die Königin diese beiden jungen Burschen umarmte, die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Erst in diesem Moment fiel ihm auf, daß die beiden Burschen das Ebenbild des Killigrew-bastards waren.
Mit scheelen Augen sah er, daß diese beiden Jungmannen durchaus in der Lage waren, den Weibern den Kopf zu verdrehen - einschließlich seiner Angebeteten.
„Ihr seid ja richtige Mannskerle geworden!" rief die Königin und drehte sich mit blitzenden Augen zu Vater Hasard um. „He, Rebell! Was hälst du davon, wenn ich dir deine beiden Söhne entführe?"
„Und wohin?" fragte Vater Hasard vorsichtig.
„In die Arme von zwei lieblichen Hofdamen, verdammt noch mal!"
Vater Hasards braungebranntes Gesicht wurde etwas blaß. Ihm war bekannt, daß die Königin gern als Kupplerin auftrat oder jenen ein williges Ohr lieh, die ihr - häufig genug in eigennütziger Absicht - zuflüsterten, wer mit wem unter die Haube gebracht werden müsse.
Er wurde einer Antwort enthoben, denn der Profos polterte entrüstet los: „Da möchte ich Majestät ganz energisch abraten!"
„Warum?" „Ganz einfach, Majestät, ganz ein
fach", polterte der Profos, „und ich warnige Majestät", er sagte nie warnen, sondern immer warnigen, der Profos, „das gäbe nämlich ein Eifersuchtsdrama nach dem anderen bei Hofe, und Majestät wäre nur noch damit beschäftigt, diese Dramen zu schlichten!"
„Du meinst, meine Hofdamen würden sich um diese beiden prächtigen Kerle reißen, Mister Profos?"
„Schlimmer, Majestät, viel schlimmer. Sie würden sich gegenseitig zerfleischen! Und dann die Verwechslungen! Wenn die eine gemeint hat, sie hätte Philip geküßt oder mit ihm ein bißchen gescherzt, dann war das in Wirklichkeit Hasard. Und wenn eine Lordschaft Hasard zur Rede stellt, er habe sich dessen Flamme intim genähert, dann kann ihn Hasard kühl abschmettern und ihm sagen, da müsse wohl ein Irrtum vorliegen oder Seine Lordschaft habe Schlick auf den Augen. Nicht auszudenken, was da alles passieren kann!"
„Da ist was dran", murmelte die Königin.
Die beiden Junioren feixten unverhohlen. Die Vorstellung, unter den Hofdamen Eifersuchtsdramen anzuzetteln, erheiterte sie ungemein. Aber als sie zu Vater Hasard hinüberlin-
sten, verging ihnen das Feixen. Der hatte wieder seinen eisigen Blick drauf.
„Nicht wahr?" sagte jetzt der Pro-fos eifrig. „Ich würde auch anstelle Ihrer Majestät lieber einen Sack voller Flöhe hüten als ein Kränzchen ehrbarer Jungfern. Das muß man ganz realistisch sehen. Außerdem ha-ben's diese beiden Burschen hier faustdick hinter den Ohren."
„Wie der Vater, eh?" wisperte die Königin und blinzelte dem Profos zu.
„Wie der Vater - und das in doppelter Auführung'', flüsterte der Profos mit Verschwörermiene.
Vater Hasard räusperte sich lautstark und erinnerte auf diese Weise Ihre Majestät daran, daß die Kußzeremonie noch nicht beendet war.
Beim Zweitkoch blieb die Königin etwas länger stehen und dachte nach. Dann sagte sie: „Mister Pellew, nicht wahr? Du bist schon bei Kapitän Drake gefahren, stimmt's?"
„Stimmt genau, Majestät!" tönte Mac und strahlte über das Essiggurkengesicht. „Majestät haben ein phänomenales Gedächtnis!"
„Für gute Gesichter", schränkte die Königin ein - und das war ein Lob.
Da blieb dem Profos doch glatt die Spucke weg. Wo die gute Bessy bei dieser Miesmuschel ein „gutes Gesicht" sah, war dem Profos völlig schleierhaft. Und als sich Mac aufpumpte wie ein Ochsenfrosch, da wußte der Profos, was die Glocke geschlagen hatte: Mac würde fürder-hin nur noch den aufgeblasenen Gok-kel spielen und von morgens bis abends herumlabern, daß ihn die Bessy zum schönsten Mann Englands ernannt habe. Mac hatte ja sowieso einen Hau weg, weil er sich einbildete, die stolzesten weiblichen Festungen zum Einsturz bringen zu
können. Und nun dies! Es war zum Heulen!
Mac empfing einen innigen Kuß. Er sah aus, als schwebe er auf
rosafarbenen Wolken in den siebten Himmel, Dementsprechend hatte er ein derart dämliches Grinsen drauf, daß es einen grausen konnte. Jedenfalls empfand das der Profos so, und er hätte seinem lieben „Mäckilein" am liebsten eine gescheuert, was sich aber natürlich in Anwesenheit der königlichen Bessy nicht schickte und auch ihren Kuß entwertet hätte.
Als letzter Arwenack entschwebte Old Donegal in den siebten Himmel und schien vergessen zu haben, daß er mit Mary, geborene Snuggle-mouse, verehelicht war.
Die Bessy brachte die Arwenacks ganz schön durcheinander, dabei war sie eine alte Dame, und der Zahn der Zeit hatte auch an ihr genagt. Aber sie war eben die Königin, und außerdem hatte sie immer noch Feuer.
Die Gardisten auf ihren Pferden waren nur noch am Glotzen. So was hatten sie auch noch nicht gesehen.
Alsdann stieg die Königin in den Bauch der „Fidelidad" hinunter, sorgsam geleitet von fürsorglichen Händen, die sonst mit Entersäbeln und Tauwerk hantierten. Alle Kisten und Truhen in den Laderäumen waren geöffnet und boten ihren Inhalt dar. Es blinkte, blitzte und funkelte im Licht der Bordlaternen.
Die alte Bessy geriet schier aus dem Häuschen.
Der Graf von Essex sah immer saurer aus und hätte jetzt ohne weiteres als Konkurrenz zu Mac, dem Sauertopf, auftreten können. Er hatte einen ausgeprägten Adamsapfel, und der veranstaltete in seinem Hals Kletterübungen, wie deutlich zu bemerken war.
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„Mein Gott", sagte die Königin fassungslos vor Staunen.
„Die Silberbarren, Majestät", sagte Hasard sachlich, „haben den Prägestempel von Potosi, das ist eine Silbermine mit Münze, hoch in den Bergen von Südamerika und südöstlich von Lima gelegen. Man muß sich einmal vorstellen, über welche ungeheuren Entfernungen diese Barren nach Spanien gebracht werden. Dabei kostet der Abbau in der Potosimine die Spanier nicht eine Kupfermünze. Sie bedienen sich der Indios, die sie von überall zusammentreiben und in der Mine - von viehischen Aufsehern bewacht - arbeiten lassen, bis sie tot zusammenbrechen."
Die Königin blickte Hasard aufmerksam an.
„Du warst dort, Rebell?" fragte sie. Hasard nickte. „Wir waren dort -
und haben für die Spanier die Hölle losgelassen. Ich schätze, sie haben einige Monate gebraucht, um wieder Silber abbauen zu können. So gesehen ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Es sind Nadelstiche, die wir Spanien versetzen, manchmal schmerzhafte Nadelstiche, und wir müssen uns immer etwas Neues einfallen lassen. Wir versuchen, wie eine Armee zu kämpfen, dabei sind wir nur etwas mehr als dreißig Mann."
„Wie haben Sie dann die Galeone hierhergesegelt?" fragte der Graf von Essex hämisch.
„Kapitän war Don Juan", erwiderte Hasard ruhig. „Er hatte elf Mann Besatzung aus unserer Mannschaft."
„Sie wollen behaupten, die Galeone wurde von nur insgesamt zwölf Mann gesegelt?" fragte der Graf irritiert.
„Ich brauche nichts zu behaupten", entgegnete Hasard, „Sie befinden sich auf der ,Fidelidad', und die liegt
hier an der Towerpier. An diesen Platz wurde sie von zwölf Männern gebracht - na ja, allerdings von zwölf Männern, die ihr Handwerk verstehen, vermutlich besser als so mancher Möchtegernkapitän. Wie viele Männer brauchen Sie denn, um Ihre Yacht in Bewegung zu bringen und in Betrieb zu halten?"
„Fünfunddreißig!" schnappte der Graf.
„Soso", sagte Hasard und grinste freundlich.
„Ich verfüge über erstklassige Seeleute!" fauchte der Graf von Essex.
„Wie schön für Sie", sagte Hasard, „besonders, wenn man bedenkt, wie ökonomisch es ist, fünfunddreißig erstklassige Seeleute ausschließlich zum Zweck von Lustfahrten zu beschäftigen."
„Was soll das heißen?" „Mein Gott, sind Sie so schwer von
Begriff, Sir?" fragte Hasard. „Sie beschäftigen fünfunddreißig qualifizierte Seeleute zum Zwecke Ihrer persönlichen Belustigung, für nichts weiter! Sie unternehmen keine Handelsfahrten, sie segeln mit Ihrem Luxusdings nicht gegen spanische Schiffe zum Zwecke der Kriegsführung, Sie führen keine Expedition durch, Sie besetzen keine strategisch wichtigen Inseln irgendwo auf den Weltmeeren, Sie entdecken keine Länder oder versuchen jene, die entdeckt wurden, zu kartographieren - aber dafür halten Sie sich eine Prunkyacht, und Ihr Ehrgeiz erschöpft sich darin, der schnellste Segler auf der Themse zu sein."
„Was geht Sie das eigentlich an?" „Richtig, es geht mich gar nichts
an", erwiderte Hasard. „Genausowenig, wie es Sie etwas angeht, mit wie vielen Männern diese Galeone gesegelt wurde, was Sie ja zu bezweifeln
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scheinen. Wissen Sie was? Kümmern Sie sich um Ihre Belange als Generalfeldzeugmeister - ich schätze, damit haben Sie genug zu tun, wenn Sie Ihre Aufgaben und Pflichten ernst nehmen. Für Belange, die mit der Seefahrt zu tun haben, sind Sie für mich nicht der richtige Gesprächspartner. Da haben Sie vermutlich noch einiges zu lernen, bis Sie mitreden können. Als Eigner einer Luxuskarosse sind Sie mir nicht kompetent genug. Genügt das?"
Der Graf von Essex schäumte über. „Ich fordere Sie heraus!" brüllte er. „O Gott, hört das denn nie auf!"
sagte Hasard. „Kaum ist man in England, da muß sich irgend so ein Gok-kel schon wieder beweisen, daß er lauter krähen kann als man selbst. Was soll's denn diesmal sein, Sir? Wollen wir uns beide mit Schiffsgeschützen beschießen oder mit Kohlköpfen bewerfen?"
„Ich fordere Sie zu einer Wettfahrt heraus!" donnerte der Graf. „ ,Arrow' gegen Ihre Bretterkiste!"
„Der Esel nennt sich immer zuerst", sagte Hasard gleichmütig. „Also eine Wettfahrt, na so was! Lassen Sie mich mal Prophet spielen, Verehrtester: Eine solche Wettfahrt verlieren Sie mit Pauken und Trompeten. Ich sage das nicht, um mich hier aufzuspielen, sondern weil Ihre Yacht keine Chance gegen unsere Schebecke hat. Vielleicht haben Sie vorhin nicht richtig zugehört - was bei Ihnen häufiger der Fall zu sein scheint -, darum wiederhole ich es. Eine Schebecke ist ein ausgesprochener Schnellsegler. Genau für diesen Zweck wurde sie von den Barbaresken entwickelt. Ach ja, Ihre Yacht hat Seitenschwerter - wie hoch läuft sie am Wind?"
„Weiß ich nicht, interessiert mich auch nicht!"
Hasard seufzte und blickte die Königin an.
„Majestät", sagte er, „bringen Sie diesen Mann davon ab, gegen uns eine Wettfahrt segeln zu wollen. Er hat schon jetzt verloren. Ersparen Sie ihm diese Blamage. Außerdem glaube ich, daß er nicht verlieren kann. Ich wiederhole: er hat absolut keine Chance. Seine Yacht ist kein Renner. Sie mag seetüchtig und robust sein - ich kenne diesen Typ, der ideal für Wattfahren ist, aber nicht für die Jagd auf Handelssegler wie die Schebecke. Der Mann gaukelt sich da was vor - vielleicht, weil er bisher etwas schneller segeln konnte als seine Konkurrenz auf der Themse. Aber gegen die Schebecke ist seine Yacht kein Pfeil, sondern eine lahme Ente. Es wäre unfair von uns, gegen ihn anzutreten."
Die Königin hatte mit gesenktem Kopf zugehört. Jetzt hob sie ihn und blickte Hasard an.
„Ich wünsche, daß Sie die Herausforderung annehmen, Sir Hasard", sagte sie förmlich;
Hasards Miene blieb ausdruckslos. Er verneigte sich und sagte: „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Majestät. Da ich herausgefordert wurde, stelle ich eine Bedingung."
„Und die wäre?" „Der Verlierer spendet der Marine
fünftausend Pfund, zweckbestimmt für zum Krüppel geschossene und daher zum Dienst nicht mehr taugliche Angehörige der Royal Navy."
In den Augen der Königin blitzte es auf. „In Ordnung, Rebell." Sie schaute zu Essex. „Nehmen Sie diese Bedingung an, Graf?"
Der Graf von Essex schnaubte. „Was sollen solche Kinkerlitzchen? Bin ich verrückt, diesen Krüppeln was zu spenden?"
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„Ich dachte, Sie wollen gewinnen", sagte Hasard verächtlich.
„Ach so! Natürlich gewinne ich!" „Dann brauchen Sie auch nicht zu
spenden", sagte Hasard. „Ähem - ich nehme diese lächerli
che Bedingung an", erklärte der Graf von oben herab.
„Was gelten für die Wettfahrt für Regeln?" fragte Hasard sachlich.
„Regeln? Was für Regeln? Wir brauchen keine Regeln, haben wir nie gebraucht! So ein Unsinn!"
Hasard runzelte die Stirn, dann zuckte er mit den Schultern. Er war es leid, sich mit diesem Idioten weiter auseinanderzusetzen.
3.
„Moment mal", sagte die Königin. „An was für Regeln dachten Sie, Sir Hasard?"
„Zum Beispeil an Ausweichregeln", erwiderte Hasard, „wenn Schiffe auf Kollisionskurs liegen. Ich sehe keinen Sinn darin, daß sie sich gegenseitig rammen. Schließlich ist das eine Wettfahrt, kein Gefecht."
„Zu feige, was?" höhnte der Graf von Essex. „Angst um Ihre Bretterkiste, wie?"
Hasards Blick wurde eisig. „Seien Sie vorsichtig, Essex. Wäre die Königin nicht hier, dann würden Sie jetzt Gelegenheit haben, Ihre Zähne auszuspucken, Sie Klugscheißer!"
Der Graf erbleichte. Und dann warnte ihn etwas - nämlich die Wildheit in diesen eisblauen Augen und die Härte in diesem Gesicht.
„Es wird nach Ausweichregeln gesegelt", sagte die Königin scharf. „Welche schlagen Sie vor, Sir Hasard?"
„Vormwinder, Raumwinder und
Halbwinder haben grundsätzlich den Amwindern auszuweichen", erklärte Hasard. „Sie sind manövrierfähiger als Amwinder. Begegnen sich Vormwinder, Raumwinder und Halbwinder sowie Amwinder, so hat jener Segler Vorfahrt vor dem anderen, der über Backbordbug mit Steuerbordhalsen segelt. Mißachtet einer der beiden Wettfahrtteilnehmer diese Regeln, dann wird er disqualifiziert, und der Gegner ist Sieger."
„So ein Quatsch!" fauchte der Graf von Essex. „So was Läppisches! Ausweichregeln! Wer mir in die Quere gerät, der hat auszuweichen, oder ich ramme ihn! So einfach ist das!"
„Es hat keinen Zweck, Majestät", sagte Hasard kühl. „Dieser Mann kennt nur seine eigenen Regeln, und ich lehne es ab, gegen ihn anzutreten. Mir ist mein Schiff zu wertvoll, als es von einem Ignoranten und Nichtstuer für nichts und wieder nichts zu Bruch fahren zu lassen. Das haben meine Männer und ich nicht nötig. Unser Schiff und wir sind nicht die richtigen Objekte für die Spielereien eines unmündigen Flegels."
Die Königin stampfte mit dem Fuß auf und wurde wild.
„Es wird gesegelt!" schrie sie. „Und zwar nach den Regeln, die Sir Hasard bekanntgegeben hat! Hast du verstanden, Essex?" Und leiser, aber mit unheimlicher Schärfe fügte sie hinzu: „Wenn du dich jetzt noch weigerst, dann lasse ich dich in den Tower sperren, bis du verrottet bist!" Sie zitterte vor Zorn, die alte Bessy, und dabei war sie so hart wie Granit.
Der Graf von Essex zog den Kopf ein - bildlich gesprochen. Er merkte wohl selbst, daß er den Bogen überspannt hatte. Den Übergang fand er schnell, fast geschmeidig.
Er legte die Hand aufs Herz und
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sagte: „Ich bin der ergebenste Diener Ihrer Majestät. Es soll sein, wie Majestät befehlen. Es soll nach den Regeln gesegelt werden, wie hier - ähem -dargelegt wurden."
„Dann wiederholen Sie mal diese Regeln", sagte Hasard trocken.
„Ähem - Schiffe über Steuerbordbug vor dem Wind haben Vorfahrt vor allen anderen Schiffen..."
Die Zwillinge, ebenfalls unten im Laderaum, kicherten laut. Die anderen Arwenacks grinsten unverhohlen, und Hasard selbst blickte gottergeben zur Balkendecke hoch, als bäte er den Herrn um Verzeihung für den Unsinn, den der Graf von Essex verzapft hatte. Offenbar hatte dieser blasierte Earl überhaupt nicht zugehört - oder Begriffe wie Backbord- und Steuerbordbug, Vormwinder, Raum-winder, Halbwinder und Amwinder waren ihm völlig fremd.
Die Augen der Königin begannen schon wieder zu glühen. Sie hatte sehr wohl bemerkt, daß die Antwort des Grafen das totale Gegenteil von dem war, was Philip Hasard Killi-grew auch für sie verständlich dargelegt hatte.
„Du Narr!" fauchte sie ihn an. „Hast du überhaupt nicht zugehört? Backbordbug hat Vorfahrt, Raum-winder, Vormwinder und Halbwinder müssen Amwindern ausweichen. Das sind eindeutige und klare Regeln. Brauchst du die noch schriftlich?"
„Nein", sagte der Graf pikiert und warf den grinsenden Arwenacks wütende Blicke zu. Er war nämlich der Ansicht, daß das Schiffsvolk ihn nicht anzugrinsen hatte. Eine Unverschämtheit war das. „Verbitte mir dummes Grinsen!" schnarrte er.
Darauf grinsten die Arwenacks noch breiter. Da wurde wieder Kol-.
lisionskurs gesteuert, den Hasard schnell abbog.
Er fragte den Grafen: „Stehen Sie selbst an der Pinne, Sir, wenn wir die Wettfahrt segeln?"
„Natürlich nicht", erwiderte der Graf von oben herab, „für solche subalternen Funktionen habe ich keine Zeit - ähem. Dumme Frage das, sehr dumme Frage. Für das Dingsda - äh - die Pinne ist einer von den Leuten da."
„Ach ja, einer von den erstklassigen Seeleuten", sagte Hasard. „Wer gibt ihm denn die Ruderbefehle?"
„Die Ruderbefehle? Was für Ruderbefehle?"
„Wie er steuern soll." „Ach so - ähem. Die Befehle erteilt
ihm der Kapitän. Das ist Sir Gilbert Batten, Neffe des Earls of Westmorland und Hauptmann der Seesoldaten. Schneidiger Kerl - ähem, hat schon unter mir gekämpft, als ich Cadiz eroberte."
„Ah ja. Und was tun Sie an Bord der ,Arrow', wenn Sie wettsegeln?"
„Ich?" Der Graf runzelte die Stirn. „Ich habe natürlich die - ähem -Oberaufsicht. Einer muß ja den großen Überblick haben, nicht wahr?"
„Ja, ja", sagte Hasard todernst, „vor allem an den Stellen, wo die Themse enger wird oder ihre Schlickbänke hat. Sicher kennen Sie diese Stellen genau."
„Aber mein Lieber!" Der Graf gestattete sich ein vornehmes Hüsteln. „Wo denken Sie hin! Das sind doch Lappalien! Um so etwas kann ich mich nicht kümmern. Nein, nein! Ich entwickele während der Wettfahrt die taktischen und strategischen Konzeptionen."
„Oh! Darf man da Näheres erfahren, Sir?" fragte Hasard freundlich.
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„Sicher sind Sie ein guter Taktiker und noch besserer Stratege.. ."
Die Königin räusperte sich und schnitt jede weitere Diskussion ab. Natürlich hatte sie gemerkt, daß Philip Hasard Killigrew den Grafen auf die laue Tour aushorchte, abfragte und abklopfte - mit dem bisher eindeutigen Ergebnis, daß der sehr ehrenwerte Graf eine Null an Bord war, ein Schwadroneur, dem noch nicht einmal bekannt war, welche eminent wichtige Funktion der Rudergänger an Bord eines Schiffes hat.
„Genug", sagte sie schroff. „Wann gedenken die Gentlemen zum Wettkampf anzutreten?"
„Darf ich mir einen Vorschlag erlauben, Majestät?" fragte Hasard.
„Natürlich." „Dann schlage ich übermorgen vor
- vorausgesetzt, der Graf ist einverstanden. Ich möchte meinen Männern nach den letzten Tagen und Wochen etwas Ruhe gönnen."
Der Graf wedelte gönnerhaft mit der Hand. „Einverstanden, mein Lieber."
„Gut." Die Königin nickte. „Also übermorgen, Start hier am Towerkai, Punkt zehn Uhr, Ziel ebenfalls hier. Du kennst die Faßtonne bei Graves-end, Rebell?"
„Wir haben sie bei der Herfahrt passiert, Majestät."
„In Ordnung. Sie wird gerundet", bestimmte die Königin.
„Fliegender Start, Majestät?" fragte Hasard.
Die Königin schüttelte den Kopf und lächelte dabei.
„Ich möchte", sagte sie, „daß die beiden Schiffe erst beim zehnten Glockenschlag die Leinen loswerfen und die Segel setzen. Ich will dieses Manöver sehen - und mit mir der
Hofstaat einschließlich der Lordschaften von der Marine. Stört es dich, daß die ,Arrow' hinter euch liegt, Rebell?"
„Nicht im geringsten, Majestät", erwiderte Hasard lächelnd. „Ich hoffe, daß der Graf seinen kleinen Vorsprung zu nutzen versteht."
„Das werde ich, das werde ich, mein Lieber!" tönte der Graf.
„Vorausgesetzt, Ihre ,Arrow' kommt schneller von der Pier weg als unsere Schebecke", sagte Hasard sanft.
„Daran ist überhaupt nicht zu zweifeln!" rief der Graf.
„Da bin ich mir nicht so sicher", murmelte die Königin und etwas lauter: „Die Wettkampfgebühr in Höhe von je fünftausend Pfund ist vor dem Start bei mir persönlich zu hinterlegen, Gentlemen. Außerdem erhält der Lordadmiral von mir Order, entsprechend qualifizierte Offiziere abzuteilen, deren Aufgabe es sein wird, die Schiffe vom Ufer aus auf Pferden oder Kutschen zu begleiten und darüber zu wachen, daß die Regeln eingehalten werden. Ferner wird je ein Offizier als neutraler Beobachter an Bord der ,Arrow' und der Schebecke mitsegeln - mit gleichfalls schiedsrichterlicher Funktion."
„Ich habe nichts dagegen", sagte Hasard.
„Muß das sein?" maulte der Graf. Die Königin blickte ihn scharf an.
„Wollen Sie hier über meine Befehle diskutieren, Graf?"
„Natürlich nicht, Majestät." Der Graf verneigte sich. „Ähem - Majestät haben völlig recht, denn es ist zu vermuten, daß Killigrew versucht, die Regeln zu umgehen, und da muß ihm jemand auf die Finger sehen."
Hasard ignorierte diese Unver-
schämtheit. Er zuckte nur mit den Schultern.
Aber die Königin geriet wieder in Harnisch.
„Hören Sie auf, hier herumzustän-kern, Graf!" fauchte sie. „Wer war denn gegen die Regeln - Sie oder Sir Hasard? Dann unterstellen Sie ihm nicht etwas, was eher Ihnen zuzutrauen ist. Was ritterliches Verhalten betrifft, dürfte Ihnen Sir Hasard jetzt schon um einige Längen voraus sein!"
Der Graf von Essex schluckte diese Ohrfeige, indem er mit den Zähnen knirschte. Hasard war das alles peinlich genug. Er fragte sich, ob es richtig gewesen war, London anzusteuern. Kaum hatten sie hier vertäut, begann wieder das alte Theater, inszeniert von solchen Typen wie diesem Grafen von Essex, die sich für den Nabel der Welt hielten, aber tatsächlich nichts weiter als blasierte Hohlköpfe waren.
Immerhin, von dem Grafen von Essex sagte man, er zeichne sich durch persönliche Tapferkeit aus. Möglich, daß er ein Draufgänger war, aber die lebten meistens nicht lange - sie stolperten, weil sie sich selbst über- und den Gegner unterschätzten. Dieser Mann war ehrgeizig, ruhmsüchtig und noch dazu eitel - eine gefährliche Mischung.
Hasard wünschte diese verdammte Wettfahrt zum Teufel. Essex konnte sie nicht gewinnen, es sei denn, er spielte mit gezinkten Karten. War ihm das zuzutrauen? Hasard bejahte sich diese Frage, ohne lange zu überlegen.
Inzwischen hatte Don Juan de Alcazar ein kleines Schapp geöffnet und entnahm ihm eine in Leder gebundene Akte. Er überreichte sie der Königin und sagte: „Majestät, bei dieser
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Akte handelt es sich um eine Art Ladepapier, das heißt, sie enthält, genau aufgeschlüsselt, die Anzahl der Kisten und Truhen in diesen Laderäumen samt exakter Aufzählung ihrer Inhalte. Ich habe in den letzten Tagen anhand dieser Papiere eine Prüfung vornehmen lassen und kann versichern, daß die Auflistung mit dem Bestand übereinstimmt."
Die Königin nahm die Akte entgegen.
„Donnerwetter", sagte sie. „Das nenne ich korrekt. Außerdem muß das eine Fleißarbeit gewesen sein."
Don Juan lächelte. „Die Männer haben ganz schön geflucht, Majestät -auspacken, zählen und wieder einpak-ken. Bei den Gold- und Silberbarren war das nicht weiter schwierig, die sind ja wie Bauklötze gestapelt und außerdem griffig. Aber bei den Edelsteinen und Perlen war das wirklich mühselige Kleinarbeit."
„Bei der man allerlei verschwinden lassen kann", sagte der Graf boshaft.
Er hatte kaum ausgesprochen, da explodierte die Königin.
„Das dürfen Sie jetzt tun, Essex!" schrie sie ihn an. „Verschwinden Sie! Ich habe es satt, mir Ihre dummen Bemerkungen anzuhören, ganz abgesehen davon, daß Sie ehrenwerte Männer beleidigen. Los! Hauen Sie ab, Sie - Sie - Schwachkopf!"
Mit zuckendem Gesicht stieg der Graf von Essex den Niedergang hoch und polterte von Bord - vorbei an den eisigen und verächtlichen Gesichtern der Arwenacks.
Carberry, der an Oberdeck geblieben war, knurrte hinter ihm her: „Dieser Affenarsch!"
Der Graf von Essex, schon auf der Stelling zur Pier, fuhr herum. „Wer war das?"
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„Ich!" erklärte Carberry pampig. „Was dagegen?"
„Sie wagen es, mich Affenarsch zu nennen?" stieß der Graf hervor.
„Ach? Fühlen Sie sich denn getroffen?" höhnte der Profos. „Da darf ich natürlich nicht widersprechen. Jeder zieht sich selbst den Stiefel an, der ihm paßt. Und Ihnen paßt der Stiefel, von dem die Rede ist, ausgezeichnet -wie angegossen, sozusagen."
Der Graf von Essex röchelte, und sein Gesicht hatte sich lila verfärbt.
Smoky stand neben dem Profos und stieß ihn an.
„Der kippt gleich aus den Pantinen", sagte er.
„Soll mir nur recht sein", sagte der Profos ungerührt. „Ich sammel ihn jedenfalls nicht auf."
„Ich auch nicht", erklärte Smoky. „Wer sind wir denn!"
Aber der Graf hatte sich wieder berappelt und brüllte zur Kutsche: „Garde!"
Ein Reiter löste sich und ritt auf die Stelling zu, ein Hauptmann mit einer Holzhackervisage.
„Sir?" fragte er. Der Graf von Essex deutete auf
Carberry und schnarrte: „Der Kerl ist festzunehmen und in Ketten zu legen!"
„Was hat er denn verbrochen?" Der Holzhacker räusperte sich. „Ich meine, was wird ihm vorgeworfen? Ich habe gesehen, daß er sich der besonderen Gunst Ihrer Majestät erfreut. Hat Ihre Majestät die Festnahme befohlen?"
„Sie haben hier keine Fragen zu stellen, sondern zu gehorchen, verstanden?"
Carberry blinzelte und zeigte zu dem Schimpansen Arwenack, der auf der Kuhl der Galeone herumgehüpft
war und sich jetzt gerade verbeugte -den Hintern dem Kai zugewandt.
„Ich sagte: ,Dieser Affenarsch!'", erklärte der Profos, „und das stimmt ja wohl, wenn ich das richtig sehe. Offenbar fühlte sich dieser Mister getroffen und bezog die Bezeichnung ,Affenarsch' auf seine werte Person, und da erklärte ich ihm, daß ich dem nicht widersprechen dürfe. Ich meine, wenn er sich selbst einen Affenarsch nennt, dann ist das sein gutes Recht, was, wie?" Und der Profos grinste breit.
Das Roß des Holzhackers schnaubte, was ihm die Gelegenheit bot, sich vorzubeugen und den Pferdehals zu tätscheln. Daß er ebenfalls grinste, konnte er auf diese Weise verbergen.
„Dieser Kerl lügt!" brüllte der Graf von Essex. „Und ich habe befohlen, ihn festzunehmen! Wird's bald, Hauptmann?"
Der Holzhacker schüttelte den Kopf.
„So geht das nicht, Sir", sagte er. „Dieser Affe dort hat eindeutig einen Affenarsch - oder wie soll man das sonst nennen? Wenn der Mann erklärt, er habe den Affenarsch des Affen gemeint, dann ist daran nicht zu deuteln. Ihn deswegen festzunehmen, dazu besteht keine Veranlassung. Wenn Sie diesen Ausdruck auf sich beziehen, dann ist das Ihre Sache, Sir."
„Sie haben hier keine Reden zu halten, sondern Befehle auszuführen!" brüllte der Graf von Essex.
Der Holzhacker versteifte sich im Sattel und sagte förmlich: „Sir, ich weise Sie darauf hin, daß ich als Hauptmann der Leibgarde Ihrer Majestät nur Befehle Ihrer Majestät entgegennehme und ausführe, es sei denn, Ihre Majestät hat ausdrücklich
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Order erteilt, daß auch Sie der Leibgarde Befehle geben dürfen. Davon ist mir aber nichts bekannt."
„Sie Kerl wagen es, an meiner Befehlsberechtigung zu zweifeln?" brüllte der Graf. „Steigen Sie ab, Sie sind festgenommen!"
„Du meine Güte", sagte der Profos, „was für ein Zirkus wegen eines Affenarsches! Können Sie nicht noch lauter brüllen, Mister?"
„Ich bin der Graf von Essex!" Auch das wurde wieder gebrüllt, und das Gesicht des Grafen hatte erneut einen lilafarbenen Stich.
„Na und?" fragte der Profos trok-ken. „Soll ich Sie deshalb unterm Kinn kraulen? Räumen Sie endlich die Stelling - wie ich hörte, verwies Ihre Majestät Sie von Bord, und zwar wegen Ihrer dummen Bemerkungen und weil Sie ehrenwerte Männer beleidigt hatten. Wenn Sie's interessiert, ich bin hier der Profos - und Sie wären nicht der erste, der von Bord fliegt. Wer uns anlabert, kriegt was auf die Schnauze, so einfach ist das, ob Graf oder Würstchen, spielt keine Rolle. Und lassen Sie, bitte sehr, Ihren Piekser stecken, mit dem Dingelchen können Sie uns nicht imponieren!"
Tatsächlich hatte der Graf an den Degen gegriffen, um ihn zu ziehen. Und Carberry fletschte die Zähne. Es juckte ihn wieder mal. Und wie es ihn juckte!
Leider erschien die Königin an Deck - ihr Günstling hatte ja auch laut genug herumgebrüllt.
„Was geht hier vor?" fragte sie scharf.
„Ich bin von diesem Subjekt beleidigt worden!" fauchte der Graf von Essex und wies anklagend auf Carberry. „Und ich verlange Genugtuung!"
Die Königin klatschte die rechte Faust in die linke Handfläche. „Geht das schon wieder los? Ich befahl Ihnen, von Bord zu verschwinden, Essex. Statt dessen fangen Sie einen neuen Streit an oder fühlen sich wieder mal beleidigt. Ich befehle alles
nur einmal. Entweder verschwinden Sie jetzt, oder Sie verbringen die nächsten Monate in einer Towerzelle. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe."
„Sehr wohl, Majestät." Der Graf verneigte sich, verließ die Stelling und stelzte mit beleidigtem Gesicht an der Pier entlang zu seiner Prunkyacht „Arrow".
Die Königin seufzte. „Diese Herausforderung zum Wett
segeln ist trotzdem schlecht, Majestät", sagte Hasard, der nach der Königin ebenfalls mit den anderen Mannen die Laderäume verlassen hatte.
„Das weiß ich", sagte die Königin, „gerade darum soll die Wettfahrt stattfinden. Der Graf muß lernen, Regeln zu respektieren. Außerdem hoffe ich, daß er verliert. Vielleicht merkt er dann, daß seine Bäume nicht in den Himmel wachsen. Er soll sich bis auf die Knochen blamieren."
„Verstehe", murmelte Hasard -nicht gerade begeistert. Der Graf lebte nach seinen eigenen Regeln. Wenn er verlor, würde sich daran nichts ändern. Der Mann war nicht in der Lage, selbstkritisch zu denken.
„Du wirst ihn übermorgen schlagen, Rebell", sagte die Königin, „oder dich soll der Teufel holen!"
„Das hat der schon häufiger versucht, Majestät", sagte Hasard mit einem harten Grinsen.
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4.
Die Sorge um die Ladung im Bauch der „Fidelidad" waren die Arwenacks los. Sie war an eine besonders geschützte Pier verholt worden und wurde jetzt bis zum Entladen von der königlichen Leibgarde bewacht. Hasard hatte seine Mannen wieder auf der Schebecke beisammen.
Die Königin hatte sich noch einmal bei allen Arwenacks sehr herzlich für das „Geschenk" bedankt. Dann war sie mit der Kutsche abgefahren. Zwei Stunden später, gegen Mittag, stiefelte ein bulliger Mann in der Uniform eines Hauptmanns der Seesoldaten von der „Arrow" zur Schebecke und verlangte schroff, den Kapitän zu sprechen.
Stenmark ging, zu diesem Zeitpunkt die Hafenwache an der Stelling und fragte höflich: „Wen darf ich melden, Sir?"
„Gilbert Batten, Kapitän der ,Arrow' ", erwiderte der Mann barsch, und dem blonden Schweden wehte eine Schnapsfahne ins Gesicht. Er trat zwei Schritte zurück.
Zu Hasard junior sagte er: „Bitte dem Kapitän zu melden, daß ihn Mister Batten, Kapitän der ,Arrow' zu sprechen wünscht."
„Aye, aye", sagte der Junior und trabte ab.
„Bin nicht gewohnt, lange zu warten!" schnappte Batten.
„Es dauert nicht lange, Sir", sagte Stenmark.
Der bullige Mann musterte ihn, als sei er eine Laus. Dann musterte er die Schebecke und verzog geringschätzig den Mund. Wahrscheinlich hielt er das Schiff der Arwenacks für etwas noch Mieseres als eine Laus. Er rümpfte die Nase, welche die Form einer Knolle hatte. Darunter hatte er
fleischige Lippen und ein brutales Kinn. Die Augen waren von einem trüben, verwässerten Blau.
Hasard junior kehrte zurück und sagte: „Würden Sie mir bitte folgen, Sir?"
„Wird auch Zeit", knurrte Batten und ging hinter Hasard her.
Was für ein rüder Kerl, dachte Stenmark.
Bei Hasard in der Kapitänskammer saßen Ben Brighton, Don Juan de Alcazar und Dan O'Flynn. Nach der Vorstellung bat Hasard den Hauptmann, Platz zu nehmen.
„Ich möchte Sie unter vier Augen sprechen", erklärte Batten.
Hasard schüttelte den Kopf. „Die drei Gentlemen sind meine Vertrauten."
„Das, was ich zu sagen habe, ist ebenfalls vertraulich", entgegnete Batten reichlich unfreundlich. „Ich darf Sie bitten, die Gentlemen zu entfernen."
„Abgelehnt", sagte Hasard kühl. „Wenn Ihnen das nicht paßt, kann ich daran nichts ändern."
„Es handelt sich um eine Angelegenheit, die äußerste Diskretion verlangt", sagte Batten gepreßt.
„Wir gehören nicht zur Kategorie der Klatschweiber, Sir", sagte Hasard spöttisch. „Ihr Eigner, der Graf von Essex, schlägt mir einen Handel vor, nicht wahr?"
Batten zuckte zusammen. „Woher wissen Sie das?"
„Das ist nicht schwer zu erraten. Also, um was geht es?"
Der Hauptmann räusperte sich. Da saß ihm wohl einiges in der Kehle quer, sozusagen ein Kotzbrocken. Dann quetschte er sein Anliegen heraus.
Der Hauptmann schien aufzuatmen. Er leckte sich über die fleischi-
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gen Lippen und sagte hastig: „Da haben Sie recht, Sir. Der Graf ermächtigte mich, Ihnen in einem solchen Fall zwanzigtausend Pfund anzubieten."
Hasard zupfte sich am rechten Ohr. „Das klingt schon besser, aber was sind schon zwanzigtausend Pfund für einen verkauften Sieg! Nein, nein, das ist mir zu billig."
Der Hauptmann erbleichte. „Zu billig?" fragte er ächzend. „An
was für eine Summe hatten Sie denn gedacht, Sir?"
„Fünfzigtausend", sagte Hasard knapp.
Der Hauptmann sprang auf und schrie: „Das ist Wucher! Ungeheuerlich ist das! Das zahlt der Graf nie!"
„Dann verliert er eben die Wettfahrt", sagte Hasard lakonisch.
Der bullige Hauptmann sank auf seinen Sitz zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Sir!" sagte er mit heiserer Stimme. „Dreißigtausend ist das Äußerste, was der Graf bieten kann -sonst ist er ruiniert."
„Na ja, das ist schon eine schlimme Sache", sagte Hasard freundlich. „Besitzt der Graf Landgüter?"
„Natürlich." „Dann kann er von denen ja ein
paar verkaufen", meinte Hasard. „An wen?" „Das weiß ich auch nicht, mein Lie
ber", erwiderte Hasard. „Ich wollte Ihnen nur einen Tip geben, woher sich der Graf das Geld beschaffen kann - ich meine, weil Sie sagten, der Graf sei bei der Kleinigkeit von fünfzigtausend Pfund ruiniert. Aber darunter geht nichts, gar nichts. Sie müssen das mal aus meiner Sicht sehen. Was meinen Sie wohl, wie hoch mein Ansehen bei Ihrer Majestät steigt,
wenn ich die Wettfahrt gewinne! Und die gewinne ich, verlassen Sie sich drauf Offenbar ist der Graf zu der gleichen Ansicht gelangt, sonst würde er Sie nicht zu mir geschickt haben. Also, ich wiederhole: Wenn ich mein Ansehen bei Ihrer Majestät verkaufen soll, dann dürfte das fünfzigtausend Pfund wert sein. Und wenn ich's mir recht überlege, ist das immer noch zu billig. Denn Sie wissen doch, je höher man im Ansehen Ihrer Majestät steht, desto reicher sind die Pfründe. Habe ich recht?"
„So ist es", flüsterte der Hauptmann. „Aber ich bin vom Grafen nicht ermächtigt, Ihnen fünfzigtausend Pfund anzubieten."
„Dann muß er sich schon selbst herbemühen, der Graf", sagte Hasard liebenswürdig.
„Ich werde es ihm ausrichten." Der Hauptmann stand auf und verabschiedete sich mit knappen Verbeugungen. Als er zum Schott ging, prallte er gegen einen Stützbalken und sagte: „Verzeihung!" Er war völlig durch den Wind.
Dan O'Flynn begleitete ihn bis zur Stelling.
Stenmark sagte: „Der Kerl gefällt mir ganz und gar nicht." Sie schauten beide hinter dem Hauptmann her, der sich noch nicht mal - wie es üblich war - von Bord gemeldet hatte.
Dan O'Flynn grinste. „Da kann ich dir nicht widersprechen, Sten. Er hat gerade versucht, Hasard im Auftrag des Grafen von Essex zu bestechen: wir sollen den erlauchten Hundesohn gewinnen lassen - dafür hat er dreißigtausend Pfund geboten. Hasard hat ihn abgeschmettert und will mindestens fünfzigtausend Pfund haben. Paß auf, als nächster tanzt Essex selber an. Laß ihn ein bißchen schmoren
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- der Kapitän sei gerade in einer wichtigen Besprechung oder so."
„Geht klar! Mann, Mann, ist das ein Ding! Dreißigtausend Pfündchen, nicht zu fassen. In was für einer Welt leben wir eigentlich?" Stenmark schüttelte den Kopf.
„In einer beschissenen", sagte Dan und kehrte in die Kapitänskammer zurück.
Hasard sagte gerade: „Wenn ich den sauberen Grafen abblitzen lasse, wird er andere Mittel einsetzen, um die Wettfahrt zu gewinnen. Denkt mal darüber nach, was ihr in einem solchen Fall tun würdet. . ." Er blickte verdutzt zu Ben Brighton, der auf seine rechte Faust starrte, deren Daumen hochgestellt war, dann folgten Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleiner Finger . . . „Was soll das denn?" fragte Hasard.
„Zähle nach", brummte Ben Brighton und hob den Kopf. „Sieben sind's."
„Was sind sieben?" fragte Hasard irritiert.
„Sieben Tonnen zwischen Graves-end und Towerpier. Stimmt's, Dan?"
Dan O'Flynn nickte. „Stimmt." Hasard runzelte die Stirn. „Spielst
du hier die Sphinx oder was, Mister Brighton?"
„Ich hatte bereits nachgedacht, Sir", sagte Ben Brighton. „Wenn ich der Graf von Essex wäre, würde ich zum Beispiel ein oder zwei Tonnen versetzen, und zwar solche, die auf Sandbänke hinweisen!"
Hasard pfiff durch die Zähne. „Ausgezeichnet, Ben! Damit wir aufbrummen, eh?"
„Genau das, Sir." Ben Brighton grinste. „Frag mal mein Brüderchen, was wir als Jungs angestellt haben! Deshalb fiel mir das auch wieder ein. Er, ich und noch drei andere Lümmel
- ich glaube, ich war damals zwölf -versetzten in einer Nacht die Faßtonne bei Gravesend, jene, die wir bei der Wettfahrt runden sollen, so daß am nächsten Tag drei unserer Gra-vesender Fischer, darunter auch mein Vater, aufbrummten. Wir fünf lagen hinter einer Düne und lachten uns krumm und schief. Am Abend waren wir auch krumm und schief. Unser Alter hatte herausgekriegt, wer die Sünder waren. Mein Gott, hat der uns den Hintern versohlt!"
Die Männer lachten schallend, und Hasard versuchte sich seinen ruhigen, besonnenen und oft nachdenklichen Ben Brighton als Zwölfjährigen vorzustellen. Es fiel ihm ein bißchen schwer. Bei dem jüngeren Roger Brighton, ihrem Takelmeister, gelang es ihm besser. Der hatte noch heute etwas Pfiffiges, Lausbubenhaftes.
Er konnte froh sein, die beiden Brüder an Bord zu haben - jetzt ganz besonders, denn als Fischersöhne in Gravesend geboren, kannten sie die Themse wie ihre Hosentasche. Er würde beide bei Pete Ballie, dem meisterlichen Gefechtsrudergänger, während der Wettfahrt postieren. Sie würden ihm exakte Kursanweisungen geben - mochten die Fahrwassertonnen sonstwohin verlegt worden sein.
„Ben", sagte er, „du wirst mit Roger während der Wettfahrt unser Lotse sein. Ihr kennt doch euer Flüßchen, nicht wahr?"
„Na, hör mal!" entrüstete sich der Erste. „Wir kannten unser Flüßchen eher als den Weg zur Kirche!"
Na, das war eine klare Antwort. Dan O'Flynn sagte: „Wir sollten un
ser Schiffchen besonders heute nacht und morgen nacht scharf bewachen. Ich denke da an Sabotageunternehmungen."
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„Zum Beispiel?" fragte Hasard. „Ein bißchen unter Wasser was an
bohren", sagte Dan, „die Ruderbeschläge lockern, Fallen anschneiden und so fort."
„Schon klar." Hasard blickte zu seinem Ersten. „Instruierst du die Wachen, Ben?"
„Aye, Sir. Außerdem sollten besser vier Posten aufziehen - je zwei für jede Bordseite."
„Einverstanden." Hasard nickte.
Inzwischen passierte das, was Dan O'Flynn Stenmark angekündigt hatte. Von der „Arrow" stelzte der Graf heran, ein leutseliges Lächeln auf dem nicht unhübschen Gesicht. Die Leutseligkeit war so falsch wie eine mit Silber überzogene Bleimünze.
„Hallo!" rief der Graf und winkte jovial mit der Rechten, als er die Stelling erreicht hatte. „Möchte gern den Kapitän sprechen, wenn's genehm ist."
„Aye, Sir", sagte Stenmark artig, „bitte einen Moment zu warten. Werde den Kapitän Wahrschauen lassen."
Hasard junior trabte bereits ab. Auf einer Webeleine des Steuer-
bordhauptwants schaukelte Sir John, beäugte den Grafen und äußerte sich despektierlich. Er wiederholte das, was sein Herr und Meister, der Pro-fos, über den Grafen gesagt hatte, setzte jedoch noch das Eigenschaftswörtchen „verlauster" hinzu sowie die Empfehlung, derselbige möge die Hosen runterlassen und Ruder hart Backbord legen.
Die Leutseligkeit verschwand sehr schnell aus dem Gesicht des Grafen. Es schien ihm an gesundem Humor
zu mangeln. Stenmarks Miene blieb undurchdringlich. Wenn er jetzt grinste, würde der Graf das als Herausforderung auffassen.
„Wer bringt diesem - äh - Vogel solche Unflätigkeiten bei?" verlangte er zu wissen.
„Oh, er hat keinen besonderen Lehrmeister, Sir", sagte Stenmark. „Das ist auch sehr unterschiedlich. Manches merkt sich Sir John, manches vergißt er sehr schnell."
„Sir John heißt das Vieh?" „Aye, Sir." „Muß schon sagen - sehr ge
schmacklos", schnarrte der Graf und entdeckte Philip junior, der mit Plymmie an der Seite in der Nähe der Kuhlpforte stand. „Da bist du ja! Kann ich jetzt den Kapitän sprechen?"
„Das weiß ich nicht, Sir", sagte Philip junior.
„Wieso?" schnappte der Graf. „Hast du mich nicht angemeldet?"
„Nein, Sir", erwiderte Philip freundlich und kraulte Plymmie den Nacken.
„Nein?" Der Graf wurde wütend. „Was sind denn das hier für Sitten? Melde mich sofort beim Kapitän, du Lümmel!"
Philip zog in unnachahmlicher Weise die rechte Augenbraue hoch.
„Das tut mein Bruder bereits, Sir", sagte er. „Und wenn Sie mich noch einmal einen Lümmel nennen, dann hetze ich den Hund auf Sie, haben Sie verstanden?"
Aus Plymmies Brustkasten ertönte prompt ein bedrohliches Knurren.
Der Graf von Essex schnappte wieder einmal nach Luft. Es war wirklich ungeheuerlich, was sich dieses Pack herausnahm.
Stenmark sagte: „Das ist unser Bordhund, Sir. Seien Sie vorsichtig.
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Er ist ganz besonders scharf und greift jeden an, der einem von uns an den Kragen will."
„Das ist ja lachhaft!" stieß der Graf hervor. „Ein Schlag mit der Peitsche, und der Drecksköter zieht feige den Schwanz ein!"
Dieser Mann hatte wirklich eine penetrante Art, andere zu provozieren. Stenmark blieb gelassen.
„Ich würde Ihnen nicht empfehlen, so etwas zu versuchen, Sir", sagte er. „Sie haben es hier mit einem Kampfhund zu tun, keinem Straßen- oder Drecksköter, der sich vielleicht von einer Peitsche beeindrucken läßt."
„Sie haben ja keine Ahnung", tönte der Graf verächtlich. „Ich brauche einen solchen Köter nur scharf anzublicken, und schon verdrückt er sich."
Und der Graf demonstrierte sogleich seinen scharfen Blick, indem er Plymmie anstierte. Der Erfolg blieb aus. Die Wolfshündin verdrückte sich nicht, und ihr Knurren wurde gefährlicher. Gleichzeitig zog sie die Lefzen hoch und ließ einen Teil des Fangs sehen.
Und sie hatte ihren Sitz aufgegeben und tigerte auf die Stelling zu, mit gesträubtem Nackenhaar, leicht angeduckt, und zwar in jener Haltung, die jedem, der etwas von Hunden verstand, verriet, daß sie nur darauf lauerte, mit einem Sprung auf den Gegner loszuschnellen. Der brauchte nur noch irgend etwas Dummes zu tun - und schon war's passiert.
Der Graf von Essex kriegte einen stieren Blick. Mit der Schärfe war's vorbei.
Philip junior sagte freundlich, aber mit einem gewissen lässigen Unterton: „Stopp, Plymmie! Der Gentleman hat offenbar begriffen, daß du dich von harmlosen Blicken nicht einschüchtern läßt. Trotzdem verdient
er eine Lektion, weil er dich einen Drecksköter genannt hat - wirf ihn um!"
So schnell konnte der Graf von Essex gar nicht denken, wie die Wolfshündin auf ihn zuflog, ihn in Höhe des Brustkorbs rammte und umstieß. Er krachte aufs Pflaster der Pier, und Sekunden später setzte ihm die Wolfshündin die Vorderpfoten auf die Brust - mit gefletschtem Fang. Und sie knurrte nicht mehr. Das wirkte viel bedrohlicher.
„Zurück, Plymmie!" befahl Philip. Der Fang klappte zu, und dieses Ge
räusch hatte fast einen verächtlichen Klang. Die Hündin schien zu grinsen, als sie herumschwang und an Bord zurücktrottete. Artig setzte sie sich neben Philip auf den Hintern, die Vorderpfoten auf die Planken gestemmt, den Blick der Wolfsaugen auf den Mann gerichtet, der sich ächzend aufrappelte und die Hosen abklopfte.
„Wir hatten Sie gewarnt, Sir", sagte Philip wiederum freundlich. „Bei uns wird weder ein Hund noch ein Mann beleidigt - hier gibt es keinen Drecksköter und keinen Lümmel. Wir sind zu jedermann höflich, wie sich das gehört. Wer dieses Gesetz mißachtet, darf sich nicht wundern, wenn es ihm dann auf unsere Art erklärt wird." Philips Stimme wurde um eine Nuance schärfer. „Ein Befehl von mir hätte genügt, Sir, und Ihre Kehle wäre von der Hündin zerfetzt worden!"
Der Graf sagte ausnahmsweise gar nichts. Er begriff überhaupt nichts mehr, ganz abgesehen davon, daß ihn der jähe und wilde Angriff der Hündin völlig überrascht hatte. Nur ganz entfernt begann bei ihm zu dämmern, daß er es hier mit Männern zu tun hatte, die nicht in seine gewohnten Denkschablonen paßten.
Allerdings war er nicht in der Lage, daraus Schlüsse zu ziehen. In seiner Ichbezogenheit und als Earl of Essex hatte er es nie für nötig befunden, sich mit Personen unter seinem Stand zu beschäftigen. Sie hatten ihm zu dienen und seine Befehle entgegenzunehmen. Eine eigene Meinung hatten sie nicht zu haben. Das wäre ja auch noch schöner gewesen! Zwar sollten vor Gott alle Menschen gleich sein, aber da sich der Graf selbst für gottähnlich hielt, galt das für ihn nicht. Menschen unter seinem Stand waren Unpersonen - Läuse oder so was.
Hasard junior tauchte aus dem Achterdeck auf, trat zur Stelling und sagte: „Der Kapitän erwartet Sie, Sir. Wenn Sie mir bitte folgen würden."
„Danke - ähem", murmelte der Graf und wunderte sich, daß er sich bei einer Laus bedankt hatte.
Um die Hündin schlug er einen Bogen, als er Hasard junior folgte. Zum Glück sah er nicht, wie Philip junior und Stenmark hinter ihm hergrinsten.
5.
Das Theater begann von neuem, als der Graf feststellte, daß Kapitän Kil-ligrew nicht allein in der Kammer war.
Er wedelte mit der Hand und sagte: „Die Leute mögen sich, bitte sehr, entfernen. Es handelt sich um ein vertrauliches Gespräch."
„Mister Brighton, Mister de Alcazar und Mister O'Flynn gehören zur Schiffsführung", sagte Hasard, „und sie werden sich nicht entfernen. Nehmen Sie Platz, Mylord. Ich schätze, Sie wollen die Verhandlung fortführen, die Mister Batten mit uns begon-
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nen hatte. Ich habe mir die Sache inzwischen überlegt..."
„Das ist gut", unterbrach ihn der Graf, der sich inzwischen gesetzt hatte. „Sie sind also mit dem Preis von dreißigtausend Pfund einverstanden?"
„Sie haben mich nicht ausreden lassen, Mylord", erwiderte Hasard. „Ich habe mir inzwischen überlegt, daß fünfzigtausend Pfund noch zu wenig sind."
Dem Grafen von Essex quollen die Augen aus dem Kopf.
„Sagen Sie, Mylord", fuhr Hasard im Plauderton fort, „was hat Sie überhaupt veranlaßt, mir ein solches Angebot zu unterbreiten? Sie sind doch davon überzeugt, daß Sie das Wettsegeln gewinnen. Da verstehe ich nicht, was Sie veranlaßt hat, mich - nun ja - bestechen zu wollen."
Der Graf schnippte mit Daumen und Mittelfinger. „Ich bitte Sie, Sir Hasard! Von Bestechung kann gar keine Rede sein. Wir treffen eine Vereinbarung unter Gentlemen. Sie müssen verstehen, daß ich es mir bei meiner Reputation am königlichen Hof nicht leisten kann, die Wettfahrt zu verlieren. Es wäre ein Skandal! Nicht auszudenken! Selbst Ihre Majestät wäre brüskiert und bloßgestellt."
„Wieso das?" fragte Hasard. „Ähem - weil Ihre Majestät auf
meinen Sieg setzt. Ihre Majestät wäre verletzt, wenn ich verlieren würde. Im Vertrauen", der Graf beugte sich vor, „ich nehme - ähem - einen besonderen Platz im Herzen Ihrer Majestät ein. Meine Niederlage wäre auch für Ihre Majestät eine Niederlage. Und das wollen Sie doch nicht, mein Freund, nicht wahr? Sehen Sie, darum entschloß ich mich, Ihnen dieses faire Angebot zu unterbreiten. Denn es muß unsere oberste Pflicht sein,
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Ihre Majestät stets fröhlich zu sehen. Und dafür müssen wir Opfer bringen!"
Mir kommen gleich die Tränen, dachte Hasard, streckte die langen Beine aus, faltete die Hände über dem Bauch und drehte Däumchen. Der Graf blickte irritiert - er redete davon, daß man Opfer bringen müsse, und der Kerl drehte Däumchen!
„Mylord", sagte Hasard freundlich, „habe ich Sie zu einer Wettfahrt herausgefordert oder Sie mich?"
„Ich Sie!" schnaubte der Graf. „Was soll die Frage?"
„Sehr viel", erwiderte Hasard. „Denn zur Eigenart einer Herausforderung gehört es doch wohl, daß man sich, bevor man sie ausspricht, über die Konsequenzen im klaren ist. Sie, Mylord, haben über mögliche Konsequenzen offenbar erst nachgedacht, nachdem Sie mich herausgefordert hatten. Und da scheint Ihnen eingefallen zu sein, daß Sie verlieren könnten. Und was tun Sie da? Sie erscheinen bei mir und schlagen mir einen Kuhhandel vor. Dazu nennen Sie Gründe, die Sie einem Dummbart erzählen können, aber nicht uns. Ihre sogenannte Reputation bei Hofe interessiert uns einen Dreck. Und was Sie über Ihre Majestät sagen, sind reine Phantasien. Daß sie über Ihre Niederlage verletzt wäre, glauben Sie ja wohl selbst nicht. Sie, nur Sie, haben sich diese Suppe mit Ihrer Herausforderung eingebrockt, und jetzt löffeln Sie die Suppe gefälligst auch aus, verdammt noch mal! Und wenn Sie verlieren, dann tun Sie das wenigstens mit Anstand und Würde. Mehr habe ich zu Ihrem dreckigen Angebot nicht zu sagen!"
Der Graf schnappte nach Luft und war blaß geworden.
„Sie - Sie lehnen ab?" stotterte er. „Aber - aber Sie wollten doch fünfzigtausend Pfund haben. . ."
„Ich wollte gar nichts!" fuhr ihn Hasard an. „Mich interessierte lediglich, was Ihnen diese verdammte Bestechung wert sein würde. Mein Gott - dreißigtausend Pfund und wahrscheinlich noch mehr! Dreißigtausend Pfund, damit ein gewisser Robert Devereux, Earl of Essex und Generalfeldzeugmeister, eine läppische Wettfahrt gewinnt, weil seine Eitelkeit und seine verschrobene Ruhmoder Geltungssucht nicht zulassen, sie zu verlieren! Das muß man sich mal vorstellen! Wo bleibt denn da Ihre Ehre, Mylord? Wissen Sie überhaupt, was das ist?"
„Zweifeln Sie an meiner Ehre?" zischte der Graf.
„Erraten", sagte Hasard kühl. „Oder wie bezeichnet man in Ihren Kreisen Personen, die sich mittels Bestechung Vorteile zu verschaffen suchen? Sind das nicht ehrlose Lumpen?"
„Das werden Sie mir büßen!" knirschte der Graf.
Hasard winkte ab. „Kein Duell, Mylord, denn welche Summe wollen Sie dann aufwenden, um mich zu bestechen? Denn Sie müssen damit rechnen, daß ich besser bin als Sie. Ich will nicht übertreiben, aber ich schätze, daß ich in Kämpfen gleich welcher Art mehr Erfahrungen sammeln konnte als Sie. Aber lassen wir das. Ich habe Ihre Herausforderung zum Wettsegeln angenommen - Ihre Majestät wünschte das -, und ich bin entschlossen, die Wettfahrt sauber, fair und den Regeln entsprechend durchzuführen. Der Bessere wird gewinnen. Bestechen lasse ich mich nicht. Sie sollten froh sein, wenn ich dieses Gespräch tatsächlich vertrau-
lich behandele. Ich glaube nicht, daß Ihre Majestät entzückt wäre, darüber etwas zu hören. Das dürfen Sie als Warnung auffassen."
„Wie soll ich das verstehen?" fragte der Graf heiser.
„Ganz einfach, Mylord. Ihr Bestechungsversuch war eine krumme Tour. Sollten sie andere krumme Touren unternehmen, fühle ich mich an die Vertraulichkeit dieses Gesprächs nicht mehr gebunden. Dann werde ich Ihre Majestät darüber informieren, was Sie, beziehungsweise Mister Batten, mir angeboten haben."
Der Graf "lachte hämisch. „So einfach ist das nicht, Killigrew! Ich brauche Ihre Behauptungen nur abzustreiten. Mein Ehrenwort gilt bei Ihrer Majestät mehr als das Ehrenwort eines kleinen Kapitäns!"
„Daß Sie ein Lump sind, brauchen Sie nicht noch zu betonen, Mylord", sagte Hasard eisig. „Aber Sie haben vergessen, daß hier noch drei Zeugen unseres Gespräches sind. Und ich schätze, daß Ihr Mister Batten umfällt, wenn es um Kopf und Kragen geht. Den können Sie natürlich auch versuchen, zu bestechen. Aber wie lange?" Hasard schüttelte den Kopf. „Nein, Mylord, Sie haben sehr schlechte Karten. Und Ihr Fehler ist, daß Sie sich ständig überschätzen. Ob Ihr Ehrenwort bei Ihrer Majestät mehr wert ist als meins, das bezweifle ich. Es handelt sich hier nämlich um die Glaubwürdigkeit eines Mannes, nicht um seinen Adelstitel, was Sie nicht zu begreifen scheinen. Sie pflegen Warnungen in den Wind zu schlagen. Trotzdem warne ich Sie noch einmal. Und ich füge hinzu: Sollten Sie weitere krumme Touren versuchen, dann schlage ich zurück. Und das dürfen Sie als eine Kriegserklärung auffassen! Meine Männer und ich
sind nicht Ihr Popanz! Verschwinden Sie!"
Der Graf warf den Kopf hoch, äußerte ein „Pff!", stand auf und schritt zum Schott. Auch ihm stand der Decksbalken im Wege, und es bumste, als er dagegenprallte. Er sagte nicht „Verzeihung!", sondern: „Unverschämtheit!" Und mit dieser Feststellung, die sich auf alles mögliche beziehen konnte, entschwand er.
Leider stolperte er fast über Hasard junior, der mit einem Ohr am Schott gehangen hatte.
Die Empörung des Grafen kannte keine Grenzen.
„Du hast gelauscht, du Spion?" schrie er.
„Ich bin der fünfte Zeuge, Sir", sagte Hasard junior gemessen, „und ich verwette meinen Hintern, daß Ihre Majestät meinem Ehrenwort mehr glaubt als Ihrem. Denn mein Platz im Herzen Ihrer Majestät beruht schlicht darauf, daß ich der Enkel Ihrer Majestät sein könnte. Und zu Enkeln haben Großmütter ein herzinnigliches Verhältnis, wenn Sie wissen, was ich meine."
Da entfloh der Graf - er erinnerte sich, daß die Königin die beiden Söhne des verdammten Killigrew geherzt und geküßt hatte, als seien sie tatsächlich ihre Enkel.
Der Graf fegte grußlos von Bord, als säße ihm etwas Teuflisches im Genick und zwackte ihn unaufhörlich. Er verschwand auf seiner Prunkyacht „Arrow", und Stenmark vermutete, daß er jetzt erst einmal einen Brandy kippen werde. Philip hingegen wiegte den Kopf und meinte, der Graf werde zuvor seine Leute anscheißen.
Letzteres stimmte. Von der „Arrow" tönte gräfliches Gebrüll hinüber zur Schebecke.
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„Siehst du", sagte Philip. Stenmark nickte. Dann seufzte er
und murmelte: „Geht schon schlimm zu auf dieser Welt. Immer kriegen die kleinen Würstchen einen auf den Dek-kel, jene, die harmlos sind und gar nichts getan haben. Eine Schande ist das."
Er irrte, der große blonde Schwede, denn so harmlos waren die Kerle von der „Arrow" nun auch wieder nicht.
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bezüglich des zwielichtigen Grafen von Essex hatte Philip Hasard Killi-grew ein Einsehen mit seinen Mannen. Denn nun waren sie schon mal in London, also in den heimatlichen Gefilden, und das hieß, daß er seinen Kerlen schlecht zumuten konnte, nunmehr allen Freuden des Lebens zu entsagen und in klösterlicher Einsamkeit die Abende zu verbringen.
Außerdem war der oberste Klosterbruder namens Edwin Carberry arg am Drängeln, obwohl der in Plymouth vor ein paar Tagen dem Teufel gerade noch so eben von der Bratpfanne gesprungen war, auf der ihn ein Mann namens Gordon Brown hatte rösten wollen.
„Also gut", sagte Hasard am Abend dieses ereignisreichen Tages, „zehn Mann haben Landgang. Die anderen müssen an Bord bleiben, denn wir wissen nicht, welche Schurkereien der saubere Graf noch im Schilde führt. Wir müssen mit allem rechnen, und Bereitsein ist alles. Ich rate euch, an Land möglichst zusammenzubleiben. Wer hat das Kommando?"
„Ich, Sir", sagte der Profos und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Brust. Dieser Zeigefinger hätte auch als Belegnagel dienen können -
und die Pranke daran als Poller für Festmacher.
Hasard runzelte die Stirn und blickte seinen Profos aus rätselhaften Augen an.
„Nein, nein, Sir", sagte der Profos hastig, „nicht schon wieder. Wir kennen uns nun schon so lange, und ich bin ehrlich betrübt, daß du mich immer noch für einen Streithammel hältst. Ich bin zutiefst betroffen, bin ich . . . " Er verstummte, denn Hasard zog eine Augenbraue in die Höhe. „Was ist, Sir?"
„Ich weiß gar nicht, was du hast, Ed", sagte Hasard und schüttelte den Kopf, „und was du mir da unterstellst. Mir ging nur gerade etwas durch den Sinn."
„Was denn, Sir?" „Mir ging durch den Sinn", erwi
derte Hasard, „daß du genau der richtige Mann bist, um die Landgänger unter deine Fittiche zu nehmen."
Der Profos wuchs um mehrere Brustbreiten und grinste über das wilde zernarbte Gesicht.
„Das hast du wirklich schön gesagt", murmelte er ergriffen. „Danke, Sir."
„Hör mal zu, Ed." Hasard dämpfte die Stimme, nachdem er einen kurzen Blick zur „Arrow" hinübergeworfen hatte. „Es könnte sein, daß die Kerle da drüben die Gelegenheit benutzen, euch zu folgen und ein bißchen außer Gefecht zu setzen. In diesem Fall möchte ich, daß ihr den Spieß umdreht. Aber laßt euch erst mal auf die Zehen treten. Die anderen sollen anfangen, nicht ihr! Spielt ein bißchen die Verschüchterten. Aber dann legt los - wie wir das gewohnt sind."
„Das heißt", sagte der Profos hingerissen, „wir dürfen die Kerle durchklopfen, Sir?"
„Durchmangeln, Ed", präzisierte
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Hasard, „durchmangeln nach allen Regeln der Kunst."
„Aye, Sir, geht klar, durchmangeln nach allen Regeln der Kunst." Der Profos salutierte eckig. „Du kannst dich auf uns verlassen."
„Das weiß ich, Ed. Aber ich möchte nicht, daß ihr euch Blessuren einhandelt. Ihr müßt übermorgen voll an Deck sein, wenn wir die Wettfahrt segeln. Wenn meine Überlegung stimmt, dann zielen die Kerle darauf ab, euch so auszuschalten, daß ihr für die nächsten Tage nicht einsatzfähig seid. Das darf nicht passieren, verstanden?"
„Verstanden, Sir." So zog denn Carberrys Trupp an
Land. Ferris Tucker war dabei, Sten-mark, die beiden Hakenmänner Matt Davies und Jeff Bowie, Smoky, Ba-tuti, Mac Pellew, Sam Roskill und Pete Ballie. Daß sie ziemlich laut und ausgelassen an der „Arrow" vorbei-törnten, war Carberrys Idee gewesen, der schon befürchtete, die Kerle könnten nicht anbeißen, und man müsse sie ködern.
Tatsächlich folgte ihnen ein Bursche von der „Arrow" so betont unauffällig, daß es vermutlich auch ein Blinder gemerkt hätte. Und er huschte spornstreichs zurück, als er den Profos lauthals vor einer Pinte tönen hörte, hier werde man vor Anker gehen. Das war auch sinnbildlich gemeint, denn neben der Treppe, die in ein Kellergewölbe führte, hing ein schwerer, rostiger Schiffsanker.
Carberry grinste zufrieden, als er den Kerl zurück zur „Arrow" eilen sah. Jetzt war nur noch die Frage, mit was für einem Aufgebot die Arrows anrücken würden, wahrscheinlich mit mehr als zehn Kerlen. Aber das würde keinen der Arwenacks beson
ders kratzen. Sie waren ja keine Anfänger.
Die Pinte wies eine überraschende Ähnlichkeit mit Nathaniel Plymsons „Bloody Mary" in Plymouth auf. Auch hier befand sich rechts ein langgezogener eichener Tresen, vor dem ein paar Kerle lümmelten, während hinter dem Tresen ein Typ hantierte, der im Gegensatz zu Plymson reichlich dürr war, einen langen Ziegenbart hatte und grämlich aussah.
„Könnte dein Bruder sein, Macki-lein", sagte Carberry zum Zweitkoch der Arwenacks.
Der reagierte nicht, weil er was erspäht hatte, was Vollbusiges, das auf dem Schoß eines schwitzenden Dicken saß und ihm das Kinn kraulte.
„Das fällt heute flach, Mackilein", sagte der Profos und drehte dem Zweitkoch den Kopf weg.
„Aber...", begann Mac Pellew. „Kein aber", unterbrach ihn der
Profos und deutete nach links zu einer großen Nische, die unbesetzt war. Ein großer blanker Tisch stand dort, umgeben von einer Sitzbank und an der Frontseite von drei Stühlen. „Dort gehen wir vor Anker, Leute."
Man nahm kaum Notiz von den Arwenacks. Außer der Vollbusigen turtelten noch mehr Frauenzimmer in der Pinte herum, ganz hinten im Gewölbe, das von steinernen Pfeilern abgestützt wurde, würfelten ein paar Kerle, an einem Tisch saßen zwei Gardisten und stierten trübe in ihre Humpen, sonst waren Seeleute vertreten, ein paar Fuhrleute sowie die üblichen Schnorrer. Aber die Pinte füllte sich.
Carberry schob am Tresen zwei Kerle zur Seite und grinste sie freundlich an, als sie motzen wollten. Da motzten sie nicht mehr. Sie sahen
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mit einem Blick, was der Profos für ein Ungetüm war.
„Ein kleines Bierfaß", orderte der Profos, „und zehn Humpen."
„Hä?" fragte der Dürre und zupfte an seinem Ziegenbart.
Der Profos wiederholte seinen Wunsch.
„Kannst du zahlen, Bruder?" fragte der Dürre gelangweilt.
„Kann ich, Vetter", sagte der Profos und knallte eine prächtige Goldmünze auf den Tresen.
Der Dürre kriegte Stielaugen, grapschte nach der Münze, führte sie zum Mund und biß drauf. Sie schmeckte ihm, denn er brüllte nach zwei Schankknechten, und die wuchteten ein Faß auf den Tresen, das im Handumdrehen angezapft war.
„Soll ich's zu Ihrem Tisch bringen lassen, Sir?" fragte der Dürre eifrig und verbeugte sich.
Der Profos winkte ab. „Nur die zehn Humpen, Mylord. Das Faß schaff ich allein, hab heute meinen starken Tag."
„Sehr wohl, Sir." Der Dürre verbeugte sich wieder. „Wünschen die Gentlemen vielleicht zehn Ladys zur Kurzweil?"
Der Profos schüttelte den Kopf, obwohl er an sein liebeshungriges „Mackilein" dachte - an sich natürlich auch.
„Sind heute im Zölibat, Euer Ehren", sagte er. „Vielleicht morgen."
Der Dürre kam nicht ganz klar. Zölibat mußte ganz was Schlimmes sein, aber fragen mochte er nicht. Er sagte nur: „Aha, verstehe!"
Und er sah zu - mit offenem Mund -, wie dieses riesige Ungeheuer das Faß unter den Arm klemmte, als sei das ein Marktkörbchen aus Binsen. Carberry nickte ihm freundlich zu und marschierte zur Nische. Die
beiden Schankknechte brachten sofort die Humpen, empfingen zum Dank ein paar Silberlinge, und Mac Pellew übernahm das Abzapfen.
Die erste Lage zischten sie weg wie nichts.
„Ahh!" sagten sie und wischten sich den Schaum vom Mund.
Genau das war's, was sie solang vermißt hatten - ein gutes englisches Bier. Und schon mußte Mac Pellew wieder zapfen. Er tat es und warf dabei der Vollbusigen feurige Blicke zu. Wenn Mac feurige Blicke warf, dann konnte das einen Hund jammern.
Die Vollbusige hingegen kicherte und kraulte das Kinn des Dicken noch fröhlicher, während sie Mac gleichzeitig ein symbolisches Küß-chen durch die Luft sandte, das sie mit gespitztem Mündchen zu ihm hinhauchte.
So ein Luderchen war das - bändelte gleichzeitig mit zwei Kerlen an. Mac schmolz schon dahin wie Schnee in der Sonne - und vergaß, den Zapfhahn abzudrehen. Der Krug von Ferris Tucker lief über, das Bier ergoß sich über Macs Hose und in seine Stiefel.
Nein, was freute sich da die Vollbusige! Sie kreischte entzückt, und der Dicke, der schon halb am Einschlafen gewesen war, schreckte hoch und fragte verwirrt, ob seine Frau im Anmarsch sei.
Aha, so einer war das, nämlich ein Fremdgeher.
Indessen stauchte der Profos sein Mackilein zusammen, einmal wegen des verschütteten Biers und zum anderen wegen seines Balzverhaltens.
„Sie liebt mich", erklärte der unverbesserliche Mac, „wie mich auch meine Bessy liebt, die mich heute geküßt hat - weil ich der schönste Mann im ganzen Königreich bin!"
Den folgenden Brief erhielten wir von A J , weg , 8750 Aschaffenburg: An die Seewölfe-Redaktion. Sehr geehrte Affenärsche und Rübenschweine! Die Abenteuer in der Türkei gefallen mir sehr gut. Auf meine Suchanzeige hat sich ein Herr K (? - der Name war unleserlich) aus Hameln gemeldet. Er ist das Gegenteil von einem schwarzen Schaf. Denn er hat keinen Pfennig verlangt. Er hat einfach die Romane geschickt, einfach so, ohne irgend etwas zu verlangen. Dafür möchte ich mich auch auf diesem Wege nochmals bedanken. Leider fehlen mir immer noch die Nummern: 1-50,52,53,55,57-62,65,66,68, 70-89, 91-96, 101-106, 108-112,115-122, 125-128, 130-134, 136-140, 142, 144-219, 221-229, 232, 234,2 72,284,350,352,369,398,443,500 und 553. Macht weiter so - wünscht Euch Eure A J . Machen wir, liebe A . Den Namen des freundlichen Spenders konnten wir leider nicht entziffern. Schade, denn ein Spender sollte nun wirklich beim Namen genannt werden. Darum, Freunde: Bitte übt etwas Schönschrift, so manches ist nicht zu entziffern, und das ist ja wohl nicht der Sinn, wenn ihr uns schreibt. Wir würden uns auch freuen, wenn bei Briefen die Adresse noch einmal im Brief selber deutlich geschrieben wird, denn häufig genug geht der Umschlag verloren oder die Adresse wird beim Aufschlitzen des Briefes zerstört.
M B , Straße , 4300 Essen 1, schrieb uns den folgenden Brief: Liebe Seewölfe-Redaktion! Ich möchte mich bedanken, daß Sie meinen Brief so schnell veröffentlicht haben. Bis auf 3 Stück bin ich alle Hefte, die ich verschenken wollte, losgeworden. Einer Frau habe ich 7 Stück geschickt. Zwei Tage
später erhielt ich von ihr einen Brief, der einen Zehnmarkschein enthielt. Dafür möchte ich mich nochmals ganz herzlich bedanken! Ihre M B . Das ist eine gute Sache, finden wir. Danke für Ihren Brief, liebe M . Schade, auch hier hätten wir gern den Namen jener Dame genannt, die sich mit einem Zehnmarkschein für die Hefte bedankt hat.
Und hier schreibt C P , straße ,3118 Bad Bevensen:
Sehr geehrte Seewölfe-Redaktion! Im Rahmen Ihres Seewölfe-Forums bitte ich Sie, Ihren Lesern mein Verkaufsangebot anzubieten. Rund 65 Sammelbände von 21-31,45-104, zu je 3 Heften, gesamt 200 Hefte für DM 130- einschließ-lich Porto. Genaue Liste über die Heftnummern kann angefordert werden, jedoch kann ich Einzelhefte daraus nicht abgeben. Für Ihre Bemühungen meinen besten Dank im voraus, mit freundlichem „Arwenack" - Ihr C P .
Ein weiteres Angebot hat J B , 4 Düsseldorf, straße . Er schreibt: Liebe Seewölfe-Redaktion! Da ich immer lese, daß viele Seewölfe-Leser Hefte suchen, die ihnen fehlen, möchte ich meine Seewölfe-Hefte anbieten. Da ich alle Seewölfe gelesen habe und weiter lesen möchte, aber bald keinen Platz mehr habe, um sie unterzubringen, biete ich folgende Hefte an: Nr. 10-224, 231-238, 241-245, 254-257 und 261-590 (508 Stück). Ich biete die gut erhaltenen Hefte pro Stück zu DM 1,- plus Porto an. - J R .
Mit herzlichen Grüßen Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren
Auf den beiden vorigen Seiten stellen wir unseren Lesern eine Fünfmast-Bark vor - samt ihrer Segel, Masten und Spieren. Mit Bark bezeichnet man ein Rahschiff mit drei und mehr Masten, dessen hinterer Mast jedoch keine Rahsegel, sondern Gaffelsegel führt. Bei einer Fünfmast-Bark sind also vier Masten vollgetakelt (sie führen Rahsegel), während der achtere Mast, der Besanmast, Gaffelsegel gesetzt hat. Eine der letzten Fünfmast-Barken war die dänische „Kjöbenhavn", die 1914-1921 nach dem Vorbild der deutschen „Potosi" gebaut wurde und als Schulschiff der dänischen Handelsmarine diente. Auf einer Fahrt von Montevideo nach Australien im Jahre 1928 verschwand sie - wahrscheinlich auf der Höhe von Kap Hoorn - spurlos mit der gesamten Besatzung. Ihre Segelfläche betrug 5200 qm, ihre Länge 119 m und ihre Breite 14,95 m. Sie hatte ein Raumgehalt von 3965 BRT. Die Zahlen bedeuten: 1 Fockmast, 2 Großmast, 3 Mittelmast, 4 Kreuzmast, 5 Besanmast, 6 Vormarsstenge, 7 Großmarsstenge, 8 Mittelmarsstenge, 9 Kreuzmarsstenge, 10 Besanstenge, 11 Fockrah, 12 Großrah, 13 Mittelrah, 14 Kreuzrah, 15 Vor-Untermarsrah, 16 Groß-Untermars-rah, 17 Mittel-Untermarsrah, 18 Kreuz-Untermarsrah, 19 Vor-Ober-marsrah, 20 Groß-Obermarsrah, 21 Mittel-Obermarsrah, 22 Kreuz-Obermarsrah, 23 Vor-Bramrah, 24 Groß-Bramrah, 25 Mittel-Bramrah, 26 Kreuz-Brahmrah, 27 Vor-Royalrah, 28 Groß-Royalrah, 29 Mittel-Royalrah, 30 Kreuz-Royalrah, 31 Besanbaum, 32 Besangaffel, 33 Bugspriet, 34 Klüverbaum, 35 Fock, 36 Großsegel, 37 Mittelgroßsegel, 38 Kreuzsegel, 39 Vor-Untermarssegel, 40 Groß-Untermarssegel, 41 Mittel-Untermarssegel, 42 Kreuz-Untermarssegel, 43 Vor-Obermarssegel, 44 Groß-Obermarssegel, 45 Mittel-Obermarssegel, 46 Kreuz-Obermarssegel, 47 Vor-Bramsegel, 48 Groß-Bramsegel, 49 Mittel-Bramsegel, 50 Kreuz-Bramsegel, 51 Vor-Royal, 52 Groß-Royal, 53 Mittel-Royal, 54 Kreuz-Royal, 55 Außenklüver, 56 Klüver, 57 Binnenklüver, 58 Vorstengestagsegel, 59 Besan, 60 Gaffeltoppsegel.
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Der Profos stöhnte auf. „Bist du nicht, du Arsch mit Oh
ren!" fuhr er Mac an. „Uns hat sie auch geküßt, verdammt noch mal, mich am allerlängsten, falls du das nicht bemerkt haben solltest, du spil-lerige Heringsgräte!"
„Du bist ja nur eifersüchtig", nölte Mac, „weil ich bessere Chancen bei den Ladys habe."
„Im Moment hast du 'ne nasse und nach Bier stinkende Hose!" böllerte der Profos zurück. „Wenn dich Bessy jetzt sähe, würde sie davonlaufen, was ich ihr nicht verdenken könnte, denn das sieht aus, als hättest du dir in die Hosen gestrullert!"
Das war Mac nun doch sehr peinlich. Und da zog er ein weißes Schnupftuch aus seiner Jacke, und jetzt kriegte der Profos Stielaugen, weil dieses Tuch immer länger wurde und überhaupt nicht aufhörte. Das mußte ein Laken sein, ein Bettlaken. Hingegen war Macs Brust, nachdem er das Laken herausgezerrt hatte, merklich eingeschrumpft, zur Hühnerbrust sozusagen.
Und nun ging dem Profos ein Seifensieder auf - nicht nur dem Profos, der ganzen Bande! Da fegte ihr Gelächter durchs Gewölbe, daß die Öllampen zu flackern und zu blaken begannen, während Mac einen roten Kopf hatte und seine nasse Hose züchtig mit dem Laken überdeckte, das er viermal zusammengefaltet hatte. Er hatte jetzt gewissermaßen eine Tischdecke auf den Knien.
Die Vollbusige auf dem Schoß des Dicken strampelte vor Vergnügen mit den Beinen, was dem Dicken nicht unangenehm war, denn der Rock der Lady rutschte flugs hoch und höher und dorthin, wo die Zone der Sittenwidrigkeit beginnt. Und man war im England der Königin Eli
sabeth sehr puritanisch gesonnen. Jetzt kriegte der Dicke seine Stielaugen.
Und da prallte die Tür zum Gewölbe auf.
6.
Carberry frohlockte. Es war das Aufgebot der Arrows. Er
erkannte den Kerl, der ihnen gefolgt war, und einen Menschen, bei dem es sich offenbar um eine Art Bootsmann der „Arrow"-Crew handelte, denn am Nachmittag - das hatte der Profos beobachtet - war dieser Mensch auf dem Deck der Yacht sehr ausfallend geworden, weil er irgendwelche Schlampigkeiten entdeckt hatte.
Diese Arrows sahen allesamt aus, als wollten sie die Kneipe auffressen. Am hungrigsten schien der Bootsmann zu sein, ein bärtiger Schrat mit Stiernacken, zerfransten Ohren und platter Nase. Die beiden letzteren Merkmale deuteten darauf hin, daß der Kerl nicht damit beschäftigt war, Friedenstauben zu züchten und täglich eine Flasche von der Milch der frommen Deckungsart zu trinken. Mitnichten!
„Au Backe!" murmelte der Profos. „Sind nur zwanzig", sagte Ferris
Tucker, der fleißig mitgezählt hatte, während die Kerle in die Kneipe drängelten.
Es wurde verdammt eng im Gewölbe.
„Wir wollen den Tisch in der großen Nische!" röhrte der Schrat. „Schmeiß die Affen da raus, Pickens!" Der Schrat deutete zu den Arwenacks.
Pickens war der dürre Schankwirt, und so dürr er auch war, er hatte Mumm.
Er donnerte einen Hartholzprügel
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auf die Tresenplatte und brüllte zurück: „Bist du hier der Wirt, Potter? Hier bestimme ich, wer mein Gast ist, und die Männer dort sind gute Gäste, weil sie ihr Bier bezahlt haben, was man von euch nicht behaupten kann! Sucht euch einen anderen Tisch oder verschwindet. Außerdem hab ich's satt, mich von euch anstänkern zu lassen!"
Im Gewölbe war es still geworden. Carberry durchbrach die Stille und
sagte seufzend: „Jaja!" Potter, der Schrat, wirbelte zu ihm
herum. „Willst du frech werden, du Bauernlümmel?"
Der Profos blickte erstaunt. „Ich? Warum sollte ich? Möchtest du ein Bierchen trinken? Ich kann dir's abzapfen, du bist eingeladen."
„Sauf deine Pisse alleine, Bauernlümmel!"
Der Profos schaute gequält drein. „Ich bin nicht vom Lande, Bruder, bestimmt nicht. Und in dem Fäßchen hier ist Bier, nicht, was du sagst. So was würden wir nicht trinken, ehrlich. Setzt euch zu uns, wir rücken zusammen."
Potter rollte mit den Augen, Es klappte nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Er blickte zu Batuti.
„Wir setzen uns nicht mit Niggern an einen Tisch!" zischte er. „Nigger stinken, haben Läuse und Flöhe und-sollten in Schweineställen eingesperrt werden, wo sie hingehören!"
„Ich habe heute nachmittag gebadet, Sir", sagte Batuti freundlich.
„Stimmt, er hat heute nachmittag gebadet", bestätigte der Profos. „Auch seine Fingernägel hat er gereinigt. Und ich kann bezeugen, daß er frei von ansteckenden Krankheiten ist. Wollt ihr euch nun zu uns setzen? Ihr steht schon so lange." Und der Profos lächelte friedlich.
„Die haben Angst", sagte einer neben Potter, ein Kerl mit einem Rattengesicht. Und als er dazu grinste, zeigte er ein Gehege fauler Zähne, die wie schwarze Ruinen in seinem Maul standen.
Potter nickte und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich zähle bis drei", sagte er, „und dann seid ihr verschwunden. Verstanden?"
„Nein, wir möchten gern noch bleiben und unser Bier austrinken, was wir schon bezahlt haben", sagte der Profos. „Könnt ihr solange warten? Ich mag es nicht, hastig trinken zu müssen. Meine Mamma hat immer gesagt, trink nicht so hastig, Klein-Eddylein, sonst verschluckst du dich, hat sie gesagt. . ."
„Hat sie gesagt, hat sie gesagt!" äffte Potter nach. „Hat dir deine Alte auch gesagt, daß sie 'ne Wanderhure war?"
„Davon ist mir nichts bekannt", sagte der Profos gemessen. „Da mußt du dich täuschen, Bruder."
„Eins!" brüllte Potter wutentbrannt.
Die Arwenacks hoben ihre Humpen und tranken bedächtig, als hätten sie alle Zeit dieser Welt. Dabei erweckten sie den Eindruck, als seien die Kerle nunmehr Luft für sie.
„Zwei...!" „Potter!" brüllte der dürre Schank
wirt und schlug erbittert mit dem Holzprügel auf die Theke. „Wenn du hier Streit anzettelst, rufe ich die Polizeibüttel!"
„Halt's Maul, du Pisser!" röhrte Potter. „Ein Wort von unserem Grafen, und deine Polizeibüttel wandern selbst hinter Gitter!" Er drehte sich wieder zu den Arwenacks um und brüllte: „Drei!"
Die Arwenacks saßen immer noch.
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„Und jetzt?" fragte der Profos grinsend, ,,Von mir aus zähl ruhig weiter. Oder kannst du nur bis drei zählen, du Affenarsch?"
Potter prallte zurück. „Was sagst du da?"
„Wasch dir die dreckigen Ohren, du Schreihals", sagte der Profos gemütlich. „Ihr seid von der ,Arrow', was, wie? Trollt euch an Bord zurück, das ist gesünder für euch. Außerdem müßt ihr übermorgen gegen uns segeln, und da steht ihr dumm da, wenn ihr dicke Klüsen habt. Und mit den Beleidigungen ist jetzt Schluß, Freundchen, sonst staubt's, wenn wir euch ein bißchen abklopfen."
„Stimmt!" sagte eine klirrende Stimme von der Treppe her.
Potter fuhr herum. Seine Kerle auch.
Der Riese stieg die letzten Stufen hinunter und ging weiter. Eine Gasse bildete sich. Vor Potter blieb der Riese stehen.
„Ich bin Kapitän Killigrew", sagte er. „Die Männer dort am Tisch gehören zu meiner Crew. Ich habe zugehört. Deine Beleidigungen sind kaum zu überbieten, mein Freund. Du solltest die Männer provozieren, nicht wahr? Wer hat das befohlen?"
„Leck mich am Arsch!" brüllte Potter. „Und dir polier ich als erstem das Maul!"
„Versuch's mal", sagte Hasard sanft.
„Drauf, Leute!" brüllte Potter und schwang die Rechte zurück, um sie Hasard ins Gesicht zu schmettern.
Aber sie flog nicht, jemand hielt sie fest wie in einem Schraubstock.
„Immer sachte, Kleiner", sagte der Profos, zog Potter zu sich herum, holte aus und ließ seinen Hammer auf der Plattnase explodieren.
Na, das war doch schon was.
Potter überschlug sich zweimal, krachte auf einen Tisch und blieb auf ihm liegen, und zwar rücklings. Er stierte zum Gewölbe hoch, sah aber in Wirklichkeit nichts, denn wer bewußtlos ist, hat nicht die Fähigkeit, seine Umgebung wahrzunehmen. Er wäre auch nicht sehr fröhlich gewesen, wenn er jetzt hätte zuschauen können. Seine Kerle wurden sozusagen aufgemischt.
Hasard war nicht allein erschienen. Sie hatten zwanzig Kerle von der „Arrow" losziehen sehen, und da war er mit Big Old Shane, Don Juan, Jack Finnegan und Paddy Rogers gefolgt, um das Kräfteverhältnis etwas aufzupolieren. Fünfzehn Arwenacks gegen zwanzig Arrows.
Der Seewolf verschob mit einem Faustschlag dem Rattengesichtigen die Visage und ersparte dem Kerl auf diese Weile - was dessen Zahnruinen betraf - den Feldscher oder irgenei-nen Quacksalber, der die Dinger demnächst sowieso hätte ziehen müssen.
Der Rattengesichtige flog der Vollbusigen auf denselben, riß sie samt dem Dicken und dem Stuhl um und spuckte ihr seine Ruinen in den Blusenausschnitt. Es war dies nicht sehr appetitlich und auch ungehörig, denn ruinöse Zähne haben in Blusenausschnitten nun wirklich nichts zu suchen.
Mac Pellew fand das auch und geriet in lodernden Zorn, zumal er sicher war, daß die Vollbusige in Liebe zu ihm entbrannt war. Er stopfte hastig seine Tischdecke zurück in die Jacke, flitzte hoch, sprang zu dem Rattengesichtigen, packte ihn am Kragen und am Hintern wie einen Mehlsack, lüftete ihn an, schwenkte ihn wie einen Pendel und ließ ihn absausen.
Der Rattengesichtige verschwand
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unter dem Tisch in der großen Nische. Sein Pech, daß Pete Ballie genau in diesem Moment aufstand, um sich ins Kampfgetümmel zu stürzen. Pete hatte bis jetzt warten müssen, weil seine Nachbarn links und rechts noch nicht die Bank geräumt hatten oder noch dabei waren.
So stieg denn Pete dem Rattenge-sichtigen mit seinen Latschen auf die Visage, und der Rudergänger der Ar-wenacks hatte nicht nur Fäuste so groß wie Ankerklüsen, sondern auch Latschen, die der Profos mit Themsekähnen zu bezeichnen pflegte. Das war schon richtig, denn ein Rudergänger mußte fest auf den Füßen stehen, wenn sein Schiff bei Sturm durch die See torkelte.
Pete wippte ein bißchen auf seinen Themsekähnen und übte somit eine quetschende Wirkung aus, das heißt, er verbreiterte das Rattengesicht. Um beim Tiervergleich zu bleiben: es wurde froschähnlich.
Im Gewölbe des Mister Pickens tobte indessen der Kampf, und der Dürre war im Gegensatz zu seinem Kollegen Pylmson entzückt über das, was sich abspielte, zumal er sein Herz dem Ungetüm geschenkt hatte. War ihm doch von diesem ein prächtiges Goldtalerchen zuteil geworden, das für zehn Bierfässer nobel gereicht hätte.
Und er drosch einem Kerl von der „Arrow" den Holzprügel auf den Kopf, einem Kerl, der zusammen mit Potter hier schon früher herumgestänkert und ihm die Gäste vergrault hatte.
Heute war Zahltag, denn die Arrows hatten ihn geradezu tyrannisiert. Und immer hatten sie mit ihrem Scheiß-Earl-of-Essexgedroht,der nur mit den Fingern zu schnippen brauche, um ihn, Pickens, aus irgend
einem fadenscheinigen Grund einzulochen.
Ha! Prächtige Kerle, diese Burschen des Kapitäns Killigrew. Nannte man den nicht den Seewolf?
Der Dürre vergaß genau in diesem Augenblick, daß er einem zu nahe an die Theke geratenen Kerl von der „Arrow" den Prügel zu kosten geben wollte. Und dieser Kerl war drauf und dran, ihm den Prügel zu entreißen, einen feinen Prügel, der Vorteile verschaffte, Hartholz aus englischer Eiche. Der Kerl zerrte wie irre.
Einer packte ihn im Genick, zog ihn herum und donnerte ihm die Faust unters Kinn. Der Kerl sauste an der Tresenkante entlang, wischte mit dem Kinn alles weg, was dort an Gläsern und Flaschen gestanden hatte, und prallte am Ende der Theke in eine Faust, die ein graubärtiger Riese hochzog. Der Kerl wischte wieder zurück - schneller als zuvor, weil's nichts mehr abzuräumen gab - und empfing von dem ersten Faustkämpfer einen Hieb aufs Haupt.
Es war der riesige Kapitän Killigrew.
Der „Arrow"-Mann, auch einer von den Wüstesten Schlägern dieser Horde, sackte mit glasigen Augen auf die Steinfliesen.
„Sind Sie der Seewolf, Sir?" fragte Pickens begeistert.
Der Riese lächelte. „Man nennt mich so." Und im selben Augenblick glitt Hasard nach rechts - er hatte nur das Entsetzen in den Augen des Dürren gesehen, das ihn gewarnt hatte.
Neben seiner linken Schulter zersplitterte auf dem Tresen ein Schemel. Der Hundesohn, der ihm von hinten die Sitzkante hatte auf den Schädel schmettern wollen, wurde vom eigenen Schwung mitgerissen und flog halb über den Tresen.
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Hasard zog ihn mit der Linken von der Platte, stellte ihn hin und schob ihm die Rechte auf die Nase. Der Kerl kreiselte an der Theke entlang, und Big Old Shane fing ihn am Ende ab, indem er an den Hüften mit beiden Händen zupackte, sich duckte und den Kerl über seinen Kopf nach hinten ins Gewölbe warf.
Einer der steinernen Pfeiler war im Weg, und der war mit einem Kopf nicht zum Einsturz zu bringen, auch nicht mit einem Kopf aus Eisen. Der Kerl verlosch am Fuße des Pfeilers.
„Kopf auf Stein, das laß sein", murmelte Big Old Shane, der sich kurz umgeschaut hatte, und trat einem dicken Kerl von der „Arrow", der mit einem Stuhlbein auf ihn losstürmte, vor den Bauch. Der Dicke pfiff in den höchsten Tönen und krümmte sich zusammen. Old Shane richtete ihn wieder auf. Der Schmied von Arwenack, alt wie er war, hatte noch immer die Kraft von einigen Ochsen. Treffsicher war er auch noch.
Die Faust prallte unter das Kinn des Dicken und hob ihn aus den Stiefeln - zu einem Überschlag rückwärts. Die Landung erfolgte mit dem Hintern zuerst, auf einem Bierkrug, der dort hingekollert war. Der Feldscher brauchte später mehrere Tage, um dem Dicken die Splitter aus dem Hintern zu pulen - dies um so mehr, weil Potter am übernächsten Tag bei der Wettfahrt dem Dicken noch einmal in den Hintern treten würde, allerdings nicht ahnend, daß er damit die Splitter noch tiefer in den Allerwertesten trieb.
Innen vor der Gewölbetreppe hatten sich Don Juan, Jack Finnegan und Paddy Rogers aufgebaut, um zu verhindern, daß einer der Arrows türmte. Denn sie sollten alle durchge
mangelt werden. Die drei Arwenacks hatten mächtig zu tun.
Denn trotz zahlenmäßiger Überlegenheit schwante den meisten Kerlen, daß sie hier an erstklassige Kämpfer geraten waren. Dies um so mehr, nachdem gleich zu Anfang ihr Oberraufbold Potter ins zeitweise Aus geschickt worden war. Potter lag immer noch auf dem Tisch und stierte mit glasigen Augen zur Gewölbedecke hoch. Sein Ausfall bewirkte das, was man mit Untergrabung der Kampfmoral bezeichnet.
Sie drängelten also zum Ausgang, wurden jedoch teils zurückgeholt, oder teils zurückgeschlagen. Vor allem der bullige Paddy Rogers wütete wie ein Berserker. Sonst sehr betulich im Denken, zeigte er jetzt eine erstaunliche Fixigkeit mit den Fäusten. Und das waren weiß Gott keine weichen Patschhändchen.
Ihm gelang ein Schlag, der den Kerl durchs gesamte Gewölbe bis in den hintersten Winkel fegte - allerdings war da nichts im Weg gewesen, kein Pfeiler, kein Tisch oder Kämpfer. Die Kerle, die dort hinten am Würfeln gewesen waren, sahen nur einen langgestreckten Mann vorbeifliegen und zogen die Köpfe ein. Und als es an der hinteren Gewölbemauer bumste, zuckten sie schmerzerfüllt zusammen, als sei ihr eigener Kopf gegen die Wand geprallt.
Der Kampf dauerte knappe zehn Minuten.
Die Männer, die standen, waren die Arwenacks. Und jene, die auf den Dielen lagen, waren die Arrows.
Der Profos zählte und kam auf vierzehn Arwenacks. Einer fehlte. Der lag auch, aber auf der Vollbusigen, und er war sehr lebendig, denn er polkte der Lady, die heftig kicherte, schwarze Zahnruinen aus der Bluse.
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Mac Pellew. Immer, wenn er einen Zahn gefun
den hatte, warf er ihn hinter sich und langte noch tiefer in die Bluse. Der Dicke saß im Schneidersitz neben ihm und schaute wie hypnotisiert zu. Er stierte, und ganz offenbar zweifelte er an seinem eigenen Verstand. Das war nicht verwunderlich, denn wann hat man in seinem ganzen Leben schon mal die Gelegenheit, zuzuschauen, wie jemand zwischen zwei schwellenden Hügeln nach Zähnen sucht. Normalerweise findet man die Dinger ja in einem Mund, aber nicht dort, wo der andere herumschaufelte.
Auch dem Profos gingen die Augen über. Bei seinem Mackilein war er ja allerlei gewohnt, aber was der da betrieb, war das Allerletzte. Sie kämpften und schlugen sich die Fäuste wund, und dieser Spillerhering angelte in einer Bluse nach verfaulten Zähnen.
Der Profos holte tief Luft, um dem lieben Mac die Flötentöne beizubringen, aber da begann Potter durch die Plattnase zu Schnorcheln - na ja, was man da als etwas Nasenartiges noch bezeichnen konnte. Ein Knubbelchen war's noch, mehr nicht. Er richtete sich zum Sitz auf, wackelte mit dem Kopf, brabbelte etwas Unverständliches und blickte sich trübe um. Als sein Blick Carberry erreichte, wak-kelte sein Kopf noch mehr.
Und er spuckte einen Zahn aus. Der dürre Mister Pickens würde beim Ausfegen seiner Pinte eine Menge Zähne finden, bestimmt eine ganze Pütz voll.
Der Profos grinste mit tückischer Freundlichkeit.
„Na, Kleiner? Wie geht's uns denn so?" fragte er.
Potter spie noch einen Zahn aus. „Sag mal", fuhr der Profos fort,
„bist du nicht derjenige, der meine Mutter eine Wanderhure nannte? Dann solltest du dich jetzt entschuldigen, denn meine Mutter war eine ehrbare Frau, und wer sie beleidigt, der beleidigt auch mich. Und ich mag so was nicht. Ich mag auch nicht, daß jemand meinen Freund Batuti einen Nigger und mich einen Bauernlümmel nennt. Und ich mag schon gar nicht, wenn jemand das Maul aufreißt und mich anstänkert. Möchtest du dich jetzt entschuldigen, Kleiner, oder brauchst du noch ein Hämmerchen zum Nachdenken?"
Potter entschied sich für das „Hämmerchen zum Nachdenken". Er sagte, etwas undeutlich, weil ihm zwei Zähne fehlten: „Ich brech dir alle Knochen, du Bastard, und in fünf Minuten schwimmst du die Themse abwärts, so wahr ich Jeremy Potter heiße!"
Dieser Jeremy Potter überschätzte sich genauso wie sein Herr und Meister, der Graf von Essex. Zwei ausgeschlagene Zähne genügten ihm noch nicht - auch nicht, daß seine Raufbolde stumm auf den Steinfliesen lagen.
„Dann mußt du dich hinterher umtaufen lassen, Jeremy Potter", sagte der Profos und trat einen Schritt zurück, weil Potter plötzlich ein Messer in der Hand hatte, vom Tisch rutschte und auf ihn zuschlich.
Er schlich an Mac Pellew vorbei. Der nahm die rechte Hand aus der Bluse der Vollbusigen und zeigte, daß diese Hand noch zu etwas anderem taugte, als zwischen wohlgerundeten Hügeln nach Zähnen zu fummeln. Diese Hand packte energisch zu, umklammerte den linken Knöchel Potters und riß ihn nach oben.
Potter landete auf der Nase und hatte Glück, daß er sich sein Messer
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nicht in den Hals rammte. Carberry trat es ihm aus der Hand und wartete, bis sich Potter aufgerappelt hatte.
„Das war nicht fair, Potterchen", tadelte er, „aber ich weiß schon -wenn ihr es mit den Fäusten nicht mehr schafft, dann werdet ihr tük-kisch. . ."
Mit einem tierischen Grunzen stürzte sich Potter auf ihn. Der Pro-fos blockte Potters Rechte mit dem linken Unterarm ab und feuerte seinen Hammer von rechts unten hoch, verstärkt mit einer Hüftdrehung. Ziel war Potters Kinn. Er traf voll. Der Bootsmann flog zurück auf den Tisch, auf dem er schon einmal geträumt hatte, und der Tisch krachte zusammen.
Carberry setzte nach - schließlich hatte er die Themse hinunterschwimmen sollen. Er holte Potter hoch und walkte ihn durch. Zuletzt hakte er ihn mit dem Hosengurt über einen daumendicken Nagel in einem der Pfeiler, wo früher einmal eine Stallaterne gehangen hatte. Nun baumelte dort Jeremy Potter, bei dem - um im Bilde zu bleiben - alle Laternen verlöscht waren.
Grinsend marschierte der Profos zum Tresen. Hasard lehnte dort, den Rücken mit den Ellbogen abgestützt. Er grinste ebenfalls.
„Das war's wohl, Sir", sagte Carberry.
„Das war's, Ed", sagte Hasard, „und nicht zu knapp. Ob wir jetzt was Scharfes trinken?"
„Das walte König Artus", sagte der Profos lüstern.
„Mann, Mann!" Der dürre Mister Pickens tauchte ab, fischte eine Flasche unterhalb des Tresens hervor, baute Gläser in Paradelinie auf der Platte auf, entkorkte die Flasche und ließ sie, angekippt, über die Gläser
wandern. Es waren genau fünfzehn Gläser. Und es ging kein Tröpfchen daneben.
„Rum!" flüsterte der dürre Mister Pickens und schenkte sich das sechzehnte Glas voll. „Rum vom Besten, Gentlemen. Aus Westindien!"
Da reihten sich die Arwenacks entlang am Tresen auf - der eine mit einer Schramme am Kopf, der andere mit einer Beule und der nächste mit einem leicht verfärbten Auge, aber allesamt putzmunter.
Sogar der liebe Mac hatte sich -wenn auch schweren Herzens - von seiner neuen Flamme, der Vollbusigen, getrennt. Allerdings hatte er ihr zugeflüstert, daß er übermorgen abend zum Scherzen aufgelegt sei.
„O du Starker!" hatte sie gehaucht. Und sie hatte dabei zärtlich in sein rechtes Ohrläppchen gebissen. Das war Macs einzige Verletzung in diesem Kampf der Arrows gegen die Arwenacks - abgesehen davon, daß ein Liebespfeil sein Herz durchbohrt hatte. Aber wer mochte so etwas schon eine Verletzung nennen!
Der Dicke saß übrigens zu diesem Zeitpunkt immer noch im Schneidersitz auf den Steinfliesen, das Kinn mit dem angewinkelten rechten Arm auf dem Knie abgestützt, und sinnierte vor sich hin. Er war dabei, darüber nachzudenken, wieso und warum Zähne in Blusen gelangten.
Es war dies doch ein sehr wichtiges Problem. Denn wo führte das hin, wenn sich Zähne dort befanden, wo sie nicht hingehörten! Der Dicke war Schreiber in der Kanzlei eines Notars. Und als solcher hatte er seine angeborene Pingeligkeit noch weiter vertieft.
Er wollte die Vollbusige nach der Lösung dieses Problems fragen, aber das Turteltäubchen, mit dem er sein
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Eheweib einmal die Woche betrog, war davongeflogen. Da seufzte der Dicke - und schlief im Schneidersitz ein.
Die Vollbusige hatte sehr genau erkannt, daß der Dicke ein müder und der Zähnesucher ein sehr feuriger Liebhaber war. Darum hatte sie beschlossen, dem „Feurigen" bis übermorgen abend die Treue zu halten.
Dieser Feurige stand jetzt neben dem Profos an der Theke und süffelte den Rum aus Westindien, der ein Gaumenschmaus war und die Karibik hervorzauberte.
„Ahhh!" seufzte Mac, als er das Glas absetzte.
Der Profos spähte auf ihn hinunter und sagte sachlich: „Dein Ohr ist blutig, Mac. Was ist damit?"
Mac stutzte. Dann erinnerte er sich und sagte verzückt: „Sie hat mich dort gebissen, die Geliebte meines Herzens."
„Wer?" Der Profos schaute verdutzt. „Unsere Bessy?"
Mac winkte ab. „Nicht meine Bessy. Die andere. Wir treffen uns übermorgen abend. Sie lechzt nach mir, weil sie wie meine Bessy erkannt hat, daß ich der schönste Mann im Königreich bin - und der stärkste. ,0 du Starker', hat sie mir ins Ohr geflüstert, bevor sie an meinem Ohrläppchen knabberte, was mich mit Wonnen erfüllte."
Der Profos starrte stummm vor sich hin. In seinem Kopf törnten die Gedanken und schlugen wilde Kin-ken. Irgendwas stimmte in dieser Welt nicht mehr. Eine Miesmuschel wurde zur Perle, ein Hering zum Kampfstier, der sich am Ohrläppchen knabbern ließ - aber immerhin hatte dieser Hering den Potter zu Fall gebracht, als der mit dem Messer auf ihn, den Profos, zugerückt war.
„Danke", sagte der Profos. Zwar wußte Mac nicht, für was sich
der Profos bedankte, aber das spielte auch keine Rolle.
„Oh, gern geschehen", sagte er. „Ja ja", murmelte der Profos, „die
dümmsten Bauern haben die dicksten Rüben."
Mac erkundigte sich, was der Profos damit meine, aber der sagte: „Ach, nur so."
Der dürre Mister Pickens spendierte gerade die nächste Lage Rum, und sie bewunderten seine Kunst, keinen Tropfen danebenzugießen, als die Schanktür polterte und ein Mann in der Kellerschenke erschien.
Gilbert Batten, Hauptmann der Seesoldaten und derzeitiger Kapitän der Prunkyacht „Arrow".
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Alle Arwenacks drehten sich zu ihm - und begannen, bis zu den Ohren zu grinsen. Das Gesicht des „Arrow"-Kapitäns war wirklich sehenswert. Er hatte wohl nach seinen Schäfchen schauen wollen, wo die abgeblieben waren - oder wie weit sie ihr Pensum erfüllt hatten, die Bastarde von der Schebecke spitalreif zu schlagen.
Das Gegenteil war geschehen. Ungeheuerlich! Unfaßbar! Der Hauptmann stand wie vom
Blitz getroffen und vom Donner erschlagen. Seine fleischigen Lippen zitterten, die verwässerten Blauaugen wirkten wie aufquellende Sumpfblasen kurz vorm Zerplatzen, die Gesichtsfarbe wechselte von rot zu lila. Ohne Zweifel hatte er Blutandrang zum Gehirn.
Er tappte zwei, drei Schritte vor, eher mechanisch, als gehorchten
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seine Beine eigenen Gesetzen, aber nicht seinem Willen. Da knirschte es unter seinen Stiefeln, und er zuckte zusammen.
Er war auf eine der Zahnruinen des Rattengesichtigen getreten, aber die war ja ohnehin unbrauchbar geworden.
Na, und da hing sein Bootsmann an einem Nagel am Pfeiler wie ein abgeschossenes Karnickel, in der Hüfte abgeknickt, die Arme baumelten neben den Beinen.
„Was - was tut der da?" stotterte der Hauptmann verwirrt.
„Ach, der ruht sich ein bißchen aus, glaube ich", sagte der Profos. „Kennen Sie den Mann, Sir?"
„Wie? Was ist?" „Ich fragte, ob Sie den Mann ken
nen, Sir?" „N-nein. Wie-wieso soll ich den ken
nen?" „Merkwürdig." Der Profos schabte
sich nachdenklich das Kinn. „Ich meine, daß ich den Mann heute nachmittag auf Ihrer ,Arrow' gesehen habe."
„Das - das muß ein Irrtum sein." Der Hauptmann begann zu schwitzen und wischte sich hastig die Schweißtropfen von der Stirn. Dann wurde er wütend und fragte: „Wer hat den Mann da hingehängt?"
Carberry zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich auch nicht, Sir. Wir stehen hier schon 'ne ganze Weile an der Theke und genießen den ausgezeichneten Rum von Mister Pickens. Vor etwa einer Viertelstunde drehte ich mich zufällig mal um - und da hing der Mann schon an dem Nagel. Na, dachte ich, so was soll's ja geben. Vielleicht, so sagte ich mir, hat er sich selbst da hingehängt, zum Auslüften oder so."
Der Hauptmann fand zu sich selbst
zurück und brüllte: „Wollen Sie mich veralbern, Kerl?"
„Warum regen Sie sich so auf, Sir?" fragte der Profos gemütlich und süffelte von seinem Rum. „Ich denke, Sie kennen den Mann gar nicht? Dann kann es Ihnen doch egal sein, ob er dort zum Auslüften hängt oder in einer Regentonne badet, was, wie?"
„Hier stimmt was nicht!" schrie der Hauptmann. „Was ist mit den Leuten, die hier herumliegen?"
„Wie soll ich das wissen!" erwiderte der Profos ein bißchen gereizt. „Fragen Sie die Leute doch selbst. Ich bin für Ihre dummen Fragen nicht zuständig."
„Die Leute sind überfallen und niedergeschlagen worden!" schrie der Hauptmann.
Jetzt schaltete sich Hasard ein und fragte freundlich: „Waren Sie dabei, Mister Batten? Oder woher beziehen Sie Ihre Weisheit?"
„Das sieht man! Die Leute sind alle schwer verletzt!"
„Na, so was! Vermutlich haben sie sich geprügelt", meinte Hasard grinsend. „Das passiert schon mal in Kneipen, nicht wahr? Da stänkern ein paar Kerle herum, und schon ist die schönste Keilerei in Gange. Es soll auch Schlägerkolonnen geben, die im Auftrag arbeiten und jemanden verdreschen sollen, der dem Auftraggeber nicht paßt. Vielleicht sollte man da mal nachhaken. Was meinen Sie, Mister Batten?"
Da saß der „Arrow"-Kapitän in der eigenen Falle und kaute auf seinen fleischigen Lippen herum. Er wußte nicht weiter. Die glorreiche Idee, diese verdammten Landgänger des Kapitäns Killigrew derart zusammenzuschlagen, daß sie für ein paar Tage das Aufstehen vergaßen, hatte der Graf von Essex gehabt. Und er,
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Batten, hatte den Befehl dazu an Potter, diesen Idioten, weitergegeben.
Und was war daraus geworden? Ein Schlag ins Wasser! Zum Kot
zen war das! Besser, er verdrückte sich jetzt, bevor dieser scharfe Hund von Killigrew anfing, peinliche Fragen zu stellen.
„Habe die Ehre, Sir", schnarrte der Hauptmann, deutete eine Verbeugung an, ruckte herum und verließ das Kellergewölbe.
„War mir ein Vergnügen, Mister Batten!" rief ihm Hasard hinterher. „Und grüßen Sie den Grafen sehr herzlich von mir. Er soll sich was Besseres einfallen lassen, als seine Raufbolde unter Ihrem Bootsmann Potter auf meine Männer zu hetzen!"
„Scheiße", murmelte der Hauptmann, stolperte an der zweiten Stufe und stauchte sich das linke Handgelenk, als er seinen Sturz vornüber abfangen wollte. Trotzdem knallte ihm eine Stufenkante an die Stirn, und Sternchen flitzten durch seinen Kopf.
An der Theke dröhnte Gelächter auf. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Wie wahr, wie wahr!
Der Hauptmann entschwand taumelnd.
Die Arwenacks konnten sich wieder ihrem Rum widmen. Hasard zählte zehn Goldtaler auf die Tresenplatte.
„Für den Schaden, der hier entstanden ist, Mister Pickens", sagte er.
„Das nehme ich nicht an, Sir", erklärte der dürre Pickens standhaft. „Daß Sie diese verdammten Kerle von der ,Arrow' verdroschen haben, ist mir den doppelten Schaden wert. Ich habe gehört, daß Sie eine Wettfahrt gegen die ,Arrow' segeln?"
„Der Graf von Essex hat mich herausgefordert."
„Ah! Jetzt verstehe ich. Seine Kerle sollten Ihre Männer zusammenschlagen, um Ihre Mannschaft zu dezimieren, nicht wahr?"
„Stimmt." Hasard lächelte. „Nur haben wir den Spaß umgedreht."
Der dürre Pickens kicherte und sah überhaupt nicht mehr grämlich aus.
„Ich glaube, daß Sie gewinnen, Sir", sagte er.
„So? Und wie kommen Sie darauf?" fragte Hasard.
„Der Graf ist kein Seemann, Sir. Er ist weiter nichts als ein Angeber, ein Schaumschläger, mit Verlaub gesagt. Der einzige von denen auf der ,Arrow', der was von Seemannschaft versteht, ist der Bootsmann Potter. Aber der denkt allenfalls von hier bis zum Ende des Tresens. Darüber hinaus ist er überfordert. Ein sturer Ochse ist das."
„Hm-Hm. Und wie ist die Crew?" „Nun ja", erwiderte der Dürre, „die
sind schon bei der Navy gefahren und wurden extra rausgesucht für dieses verdammte Vergnügungsschiff. Aber das sind faule Hunde geworden, wie das so ist, wenn sie den Grafen und seine Zechkumpane alle Wochen mal über die Themse kutschieren müssen zu irgend 'ner Lustfahrt oder so. Da sind dann auch Frauenzimmer an Bord - na, Sie wissen schon, Sir." Der Dürre schüttelte den Kopf. „Keine gute Crew. Klauen dem lieben Gott die Zeit, die Kerle, spielen sich hier in den Hafenschenken auf, als seien sie was Besseres, und hängen sonst nur rum - bis auf die paar lächerlichen Themsefahrten. Da fragt sich unsereiner, was das alles soll."
„Das fragen wir uns auch", sagte Hasard. Er drehte sich um, weil der Profos ihn anstieß und zum Pfeiler deutete.
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Dort begann Potter zu zappeln und zu zucken.
„Soll ich ihn abhaken, Sir?" fragte Carberry.
Hasard nickte. „Vielleicht wird er ja wieder frech",
sagte Carberry voller Hoffnung. „Dann kann ich ihn noch mal ein bißchen herumschubsen."
Dem war nicht so. Als er Potter hingestellt hatte, ging der in die Knie, als sei da nur noch Pudding drin.
„So was", murmelte der Profos und übte mit Potter ein paarmal das Aufstehen. Es klappte nicht. Der Bootsmann sackte immer wieder in sich zusammen.
Schließlich goß ihm der Profos eine Pütz mit kaltem Wasser über den Kopf. Da kroch der Bootsmann auf allen vieren zur Treppe, und wie ein Wurm schob er sich auch die Stufen hoch. Sie folgten einer dem anderen -ein regelrechtes Krückengeschwader. Die Arwenacks nahmen die Parade ab.
Einige krochen - gleich ihrem Bootsmann. Andere wankten gramgebeugt der Treppe zu. Oder sie hinkten. Das war ein einziges Ächzen, Stöhnen, Jammern und Klagen.
„Hopp-hopp!" rief der Profos aufmunternd, aber vergeblich. Sie schleppten sich dahin, als hingen an ihren Füßen schwere Eisenketten.
Der Dicke, der sich auf den Humpen gesetzt hatte, jammerte: „Oh! Oh!" Und er ging, als habe er die Hosen voll.
Sie hatten verschobene Nasen, schiefe Kinne, dicke, verfärbte Klüsen, aufgeplatzte Lippen und zerbeulte Wangen. Prächtig sahen sie aus, bunt gescheckt und so richtig farbenfroh. Bei manchen hätte man meinen können, sie trügen ihren Kopf unterm Arm.
Der Mister Batten würde seine helle Freude haben, wenn sie an Bord wackelten, der Graf vielleicht auch, wenn er noch anwesend war. Und vielleicht war der Koch am Morgen so freundlich und kochte ihnen einen Grießbrei oder irgendeine weiche Pampe, denn mit dem Beißen würden sie arge Schwierigkeiten haben.
Die Nachhut bildete der Rattenge-sichtige, dessen Visage aber froschähnlich geworden war. Er schob sich unter dem Tisch hervor, peilte mummelnd die Lage, was mit verquollenen Klüsen nicht leicht war, und kroch ebenfalls auf allen vieren zur Treppe. Der Profos hätte ihm liebend gern in den Hintern getreten, um seinen Abgang zu beschleunigen, aber der Gegner war restlos geschlagen und auf dem Rückzug. Da verbot es sich, ihm noch weiter zuzusetzen. Das Schinden oder Quälen von Menschen, die kapituliert hatten, war nicht ihre Sache.
Die zehn Goldmünzen blieben dennoch bei Mister Pickens. Hasard sagte ihm, er könne ja für übermorgen ein Wettbüro eröffnen und die Talerchen auf ihren Sieg setzen. Da hatte Pickens begeistert zugestimmt.
Es war die zweite Stunde nach Mitternacht. Über die Themse zogen Nebelschwaden. Es herrschte ablaufendes Wasser, und die Strömung gurgelte und schlürfte am Rumpf der Schebecke. Die Festmacher ächzten und knarrten.
Vorn gingen Nils Larsen und Sven Nyberg, die beiden Dänen, die Hundewache von Mitternacht bis vier Uhr morgens. Achtern waren Dan O'Flynn und Batuti aufgezogen. Der Rest der Crew horchte die Kojenma-
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tratzen ab, nachdem Hasard und die Landgänger grinsend berichtet hatten, wie das „Durchmangeln" der Arrows verlaufen war.
Die vier Wachgänger hatten sich in dicke Segeltuchjacken gehüllt und Wollmützen über die Köpfe gezogen. Diese Aprilnächte in London waren lausig kalt - und feucht. Überall glitzerte Tau.
Die Schebecke lag mit der Steuerbordseite an der Pier, den Bug stromaufwärts gerichtet. An die hundertfünfzig Yards hinter ihr war die „Arrow" vertäut. In den Nebelschwaden und der Dunkelheit war von ihr nichts zu sehen.
Aber zu hören war etwas. Batuti hatte unheimlich scharfe Ohren. Er stieß Dan an und flüsterte: „Aus Richtung der ,Arrow' höre ich etwas - Riemenschläge und schäumendes Wasser."
Dan beugte den Kopf vor und lauschte aufmerksam. Nach einer Minute nickte er und flüsterte: „Stimmt. Da wird ein Boot gegen das ablaufende Wasser und die Strömung gepullt. Die sind ja bescheuert! Wetten, daß die 'ne halbe Stunde bis zu uns brauchen?"
„Die Wette gewinnst du", entgegnete Batuti. „Und du hast recht, der Besuch gilt uns. Um diese Zeit kann es sich nur um 'ne Sauerei handeln, die diese Kerle planen. Soll ich den Kapitän Wahrschauen?"
„Besser ist besser. Und sag auch gleich Nils und Sven Bescheid."
Batuti zeigte klar und huschte lautlos davon. Dan zog seine Pistole und überprüfte sie. Das Quietschen der Riemen in den Rundseln wurde deutlicher.
Diese Idioten haben es noch nicht mal für nötig gehalten, die Leder
manschetten mit Öl zu tränken, dachte Dan O'Flynn.
Es handelte sich um die lederne Ummantelung der Riemen dort, wo sie in den Rundsein des Dollbords lagerten, eine Schutzmaßnahme, um das Riemenholz an dieser Stelle der Beanspruchung zu schonen. Tränkte man die Ledermanschetten mit Öl oder rieb sie mit Fett ein, dann war das Geräusch der sich in den Rundsein bewegenden Riemen kaum zu hören.
Dan O'Flynn wunderte sich einmal mehr über die schlampige Nachlässigkeit dieser Kerle. Es verriet eine ganze Menge - unter anderem auch die Tatsache, daß es den Kerlen ganz erheblich an Kampferfahrung mangelte. Im Ernstfall würden sie ins offene Messer laufen, wenn sie sich auf diese Weise einem Gegner näherten.
Ferner war es schlichtweg schwachsinnig, gegen: ablaufendes Wasser und Strömung zu pullen - dies aus zweierlei Gründen. Zum einen pullten sich die Kerle die Seele aus dem Leib und waren am Ziel außer Puste, und zum anderen hätten sie wissen müssen, daß ein Gegenanpullen gegen die Strömung klatschende Geräusche am Vorsteven des Bootes erzeugt.
Ein Gleiten mit der Strömung ist lautlos, ein Gegenan verursacht das, was Batuti als „schäumendes Wasser" bezeichnet hatte. Das Aufschäumen erklang in rhythmischer Folge, nämlich immer dann, wenn die neu einsetzenden Riemen dem Boot einen Pull voraus gaben.
Einmal riß ein Nebelschwaden auf und gab für einen kurzen Augenblick die Sicht auf das Boot frei. Dan O'Flynn zählte acht Mann an den Riemen, vier auf jeder Seite, und zwei
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Kerle auf der Achterducht, von denen einer die Pinne hielt.
Also zehn, dachte Dan, und das reichte eigentlich nicht, um die Sche-becke zu entern - aus welchen Gründen auch immer. Konnte natürlich sein, daß sich andere Kerle über die Pier der Schebecke näherten.
Neben Dan tauchte Nils Larsen auf. Dan flüsterte ihm zu: „Husch auf
die Pier, Nils. Möglich, daß sich dort Kerle anschleichen. Im Boot sind nur zehn."
„Verstanden!" Auch Nils verschwand lautlos. Dan bemerkte noch, daß er seine Pistole gezogen hatte.
Dan O'Flynn grinste vor sich hin. Das war's eben. Bei den Arwenacks
wußte jeder, was zu tun war im richtigen Moment und an der richtigen Stelle. Erfahrung nannte man das. Und sie waren in zu vielen höllischen Situationen gewesen. Die ganzen bisherigen Fehler dieser Arrows wären ihnen nicht passiert. O ja, dafür hatten sie Lehrgeld zahlen müssen. Von nichts kommt nichts.
Und die Arrows hatten dem süßen Leben gehuldigt. Hasard hatte berichtet, was von Pickens über diese Crew gesagt worden war.
Da tauchte auch schon der Seewolf neben Dan auf.
„Na?" flüsterte er. „Eine Jolle wird auf uns zugepullt,
acht Mann an den Riemen, zwei achtern", sagte Dan O'Flynn. „Habe Nils auf die Pier geschickt, falls von da Kerle anrücken."
„Sehr gut. Hatte schon den gleichen Gedanken und habe Carberry wek-ken lassen. Er sichert dort mit Plym-mie und den Junioren. Auch die Männer sind gewahrschaut."
Dan blickte sich um. Na, das klappte wie das Brezelbacken. Da hockten bereits Gestalten längs der
beiden Schanzkleider, bereit, wie die Teufel hochzufahren, sobald an einer Stelle Gefahr im Verzuge war.
„Bin gespannt, was die beabsichtigen", wisperte Hasard und spähte in die Richtung, aus der nun wirklich unüberhörbar ein Boot herangepullt wurde. „Diese Töpfer!" setzte der Seewolf hinzu und schüttelte den Kopf. „Armes England!"
„So etwas Ähnliches dachte ich auch", flüsterte Dan O'Flynn. „Die haben noch 'ne Menge zu lernen."
Wieder zerfaserte ein Nebelschwaden für kurze Augenblicke, und Hasard sah das Boot - und noch etwas.
„Hast du gesehen, was ich gesehen habe?" flüsterte er.
„Du meinst den Draggen vorn im Bug?"
Hasard nickte. „Nicht nur den - die Menge Tau, die dranhängt!"
Das war's also - oder konnte es sein.
Dan O'Flynn hatte richtig geschätzt. Die Jolle brauchte etwa eine halbe Stunde, bis sie fast am Heck der Schebecke war. Zu diesem Zeitpunkt lagen Hasard und Dan O'Flynn auf der achteren Gräting - jenem Teil der Schebecke, die als eine Art Deck als Fortsetzung des Quarterdecks über das runde Heck - und das Ruderblatt hinausragte.
Unter sich hatten sie das gewürfelte Muster der Gräting, durch deren Quadrate sie aufs Wasser hinunterschauen konnten - an die drei Yards von der Wasseroberfläche entfernt. Im übrigen lagen sie längsseits jener Spiere, die mittschiffs vom Beginn der Gräting weit über das Heck hinausragte - als eine Art Heckspriet. Auf ihr wurde hinter dem Heck das Schothorn des Besansegels fixiert, beziehungsweise das Besansegel getrimmt. Neben dieser Spiere liegend,
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wirkten sie beide wie die Wurst eines aufgetuchten Segels oder einer zusammengerollten Persenning.
Wie auch immer, niemand, der von unten durch die Quadrate der Gräting nach oben schaute, würde vermuten, daß dort zwei Männer lagen.
Hasard und Dan spähten aus zu Schlitzen geschlossenen Augen nach unten und schauten und hörten zu, was sich dort tat.
Einer der beiden Kerle, die achtern saßen, hatte sich inzwischen zum Bug begeben und langte mit einem Bootshaken nach einem oberen Fingerling des Ruderblatts. Als er hakte, zog er das Boot heran. Die Kerle brauchten nicht mehr zu pullen. Das Boot befand sich in Lee der Strömung - von dem Rumpf der Schebecke abgedeckt.
Ein zweiter Mann, der vordere an Backbord, stand auf und stieg zum Bug. Dort nahm er das lose Ende des Taus auf, an dem der Draggen angeschlagen war.
„Mach schon!" zischte der Kerl an der Pinne. Er schien ziemlich nervös zu sein.
„Reg dich ab", erklärte der Kerl, der das Draggentau in der Hand hielt. „Die pennen wie die Murmeltiere, diese Scheißer!"
Er beugte sich im Bug vor, außenbords, und fummelte am Ruderblatt der Schebecke herum, tastete es ab und langte mit dem rechten Arm dabei tief ins Wasser.
„Scheiße", sagte er, „muß doch ins Wasser. Das kostet 'n Rum extra."
Der Kerl an der Pinne stöhnte. „Quatsch nicht soviel! Beeil dich!"
„Krieg ich nun 'n Rum extra oder nicht? Wenn nicht, kannst du ja ins Wasser."
„Ja, kriegst du!" zischte der Kerl an
der Pinne. „Aber wir wollen hier keine Wurzeln schlagen."
Ein anderer Rudergast mußte ihm helfen. Er hielt solange das Draggentau, bis sich der Kerl vorn am Bug ins Wasser gelassen hatte.
„Scheißkalt!" fluchte der Kerl im Wasser. „Da friert man sich was ab." Bei seinen Formulierungen schien er eine Vorliebe für jenes Wörtchen zu haben, mit dem man das Endprodukt der menschlichen Verdauung in der Vulgärsprache bezeichnet.
Er empfing das Tau und tauchte mit ihm, sich am Ruderblatt festhaltend, unter Wasser. Blasen blubberten nach oben. Der andere im Bug schob Lose vom Draggentau nach, das im Vorraum des Bugdreiecks aufgeschossen war. Die Buchten lagen ziemlich hoch übereinander und verrieten eine beträchtliche Länge des Draggentaus.
Der Kerl tauchte schnaufend und prustend wieder auf und reichte das Ende des Taus dem anderen Mann im Bug.
„Alles klar", sagte er keuchtend. „Scheißthemsewasser." Er bewegte sich um Boot und hängte sich ans Dollbord. Zwei Kerle zogen ihn bin-nenbords.
Der Kerl, der das Tau empfangen hatte, schlug mit dem Ende einen laufenden Pahlstek ins Tau und zog das so gebildete Auge straff. Jetzt lag unterhalb der Wasserlinie eine Schlinge um das Ruderblatt der Schebecke.
Der Taucher hatte das Tau durch den Zwischenraum zwischen Achterkante Steven und Vorkante Ruderblatt gesteckt und wieder mit nach oben genommen, wo der andere nur den Pahlstek zu schlagen brauchte.
Hochrutschen konnte die Schlinge nicht, weil sich über ihr ein Ruderbeschlag mit Fingerling und Öse be-
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fand, jene Einrichtung, welche die Drehachse des Ruderblatts bildet. Das Ruder der Schebecke hing an insgesamt vier Beschlägen mit den entsprechenden Fingerlingen und Ösen.
Der Kerl mit dem Bootshaken konnte jetzt loslassen. Er packte beim Draggentau mit zu, an dem sie sich achteraus sacken ließen, während sie gleichzeitig weitere Lose ins Tau gaben. Ruckweise verschwand das Boot themseabwärts und tauchte in den Schwaden unter. Am Ende des Taus befand sich der Draggen. Den brauchten sie dann nur über Bord zu werfen.
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„So ist das also", sagte Hasard grinsend und rappelte sich auf. „Keine schlechte Idee von den Gentlemen."
„Was ist los?" Ben Brighton tauchte auf dem achteren Grätingsdeck auf.
Don O'Flynn feixte. „Die Kerle haben uns einen Draggen ans Ruderblatt gebunden - mit entsprechender Leine. Wenn da Zug draufkommt, wird uns das Ruderblatt weggebrochen. Wenn nicht, hängen wir zumindest am Draggen fest. Und das Tau zu ihm befindet sich unter Wasser. Da gelangst du nicht so leicht ran, um es zu kappen."
„Na, fabelhaft", sagte Ben Brighton und grinste ebenfalls. „Wie wär's denn, wenn wir den Spieß gleich wieder umdrehen und der ,Arrow' den Draggen ans Ruder hängen?"
„Ben Brighton, du bist ein böser Bube", sagte Hasard streng, aber mit tausend Lachteufelchen in den Augen. „Ich gebe zu, daß mich das auch reizen würde - immer nach dem Motto, mit gleicher Münze zurückzahlen." Er schüttelte den Kopf. „Bei
allem Jux, den wir dabei hätten, finde ich, wir sollten es lassen. Der ,Arrow' würde wahrscheinlich - wie bei uns - das Ruder zu Bruch gehen, und damit wäre die Wettfahrt zumindest unentschieden. Ich will sie aber segeln, um diesen arroganten Essex zu blamieren, und zwar bis auf die Knochen. Dazu gehört eine saubere Wettfahrt unsererseits - ohne Haken und Ösen. Den Draggen fischen wir raus. Den überreiche ich dem eingebildeten Pinsel nach der Wettfahrt und im Beisein Bessys. Was hältst du davon?"
„Ausgezeichnet", erklärte der Erste begeistert. „Fischen wir ihn gleich raus?"
„Das war meine Absicht." „Deine? Wieso deine? Willst du
selbst ins Wasser?" „So ist es, mein Guter. Ein Kapitän
muß immer das leuchtende Vorbild für seine Mannen sein."
„Du lieber Gott! Hast du bei Pikkens zuviel Rum getrunken?"
„Ich habe mich zurückgehalten", sagte Hasard fromm, „um auch in diesem Fall leuchtendes Vorbild zu sein."
„Leuchte hin, Leuchte her, auch ein Erster muß leuchten. Also überlaß das mir, ins Wasser zu steigen." Ben Brighton drehte sich um, weil Dan O'Flynn, der kurz verschwunden war, wieder auftauchte, eine zusammengerollte Jakobsleiter unter dem Arm. „Was soll das denn?"
„Dusselige Frage", brummte Dan, „ich steig runter, um den Pahlstek aufzufieseln."
„Auch so ein leuchtendes Vorbild", stöhnte der Erste.
„Wie bitte?" „Ach nichts. Der Kapitän wollte
runter." Dan O'Flynn schielte zu Hasard,
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der Mühe hatte, sein Prusten zu unterdrücken. „Das soll er lieber den jüngeren Jahrgängen überlassen", sagte er sachlich.
„Na, wenn das so ist!" Und der Kapitän kollerte wie ein Truthahn, der Erste nicht minder, nur um einen halben Ton tiefer.
„So was Albernes", tadelte Dan O'Flynn kopfschüttelnd, schlug die Jakobsleiter am Schanzkleid in Höhe des Ruderblatts an, ließ sie hinunter, zog sich die Seestiefel aus und enterte ab. Weg war er.
„Ist doch gut, wenn unsereiner trok-ken bleiben kann", sinnierte Hasard.
„Du sagst es." Sie beugten sich übers Schanzkleid
und schauten nach unten. Dans heller Haarschopf verschwand gerade unter Wasser. Die Jakobsleiter ruckte und wackelte. Es dauerte nicht lange dann tauchte Dan wieder auf, das Ende des Draggentaus in der Rechten. Er enterte hoch. Ben beugte sich ihm entgegen und nahm das Ende in Empfang. Er belegte es zunächst an einer Klampe.
Dan sprang an Deck und schüttelte sich wie ein nasser Hund.
„Marsch unter Deck und Klamotten wechseln", befahl Hasard. „Und laß dir vom Kutscher einen Rum einschenken. Wenn er meckern sollte, stoß ihm Bescheid. Sag ihm, er kriegte es mit mir zu tun."
„Aye, aye, Sir." Dan schnappte sich seine Seestiefel und sauste ab. Ein bißchen hatte er mit den Zähnen geschnattert.
Die Vorposten auf der Pier waren wieder an Bord. Den Alarm hatte Hasard abblasen lassen. Nach dieser Schurkerei mit dem Draggen rechnete er mit keinen weiteren Vorfällen.
Jetzt hängten sich ein paar Mannen
an den Draggentau und holten es durch. Konnte sein, daß sich der Draggen irgendwo verfing, aber es gab nur einmal einen kurzen Widerstand, dann konnten sie weiter durchholen. Allerdings mit etwas mehr Kraftaufwand.
„Da hängt was dran", brummte der Profos.
„Bestimmt 'ne tote Wasserleiche", sagte Old O'Flynn mit Grabesstimme.
„Gibt's vielleicht auch 'ne lebendige Wasserleiche?" fuhr ihn der Profos an.
Na, da waren sie wieder beim Thema, das schon einen Bart bis sonstwohin hatte. Bei Old Donegal gab's eben nur „tote" Leichen, das saß bei ihm fest, und niemand vermochte ihn zu überzeugen, daß das „doppelt gemoppelt" sei, also ein weißer Schimmel.
Eine wilde Diskussion über dieses unerschöpfliche Thema erübrigte sich zum Glück, denn an dem Draggen hing keine „tote Wasserleiche", sondern eine verrostete Schatulle.
Daß sie Silbermünzen enthielt, brachte die Arwenacks schier aus dem Häuschen. Da hatten ihnen die Arrows wirklich etwas Feines beschert. Es handelte sich um Münzen aus der Zeit Heinrich VIII., des Vaters der königlichen Bessy oder Lissy, der 1547 verschieden war. Das Wasser hatte zwar an der Schatulle genagt und das Eisen zum Teil zerfressen, aber die Münzen waren völlig unbeschadet, weil ihr Besitzer oder wer auch immer sie in Wachstücher verpackt hatte.
Natürlich teilten sich die Arwenacks den unerwarteten Fund, der ihnen sozusagen in den Schoß gefallen war. Indessen betrachtete Hasard den vierarmigen Draggen und stellte
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mit Genugtuung fest, daß am Schaft der Name des Schiffes eingraviert war: „Arrow". Auf einen solchen Beweis hatte er gehofft, und nun hatte er ihn.
„Der wird sich noch wundern, der Lump", knurrte er.
Der Tag der Wettfahrt - des Duells auf der Themse - brachte eitel Sonnenschein und einen handigen Wind aus Südwesten. Die Arwenacks waren ausgeruht und seit sechs Uhr morgens auf den Beinen. Vorfälle seitens der Arrows hatte es nicht mehr gegeben. Der werte Earl vertraute wohl auf die ruderbrechende Wirkung des Draggen. Ob er Fahrwasserzeichen hatte versetzen lassen, würde sich noch herausstellen.
Klar, daß sie ihre Schebecke von den Toppen bis zum Kielschwein und von vorn bis achtern gründlich überprüft hatten, ebenso die Segel sowie das laufende und stehende Gut. Die Decks waren sauber aufgeklart, die Culverinen fest verzurrt, Fallen und Schoten und sonstigen Leinen aufgeschossen - sogar der in diesen Dingen stets mäkelige Profos war zufrieden.
Gegen acht Uhr rollte eine Kutsche auf die Pier, der zwei Gentlemen entstiegen. Sie verabschiedeten sich voneinander, der eine ging zur „Arrow", der andere marschierte auf die Schebecke zu.
Hasard kniff die Augen zusammen. Von irgendwoher kannte er diesen schlanken, drahtigen Mann, der schon von weitem lächelte.
An der Stelling stierte ihm der Profos entgegen, ebenfalls mit zusammengekniffenen Augen.
„Da laust mich doch ein Äffchen", brummelte er.
Und schon stand der Mann vor ihm und schmetterte: „Marc Corbett, Captain der Royal Navy, als Wettkampfbeobachter von Ihrer Majestät abkommandiert auf die Schebecke von Kapitän Killigrew! Bitte gehorsamst an Bord kommen zu dürfen!"
„Aye, aye, Sir!" schmetterte der Profos strahlend zurück. „Herzlich willkommen an Bord! Was freue ich mich, Sie wiederzusehen, Sir!"
„Und ich erst!" Marc Corbett, vor vier Jahren
Erster Offizier auf der englischen Kriegsgaleone „Orion" und jener Mann, der sich mit entschlossener Zivilcourage gegen die Machenschaften des Adelsclique gestellt hatte, die ausgezogen war, um den Seewolf zu fangen, der angeblich ein Verräter sein sollte, die aber tatsächlich nur scharf darauf gewesen war, sich an der Schatzbeute der Arwenacks zu vergreifen.
Für die Engländer war dieses Unternehmen zu einem totalen Fiasko geworden. Der tapfere und aufrechte Marc Corbett hatte mit den überlebenden Männern auf einer spanischen Galeone, die von der Roten Korsarin erbeutet worden war, nach England zurückkehren können.
Und nun stand dieser Mann hier, abgeteilt von der Königin als Beobachter während der Wettfahrt. Einen besseren Mann an Bord hätten sich die Arwenacks nicht wünschen können. Da hatte die Königin einen klugen Griff getan. Es hätte ja auch sein können, daß von ihr als Beobachter einer dieser adligen Hohlköpfe ausgesucht worden wäre, einer von denen, die sich ihren Rang bei der Marine mit dem Geld aus Vaters Schatulle erkauft hatten, aber von der Seefahrt soviel verstanden wie der Ochse vom Flötenspiel.
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Nein, zu denen gehörte dieser Mann mit den graugrünen Augen und dem scharfgeschnittenen Gesicht nicht. Der hatte sein Handwerk von der Pike auf gelernt und war mehr wert als zehn Earls of Essex.
Hasard und Marc Corbett umarmten sich und klopften sich die Schultern ab.
„Wenn Essex das sieht", sagte Hasard lachend, „dann wittert er bestimmt, daß ich Sie bestechen will, Marc."
„Nicht nötig, Sir", sagte Corbett lächelnd. „Sie gewinnen - ich war im letzten Jahr im Mittelmeer und habe die Schebecke kennengelernt. Sie laufen der ,Arrow' auf und davon. Der Graf ist ein Esel, und es wird Zeit, daß er mal gehörig geduckt wird, ganz abgesehen davon, daß er eine seemännische Null ist. Die meisten meiner Offizierskameraden denken so - uns steigt die Galle hoch, wenn wir dieser Prunkkutsche auf der Themse begegnen und ausweichen müssen. Ich garantiere Ihnen, daß er sich nicht an die vereinbarten Vorfahrtsregeln hält."
Hasard nickte. „Weiß ich. Er hält sich an gar nichts. Vorgestern abend wollte er zehn meiner Landgänger von zwanzig Kerlen aus seiner Crew spitalreif schlagen lassen. Wir drehten den Spieß um - heute wird er an denen keine rechte Freude haben, zerbeult wie die sind, am meisten der Bootsmann Potter."
„Potter?" fragte Marc Corbett überrascht. „Das ist einer der übelsten Schläger hier im Hafengebiet. Na, das gönne ich dem Kerl. An den trauen sich sonst keine fünf ausgewachsenen Männer ran."
„Das hat unser Profos allein besorgt", sagte Hasard grinsend. „Potter ist nur noch auf allen vieren aus
der Kneipe gekrochen, mehr war nicht drin."
Marc Corbett pfiff durch die Zähne. „Donnerwetter! Alle Achtung! Das hat noch keiner geschafft."
„Was die üblen Tricks betrifft", sagte Hasard, „hatten wir in derselben Nacht noch einen Vorfall. Die Kerle hängten uns einen Draggen an langer Leine ans Ruderblatt.. ."
Corbetts Augen waren schmal geworden. „Verdammt, können Sie das beweisen, Sir?"
„Klar", erwiderte Hasard gelassen. „Wir lösten die Leine und holten den Draggen hoch. Der Name ,Arrow' ist am Schaft eingraviert. Der Draggen liegt samt Leine unter Deck."
„Das melde ich sofort dem Schiedsgericht", sagte Corbett. „Dieses Schwein! Mit der Schlägerei und dieser üblen Sache hat er sich bereits jetzt schon disqualifiziert. Die Wettfahrt braucht nicht mehr stattzufinden. Er ist der Verlierer."
„Sicher ist er das", sagte Hasard ruhig, „aber die Wettfahrt findet statt, Marc. Ich will nicht wegen dieses lächerlichen Draggen gewinnen - oder wegen einer Keilerei, bei der wir sogar unseren Spaß gehabt haben. Ich will gewinnen, um die Dummheit dieses gräflichen Schnösels zu beweisen. Und den Draggen präsentiere ich ihm, wenn die Wettfahrt Vorbei ist."
„Ah! Verstanden!" Die wütenden Züge Corbetts glätteten sich. Dann rieb er sich die Hände. „Ja, das ist gut. Damit stürzt er noch tiefer vom eingebildeten Thron. Alles klar, Sir. Übrigens, das muß ich Ihnen noch sagen, bei der Navy ist seit vorgestern . das Wettfieber ausgebrochen. Die meisten setzten auf Ihren Sieg."
„Auch ein Grund, die Wettfahrt zu segeln", sagte Hasard trocken. „Ich will keinen enttäuschen." Er blickte
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zur Towerpier und wurde etwas blaß. „Du meine Güte!"
Da spielte sich so etwas wie ein mittlerer Volksaufmarsch ab - nicht nur dort! Soweit das Auge reichte: am Themseufer, hüben wie drüben, versammelten sich Menschen.
Marc Corbett räusperte sich. Dann sagte er: „Ihre Majestät geruhten bereits vorgestern nachmittag, der Bevölkerung von London bekannt zu geben, daß heutigen Tages eine Wettfahrt zwischen dem Earl of Essex und Kapitän Killigrew stattfinden werde und jeder Bürger herzlich eingeladen sei, diesem Ereignis beizuwohnen. Selbiges wurde von Herolden mehrere Male und auch gestern und heute morgen noch einmal verkündet. Ist Ihnen nicht wohl, Sir?"
„Ich brauche einen Rum", sagte Ha-sard ächzend. „Ist Bessy verrückt?"
„Sie erfreut sich bester Gesundheit, Sir", sagte Captain Corbett gemessen.
Hasard erhielt seinen Rum. Er brauchte ihn wirklich dringend - und er pfiff auf das „leuchtende Vorbild". Der Kutscher brachte ihm den Rum auf einem silbernen Tablett und benahm sich wie ein Butler mit „Sir" vorne und „Sir" hinten.
Philip Hasard Killigrew, zum Ritter geschlagen von der Königin Elisabeth hier an dieser Towerpier, sagte laut und deutlich: „Scheiße, verdammt noch mal!" Und dann trank er den Rum.
Um einhalb zehn Uhr ging er über die Stelling zu der königlichen Kutsche, verbeugte sich vor Ihrer Majestät und überreichte ihr, wie vereinbart, die Wettkampfgebühr in Höhe von fünftausend Pfund.
Die Königin blitzte ihn an und sagte: ,,Wenn du nicht gewinnst, Rebell, dann ...''
„ . . . holt mich der Teufel", unterbrach Hasard ruppig, blitzte mit seinen eisblauen Augen zurück, drehte sich um und marschierte durch ein Spalier von drängelnden Menschen, die von der Garde nur mühsam zurückgehalten wurden, zur Schebecke.
„Dem Seewolf, Kapitän Killigrew, ein dreifaches Hurra - hurra -hurra!" brüllte in der Menge ein Mann, und die Menge brüllte mit.
Hasard erspähte den Mann. Er war dürr, aber nicht grämlich. Er glühte und winkte wie ein Irrer. Hasard winkte zurück. Der gute Pickens. Bestimmt hatte er eine prächtige Börse mit den zehn Goldtalerchen eröffnet.
Hasard erreichte die Stelling. „Buuuh!" ertönte die Menge. Hasard schaute sich erstaunt um.
Ach ja, das galt nicht ihm. Der Graf von Essex tänzelte auf die königliche Kutsche zu, geziert, affektiert, gespreizt. Hasard hatte Seestiefel an, blaue Hose, weißes Hemd und darüber den ledernen, ärmellosen Koller. Der Graf war gekleidet, als schreite er zum königlichen Ball. Sogar eine blondgelockte Perücke hatte er auf. Und darüber einen Hut mit wallenden Federn.
Hasard atmete tief durch - und fauchte Carberry an, der an der Pier stand: „Setzt im Großtopp die Flagge mit dem Georgskreuz - und an der Besangaffel unsere Korsarenflagge, verdammt noch mal!"
Carberry war noch nie so schnell geflitzt.
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Von Westminster dröhnte der eherne Glockenschlag über den Hafen und die Kais. Auf der Schebecke lauerten die Arwenacks wie Tiger be-
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reit zum Sprung. Kein Wort fiel. Auf der „Arrow" wurde gebrüllt, dazwischen war die quäkende und nörgelnde Stimme des Grafen herauszuhören. Auf der Schebecke rührte sich niemand.
Das wurde jäh anders, als der zehnte Glockenschlag ertönte. Wie ein Blitz war Gary Andrews auf die Pier gehuscht und warf die Vorleine los. Gleichzeitig stemmte der Profos mit gewaltiger Kraft den Bug mit einer Spiere von der Pier ab. Die Achterleine blieb noch belegt. Dort stand Stenmark auf der Pier bereit.
Es war wieder ablaufendes Wasser. Der Bug der Schebecke schwang auf die Flußmitte zu. Als er nach Südwesten zeigte, glitten die Lateinersegel an allen drei Masten hoch und wurden durchgesetzt. Stenmark warf die Achterleine los und setzte mit einem gewaltigen Sprung hinüber auf die Achterdecksgräting. Die Schebecke fiel ab. Gary Andrews war längst an Bord und hing mit zwei Arwenacks an der Fockschot. Sie trimmten sie so, daß sie wie ein Hebel wirkte und den Bug der Schebecke noch schneller herumholte - bis zum Backstagswind.
Da war die Schebecke bereits in einem eleganten Bogen bis zur Flußmitte herumgeschwenkt und lag auf Kurs themseabwärts, alle drei Segel gesetzt und getrimmt.
Von den Menschen an den Ufern dröhnte ein begeistertes Brüllen über den Fluß.
Die „Arrow" lag noch an der Pier fest. Als die Schebecke sie passierte, wurde gerade die Vorleine losgeworfen. Auf dem Achterdeck hüpfte der Graf von Essex herum, und dabei flog sein schöner Federhut davon. Der Wind nahm ihn auf und trug ihn zu den johlenden Menschen am nörd
lichen Themseufer. Aus dem begeisterten Brüllen wurde ein dröhnendes Gelächter.
Über Backbordbug, die Segel auf Raumwinds getrimmt, zischte die Schebecke auf und davon. An der Be-sangaffel knatterte die schwarze Flagge mit den gekreuzten goldenen Säbeln - und an der Stenge im Großtopp die Georgsflagge. Der scharfe Schebeckenbug zerteilte das Wasser wie ein Messer, an Backbord und Steuerbord stob Gischt davon.
Die Kutsche der Königin jagte am nördlichen Ufer entlang. Und aus dem Fenster winkte ein weißes Tuch.
„Na ja", sagte Hasard, und Ben Brighton stellte mit einigem Erstaunen fest, daß sein Kapitän verlegen war, so verlegen, wie er ihn selten erlebt hatte. Und wenn er verlegen war, dann wurde er meistens biestig. Na ja, eben . . .
„Paßt ihr, verdammt noch mal, auf die Untiefen auf?" fauchte der Kapitän.
„Aye, Sir, Roger und ich passen auf", entgegnete Ben Brighton gelassen. „Du kannst mit Captain Corbett ruhig einen zwitschern gehen, wenn's genehm ist."
„Ich bin hier wohl überflüssig, was?" schnauzte der Kapitän.
Ben Brighton grinste breit. „Wink doch der Bessy zu", schlug
er vor. „Das ist besser als gar nichts. Und jetzt halt die Luft an, Sir, und blubber uns nicht an. Die Themse ist mein Revier - und das von Roger. In der Karibik kannst du wieder Flagge zeigen, hier tu ich's mal, wenn's genehm ist."
Dieses „wenn's genehm ist" hatte Ben nun schon zum zweiten Male gesagt, und Ben sagte selten etwas zweimal.
„Dann muß es wohl genehm sein",
brummte Hasard verdrossen und starrte in das grinsende Gesicht von Marc Corbett. Und da brummelte er: „Weiß gar nicht, was es da zu grinsen gibt, Captain."
„Ich treibe Studien", sagte Marc Corbett und grinste noch breiter.
„Aha!" Und Hasard winkte zum Nordufer, wo die königliche Kutsche zurückblieb. Die Schebecke war schneller, Pferdekräfte gegen Windkraft. Hier besorgte es der Wind, bei Flaute würde das anders sein. Und natürlich schob das ablaufende Wasser.
Hasard drehte sich um. „Wann kippt die Tide?"
Ben Brighton grinste schon wieder. „Genau in zweieinhalb Stunden -wenn wir die Tonne Gravesend runden. Feiner Törn, themseabwärts mit ablaufendem Wasser, themse-aufwärts mit auflaufendem."
„Aber Wind aus Südwesten, Mister Brighton, und den manchmal von vorn, wenn die Themse in dieser Richtung fließt."
„Von Süden, Sir", korrigierte Ben Brighton, „bei Tidenwechsel pflegt der Wind auf der Themse ebenfalls die Neigung zu haben, zu wechseln, wenn's genehm ist."
Dieser Kapitän Killigrew blickte sehr lange still und stumm auf seine Stiefelspitzen. Als er den Kopf hob, war sein Gesicht frei von Muffigkeit oder Verdrossenheit. Das Lächeln tanzte in seinen Augenwinkeln.
„Du alter Hundesohn", sagte er, „da hast du's mir aber gegeben, eh?"
„War mal nötig", sagte Ben Brighton und rief Pete Ballie an der Pinne zu: „Mitte Fluß halten, Pete!"
,,Aye, aye, Mitte Fluß, alles klar!" Hasard drehte sich um. Von der
„Arrow" war nichts zu sehen. Am Ufer winkten Menschen, und er
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winkte zurück. Mit schäumender Bugsee rauschte die Schebecke ostwärts, Gravesend entgegen. Es sah aus, als würde es ein totes Rennen geben.
Sie umrundeten die Isle of Dogs, die von der Themse in Nord-Süd-Richtung umflossen wurde, dann in West-Ost- und schließlich in Süd-Nord-Richtung, wo sie bei Blackwell dann wieder in Windungen ostwärts strömte. Beide Themseufer waren von Deichen gesäumt. Hüben wie drüben galoppierte ein Reiter auf den Deichkronen entlang.
„Captains von der Navy", sagte Marc Corbett lächelnd, „wie ich abgeteilt, um das Rennen als Schiedsrichter zu beobachten."
„Mächtig viel Aufwand", brummelte Hasard, „und zu sehen gibt's für die Gentlemen enttäuschend wenig - keine spannenden Luvkämpfe, kein Kopf-an-Kopf-Rennen, kein gar nichts. Die reine Lustfahrt."
Vorn am Bug stand Gary Andrews. Er drehte sich um und rief nach achtern: „Fähre Backbord voraus, hat gerade abgelegt!"
Tatsächlich. Das kastenförmige Ding hatte sich vom Nordufer von einem Steg gelöst und wurde von acht Fährleuten zur anderen Seite gepullt. Sie trödelten ziemlich herum und rissen sich kein Bein aus. Die heranrauschende Schebecke interessierte sie nicht die Bohne, sie schauten überhaupt nicht hin. Dabei war die Schebecke für die Leute an der Themse nun wirklich so etwas wie ein bunter Hund, der bisher auch wie ein solcher bestaunt worden war.
„Diese Fähre wird sonst härter gepullt", sagte Ben Brighton grimmig. „Sieht mir ganz danach aus, als habe denen ein Englein geflüstert, sie sollten sich uns ein bißchen in den Weg
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legen." Er fluchte. „Jetzt hören sie sogar zu pullen auf!"
So war es. Die Fähre lag nunmehr mitten im Fahrwasser, und die Sche-becke steuerte Kollisionskurs. Die Kerle auf den Duchten grinsten dämlich. Die beiden Captains auf den Deichen hatten ihre Pferde verhalten und brüllten sich die Kehlen heiser, daß die Fähre, verdammt noch mal, das Fahrwasser verlassen solle.
Ben Brighton wandte den Kopf zum Rudergänger und sagte: „Steuer hart an ihrem Heck vorbei, Pete, aber so, daß denen die Hosen flattern. Lege nicht zu früh Ruder. Die sollen denken, daß wir sie rammen."
„Aye, aye, Sir." Steuerbord mittschiffs am Schanz
kleid bauten sich Carberry und Smoky auf. Jeder hatte eine Pütz mit Wasser bereit. Auch Mac Pellew eilte herbei - mit einem Abfallkübel.
Marc Corbett grinste in sich hinein. Diese Kerle auf der Schebecke hatten so ihre eigene Art, auf Verdruß zu reagieren. Und niemand hatte ihnen etwas befohlen. Sie taten das Einfache und Naheliegende - wenn sie jemand ärgern wollte.
Diese Situation war jedenfalls eindeutig. Das „Englein" namens Robert Devereux, Earl of Essex, hatte die Fährleute bestochen, sich der Schebecke in den Kurs zu legen. Und Ben Brighton hatte den richtigen Befehl gegeben, denn würde die Schebecke am Bug der Fähre vorbeisegeln, konnte es passieren, daß sie auflief. Dort war nämlich eine verdammt flache Stelle.
So rauschte denn die Schebecke mit Braßfahrt auf die Fähre zu, und da gerieten die Kerle nun endlich in Aufruhr, sprangen von den Duchten auf, brüllten und fuchtelten mit den Armen. Dabei brauchten sie nur anzu-
pullen, um eine Ramming zu vermeiden.
Die Schebecke gehörte zu jenen Segelschiffstypen, die auf die geringste Steuerbewegung reagierten, was natürlich auch mit der Ruderanlage zusammenhing. Die direkte Verbindung von Pinne und Ruder - wie bei der Schebecke - war dafür die beste Garantie.
Pete Ballie hatte die Schebecke hervorragend im Griff. Er wußte genau, wann er Ruder legen mußte. Ben Brighton ließ einen Schrick in die Schoten geben, denn sie würden etwas abfallen müssen, wenn sie das Heck der Fähre passierten.
Den Fährleuten war bereits der Schreck in die Glieder gefahren. Einige zeigten Anstalten, sich ins Wasser zu stürzen. Vielleicht hatte ihnen der Graf vorerzählt, das sei nur ein kleiner Spaß, und bestimmt würde die Schebecke aufbrummen. Aber aus dem Spaß wurde blutiger Ernst. Wenn die Schebecke mit ihrem scharfen Bug und bei dieser Braßfahrt in den Kasten krachte, dann sägte sie den durch und verarbeitete ihn zu Brennholz.
An die zwanzig Yards vor der Fähre legte Pete Ruder, der Bug schwenkte nach Backbord, Pete gab weder etwas Gegenruder, und die Schebecke sauste elegant am Heck der Fähre vorbei.
In diesem Moment kippten der Pro-fos und Smoky ihre Pützen und Mac Pellew seinen Abfallkübel nach Steuerbord aus - sie hätten das Heck der Fähre mit den Händen berühren können. Carberry gelang wieder ein Meisterstück: er stülpte dem Kerl an der Pinne die Pütz über den Schädel und hämmerte sie mit der Faust fest.
Und schon war die Schebecke vorbei.
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Die beiden Captains auf den Deichen hüben und drüben lachten sich halbtot. Die Fährleute brüllten, vor allem jene, die den Segen aus dem Abfallkübel empfangen hatten. Und der Pinnenmann spielte unter der Pütz Heulboje. Es schallte schaurig über den Fluß.
„Klingt nach verliebter Kuh", stellte Carberry grinsend fest.
Smoky kicherte. „Sie wird kaum in Liebe zu dir entflammt sein und Hummeln im Kopf haben, wenn der Helm ab ist - wetten?"
„Mit dir wette ich nicht. Außerdem würdest du die Wette gewinnen."
Einige Meilen weiter bei Margaret Ness am Südufer der Themse hatte der werte Graf das praktiziert - oder praktizieren lassen -, was Ben Brighton in Hasards Kammer angedeutet hatte.
Dort nämlich lag fast in Fahrwassermitte ein Holzfaß verankert, welches das Ende einer Sandbank markierte, die vom Ufer bis hierher reichte. Wer themseabwärts segelte, mußte das Faß an Steuerbord lassen, themseaufwärts blieb es an Backbord.
Dieses Faß war um mindestens vierzig Yards zum südlichen Ufer hin versetzt worden, das heißt, vierzig Yards Sandbank ragten ohne Warnung in die Themse.
Ben Brighton und Roger erkannten die Veränderung auf Anhieb, und da erinnerte sich auch Marc Corbett, daß die Faßtonne sonst anders lag. Er machte einen Vermerk auf der Flußkarte, die er mitgebracht hatte.
Und er knirschte: „Dieser Bastard!"
Ben Brighton lotste die Schebecke gelassen an dieser Gefahrenstelle vorbei. Sie sahen, daß auch der Captain auf dem Deich am Südufer ge
stutzt hatte und sich etwas im Sattel notierte, bevor er weiterritt.
Ben Brightons Zeitangabe stimmte. Zweieinhalb Stunden nach dem Start rundeten sie die Tonne bei Gravesend und gingen auf Gegenkurs. Die Tide begann wieder aufzulaufen, der Wind wehte aus südlicher Richtung. Jetzt segelte die Schebecke über Steuerbordbug.
Die Prunkyacht des Grafen von Essex und die schmucklose Schebecke begegneten sich auf der Höhe von Erith, einem Ort am südlichen Themseufer, der etwa in der Mitte der Strecke zwischen London und Gravesend liegt.
Hier verlief die Themse in Südwest-Nordost-Richtung, und die Schebecke mußte hart am Wind über Steuerbordbug segeln. Die „Arrow" lag über Backbordbug fast vor dem Wind, nach den festgesetzten Regeln mußte die „Arrow" als Vorm-, beziehungsweise Raumwinder - und das war hier eindeutig der Fall - der Schebecke ausweichen, die hart am Wind segelte.
Es kam, wie es kommen mußte. Beide Segler steuerten Kollisionskurs.
Marc Corbett raste zum Bug und brüllte der „Arrow" entgegen: „Sie müssen Raum geben, Mylord!"
Und auch der Captain an Bord der „Arrow", der als Beobachter und Schiedsrichter mitfuhr, schrie den Rudergänger an, nach Backbord abzufallen. Der tat es nicht, weil ihn der Graf anbrüllte, gefälligst Kurs zu halten. Er, der Graf, habe Vorfahrt vor „diesem dreckigen Piratengesindel".
Da sprang der Captain ans Ruder, wurde jedoch von dem Grafen und Gilbert Batten angegriffen und zurückgerissen. Potter, der Bootsmann, tauchte auch noch auf und stieß den Captain über Bord. Er schlug mit
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dem Kopf an den ausgebeulten Schiffsrumpf achtern und versackte im strudelnden Heckwasser. Rohes Lachen ertönte auf der „Arrow".
Pete Ballie hatte längst Ruder gelegt, und die Schebecke war nach Steuerbord abgefallen. Sie zog auf knapp drei Yards Entfernung an der „Arrow" vorbei, auf der der Graf von Essex wie ein wilder Affe herumtobte und brüllte, daß der Bretterkasten gerammt werden müsse.
Aber diese Chance hatten die Kerle verpaßt. Die Schiffe entfernten sich voneinander. Hasard ließ die Schebecke in den Wind gehen. Vorn am Bug an Backbord war eine schlanke Gestalt ins Wasser gehechtet, tauchte wieder auf, schwamm auf eine bestimmte Stelle zu und tauchte ab.
„Wer ist das?" fragte Hasard verdutzt. Er hatte zur „Arrow" geschaut, so daß ihm entgangen war, wer den Captain aus dem Wasser fischen wollte.
„Philip", sagte Ben Brighton lakonisch. „Hat schnell reagiert, der Bursche."
Da tauchte der „Bursche" auch schon wieder auf und hatte den Captain am Wickel. Er hielt dessen Kopf über Wasser und schaute sich nach der Schebecke um. Sie driftete auf ihn zu, er konnte gelassen warten. An Backbord vorn ließen sie bereits eine Jakobsleiter nach unten, Carberry enterte ab und streckte den Arm aus. Er konnte den Captain packen, hinten am Kragen, und hievte ihn hoch mit seiner unbändigen Ochsenkraft. Oben nahmen sie den Captain in Empfang. Er war bewußtlos.
Philip enterte hinter Carberry an Deck zurück.
Hasard blickte wieder zur „Arrow" und fluchte. Die war auf Gegenkurs gegangen.
„Was soll das denn?" stieß er hervor.
„Der ehrenwerte Pinsel ist zu faul, das Rennen zu Ende zu segeln", sagte Ben Brighton grimmig. „Jetzt will er es auf seine Tour gewinnen, dieser Blödmann!"
So war es! Dieser Graf brüllte doch tatsäch
lich zur Schebecke hinüber: „Wir starten hier noch einmal neu, Killi-grew! Ziel ist die Towerpier, verstanden?"
Hasard ersparte sich eine Antwort und drehte dem Grafen demonstrativ den Rücken zu. Innerlich kochte er.
Die Schebecke ging wieder an den Wind und zog los.
Auf der „Arrow" brüllte sich der ehrenwerte Graf die Kehle heiser. Niemand auf der Schebecke kümmerte sich darum. Sie ließen die Prunkyacht hinter sich, als sei sie eine müde Schnecke.
Die Captains auf den beiden Deichen hatten alles beobachtet und machten eifrig Notizen. Dann jagten sie auf den Deichen entlang themse-aufwärts. Das Rennen war längst entschieden. Die Schebecke hatte klar und eindeutig gewonnen, die „Arrow" war bereits disqualifiziert. Sie hatte die Wettfahrt unterbrochen und Gravesend nicht gerundet, und sie hatte gegen die Regeln verstoßen.
Der Captain war ins Bewußtsein zurückgekehrt - mit einem Wasserschwall, den ihm der Kutscher aus den Lungen gequetscht hatte. Am Kopf schwoll ihm eine Beule. Aber er schien hart im Nehmen zu sein. Er rappelte sich hoch, und der Kutscher führte ihn zum Achterdeck.
„Captain Turner", stellte Marc Cor-bett vor.
„Melde mich an Bord, Sir", sagte Captain Turner und grinste schief.
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„Hätte wohl beinahe 'ne Ramming gegeben, wie ich das sehe."
„Willkommen an Bord, Captain", sagte Hasard lächelnd. „Schätze, Sie können einen Schluck Rum vertragen."
„Das wär was." Und so süffelte der Captain seinen
Rum - Philip natürlich auch, und der Captain staunte nicht schlecht, daß ihn der Sohn des legendären Seewolfs vorm Ertrinken gerettet hatte. Klar, daß er sich herzlich bedankte.
Auch dieses halbe Rennen gewann die Schebecke und deklassierte die Prunkyacht mit Pauken und Trompeten. Die Menge auf der Towerpier und an den Ufern brüllte und jubelte.
Als die „Arrow" eine halbe Stunde später hinter der Schebecke vertäute, ging ein schrilles Pfeifkonzert los.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Captains Ihrer Majestät bereits Bericht erstattet. Sie wurde förmlich zu Eis, als sie hörte, was sich alles abgespielt hatte.
Sie thronte auf einem königlichen Feldstuhl vor der Karosse. Die beiden Kontrahenten standen vor ihr. Hasards Gesicht war verschlossen. Die Miene des Grafen zuckte und bebte.
Die Königin blickte ihn kalt an. „Haben Sie etwas zu sagen, Mylord?"
„Ähem - ich beantrage die Disqualifikation des Killigrew, Majestät!"
„Warum?" schnappte die Königin. „Er wollte mich bei Erith rammen,
Majestät!" »Einspruch!" fauchte Captain Tur
ner. „Es war umgekehrt! Sie wollten Kapitän Killigrew rammen, der sich bereits auf dem Rücktörn zum Ziel befand, während Sie noch nicht einmal Gravesend gerundet hatten."
„Sie faseln ja!" schnarrte der Graf. Hasard verbeugte sich förmlich
und sagte: „Majestät, ich bitte Sie, mich verabschieden zu dürfen. Die Dunstwolke des Mannes neben mir stinkt mir zu sehr."
„Mir auch, Sir Hasard, mir auch!" sagte die Königin. „Ich erkläre Sie hiermit zum Sieger - nicht nur im sportlichen, sondern auch im moralischen Sinne. Sie haben sich ritterlich verhalten - im Gegensatz zu Ihrem Herausforderer, der nach meiner Rechnung fünfmal disqualifiziert wurde. Die Fähre sollte Ihnen den Kurs verlegen, die Tonne bei Margaret Ness wurde versetzt, Ihre Schebecke sollte gerammt werden, an Captain Turner wurde ein Mordversuch unternommen, und die ,Arrow' hat die Wettfahrt nicht zu Ende gesegelt."
„Das ist nicht korrekt, Majestät", sagte Hasard kühl.
Die Königin brauste auf. „Sie wollen mir widersprechen, Sir?"
„Allerdings, Majestät", erwiderte Hasard. „Vorgestern abend sollten zehn meiner Landgänger von zwanzig Männern der ,Arrow' spitalreif geschlagen werden, um an der Wettfahrt nicht teilnehmen zu können. Und in derselben Nacht wurde uns von Männern der ,Arrow' ein Draggen mit Leine ans Ruderblatt gebunden, was einen Ruderbruch verursachen sollte." Hasard langte hinter sich, schwenkte den Draggen hoch und warf ihn dem Grafen vor die Stiefel. „Im Schaft ist der Name ,Arrow' eingraviert. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen."
Er verbeugte sich tief, blitzte die Königin an und fügte hinzu: „Der Teufel holt mich noch lange nicht,
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Majestät!" Und damit drehte er sich um und schritt aufrecht und doch geschmeidig zur Schebecke zurück.
„Treten Sie mir aus den Augen, Sie Dreckskerl!" sagte die Königin ange
widert zu dem Grafen von Essex. „Ihr Gestank beleidigt mich!"
Robert Devereux, Graf von Essex, schlich davon wie ein geprügelter Hund...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 610
Lügner, Lords und Lumpenpack von Frank Moorf ield
„Erwarten Sie nicht, daß ich Ihnen einen frohen guten Morgen wünsche, My-lord", sagte Hasard zu dem Grafen von Essex. „Er wird nämlich nicht froh verlaufen, gut schon gar nicht!" Der Graf wollte von seinem Stuhl hochfahren, doch das schaffte er nicht mehr. Der Seewolf packte den Tisch mit beiden Händen und kippte ihn um. Becher, Krüge, heiße Pfannen und Töpfe mit dampfenden Speisen stürzten zu Boden und zerschellten. Ihr Inhalt verfärbte so manches vornehm geschneiderte Beinkleid, und auch der Graf fand unversehens eine gebratene Gänsekeule auf seinem Schoß. Die heiße Soße hinterließ auf seinen weißen Strümpfen häßliche braune Spuren. Dies war jedoch erst der Auftakt, denn schließlich wollten alle Arwenacks das Kribbeln in ihren Fäusten loswerden, und sie waren entschlossen, Huntley's Kneipe erst dann zu verlassen, wenn sie das Kribbeln nicht mehr verspürten . . .