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Duell auf der Themse

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Davis J. Harbord

Duell auf der Themse Tower-Pier, April 1598, vormittags.

Als die Fanfaren am Westtor zu schmettern begannen und die Vorreiter der Tower-Garde auftauchten, wußten die Arwenacks, daß die Königin erschien.

Philip Hasard Killigrew nickte seinen Mannen lächelnd zu und setzte mit einem gewaltigen Sprung gleich vom Achterdeck der Schebecke zur Pier hinüber.

Die Karosse Ihrer Majestät wurde von acht Schimmeln gezogen. Sie hielt auf der Höhe der Schebecke. Hinten sprangen zwei Lakaien vom Trittbrett,

eilten zur rechten Tür der Karosse und öffneten sie. Vom Bock der Karosse stiegen zwei wertere Lakaien und stellten eine kleine, dreistufige Treppe vor die Tür.

Die Gardisten auf ihren Pferden schirmten die Karosse ab. Hasard trat an die Karosse.

Ein Mann, groß, schlank und braunhaarig, entstieg der Karosse, musterte Hasard ans eisigen Augen, zog indigniert die rechte Braue hoch, wandte sich der Tür zu und

half Ihrer Majestät aus dem Prunkwagen. Das allerdings hatte Philip Hasard Killigrew tun wollen, aber der Höfling war ihm zuvorgekommen. Und mit untrüglichem Instinkt

wußte der Seewolf, daß dieser Mann gefährlich war...

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Die Hauptpersonen des Romans:

Elisabeth I., Königin von England - Ihre Majestät verstößt gegen die Sitte, was ihr aber herzlich gleichgültig ist.

Robert Devereux - der Earl of Essex hat ein seltenes Geschick, sich immer zwischen zwei Stühle zu setzen.

Gilbert Batten - der Hauptmann der Seesoldaten befehligt eine Prunk-Yacht und führt stur Befehle aus.

Potter - der Bootsmann dieser Prunk-Yacht ist ein berüchtigter Schläger, findet jedoch seinen Meister.

Mac Pellew - hält sich für den schönsten Mann Englands, weil ihn die Königin geküßt hat.

Philip Hasard Killigrew - beugt sich auf Befehl Ihrer Majestät einer Herausforde­rung und zeigt die Zähne.

1.

Edwin Carberry konnte es nicht las­sen.

Kaum hatte die Königin ihren Fuß auf die erste Stufe des Treppchens ge­setzt, da röhrte der Profos los, und wenn der Profos röhrte, dann war was gefällig. Mac Pellew hatte mal er­zählt, bei „Plymmie" Plymson, dem Kneipenwirt der „Bloody Mary" in Plymouth, wären beim Brüllen des Profosen die Kellerfenster aus den Rahmen geflogen, und in der Küche wäre ein Tellerbord auf die Steinflie­sen gekracht.

Wie dem auch sei, der Profos riß be­geistert den Arm hoch und röhrte: „Unserer geliebten Lissy ein dreifa­ches Hipp-hipp-hurra - Hipp-hipp-hurra — Hipp-hipp-hurra!"

Klar, daß die Mannen mit ein­stimmten, und so steigerte sich des Profosen Anfeuerungsruf zu einem Donner aus genau dreiunddreißig Männerkehlen, Philip Hasard Killi­grew nicht mitgerechnet, und diese dreiunddreißig Arwenacks hatten al­lerlei auf der Lunge.

Daß auch Don Juan de Alcazar mit­brüllte - und dies als Spanier - hing

schlicht mit der Tatsache zusammen, daß er zu dieser verschworenen Ge­meinschaft salzwassergetränkter Rauhbeine gehörte wie die gekreuz­ten goldenen Säbelklingen zum schwarzen Tuch der Kampfflagge des Bundes der Korsaren. Außerdem hatte er als Kapitän die spanische Schatzgaleone „Fidelidad" bis hier­her an die Towerpier gesteuert.

Sie lag hinter der Schebecke, fest und sicher vertäut.

Also: die Begrüßung der Arwe­nacks für ihre „geliebte Lissy" fegte über die Pier, prallte gegen die To­wermauern und raste über die Themse, daß die Möwen kreischend davonstoben und in den Hafengassen die Fensterscheiben klirrten.

Die königliche Lissy war entzückt, und ihr bleiches Gesicht mit der her­rischen Adlernase und den dunkel­blauen Augen färbte sich rot.

Das Gesicht des Mannes an ihrer Seite hingegen - Hasard sah es genau - zeigte kein Entzücken. Es wechselte vom Angewidertsein zu einer Maske arroganter Ablehnung.

Und mit Empörung und näselnder Stimme fuhr er Hasard an: „Wie kön-

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nen Sie Ihre Majestät derart erschrek-ken, Mister?"

Philip Hasard Killigrew blieb eine Antwort erspart.

Verärgert und abrupt löste sich die Königin von den stützenden Händen des Mannes und fauchte ihn an: „Halt's Maul, Essex!"

Sie konnte recht drastisch werden, diese Elisabeth I, Königin von Eng­land, und von den Arwenacks liebe­voll „Lissy" genannt.

Aha! dachte Hasard. Dieser Schön­ling ist also Robert Devereux, Graf von Essex, der derzeitige Günstling Ihrer Majestät. Und er sah mit inner­lichem Vergnügen, wie das arrogante Gesicht des Grafen rot wurde vor Wut.

Er hat nicht die Gabe, sein Mienen­spiel zu beherrschen, dachte Hasard, verbeugte sich tief vor der Königin und nahm ihre rechte Hand, die sie ihm entgegenstreckte.

„Da bist du also wieder, Rebell", sagte sie mit klirrender Stimme. „Man berichtete mir, du wolltest nie wieder nach England zurückkehren!" Sie musterte ihn scharf.

„Da bin ich", sagte Hasard lä­chelnd, „also stimmt es nicht, was man Ihrer Majestät berichtete."

„Hm-hm, ich sehe silberne Haare an deinen Schläfen, Rebell", sagte die Königin, „und dein Gesicht ist härter geworden - und noch männlicher. Du wirst mir viel zu erzählen haben. Es heißt, du hättest vor etwa vier Jahren eine englische Expedition in die Kari­bik unter Sir Andrew Clifford, Sir Henry Battingham und Sir John Kil­ligrew vernichtet und die drei Gentle­men erschießen lassen . . . "

„Unerhört!" fauchte der Graf von Essex. „Majestät, man sollte diesen Mann sofort von der Towergarde ver­haften lassen!"

Die Königin drehte sich langsam zu ihm um, musterte ihn kühl und sagte: „Den Teufel werde ich tun, mein Gu­ter! Und misch dich nicht in Sachen, die dich nichts angehen und von de­nen du nichts verstehst."

Da wurde der Graf von Essex noch röter im Gesicht. Innerhalb von ein paar Minuten hatte ihn die Königin zweimal zurechtgewiesen. Hasard fand das sehr beachtlich und legte es zu seinen Gunsten aus.

Als sich die Königin ihm wieder zu­wandte, sagte er: „Ich muß diese Ge­schichte berichtigen, Majestät. Das Todesurteil gegen Henry Battingham und John Killigrew wurde von einem Kriegsgericht unter Vorsitz des Kom­mandanten der ,Orion' - Sir Edward Tottenham - ausgesprochen. Die An­klage lautete: Verletzung der Ehre Englands, Mißbrauch von Kriegsga-leonen Ihrer Majestät zum Zwecke der persönlichen Bereicherung sowie Verletzung der Ehre und Würde mei­ner Person als eines von Ihrer Maje­stät zum Ritter geschlagenen Man­nes, womit auch die Ehre Ihrer Maje­stät in Frage gestellt und beleidigt worden war. Im einzelnen hatte sich Henry Battingham für Lüge, Betrug und Rechtsanmaßung zu verantwor­ten und John Killigrew für Raub, Entführung und Desertion. Ich selbst war nicht Mitglied dieses Kriegsge­richts und hatte folglich nichts mit der Verhandlung und Urteilsfindung zu tun."

„Und was war mit Clifford?" fragte die Königin scharf.

„Das hatte mit dem Kriegsgericht nichts zu tun und passierte eine Wo­che zuvor", erwiderte Hasard. „Clif­ford behauptete, er habe bei Hofe und Ihrer Majestät gegen mich Anklage erhoben wegen Betruges, Unterschla­gung von Beute sowie wegen Hoch-

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und Landesverrats. Damit hatte er meinen Namen, meine Ehre und mein Ansehen in den Dreck gezogen. Ich forderte ihn zum Zweikampf heraus und überließ ihm die Wahl der Waffe. Er entschied sich für Pistole. Wir nah­men an einem Strand Rücken an Rük-ken Aufstellung. Dann marschierten wir los. Erst auf Zuruf des Kampf­richters durften wir uns umdrehen und auf den Gegner feuern. Ohne Zu­ruf des Kampfrichters drehte sich Clifford nach etwa vier Schritten um, schoß mir eine Kugel in den Rücken, und ich brach zusammen. Wegen Ver­letzung der Duellregeln - in diesem Fall war es ein Mordversuch - wurde Clifford Sekunden später von einem meiner Männer erschossen."

Hasard zog seine ärmellose Leder­weste aus, dann das weiße Hemd und drehte der Königin den Rücken zu. Da konnte sie die Schußnarbe sehen.

Hasard wandte sich wieder zu ihr um, sah ihr in die Augen und sagte: „Das ist die Wahrheit, Majestät, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Lump!" Sein Blick wurde eisig, als er jetzt zu dem Grafen von Essex schau­te. „Das sollten Sie sich merken - Mi-ster!"

Die Rechte des Grafen zuckte zum Degengriff.

„Laß das Ding stecken, Essex", sagte die Königin, und sie schien sich zu amüsieren. „Ich habe Sir Hasard einmal bei Hof mit dem Degen kämp­fen sehen - gegen Sir Jon Doughty, der ihn beleidigt hatte. Der gute Sir John stand hinterher nur noch im Un­terbeinkleid da — ein gedemütigter Hanswurst, den Sir Hasard schließ­lich mit einem Tritt in den Hintern aus dem Saal beförderte. Ich warne dich also, mein Guter. Sir Hasard ist ein Sieger - nicht mal ein feiger Schuß in den Rücken hat ihn umge­

bracht. Er steht unter meinem Schutz. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?"

„Jawohl, Majestät", sagte der Graf von Essex, und es klang, als habe er eine quabbelige Qualle im Mund.

„Danke, Majestät", sagte Hasard und verneigte sich wieder.

„Du hattest mir gestern eine Bot­schaft geschickt", sagte die Königin, „und mich gebeten, dich hier um diese Stunde aufzusuchen. Ist das nicht etwas ungewöhnlich, Rebell? Bittsteller kommen zu mir, aber nicht umgekehrt."

„Das gebe ich zu, Majestät", erwi­derte Hasard, „aber ich bin kein Bitt­steller. Vielmehr ist es mein Wunsch, Ihrer Majestät etwas zu übergeben, und das konnte ich nicht nach White­hall schleppen. Ferner liegt mir dar­an, daß Ihre Majestät persönlich sieht, um was es sich handelt, näm­lich um ein Schiff mit einer kostba­ren Ladung. Leider ist es so - jeden­falls nach unserer Erfahrung -, daß bei unseren jeweiligen Ankünften in London zwischen Ihrer Majestät und uns stets gewisse Gentlemen auf­tauchten, die meinen, sie könnten ihr eigenes Süppchen kochen. Kurz, sie zeigen sich äußerst interessiert an den Ladungen, die wir mitbringen. Wir haben sie die ,Themsegeier' ge­tauft, jene Kerle, die als Beamte in hohen Positionen sitzen und auf­grund ihrer Machtstellung meinen, sich an Ihrer Majestät vorbei die eige­nen Taschen füllen zu können. Dar­um bat ich Ihre Majestät hierher -eben um zu verhindern, daß noch ein­mal Unbefugte auftauchen, die sich in ihrer Gier an einer für Ihre Maje­stät bestimmten Ladung vergreifen. Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Ihre Majestät hierher bemühen mußte."

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„Das ist korrekt", sagte die Königin nachdenklich, „aber du weißt, daß die Schuldigen bereits enthauptet wurden."

„Ja, das weiß ich", sagte Hasard, „aber mir ist unbekannt, wie viele Schuldige es noch gibt. Die Hydra ist vielköpfig, wenn man ihr einen Kopf abgeschlagen hat, wachsen zwei neue nach. Meine Männer und ich wun­dern uns über nichts mehr. Vielleicht ist es unser Mißtrauen, daß wir alle noch am Leben sind. Also: Unser Ge­schenk für Ihre Majestät ist jene Ga-leone samt Ladung, die hinter unse­rer Schebecke liegt. . ."

„Schebecke?" unterbrach die Köni­gin. „Was für ein merkwürdiges Schiff!" Sie spähte an Hasard vorbei zu dem schlanken Dreimaster.

Der Graf von Essex geruhte, die Nase zu rümpfen.

„Das ist kein Schiff, Majestät, son­dern ein Unding, ein Nichts", sagte er verächtlich. „Ein Treffer unserer Schiffsgeschütze genügt, um dieses Brettergerüst in seine Bestandteile zu zerlegen. Ich habe selten etwas Minderwertigeres gesehen - ähem!"

„Sie scheinen überhaupt bisher we­nig gesehen zu haben", sagte Hasard sarkastisch, „jedenfalls, was Schiffe betrifft. Ich habe mit diesem ,Bretter-gerüst', wie Sie das Kampfschiff der nordafrikanischen Piraten soeben be­zeichneten, auf der Fahrt von Cadiz bis hierher einige spanische Kriegs-karavellen und Kriegsgaleonen zu den Fischen geschickt, die allesamt mit Ihren sogenannten Schiffsge­schützen bestückt waren. Das ,Bret­tergerüst' empfing zwar auch einige Treffer, über die Sie mein Schiffszim­mermann gern belehren wird, aber in seine Bestandteile wurde es nicht zer­legt, sonst würde es nicht hier an der Pier liegen. Sie scheinen etwas vor­

schnell zu urteilen, Mister - wie war doch Ihr Name?"

„Robert Devereux, Graf von Es­sex", schnappte der sehr ehrenwerte Earl. „Im übrigen bin ich der Gene­ralfeldzeugmeister Ihrer Majestät, wenn Sie das bitte zur Kenntnis neh­men würden."

„Das nehme ich gern zur Kennt­nis", entgegnete Hasard kühl, „hof­fentlich sind Ihre Beurteilungen über die Ausrüstung, Bewaffnung und Kampfkraft spanischer Armeen bes­ser als Ihr Urteil über das, was Sie ein Brettergerüst nannten."

Dem Grafen schwoll der Kamm. „Verbitte mir Ihre Belehrungen!"

schnarrte er. Hasard zuckte mit den Schultern

und wandte sich der Königin zu, die aufmerksam gelauscht hatte.

„Sehen Sie, Majestät", sagte er, „das ist genau der Punkt, den ich vor zehn Jahren ansprach, als Sie mir an­boten, eine führende Position in der Royal Navy zu übernehmen. Majestät erinnern sich?"

Die Königin senkte den Kopf, dachte nach und murmelte: „Du sag­test dem Sinn nach, ihr - du und deine Männer - würdet euch keinem unterordnen. Ihr wäret euch eures Wertes bewußt, hättet aber oft genug Gelegenheit gehabt, bei den engli­schen Seeoffizieren bis hin zum Ad­miral auf Dilettantismus, Unfähig­keit und Arroganz gestoßen zu sein. Ihr wolltet mir lieber als Einzelkämp­fer dienen, ohne dabei an die Kette gelegt zu werden. Stimmt's?"

„Richtig, Majestät, genau das. Viel­leicht ist Ihr Generalfeldzeugmeister ein hervorragender Mann, was ich nicht zu beurteilen habe. Aber ich spreche ihm das Recht ab, dieses Schiff dort als ein Unding oder Nichts oder Brettergerüst abzuquali-

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fizieren. Mit diesem Schiff schafften wir es, unsere Beutegaleone abzu­schirmen und alle Angriffe der Spa­nier abzuschlagen. Und sie waren hinter uns her wie der Teufel hinter der armen Seele." Hasards Stimme wurde schärfer. „Nein, nein, so geht das nicht. Wir haben überlebt, weil wir dieses Schiff hatten, genau dieses Schiff, das flinker, schneller und wen­diger als alle Segler ist, die ich bisher kennenlernte. Wenn die Handelsfah­rer im Mittelmeer ein solches Schiff an der Kimm auftauchen sehen, dann wissen sie, was die Stunde geschlagen hat. Und Kapitän und Mannschaft sprechen ihr letztes Gebet. Denn sie wissen, daß die Schebecken der nord­afrikanischen Piraten wie Jagdhunde sind." Hasard schüttelte den Kopf und sagte fast wütend: „Aber was rede ich da! Entweder hat man einen Blick für Schiffe, oder man hat ihn nicht. Bei dem Grafen von Essex scheint der Blick vernebelt zu sein!"

Der Graf von Essex, seines Zei­chens Generalfeldzeugmeister, blickte grimmig drein.

Die Königin indessen lächelte und sagte: „Der gute Essex liebt schnelle Yachten, Rebell, damit du das weißt! Er und seine Freunde veranstalten Wettfahrten auf der Themse. Bisher hat ihn noch niemand geschlagen."

Hasard runzelte die Stirn. „Wett­fahrten auf der Themse? Haben die Gentlemen nichts Besseres zu tun? Was kostet denn so eine Yacht?"

Der Graf von Essex warf sich in die Brust und näselte: „Meine ,Arrow' hat zwanzigtausend Pfund gekostet, sie ist die verbesserte Kopie einer hol­ländischen Staatenyacht - verbessert natürlich nach meinen Plänen -ähem."

„Soso", murmelte Hasard und erin­nerte sich an jene „Arrow", die hinter

der „Fidelidad" an der östlichen To­werpier vertäut lag.

Sie waren an ihr beim Einlaufen zu ihrem Liegeplatz vorbeigesegelt.

„Scheint die Luxuslaube von so ei­nem hochwohlgeborenen Arschloch zu sein", hatte der Profos in seiner unnachahmlichen Direktheit von die­ser Prunkyacht gesagt und damit den Nagel auf den Kopf getroffen.

Was das Äußere dieser „Arrow" -es bedeutete soviel wie „Pfeil" - be­traf, da konnte der Unterschied zur Schebecke der Seewölfe allerdings kaum größer sein. Gegen die Schmucklosigkeit der Schebecke war die „Arrow" ein funkelnder Edel­stein.

Mein Gott, dachte Hasard, zwanzig­tausend Pfund für ein Schiff, das die­sen Nichtstuern zu Vergnügungsfahr­ten auf der Themse dient! Es ist nicht zu fassen. Es reicht nicht, daß sie wie die Gecken herumstolzieren, ihre Fin­ger mit Ringen schmücken und Prunkwaffen zur Schau tragen, nein, sie müssen dem niederen Volk ihre eingebildete Erhabenheit auch noch mit solchen Prunkyachten demon­strieren.

Und die Königin ließ das zu? Sie las seine Gedanken und sagte:

„Es paßt dir nicht, Rebell, nicht wahr?"

„Ich habe nicht darüber zu befin­den, ob sich der Graf von Essex einen goldenen Ring durch die Nase zieht", erwiderte Hasard geradeheraus. „Und ich muß dabei an die Admírale Hawkins und Drake denken. Meine Männer und ich waren Augenzeugen ihrer letzten Fahrt in die Karibik. Ich denke dabei an den Zustand der Mannschaften und der Schiffe. Er war erbarmungswürdig. Es lag an der mangelhaften Ausrüstung, an schlechtem Proviant und Trinkwas-

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ser. So lautet denn die Frage, ob jene ehrenwerten Gentlemen, die sich für zwanzigtausend Pfund zum privaten Vergnügen eine Prunkyacht leisten können, nicht besser täten, mit die­sem Geld die Schiffe Ihrer Majestät auszurüsten, jene Schiffe, die gegen Spanien kämpfen und England ab­schirmen? Nun, ich sagte, ich habe nicht darüber zu befinden. Dafür freut es mich um so mehr, Ihrer Maje­stät die ,Fidelidad' übergeben zu dür­fen. Sie liegt hinter unserer Sche-becke. Darf ich Ihre Majestät an Bord bitten?"

„Gern", sagte die Königin lächelnd, hakte sich bei Hasard ein und ließ sich von ihm zur „Fidelidad" führen.

Der Graf von Essex stand ziemlich dumm da und zuckte zusammen, als Hasard über die Schulter sagte: „Sie sind ebenfalls herzlich zur Besichti­gung eingeladen, Sir. Es wird Sie si­cher interessieren, welcher Art un­sere Geschenke für Ihre Majestät sind."

Da stelzte der Graf hinter dem Paar her, und seine Miene war nicht sehr fröhlich, was keineswegs verwunder­lich war. Wer ließ sich schon gern sa­gen, er möge sein Geld in die Royal Navy stecken statt in eine private Prunkyacht!

Außerdem war er, der Favorit der Königin, zur Zeit restlos abgemeldet, ja, die Königin himmelte diesen Kerl geradezu an. Unmöglich! Wer war dieser Killigrew denn? Ein hergelau­fener Bastard! Gerüchten zufolge ein Kuckucksei in der Killigrewsippe! Und so was wollte ihn, den Earl of Es­sex, belehren! Trotzdem, ein gefährli­cher Bursche.. .

Plötzlich blieb die Königin am Arm des Bastards stehen und drehte sich um.

»Du siehst verdrießlich aus, mein

Guter", sagte sie. „Ist dir eine Laus über die Leber gekrochen?" Und sie lächelte spöttisch. „Aber nicht doch! Du solltest dir ein Beispiel an Sir Ha­sard nehmen. Er schenkt mir mal eben eine spanische Galeone samt ih­rer Ladung."

„Wird nicht weit her sein mit der Ladung", knurrte der Graf von Essex. „Die Galeone sieht mir nicht gerade danach aus, als sei sie für den Trans­port einer wertvollen Ladung geeig­net. Die Spanier müßten Dummköpfe sein, diesem maroden Schiff kostbare Güter anzuvertrauen!"

„Oh!" sagte Hasard. „Wir wissen zufällig, daß dieses marode Schiff in einem Geleitzug segelte, der auf der Fahrt von Havanna nach Cadiz unter­wegs war. In einem Sturm wurde die ,Fidelidad' von dem Geleitzug ge­trennt und hatte das Pech, reichlich zerrupft von Überfahrt und Sturm in unsere offenen Arme zu laufen. Lei­der hatten wir dann nicht die Zeit, das Äußere der ,Fidelidad' so hübsch gol­den zu verzieren wie Ihre ,Arrow', was natürlich für das Auge wohlgefäl­liger gewesen wäre. Uns erschien die Ladung wichtiger und vielleicht leuchtet auch Ihnen ein, daß Schiffe aus Westindien - also der Neuen Welt - erstens nach den langen Wochen der Seefahrt nicht so geleckt und gelackt aussehen können wir Ihr Luxusspiel­zeug und zweitens in der Regel in ih­ren Laderäumen Güter mitführen, von denen Sie, verehrter Graf, allen­falls träumen können. Es handelt sich nämlich um jene Güter, die in den Goldturm von Sevilla wandern, falls Sie wissen, was ich damit meine."

Der Graf von Essex biß sich auf die Lippen, denn da hatte er allerlei Ohr­feigen einstecken müssen.

„Dieser Mann beleidigt mich stän­dig, Majestät!" beschwerte er sich.

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Bevor die Königin antworten konnte, sagte Hasard: „Bitte um Ver­zeihung, Sir. Es war nicht meine Ab­sicht, Sie zu beleidigen. Ich habe nur den Eindruck, daß Sie manchmal nicht wissen, von was Sie sprechen. Ihre Beurteilung der ,Fidelidad' und ihrer Ladung war falsch, und ich habe Sie lediglich korrigiert."

„Sie haben meine ,Arrow' als Lu­xusspielzeug bezeichnet!" fauchte der Graf.

Hasard tat erstaunt. „Ist es doch auch! Oder etwa nicht? Während Sie mit diesem Gefährt Wettrennen auf der Themse veranstalten, sind wir mit dem sogenannten maroden Schiff und dem ,Brettergerüst' vor den spa­nischen Verfolgern weggerannt -oder stellten sie zum Kampf, je nach Lage und Aussicht auf Erfolg. Wir riskierten dabei Kopf und Kragen, wie das bei Seegefechten üblich ist. Tun Sie das auch bei Ihrem Zeitver­treib auf der Themse?"

Der Graf von Essex schnappte nach Luft.

Die Königin kicherte, hängte sich wieder bei Hasard ein und sagte: „Laß sehen, was du mir mitgebracht hast, Rebell!"

2.

Einige Arwenacks standen bereits auf der „Fidelidad" und hatten Lu­ken und Schotten geöffnet. Klar, daß der Profos dabei war - und auch die Zwillinge. Sie standen auf der Kuhl und verbeugten sich, als die Königin von Hasard an Bord geleitet wurde.

Sie blieb vor Carberry stehen. „Ja, wen sehe ich denn da", sagte

sie entzückt. „Mister Carberry, nicht wahr, der Profos von diesen Rabau­ken!"

„Aye, aye, Sir - äh - Majestät!" schmetterte der Profos.

Und diesmal passierte es. Die Königin umarmte einfach die­

ses Ungetüm und küßte es mitten auf den Mund. Der Profos wäre fast in Ohnmacht gefallen.

Wie war das damals vor zehn Jah­ren gewesen?

Da hatte Carberrys geliebte „Bessy", wie er sie nannte, auf den Planken der „Isabella VIII." gestan­den und ihrem Gefolge die Leviten gelesen.

Sie hatte gesagt: „Gentlemen, ich wünsche, daß Sie sich diesen Mann genau anschauen. Das ist Mister Ed­win Carberry, Profos der ,Isabella', ein Mann ohne Titel und Adel. Ein Mann, der von Ihnen, Gentlemen, allzu häufig wie ein Putzlappen be­handelt wird. Ich überlasse es ihnen, was ich damit sagen will, wünschte mir aber, es gäbe mehr Carberrys in diesem Land!"

Und dann hatte sie dem verlegenen Profos einen Kuß geben wollen, aber das hatte Hasard verhindert.

Er hatte gesagt: „Nein, das wäre un­gerecht, Majestät. Den Kuß hätte je­der Mann der ,Isabella' verdient -und das wären schon wieder zu viele Küsse für Ihre Majestät!"

Nun war's also passiert, und der Profos hatte ein Gesicht wie eine überreife Tomate.

„Ma-Majestät", stammelte er - und er war ja sonst nicht aufs Maul gefal­len -, „d-das ist der schönste Tag m-meines Lebens!"

„Du alte Salzgurke!" donnerte die königliche Lissy und drosch ihm die rechte Hand auf die breite Schulter. „Was ich mich freue, dich wiederzu­sehen!"

Hinter ihr räusperte sich Hasard. „Jetzt ist er eifersüchtig", flüsterte

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die Königin dem Profos zu, zwinkerte mit dem rechten Auge und drehte sich zu Hasard um.

„Ist was, Rebell?" fragte sie. „Allerdings, Majestät", sagte Ha­

sard, „ich muß Sie bitten - wegen der Gerechtigkeit -, jeden Mann dieser Crew zu ehren - ähem - mit einem Kuß!"

„Alle Mann antreten!" schmetterte die Königin. „Hier auf dem Deck der ,Fidelidad'!"

Na, da traten sie an, die Arwenacks, um etwas in Empfang zu nehmen, was erstens unüblich war, zweitens jeder Hofetikette Hohn sprach und drittens die Hofschranzen und Hochwohlgeborenen in empörte Erre­gung versetzen würde.

Der Graf von Essex sah jetzt schon so aus, als sei er gegen ein Scheunen­tor gerannt oder einem Ochsen begeg­net, der Handstand übt oder Männ­chen baut.

Merkwürdigerweise landete Sir John als erster auf der „Fidelidad" und schien in seinem kleinen Vogel­hirn was aufgeschnappt zu haben, was aus dem unmöglichen Repertoire des Profusen stammte, jedoch in die­sem besonderen Fall durchaus stu­benrein war.

Es paßte auch, was sonst selten der Fall war.

Mit seiner Plärrstimme, die so man­chem Arwenack die Stiefel ausziehen konnte, verkündete er von der Groß­rah herunter: „Hepp-hepp! Gib Küüüßchen - gib Küüüßchen, alte Salzgurke!" Und er schickte flü­gelschlagend ein schauriges Geläch­ter hinterher.

Dem Grafen von Essex quollen die Augen aus dem Kopf.

Die Königin lachte sich schief. Und der Profos betete zum Großen

Kapitän im Himmel, er möge doch so

freundlich sein und dem lieben Sir Jöhnchen die verdammte Klappe zu­nageln.

Der Große Kapitän hatte ein Einse­hen und ließ Sir John nur noch albern kichern und unverständliches Zeug brabbeln. Es bildete die Geräuschku­lisse zur Kuß-Parade Ihrer Majestät.

Sie lernte ein paar neue Gesichter kennen, denn Philip Hasard Killi-grews Stammannschaft hatte sich ja vergrößert im Verlauf der letzten zehn Jahre.

Und so stand sie denn auch vor Don Juan de Alcazar und vernahm mit Staunen, was Hasard über ihn zu be­richten hatte.

„Sie kämpfen gegen das eigene Land, Don Juan?" fragte sie konster­niert.

Der schlanke und große Spanier mit dem scharfgeschnittenen Gesicht lächelte hintergründig: „Nicht gegen mein Land, Majestät, aber gegen die Krone und ihre Vertreter, die sich einbilden, Götter zu sein und dabei unter dem Zeichen des Kreuzes ins Ländern, die ihnen nicht gehören, rauben, plündern und morden. Ich bin stolz, ein Spanier zu sein, aber ich schäme mich über die Greueltaten meiner Landsleute."

„Da sind Sie wohl der einzige!" sagte der Graf von Essex verächtlich. „Außerdem: Spanier bleibt Spanier. Das weiß man doch!"

„Halt's Maul, du Idiot!" sagte die Königin, ohne sich zu dem Grafen umzudrehen. Sie blickte Don Juan an und fügte hinzu: „Entschuldigen Sie bitte, er hat ein loses Maulwerk, hält sich für besonders schlau und ist trotzdem ein Dummkopf."

„Danke, Majestät", sagte Don Juan und verneigte sich lächelnd. „Von Dummköpfen kann man auch nicht beleidigt werden, nicht wahr?"

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„Genau das meinte ich", erwiderte die Königin. „Ich sah etwas in Ihren Augen aufblitzen, was verriet, daß Sie sich getroffen fühlten." Sie seufzte. „Der Graf hat schon genug Ehrenhändel am Hals und muß allen Leuten beweisen, daß er der beste De­genfechter Englands ist - meint er je­denfalls. Ich möchte nicht, daß die Gentlemen die Klingen kreuzen. Es gibt wichtigere Dinge zu tun, als sich gegenseitig zu verunstalten und die Ohren abzusäbeln." Sie fuhr zu dem Grafen herum. „Hast du verstanden, Essex?"

„Jawohl, Majestät", quetschte der Graf heraus und mußte mitansehen, wie seine „teuerste und angebetete Herrscherin" - wie er sie in einem sei­ner Briefe genannt hatte - sogar ei­nen riesigen Neger mit einem königli­chen Kuß bedachte. Einen Neger!

Sie muß verrückt sein, dachte er in Panik, und schon nagte wieder der Wurm verletzter Eitelkeit an ihm, als er bemerkte, mit welchem Ungestüm die Königin diese beiden jungen Bur­schen umarmte, die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Erst in diesem Moment fiel ihm auf, daß die beiden Burschen das Ebenbild des Killigrew-bastards waren.

Mit scheelen Augen sah er, daß diese beiden Jungmannen durchaus in der Lage waren, den Weibern den Kopf zu verdrehen - einschließlich seiner Angebeteten.

„Ihr seid ja richtige Mannskerle ge­worden!" rief die Königin und drehte sich mit blitzenden Augen zu Vater Hasard um. „He, Rebell! Was hälst du davon, wenn ich dir deine beiden Söhne entführe?"

„Und wohin?" fragte Vater Hasard vorsichtig.

„In die Arme von zwei lieblichen Hofdamen, verdammt noch mal!"

Vater Hasards braungebranntes Gesicht wurde etwas blaß. Ihm war bekannt, daß die Königin gern als Kupplerin auftrat oder jenen ein wil­liges Ohr lieh, die ihr - häufig genug in eigennütziger Absicht - zuflüster­ten, wer mit wem unter die Haube ge­bracht werden müsse.

Er wurde einer Antwort enthoben, denn der Profos polterte entrüstet los: „Da möchte ich Majestät ganz energisch abraten!"

„Warum?" „Ganz einfach, Majestät, ganz ein­

fach", polterte der Profos, „und ich warnige Majestät", er sagte nie war­nen, sondern immer warnigen, der Profos, „das gäbe nämlich ein Eifer­suchtsdrama nach dem anderen bei Hofe, und Majestät wäre nur noch da­mit beschäftigt, diese Dramen zu schlichten!"

„Du meinst, meine Hofdamen wür­den sich um diese beiden prächtigen Kerle reißen, Mister Profos?"

„Schlimmer, Majestät, viel schlim­mer. Sie würden sich gegenseitig zer­fleischen! Und dann die Verwechs­lungen! Wenn die eine gemeint hat, sie hätte Philip geküßt oder mit ihm ein bißchen gescherzt, dann war das in Wirklichkeit Hasard. Und wenn eine Lordschaft Hasard zur Rede stellt, er habe sich dessen Flamme in­tim genähert, dann kann ihn Hasard kühl abschmettern und ihm sagen, da müsse wohl ein Irrtum vorliegen oder Seine Lordschaft habe Schlick auf den Augen. Nicht auszudenken, was da alles passieren kann!"

„Da ist was dran", murmelte die Königin.

Die beiden Junioren feixten unver­hohlen. Die Vorstellung, unter den Hofdamen Eifersuchtsdramen anzu­zetteln, erheiterte sie ungemein. Aber als sie zu Vater Hasard hinüberlin-

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sten, verging ihnen das Feixen. Der hatte wieder seinen eisigen Blick drauf.

„Nicht wahr?" sagte jetzt der Pro-fos eifrig. „Ich würde auch anstelle Ihrer Majestät lieber einen Sack vol­ler Flöhe hüten als ein Kränzchen ehrbarer Jungfern. Das muß man ganz realistisch sehen. Außerdem ha-ben's diese beiden Burschen hier faustdick hinter den Ohren."

„Wie der Vater, eh?" wisperte die Königin und blinzelte dem Profos zu.

„Wie der Vater - und das in doppel­ter Auführung'', flüsterte der Profos mit Verschwörermiene.

Vater Hasard räusperte sich laut­stark und erinnerte auf diese Weise Ihre Majestät daran, daß die Kußze­remonie noch nicht beendet war.

Beim Zweitkoch blieb die Königin etwas länger stehen und dachte nach. Dann sagte sie: „Mister Pellew, nicht wahr? Du bist schon bei Kapitän Drake gefahren, stimmt's?"

„Stimmt genau, Majestät!" tönte Mac und strahlte über das Essiggur­kengesicht. „Majestät haben ein phä­nomenales Gedächtnis!"

„Für gute Gesichter", schränkte die Königin ein - und das war ein Lob.

Da blieb dem Profos doch glatt die Spucke weg. Wo die gute Bessy bei dieser Miesmuschel ein „gutes Ge­sicht" sah, war dem Profos völlig schleierhaft. Und als sich Mac auf­pumpte wie ein Ochsenfrosch, da wußte der Profos, was die Glocke geschlagen hatte: Mac würde fürder-hin nur noch den aufgeblasenen Gok-kel spielen und von morgens bis abends herumlabern, daß ihn die Bessy zum schönsten Mann Englands ernannt habe. Mac hatte ja sowieso einen Hau weg, weil er sich einbil­dete, die stolzesten weiblichen Fe­stungen zum Einsturz bringen zu

können. Und nun dies! Es war zum Heulen!

Mac empfing einen innigen Kuß. Er sah aus, als schwebe er auf

rosafarbenen Wolken in den siebten Himmel, Dementsprechend hatte er ein derart dämliches Grinsen drauf, daß es einen grausen konnte. Jeden­falls empfand das der Profos so, und er hätte seinem lieben „Mäckilein" am liebsten eine gescheuert, was sich aber natürlich in Anwesenheit der königlichen Bessy nicht schickte und auch ihren Kuß entwertet hätte.

Als letzter Arwenack entschwebte Old Donegal in den siebten Himmel und schien vergessen zu haben, daß er mit Mary, geborene Snuggle-mouse, verehelicht war.

Die Bessy brachte die Arwenacks ganz schön durcheinander, dabei war sie eine alte Dame, und der Zahn der Zeit hatte auch an ihr genagt. Aber sie war eben die Königin, und außer­dem hatte sie immer noch Feuer.

Die Gardisten auf ihren Pferden waren nur noch am Glotzen. So was hatten sie auch noch nicht gesehen.

Alsdann stieg die Königin in den Bauch der „Fidelidad" hinunter, sorgsam geleitet von fürsorglichen Händen, die sonst mit Entersäbeln und Tauwerk hantierten. Alle Kisten und Truhen in den Laderäumen wa­ren geöffnet und boten ihren Inhalt dar. Es blinkte, blitzte und funkelte im Licht der Bordlaternen.

Die alte Bessy geriet schier aus dem Häuschen.

Der Graf von Essex sah immer saurer aus und hätte jetzt ohne weite­res als Konkurrenz zu Mac, dem Sauertopf, auftreten können. Er hatte einen ausgeprägten Adamsapfel, und der veranstaltete in seinem Hals Klet­terübungen, wie deutlich zu bemer­ken war.

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„Mein Gott", sagte die Königin fas­sungslos vor Staunen.

„Die Silberbarren, Majestät", sagte Hasard sachlich, „haben den Präge­stempel von Potosi, das ist eine Sil­bermine mit Münze, hoch in den Ber­gen von Südamerika und südöstlich von Lima gelegen. Man muß sich ein­mal vorstellen, über welche ungeheu­ren Entfernungen diese Barren nach Spanien gebracht werden. Dabei ko­stet der Abbau in der Potosimine die Spanier nicht eine Kupfermünze. Sie bedienen sich der Indios, die sie von überall zusammentreiben und in der Mine - von viehischen Aufsehern be­wacht - arbeiten lassen, bis sie tot zu­sammenbrechen."

Die Königin blickte Hasard auf­merksam an.

„Du warst dort, Rebell?" fragte sie. Hasard nickte. „Wir waren dort -

und haben für die Spanier die Hölle losgelassen. Ich schätze, sie haben ei­nige Monate gebraucht, um wieder Silber abbauen zu können. So gese­hen ist das ein Tropfen auf den hei­ßen Stein. Es sind Nadelstiche, die wir Spanien versetzen, manchmal schmerzhafte Nadelstiche, und wir müssen uns immer etwas Neues ein­fallen lassen. Wir versuchen, wie eine Armee zu kämpfen, dabei sind wir nur etwas mehr als dreißig Mann."

„Wie haben Sie dann die Galeone hierhergesegelt?" fragte der Graf von Essex hämisch.

„Kapitän war Don Juan", erwi­derte Hasard ruhig. „Er hatte elf Mann Besatzung aus unserer Mann­schaft."

„Sie wollen behaupten, die Galeone wurde von nur insgesamt zwölf Mann gesegelt?" fragte der Graf irritiert.

„Ich brauche nichts zu behaupten", entgegnete Hasard, „Sie befinden sich auf der ,Fidelidad', und die liegt

hier an der Towerpier. An diesen Platz wurde sie von zwölf Männern gebracht - na ja, allerdings von zwölf Männern, die ihr Handwerk verste­hen, vermutlich besser als so man­cher Möchtegernkapitän. Wie viele Männer brauchen Sie denn, um Ihre Yacht in Bewegung zu bringen und in Betrieb zu halten?"

„Fünfunddreißig!" schnappte der Graf.

„Soso", sagte Hasard und grinste freundlich.

„Ich verfüge über erstklassige See­leute!" fauchte der Graf von Essex.

„Wie schön für Sie", sagte Hasard, „besonders, wenn man bedenkt, wie ökonomisch es ist, fünfunddreißig erstklassige Seeleute ausschließlich zum Zweck von Lustfahrten zu be­schäftigen."

„Was soll das heißen?" „Mein Gott, sind Sie so schwer von

Begriff, Sir?" fragte Hasard. „Sie be­schäftigen fünfunddreißig qualifi­zierte Seeleute zum Zwecke Ihrer per­sönlichen Belustigung, für nichts wei­ter! Sie unternehmen keine Handels­fahrten, sie segeln mit Ihrem Luxus­dings nicht gegen spanische Schiffe zum Zwecke der Kriegsführung, Sie führen keine Expedition durch, Sie besetzen keine strategisch wichtigen Inseln irgendwo auf den Weltmeeren, Sie entdecken keine Länder oder ver­suchen jene, die entdeckt wurden, zu kartographieren - aber dafür halten Sie sich eine Prunkyacht, und Ihr Ehrgeiz erschöpft sich darin, der schnellste Segler auf der Themse zu sein."

„Was geht Sie das eigentlich an?" „Richtig, es geht mich gar nichts

an", erwiderte Hasard. „Genausowe­nig, wie es Sie etwas angeht, mit wie vielen Männern diese Galeone gese­gelt wurde, was Sie ja zu bezweifeln

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scheinen. Wissen Sie was? Kümmern Sie sich um Ihre Belange als General­feldzeugmeister - ich schätze, damit haben Sie genug zu tun, wenn Sie Ihre Aufgaben und Pflichten ernst neh­men. Für Belange, die mit der See­fahrt zu tun haben, sind Sie für mich nicht der richtige Gesprächspartner. Da haben Sie vermutlich noch einiges zu lernen, bis Sie mitreden können. Als Eigner einer Luxuskarosse sind Sie mir nicht kompetent genug. Ge­nügt das?"

Der Graf von Essex schäumte über. „Ich fordere Sie heraus!" brüllte er. „O Gott, hört das denn nie auf!"

sagte Hasard. „Kaum ist man in Eng­land, da muß sich irgend so ein Gok-kel schon wieder beweisen, daß er lau­ter krähen kann als man selbst. Was soll's denn diesmal sein, Sir? Wollen wir uns beide mit Schiffsgeschützen beschießen oder mit Kohlköpfen be­werfen?"

„Ich fordere Sie zu einer Wettfahrt heraus!" donnerte der Graf. „ ,Arrow' gegen Ihre Bretterkiste!"

„Der Esel nennt sich immer zuerst", sagte Hasard gleichmütig. „Also eine Wettfahrt, na so was! Lassen Sie mich mal Prophet spielen, Verehrtester: Eine solche Wettfahrt verlieren Sie mit Pauken und Trompeten. Ich sage das nicht, um mich hier aufzuspielen, sondern weil Ihre Yacht keine Chance gegen unsere Schebecke hat. Viel­leicht haben Sie vorhin nicht richtig zugehört - was bei Ihnen häufiger der Fall zu sein scheint -, darum wieder­hole ich es. Eine Schebecke ist ein aus­gesprochener Schnellsegler. Genau für diesen Zweck wurde sie von den Barbaresken entwickelt. Ach ja, Ihre Yacht hat Seitenschwerter - wie hoch läuft sie am Wind?"

„Weiß ich nicht, interessiert mich auch nicht!"

Hasard seufzte und blickte die Kö­nigin an.

„Majestät", sagte er, „bringen Sie diesen Mann davon ab, gegen uns eine Wettfahrt segeln zu wollen. Er hat schon jetzt verloren. Ersparen Sie ihm diese Blamage. Außerdem glaube ich, daß er nicht verlieren kann. Ich wiederhole: er hat absolut keine Chance. Seine Yacht ist kein Renner. Sie mag seetüchtig und ro­bust sein - ich kenne diesen Typ, der ideal für Wattfahren ist, aber nicht für die Jagd auf Handelssegler wie die Schebecke. Der Mann gaukelt sich da was vor - vielleicht, weil er bisher etwas schneller segeln konnte als seine Konkurrenz auf der Themse. Aber gegen die Schebecke ist seine Yacht kein Pfeil, sondern eine lahme Ente. Es wäre unfair von uns, gegen ihn anzutreten."

Die Königin hatte mit gesenktem Kopf zugehört. Jetzt hob sie ihn und blickte Hasard an.

„Ich wünsche, daß Sie die Heraus­forderung annehmen, Sir Hasard", sagte sie förmlich;

Hasards Miene blieb ausdruckslos. Er verneigte sich und sagte: „Ihr Wunsch ist mir Befehl, Majestät. Da ich herausgefordert wurde, stelle ich eine Bedingung."

„Und die wäre?" „Der Verlierer spendet der Marine

fünftausend Pfund, zweckbestimmt für zum Krüppel geschossene und da­her zum Dienst nicht mehr taugliche Angehörige der Royal Navy."

In den Augen der Königin blitzte es auf. „In Ordnung, Rebell." Sie schau­te zu Essex. „Nehmen Sie diese Bedin­gung an, Graf?"

Der Graf von Essex schnaubte. „Was sollen solche Kinkerlitzchen? Bin ich verrückt, diesen Krüppeln was zu spenden?"

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„Ich dachte, Sie wollen gewinnen", sagte Hasard verächtlich.

„Ach so! Natürlich gewinne ich!" „Dann brauchen Sie auch nicht zu

spenden", sagte Hasard. „Ähem - ich nehme diese lächerli­

che Bedingung an", erklärte der Graf von oben herab.

„Was gelten für die Wettfahrt für Regeln?" fragte Hasard sachlich.

„Regeln? Was für Regeln? Wir brauchen keine Regeln, haben wir nie gebraucht! So ein Unsinn!"

Hasard runzelte die Stirn, dann zuckte er mit den Schultern. Er war es leid, sich mit diesem Idioten weiter auseinanderzusetzen.

3.

„Moment mal", sagte die Königin. „An was für Regeln dachten Sie, Sir Hasard?"

„Zum Beispeil an Ausweichre­geln", erwiderte Hasard, „wenn Schiffe auf Kollisionskurs liegen. Ich sehe keinen Sinn darin, daß sie sich gegenseitig rammen. Schließlich ist das eine Wettfahrt, kein Gefecht."

„Zu feige, was?" höhnte der Graf von Essex. „Angst um Ihre Bretterki­ste, wie?"

Hasards Blick wurde eisig. „Seien Sie vorsichtig, Essex. Wäre die Köni­gin nicht hier, dann würden Sie jetzt Gelegenheit haben, Ihre Zähne auszu­spucken, Sie Klugscheißer!"

Der Graf erbleichte. Und dann warnte ihn etwas - nämlich die Wild­heit in diesen eisblauen Augen und die Härte in diesem Gesicht.

„Es wird nach Ausweichregeln ge­segelt", sagte die Königin scharf. „Welche schlagen Sie vor, Sir Ha­sard?"

„Vormwinder, Raumwinder und

Halbwinder haben grundsätzlich den Amwindern auszuweichen", erklärte Hasard. „Sie sind manövrierfähiger als Amwinder. Begegnen sich Vorm­winder, Raumwinder und Halbwin­der sowie Amwinder, so hat jener Segler Vorfahrt vor dem anderen, der über Backbordbug mit Steuerbord­halsen segelt. Mißachtet einer der beiden Wettfahrtteilnehmer diese Re­geln, dann wird er disqualifiziert, und der Gegner ist Sieger."

„So ein Quatsch!" fauchte der Graf von Essex. „So was Läppisches! Aus­weichregeln! Wer mir in die Quere ge­rät, der hat auszuweichen, oder ich ramme ihn! So einfach ist das!"

„Es hat keinen Zweck, Majestät", sagte Hasard kühl. „Dieser Mann kennt nur seine eigenen Regeln, und ich lehne es ab, gegen ihn anzutreten. Mir ist mein Schiff zu wertvoll, als es von einem Ignoranten und Nichtstuer für nichts und wieder nichts zu Bruch fahren zu lassen. Das haben meine Männer und ich nicht nötig. Unser Schiff und wir sind nicht die richti­gen Objekte für die Spielereien eines unmündigen Flegels."

Die Königin stampfte mit dem Fuß auf und wurde wild.

„Es wird gesegelt!" schrie sie. „Und zwar nach den Regeln, die Sir Hasard bekanntgegeben hat! Hast du ver­standen, Essex?" Und leiser, aber mit unheimlicher Schärfe fügte sie hinzu: „Wenn du dich jetzt noch weigerst, dann lasse ich dich in den Tower sper­ren, bis du verrottet bist!" Sie zitterte vor Zorn, die alte Bessy, und dabei war sie so hart wie Granit.

Der Graf von Essex zog den Kopf ein - bildlich gesprochen. Er merkte wohl selbst, daß er den Bogen über­spannt hatte. Den Übergang fand er schnell, fast geschmeidig.

Er legte die Hand aufs Herz und

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sagte: „Ich bin der ergebenste Diener Ihrer Majestät. Es soll sein, wie Maje­stät befehlen. Es soll nach den Regeln gesegelt werden, wie hier - ähem -dargelegt wurden."

„Dann wiederholen Sie mal diese Regeln", sagte Hasard trocken.

„Ähem - Schiffe über Steuerbord­bug vor dem Wind haben Vorfahrt vor allen anderen Schiffen..."

Die Zwillinge, ebenfalls unten im Laderaum, kicherten laut. Die ande­ren Arwenacks grinsten unverhoh­len, und Hasard selbst blickte gotter­geben zur Balkendecke hoch, als bäte er den Herrn um Verzeihung für den Unsinn, den der Graf von Essex ver­zapft hatte. Offenbar hatte dieser bla­sierte Earl überhaupt nicht zugehört - oder Begriffe wie Backbord- und Steuerbordbug, Vormwinder, Raum-winder, Halbwinder und Amwinder waren ihm völlig fremd.

Die Augen der Königin begannen schon wieder zu glühen. Sie hatte sehr wohl bemerkt, daß die Antwort des Grafen das totale Gegenteil von dem war, was Philip Hasard Killi-grew auch für sie verständlich darge­legt hatte.

„Du Narr!" fauchte sie ihn an. „Hast du überhaupt nicht zugehört? Backbordbug hat Vorfahrt, Raum-winder, Vormwinder und Halbwin­der müssen Amwindern ausweichen. Das sind eindeutige und klare Re­geln. Brauchst du die noch schrift­lich?"

„Nein", sagte der Graf pikiert und warf den grinsenden Arwenacks wü­tende Blicke zu. Er war nämlich der Ansicht, daß das Schiffsvolk ihn nicht anzugrinsen hatte. Eine Unver­schämtheit war das. „Verbitte mir dummes Grinsen!" schnarrte er.

Darauf grinsten die Arwenacks noch breiter. Da wurde wieder Kol-.

lisionskurs gesteuert, den Hasard schnell abbog.

Er fragte den Grafen: „Stehen Sie selbst an der Pinne, Sir, wenn wir die Wettfahrt segeln?"

„Natürlich nicht", erwiderte der Graf von oben herab, „für solche sub­alternen Funktionen habe ich keine Zeit - ähem. Dumme Frage das, sehr dumme Frage. Für das Dingsda - äh - die Pinne ist einer von den Leuten da."

„Ach ja, einer von den erstklassi­gen Seeleuten", sagte Hasard. „Wer gibt ihm denn die Ruderbefehle?"

„Die Ruderbefehle? Was für Ruder­befehle?"

„Wie er steuern soll." „Ach so - ähem. Die Befehle erteilt

ihm der Kapitän. Das ist Sir Gilbert Batten, Neffe des Earls of Westmor­land und Hauptmann der Seesolda­ten. Schneidiger Kerl - ähem, hat schon unter mir gekämpft, als ich Ca­diz eroberte."

„Ah ja. Und was tun Sie an Bord der ,Arrow', wenn Sie wettsegeln?"

„Ich?" Der Graf runzelte die Stirn. „Ich habe natürlich die - ähem -Oberaufsicht. Einer muß ja den gro­ßen Überblick haben, nicht wahr?"

„Ja, ja", sagte Hasard todernst, „vor allem an den Stellen, wo die Themse enger wird oder ihre Schlick­bänke hat. Sicher kennen Sie diese Stellen genau."

„Aber mein Lieber!" Der Graf ge­stattete sich ein vornehmes Hüsteln. „Wo denken Sie hin! Das sind doch Lappalien! Um so etwas kann ich mich nicht kümmern. Nein, nein! Ich entwickele während der Wettfahrt die taktischen und strategischen Kon­zeptionen."

„Oh! Darf man da Näheres erfah­ren, Sir?" fragte Hasard freundlich.

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„Sicher sind Sie ein guter Taktiker und noch besserer Stratege.. ."

Die Königin räusperte sich und schnitt jede weitere Diskussion ab. Natürlich hatte sie gemerkt, daß Philip Hasard Killigrew den Grafen auf die laue Tour aushorchte, ab­fragte und abklopfte - mit dem bis­her eindeutigen Ergebnis, daß der sehr ehrenwerte Graf eine Null an Bord war, ein Schwadroneur, dem noch nicht einmal bekannt war, welche eminent wichtige Funktion der Rudergänger an Bord eines Schif­fes hat.

„Genug", sagte sie schroff. „Wann gedenken die Gentlemen zum Wett­kampf anzutreten?"

„Darf ich mir einen Vorschlag er­lauben, Majestät?" fragte Hasard.

„Natürlich." „Dann schlage ich übermorgen vor

- vorausgesetzt, der Graf ist einver­standen. Ich möchte meinen Männern nach den letzten Tagen und Wochen etwas Ruhe gönnen."

Der Graf wedelte gönnerhaft mit der Hand. „Einverstanden, mein Lie­ber."

„Gut." Die Königin nickte. „Also übermorgen, Start hier am Towerkai, Punkt zehn Uhr, Ziel ebenfalls hier. Du kennst die Faßtonne bei Graves-end, Rebell?"

„Wir haben sie bei der Herfahrt passiert, Majestät."

„In Ordnung. Sie wird gerundet", bestimmte die Königin.

„Fliegender Start, Majestät?" fragte Hasard.

Die Königin schüttelte den Kopf und lächelte dabei.

„Ich möchte", sagte sie, „daß die beiden Schiffe erst beim zehnten Glockenschlag die Leinen loswerfen und die Segel setzen. Ich will dieses Manöver sehen - und mit mir der

Hofstaat einschließlich der Lord­schaften von der Marine. Stört es dich, daß die ,Arrow' hinter euch liegt, Rebell?"

„Nicht im geringsten, Majestät", er­widerte Hasard lächelnd. „Ich hoffe, daß der Graf seinen kleinen Vor­sprung zu nutzen versteht."

„Das werde ich, das werde ich, mein Lieber!" tönte der Graf.

„Vorausgesetzt, Ihre ,Arrow' kommt schneller von der Pier weg als unsere Schebecke", sagte Hasard sanft.

„Daran ist überhaupt nicht zu zwei­feln!" rief der Graf.

„Da bin ich mir nicht so sicher", murmelte die Königin und etwas lau­ter: „Die Wettkampfgebühr in Höhe von je fünftausend Pfund ist vor dem Start bei mir persönlich zu hinterle­gen, Gentlemen. Außerdem erhält der Lordadmiral von mir Order, ent­sprechend qualifizierte Offiziere ab­zuteilen, deren Aufgabe es sein wird, die Schiffe vom Ufer aus auf Pferden oder Kutschen zu begleiten und dar­über zu wachen, daß die Regeln ein­gehalten werden. Ferner wird je ein Offizier als neutraler Beobachter an Bord der ,Arrow' und der Schebecke mitsegeln - mit gleichfalls schieds­richterlicher Funktion."

„Ich habe nichts dagegen", sagte Hasard.

„Muß das sein?" maulte der Graf. Die Königin blickte ihn scharf an.

„Wollen Sie hier über meine Befehle diskutieren, Graf?"

„Natürlich nicht, Majestät." Der Graf verneigte sich. „Ähem - Maje­stät haben völlig recht, denn es ist zu vermuten, daß Killigrew versucht, die Regeln zu umgehen, und da muß ihm jemand auf die Finger sehen."

Hasard ignorierte diese Unver-

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schämtheit. Er zuckte nur mit den Schultern.

Aber die Königin geriet wieder in Harnisch.

„Hören Sie auf, hier herumzustän-kern, Graf!" fauchte sie. „Wer war denn gegen die Regeln - Sie oder Sir Hasard? Dann unterstellen Sie ihm nicht etwas, was eher Ihnen zuzu­trauen ist. Was ritterliches Verhalten betrifft, dürfte Ihnen Sir Hasard jetzt schon um einige Längen voraus sein!"

Der Graf von Essex schluckte diese Ohrfeige, indem er mit den Zähnen knirschte. Hasard war das alles pein­lich genug. Er fragte sich, ob es rich­tig gewesen war, London anzu­steuern. Kaum hatten sie hier ver­täut, begann wieder das alte Theater, inszeniert von solchen Typen wie die­sem Grafen von Essex, die sich für den Nabel der Welt hielten, aber tat­sächlich nichts weiter als blasierte Hohlköpfe waren.

Immerhin, von dem Grafen von Es­sex sagte man, er zeichne sich durch persönliche Tapferkeit aus. Möglich, daß er ein Draufgänger war, aber die lebten meistens nicht lange - sie stol­perten, weil sie sich selbst über- und den Gegner unterschätzten. Dieser Mann war ehrgeizig, ruhmsüchtig und noch dazu eitel - eine gefährliche Mischung.

Hasard wünschte diese verdammte Wettfahrt zum Teufel. Essex konnte sie nicht gewinnen, es sei denn, er spielte mit gezinkten Karten. War ihm das zuzutrauen? Hasard bejahte sich diese Frage, ohne lange zu über­legen.

Inzwischen hatte Don Juan de Alca­zar ein kleines Schapp geöffnet und entnahm ihm eine in Leder gebun­dene Akte. Er überreichte sie der Kö­nigin und sagte: „Majestät, bei dieser

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Akte handelt es sich um eine Art La­depapier, das heißt, sie enthält, genau aufgeschlüsselt, die Anzahl der Ki­sten und Truhen in diesen Laderäu­men samt exakter Aufzählung ihrer Inhalte. Ich habe in den letzten Tagen anhand dieser Papiere eine Prüfung vornehmen lassen und kann versi­chern, daß die Auflistung mit dem Bestand übereinstimmt."

Die Königin nahm die Akte entge­gen.

„Donnerwetter", sagte sie. „Das nenne ich korrekt. Außerdem muß das eine Fleißarbeit gewesen sein."

Don Juan lächelte. „Die Männer ha­ben ganz schön geflucht, Majestät -auspacken, zählen und wieder einpak-ken. Bei den Gold- und Silberbarren war das nicht weiter schwierig, die sind ja wie Bauklötze gestapelt und außerdem griffig. Aber bei den Edel­steinen und Perlen war das wirklich mühselige Kleinarbeit."

„Bei der man allerlei verschwinden lassen kann", sagte der Graf boshaft.

Er hatte kaum ausgesprochen, da explodierte die Königin.

„Das dürfen Sie jetzt tun, Essex!" schrie sie ihn an. „Verschwinden Sie! Ich habe es satt, mir Ihre dummen Be­merkungen anzuhören, ganz abgese­hen davon, daß Sie ehrenwerte Män­ner beleidigen. Los! Hauen Sie ab, Sie - Sie - Schwachkopf!"

Mit zuckendem Gesicht stieg der Graf von Essex den Niedergang hoch und polterte von Bord - vorbei an den eisigen und verächtlichen Gesich­tern der Arwenacks.

Carberry, der an Oberdeck geblie­ben war, knurrte hinter ihm her: „Dieser Affenarsch!"

Der Graf von Essex, schon auf der Stelling zur Pier, fuhr herum. „Wer war das?"

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„Ich!" erklärte Carberry pampig. „Was dagegen?"

„Sie wagen es, mich Affenarsch zu nennen?" stieß der Graf hervor.

„Ach? Fühlen Sie sich denn getrof­fen?" höhnte der Profos. „Da darf ich natürlich nicht widersprechen. Jeder zieht sich selbst den Stiefel an, der ihm paßt. Und Ihnen paßt der Stiefel, von dem die Rede ist, ausgezeichnet -wie angegossen, sozusagen."

Der Graf von Essex röchelte, und sein Gesicht hatte sich lila verfärbt.

Smoky stand neben dem Profos und stieß ihn an.

„Der kippt gleich aus den Panti­nen", sagte er.

„Soll mir nur recht sein", sagte der Profos ungerührt. „Ich sammel ihn je­denfalls nicht auf."

„Ich auch nicht", erklärte Smoky. „Wer sind wir denn!"

Aber der Graf hatte sich wieder be­rappelt und brüllte zur Kutsche: „Garde!"

Ein Reiter löste sich und ritt auf die Stelling zu, ein Hauptmann mit einer Holzhackervisage.

„Sir?" fragte er. Der Graf von Essex deutete auf

Carberry und schnarrte: „Der Kerl ist festzunehmen und in Ketten zu le­gen!"

„Was hat er denn verbrochen?" Der Holzhacker räusperte sich. „Ich meine, was wird ihm vorgeworfen? Ich habe gesehen, daß er sich der be­sonderen Gunst Ihrer Majestät er­freut. Hat Ihre Majestät die Fest­nahme befohlen?"

„Sie haben hier keine Fragen zu stellen, sondern zu gehorchen, ver­standen?"

Carberry blinzelte und zeigte zu dem Schimpansen Arwenack, der auf der Kuhl der Galeone herumgehüpft

war und sich jetzt gerade verbeugte -den Hintern dem Kai zugewandt.

„Ich sagte: ,Dieser Affenarsch!'", erklärte der Profos, „und das stimmt ja wohl, wenn ich das richtig sehe. Of­fenbar fühlte sich dieser Mister ge­troffen und bezog die Bezeichnung ,Affenarsch' auf seine werte Person, und da erklärte ich ihm, daß ich dem nicht widersprechen dürfe. Ich meine, wenn er sich selbst einen Affenarsch nennt, dann ist das sein gutes Recht, was, wie?" Und der Pro­fos grinste breit.

Das Roß des Holzhackers schnaubte, was ihm die Gelegenheit bot, sich vorzubeugen und den Pfer­dehals zu tätscheln. Daß er ebenfalls grinste, konnte er auf diese Weise verbergen.

„Dieser Kerl lügt!" brüllte der Graf von Essex. „Und ich habe befohlen, ihn festzunehmen! Wird's bald, Hauptmann?"

Der Holzhacker schüttelte den Kopf.

„So geht das nicht, Sir", sagte er. „Dieser Affe dort hat eindeutig einen Affenarsch - oder wie soll man das sonst nennen? Wenn der Mann er­klärt, er habe den Affenarsch des Af­fen gemeint, dann ist daran nicht zu deuteln. Ihn deswegen festzunehmen, dazu besteht keine Veranlassung. Wenn Sie diesen Ausdruck auf sich beziehen, dann ist das Ihre Sache, Sir."

„Sie haben hier keine Reden zu hal­ten, sondern Befehle auszuführen!" brüllte der Graf von Essex.

Der Holzhacker versteifte sich im Sattel und sagte förmlich: „Sir, ich weise Sie darauf hin, daß ich als Hauptmann der Leibgarde Ihrer Majestät nur Befehle Ihrer Majestät entgegennehme und ausführe, es sei denn, Ihre Majestät hat ausdrücklich

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Order erteilt, daß auch Sie der Leib­garde Befehle geben dürfen. Davon ist mir aber nichts bekannt."

„Sie Kerl wagen es, an meiner Be­fehlsberechtigung zu zweifeln?" brüllte der Graf. „Steigen Sie ab, Sie sind festgenommen!"

„Du meine Güte", sagte der Profos, „was für ein Zirkus wegen eines Affenarsches! Können Sie nicht noch lauter brüllen, Mister?"

„Ich bin der Graf von Essex!" Auch das wurde wieder gebrüllt, und das Gesicht des Grafen hatte erneut einen lilafarbenen Stich.

„Na und?" fragte der Profos trok-ken. „Soll ich Sie deshalb unterm Kinn kraulen? Räumen Sie endlich die Stelling - wie ich hörte, verwies Ihre Majestät Sie von Bord, und zwar wegen Ihrer dummen Bemerkungen und weil Sie ehrenwerte Männer be­leidigt hatten. Wenn Sie's interes­siert, ich bin hier der Profos - und Sie wären nicht der erste, der von Bord fliegt. Wer uns anlabert, kriegt was auf die Schnauze, so einfach ist das, ob Graf oder Würstchen, spielt keine Rolle. Und lassen Sie, bitte sehr, Ih­ren Piekser stecken, mit dem Dingel­chen können Sie uns nicht imponie­ren!"

Tatsächlich hatte der Graf an den Degen gegriffen, um ihn zu ziehen. Und Carberry fletschte die Zähne. Es juckte ihn wieder mal. Und wie es ihn juckte!

Leider erschien die Königin an Deck - ihr Günstling hatte ja auch laut genug herumgebrüllt.

„Was geht hier vor?" fragte sie scharf.

„Ich bin von diesem Subjekt belei­digt worden!" fauchte der Graf von Essex und wies anklagend auf Car­berry. „Und ich verlange Genugtu­ung!"

Die Königin klatschte die rechte Faust in die linke Handfläche. „Geht das schon wieder los? Ich befahl Ih­nen, von Bord zu verschwinden, Es­sex. Statt dessen fangen Sie einen neuen Streit an oder fühlen sich wie­der mal beleidigt. Ich befehle alles

nur einmal. Entweder verschwinden Sie jetzt, oder Sie verbringen die nächsten Monate in einer Towerzelle. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe."

„Sehr wohl, Majestät." Der Graf verneigte sich, verließ die Stelling und stelzte mit beleidigtem Gesicht an der Pier entlang zu seiner Prunk­yacht „Arrow".

Die Königin seufzte. „Diese Herausforderung zum Wett­

segeln ist trotzdem schlecht, Maje­stät", sagte Hasard, der nach der Königin ebenfalls mit den anderen Mannen die Laderäume verlassen hatte.

„Das weiß ich", sagte die Königin, „gerade darum soll die Wettfahrt stattfinden. Der Graf muß lernen, Re­geln zu respektieren. Außerdem hoffe ich, daß er verliert. Vielleicht merkt er dann, daß seine Bäume nicht in den Himmel wachsen. Er soll sich bis auf die Knochen blamie­ren."

„Verstehe", murmelte Hasard -nicht gerade begeistert. Der Graf lebte nach seinen eigenen Regeln. Wenn er verlor, würde sich daran nichts ändern. Der Mann war nicht in der Lage, selbstkritisch zu den­ken.

„Du wirst ihn übermorgen schla­gen, Rebell", sagte die Königin, „oder dich soll der Teufel holen!"

„Das hat der schon häufiger ver­sucht, Majestät", sagte Hasard mit ei­nem harten Grinsen.

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4.

Die Sorge um die Ladung im Bauch der „Fidelidad" waren die Arwe­nacks los. Sie war an eine besonders geschützte Pier verholt worden und wurde jetzt bis zum Entladen von der königlichen Leibgarde bewacht. Ha­sard hatte seine Mannen wieder auf der Schebecke beisammen.

Die Königin hatte sich noch einmal bei allen Arwenacks sehr herzlich für das „Geschenk" bedankt. Dann war sie mit der Kutsche abgefahren. Zwei Stunden später, gegen Mittag, stie­felte ein bulliger Mann in der Uni­form eines Hauptmanns der Seesol­daten von der „Arrow" zur Sche­becke und verlangte schroff, den Ka­pitän zu sprechen.

Stenmark ging, zu diesem Zeit­punkt die Hafenwache an der Stelling und fragte höflich: „Wen darf ich melden, Sir?"

„Gilbert Batten, Kapitän der ,Ar­row' ", erwiderte der Mann barsch, und dem blonden Schweden wehte eine Schnapsfahne ins Gesicht. Er trat zwei Schritte zurück.

Zu Hasard junior sagte er: „Bitte dem Kapitän zu melden, daß ihn Mi­ster Batten, Kapitän der ,Arrow' zu sprechen wünscht."

„Aye, aye", sagte der Junior und trabte ab.

„Bin nicht gewohnt, lange zu war­ten!" schnappte Batten.

„Es dauert nicht lange, Sir", sagte Stenmark.

Der bullige Mann musterte ihn, als sei er eine Laus. Dann musterte er die Schebecke und verzog geringschätzig den Mund. Wahrscheinlich hielt er das Schiff der Arwenacks für etwas noch Mieseres als eine Laus. Er rümpfte die Nase, welche die Form ei­ner Knolle hatte. Darunter hatte er

fleischige Lippen und ein brutales Kinn. Die Augen waren von einem trüben, verwässerten Blau.

Hasard junior kehrte zurück und sagte: „Würden Sie mir bitte folgen, Sir?"

„Wird auch Zeit", knurrte Batten und ging hinter Hasard her.

Was für ein rüder Kerl, dachte Stenmark.

Bei Hasard in der Kapitänskam­mer saßen Ben Brighton, Don Juan de Alcazar und Dan O'Flynn. Nach der Vorstellung bat Hasard den Hauptmann, Platz zu nehmen.

„Ich möchte Sie unter vier Augen sprechen", erklärte Batten.

Hasard schüttelte den Kopf. „Die drei Gentlemen sind meine Vertrau­ten."

„Das, was ich zu sagen habe, ist ebenfalls vertraulich", entgegnete Batten reichlich unfreundlich. „Ich darf Sie bitten, die Gentlemen zu ent­fernen."

„Abgelehnt", sagte Hasard kühl. „Wenn Ihnen das nicht paßt, kann ich daran nichts ändern."

„Es handelt sich um eine Angele­genheit, die äußerste Diskretion ver­langt", sagte Batten gepreßt.

„Wir gehören nicht zur Kategorie der Klatschweiber, Sir", sagte Ha­sard spöttisch. „Ihr Eigner, der Graf von Essex, schlägt mir einen Handel vor, nicht wahr?"

Batten zuckte zusammen. „Woher wissen Sie das?"

„Das ist nicht schwer zu erraten. Also, um was geht es?"

Der Hauptmann räusperte sich. Da saß ihm wohl einiges in der Kehle quer, sozusagen ein Kotzbrocken. Dann quetschte er sein Anliegen her­aus.

Der Hauptmann schien aufzuat­men. Er leckte sich über die fleischi-

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gen Lippen und sagte hastig: „Da ha­ben Sie recht, Sir. Der Graf ermäch­tigte mich, Ihnen in einem solchen Fall zwanzigtausend Pfund anzubie­ten."

Hasard zupfte sich am rechten Ohr. „Das klingt schon besser, aber was sind schon zwanzigtausend Pfund für einen verkauften Sieg! Nein, nein, das ist mir zu billig."

Der Hauptmann erbleichte. „Zu billig?" fragte er ächzend. „An

was für eine Summe hatten Sie denn gedacht, Sir?"

„Fünfzigtausend", sagte Hasard knapp.

Der Hauptmann sprang auf und schrie: „Das ist Wucher! Unge­heuerlich ist das! Das zahlt der Graf nie!"

„Dann verliert er eben die Wett­fahrt", sagte Hasard lakonisch.

Der bullige Hauptmann sank auf seinen Sitz zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Sir!" sagte er mit heiserer Stimme. „Dreißigtausend ist das Äu­ßerste, was der Graf bieten kann -sonst ist er ruiniert."

„Na ja, das ist schon eine schlimme Sache", sagte Hasard freundlich. „Be­sitzt der Graf Landgüter?"

„Natürlich." „Dann kann er von denen ja ein

paar verkaufen", meinte Hasard. „An wen?" „Das weiß ich auch nicht, mein Lie­

ber", erwiderte Hasard. „Ich wollte Ihnen nur einen Tip geben, woher sich der Graf das Geld beschaffen kann - ich meine, weil Sie sagten, der Graf sei bei der Kleinigkeit von fünf­zigtausend Pfund ruiniert. Aber dar­unter geht nichts, gar nichts. Sie müs­sen das mal aus meiner Sicht sehen. Was meinen Sie wohl, wie hoch mein Ansehen bei Ihrer Majestät steigt,

wenn ich die Wettfahrt gewinne! Und die gewinne ich, verlassen Sie sich drauf Offenbar ist der Graf zu der gleichen Ansicht gelangt, sonst würde er Sie nicht zu mir geschickt haben. Also, ich wiederhole: Wenn ich mein Ansehen bei Ihrer Majestät verkaufen soll, dann dürfte das fünf­zigtausend Pfund wert sein. Und wenn ich's mir recht überlege, ist das immer noch zu billig. Denn Sie wis­sen doch, je höher man im Ansehen Ihrer Majestät steht, desto reicher sind die Pfründe. Habe ich recht?"

„So ist es", flüsterte der Haupt­mann. „Aber ich bin vom Grafen nicht ermächtigt, Ihnen fünfzigtau­send Pfund anzubieten."

„Dann muß er sich schon selbst her­bemühen, der Graf", sagte Hasard lie­benswürdig.

„Ich werde es ihm ausrichten." Der Hauptmann stand auf und verab­schiedete sich mit knappen Verbeu­gungen. Als er zum Schott ging, prallte er gegen einen Stützbalken und sagte: „Verzeihung!" Er war völ­lig durch den Wind.

Dan O'Flynn begleitete ihn bis zur Stelling.

Stenmark sagte: „Der Kerl gefällt mir ganz und gar nicht." Sie schauten beide hinter dem Hauptmann her, der sich noch nicht mal - wie es üblich war - von Bord gemeldet hatte.

Dan O'Flynn grinste. „Da kann ich dir nicht widersprechen, Sten. Er hat gerade versucht, Hasard im Auftrag des Grafen von Essex zu bestechen: wir sollen den erlauchten Hundesohn gewinnen lassen - dafür hat er drei­ßigtausend Pfund geboten. Hasard hat ihn abgeschmettert und will min­destens fünfzigtausend Pfund haben. Paß auf, als nächster tanzt Essex sel­ber an. Laß ihn ein bißchen schmoren

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- der Kapitän sei gerade in einer wichtigen Besprechung oder so."

„Geht klar! Mann, Mann, ist das ein Ding! Dreißigtausend Pfündchen, nicht zu fassen. In was für einer Welt leben wir eigentlich?" Stenmark schüttelte den Kopf.

„In einer beschissenen", sagte Dan und kehrte in die Kapitänskammer zurück.

Hasard sagte gerade: „Wenn ich den sauberen Grafen abblitzen lasse, wird er andere Mittel einsetzen, um die Wettfahrt zu gewinnen. Denkt mal darüber nach, was ihr in einem solchen Fall tun würdet. . ." Er blickte verdutzt zu Ben Brighton, der auf seine rechte Faust starrte, deren Daumen hochgestellt war, dann folg­ten Zeigefinger, Mittelfinger, Ring­finger, kleiner Finger . . . „Was soll das denn?" fragte Hasard.

„Zähle nach", brummte Ben Brigh­ton und hob den Kopf. „Sieben sind's."

„Was sind sieben?" fragte Hasard irritiert.

„Sieben Tonnen zwischen Graves-end und Towerpier. Stimmt's, Dan?"

Dan O'Flynn nickte. „Stimmt." Hasard runzelte die Stirn. „Spielst

du hier die Sphinx oder was, Mister Brighton?"

„Ich hatte bereits nachgedacht, Sir", sagte Ben Brighton. „Wenn ich der Graf von Essex wäre, würde ich zum Beispiel ein oder zwei Tonnen versetzen, und zwar solche, die auf Sandbänke hinweisen!"

Hasard pfiff durch die Zähne. „Ausgezeichnet, Ben! Damit wir auf­brummen, eh?"

„Genau das, Sir." Ben Brighton grinste. „Frag mal mein Brüderchen, was wir als Jungs angestellt haben! Deshalb fiel mir das auch wieder ein. Er, ich und noch drei andere Lümmel

- ich glaube, ich war damals zwölf -versetzten in einer Nacht die Faß­tonne bei Gravesend, jene, die wir bei der Wettfahrt runden sollen, so daß am nächsten Tag drei unserer Gra-vesender Fischer, darunter auch mein Vater, aufbrummten. Wir fünf lagen hinter einer Düne und lachten uns krumm und schief. Am Abend waren wir auch krumm und schief. Unser Alter hatte herausgekriegt, wer die Sünder waren. Mein Gott, hat der uns den Hintern versohlt!"

Die Männer lachten schallend, und Hasard versuchte sich seinen ruhi­gen, besonnenen und oft nachdenkli­chen Ben Brighton als Zwölfjährigen vorzustellen. Es fiel ihm ein bißchen schwer. Bei dem jüngeren Roger Brighton, ihrem Takelmeister, gelang es ihm besser. Der hatte noch heute etwas Pfiffiges, Lausbubenhaftes.

Er konnte froh sein, die beiden Brü­der an Bord zu haben - jetzt ganz be­sonders, denn als Fischersöhne in Gravesend geboren, kannten sie die Themse wie ihre Hosentasche. Er würde beide bei Pete Ballie, dem mei­sterlichen Gefechtsrudergänger, während der Wettfahrt postieren. Sie würden ihm exakte Kursanweisun­gen geben - mochten die Fahrwasser­tonnen sonstwohin verlegt worden sein.

„Ben", sagte er, „du wirst mit Roger während der Wettfahrt unser Lotse sein. Ihr kennt doch euer Flüßchen, nicht wahr?"

„Na, hör mal!" entrüstete sich der Erste. „Wir kannten unser Flüßchen eher als den Weg zur Kirche!"

Na, das war eine klare Antwort. Dan O'Flynn sagte: „Wir sollten un­

ser Schiffchen besonders heute nacht und morgen nacht scharf bewachen. Ich denke da an Sabotageunterneh­mungen."

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„Zum Beispiel?" fragte Hasard. „Ein bißchen unter Wasser was an­

bohren", sagte Dan, „die Ruderbe­schläge lockern, Fallen anschneiden und so fort."

„Schon klar." Hasard blickte zu sei­nem Ersten. „Instruierst du die Wa­chen, Ben?"

„Aye, Sir. Außerdem sollten besser vier Posten aufziehen - je zwei für jede Bordseite."

„Einverstanden." Hasard nickte.

Inzwischen passierte das, was Dan O'Flynn Stenmark angekündigt hatte. Von der „Arrow" stelzte der Graf heran, ein leutseliges Lächeln auf dem nicht unhübschen Gesicht. Die Leutseligkeit war so falsch wie eine mit Silber überzogene Blei­münze.

„Hallo!" rief der Graf und winkte jovial mit der Rechten, als er die Stel­ling erreicht hatte. „Möchte gern den Kapitän sprechen, wenn's genehm ist."

„Aye, Sir", sagte Stenmark artig, „bitte einen Moment zu warten. Werde den Kapitän Wahrschauen las­sen."

Hasard junior trabte bereits ab. Auf einer Webeleine des Steuer-

bordhauptwants schaukelte Sir John, beäugte den Grafen und äußerte sich despektierlich. Er wiederholte das, was sein Herr und Meister, der Pro-fos, über den Grafen gesagt hatte, setzte jedoch noch das Eigenschafts­wörtchen „verlauster" hinzu sowie die Empfehlung, derselbige möge die Hosen runterlassen und Ruder hart Backbord legen.

Die Leutseligkeit verschwand sehr schnell aus dem Gesicht des Grafen. Es schien ihm an gesundem Humor

zu mangeln. Stenmarks Miene blieb undurchdringlich. Wenn er jetzt grin­ste, würde der Graf das als Heraus­forderung auffassen.

„Wer bringt diesem - äh - Vogel solche Unflätigkeiten bei?" verlangte er zu wissen.

„Oh, er hat keinen besonderen Lehrmeister, Sir", sagte Stenmark. „Das ist auch sehr unterschiedlich. Manches merkt sich Sir John, man­ches vergißt er sehr schnell."

„Sir John heißt das Vieh?" „Aye, Sir." „Muß schon sagen - sehr ge­

schmacklos", schnarrte der Graf und entdeckte Philip junior, der mit Plymmie an der Seite in der Nähe der Kuhlpforte stand. „Da bist du ja! Kann ich jetzt den Kapitän spre­chen?"

„Das weiß ich nicht, Sir", sagte Philip junior.

„Wieso?" schnappte der Graf. „Hast du mich nicht angemeldet?"

„Nein, Sir", erwiderte Philip freundlich und kraulte Plymmie den Nacken.

„Nein?" Der Graf wurde wütend. „Was sind denn das hier für Sitten? Melde mich sofort beim Kapitän, du Lümmel!"

Philip zog in unnachahmlicher Weise die rechte Augenbraue hoch.

„Das tut mein Bruder bereits, Sir", sagte er. „Und wenn Sie mich noch einmal einen Lümmel nennen, dann hetze ich den Hund auf Sie, haben Sie verstanden?"

Aus Plymmies Brustkasten ertönte prompt ein bedrohliches Knurren.

Der Graf von Essex schnappte wie­der einmal nach Luft. Es war wirk­lich ungeheuerlich, was sich dieses Pack herausnahm.

Stenmark sagte: „Das ist unser Bordhund, Sir. Seien Sie vorsichtig.

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Er ist ganz besonders scharf und greift jeden an, der einem von uns an den Kragen will."

„Das ist ja lachhaft!" stieß der Graf hervor. „Ein Schlag mit der Peitsche, und der Drecksköter zieht feige den Schwanz ein!"

Dieser Mann hatte wirklich eine pe­netrante Art, andere zu provozieren. Stenmark blieb gelassen.

„Ich würde Ihnen nicht empfehlen, so etwas zu versuchen, Sir", sagte er. „Sie haben es hier mit einem Kampf­hund zu tun, keinem Straßen- oder Drecksköter, der sich vielleicht von einer Peitsche beeindrucken läßt."

„Sie haben ja keine Ahnung", tönte der Graf verächtlich. „Ich brauche ei­nen solchen Köter nur scharf anzu­blicken, und schon verdrückt er sich."

Und der Graf demonstrierte so­gleich seinen scharfen Blick, indem er Plymmie anstierte. Der Erfolg blieb aus. Die Wolfshündin ver­drückte sich nicht, und ihr Knurren wurde gefährlicher. Gleichzeitig zog sie die Lefzen hoch und ließ einen Teil des Fangs sehen.

Und sie hatte ihren Sitz aufgegeben und tigerte auf die Stelling zu, mit ge­sträubtem Nackenhaar, leicht ange­duckt, und zwar in jener Haltung, die jedem, der etwas von Hunden ver­stand, verriet, daß sie nur darauf lauerte, mit einem Sprung auf den Gegner loszuschnellen. Der brauchte nur noch irgend etwas Dummes zu tun - und schon war's passiert.

Der Graf von Essex kriegte einen stieren Blick. Mit der Schärfe war's vorbei.

Philip junior sagte freundlich, aber mit einem gewissen lässigen Unter­ton: „Stopp, Plymmie! Der Gentle­man hat offenbar begriffen, daß du dich von harmlosen Blicken nicht ein­schüchtern läßt. Trotzdem verdient

er eine Lektion, weil er dich einen Drecksköter genannt hat - wirf ihn um!"

So schnell konnte der Graf von Es­sex gar nicht denken, wie die Wolfs­hündin auf ihn zuflog, ihn in Höhe des Brustkorbs rammte und umstieß. Er krachte aufs Pflaster der Pier, und Se­kunden später setzte ihm die Wolfs­hündin die Vorderpfoten auf die Brust - mit gefletschtem Fang. Und sie knurrte nicht mehr. Das wirkte viel bedrohlicher.

„Zurück, Plymmie!" befahl Philip. Der Fang klappte zu, und dieses Ge­

räusch hatte fast einen verächtlichen Klang. Die Hündin schien zu grinsen, als sie herumschwang und an Bord zurücktrottete. Artig setzte sie sich neben Philip auf den Hintern, die Vor­derpfoten auf die Planken gestemmt, den Blick der Wolfsaugen auf den Mann gerichtet, der sich ächzend auf­rappelte und die Hosen abklopfte.

„Wir hatten Sie gewarnt, Sir", sagte Philip wiederum freundlich. „Bei uns wird weder ein Hund noch ein Mann beleidigt - hier gibt es keinen Drecks­köter und keinen Lümmel. Wir sind zu jedermann höflich, wie sich das ge­hört. Wer dieses Gesetz mißachtet, darf sich nicht wundern, wenn es ihm dann auf unsere Art erklärt wird." Philips Stimme wurde um eine Nuance schärfer. „Ein Befehl von mir hätte genügt, Sir, und Ihre Kehle wäre von der Hündin zerfetzt wor­den!"

Der Graf sagte ausnahmsweise gar nichts. Er begriff überhaupt nichts mehr, ganz abgesehen davon, daß ihn der jähe und wilde Angriff der Hün­din völlig überrascht hatte. Nur ganz entfernt begann bei ihm zu dämmern, daß er es hier mit Männern zu tun hatte, die nicht in seine gewohnten Denkschablonen paßten.

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Allerdings war er nicht in der Lage, daraus Schlüsse zu ziehen. In seiner Ichbezogenheit und als Earl of Essex hatte er es nie für nötig befunden, sich mit Personen unter seinem Stand zu beschäftigen. Sie hatten ihm zu dienen und seine Befehle entge­genzunehmen. Eine eigene Meinung hatten sie nicht zu haben. Das wäre ja auch noch schöner gewesen! Zwar sollten vor Gott alle Menschen gleich sein, aber da sich der Graf selbst für gottähnlich hielt, galt das für ihn nicht. Menschen unter seinem Stand waren Unpersonen - Läuse oder so was.

Hasard junior tauchte aus dem Achterdeck auf, trat zur Stelling und sagte: „Der Kapitän erwartet Sie, Sir. Wenn Sie mir bitte folgen würden."

„Danke - ähem", murmelte der Graf und wunderte sich, daß er sich bei einer Laus bedankt hatte.

Um die Hündin schlug er einen Bo­gen, als er Hasard junior folgte. Zum Glück sah er nicht, wie Philip junior und Stenmark hinter ihm hergrin­sten.

5.

Das Theater begann von neuem, als der Graf feststellte, daß Kapitän Kil-ligrew nicht allein in der Kammer war.

Er wedelte mit der Hand und sagte: „Die Leute mögen sich, bitte sehr, entfernen. Es handelt sich um ein ver­trauliches Gespräch."

„Mister Brighton, Mister de Alca­zar und Mister O'Flynn gehören zur Schiffsführung", sagte Hasard, „und sie werden sich nicht entfernen. Neh­men Sie Platz, Mylord. Ich schätze, Sie wollen die Verhandlung fortfüh­ren, die Mister Batten mit uns begon-

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nen hatte. Ich habe mir die Sache in­zwischen überlegt..."

„Das ist gut", unterbrach ihn der Graf, der sich inzwischen gesetzt hatte. „Sie sind also mit dem Preis von dreißigtausend Pfund einver­standen?"

„Sie haben mich nicht ausreden las­sen, Mylord", erwiderte Hasard. „Ich habe mir inzwischen überlegt, daß fünfzigtausend Pfund noch zu wenig sind."

Dem Grafen von Essex quollen die Augen aus dem Kopf.

„Sagen Sie, Mylord", fuhr Hasard im Plauderton fort, „was hat Sie überhaupt veranlaßt, mir ein solches Angebot zu unterbreiten? Sie sind doch davon überzeugt, daß Sie das Wettsegeln gewinnen. Da verstehe ich nicht, was Sie veranlaßt hat, mich - nun ja - bestechen zu wollen."

Der Graf schnippte mit Daumen und Mittelfinger. „Ich bitte Sie, Sir Hasard! Von Bestechung kann gar keine Rede sein. Wir treffen eine Ver­einbarung unter Gentlemen. Sie müs­sen verstehen, daß ich es mir bei mei­ner Reputation am königlichen Hof nicht leisten kann, die Wettfahrt zu verlieren. Es wäre ein Skandal! Nicht auszudenken! Selbst Ihre Majestät wäre brüskiert und bloßgestellt."

„Wieso das?" fragte Hasard. „Ähem - weil Ihre Majestät auf

meinen Sieg setzt. Ihre Majestät wäre verletzt, wenn ich verlieren würde. Im Vertrauen", der Graf beugte sich vor, „ich nehme - ähem - einen be­sonderen Platz im Herzen Ihrer Maje­stät ein. Meine Niederlage wäre auch für Ihre Majestät eine Niederlage. Und das wollen Sie doch nicht, mein Freund, nicht wahr? Sehen Sie, dar­um entschloß ich mich, Ihnen dieses faire Angebot zu unterbreiten. Denn es muß unsere oberste Pflicht sein,

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Ihre Majestät stets fröhlich zu sehen. Und dafür müssen wir Opfer brin­gen!"

Mir kommen gleich die Tränen, dachte Hasard, streckte die langen Beine aus, faltete die Hände über dem Bauch und drehte Däumchen. Der Graf blickte irritiert - er redete davon, daß man Opfer bringen müsse, und der Kerl drehte Däum­chen!

„Mylord", sagte Hasard freundlich, „habe ich Sie zu einer Wettfahrt her­ausgefordert oder Sie mich?"

„Ich Sie!" schnaubte der Graf. „Was soll die Frage?"

„Sehr viel", erwiderte Hasard. „Denn zur Eigenart einer Herausfor­derung gehört es doch wohl, daß man sich, bevor man sie ausspricht, über die Konsequenzen im klaren ist. Sie, Mylord, haben über mögliche Konse­quenzen offenbar erst nachgedacht, nachdem Sie mich herausgefordert hatten. Und da scheint Ihnen einge­fallen zu sein, daß Sie verlieren könn­ten. Und was tun Sie da? Sie erschei­nen bei mir und schlagen mir einen Kuhhandel vor. Dazu nennen Sie Gründe, die Sie einem Dummbart er­zählen können, aber nicht uns. Ihre sogenannte Reputation bei Hofe in­teressiert uns einen Dreck. Und was Sie über Ihre Majestät sagen, sind reine Phantasien. Daß sie über Ihre Niederlage verletzt wäre, glauben Sie ja wohl selbst nicht. Sie, nur Sie, ha­ben sich diese Suppe mit Ihrer Her­ausforderung eingebrockt, und jetzt löffeln Sie die Suppe gefälligst auch aus, verdammt noch mal! Und wenn Sie verlieren, dann tun Sie das wenig­stens mit Anstand und Würde. Mehr habe ich zu Ihrem dreckigen Angebot nicht zu sagen!"

Der Graf schnappte nach Luft und war blaß geworden.

„Sie - Sie lehnen ab?" stotterte er. „Aber - aber Sie wollten doch fünf­zigtausend Pfund haben. . ."

„Ich wollte gar nichts!" fuhr ihn Hasard an. „Mich interessierte ledig­lich, was Ihnen diese verdammte Be­stechung wert sein würde. Mein Gott - dreißigtausend Pfund und wahr­scheinlich noch mehr! Dreißigtau­send Pfund, damit ein gewisser Ro­bert Devereux, Earl of Essex und Ge­neralfeldzeugmeister, eine läppische Wettfahrt gewinnt, weil seine Eitel­keit und seine verschrobene Ruhm­oder Geltungssucht nicht zulassen, sie zu verlieren! Das muß man sich mal vorstellen! Wo bleibt denn da Ihre Ehre, Mylord? Wissen Sie über­haupt, was das ist?"

„Zweifeln Sie an meiner Ehre?" zischte der Graf.

„Erraten", sagte Hasard kühl. „Oder wie bezeichnet man in Ihren Kreisen Personen, die sich mittels Be­stechung Vorteile zu verschaffen su­chen? Sind das nicht ehrlose Lum­pen?"

„Das werden Sie mir büßen!" knirschte der Graf.

Hasard winkte ab. „Kein Duell, My­lord, denn welche Summe wollen Sie dann aufwenden, um mich zu beste­chen? Denn Sie müssen damit rech­nen, daß ich besser bin als Sie. Ich will nicht übertreiben, aber ich schätze, daß ich in Kämpfen gleich welcher Art mehr Erfahrungen sam­meln konnte als Sie. Aber lassen wir das. Ich habe Ihre Herausforderung zum Wettsegeln angenommen - Ihre Majestät wünschte das -, und ich bin entschlossen, die Wettfahrt sauber, fair und den Regeln entsprechend durchzuführen. Der Bessere wird ge­winnen. Bestechen lasse ich mich nicht. Sie sollten froh sein, wenn ich dieses Gespräch tatsächlich vertrau-

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lich behandele. Ich glaube nicht, daß Ihre Majestät entzückt wäre, darüber etwas zu hören. Das dürfen Sie als Warnung auffassen."

„Wie soll ich das verstehen?" fragte der Graf heiser.

„Ganz einfach, Mylord. Ihr Beste­chungsversuch war eine krumme Tour. Sollten sie andere krumme Touren unternehmen, fühle ich mich an die Vertraulichkeit dieses Ge­sprächs nicht mehr gebunden. Dann werde ich Ihre Majestät darüber in­formieren, was Sie, beziehungsweise Mister Batten, mir angeboten haben."

Der Graf "lachte hämisch. „So ein­fach ist das nicht, Killigrew! Ich brauche Ihre Behauptungen nur ab­zustreiten. Mein Ehrenwort gilt bei Ihrer Majestät mehr als das Ehren­wort eines kleinen Kapitäns!"

„Daß Sie ein Lump sind, brauchen Sie nicht noch zu betonen, Mylord", sagte Hasard eisig. „Aber Sie haben vergessen, daß hier noch drei Zeugen unseres Gespräches sind. Und ich schätze, daß Ihr Mister Batten um­fällt, wenn es um Kopf und Kragen geht. Den können Sie natürlich auch versuchen, zu bestechen. Aber wie lange?" Hasard schüttelte den Kopf. „Nein, Mylord, Sie haben sehr schlechte Karten. Und Ihr Fehler ist, daß Sie sich ständig überschätzen. Ob Ihr Ehrenwort bei Ihrer Majestät mehr wert ist als meins, das bezweifle ich. Es handelt sich hier nämlich um die Glaubwürdigkeit eines Mannes, nicht um seinen Adelstitel, was Sie nicht zu begreifen scheinen. Sie pfle­gen Warnungen in den Wind zu schla­gen. Trotzdem warne ich Sie noch ein­mal. Und ich füge hinzu: Sollten Sie weitere krumme Touren versuchen, dann schlage ich zurück. Und das dürfen Sie als eine Kriegserklärung auffassen! Meine Männer und ich

sind nicht Ihr Popanz! Verschwinden Sie!"

Der Graf warf den Kopf hoch, äu­ßerte ein „Pff!", stand auf und schritt zum Schott. Auch ihm stand der Decksbalken im Wege, und es bum­ste, als er dagegenprallte. Er sagte nicht „Verzeihung!", sondern: „Un­verschämtheit!" Und mit dieser Fest­stellung, die sich auf alles mögliche beziehen konnte, entschwand er.

Leider stolperte er fast über Ha­sard junior, der mit einem Ohr am Schott gehangen hatte.

Die Empörung des Grafen kannte keine Grenzen.

„Du hast gelauscht, du Spion?" schrie er.

„Ich bin der fünfte Zeuge, Sir", sagte Hasard junior gemessen, „und ich verwette meinen Hintern, daß Ihre Majestät meinem Ehrenwort mehr glaubt als Ihrem. Denn mein Platz im Herzen Ihrer Majestät be­ruht schlicht darauf, daß ich der En­kel Ihrer Majestät sein könnte. Und zu Enkeln haben Großmütter ein herzinnigliches Verhältnis, wenn Sie wissen, was ich meine."

Da entfloh der Graf - er erinnerte sich, daß die Königin die beiden Söhne des verdammten Killigrew ge­herzt und geküßt hatte, als seien sie tatsächlich ihre Enkel.

Der Graf fegte grußlos von Bord, als säße ihm etwas Teuflisches im Ge­nick und zwackte ihn unaufhörlich. Er verschwand auf seiner Prunk­yacht „Arrow", und Stenmark ver­mutete, daß er jetzt erst einmal einen Brandy kippen werde. Philip hinge­gen wiegte den Kopf und meinte, der Graf werde zuvor seine Leute an­scheißen.

Letzteres stimmte. Von der „Ar­row" tönte gräfliches Gebrüll hin­über zur Schebecke.

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„Siehst du", sagte Philip. Stenmark nickte. Dann seufzte er

und murmelte: „Geht schon schlimm zu auf dieser Welt. Immer kriegen die kleinen Würstchen einen auf den Dek-kel, jene, die harmlos sind und gar nichts getan haben. Eine Schande ist das."

Er irrte, der große blonde Schwede, denn so harmlos waren die Kerle von der „Arrow" nun auch wieder nicht.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bezüglich des zwielichtigen Grafen von Essex hatte Philip Hasard Killi-grew ein Einsehen mit seinen Man­nen. Denn nun waren sie schon mal in London, also in den heimatlichen Ge­filden, und das hieß, daß er seinen Kerlen schlecht zumuten konnte, nunmehr allen Freuden des Lebens zu entsagen und in klösterlicher Ein­samkeit die Abende zu verbringen.

Außerdem war der oberste Klo­sterbruder namens Edwin Carberry arg am Drängeln, obwohl der in Ply­mouth vor ein paar Tagen dem Teufel gerade noch so eben von der Brat­pfanne gesprungen war, auf der ihn ein Mann namens Gordon Brown hatte rösten wollen.

„Also gut", sagte Hasard am Abend dieses ereignisreichen Tages, „zehn Mann haben Landgang. Die anderen müssen an Bord bleiben, denn wir wissen nicht, welche Schurkereien der saubere Graf noch im Schilde führt. Wir müssen mit allem rechnen, und Bereitsein ist alles. Ich rate euch, an Land möglichst zusammenzublei­ben. Wer hat das Kommando?"

„Ich, Sir", sagte der Profos und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Brust. Dieser Zeigefinger hätte auch als Belegnagel dienen können -

und die Pranke daran als Poller für Festmacher.

Hasard runzelte die Stirn und blickte seinen Profos aus rätselhaf­ten Augen an.

„Nein, nein, Sir", sagte der Profos hastig, „nicht schon wieder. Wir ken­nen uns nun schon so lange, und ich bin ehrlich betrübt, daß du mich im­mer noch für einen Streithammel hältst. Ich bin zutiefst betroffen, bin ich . . . " Er verstummte, denn Hasard zog eine Augenbraue in die Höhe. „Was ist, Sir?"

„Ich weiß gar nicht, was du hast, Ed", sagte Hasard und schüttelte den Kopf, „und was du mir da unter­stellst. Mir ging nur gerade etwas durch den Sinn."

„Was denn, Sir?" „Mir ging durch den Sinn", erwi­

derte Hasard, „daß du genau der rich­tige Mann bist, um die Landgänger unter deine Fittiche zu nehmen."

Der Profos wuchs um mehrere Brustbreiten und grinste über das wilde zernarbte Gesicht.

„Das hast du wirklich schön ge­sagt", murmelte er ergriffen. „Danke, Sir."

„Hör mal zu, Ed." Hasard dämpfte die Stimme, nachdem er einen kurzen Blick zur „Arrow" hinübergeworfen hatte. „Es könnte sein, daß die Kerle da drüben die Gelegenheit benutzen, euch zu folgen und ein bißchen außer Gefecht zu setzen. In diesem Fall möchte ich, daß ihr den Spieß um­dreht. Aber laßt euch erst mal auf die Zehen treten. Die anderen sollen an­fangen, nicht ihr! Spielt ein bißchen die Verschüchterten. Aber dann legt los - wie wir das gewohnt sind."

„Das heißt", sagte der Profos hinge­rissen, „wir dürfen die Kerle durch­klopfen, Sir?"

„Durchmangeln, Ed", präzisierte

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Hasard, „durchmangeln nach allen Regeln der Kunst."

„Aye, Sir, geht klar, durchmangeln nach allen Regeln der Kunst." Der Profos salutierte eckig. „Du kannst dich auf uns verlassen."

„Das weiß ich, Ed. Aber ich möchte nicht, daß ihr euch Blessuren einhan­delt. Ihr müßt übermorgen voll an Deck sein, wenn wir die Wettfahrt se­geln. Wenn meine Überlegung stimmt, dann zielen die Kerle darauf ab, euch so auszuschalten, daß ihr für die nächsten Tage nicht einsatzfähig seid. Das darf nicht passieren, ver­standen?"

„Verstanden, Sir." So zog denn Carberrys Trupp an

Land. Ferris Tucker war dabei, Sten-mark, die beiden Hakenmänner Matt Davies und Jeff Bowie, Smoky, Ba-tuti, Mac Pellew, Sam Roskill und Pete Ballie. Daß sie ziemlich laut und ausgelassen an der „Arrow" vorbei-törnten, war Carberrys Idee gewesen, der schon befürchtete, die Kerle könnten nicht anbeißen, und man müsse sie ködern.

Tatsächlich folgte ihnen ein Bursche von der „Arrow" so betont unauffällig, daß es vermutlich auch ein Blinder gemerkt hätte. Und er huschte spornstreichs zurück, als er den Profos lauthals vor einer Pinte tönen hörte, hier werde man vor An­ker gehen. Das war auch sinnbildlich gemeint, denn neben der Treppe, die in ein Kellergewölbe führte, hing ein schwerer, rostiger Schiffsanker.

Carberry grinste zufrieden, als er den Kerl zurück zur „Arrow" eilen sah. Jetzt war nur noch die Frage, mit was für einem Aufgebot die Arrows anrücken würden, wahrscheinlich mit mehr als zehn Kerlen. Aber das würde keinen der Arwenacks beson­

ders kratzen. Sie waren ja keine Anfänger.

Die Pinte wies eine überraschende Ähnlichkeit mit Nathaniel Plymsons „Bloody Mary" in Plymouth auf. Auch hier befand sich rechts ein langgezogener eichener Tresen, vor dem ein paar Kerle lümmelten, wäh­rend hinter dem Tresen ein Typ han­tierte, der im Gegensatz zu Plymson reichlich dürr war, einen langen Zie­genbart hatte und grämlich aussah.

„Könnte dein Bruder sein, Macki-lein", sagte Carberry zum Zweitkoch der Arwenacks.

Der reagierte nicht, weil er was erspäht hatte, was Vollbusiges, das auf dem Schoß eines schwitzenden Dicken saß und ihm das Kinn kraulte.

„Das fällt heute flach, Mackilein", sagte der Profos und drehte dem Zweitkoch den Kopf weg.

„Aber...", begann Mac Pellew. „Kein aber", unterbrach ihn der

Profos und deutete nach links zu einer großen Nische, die unbesetzt war. Ein großer blanker Tisch stand dort, umgeben von einer Sitzbank und an der Frontseite von drei Stüh­len. „Dort gehen wir vor Anker, Leute."

Man nahm kaum Notiz von den Arwenacks. Außer der Vollbusigen turtelten noch mehr Frauenzimmer in der Pinte herum, ganz hinten im Gewölbe, das von steinernen Pfeilern abgestützt wurde, würfelten ein paar Kerle, an einem Tisch saßen zwei Gardisten und stierten trübe in ihre Humpen, sonst waren Seeleute ver­treten, ein paar Fuhrleute sowie die üblichen Schnorrer. Aber die Pinte füllte sich.

Carberry schob am Tresen zwei Kerle zur Seite und grinste sie freundlich an, als sie motzen wollten. Da motzten sie nicht mehr. Sie sahen

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mit einem Blick, was der Profos für ein Ungetüm war.

„Ein kleines Bierfaß", orderte der Profos, „und zehn Humpen."

„Hä?" fragte der Dürre und zupfte an seinem Ziegenbart.

Der Profos wiederholte seinen Wunsch.

„Kannst du zahlen, Bruder?" fragte der Dürre gelangweilt.

„Kann ich, Vetter", sagte der Pro­fos und knallte eine prächtige Gold­münze auf den Tresen.

Der Dürre kriegte Stielaugen, grapschte nach der Münze, führte sie zum Mund und biß drauf. Sie schmeckte ihm, denn er brüllte nach zwei Schankknechten, und die wuch­teten ein Faß auf den Tresen, das im Handumdrehen angezapft war.

„Soll ich's zu Ihrem Tisch bringen lassen, Sir?" fragte der Dürre eifrig und verbeugte sich.

Der Profos winkte ab. „Nur die zehn Humpen, Mylord. Das Faß schaff ich allein, hab heute meinen starken Tag."

„Sehr wohl, Sir." Der Dürre ver­beugte sich wieder. „Wünschen die Gentlemen vielleicht zehn Ladys zur Kurzweil?"

Der Profos schüttelte den Kopf, obwohl er an sein liebeshungriges „Mackilein" dachte - an sich natür­lich auch.

„Sind heute im Zölibat, Euer Ehren", sagte er. „Vielleicht morgen."

Der Dürre kam nicht ganz klar. Zö­libat mußte ganz was Schlimmes sein, aber fragen mochte er nicht. Er sagte nur: „Aha, verstehe!"

Und er sah zu - mit offenem Mund -, wie dieses riesige Ungeheuer das Faß unter den Arm klemmte, als sei das ein Marktkörbchen aus Bin­sen. Carberry nickte ihm freundlich zu und marschierte zur Nische. Die

beiden Schankknechte brachten so­fort die Humpen, empfingen zum Dank ein paar Silberlinge, und Mac Pellew übernahm das Abzapfen.

Die erste Lage zischten sie weg wie nichts.

„Ahh!" sagten sie und wischten sich den Schaum vom Mund.

Genau das war's, was sie solang vermißt hatten - ein gutes englisches Bier. Und schon mußte Mac Pellew wieder zapfen. Er tat es und warf da­bei der Vollbusigen feurige Blicke zu. Wenn Mac feurige Blicke warf, dann konnte das einen Hund jammern.

Die Vollbusige hingegen kicherte und kraulte das Kinn des Dicken noch fröhlicher, während sie Mac gleichzeitig ein symbolisches Küß-chen durch die Luft sandte, das sie mit gespitztem Mündchen zu ihm hin­hauchte.

So ein Luderchen war das - bän­delte gleichzeitig mit zwei Kerlen an. Mac schmolz schon dahin wie Schnee in der Sonne - und vergaß, den Zapf­hahn abzudrehen. Der Krug von Fer­ris Tucker lief über, das Bier ergoß sich über Macs Hose und in seine Stie­fel.

Nein, was freute sich da die Vollbu­sige! Sie kreischte entzückt, und der Dicke, der schon halb am Einschlafen gewesen war, schreckte hoch und fragte verwirrt, ob seine Frau im An­marsch sei.

Aha, so einer war das, nämlich ein Fremdgeher.

Indessen stauchte der Profos sein Mackilein zusammen, einmal wegen des verschütteten Biers und zum an­deren wegen seines Balzverhaltens.

„Sie liebt mich", erklärte der unver­besserliche Mac, „wie mich auch meine Bessy liebt, die mich heute ge­küßt hat - weil ich der schönste Mann im ganzen Königreich bin!"

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Den folgenden Brief erhielten wir von A J , weg , 8750 Aschaffenburg: An die Seewölfe-Redaktion. Sehr geehrte Af­fenärsche und Rübenschweine! Die Abenteuer in der Türkei gefallen mir sehr gut. Auf meine Suchanzeige hat sich ein Herr K (? - der Name war unleserlich) aus Hameln gemeldet. Er ist das Gegenteil von einem schwarzen Schaf. Denn er hat keinen Pfennig verlangt. Er hat einfach die Romane geschickt, einfach so, ohne irgend etwas zu verlangen. Dafür möchte ich mich auch auf diesem Wege nochmals be­danken. Leider fehlen mir immer noch die Nummern: 1-50,52,53,55,57-62,65,66,68, 70-89, 91-96, 101-106, 108-112,115-122, 125-128, 130-134, 136-140, 142, 144-219, 221-229, 232, 234,2 72,284,350,352,369,398,443,500 und 553. Macht weiter so - wünscht Euch Eure A J . Machen wir, liebe A . Den Namen des freundlichen Spenders konnten wir leider nicht entziffern. Schade, denn ein Spender sollte nun wirklich beim Namen genannt wer­den. Darum, Freunde: Bitte übt etwas Schön­schrift, so manches ist nicht zu entziffern, und das ist ja wohl nicht der Sinn, wenn ihr uns schreibt. Wir würden uns auch freuen, wenn bei Briefen die Adresse noch einmal im Brief selber deutlich geschrieben wird, denn häufig genug geht der Umschlag verloren oder die Adresse wird beim Aufschlitzen des Briefes zerstört.

M B , Straße , 4300 Essen 1, schrieb uns den folgenden Brief: Liebe Seewölfe-Redaktion! Ich möchte mich be­danken, daß Sie meinen Brief so schnell veröf­fentlicht haben. Bis auf 3 Stück bin ich alle Hef­te, die ich verschenken wollte, losgeworden. Ei­ner Frau habe ich 7 Stück geschickt. Zwei Tage

später erhielt ich von ihr einen Brief, der einen Zehnmarkschein enthielt. Dafür möchte ich mich nochmals ganz herzlich bedanken! Ihre M B . Das ist eine gute Sache, finden wir. Danke für Ihren Brief, liebe M . Schade, auch hier hätten wir gern den Namen jener Dame ge­nannt, die sich mit einem Zehnmarkschein für die Hefte bedankt hat.

Und hier schreibt C P , straße ,3118 Bad Bevensen:

Sehr geehrte Seewölfe-Redaktion! Im Rahmen Ihres Seewölfe-Forums bitte ich Sie, Ihren Le­sern mein Verkaufsangebot anzubieten. Rund 65 Sammelbände von 21-31,45-104, zu je 3 Hef­ten, gesamt 200 Hefte für DM 130- einschließ-lich Porto. Genaue Liste über die Heftnum­mern kann angefordert werden, jedoch kann ich Einzelhefte daraus nicht abgeben. Für Ihre Bemühungen meinen besten Dank im voraus, mit freundlichem „Arwenack" - Ihr C P .

Ein weiteres Angebot hat J B , 4 Düs­seldorf, straße . Er schreibt: Liebe Seewölfe-Redaktion! Da ich immer lese, daß viele Seewölfe-Leser Hefte suchen, die ih­nen fehlen, möchte ich meine Seewölfe-Hefte anbieten. Da ich alle Seewölfe gelesen habe und weiter lesen möchte, aber bald keinen Platz mehr habe, um sie unterzubringen, biete ich fol­gende Hefte an: Nr. 10-224, 231-238, 241-245, 254-257 und 261-590 (508 Stück). Ich biete die gut erhaltenen Hefte pro Stück zu DM 1,- plus Porto an. - J R .

Mit herzlichen Grüßen Ihre SEEWÖLFE-Redaktion und die SEEWÖLFE-Autoren

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Auf den beiden vorigen Seiten stellen wir unseren Lesern eine Fünf­mast-Bark vor - samt ihrer Segel, Masten und Spieren. Mit Bark be­zeichnet man ein Rahschiff mit drei und mehr Masten, dessen hinterer Mast jedoch keine Rahsegel, sondern Gaffelsegel führt. Bei einer Fünf­mast-Bark sind also vier Masten vollgetakelt (sie führen Rahsegel), wäh­rend der achtere Mast, der Besanmast, Gaffelsegel gesetzt hat. Eine der letzten Fünfmast-Barken war die dänische „Kjöbenhavn", die 1914-1921 nach dem Vorbild der deutschen „Potosi" gebaut wurde und als Schulschiff der dänischen Handelsmarine diente. Auf einer Fahrt von Montevideo nach Australien im Jahre 1928 verschwand sie - wahr­scheinlich auf der Höhe von Kap Hoorn - spurlos mit der gesamten Besatzung. Ihre Segelfläche betrug 5200 qm, ihre Länge 119 m und ihre Breite 14,95 m. Sie hatte ein Raumgehalt von 3965 BRT. Die Zahlen bedeuten: 1 Fockmast, 2 Großmast, 3 Mittelmast, 4 Kreuz­mast, 5 Besanmast, 6 Vormarsstenge, 7 Großmarsstenge, 8 Mittelmars­stenge, 9 Kreuzmarsstenge, 10 Besanstenge, 11 Fockrah, 12 Großrah, 13 Mittelrah, 14 Kreuzrah, 15 Vor-Untermarsrah, 16 Groß-Untermars-rah, 17 Mittel-Untermarsrah, 18 Kreuz-Untermarsrah, 19 Vor-Ober-marsrah, 20 Groß-Obermarsrah, 21 Mittel-Obermarsrah, 22 Kreuz-Obermarsrah, 23 Vor-Bramrah, 24 Groß-Bramrah, 25 Mittel-Bramrah, 26 Kreuz-Brahmrah, 27 Vor-Royalrah, 28 Groß-Royalrah, 29 Mittel-Royalrah, 30 Kreuz-Royalrah, 31 Besanbaum, 32 Besangaffel, 33 Bug­spriet, 34 Klüverbaum, 35 Fock, 36 Großsegel, 37 Mittelgroßsegel, 38 Kreuzsegel, 39 Vor-Untermarssegel, 40 Groß-Untermarssegel, 41 Mit­tel-Untermarssegel, 42 Kreuz-Untermarssegel, 43 Vor-Obermarssegel, 44 Groß-Obermarssegel, 45 Mittel-Obermarssegel, 46 Kreuz-Ober­marssegel, 47 Vor-Bramsegel, 48 Groß-Bramsegel, 49 Mittel-Bramse­gel, 50 Kreuz-Bramsegel, 51 Vor-Royal, 52 Groß-Royal, 53 Mittel-Royal, 54 Kreuz-Royal, 55 Außenklüver, 56 Klüver, 57 Binnenklüver, 58 Vorstengestagsegel, 59 Besan, 60 Gaffeltoppsegel.

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Der Profos stöhnte auf. „Bist du nicht, du Arsch mit Oh­

ren!" fuhr er Mac an. „Uns hat sie auch geküßt, verdammt noch mal, mich am allerlängsten, falls du das nicht bemerkt haben solltest, du spil-lerige Heringsgräte!"

„Du bist ja nur eifersüchtig", nölte Mac, „weil ich bessere Chancen bei den Ladys habe."

„Im Moment hast du 'ne nasse und nach Bier stinkende Hose!" böllerte der Profos zurück. „Wenn dich Bessy jetzt sähe, würde sie davonlaufen, was ich ihr nicht verdenken könnte, denn das sieht aus, als hättest du dir in die Hosen gestrullert!"

Das war Mac nun doch sehr pein­lich. Und da zog er ein weißes Schnupftuch aus seiner Jacke, und jetzt kriegte der Profos Stielaugen, weil dieses Tuch immer länger wurde und überhaupt nicht aufhörte. Das mußte ein Laken sein, ein Bettlaken. Hingegen war Macs Brust, nachdem er das Laken herausgezerrt hatte, merklich eingeschrumpft, zur Hüh­nerbrust sozusagen.

Und nun ging dem Profos ein Sei­fensieder auf - nicht nur dem Profos, der ganzen Bande! Da fegte ihr Ge­lächter durchs Gewölbe, daß die Öl­lampen zu flackern und zu blaken be­gannen, während Mac einen roten Kopf hatte und seine nasse Hose züchtig mit dem Laken überdeckte, das er viermal zusammengefaltet hatte. Er hatte jetzt gewissermaßen eine Tischdecke auf den Knien.

Die Vollbusige auf dem Schoß des Dicken strampelte vor Vergnügen mit den Beinen, was dem Dicken nicht unangenehm war, denn der Rock der Lady rutschte flugs hoch und höher und dorthin, wo die Zone der Sittenwidrigkeit beginnt. Und man war im England der Königin Eli­

sabeth sehr puritanisch gesonnen. Jetzt kriegte der Dicke seine Stielau­gen.

Und da prallte die Tür zum Ge­wölbe auf.

6.

Carberry frohlockte. Es war das Aufgebot der Arrows. Er

erkannte den Kerl, der ihnen gefolgt war, und einen Menschen, bei dem es sich offenbar um eine Art Bootsmann der „Arrow"-Crew handelte, denn am Nachmittag - das hatte der Profos be­obachtet - war dieser Mensch auf dem Deck der Yacht sehr ausfallend geworden, weil er irgendwelche Schlampigkeiten entdeckt hatte.

Diese Arrows sahen allesamt aus, als wollten sie die Kneipe auffressen. Am hungrigsten schien der Boots­mann zu sein, ein bärtiger Schrat mit Stiernacken, zerfransten Ohren und platter Nase. Die beiden letzteren Merkmale deuteten darauf hin, daß der Kerl nicht damit beschäftigt war, Friedenstauben zu züchten und täg­lich eine Flasche von der Milch der frommen Deckungsart zu trinken. Mitnichten!

„Au Backe!" murmelte der Profos. „Sind nur zwanzig", sagte Ferris

Tucker, der fleißig mitgezählt hatte, während die Kerle in die Kneipe drängelten.

Es wurde verdammt eng im Ge­wölbe.

„Wir wollen den Tisch in der großen Nische!" röhrte der Schrat. „Schmeiß die Affen da raus, Pickens!" Der Schrat deutete zu den Arwenacks.

Pickens war der dürre Schankwirt, und so dürr er auch war, er hatte Mumm.

Er donnerte einen Hartholzprügel

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auf die Tresenplatte und brüllte zu­rück: „Bist du hier der Wirt, Potter? Hier bestimme ich, wer mein Gast ist, und die Männer dort sind gute Gäste, weil sie ihr Bier bezahlt haben, was man von euch nicht behaupten kann! Sucht euch einen anderen Tisch oder verschwindet. Außerdem hab ich's satt, mich von euch anstänkern zu las­sen!"

Im Gewölbe war es still geworden. Carberry durchbrach die Stille und

sagte seufzend: „Jaja!" Potter, der Schrat, wirbelte zu ihm

herum. „Willst du frech werden, du Bauernlümmel?"

Der Profos blickte erstaunt. „Ich? Warum sollte ich? Möchtest du ein Bierchen trinken? Ich kann dir's ab­zapfen, du bist eingeladen."

„Sauf deine Pisse alleine, Bauern­lümmel!"

Der Profos schaute gequält drein. „Ich bin nicht vom Lande, Bruder, be­stimmt nicht. Und in dem Fäßchen hier ist Bier, nicht, was du sagst. So was würden wir nicht trinken, ehr­lich. Setzt euch zu uns, wir rücken zu­sammen."

Potter rollte mit den Augen, Es klappte nicht so, wie er sich das vor­gestellt hatte. Er blickte zu Batuti.

„Wir setzen uns nicht mit Niggern an einen Tisch!" zischte er. „Nigger stinken, haben Läuse und Flöhe und-sollten in Schweineställen einge­sperrt werden, wo sie hingehören!"

„Ich habe heute nachmittag geba­det, Sir", sagte Batuti freundlich.

„Stimmt, er hat heute nachmittag gebadet", bestätigte der Profos. „Auch seine Fingernägel hat er gerei­nigt. Und ich kann bezeugen, daß er frei von ansteckenden Krankheiten ist. Wollt ihr euch nun zu uns setzen? Ihr steht schon so lange." Und der Profos lächelte friedlich.

„Die haben Angst", sagte einer ne­ben Potter, ein Kerl mit einem Rat­tengesicht. Und als er dazu grinste, zeigte er ein Gehege fauler Zähne, die wie schwarze Ruinen in seinem Maul standen.

Potter nickte und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich zähle bis drei", sagte er, „und dann seid ihr verschwunden. Verstan­den?"

„Nein, wir möchten gern noch blei­ben und unser Bier austrinken, was wir schon bezahlt haben", sagte der Profos. „Könnt ihr solange warten? Ich mag es nicht, hastig trinken zu müssen. Meine Mamma hat immer gesagt, trink nicht so hastig, Klein-Eddylein, sonst verschluckst du dich, hat sie gesagt. . ."

„Hat sie gesagt, hat sie gesagt!" äffte Potter nach. „Hat dir deine Alte auch gesagt, daß sie 'ne Wanderhure war?"

„Davon ist mir nichts bekannt", sagte der Profos gemessen. „Da mußt du dich täuschen, Bruder."

„Eins!" brüllte Potter wutent­brannt.

Die Arwenacks hoben ihre Humpen und tranken bedächtig, als hätten sie alle Zeit dieser Welt. Dabei erweck­ten sie den Eindruck, als seien die Kerle nunmehr Luft für sie.

„Zwei...!" „Potter!" brüllte der dürre Schank­

wirt und schlug erbittert mit dem Holzprügel auf die Theke. „Wenn du hier Streit anzettelst, rufe ich die Po­lizeibüttel!"

„Halt's Maul, du Pisser!" röhrte Potter. „Ein Wort von unserem Gra­fen, und deine Polizeibüttel wandern selbst hinter Gitter!" Er drehte sich wieder zu den Arwenacks um und brüllte: „Drei!"

Die Arwenacks saßen immer noch.

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„Und jetzt?" fragte der Profos grin­send, ,,Von mir aus zähl ruhig weiter. Oder kannst du nur bis drei zählen, du Affenarsch?"

Potter prallte zurück. „Was sagst du da?"

„Wasch dir die dreckigen Ohren, du Schreihals", sagte der Profos gemüt­lich. „Ihr seid von der ,Arrow', was, wie? Trollt euch an Bord zurück, das ist gesünder für euch. Außerdem müßt ihr übermorgen gegen uns se­geln, und da steht ihr dumm da, wenn ihr dicke Klüsen habt. Und mit den Beleidigungen ist jetzt Schluß, Freundchen, sonst staubt's, wenn wir euch ein bißchen abklopfen."

„Stimmt!" sagte eine klirrende Stimme von der Treppe her.

Potter fuhr herum. Seine Kerle auch.

Der Riese stieg die letzten Stufen hinunter und ging weiter. Eine Gasse bildete sich. Vor Potter blieb der Riese stehen.

„Ich bin Kapitän Killigrew", sagte er. „Die Männer dort am Tisch gehö­ren zu meiner Crew. Ich habe zuge­hört. Deine Beleidigungen sind kaum zu überbieten, mein Freund. Du soll­test die Männer provozieren, nicht wahr? Wer hat das befohlen?"

„Leck mich am Arsch!" brüllte Pot­ter. „Und dir polier ich als erstem das Maul!"

„Versuch's mal", sagte Hasard sanft.

„Drauf, Leute!" brüllte Potter und schwang die Rechte zurück, um sie Hasard ins Gesicht zu schmettern.

Aber sie flog nicht, jemand hielt sie fest wie in einem Schraubstock.

„Immer sachte, Kleiner", sagte der Profos, zog Potter zu sich herum, holte aus und ließ seinen Hammer auf der Plattnase explodieren.

Na, das war doch schon was.

Potter überschlug sich zweimal, krachte auf einen Tisch und blieb auf ihm liegen, und zwar rücklings. Er stierte zum Gewölbe hoch, sah aber in Wirklichkeit nichts, denn wer be­wußtlos ist, hat nicht die Fähigkeit, seine Umgebung wahrzunehmen. Er wäre auch nicht sehr fröhlich gewe­sen, wenn er jetzt hätte zuschauen können. Seine Kerle wurden sozusa­gen aufgemischt.

Hasard war nicht allein erschienen. Sie hatten zwanzig Kerle von der „Arrow" losziehen sehen, und da war er mit Big Old Shane, Don Juan, Jack Finnegan und Paddy Rogers ge­folgt, um das Kräfteverhältnis etwas aufzupolieren. Fünfzehn Arwenacks gegen zwanzig Arrows.

Der Seewolf verschob mit einem Faustschlag dem Rattengesichtigen die Visage und ersparte dem Kerl auf diese Weile - was dessen Zahnruinen betraf - den Feldscher oder irgenei-nen Quacksalber, der die Dinger dem­nächst sowieso hätte ziehen müssen.

Der Rattengesichtige flog der Voll­busigen auf denselben, riß sie samt dem Dicken und dem Stuhl um und spuckte ihr seine Ruinen in den Blu­senausschnitt. Es war dies nicht sehr appetitlich und auch ungehörig, denn ruinöse Zähne haben in Blusenaus­schnitten nun wirklich nichts zu su­chen.

Mac Pellew fand das auch und ge­riet in lodernden Zorn, zumal er si­cher war, daß die Vollbusige in Liebe zu ihm entbrannt war. Er stopfte ha­stig seine Tischdecke zurück in die Jacke, flitzte hoch, sprang zu dem Rattengesichtigen, packte ihn am Kragen und am Hintern wie einen Mehlsack, lüftete ihn an, schwenkte ihn wie einen Pendel und ließ ihn ab­sausen.

Der Rattengesichtige verschwand

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unter dem Tisch in der großen Nische. Sein Pech, daß Pete Ballie ge­nau in diesem Moment aufstand, um sich ins Kampfgetümmel zu stürzen. Pete hatte bis jetzt warten müssen, weil seine Nachbarn links und rechts noch nicht die Bank geräumt hatten oder noch dabei waren.

So stieg denn Pete dem Rattenge-sichtigen mit seinen Latschen auf die Visage, und der Rudergänger der Ar-wenacks hatte nicht nur Fäuste so groß wie Ankerklüsen, sondern auch Latschen, die der Profos mit Themse­kähnen zu bezeichnen pflegte. Das war schon richtig, denn ein Ruder­gänger mußte fest auf den Füßen ste­hen, wenn sein Schiff bei Sturm durch die See torkelte.

Pete wippte ein bißchen auf seinen Themsekähnen und übte somit eine quetschende Wirkung aus, das heißt, er verbreiterte das Rattengesicht. Um beim Tiervergleich zu bleiben: es wurde froschähnlich.

Im Gewölbe des Mister Pickens tobte indessen der Kampf, und der Dürre war im Gegensatz zu seinem Kollegen Pylmson entzückt über das, was sich abspielte, zumal er sein Herz dem Ungetüm geschenkt hatte. War ihm doch von diesem ein prächtiges Goldtalerchen zuteil geworden, das für zehn Bierfässer nobel gereicht hätte.

Und er drosch einem Kerl von der „Arrow" den Holzprügel auf den Kopf, einem Kerl, der zusammen mit Potter hier schon früher herumge­stänkert und ihm die Gäste vergrault hatte.

Heute war Zahltag, denn die Ar­rows hatten ihn geradezu tyranni­siert. Und immer hatten sie mit ihrem Scheiß-Earl-of-Essexgedroht,der nur mit den Fingern zu schnippen brauche, um ihn, Pickens, aus irgend­

einem fadenscheinigen Grund einzu­lochen.

Ha! Prächtige Kerle, diese Bur­schen des Kapitäns Killigrew. Nannte man den nicht den Seewolf?

Der Dürre vergaß genau in diesem Augenblick, daß er einem zu nahe an die Theke geratenen Kerl von der „Arrow" den Prügel zu kosten geben wollte. Und dieser Kerl war drauf und dran, ihm den Prügel zu entreißen, ei­nen feinen Prügel, der Vorteile ver­schaffte, Hartholz aus englischer Eiche. Der Kerl zerrte wie irre.

Einer packte ihn im Genick, zog ihn herum und donnerte ihm die Faust unters Kinn. Der Kerl sauste an der Tresenkante entlang, wischte mit dem Kinn alles weg, was dort an Glä­sern und Flaschen gestanden hatte, und prallte am Ende der Theke in eine Faust, die ein graubärtiger Riese hochzog. Der Kerl wischte wieder zu­rück - schneller als zuvor, weil's nichts mehr abzuräumen gab - und empfing von dem ersten Faustkämp­fer einen Hieb aufs Haupt.

Es war der riesige Kapitän Killi­grew.

Der „Arrow"-Mann, auch einer von den Wüstesten Schlägern dieser Horde, sackte mit glasigen Augen auf die Steinfliesen.

„Sind Sie der Seewolf, Sir?" fragte Pickens begeistert.

Der Riese lächelte. „Man nennt mich so." Und im selben Augenblick glitt Hasard nach rechts - er hatte nur das Entsetzen in den Augen des Dür­ren gesehen, das ihn gewarnt hatte.

Neben seiner linken Schulter zer­splitterte auf dem Tresen ein Sche­mel. Der Hundesohn, der ihm von hin­ten die Sitzkante hatte auf den Schä­del schmettern wollen, wurde vom ei­genen Schwung mitgerissen und flog halb über den Tresen.

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Hasard zog ihn mit der Linken von der Platte, stellte ihn hin und schob ihm die Rechte auf die Nase. Der Kerl kreiselte an der Theke entlang, und Big Old Shane fing ihn am Ende ab, indem er an den Hüften mit beiden Händen zupackte, sich duckte und den Kerl über seinen Kopf nach hinten ins Gewölbe warf.

Einer der steinernen Pfeiler war im Weg, und der war mit einem Kopf nicht zum Einsturz zu bringen, auch nicht mit einem Kopf aus Eisen. Der Kerl verlosch am Fuße des Pfeilers.

„Kopf auf Stein, das laß sein", murmelte Big Old Shane, der sich kurz umgeschaut hatte, und trat ei­nem dicken Kerl von der „Arrow", der mit einem Stuhlbein auf ihn losstürmte, vor den Bauch. Der Dicke pfiff in den höchsten Tönen und krümmte sich zusammen. Old Shane richtete ihn wieder auf. Der Schmied von Arwenack, alt wie er war, hatte noch immer die Kraft von einigen Ochsen. Treffsicher war er auch noch.

Die Faust prallte unter das Kinn des Dicken und hob ihn aus den Stiefeln - zu einem Überschlag rück­wärts. Die Landung erfolgte mit dem Hintern zuerst, auf einem Bierkrug, der dort hingekollert war. Der Feld­scher brauchte später mehrere Tage, um dem Dicken die Splitter aus dem Hintern zu pulen - dies um so mehr, weil Potter am übernächsten Tag bei der Wettfahrt dem Dicken noch ein­mal in den Hintern treten würde, allerdings nicht ahnend, daß er damit die Splitter noch tiefer in den Aller­wertesten trieb.

Innen vor der Gewölbetreppe hat­ten sich Don Juan, Jack Finnegan und Paddy Rogers aufgebaut, um zu verhindern, daß einer der Arrows türmte. Denn sie sollten alle durchge­

mangelt werden. Die drei Arwenacks hatten mächtig zu tun.

Denn trotz zahlenmäßiger Überle­genheit schwante den meisten Ker­len, daß sie hier an erstklassige Kämpfer geraten waren. Dies um so mehr, nachdem gleich zu Anfang ihr Oberraufbold Potter ins zeitweise Aus geschickt worden war. Potter lag immer noch auf dem Tisch und stierte mit glasigen Augen zur Gewöl­bedecke hoch. Sein Ausfall bewirkte das, was man mit Untergrabung der Kampfmoral bezeichnet.

Sie drängelten also zum Ausgang, wurden jedoch teils zurückgeholt, oder teils zurückgeschlagen. Vor al­lem der bullige Paddy Rogers wütete wie ein Berserker. Sonst sehr betu­lich im Denken, zeigte er jetzt eine erstaunliche Fixigkeit mit den Fäu­sten. Und das waren weiß Gott keine weichen Patschhändchen.

Ihm gelang ein Schlag, der den Kerl durchs gesamte Gewölbe bis in den hintersten Winkel fegte - allerdings war da nichts im Weg gewesen, kein Pfeiler, kein Tisch oder Kämpfer. Die Kerle, die dort hinten am Würfeln gewesen waren, sahen nur einen lang­gestreckten Mann vorbeifliegen und zogen die Köpfe ein. Und als es an der hinteren Gewölbemauer bumste, zuckten sie schmerzerfüllt zusam­men, als sei ihr eigener Kopf gegen die Wand geprallt.

Der Kampf dauerte knappe zehn Minuten.

Die Männer, die standen, waren die Arwenacks. Und jene, die auf den Dielen lagen, waren die Arrows.

Der Profos zählte und kam auf vier­zehn Arwenacks. Einer fehlte. Der lag auch, aber auf der Vollbusigen, und er war sehr lebendig, denn er polkte der Lady, die heftig kicherte, schwarze Zahnruinen aus der Bluse.

Page 41: Duell auf der Themse

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Mac Pellew. Immer, wenn er einen Zahn gefun­

den hatte, warf er ihn hinter sich und langte noch tiefer in die Bluse. Der Dicke saß im Schneidersitz neben ihm und schaute wie hypnotisiert zu. Er stierte, und ganz offenbar zwei­felte er an seinem eigenen Verstand. Das war nicht verwunderlich, denn wann hat man in seinem ganzen Le­ben schon mal die Gelegenheit, zuzu­schauen, wie jemand zwischen zwei schwellenden Hügeln nach Zähnen sucht. Normalerweise findet man die Dinger ja in einem Mund, aber nicht dort, wo der andere herumschaufelte.

Auch dem Profos gingen die Augen über. Bei seinem Mackilein war er ja allerlei gewohnt, aber was der da be­trieb, war das Allerletzte. Sie kämpf­ten und schlugen sich die Fäuste wund, und dieser Spillerhering an­gelte in einer Bluse nach verfaulten Zähnen.

Der Profos holte tief Luft, um dem lieben Mac die Flötentöne beizubrin­gen, aber da begann Potter durch die Plattnase zu Schnorcheln - na ja, was man da als etwas Nasenartiges noch bezeichnen konnte. Ein Knubbelchen war's noch, mehr nicht. Er richtete sich zum Sitz auf, wackelte mit dem Kopf, brabbelte etwas Unverständli­ches und blickte sich trübe um. Als sein Blick Carberry erreichte, wak-kelte sein Kopf noch mehr.

Und er spuckte einen Zahn aus. Der dürre Mister Pickens würde beim Ausfegen seiner Pinte eine Menge Zähne finden, bestimmt eine ganze Pütz voll.

Der Profos grinste mit tückischer Freundlichkeit.

„Na, Kleiner? Wie geht's uns denn so?" fragte er.

Potter spie noch einen Zahn aus. „Sag mal", fuhr der Profos fort,

„bist du nicht derjenige, der meine Mutter eine Wanderhure nannte? Dann solltest du dich jetzt entschuldi­gen, denn meine Mutter war eine ehr­bare Frau, und wer sie beleidigt, der beleidigt auch mich. Und ich mag so was nicht. Ich mag auch nicht, daß je­mand meinen Freund Batuti einen Nigger und mich einen Bauernlüm­mel nennt. Und ich mag schon gar nicht, wenn jemand das Maul auf­reißt und mich anstänkert. Möchtest du dich jetzt entschuldigen, Kleiner, oder brauchst du noch ein Hämmer­chen zum Nachdenken?"

Potter entschied sich für das „Häm­merchen zum Nachdenken". Er sagte, etwas undeutlich, weil ihm zwei Zähne fehlten: „Ich brech dir alle Knochen, du Bastard, und in fünf Mi­nuten schwimmst du die Themse ab­wärts, so wahr ich Jeremy Potter heiße!"

Dieser Jeremy Potter überschätzte sich genauso wie sein Herr und Mei­ster, der Graf von Essex. Zwei ausge­schlagene Zähne genügten ihm noch nicht - auch nicht, daß seine Rauf­bolde stumm auf den Steinfliesen la­gen.

„Dann mußt du dich hinterher um­taufen lassen, Jeremy Potter", sagte der Profos und trat einen Schritt zu­rück, weil Potter plötzlich ein Messer in der Hand hatte, vom Tisch rutschte und auf ihn zuschlich.

Er schlich an Mac Pellew vorbei. Der nahm die rechte Hand aus der Bluse der Vollbusigen und zeigte, daß diese Hand noch zu etwas anderem taugte, als zwischen wohlgerundeten Hügeln nach Zähnen zu fummeln. Diese Hand packte energisch zu, um­klammerte den linken Knöchel Pot­ters und riß ihn nach oben.

Potter landete auf der Nase und hatte Glück, daß er sich sein Messer

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nicht in den Hals rammte. Carberry trat es ihm aus der Hand und wartete, bis sich Potter aufgerappelt hatte.

„Das war nicht fair, Potterchen", tadelte er, „aber ich weiß schon -wenn ihr es mit den Fäusten nicht mehr schafft, dann werdet ihr tük-kisch. . ."

Mit einem tierischen Grunzen stürzte sich Potter auf ihn. Der Pro-fos blockte Potters Rechte mit dem linken Unterarm ab und feuerte sei­nen Hammer von rechts unten hoch, verstärkt mit einer Hüftdrehung. Ziel war Potters Kinn. Er traf voll. Der Bootsmann flog zurück auf den Tisch, auf dem er schon einmal ge­träumt hatte, und der Tisch krachte zusammen.

Carberry setzte nach - schließlich hatte er die Themse hinunterschwim­men sollen. Er holte Potter hoch und walkte ihn durch. Zuletzt hakte er ihn mit dem Hosengurt über einen dau­mendicken Nagel in einem der Pfei­ler, wo früher einmal eine Stallaterne gehangen hatte. Nun baumelte dort Jeremy Potter, bei dem - um im Bilde zu bleiben - alle Laternen verlöscht waren.

Grinsend marschierte der Profos zum Tresen. Hasard lehnte dort, den Rücken mit den Ellbogen abgestützt. Er grinste ebenfalls.

„Das war's wohl, Sir", sagte Car­berry.

„Das war's, Ed", sagte Hasard, „und nicht zu knapp. Ob wir jetzt was Scharfes trinken?"

„Das walte König Artus", sagte der Profos lüstern.

„Mann, Mann!" Der dürre Mister Pickens tauchte ab, fischte eine Fla­sche unterhalb des Tresens hervor, baute Gläser in Paradelinie auf der Platte auf, entkorkte die Flasche und ließ sie, angekippt, über die Gläser

wandern. Es waren genau fünfzehn Gläser. Und es ging kein Tröpfchen daneben.

„Rum!" flüsterte der dürre Mister Pickens und schenkte sich das sech­zehnte Glas voll. „Rum vom Besten, Gentlemen. Aus Westindien!"

Da reihten sich die Arwenacks ent­lang am Tresen auf - der eine mit ei­ner Schramme am Kopf, der andere mit einer Beule und der nächste mit einem leicht verfärbten Auge, aber allesamt putzmunter.

Sogar der liebe Mac hatte sich -wenn auch schweren Herzens - von seiner neuen Flamme, der Vollbusi­gen, getrennt. Allerdings hatte er ihr zugeflüstert, daß er übermorgen abend zum Scherzen aufgelegt sei.

„O du Starker!" hatte sie gehaucht. Und sie hatte dabei zärtlich in sein rechtes Ohrläppchen gebissen. Das war Macs einzige Verletzung in die­sem Kampf der Arrows gegen die Ar­wenacks - abgesehen davon, daß ein Liebespfeil sein Herz durchbohrt hatte. Aber wer mochte so etwas schon eine Verletzung nennen!

Der Dicke saß übrigens zu diesem Zeitpunkt immer noch im Schneider­sitz auf den Steinfliesen, das Kinn mit dem angewinkelten rechten Arm auf dem Knie abgestützt, und sin­nierte vor sich hin. Er war dabei, dar­über nachzudenken, wieso und war­um Zähne in Blusen gelangten.

Es war dies doch ein sehr wichtiges Problem. Denn wo führte das hin, wenn sich Zähne dort befanden, wo sie nicht hingehörten! Der Dicke war Schreiber in der Kanzlei eines No­tars. Und als solcher hatte er seine an­geborene Pingeligkeit noch weiter vertieft.

Er wollte die Vollbusige nach der Lösung dieses Problems fragen, aber das Turteltäubchen, mit dem er sein

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Eheweib einmal die Woche betrog, war davongeflogen. Da seufzte der Dicke - und schlief im Schneidersitz ein.

Die Vollbusige hatte sehr genau er­kannt, daß der Dicke ein müder und der Zähnesucher ein sehr feuriger Liebhaber war. Darum hatte sie be­schlossen, dem „Feurigen" bis über­morgen abend die Treue zu halten.

Dieser Feurige stand jetzt neben dem Profos an der Theke und süffelte den Rum aus Westindien, der ein Gaumenschmaus war und die Kari­bik hervorzauberte.

„Ahhh!" seufzte Mac, als er das Glas absetzte.

Der Profos spähte auf ihn hinunter und sagte sachlich: „Dein Ohr ist blu­tig, Mac. Was ist damit?"

Mac stutzte. Dann erinnerte er sich und sagte verzückt: „Sie hat mich dort gebissen, die Geliebte meines Herzens."

„Wer?" Der Profos schaute ver­dutzt. „Unsere Bessy?"

Mac winkte ab. „Nicht meine Bessy. Die andere. Wir treffen uns übermorgen abend. Sie lechzt nach mir, weil sie wie meine Bessy erkannt hat, daß ich der schönste Mann im Königreich bin - und der stärkste. ,0 du Starker', hat sie mir ins Ohr geflü­stert, bevor sie an meinem Ohrläpp­chen knabberte, was mich mit Won­nen erfüllte."

Der Profos starrte stummm vor sich hin. In seinem Kopf törnten die Gedanken und schlugen wilde Kin-ken. Irgendwas stimmte in dieser Welt nicht mehr. Eine Miesmuschel wurde zur Perle, ein Hering zum Kampfstier, der sich am Ohrläpp­chen knabbern ließ - aber immerhin hatte dieser Hering den Potter zu Fall gebracht, als der mit dem Messer auf ihn, den Profos, zugerückt war.

„Danke", sagte der Profos. Zwar wußte Mac nicht, für was sich

der Profos bedankte, aber das spielte auch keine Rolle.

„Oh, gern geschehen", sagte er. „Ja ja", murmelte der Profos, „die

dümmsten Bauern haben die dick­sten Rüben."

Mac erkundigte sich, was der Pro­fos damit meine, aber der sagte: „Ach, nur so."

Der dürre Mister Pickens spen­dierte gerade die nächste Lage Rum, und sie bewunderten seine Kunst, keinen Tropfen danebenzugießen, als die Schanktür polterte und ein Mann in der Kellerschenke erschien.

Gilbert Batten, Hauptmann der Seesoldaten und derzeitiger Kapitän der Prunkyacht „Arrow".

7.

Alle Arwenacks drehten sich zu ihm - und begannen, bis zu den Ohren zu grinsen. Das Gesicht des „Arrow"-Kapitäns war wirklich se­henswert. Er hatte wohl nach seinen Schäfchen schauen wollen, wo die ab­geblieben waren - oder wie weit sie ihr Pensum erfüllt hatten, die Ba­starde von der Schebecke spitalreif zu schlagen.

Das Gegenteil war geschehen. Ungeheuerlich! Unfaßbar! Der Hauptmann stand wie vom

Blitz getroffen und vom Donner er­schlagen. Seine fleischigen Lippen zitterten, die verwässerten Blauau­gen wirkten wie aufquellende Sumpf­blasen kurz vorm Zerplatzen, die Ge­sichtsfarbe wechselte von rot zu lila. Ohne Zweifel hatte er Blutandrang zum Gehirn.

Er tappte zwei, drei Schritte vor, eher mechanisch, als gehorchten

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seine Beine eigenen Gesetzen, aber nicht seinem Willen. Da knirschte es unter seinen Stiefeln, und er zuckte zusammen.

Er war auf eine der Zahnruinen des Rattengesichtigen getreten, aber die war ja ohnehin unbrauchbar gewor­den.

Na, und da hing sein Bootsmann an einem Nagel am Pfeiler wie ein abge­schossenes Karnickel, in der Hüfte abgeknickt, die Arme baumelten ne­ben den Beinen.

„Was - was tut der da?" stotterte der Hauptmann verwirrt.

„Ach, der ruht sich ein bißchen aus, glaube ich", sagte der Profos. „Ken­nen Sie den Mann, Sir?"

„Wie? Was ist?" „Ich fragte, ob Sie den Mann ken­

nen, Sir?" „N-nein. Wie-wieso soll ich den ken­

nen?" „Merkwürdig." Der Profos schabte

sich nachdenklich das Kinn. „Ich meine, daß ich den Mann heute nach­mittag auf Ihrer ,Arrow' gesehen habe."

„Das - das muß ein Irrtum sein." Der Hauptmann begann zu schwitzen und wischte sich hastig die Schweiß­tropfen von der Stirn. Dann wurde er wütend und fragte: „Wer hat den Mann da hingehängt?"

Carberry zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich auch nicht, Sir. Wir ste­hen hier schon 'ne ganze Weile an der Theke und genießen den ausgezeich­neten Rum von Mister Pickens. Vor etwa einer Viertelstunde drehte ich mich zufällig mal um - und da hing der Mann schon an dem Nagel. Na, dachte ich, so was soll's ja geben. Vielleicht, so sagte ich mir, hat er sich selbst da hingehängt, zum Auslüften oder so."

Der Hauptmann fand zu sich selbst

zurück und brüllte: „Wollen Sie mich veralbern, Kerl?"

„Warum regen Sie sich so auf, Sir?" fragte der Profos gemütlich und süf­felte von seinem Rum. „Ich denke, Sie kennen den Mann gar nicht? Dann kann es Ihnen doch egal sein, ob er dort zum Auslüften hängt oder in ei­ner Regentonne badet, was, wie?"

„Hier stimmt was nicht!" schrie der Hauptmann. „Was ist mit den Leuten, die hier herumliegen?"

„Wie soll ich das wissen!" erwi­derte der Profos ein bißchen gereizt. „Fragen Sie die Leute doch selbst. Ich bin für Ihre dummen Fragen nicht zu­ständig."

„Die Leute sind überfallen und nie­dergeschlagen worden!" schrie der Hauptmann.

Jetzt schaltete sich Hasard ein und fragte freundlich: „Waren Sie dabei, Mister Batten? Oder woher beziehen Sie Ihre Weisheit?"

„Das sieht man! Die Leute sind alle schwer verletzt!"

„Na, so was! Vermutlich haben sie sich geprügelt", meinte Hasard grin­send. „Das passiert schon mal in Kneipen, nicht wahr? Da stänkern ein paar Kerle herum, und schon ist die schönste Keilerei in Gange. Es soll auch Schlägerkolonnen geben, die im Auftrag arbeiten und jeman­den verdreschen sollen, der dem Auf­traggeber nicht paßt. Vielleicht sollte man da mal nachhaken. Was meinen Sie, Mister Batten?"

Da saß der „Arrow"-Kapitän in der eigenen Falle und kaute auf seinen fleischigen Lippen herum. Er wußte nicht weiter. Die glorreiche Idee, diese verdammten Landgänger des Kapitäns Killigrew derart zusam­menzuschlagen, daß sie für ein paar Tage das Aufstehen vergaßen, hatte der Graf von Essex gehabt. Und er,

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Batten, hatte den Befehl dazu an Pot­ter, diesen Idioten, weitergegeben.

Und was war daraus geworden? Ein Schlag ins Wasser! Zum Kot­

zen war das! Besser, er verdrückte sich jetzt, bevor dieser scharfe Hund von Killigrew anfing, peinliche Fra­gen zu stellen.

„Habe die Ehre, Sir", schnarrte der Hauptmann, deutete eine Verbeu­gung an, ruckte herum und verließ das Kellergewölbe.

„War mir ein Vergnügen, Mister Batten!" rief ihm Hasard hinterher. „Und grüßen Sie den Grafen sehr herzlich von mir. Er soll sich was Bes­seres einfallen lassen, als seine Rauf­bolde unter Ihrem Bootsmann Potter auf meine Männer zu hetzen!"

„Scheiße", murmelte der Haupt­mann, stolperte an der zweiten Stufe und stauchte sich das linke Handge­lenk, als er seinen Sturz vornüber ab­fangen wollte. Trotzdem knallte ihm eine Stufenkante an die Stirn, und Sternchen flitzten durch seinen Kopf.

An der Theke dröhnte Gelächter auf. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Wie wahr, wie wahr!

Der Hauptmann entschwand tau­melnd.

Die Arwenacks konnten sich wie­der ihrem Rum widmen. Hasard zählte zehn Goldtaler auf die Tresen­platte.

„Für den Schaden, der hier entstan­den ist, Mister Pickens", sagte er.

„Das nehme ich nicht an, Sir", er­klärte der dürre Pickens standhaft. „Daß Sie diese verdammten Kerle von der ,Arrow' verdroschen haben, ist mir den doppelten Schaden wert. Ich habe gehört, daß Sie eine Wett­fahrt gegen die ,Arrow' segeln?"

„Der Graf von Essex hat mich her­ausgefordert."

„Ah! Jetzt verstehe ich. Seine Kerle sollten Ihre Männer zusammenschla­gen, um Ihre Mannschaft zu dezimie­ren, nicht wahr?"

„Stimmt." Hasard lächelte. „Nur haben wir den Spaß umgedreht."

Der dürre Pickens kicherte und sah überhaupt nicht mehr grämlich aus.

„Ich glaube, daß Sie gewinnen, Sir", sagte er.

„So? Und wie kommen Sie dar­auf?" fragte Hasard.

„Der Graf ist kein Seemann, Sir. Er ist weiter nichts als ein Angeber, ein Schaumschläger, mit Verlaub gesagt. Der einzige von denen auf der ,Ar­row', der was von Seemannschaft ver­steht, ist der Bootsmann Potter. Aber der denkt allenfalls von hier bis zum Ende des Tresens. Darüber hinaus ist er überfordert. Ein sturer Ochse ist das."

„Hm-Hm. Und wie ist die Crew?" „Nun ja", erwiderte der Dürre, „die

sind schon bei der Navy gefahren und wurden extra rausgesucht für dieses verdammte Vergnügungsschiff. Aber das sind faule Hunde geworden, wie das so ist, wenn sie den Grafen und seine Zechkumpane alle Wochen mal über die Themse kutschieren müssen zu irgend 'ner Lustfahrt oder so. Da sind dann auch Frauenzimmer an Bord - na, Sie wissen schon, Sir." Der Dürre schüttelte den Kopf. „Keine gute Crew. Klauen dem lieben Gott die Zeit, die Kerle, spielen sich hier in den Hafenschenken auf, als seien sie was Besseres, und hängen sonst nur rum - bis auf die paar lächerlichen Themsefahrten. Da fragt sich unser­einer, was das alles soll."

„Das fragen wir uns auch", sagte Hasard. Er drehte sich um, weil der Profos ihn anstieß und zum Pfeiler deutete.

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Dort begann Potter zu zappeln und zu zucken.

„Soll ich ihn abhaken, Sir?" fragte Carberry.

Hasard nickte. „Vielleicht wird er ja wieder frech",

sagte Carberry voller Hoffnung. „Dann kann ich ihn noch mal ein biß­chen herumschubsen."

Dem war nicht so. Als er Potter hin­gestellt hatte, ging der in die Knie, als sei da nur noch Pudding drin.

„So was", murmelte der Profos und übte mit Potter ein paarmal das Auf­stehen. Es klappte nicht. Der Boots­mann sackte immer wieder in sich zu­sammen.

Schließlich goß ihm der Profos eine Pütz mit kaltem Wasser über den Kopf. Da kroch der Bootsmann auf allen vieren zur Treppe, und wie ein Wurm schob er sich auch die Stufen hoch. Sie folgten einer dem anderen -ein regelrechtes Krückengeschwader. Die Arwenacks nahmen die Parade ab.

Einige krochen - gleich ihrem Bootsmann. Andere wankten gram­gebeugt der Treppe zu. Oder sie hink­ten. Das war ein einziges Ächzen, Stöhnen, Jammern und Klagen.

„Hopp-hopp!" rief der Profos auf­munternd, aber vergeblich. Sie schleppten sich dahin, als hingen an ihren Füßen schwere Eisenketten.

Der Dicke, der sich auf den Hum­pen gesetzt hatte, jammerte: „Oh! Oh!" Und er ging, als habe er die Ho­sen voll.

Sie hatten verschobene Nasen, schiefe Kinne, dicke, verfärbte Klü­sen, aufgeplatzte Lippen und zer­beulte Wangen. Prächtig sahen sie aus, bunt gescheckt und so richtig far­benfroh. Bei manchen hätte man mei­nen können, sie trügen ihren Kopf un­term Arm.

Der Mister Batten würde seine helle Freude haben, wenn sie an Bord wackelten, der Graf vielleicht auch, wenn er noch anwesend war. Und vielleicht war der Koch am Morgen so freundlich und kochte ihnen einen Grießbrei oder irgendeine weiche Pampe, denn mit dem Beißen würden sie arge Schwierigkeiten haben.

Die Nachhut bildete der Rattenge-sichtige, dessen Visage aber frosch­ähnlich geworden war. Er schob sich unter dem Tisch hervor, peilte mum­melnd die Lage, was mit verquol­lenen Klüsen nicht leicht war, und kroch ebenfalls auf allen vieren zur Treppe. Der Profos hätte ihm liebend gern in den Hintern getreten, um sei­nen Abgang zu beschleunigen, aber der Gegner war restlos geschlagen und auf dem Rückzug. Da verbot es sich, ihm noch weiter zuzusetzen. Das Schinden oder Quälen von Menschen, die kapituliert hatten, war nicht ihre Sache.

Die zehn Goldmünzen blieben den­noch bei Mister Pickens. Hasard sagte ihm, er könne ja für übermor­gen ein Wettbüro eröffnen und die Talerchen auf ihren Sieg setzen. Da hatte Pickens begeistert zugestimmt.

Es war die zweite Stunde nach Mit­ternacht. Über die Themse zogen Ne­belschwaden. Es herrschte ablaufen­des Wasser, und die Strömung gur­gelte und schlürfte am Rumpf der Schebecke. Die Festmacher ächzten und knarrten.

Vorn gingen Nils Larsen und Sven Nyberg, die beiden Dänen, die Hun­dewache von Mitternacht bis vier Uhr morgens. Achtern waren Dan O'Flynn und Batuti aufgezogen. Der Rest der Crew horchte die Kojenma-

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tratzen ab, nachdem Hasard und die Landgänger grinsend berichtet hat­ten, wie das „Durchmangeln" der Ar­rows verlaufen war.

Die vier Wachgänger hatten sich in dicke Segeltuchjacken gehüllt und Wollmützen über die Köpfe gezogen. Diese Aprilnächte in London waren lausig kalt - und feucht. Überall glit­zerte Tau.

Die Schebecke lag mit der Steuer­bordseite an der Pier, den Bug strom­aufwärts gerichtet. An die hundert­fünfzig Yards hinter ihr war die „Ar­row" vertäut. In den Nebelschwaden und der Dunkelheit war von ihr nichts zu sehen.

Aber zu hören war etwas. Batuti hatte unheimlich scharfe Ohren. Er stieß Dan an und flüsterte: „Aus Richtung der ,Arrow' höre ich etwas - Riemenschläge und schäumendes Wasser."

Dan beugte den Kopf vor und lauschte aufmerksam. Nach einer Mi­nute nickte er und flüsterte: „Stimmt. Da wird ein Boot gegen das ablau­fende Wasser und die Strömung ge­pullt. Die sind ja bescheuert! Wetten, daß die 'ne halbe Stunde bis zu uns brauchen?"

„Die Wette gewinnst du", entgeg­nete Batuti. „Und du hast recht, der Besuch gilt uns. Um diese Zeit kann es sich nur um 'ne Sauerei handeln, die diese Kerle planen. Soll ich den Kapitän Wahrschauen?"

„Besser ist besser. Und sag auch gleich Nils und Sven Bescheid."

Batuti zeigte klar und huschte laut­los davon. Dan zog seine Pistole und überprüfte sie. Das Quietschen der Riemen in den Rundseln wurde deut­licher.

Diese Idioten haben es noch nicht mal für nötig gehalten, die Leder­

manschetten mit Öl zu tränken, dachte Dan O'Flynn.

Es handelte sich um die lederne Ummantelung der Riemen dort, wo sie in den Rundsein des Dollbords lagerten, eine Schutzmaßnahme, um das Riemenholz an dieser Stelle der Beanspruchung zu schonen. Tränkte man die Ledermanschetten mit Öl oder rieb sie mit Fett ein, dann war das Geräusch der sich in den Rund­sein bewegenden Riemen kaum zu hören.

Dan O'Flynn wunderte sich einmal mehr über die schlampige Nachläs­sigkeit dieser Kerle. Es verriet eine ganze Menge - unter anderem auch die Tatsache, daß es den Kerlen ganz erheblich an Kampferfahrung man­gelte. Im Ernstfall würden sie ins offene Messer laufen, wenn sie sich auf diese Weise einem Gegner näher­ten.

Ferner war es schlichtweg schwach­sinnig, gegen: ablaufendes Wasser und Strömung zu pullen - dies aus zweierlei Gründen. Zum einen pull­ten sich die Kerle die Seele aus dem Leib und waren am Ziel außer Puste, und zum anderen hätten sie wissen müssen, daß ein Gegenanpullen ge­gen die Strömung klatschende Ge­räusche am Vorsteven des Bootes erzeugt.

Ein Gleiten mit der Strömung ist lautlos, ein Gegenan verursacht das, was Batuti als „schäumendes Was­ser" bezeichnet hatte. Das Aufschäu­men erklang in rhythmischer Folge, nämlich immer dann, wenn die neu einsetzenden Riemen dem Boot einen Pull voraus gaben.

Einmal riß ein Nebelschwaden auf und gab für einen kurzen Augenblick die Sicht auf das Boot frei. Dan O'Flynn zählte acht Mann an den Riemen, vier auf jeder Seite, und zwei

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Kerle auf der Achterducht, von de­nen einer die Pinne hielt.

Also zehn, dachte Dan, und das reichte eigentlich nicht, um die Sche-becke zu entern - aus welchen Grün­den auch immer. Konnte natürlich sein, daß sich andere Kerle über die Pier der Schebecke näherten.

Neben Dan tauchte Nils Larsen auf. Dan flüsterte ihm zu: „Husch auf

die Pier, Nils. Möglich, daß sich dort Kerle anschleichen. Im Boot sind nur zehn."

„Verstanden!" Auch Nils ver­schwand lautlos. Dan bemerkte noch, daß er seine Pistole gezogen hatte.

Dan O'Flynn grinste vor sich hin. Das war's eben. Bei den Arwenacks

wußte jeder, was zu tun war im richti­gen Moment und an der richtigen Stelle. Erfahrung nannte man das. Und sie waren in zu vielen höllischen Situationen gewesen. Die ganzen bis­herigen Fehler dieser Arrows wären ihnen nicht passiert. O ja, dafür hat­ten sie Lehrgeld zahlen müssen. Von nichts kommt nichts.

Und die Arrows hatten dem süßen Leben gehuldigt. Hasard hatte be­richtet, was von Pickens über diese Crew gesagt worden war.

Da tauchte auch schon der Seewolf neben Dan auf.

„Na?" flüsterte er. „Eine Jolle wird auf uns zugepullt,

acht Mann an den Riemen, zwei ach­tern", sagte Dan O'Flynn. „Habe Nils auf die Pier geschickt, falls von da Kerle anrücken."

„Sehr gut. Hatte schon den gleichen Gedanken und habe Carberry wek-ken lassen. Er sichert dort mit Plym-mie und den Junioren. Auch die Män­ner sind gewahrschaut."

Dan blickte sich um. Na, das klappte wie das Brezelbacken. Da hockten bereits Gestalten längs der

beiden Schanzkleider, bereit, wie die Teufel hochzufahren, sobald an einer Stelle Gefahr im Verzuge war.

„Bin gespannt, was die beabsichti­gen", wisperte Hasard und spähte in die Richtung, aus der nun wirklich unüberhörbar ein Boot herangepullt wurde. „Diese Töpfer!" setzte der Seewolf hinzu und schüttelte den Kopf. „Armes England!"

„So etwas Ähnliches dachte ich auch", flüsterte Dan O'Flynn. „Die haben noch 'ne Menge zu lernen."

Wieder zerfaserte ein Nebelschwa­den für kurze Augenblicke, und Ha­sard sah das Boot - und noch etwas.

„Hast du gesehen, was ich gesehen habe?" flüsterte er.

„Du meinst den Draggen vorn im Bug?"

Hasard nickte. „Nicht nur den - die Menge Tau, die dranhängt!"

Das war's also - oder konnte es sein.

Dan O'Flynn hatte richtig ge­schätzt. Die Jolle brauchte etwa eine halbe Stunde, bis sie fast am Heck der Schebecke war. Zu diesem Zeit­punkt lagen Hasard und Dan O'Flynn auf der achteren Gräting - jenem Teil der Schebecke, die als eine Art Deck als Fortsetzung des Quarterdecks über das runde Heck - und das Ru­derblatt hinausragte.

Unter sich hatten sie das gewür­felte Muster der Gräting, durch deren Quadrate sie aufs Wasser hinunter­schauen konnten - an die drei Yards von der Wasseroberfläche entfernt. Im übrigen lagen sie längsseits jener Spiere, die mittschiffs vom Beginn der Gräting weit über das Heck hin­ausragte - als eine Art Heckspriet. Auf ihr wurde hinter dem Heck das Schothorn des Besansegels fixiert, beziehungsweise das Besansegel ge­trimmt. Neben dieser Spiere liegend,

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wirkten sie beide wie die Wurst eines aufgetuchten Segels oder einer zu­sammengerollten Persenning.

Wie auch immer, niemand, der von unten durch die Quadrate der Grä­ting nach oben schaute, würde ver­muten, daß dort zwei Männer lagen.

Hasard und Dan spähten aus zu Schlitzen geschlossenen Augen nach unten und schauten und hörten zu, was sich dort tat.

Einer der beiden Kerle, die achtern saßen, hatte sich inzwischen zum Bug begeben und langte mit einem Boots­haken nach einem oberen Fingerling des Ruderblatts. Als er hakte, zog er das Boot heran. Die Kerle brauchten nicht mehr zu pullen. Das Boot be­fand sich in Lee der Strömung - von dem Rumpf der Schebecke abge­deckt.

Ein zweiter Mann, der vordere an Backbord, stand auf und stieg zum Bug. Dort nahm er das lose Ende des Taus auf, an dem der Draggen ange­schlagen war.

„Mach schon!" zischte der Kerl an der Pinne. Er schien ziemlich nervös zu sein.

„Reg dich ab", erklärte der Kerl, der das Draggentau in der Hand hielt. „Die pennen wie die Murmeltiere, diese Scheißer!"

Er beugte sich im Bug vor, außen­bords, und fummelte am Ruderblatt der Schebecke herum, tastete es ab und langte mit dem rechten Arm da­bei tief ins Wasser.

„Scheiße", sagte er, „muß doch ins Wasser. Das kostet 'n Rum extra."

Der Kerl an der Pinne stöhnte. „Quatsch nicht soviel! Beeil dich!"

„Krieg ich nun 'n Rum extra oder nicht? Wenn nicht, kannst du ja ins Wasser."

„Ja, kriegst du!" zischte der Kerl an

der Pinne. „Aber wir wollen hier keine Wurzeln schlagen."

Ein anderer Rudergast mußte ihm helfen. Er hielt solange das Draggen­tau, bis sich der Kerl vorn am Bug ins Wasser gelassen hatte.

„Scheißkalt!" fluchte der Kerl im Wasser. „Da friert man sich was ab." Bei seinen Formulierungen schien er eine Vorliebe für jenes Wörtchen zu haben, mit dem man das Endprodukt der menschlichen Verdauung in der Vulgärsprache bezeichnet.

Er empfing das Tau und tauchte mit ihm, sich am Ruderblatt festhal­tend, unter Wasser. Blasen blubber­ten nach oben. Der andere im Bug schob Lose vom Draggentau nach, das im Vorraum des Bugdreiecks auf­geschossen war. Die Buchten lagen ziemlich hoch übereinander und ver­rieten eine beträchtliche Länge des Draggentaus.

Der Kerl tauchte schnaufend und prustend wieder auf und reichte das Ende des Taus dem anderen Mann im Bug.

„Alles klar", sagte er keuchtend. „Scheißthemsewasser." Er bewegte sich um Boot und hängte sich ans Dollbord. Zwei Kerle zogen ihn bin-nenbords.

Der Kerl, der das Tau empfangen hatte, schlug mit dem Ende einen lau­fenden Pahlstek ins Tau und zog das so gebildete Auge straff. Jetzt lag un­terhalb der Wasserlinie eine Schlinge um das Ruderblatt der Schebecke.

Der Taucher hatte das Tau durch den Zwischenraum zwischen Achter­kante Steven und Vorkante Ruder­blatt gesteckt und wieder mit nach oben genommen, wo der andere nur den Pahlstek zu schlagen brauchte.

Hochrutschen konnte die Schlinge nicht, weil sich über ihr ein Ruder­beschlag mit Fingerling und Öse be-

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fand, jene Einrichtung, welche die Drehachse des Ruderblatts bildet. Das Ruder der Schebecke hing an ins­gesamt vier Beschlägen mit den ent­sprechenden Fingerlingen und Ösen.

Der Kerl mit dem Bootshaken konnte jetzt loslassen. Er packte beim Draggentau mit zu, an dem sie sich achteraus sacken ließen, während sie gleichzeitig weitere Lose ins Tau ga­ben. Ruckweise verschwand das Boot themseabwärts und tauchte in den Schwaden unter. Am Ende des Taus befand sich der Draggen. Den brauch­ten sie dann nur über Bord zu werfen.

8.

„So ist das also", sagte Hasard grin­send und rappelte sich auf. „Keine schlechte Idee von den Gentlemen."

„Was ist los?" Ben Brighton tauchte auf dem achteren Grätings­deck auf.

Don O'Flynn feixte. „Die Kerle ha­ben uns einen Draggen ans Ruder­blatt gebunden - mit entsprechender Leine. Wenn da Zug draufkommt, wird uns das Ruderblatt weggebro­chen. Wenn nicht, hängen wir zumin­dest am Draggen fest. Und das Tau zu ihm befindet sich unter Wasser. Da gelangst du nicht so leicht ran, um es zu kappen."

„Na, fabelhaft", sagte Ben Brighton und grinste ebenfalls. „Wie wär's denn, wenn wir den Spieß gleich wie­der umdrehen und der ,Arrow' den Draggen ans Ruder hängen?"

„Ben Brighton, du bist ein böser Bube", sagte Hasard streng, aber mit tausend Lachteufelchen in den Au­gen. „Ich gebe zu, daß mich das auch reizen würde - immer nach dem Motto, mit gleicher Münze zurück­zahlen." Er schüttelte den Kopf. „Bei

allem Jux, den wir dabei hätten, finde ich, wir sollten es lassen. Der ,Arrow' würde wahrscheinlich - wie bei uns - das Ruder zu Bruch gehen, und damit wäre die Wettfahrt zumin­dest unentschieden. Ich will sie aber segeln, um diesen arroganten Essex zu blamieren, und zwar bis auf die Knochen. Dazu gehört eine saubere Wettfahrt unsererseits - ohne Haken und Ösen. Den Draggen fischen wir raus. Den überreiche ich dem einge­bildeten Pinsel nach der Wettfahrt und im Beisein Bessys. Was hältst du davon?"

„Ausgezeichnet", erklärte der Erste begeistert. „Fischen wir ihn gleich raus?"

„Das war meine Absicht." „Deine? Wieso deine? Willst du

selbst ins Wasser?" „So ist es, mein Guter. Ein Kapitän

muß immer das leuchtende Vorbild für seine Mannen sein."

„Du lieber Gott! Hast du bei Pik­kens zuviel Rum getrunken?"

„Ich habe mich zurückgehalten", sagte Hasard fromm, „um auch in die­sem Fall leuchtendes Vorbild zu sein."

„Leuchte hin, Leuchte her, auch ein Erster muß leuchten. Also überlaß das mir, ins Wasser zu steigen." Ben Brighton drehte sich um, weil Dan O'Flynn, der kurz verschwunden war, wieder auftauchte, eine zusammenge­rollte Jakobsleiter unter dem Arm. „Was soll das denn?"

„Dusselige Frage", brummte Dan, „ich steig runter, um den Pahlstek aufzufieseln."

„Auch so ein leuchtendes Vorbild", stöhnte der Erste.

„Wie bitte?" „Ach nichts. Der Kapitän wollte

runter." Dan O'Flynn schielte zu Hasard,

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der Mühe hatte, sein Prusten zu unterdrücken. „Das soll er lieber den jüngeren Jahrgängen überlassen", sagte er sachlich.

„Na, wenn das so ist!" Und der Ka­pitän kollerte wie ein Truthahn, der Erste nicht minder, nur um einen hal­ben Ton tiefer.

„So was Albernes", tadelte Dan O'Flynn kopfschüttelnd, schlug die Jakobsleiter am Schanzkleid in Höhe des Ruderblatts an, ließ sie hinunter, zog sich die Seestiefel aus und enterte ab. Weg war er.

„Ist doch gut, wenn unsereiner trok-ken bleiben kann", sinnierte Hasard.

„Du sagst es." Sie beugten sich übers Schanzkleid

und schauten nach unten. Dans heller Haarschopf verschwand gerade unter Wasser. Die Jakobsleiter ruckte und wackelte. Es dauerte nicht lange dann tauchte Dan wieder auf, das Ende des Draggentaus in der Rech­ten. Er enterte hoch. Ben beugte sich ihm entgegen und nahm das Ende in Empfang. Er belegte es zunächst an einer Klampe.

Dan sprang an Deck und schüttelte sich wie ein nasser Hund.

„Marsch unter Deck und Klamot­ten wechseln", befahl Hasard. „Und laß dir vom Kutscher einen Rum ein­schenken. Wenn er meckern sollte, stoß ihm Bescheid. Sag ihm, er kriegte es mit mir zu tun."

„Aye, aye, Sir." Dan schnappte sich seine Seestiefel und sauste ab. Ein bißchen hatte er mit den Zähnen ge­schnattert.

Die Vorposten auf der Pier waren wieder an Bord. Den Alarm hatte Ha­sard abblasen lassen. Nach dieser Schurkerei mit dem Draggen rech­nete er mit keinen weiteren Vorfäl­len.

Jetzt hängten sich ein paar Mannen

an den Draggentau und holten es durch. Konnte sein, daß sich der Draggen irgendwo verfing, aber es gab nur einmal einen kurzen Wider­stand, dann konnten sie weiter durch­holen. Allerdings mit etwas mehr Kraftaufwand.

„Da hängt was dran", brummte der Profos.

„Bestimmt 'ne tote Wasserleiche", sagte Old O'Flynn mit Grabes­stimme.

„Gibt's vielleicht auch 'ne leben­dige Wasserleiche?" fuhr ihn der Pro­fos an.

Na, da waren sie wieder beim Thema, das schon einen Bart bis sonstwohin hatte. Bei Old Donegal gab's eben nur „tote" Leichen, das saß bei ihm fest, und niemand ver­mochte ihn zu überzeugen, daß das „doppelt gemoppelt" sei, also ein wei­ßer Schimmel.

Eine wilde Diskussion über dieses unerschöpfliche Thema erübrigte sich zum Glück, denn an dem Drag­gen hing keine „tote Wasserleiche", sondern eine verrostete Schatulle.

Daß sie Silbermünzen enthielt, brachte die Arwenacks schier aus dem Häuschen. Da hatten ihnen die Arrows wirklich etwas Feines be­schert. Es handelte sich um Münzen aus der Zeit Heinrich VIII., des Va­ters der königlichen Bessy oder Lissy, der 1547 verschieden war. Das Wasser hatte zwar an der Schatulle genagt und das Eisen zum Teil zer­fressen, aber die Münzen waren völ­lig unbeschadet, weil ihr Besitzer oder wer auch immer sie in Wachstü­cher verpackt hatte.

Natürlich teilten sich die Arwe­nacks den unerwarteten Fund, der ih­nen sozusagen in den Schoß gefallen war. Indessen betrachtete Hasard den vierarmigen Draggen und stellte

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mit Genugtuung fest, daß am Schaft der Name des Schiffes eingraviert war: „Arrow". Auf einen solchen Be­weis hatte er gehofft, und nun hatte er ihn.

„Der wird sich noch wundern, der Lump", knurrte er.

Der Tag der Wettfahrt - des Duells auf der Themse - brachte eitel Son­nenschein und einen handigen Wind aus Südwesten. Die Arwenacks wa­ren ausgeruht und seit sechs Uhr morgens auf den Beinen. Vorfälle sei­tens der Arrows hatte es nicht mehr gegeben. Der werte Earl vertraute wohl auf die ruderbrechende Wir­kung des Draggen. Ob er Fahrwasser­zeichen hatte versetzen lassen, würde sich noch herausstellen.

Klar, daß sie ihre Schebecke von den Toppen bis zum Kielschwein und von vorn bis achtern gründlich über­prüft hatten, ebenso die Segel sowie das laufende und stehende Gut. Die Decks waren sauber aufgeklart, die Culverinen fest verzurrt, Fallen und Schoten und sonstigen Leinen aufge­schossen - sogar der in diesen Dingen stets mäkelige Profos war zufrieden.

Gegen acht Uhr rollte eine Kutsche auf die Pier, der zwei Gentlemen ent­stiegen. Sie verabschiedeten sich von­einander, der eine ging zur „Arrow", der andere marschierte auf die Sche­becke zu.

Hasard kniff die Augen zusammen. Von irgendwoher kannte er diesen schlanken, drahtigen Mann, der schon von weitem lächelte.

An der Stelling stierte ihm der Pro­fos entgegen, ebenfalls mit zusam­mengekniffenen Augen.

„Da laust mich doch ein Äffchen", brummelte er.

Und schon stand der Mann vor ihm und schmetterte: „Marc Corbett, Cap­tain der Royal Navy, als Wettkampf­beobachter von Ihrer Majestät ab­kommandiert auf die Schebecke von Kapitän Killigrew! Bitte gehorsamst an Bord kommen zu dürfen!"

„Aye, aye, Sir!" schmetterte der Profos strahlend zurück. „Herzlich willkommen an Bord! Was freue ich mich, Sie wiederzusehen, Sir!"

„Und ich erst!" Marc Corbett, vor vier Jahren

Erster Offizier auf der englischen Kriegsgaleone „Orion" und jener Mann, der sich mit entschlossener Zi­vilcourage gegen die Machenschaften des Adelsclique gestellt hatte, die ausgezogen war, um den Seewolf zu fangen, der angeblich ein Verräter sein sollte, die aber tatsächlich nur scharf darauf gewesen war, sich an der Schatzbeute der Arwenacks zu vergreifen.

Für die Engländer war dieses Un­ternehmen zu einem totalen Fiasko geworden. Der tapfere und aufrechte Marc Corbett hatte mit den überle­benden Männern auf einer spani­schen Galeone, die von der Roten Korsarin erbeutet worden war, nach England zurückkehren können.

Und nun stand dieser Mann hier, abgeteilt von der Königin als Beob­achter während der Wettfahrt. Einen besseren Mann an Bord hätten sich die Arwenacks nicht wünschen kön­nen. Da hatte die Königin einen klu­gen Griff getan. Es hätte ja auch sein können, daß von ihr als Beobachter einer dieser adligen Hohlköpfe ausge­sucht worden wäre, einer von denen, die sich ihren Rang bei der Marine mit dem Geld aus Vaters Schatulle er­kauft hatten, aber von der Seefahrt soviel verstanden wie der Ochse vom Flötenspiel.

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Nein, zu denen gehörte dieser Mann mit den graugrünen Augen und dem scharfgeschnittenen Gesicht nicht. Der hatte sein Handwerk von der Pike auf gelernt und war mehr wert als zehn Earls of Essex.

Hasard und Marc Corbett umarm­ten sich und klopften sich die Schul­tern ab.

„Wenn Essex das sieht", sagte Ha­sard lachend, „dann wittert er be­stimmt, daß ich Sie bestechen will, Marc."

„Nicht nötig, Sir", sagte Corbett lä­chelnd. „Sie gewinnen - ich war im letzten Jahr im Mittelmeer und habe die Schebecke kennengelernt. Sie lau­fen der ,Arrow' auf und davon. Der Graf ist ein Esel, und es wird Zeit, daß er mal gehörig geduckt wird, ganz abgesehen davon, daß er eine seemännische Null ist. Die meisten meiner Offizierskameraden denken so - uns steigt die Galle hoch, wenn wir dieser Prunkkutsche auf der Themse begegnen und ausweichen müssen. Ich garantiere Ihnen, daß er sich nicht an die vereinbarten Vor­fahrtsregeln hält."

Hasard nickte. „Weiß ich. Er hält sich an gar nichts. Vorgestern abend wollte er zehn meiner Landgänger von zwanzig Kerlen aus seiner Crew spitalreif schlagen lassen. Wir dreh­ten den Spieß um - heute wird er an denen keine rechte Freude haben, zer­beult wie die sind, am meisten der Bootsmann Potter."

„Potter?" fragte Marc Corbett überrascht. „Das ist einer der übel­sten Schläger hier im Hafengebiet. Na, das gönne ich dem Kerl. An den trauen sich sonst keine fünf ausge­wachsenen Männer ran."

„Das hat unser Profos allein be­sorgt", sagte Hasard grinsend. „Pot­ter ist nur noch auf allen vieren aus

der Kneipe gekrochen, mehr war nicht drin."

Marc Corbett pfiff durch die Zähne. „Donnerwetter! Alle Ach­tung! Das hat noch keiner geschafft."

„Was die üblen Tricks betrifft", sagte Hasard, „hatten wir in dersel­ben Nacht noch einen Vorfall. Die Kerle hängten uns einen Draggen an langer Leine ans Ruderblatt.. ."

Corbetts Augen waren schmal ge­worden. „Verdammt, können Sie das beweisen, Sir?"

„Klar", erwiderte Hasard gelassen. „Wir lösten die Leine und holten den Draggen hoch. Der Name ,Arrow' ist am Schaft eingraviert. Der Draggen liegt samt Leine unter Deck."

„Das melde ich sofort dem Schieds­gericht", sagte Corbett. „Dieses Schwein! Mit der Schlägerei und die­ser üblen Sache hat er sich bereits jetzt schon disqualifiziert. Die Wett­fahrt braucht nicht mehr stattzufin­den. Er ist der Verlierer."

„Sicher ist er das", sagte Hasard ru­hig, „aber die Wettfahrt findet statt, Marc. Ich will nicht wegen dieses lä­cherlichen Draggen gewinnen - oder wegen einer Keilerei, bei der wir so­gar unseren Spaß gehabt haben. Ich will gewinnen, um die Dummheit die­ses gräflichen Schnösels zu beweisen. Und den Draggen präsentiere ich ihm, wenn die Wettfahrt Vorbei ist."

„Ah! Verstanden!" Die wütenden Züge Corbetts glätteten sich. Dann rieb er sich die Hände. „Ja, das ist gut. Damit stürzt er noch tiefer vom eingebildeten Thron. Alles klar, Sir. Übrigens, das muß ich Ihnen noch sa­gen, bei der Navy ist seit vorgestern . das Wettfieber ausgebrochen. Die meisten setzten auf Ihren Sieg."

„Auch ein Grund, die Wettfahrt zu segeln", sagte Hasard trocken. „Ich will keinen enttäuschen." Er blickte

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zur Towerpier und wurde etwas blaß. „Du meine Güte!"

Da spielte sich so etwas wie ein mittlerer Volksaufmarsch ab - nicht nur dort! Soweit das Auge reichte: am Themseufer, hüben wie drüben, versammelten sich Menschen.

Marc Corbett räusperte sich. Dann sagte er: „Ihre Majestät geruhten be­reits vorgestern nachmittag, der Be­völkerung von London bekannt zu ge­ben, daß heutigen Tages eine Wett­fahrt zwischen dem Earl of Essex und Kapitän Killigrew stattfinden werde und jeder Bürger herzlich eingeladen sei, diesem Ereignis beizuwohnen. Selbiges wurde von Herolden meh­rere Male und auch gestern und heute morgen noch einmal verkündet. Ist Ihnen nicht wohl, Sir?"

„Ich brauche einen Rum", sagte Ha-sard ächzend. „Ist Bessy verrückt?"

„Sie erfreut sich bester Gesundheit, Sir", sagte Captain Corbett gemes­sen.

Hasard erhielt seinen Rum. Er brauchte ihn wirklich dringend - und er pfiff auf das „leuchtende Vorbild". Der Kutscher brachte ihm den Rum auf einem silbernen Tablett und be­nahm sich wie ein Butler mit „Sir" vorne und „Sir" hinten.

Philip Hasard Killigrew, zum Rit­ter geschlagen von der Königin Elisa­beth hier an dieser Towerpier, sagte laut und deutlich: „Scheiße, ver­dammt noch mal!" Und dann trank er den Rum.

Um einhalb zehn Uhr ging er über die Stelling zu der königlichen Kutsche, verbeugte sich vor Ihrer Majestät und überreichte ihr, wie ver­einbart, die Wettkampfgebühr in Höhe von fünftausend Pfund.

Die Königin blitzte ihn an und sagte: ,,Wenn du nicht gewinnst, Re­bell, dann ...''

„ . . . holt mich der Teufel", unter­brach Hasard ruppig, blitzte mit sei­nen eisblauen Augen zurück, drehte sich um und marschierte durch ein Spalier von drängelnden Menschen, die von der Garde nur mühsam zu­rückgehalten wurden, zur Schebecke.

„Dem Seewolf, Kapitän Killigrew, ein dreifaches Hurra - hurra -hurra!" brüllte in der Menge ein Mann, und die Menge brüllte mit.

Hasard erspähte den Mann. Er war dürr, aber nicht grämlich. Er glühte und winkte wie ein Irrer. Hasard winkte zurück. Der gute Pickens. Be­stimmt hatte er eine prächtige Börse mit den zehn Goldtalerchen eröffnet.

Hasard erreichte die Stelling. „Buuuh!" ertönte die Menge. Hasard schaute sich erstaunt um.

Ach ja, das galt nicht ihm. Der Graf von Essex tänzelte auf die königliche Kutsche zu, geziert, affektiert, ge­spreizt. Hasard hatte Seestiefel an, blaue Hose, weißes Hemd und dar­über den ledernen, ärmellosen Kol­ler. Der Graf war gekleidet, als schreite er zum königlichen Ball. So­gar eine blondgelockte Perücke hatte er auf. Und darüber einen Hut mit wallenden Federn.

Hasard atmete tief durch - und fauchte Carberry an, der an der Pier stand: „Setzt im Großtopp die Flagge mit dem Georgskreuz - und an der Besangaffel unsere Korsarenflagge, verdammt noch mal!"

Carberry war noch nie so schnell geflitzt.

9.

Von Westminster dröhnte der eherne Glockenschlag über den Ha­fen und die Kais. Auf der Schebecke lauerten die Arwenacks wie Tiger be-

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reit zum Sprung. Kein Wort fiel. Auf der „Arrow" wurde gebrüllt, dazwi­schen war die quäkende und nör­gelnde Stimme des Grafen herauszu­hören. Auf der Schebecke rührte sich niemand.

Das wurde jäh anders, als der zehnte Glockenschlag ertönte. Wie ein Blitz war Gary Andrews auf die Pier gehuscht und warf die Vorleine los. Gleichzeitig stemmte der Profos mit gewaltiger Kraft den Bug mit ei­ner Spiere von der Pier ab. Die Ach­terleine blieb noch belegt. Dort stand Stenmark auf der Pier bereit.

Es war wieder ablaufendes Wasser. Der Bug der Schebecke schwang auf die Flußmitte zu. Als er nach Südwe­sten zeigte, glitten die Lateinersegel an allen drei Masten hoch und wur­den durchgesetzt. Stenmark warf die Achterleine los und setzte mit einem gewaltigen Sprung hinüber auf die Achterdecksgräting. Die Schebecke fiel ab. Gary Andrews war längst an Bord und hing mit zwei Arwenacks an der Fockschot. Sie trimmten sie so, daß sie wie ein Hebel wirkte und den Bug der Schebecke noch schneller herumholte - bis zum Backstags­wind.

Da war die Schebecke bereits in ei­nem eleganten Bogen bis zur Fluß­mitte herumgeschwenkt und lag auf Kurs themseabwärts, alle drei Segel gesetzt und getrimmt.

Von den Menschen an den Ufern dröhnte ein begeistertes Brüllen über den Fluß.

Die „Arrow" lag noch an der Pier fest. Als die Schebecke sie passierte, wurde gerade die Vorleine losgewor­fen. Auf dem Achterdeck hüpfte der Graf von Essex herum, und dabei flog sein schöner Federhut davon. Der Wind nahm ihn auf und trug ihn zu den johlenden Menschen am nörd­

lichen Themseufer. Aus dem begei­sterten Brüllen wurde ein dröhnen­des Gelächter.

Über Backbordbug, die Segel auf Raumwinds getrimmt, zischte die Schebecke auf und davon. An der Be-sangaffel knatterte die schwarze Flagge mit den gekreuzten goldenen Säbeln - und an der Stenge im Groß­topp die Georgsflagge. Der scharfe Schebeckenbug zerteilte das Wasser wie ein Messer, an Backbord und Steuerbord stob Gischt davon.

Die Kutsche der Königin jagte am nördlichen Ufer entlang. Und aus dem Fenster winkte ein weißes Tuch.

„Na ja", sagte Hasard, und Ben Brighton stellte mit einigem Erstau­nen fest, daß sein Kapitän verlegen war, so verlegen, wie er ihn selten er­lebt hatte. Und wenn er verlegen war, dann wurde er meistens biestig. Na ja, eben . . .

„Paßt ihr, verdammt noch mal, auf die Untiefen auf?" fauchte der Kapi­tän.

„Aye, Sir, Roger und ich passen auf", entgegnete Ben Brighton gelas­sen. „Du kannst mit Captain Corbett ruhig einen zwitschern gehen, wenn's genehm ist."

„Ich bin hier wohl überflüssig, was?" schnauzte der Kapitän.

Ben Brighton grinste breit. „Wink doch der Bessy zu", schlug

er vor. „Das ist besser als gar nichts. Und jetzt halt die Luft an, Sir, und blubber uns nicht an. Die Themse ist mein Revier - und das von Roger. In der Karibik kannst du wieder Flagge zeigen, hier tu ich's mal, wenn's ge­nehm ist."

Dieses „wenn's genehm ist" hatte Ben nun schon zum zweiten Male ge­sagt, und Ben sagte selten etwas zwei­mal.

„Dann muß es wohl genehm sein",

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brummte Hasard verdrossen und starrte in das grinsende Gesicht von Marc Corbett. Und da brummelte er: „Weiß gar nicht, was es da zu grinsen gibt, Captain."

„Ich treibe Studien", sagte Marc Corbett und grinste noch breiter.

„Aha!" Und Hasard winkte zum Nordufer, wo die königliche Kutsche zurückblieb. Die Schebecke war schneller, Pferdekräfte gegen Wind­kraft. Hier besorgte es der Wind, bei Flaute würde das anders sein. Und natürlich schob das ablaufende Was­ser.

Hasard drehte sich um. „Wann kippt die Tide?"

Ben Brighton grinste schon wieder. „Genau in zweieinhalb Stunden -wenn wir die Tonne Gravesend run­den. Feiner Törn, themseabwärts mit ablaufendem Wasser, themse-aufwärts mit auflaufendem."

„Aber Wind aus Südwesten, Mister Brighton, und den manchmal von vorn, wenn die Themse in dieser Richtung fließt."

„Von Süden, Sir", korrigierte Ben Brighton, „bei Tidenwechsel pflegt der Wind auf der Themse ebenfalls die Neigung zu haben, zu wechseln, wenn's genehm ist."

Dieser Kapitän Killigrew blickte sehr lange still und stumm auf seine Stiefelspitzen. Als er den Kopf hob, war sein Gesicht frei von Muffigkeit oder Verdrossenheit. Das Lächeln tanzte in seinen Augenwinkeln.

„Du alter Hundesohn", sagte er, „da hast du's mir aber gegeben, eh?"

„War mal nötig", sagte Ben Brigh­ton und rief Pete Ballie an der Pinne zu: „Mitte Fluß halten, Pete!"

,,Aye, aye, Mitte Fluß, alles klar!" Hasard drehte sich um. Von der

„Arrow" war nichts zu sehen. Am Ufer winkten Menschen, und er

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winkte zurück. Mit schäumender Bugsee rauschte die Schebecke ost­wärts, Gravesend entgegen. Es sah aus, als würde es ein totes Rennen ge­ben.

Sie umrundeten die Isle of Dogs, die von der Themse in Nord-Süd-Richtung umflossen wurde, dann in West-Ost- und schließlich in Süd-Nord-Richtung, wo sie bei Blackwell dann wieder in Windungen ostwärts strömte. Beide Themseufer waren von Deichen gesäumt. Hüben wie drü­ben galoppierte ein Reiter auf den Deichkronen entlang.

„Captains von der Navy", sagte Marc Corbett lächelnd, „wie ich abge­teilt, um das Rennen als Schiedsrich­ter zu beobachten."

„Mächtig viel Aufwand", brum­melte Hasard, „und zu sehen gibt's für die Gentlemen enttäuschend we­nig - keine spannenden Luvkämpfe, kein Kopf-an-Kopf-Rennen, kein gar nichts. Die reine Lustfahrt."

Vorn am Bug stand Gary Andrews. Er drehte sich um und rief nach ach­tern: „Fähre Backbord voraus, hat ge­rade abgelegt!"

Tatsächlich. Das kastenförmige Ding hatte sich vom Nordufer von ei­nem Steg gelöst und wurde von acht Fährleuten zur anderen Seite gepullt. Sie trödelten ziemlich herum und ris­sen sich kein Bein aus. Die heranrau­schende Schebecke interessierte sie nicht die Bohne, sie schauten über­haupt nicht hin. Dabei war die Sche­becke für die Leute an der Themse nun wirklich so etwas wie ein bunter Hund, der bisher auch wie ein solcher bestaunt worden war.

„Diese Fähre wird sonst härter ge­pullt", sagte Ben Brighton grimmig. „Sieht mir ganz danach aus, als habe denen ein Englein geflüstert, sie soll­ten sich uns ein bißchen in den Weg

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legen." Er fluchte. „Jetzt hören sie so­gar zu pullen auf!"

So war es. Die Fähre lag nunmehr mitten im Fahrwasser, und die Sche-becke steuerte Kollisionskurs. Die Kerle auf den Duchten grinsten däm­lich. Die beiden Captains auf den Dei­chen hatten ihre Pferde verhalten und brüllten sich die Kehlen heiser, daß die Fähre, verdammt noch mal, das Fahrwasser verlassen solle.

Ben Brighton wandte den Kopf zum Rudergänger und sagte: „Steuer hart an ihrem Heck vorbei, Pete, aber so, daß denen die Hosen flattern. Lege nicht zu früh Ruder. Die sollen denken, daß wir sie rammen."

„Aye, aye, Sir." Steuerbord mittschiffs am Schanz­

kleid bauten sich Carberry und Smoky auf. Jeder hatte eine Pütz mit Wasser bereit. Auch Mac Pellew eilte herbei - mit einem Abfallkübel.

Marc Corbett grinste in sich hinein. Diese Kerle auf der Schebecke hatten so ihre eigene Art, auf Verdruß zu reagieren. Und niemand hatte ihnen etwas befohlen. Sie taten das Ein­fache und Naheliegende - wenn sie jemand ärgern wollte.

Diese Situation war jedenfalls ein­deutig. Das „Englein" namens Robert Devereux, Earl of Essex, hatte die Fährleute bestochen, sich der Sche­becke in den Kurs zu legen. Und Ben Brighton hatte den richtigen Befehl gegeben, denn würde die Schebecke am Bug der Fähre vorbeisegeln, konnte es passieren, daß sie auflief. Dort war nämlich eine verdammt flache Stelle.

So rauschte denn die Schebecke mit Braßfahrt auf die Fähre zu, und da gerieten die Kerle nun endlich in Auf­ruhr, sprangen von den Duchten auf, brüllten und fuchtelten mit den Ar­men. Dabei brauchten sie nur anzu-

pullen, um eine Ramming zu vermei­den.

Die Schebecke gehörte zu jenen Se­gelschiffstypen, die auf die geringste Steuerbewegung reagierten, was na­türlich auch mit der Ruderanlage zu­sammenhing. Die direkte Verbin­dung von Pinne und Ruder - wie bei der Schebecke - war dafür die beste Garantie.

Pete Ballie hatte die Schebecke her­vorragend im Griff. Er wußte genau, wann er Ruder legen mußte. Ben Brighton ließ einen Schrick in die Schoten geben, denn sie würden et­was abfallen müssen, wenn sie das Heck der Fähre passierten.

Den Fährleuten war bereits der Schreck in die Glieder gefahren. Eini­ge zeigten Anstalten, sich ins Wasser zu stürzen. Vielleicht hatte ihnen der Graf vorerzählt, das sei nur ein klei­ner Spaß, und bestimmt würde die Schebecke aufbrummen. Aber aus dem Spaß wurde blutiger Ernst. Wenn die Schebecke mit ihrem schar­fen Bug und bei dieser Braßfahrt in den Kasten krachte, dann sägte sie den durch und verarbeitete ihn zu Brennholz.

An die zwanzig Yards vor der Fähre legte Pete Ruder, der Bug schwenkte nach Backbord, Pete gab weder etwas Gegenruder, und die Schebecke sauste elegant am Heck der Fähre vorbei.

In diesem Moment kippten der Pro-fos und Smoky ihre Pützen und Mac Pellew seinen Abfallkübel nach Steuerbord aus - sie hätten das Heck der Fähre mit den Händen berühren können. Carberry gelang wieder ein Meisterstück: er stülpte dem Kerl an der Pinne die Pütz über den Schädel und hämmerte sie mit der Faust fest.

Und schon war die Schebecke vor­bei.

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Die beiden Captains auf den Dei­chen hüben und drüben lachten sich halbtot. Die Fährleute brüllten, vor allem jene, die den Segen aus dem Abfallkübel empfangen hatten. Und der Pinnenmann spielte unter der Pütz Heulboje. Es schallte schaurig über den Fluß.

„Klingt nach verliebter Kuh", stellte Carberry grinsend fest.

Smoky kicherte. „Sie wird kaum in Liebe zu dir entflammt sein und Hummeln im Kopf haben, wenn der Helm ab ist - wetten?"

„Mit dir wette ich nicht. Außerdem würdest du die Wette gewinnen."

Einige Meilen weiter bei Margaret Ness am Südufer der Themse hatte der werte Graf das praktiziert - oder praktizieren lassen -, was Ben Brigh­ton in Hasards Kammer angedeutet hatte.

Dort nämlich lag fast in Fahrwas­sermitte ein Holzfaß verankert, wel­ches das Ende einer Sandbank mar­kierte, die vom Ufer bis hierher reichte. Wer themseabwärts segelte, mußte das Faß an Steuerbord lassen, themseaufwärts blieb es an Back­bord.

Dieses Faß war um mindestens vierzig Yards zum südlichen Ufer hin versetzt worden, das heißt, vierzig Yards Sandbank ragten ohne War­nung in die Themse.

Ben Brighton und Roger erkannten die Veränderung auf Anhieb, und da erinnerte sich auch Marc Corbett, daß die Faßtonne sonst anders lag. Er machte einen Vermerk auf der Fluß­karte, die er mitgebracht hatte.

Und er knirschte: „Dieser Ba­stard!"

Ben Brighton lotste die Schebecke gelassen an dieser Gefahrenstelle vorbei. Sie sahen, daß auch der Cap­tain auf dem Deich am Südufer ge­

stutzt hatte und sich etwas im Sattel notierte, bevor er weiterritt.

Ben Brightons Zeitangabe stimmte. Zweieinhalb Stunden nach dem Start rundeten sie die Tonne bei Gravesend und gingen auf Gegenkurs. Die Tide begann wieder aufzulaufen, der Wind wehte aus südlicher Richtung. Jetzt segelte die Schebecke über Steuer­bordbug.

Die Prunkyacht des Grafen von Es­sex und die schmucklose Schebecke begegneten sich auf der Höhe von Erith, einem Ort am südlichen Them­seufer, der etwa in der Mitte der Strecke zwischen London und Gra­vesend liegt.

Hier verlief die Themse in Südwest-Nordost-Richtung, und die Schebecke mußte hart am Wind über Steuer­bordbug segeln. Die „Arrow" lag über Backbordbug fast vor dem Wind, nach den festgesetzten Regeln mußte die „Arrow" als Vorm-, bezie­hungsweise Raumwinder - und das war hier eindeutig der Fall - der Schebecke ausweichen, die hart am Wind segelte.

Es kam, wie es kommen mußte. Bei­de Segler steuerten Kollisionskurs.

Marc Corbett raste zum Bug und brüllte der „Arrow" entgegen: „Sie müssen Raum geben, Mylord!"

Und auch der Captain an Bord der „Arrow", der als Beobachter und Schiedsrichter mitfuhr, schrie den Rudergänger an, nach Backbord ab­zufallen. Der tat es nicht, weil ihn der Graf anbrüllte, gefälligst Kurs zu hal­ten. Er, der Graf, habe Vorfahrt vor „diesem dreckigen Piratengesindel".

Da sprang der Captain ans Ruder, wurde jedoch von dem Grafen und Gilbert Batten angegriffen und zu­rückgerissen. Potter, der Bootsmann, tauchte auch noch auf und stieß den Captain über Bord. Er schlug mit

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dem Kopf an den ausgebeulten Schiffsrumpf achtern und versackte im strudelnden Heckwasser. Rohes Lachen ertönte auf der „Arrow".

Pete Ballie hatte längst Ruder ge­legt, und die Schebecke war nach Steuerbord abgefallen. Sie zog auf knapp drei Yards Entfernung an der „Arrow" vorbei, auf der der Graf von Essex wie ein wilder Affe herumtobte und brüllte, daß der Bretterkasten ge­rammt werden müsse.

Aber diese Chance hatten die Kerle verpaßt. Die Schiffe entfernten sich voneinander. Hasard ließ die Sche­becke in den Wind gehen. Vorn am Bug an Backbord war eine schlanke Gestalt ins Wasser gehechtet, tauchte wieder auf, schwamm auf eine be­stimmte Stelle zu und tauchte ab.

„Wer ist das?" fragte Hasard ver­dutzt. Er hatte zur „Arrow" geschaut, so daß ihm entgangen war, wer den Captain aus dem Wasser fischen wollte.

„Philip", sagte Ben Brighton lako­nisch. „Hat schnell reagiert, der Bursche."

Da tauchte der „Bursche" auch schon wieder auf und hatte den Cap­tain am Wickel. Er hielt dessen Kopf über Wasser und schaute sich nach der Schebecke um. Sie driftete auf ihn zu, er konnte gelassen warten. An Backbord vorn ließen sie bereits eine Jakobsleiter nach unten, Carberry enterte ab und streckte den Arm aus. Er konnte den Captain packen, hin­ten am Kragen, und hievte ihn hoch mit seiner unbändigen Ochsenkraft. Oben nahmen sie den Captain in Empfang. Er war bewußtlos.

Philip enterte hinter Carberry an Deck zurück.

Hasard blickte wieder zur „Arrow" und fluchte. Die war auf Gegenkurs gegangen.

„Was soll das denn?" stieß er her­vor.

„Der ehrenwerte Pinsel ist zu faul, das Rennen zu Ende zu segeln", sagte Ben Brighton grimmig. „Jetzt will er es auf seine Tour gewinnen, dieser Blödmann!"

So war es! Dieser Graf brüllte doch tatsäch­

lich zur Schebecke hinüber: „Wir starten hier noch einmal neu, Killi-grew! Ziel ist die Towerpier, verstan­den?"

Hasard ersparte sich eine Antwort und drehte dem Grafen demonstrativ den Rücken zu. Innerlich kochte er.

Die Schebecke ging wieder an den Wind und zog los.

Auf der „Arrow" brüllte sich der ehrenwerte Graf die Kehle heiser. Niemand auf der Schebecke küm­merte sich darum. Sie ließen die Prunkyacht hinter sich, als sei sie eine müde Schnecke.

Die Captains auf den beiden Dei­chen hatten alles beobachtet und machten eifrig Notizen. Dann jagten sie auf den Deichen entlang themse-aufwärts. Das Rennen war längst ent­schieden. Die Schebecke hatte klar und eindeutig gewonnen, die „Ar­row" war bereits disqualifiziert. Sie hatte die Wettfahrt unterbrochen und Gravesend nicht gerundet, und sie hatte gegen die Regeln verstoßen.

Der Captain war ins Bewußtsein zurückgekehrt - mit einem Was­serschwall, den ihm der Kutscher aus den Lungen gequetscht hatte. Am Kopf schwoll ihm eine Beule. Aber er schien hart im Nehmen zu sein. Er rappelte sich hoch, und der Kutscher führte ihn zum Achterdeck.

„Captain Turner", stellte Marc Cor-bett vor.

„Melde mich an Bord, Sir", sagte Captain Turner und grinste schief.

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„Hätte wohl beinahe 'ne Ramming ge­geben, wie ich das sehe."

„Willkommen an Bord, Captain", sagte Hasard lächelnd. „Schätze, Sie können einen Schluck Rum vertra­gen."

„Das wär was." Und so süffelte der Captain seinen

Rum - Philip natürlich auch, und der Captain staunte nicht schlecht, daß ihn der Sohn des legendären See­wolfs vorm Ertrinken gerettet hatte. Klar, daß er sich herzlich bedankte.

Auch dieses halbe Rennen gewann die Schebecke und deklassierte die Prunkyacht mit Pauken und Trompe­ten. Die Menge auf der Towerpier und an den Ufern brüllte und jubelte.

Als die „Arrow" eine halbe Stunde später hinter der Schebecke vertäute, ging ein schrilles Pfeifkonzert los.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Captains Ihrer Majestät bereits Be­richt erstattet. Sie wurde förmlich zu Eis, als sie hörte, was sich alles abge­spielt hatte.

Sie thronte auf einem königlichen Feldstuhl vor der Karosse. Die bei­den Kontrahenten standen vor ihr. Hasards Gesicht war verschlossen. Die Miene des Grafen zuckte und bebte.

Die Königin blickte ihn kalt an. „Haben Sie etwas zu sagen, Mylord?"

„Ähem - ich beantrage die Disqua­lifikation des Killigrew, Majestät!"

„Warum?" schnappte die Königin. „Er wollte mich bei Erith rammen,

Majestät!" »Einspruch!" fauchte Captain Tur­

ner. „Es war umgekehrt! Sie wollten Kapitän Killigrew rammen, der sich bereits auf dem Rücktörn zum Ziel befand, während Sie noch nicht ein­mal Gravesend gerundet hatten."

„Sie faseln ja!" schnarrte der Graf. Hasard verbeugte sich förmlich

und sagte: „Majestät, ich bitte Sie, mich verabschieden zu dürfen. Die Dunstwolke des Mannes neben mir stinkt mir zu sehr."

„Mir auch, Sir Hasard, mir auch!" sagte die Königin. „Ich erkläre Sie hiermit zum Sieger - nicht nur im sportlichen, sondern auch im morali­schen Sinne. Sie haben sich ritterlich verhalten - im Gegensatz zu Ihrem Herausforderer, der nach meiner Rechnung fünfmal disqualifiziert wurde. Die Fähre sollte Ihnen den Kurs verlegen, die Tonne bei Marga­ret Ness wurde versetzt, Ihre Sche­becke sollte gerammt werden, an Captain Turner wurde ein Mordver­such unternommen, und die ,Arrow' hat die Wettfahrt nicht zu Ende gese­gelt."

„Das ist nicht korrekt, Majestät", sagte Hasard kühl.

Die Königin brauste auf. „Sie wol­len mir widersprechen, Sir?"

„Allerdings, Majestät", erwiderte Hasard. „Vorgestern abend sollten zehn meiner Landgänger von zwan­zig Männern der ,Arrow' spitalreif ge­schlagen werden, um an der Wett­fahrt nicht teilnehmen zu können. Und in derselben Nacht wurde uns von Männern der ,Arrow' ein Drag­gen mit Leine ans Ruderblatt gebun­den, was einen Ruderbruch verursa­chen sollte." Hasard langte hinter sich, schwenkte den Draggen hoch und warf ihn dem Grafen vor die Stie­fel. „Im Schaft ist der Name ,Arrow' eingraviert. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen."

Er verbeugte sich tief, blitzte die Königin an und fügte hinzu: „Der Teufel holt mich noch lange nicht,

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Majestät!" Und damit drehte er sich um und schritt aufrecht und doch ge­schmeidig zur Schebecke zurück.

„Treten Sie mir aus den Augen, Sie Dreckskerl!" sagte die Königin ange­

widert zu dem Grafen von Essex. „Ihr Gestank beleidigt mich!"

Robert Devereux, Graf von Essex, schlich davon wie ein geprügelter Hund...

Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 610

Lügner, Lords und Lumpenpack von Frank Moorf ield

„Erwarten Sie nicht, daß ich Ihnen einen frohen guten Morgen wünsche, My-lord", sagte Hasard zu dem Grafen von Essex. „Er wird nämlich nicht froh verlau­fen, gut schon gar nicht!" Der Graf wollte von seinem Stuhl hochfahren, doch das schaffte er nicht mehr. Der Seewolf packte den Tisch mit beiden Händen und kippte ihn um. Becher, Krüge, heiße Pfannen und Töpfe mit dampfenden Speisen stürzten zu Boden und zerschellten. Ihr Inhalt verfärbte so manches vornehm geschneiderte Beinkleid, und auch der Graf fand unversehens eine gebratene Gänsekeule auf seinem Schoß. Die heiße Soße hinterließ auf seinen weißen Strümpfen häßliche braune Spuren. Dies war jedoch erst der Auftakt, denn schließlich wollten alle Arwenacks das Kribbeln in ihren Fäusten loswer­den, und sie waren entschlossen, Huntley's Kneipe erst dann zu verlassen, wenn sie das Kribbeln nicht mehr verspürten . . .

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