123

Duell der Körperlosen

Embed Size (px)

Citation preview

Band 48der Fernseh-Serie Raumpatrouille

H. G. Francis

Duell derKörperlosen

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!

Der Kampf gegen die Hinterlassenschaften des Kosmischen Infer-nos, dessen Hauptlast bisher von der ORION-Crew getragen wurde,gestaltet sich immer mehr zu einem Kampf gegen ein vielköpfigesUngeheuer, ähnlich der Hydra aus der griechischen Mythologie, derfür jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwachsen. Es ist in er-ster Linie ein Kampf gegen die Stationen und Werkzeuge des Ru-draja, aber auch die Hinterlassenschaften des Varunja, das »dasGute« verkörperte, bergen unbekannte Gefahren.

Die Raumfahrer der ORION IX hatten drei Ruhetage verordnetbekommen, um sich von den ungeheuren physischen und vor allempsychischen Belastungen der Auseinandersetzung mit dem Todes-kristall zu erholen. Doch sie fanden keine Ruhe, denn noch immerschwebt das Damoklesschwert der wiedererwachten Erben der bei-den Urmächte über der Menschheit.

Ihre Ahnung trog nicht. Der letzte Hyperimpuls des Todeskri-stalls wurde von Überwachungssatelliten verfolgt, und als Zielwurde das Dreifach-System 0 2 – Eridanus ermittelt. Kaum standdieses Ergebnis fest, wurde die Erde von einer Kodegruppe Hy-perimpulse getroffen, die aus der ermittelten Richtung kamen.Diesmal handelte es sich offenbar nicht um eine lokale Bedrohung,sondern ein Gegner außerhalb des Sonnensystems mußte auf dieErde aufmerksam geworden sein.

Und wieder wurde die ORION-Crew als Galaktische Feuerwehrlosgeschickt. Sie sollte nur erkunden, aber wie so oft, schoß sie auchdiesmal über das Ziel hinaus, weil sie ahnte, daß ein größerer Auf-wand die Erde erst wirklich interessant für die wiedererwachten Er-ben des Rudraja machen müßte. Sie entdeckte im Dreifach-System 02 – Eridanus den Planeten Vyamar und auf ihm eine uralte Ausbil-dungszentrale für Einsatzagenten des Rudraja – und sie entdeckteSchiffe und Flugzeuge, die in der Vergangenheit aus dem Bermuda-Dreieck verschwunden waren.

Nachdem sie selbst unter den Willen der Hypnobasis gezwungenworden war, gelang es ihr mit Hilfe des V'acora, die fremde Basisauszuschalten. Aber sie konnte nicht mehr rückgängig machen, wasin der Vergangenheit geschehen war. Deshalb kommt es nach Rück-kehr der ORION-Crew auf die Erde zum DUELL DER KÖRPERLO-SEN ...

Die Hauptpersonen des Romans:Peter Bedron – Ein Raumkapitän erlebt eine unangenehme Über-

raschung.Mario de Monti – Der Kybernetiker läßt sich auf ein gefährliches

Duell ein.Helga Legrelle – Die Funkerin redet zuviel.Charles Taylor – Leiter eines Sabotagetrupps.Cliff McLane – Der Commander unternimmt eine Rettungsakti-

on.Murdonom Kahindra – Erster Chefprogrammierer von TECOM.

1.

Peter Bedron lehnte sich aufatmend in seinem Sesselzurück.

»Sämtliche Systeme aus«, befahl er.»Flug- und Landesysteme aus«, bestätigte Trom

Tail, der Chefingenieur. »Das wär's. Wir sind heil aufKrasitch gelandet.«

»Denk an«, sagte Commander Bedron spöttisch.»Das hätte ich gar nicht bemerkt, wenn du mich nichtdarauf aufmerksam gemacht hättest.«

Trom Tail lächelte nur. Er kannte seinen Komman-danten und seine speziellen Bemerkungen. Sie regtenihn nicht mehr auf.

»Ich weiß nicht, ob ihr es schon bemerkt habt«,sagte Helen Sanders, der Funkleitoffizier der MOR-NING. »Wir bekommen Besuch.«

Sie deutete auf den Hauptbildschirm, auf dem einFlugwagen zu erkennen war, der sich dem Raum-schiff näherte. Commander Bedron blickte zu denbeiden anderen Raumschiffen der Astiriakos-Flottehinüber, die gleichzeitig mit der MORNING auf Kra-

sitch gelandet waren. Er stellte fest, daß sich für dieseRaumer offenbar noch niemand interessierte.

Helen Sanders regulierte die Brennweite der Au-ßenoptiken neu ein, bis die Männer in dem Flugwa-gen sich im Großformat auf dem Hauptbildschirmabzeichneten.

»Alle vier sind bildhübsche Burschen«, sagte sie lä-chelnd. »Ehrlich, sehen die nicht wirklich gut aus?«

»Das kann ich nicht finden«, entgegnete Trom Tailabfällig. Vergeblich versuchte er, nicht eifersüchtig zuerscheinen. »Ich mag solche Typen nicht.«

»Ich schon«, sagte Helen. Sie strich sich das lange,blonde Haar über die Schultern in den Nacken zu-rück. »Überhaupt sind Männer, die ihr ganzes Lebenauf einem Planeten verbringen, für mich irgendwie fas-zinierend. Sie haben so etwas Besonderes. Finde ich.«

»Geschmackssache«, erwiderte der Chefingenieur.»Für mich sind solche Männer schlicht langweilig.«

Der Flugwagen hielt vor der MORNING.»Aha, jetzt melden sie sich endlich«, sagte die Fun-

kerin und drückte einige Tasten. Das scharfgeschnit-tene Gesicht eines der vier Männer erschien vor ihrim Projektionsfeld. »Guten Morgen. Was kann ich fürSie tun?«

»Wir möchten den Kommandanten sprechen«, er-widerte der Krasitch-Siedler. »Wir bitten, an Bordkommen zu dürfen.«

»Sind Sie vom Zoll oder so etwas?« erkundigte sichHelen Sanders.

»Nein«, entgegnete der Besucher und lächelte ge-winnend. »Wir sind Vertreter der neugegründetenkosmischen Handelsgesellschaft. Wir interessierenuns für Ihre Fracht.«

Commander Peter Bedron schaltete sich ein. Er drück-te eine Taste, und der Bildschirm vor ihm erhellte sich.»Wozu gibt es eine Warenbörse?« fragte er schroff.

»Auf der Börse ist eine Störung eingetreten. Vor-übergehend müssen die Waren frei ausgehandeltwerden«, behauptete der Fremde. »Wer am schnell-sten ist, hat die besten Chancen. Wir bieten Ihnen ei-nen fairen Preis.«

»Einverstanden«, sagte Bedron arglos. »KommenSie an Bord. Sie können sich die Fracht ansehen.«

Er gab Trom Tail ein Zeichen, und der Chefinge-nieur öffnete die Bodenschleuse des diskusförmigenRaumschiffs. Eine Minute später traten die vier Män-ner aus dem zentralen Schacht.

»Mein Name ist Bo«, erklärte der blonde Mann, mitdem Bedron verhandelt hatte. Er griff unter seineKleidung und holte einen altertümlichen Revolverhervor. »Sie sollten wissen, daß das Schiff in diesemMoment an mich übergeht. Sie sind als Kommandantabgesetzt.«

Helen Sanders lachte. Sie warf den Kopf in denNacken, blickte Trom Tail lächelnd an und ging aufden Mann zu, der sich Bo nannte.

»Bo«, sagte sie weich und streckte die Arme aus.»Seien Sie uns willkommen. Für gelungene Scherzehaben wir immer etwas übrig.«

»Sie täuschen sich«, entgegnete Bo. »Dies ist keinWitz.«

»Aber, Bo«, rief sie amüsiert. Sie hatte ihn fast er-reicht. Er hob den Revolver etwas höher und schoßihr eine Kugel mitten in die Stirn. Helen stürzte zuBoden, als habe ihr jemand die Beine unter dem Leibweggeschlagen.

Commander Bedron, Trom Tail und die schweig-same Sue Mayn sprangen entsetzt auf. Bestürztblickten sie auf die Tote. Keiner von ihnen schien zubegreifen, was geschehen war. Schließlich aber schrieTrom Tail wie ein waidwundes Tier auf. Er wolltesich auf Bo stürzen, aber dieser richtete sofort denRevolver auf ihn.

»Auch Todessehnsüchte?« fragte er sarkastisch.»Sind Sie wahnsinnig geworden?« flüsterte Peter Be-

dron, der wie betäubt vor seinem Sessel stand. »Ha-ben Sie den Verstand verloren? Wie können Sie soetwas tun?«

Bo gab seinen Begleitern ein Zeichen. Sie verteiltensich über die Zentrale, bis sie den Raum wirklich be-herrschten.

»Die Verhältnisse auf Krasitch haben sich ein we-nig geändert«, erklärte Bo kühl.

»Aber der Computer hat die Auskunft erteilt, daß...«, sagte Trom Tail stammelnd. Er sank auf die Knieund drehte Helen Sanders mit tränenfeuchten Augenauf den Rücken herum. Er strich ihr mit den Fingernüber die gebrochenen Augen und schloß die Lider.

Bo lachte.»Der Computer!« rief er höhnisch. »Das war unsere

Überlegung. Wir wußten, daß Sie sich voll und ganzauf die Informationen des Computers verlassen wür-den. Nur weil es so war, konnten wir Sie überrum-peln. Nicht schlecht, wie?«

»Was, zum Teufel, wollen Sie von uns?« fragte Be-dron. »Ich verstehe das nicht. Wollen Sie die Frachtklauen? Das ist doch sinnlos. Sie können sie nirgend-wo in der Galaxis absetzen.«

Bo schüttelte den Kopf. Er deutete auf den verwai-

sten Platz der Cheffunkerin.»Setzen Sie sich dorthin, und rufen Sie den Innen-

minister an«, befahl er. »Teilen Sie ihm mit, daß sichdie MORNING in den Händen der gelben Adler befin-det.«

Bedron gehorchte. Er schaltete die Bildfunkgeräteein und drückte einige Tasten, nachdem ihm Bo eineZahlenkombination genannt hatte. Nur Sekundenverstrichen, bis sich der Bildschirm erhellte. Das Ge-sicht eines jungen Mädchens erschien.

»Geben Sie mir den Innenminister«, forderte Be-dron.

»In welcher Angelegenheit, bitte?« erkundigte siesich höflich.

»In der Angelegenheit gelber Adler«, erwiderte derKommandant mit zornbebender Stimme.

Das Mädchen erbleichte. Ihre Lippen zuckten. Siestellte jedoch keine weiteren Fragen, sondern schal-tete um. Das aufgedunsene Gesicht eines etwas sieb-zigjährigen Mannes erschien. Mit verengten Augenmusterte er Bedron.

»Was ist los?« fragte er in schroffem Ton.»Wir haben den gelben Adler an Bord«, antwortete

der Terraner. »Ich weiß zwar nicht, was das alles zubedeuten hat, Tatsache ist jedoch, daß dieser Adlermeine Cheffunkerin erschossen hat.«

»Seien Sie vorsichtig«, bat der Innenminister. »Mitdiesen Leuten ist nicht zu spaßen.«

»Stellen Sie sich vor«, erwiderte Bedron ärgerlich.»Das haben wir bereits gemerkt.«

Bo schob ihn zur Seite.»Hören Sie zu, Sankmann«, sagte er. »Sie kennen

mich. Sie wissen, was wir wollen. Erfüllen Sie unsere

Forderungen nicht innerhalb der nächsten beidenStunden, beginnen wir mit der Hinrichtung. Für jedezehn Minuten, die Sie verstreichen lassen, ein Men-schenleben.«

»Wir werden Ihre Freunde nicht freilassen«, ant-wortete der Minister energisch. »Was auch immer Sietun werden, wir werden sie nicht freilassen. Es sindVerbrecher, die in einem rechtmäßigen Verfahrenverurteilt worden sind.«

»Sie werden meine Freunde als politische Gefange-ne öffentlich anerkennen, und Sie werden sie freilas-sen. Wenn Sie sich auf die Hinterbeine stellen, gibt eshier an Bord der MORNING ein Blutbad.«

Er schaltete ab, schwang sich mit seinem Sesselherum und blickte Commander Bedron grinsend an.

»So ist das«, sagte er. »Da verläßt man sich auf eineComputerinformation, und dann kommt man an,und alles ist ganz anders.«

Peter Bedron preßte erbittert die Lippen aufeinan-der. Er fühlte sich wehrlos gegen diesen Mann. Erwar vollkommen überrascht worden. Niemand hattedamit gerechnet, daß auf Krasitch etwas nicht inOrdnung sein könnte. Der Planet war für seine poli-tisch stabilen Verhältnisse bekannt. Vor wenigen Wo-chen erst war Peter Bedron zum letztenmal hier ge-wesen, und alles war in Ordnung gewesen. ÜberNacht schien jedoch eine Terrororganisation entstan-den zu sein, die extrem gefährlich war. Er ließ sich ineinen freien Sessel sinken und legte sich die Händevor das Gesicht. Er wußte nicht, was er tun sollte. Erwar davon überzeugt, daß die Terroristen ihre Dro-hung wahrmachen würden. Sie hatten keine Skrupelgehabt, Helen Sanders zu erschießen, warum sollten

sie welche haben, wenn es darum ging, weitere Be-satzungsmitglieder zu töten?

»Was ist hier los auf Krasitch?« fragte er.Bo schien überrascht zu sein.»Ist das wesentlich für Sie?« erkundigte er sich.»Ich denke schon«, bemerkte Trom Tail. »Wir ha-

ben mit den politischen Verhältnissen hier nichts zutun. Wir wollen Speicherkristalle für Produktions-steueranlagen verkaufen. Alles andere interessiertuns nicht.«

Bo setzte sich in den Sessel des Kommandanten.»In Ordnung«, sagte er und nickte Peter Bedron zu.

»Sie können das Raumschiff verlassen. Gehen Sie zurBörse und verkaufen Sie Ihre Kristalle.«

Bedron war so überrascht, daß er sich zunächstnicht rührte. Er glaubte an einen Trick, aber Bo wie-derholte seine Aufforderung.

»Wenn Sie nicht mehr an Bord sind, bleiben mirnoch genügend andere, die ich erschießen kann,wenn es notwendig werden sollte«, erklärte er. »Aufeinen mehr oder weniger kommt es nicht an. Außer-dem kann ich mir jederzeit von den anderen Schiffeneinige an Bord kommen lassen.«

Bo fühlte sich offensichtlich vollkommen sicher.Tatsächlich konnten Bedron und die anderen Besat-zungsmitglieder der MORNING nichts gegen ihnund seine Begleiter ausrichten, denn diese besaßenWaffen, die Raumfahrer hatten keine.

»Geh schon endlich«, riet Trom Tail. »Niemandwird uns etwas tun. Die Regierung wird die gefange-nen Männer und Frauen freilassen, und alles ist inOrdnung.«

Peter Bedron zögerte nicht länger. Er verließ die

Zentrale und jagte wenig später mit einem Fluggleiterdavon. Der Raumhafen von Krisagi war wie leerge-fegt. Nur die drei Raumschiffe von Keklos Astiriakosstanden auf dem Landefeld. Als der Kommandant amKontrollgebäude landete, ging ein tropischer Regenhernieder.

Er hatte erwartet, hier von irgendwelchen Beamtenoder Offizieren in Empfang genommen zu werden.Das war jedoch nicht der Fall. Die Halle des Gebäu-des war leer. Die einzelnen Verkaufsstände waren ge-schlossen. Niemand war zu sehen. Es schien, als seider Betrieb eingestellt worden.

Der Kommandant durchquerte die Halle und gingzu einer Tür, die zur Hauptverwaltung führte. Siewar geschlossen. Er mußte einen Knopf drücken, umsich bemerkbar zu machen. Danach verstrichen etwafünf Minuten, bis sich ein kleiner Bildschirm an derTür erhellte. Das sonnengebräunte Gesicht einesdunkelhaarigen Mädchens erschien im Bild.

»Was gibt's denn, Commander?« fragte sie gelang-weilt.

Peter Bedron konnte sich nicht mehr beherrschen.Er brüllte seine Wut hinaus.

»Meine Besatzung schwebt in Lebensgefahr«,schloß er seinen Protest, »und Sie sitzen hier herumund tun so, als wäre überhaupt nichts los.«

»Du meine Güte, Commander«, erwiderte sie ge-lassen. »Was habe ich damit zu tun, daß an Bord derMORNING irgend etwas nicht in Ordnung ist? Michgeht das nichts an.«

»Gibt es einen Polizeioffizier, einen Sicherheitsbe-amten oder sonst irgend jemanden, mit dem manvernünftig reden kann?«

Sie richtete ihre Blicke auf einen Punkt, der ir-gendwo über dem Aufnahmesystem lag.

»Lassen Sie mich mal überlegen ...«, sagte sie nach-denklich. »Wer könnte denn da zuständig sein?«

Peter Bedron wandte sich zornbebend ab undkehrte zu seinem Gleiter zurück. Es goß noch immerin Sturzbächen. Er stieg in die Maschine und startete.Wenig später raste er über die weit verstreut liegen-den Häuser der Hauptstadt von Krasitch hinweg. Erwar außer sich. Für ihn gab es nur zwei Möglichkei-ten. Entweder arbeiteten die Angestellten des Raum-hafenkontrollgebäudes Hand in Hand mit den Terro-risten zusammen, oder auf Krasitch herrschte das to-tale Chaos, so daß sich niemand für andere verant-wortlich fühlte.

Vor dem Regierungsgebäude landete er. Endlichhörte es auf zu regnen. Doch das bedeutete nicht, daßer trockenen Fußes in das Gebäude kommen konnte.Das Wasser stand knöchelhoch, so daß er versuchtwar, einfach mit dem Gleiter durch die offene Tür zufliegen. Da er nicht unnötig provozieren wollte, ver-zichtete er darauf und watete durch das Wasser.

Auch hier traf er zunächst auf keine Bediensteten.Eine unnatürlich wirkende Ruhe herrschte in demGebäude. Erst als Bedron in das erste Stockwerk vor-drang, begegnete er einem Beamten, der diensteifrigAkten über den Flur schleppte. Der Kommandanthielt ihn am Arm fest, weil er sonst an ihm vorbeige-laufen wäre, ohne ihn zu beachten.

»Wo finde ich den Innenminister?« fragte er heftig.Der Beamte zeigte über die Schulter zurück und

erwiderte einsilbig: »505.«Bedron fuhr in einem Lift bis ins fünfte Stockwerk

hoch und betrat das Zimmer 505, in dem eine blondeSekretärin an einem Schreibtisch saß.

»Ja?« fragte sie. »Bitte?«Bedron antwortete nicht. Er ging an ihr vorbei zu

der einzigen Tür, die aus diesem Raum weiterführte,und öffnete sie. Die Sekretärin protestierte nicht.

»Er ist nicht da«, sagte sie nur.»Wo ist er?«»Er frühstückt.« Sie pinselte seelenruhig weiter.»Und wo ist das?« fragte er mühsam beherrscht.»In der Kantine. 500.«Er eilte zur Eingangstür zurück und riß sie auf, als

ein Zuruf von ihr ihn zurückhielt.»He, Commander!«»Was ist?«»Sie könnten wenigstens danke sagen.«Er ging von der Voraussetzung aus, daß sie infor-

miert war. Dementsprechend fiel seine Verwün-schung aus. Sie wurde feuerrot und ließ vor Schreckden Nagellack fallen. Er schlug die Tür zu und eiltebis zu einer Tür, die die Nummer 500 trug. Davorblieb er kurz stehen und zwang sich zur Ruhe.

»Es hat keinen Sinn, wenn du wie ein Wilder durchdie Gegend tobst«, sagte er sich leise. Dann öffnete erdie Tür und trat ein.

Der Innenminister saß mit zwei jungen Mädchenan einem Tisch am Fenster. Außer ihnen hielt sichniemand in der Kantine auf. Eines der Mädchenblickte flüchtig zu Bedron hinüber, während der In-nenminister sich lächelnd zu der anderen hinüber-beugte.

Peter Bedron ging zu dem Tisch, nahm sich einenStuhl und setzte sich. Der Innenminister drehte sich

langsam zu ihm um, während die beiden Mädchenempört von dem Commander abrückten.

»Ich habe Sie nicht gebeten, sich zu uns zu setzen«,sagte der Politiker scharf.

»Das ist mir völlig egal«, erwiderte der Terraner.»Bester Mann, meine Leute befinden sich in der Handvon Terroristen. Meine Funkerin ist erschossen wor-den. Die Terroristen haben Ihnen ein Ultimatum ge-stellt, das bald abläuft, und Sie sitzen hier herum undflirten mit zwei Mädchen, die Sie in eine peinlicheVerlegenheit bringen würden, wenn sie ernsthaft aufden Flirt reagieren würden.«

Der Politiker blieb kühl und gelassen.»Der Kerl hat Sie also von Bord gelassen«, stellte er

fest. »Warum?«»Er will mir die Möglichkeit geben, die Fracht an

der Börse zu verkaufen.«»Und warum sind Sie dann hier und nicht in der

Börse?«Peter Bedron war so überrascht, daß er nichts zu

entgegnen wußte. Er blickte den Innenminister fas-sungslos an.

»Sie sollten jetzt aber wirklich gehen«, empfahl ihmeines der Mädchen und blies sich eine rötliche Lockeaus der Stirn. »Man kann alles übertreiben.«

»So leicht werden Sie mich nicht los«, sagte Bedronheftig. »Glauben Sie, ich riskiere das Leben meinerBesatzung?«

»Sie scheinen völlig falsche Vorstellungen von unszu haben«, entgegnete der Innenminister gelangweilt.»Zwei Minuten vor Ablauf der Frist werden wir Bomitteilen, daß wir auf seine Forderungen eingehen.«

»Sie wollen wirklich nachgeben?«

»Wir müssen, denn sonst überlebt Ihre Besatzungnicht.«

»Und was geschieht mit Bo und seinen Leuten?«»Das geht Sie nichts an«, erklärte der Politiker ab-

weisend. Er trank sein Glas aus und blickte Bedronmißbilligend an. »Finden Sie nicht, daß Sie uns nunschon lange genug gestört haben?«

Der Kommandant erhob sich, verneigte sich kurzvor den beiden Mädchen und verließ die Kantine.

Verwirrt und verunsichert verließ Bedron das Re-gierungsgebäude. Er setzte sich in seinen Gleiter undblickte auf die bungalowartigen Häuser, die denZentralplatz umsäumten. Wenn Helen nicht erschos-sen worden wäre, dann hätte er alles nicht so ernstgenommen. So aber wußte er nicht, was er von Kra-sitch und seinen Bewohnern halten sollte.

Er startete und programmierte die Daten der Auk-tionshalle ein, ging aber nur auf mäßige Geschwin-digkeit. Er sah, daß die Menschen aus ihren Häusernkamen und ihre Arbeit wiederaufnahmen, die siewegen des Regens unterbrochen hatten. Alles schienseinen normalen Verlauf zu nehmen. Nichts deutetedarauf hin, daß irgend etwas auf Krasitch nichtstimmte.

Bedron landete auf dem Dach der Auktionshalleund fuhr mit einem Lift nach unten. Die Liftkabineglitt in eine Röhre aus Transparentplastik nach unten,so daß Bedron die Halle gut übersehen konnte. In denzahlreichen Glaskabinen saßen nur wenige Personenund ließen sich von den holographischen GerätenWaren vorführen. Das Interesse an Importwarenschien nicht so groß zu sein, wie es nach Auskunftvon TECOM hätte sein müssen.

Bedron schob den Gedanken einer Falschinforma-tion jedoch von sich. Er paßte einfach nicht in dieVorstellungswelt dieses Raumfahrers, der es seit Jah-ren gewohnt war, sich blind auf TECOM zu verlas-sen. Noch nie hatte es Pannen gegeben. TECOM warnicht nur der vollkommenste Computer, sondernauch der bestinformierte in der Galaxis.

Wenn TECOM angekündigt hatte, daß Speicherkri-stalle für Produktionsanlagen auf Krasitch auf einenäußerst aufnahmefähigen Markt stoßen würden,dann war es auch so.

2.

Peter Bedron schob die Schablone in den Schlitz amComputer und wartete. Einige Sekunden verstrichen,dann erschien das Angebot, das er zu machen hatte,in dem holographischen Projektionsfeld. Peter Be-dron war sich dessen ganz sicher, daß es nur Minutendauern würde, bis von allen Gebieten des Kolonial-planeten die Nachfragen eingehen würden. Nichtnur, weil TECOM das vorausgesagt hatte, sondernweil Speicherkristalle für Produktionsanlagen für alleKolonialplaneten ausgesprochen begehrte Produktewaren.

Die drei Raumschiffe, die er nach Krasitch geführthatte, hatten Waren im Wert von zusammen fast 25Milliarden Points an Bord. Somit trug Bedron dieVerantwortung für Werte, die für den Ankauf einesganzen Industrieimperiums ausgereicht hätten. DieseLieferung würde erhebliche Finanzprobleme für dieBewohner von Krasitch aufwerfen. Doch das war vonuntergeordneter Bedeutung für Krasitch, da die Spei-cherkristalle die auch hier allgegenwärtigen Compu-ter befähigten, die vollautomatischen Fabriken zusteuern. Mit Hilfe der Speicherkristalle konnten kom-plizierte Produkte in Serie hergestellt werden, ohnedaß dazu Menschen als Arbeitskräfte eingesetzt wer-den mußten. Durch sie wurde der kontinuierlicheAufbau der Kolonialwelten erst möglich.

Das erste Angebot, das der Commander Krasitchunterbreitete, war ein Speicherkristall, der das Ferti-gungsprogramm für den Bau von landwirtschaftli-chen Robotern beinhaltete. Diese Automaten mußten

mit besonderer Sorgfalt hergestellt werden, da sieextremen Belastungen standzuhalten hatten. Siemachten das Land urbar und bestellten es. Sie setztensich aus mehr als zwanzigtausend Einzelteilen zu-sammen. Die Robotfabrik, die mit den Speicherkri-stallen gesteuert werden konnte, versorgte sich selbstmit Rohstoffen, fertigte sämtliche Einzelteile undwarf schließlich die voll einsatzfähigen Roboter aus.Der Wert der Speicherkristalle ließ sich aus diesemGrunde tatsächlich kaum in einer Summe von Pointsangeben. Es war viel höher.

Dennoch wartete Peter Bedron an diesem Tag ver-gebens. Sein Angebot erzielte kein Echo.

Die Situation war absolut ungewöhnlich für ihn. Erhatte es noch nie erlebt, daß er länger als einige Se-kunden auf eine Antwort warten mußte. Daher wur-de er von Sekunde zu Sekunde unsicherer. Er fragtesich, ob die Terroristen etwas mit der Sache zu tunhatten. Alles, was ihm an diesem Tage Ungewöhnli-ches widerfahren war, fiel ihm wieder ein, dochnichts schien zusammenzupassen.

Er stellte sich tausend Fragen, während er in derKabine saß und wartete. Er stellte die abenteuerlich-sten Vermutungen auf, doch der Wahrheit kam ernicht nahe.

Als etwa zwanzig Minuten verstrichen waren, ohnedaß sich ein Interessent für die Speicherkristalle ge-meldet hatte, verließ er die Kabine und suchte eineandere in der entgegengesetzten Seite der Halle auf.Hier programmierte er den Computer neu, erzielteaber auch hier nicht die erwartete Wirkung.

Er brach seinen vergeblichen Versuch ab und gingzu einer besetzten Kabine, als er bemerkte, daß hier

die Geschäftsverhandlungen gerade zu Ende gingen.Er klopfte an die Glastür und wartete höflich, bis siegeöffnet wurde.

»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte er. »Ich ha-be Schwierigkeiten mit der Anlage. Können Sie mirhelfen?«

»Worum geht es denn?« fragte der Mann in derKabine. Er war klein und untersetzt. Er musterte Be-dron aus verengten Augen, und es schien, als fürchteer sich vor ihm.

»Ich habe drei Schiffe voller Speicherkristalle hier«,erklärte der Kommandant. »Derartige Produkte müs-sen nach den Informationen von TECOM, desHauptcomputers der Erde, hier reißenden Absatzfinden. Doch niemand meldet sich. Nun befürchteich, daß die Computeranlagen gestört sind.«

Bedrons Gegenüber schüttelte den Kopf.»Hier ist alles in Ordnung«, entgegnete er und

schob sich an dem Terraner vorbei. »Nur werden SieIhre Ware hier bestimmt nicht verkaufen.«

Er eilte davon. Bedron blickte ihm verblüfft nach.Er glaubte nicht, was dieser Mann gesagt hatte.

»Wahrscheinlich hast du schlechte Geschäfte ge-macht«, sagte er, »und willst jetzt deine Wut an mirauslassen.«

Er lächelte unsicher und betrat dann die eben freigewordene Kabine, da er sich sagte, daß die hier in-stallierten Kommunikationsgeräte sicherlich in Ord-nung waren. Er setzte sich und wiederholte sein An-gebot. Nur wenige Sekunden verstrichen, bis das Ge-sicht eines Mannes im Projektionsfeld erschien. Be-dron atmete auf. Die Welt war plötzlich wieder halb-wegs in Ordnung für ihn.

Er begann mit den üblichen Geschäftsverhandlun-gen. Doch die Hoffnung auf reiche Gewinne zer-schlug sich schon nach wenigen Minuten. Der Inter-essent wollte nur eine verschwindend geringe Anzahlvon Speicherkristallen haben, eine Menge, über dieBedron unter anderen Umständen gar nicht erst ver-handelt hätte.

»Ich bin überrascht«, sagte er, nachdem der Handelabgeschlossen war. »Warum nehmen Sie nur so we-nige Einheiten? Sie würden doch erheblich besserfahren, wenn Sie mehr nehmen würden.«

»Das würde ich gern tun«, antwortete der Ge-schäftsmann, »aber die neuen Bestimmungen erlau-ben es mir nicht.«

»Welche Bestimmungen?« fragte Bedron verblüfft.Sein Gegenüber lächelte verwundert.»Die Reinheitspartei hat die Wahlen vor drei Mo-

naten gewonnen. Das müßten Sie doch eigentlichwissen.«

»Ich habe keine Ahnung«, gestand Bedron.»Die Reinheitspartei setzt sich besonders dafür ein,

die natürliche Umwelt dieses Planeten zu erhalten. Essoll so wenig wie möglich kultiviert und verändertwerden. Unter den ersten Gesetzen, die erlassenwurden, war eines, das nur noch ein begrenztesWachstum der Industrie zuläßt. Sicherlich gibt esHunderte von Geschäftsleuten, die Ihre Kristalle lie-bend gern kaufen möchten, um dann große Indu-strieanlagen aufzubauen. Sie dürfen nicht mehr. Dasbedeutet, daß für Sie hier kein großes Geschäft zumachen ist. Tut mir leid für Sie, aber es ist so.«

Der Geschäftsmann lächelte freundlich, nickte undschaltete ab.

Peter Bedron blieb wie betäubt auf seinem Stuhlsitzen. Er konnte nicht fassen, was er gehört hatte.Etwas Ungeheuerliches war geschehen. TECOM hatteeine falsche oder zumindest doch unzureichendeAuskunft gegeben. Derartiges war noch niemals zu-vor geschehen. Bedron war, als habe ihm jemand denBoden unter den Füßen weggezogen.

Er erhob sich langsam und verließ die Börse. Erwußte nicht, was er tun sollte. Als er im Gleiter saß,startete er, ohne ein direktes Ziel in die Computerta-statur zu tippen. Er blickte auf die Häuser der Stadthinab und versuchte, die Erkenntnis zu bewältigen,daß kein Verlaß mehr auf TECOM war.

Dann erinnerte er sich daran, daß die Terroristendie MORNING immer noch besetzt hielten und daßer etwas tun mußte, um die Gefahr zu beheben. Erflog zur MORNING zurück, suchte allerdings diebeiden Kommandanten der anderen Raumer auf, be-vor er das Schiff betrat.

»Nun, haben Sie sich gute Ratschläge geholt?« fragteBo spöttisch, als er in die Hauptleitzentrale kam.

Wortlos ging Peter Bedron zu seinem Sessel undsetzte sich.

»Die Kristalle sind unverkäuflich«, sagte er, ohnesich um die Terroristen zu kümmern. Er brauchte ei-nige Minuten, um die erregten Fragen der Besat-zungsmitglieder zu beantworten. Danach wandte ersich an den Anführer der Terroristen.

»Der Innenminister hat zugesagt, daß er dem Ulti-matum nachgibt«, erklärte er. »Zwei Minuten vorAblauf der Frist wird er Ihre Forderungen erfüllen.«

Fast schien es, als seien Bo und seine Begleiter ent-täuscht.

»Ich möchte wissen, wie es danach weitergehensoll«, fuhr Bedron fort.

»Ganz einfach«, erwiderte Bo lächelnd. »Sie wer-den uns nach Süden fliegen und irgendwo absetzen,bevor Sie diesen Planeten verlassen.«

Bedron blickte auf sein Chronometer. Zehn Minu-ten bis zum Ablauf der Frist blieben noch. Würde derInnenminister Wort halten? Der Kommandant hielt esfür möglich, daß der Politiker das Ultimatum einfachignorieren würde, ohne sich darum zu kümmern,was aus den Geiseln wurde.

Doch Bedron irrte sich.Genau zwei Minuten vor Ablauf des Ultimatums

meldete sich der Innenminister.»Hören Sie zu«, sagte er knapp zu Bo, der am Gerät

saß. »Ihre Forderungen werden erfüllt. Wir lassen Ih-re Komplizen frei, und wir erkennen sie als politischVerfolgte an.«

»Gut«, entgegnete Bo. »Ich warte, bis meine Freun-de sich von einem sicheren Ort aus melden.«

Peter Bedron und die anderen Besatzungsmitglie-der der MORNING erlebten die Erpressung mit. Siewaren Zeuge, wie die Forderungen der TerroristenZug um Zug erfüllt wurden, aber sie interessiertensich kaum dafür. Sie mußten jedoch erkennen, daßsich die politischen Zustände auf Krasitch in denletzten Monaten grundlegend verändert hatten undkaum noch mit jenen vergleichbar waren, die vorhergeherrscht hatten.

Diese Tatsache war viel wichtiger als alles andere,weil sie zeigte, in welchem Maß TECOM versagt hatte.

Sieben Stunden nach Ablauf des Ultimatums gabBo endlich den Befehl zum Start. Seine Forderungen

waren alle erfüllt worden. Die MORNING und diebeiden Schwesterschiffe flogen nach Süden und lan-deten in einem unübersichtlichen, bergigen Gebiet.Peter Bedron mußte die Terroristen gehen lassen.

»Verdammt«, sagte Trom Tail zornbebend. »War-um mußte das so kommen? Wir hatten nicht die Spureiner Chance, Helen zu rächen.«

»Bo hat an alles gedacht«, entgegnete Bedron. »Eshat keinen Sinn, über diese Dinge nachzudenken. Wirwerden den Tod Helens noch einmal offiziell meldenund der Regierung alle Beweise überstellen. Mehrkönnen wir nicht tun.«

Bedron hatte es sich leichter vorgestellt, den Pla-neten zu verlassen, als es war. Der Innenminister riefdie MORNING zur Hauptstadt zurück. Hier mußtenBedron und seine Mannschaft lange Verhöre übersich ergehen lassen. Helen Sanders mußten sie aufKrasitch zurücklassen. Danach startete die MOR-NING erneut, und Peter Bedron setzte einenLichtspruch zur Erde ab. Die Antwort von KeklosAstiriakos kam innerhalb weniger Minuten. Der In-dustrielle war außer sich vor Zorn.

»Erzählen Sie mir keine Märchen«, brüllte er. »Sa-gen Sie mir lieber, was wirklich passiert ist.«

»Nichts anderes als das, was ich Ihnen berichtethabe«, erwiderte Peter Bedron. »Sie müssen mirschon glauben, und je schneller Sie das tun, destobesser für Sie.«

Astiriakos schwieg bestürzt. Offensichtlich däm-merte ihm, daß der Kommandant kein Täuschungs-manöver versuchte.

»Also gut«, sagte er. »Ich werde mich an die Regie-rung wenden und Schadenersatz verlangen. Fliegen

Sie nach Trakelar. Dort sind zwar nicht so gute Ab-satzmöglichkeiten vorhanden, wie für Krasitch inAussicht gestellt wurden, die Fracht dürfte sich aberabsetzen lassen.«

»Vorausgesetzt, die Angaben von TECOM stim-men«, entgegnete Bedron.

»Sie stimmen«, sagte Astiriakos grimmig. »Verlas-sen Sie sich darauf.«

Er brach die Verbindung ab.

*

Keklos Astiriakos war noch immer außer sich vorZorn, als er das Büro des terranischen Regierungs-chefs Han Tsu-Gol betrat.

Der Asiate saß in aufrechter Haltung hinter seinemArbeitstisch und erwartete ihn. Der kahlköpfigeMann ließ durch keinerlei äußerliche Anzeichen er-kennen, was er dachte und fühlte. Seine Hände lagenruhig auf der Tischplatte.

Astiriakos setzte sich unaufgefordert. Er kannteHan Tsu-Gol, da sein Sohn Basil Astiriakos als Mini-ster in der Regierung mitarbeitete.

»Ich nehme an, Sie haben inzwischen einen Berichtvon Krasitch erhalten, Tsu-Gol«, sagte er mit bitteremUnterton. »Man wird Ihnen gemeldet haben, daß al-les nach Plan verlaufen ist.«

Han Tsu-Gol runzelte die Stirn.»Ich verstehe nicht«, erwiderte er.»Oh, doch, Sie wissen recht gut, was ich meine.«Han Tsu-Gol schüttelte den Kopf. Er beugte sich

vor und stützte sich mit den Ellenbogen auf denTisch.

»Keklos«, sagte er ruhig, »wir kennen uns nunschon einige Zeit, aber ich kenne Sie nicht so gut, daßich Ihre Gedanken lesen kann.«

»Ja«, erwiderte der Industrielle aufbrausend. »Wirkennen uns lange, das bedeutet jedoch nicht, daß SieSympathien für mich aufbringen. Im Gegenteil. Ichbin überzeugt davon, daß Sie die erste beste sich bie-tende Gelegenheit nutzen würden, mir das Genick zubrechen. Aber Sie haben sich verrechnet. Noch ist esnicht soweit.«

»Keklos, was ist los?«Das Gesicht des Industriellen verzerrte sich.»Ich habe Ihnen einen Verlust von mehr als zwei

Milliarden Kreditpoints zu verdanken. Jeden anderenwürde ein derartiger Verlust erledigen. Mich nicht.Noch nicht. Außerdem habe ich meine Anwälte ver-ständigt. Wir werden einen Prozeß gegen den Staatführen, in dem wir Point für Point zurückholen, wasmir gehört.«

Han Tsu-Gol blieb gelassen.»Ich würde mich gern konstruktiv an diesem Ge-

spräch beteiligen«, erklärte er. »Das kann ich jedochnur, wenn Sie sagen, was passiert ist. Vielleicht habenSie recht, daß ich schuld bin. Wenn es jedoch so seinsollte, dann bin ich darüber noch nicht informiert.«

Keklos Astiriakos lehnte sich in seinem Sessel zu-rück und atmete tief durch. Er beruhigte sich etwas.

»Ich bin der Ansicht, daß Sie TECOM manipulierthaben«, sagte er. »TECOM hat falsche Informationengeliefert und damit eine geschäftliche Katastropheherbeigeführt. Außerdem hat die Manipulation einMenschenleben gefordert.«

»Ein finanzieller Verlust läßt sich ausgleichen«, a nt-

wortete der Asiate. »Ein Menschenleben nicht. Wiekommen Sie zu der Vermutung, daß ich oder sonstirgend jemand TECOM manipuliert haben könnte?«

Keklos Astiriakos berichtete, was er von Comman-der Peter Bedron gehört hatte. Dabei beobachtete erHan Tsu-Gol scharf. Es schien, als sei das Staatsober-haupt schockiert.

Han Tsu-Gol schüttelte schließlich energisch denKopf.

»Sie irren sich, Keklos«, sagte er. »Es ist völlig aus-geschlossen, daß TECOM manipuliert worden ist.Das Computerzentrum ist derart sorgfältig abgesi-chert, daß so etwas einfach unmöglich ist. Man kannTECOM nicht manipulieren.«

Han Tsu-Gol erinnerte sich daran, daß er selbsteinmal das Opfer einer Fehlinformation durch TE-COM geworden war. Nachforschungen hatten jedochergeben, daß keine Manipulation vorgelegen hatte. Soglaubte der Asiate nun, daß er das Opfer einermenschlichen Fehlleistung geworden war.

»Na schön«, sagte Astiriakos, »wenn es so ist, dannerklären Sie mir, bitte, was auf Krasitch geschehen ist.Wir sind uns darüber einig, daß das alles nicht pas-siert wäre, wenn TECOM die richtigen Informationengegeben hätte.«

Han Tsu-Gol lehnte sich ebenfalls in seinem Sesselzurück. Ratlos hob er die Schultern. Dann drückte ereinen Knopf an der Unterseite der Tischplatte. DasProjektionsfeld eines Videogeräts erhellte sich.

»Basil Astiriakos soll, bitte, zu mir kommen«, sagteer höflich und schaltete wieder ab. Er wandte sichseinem Besucher zu.

»Auf jeden Fall ist der Verdacht, eine Intrige sei ge-

gen Sie im Gange, absurd«, bemerkte er. »Aber auchan eine Manipulation zu denken, ist abwegig, dennwas könnte schon damit erreicht werden, daß wirüber gewisse Vorgänge auf einem so unwichtigenPlaneten wie Krasitch nicht informiert sind?«

»Ich bin überfragt«, entgegnete Astiriakos hilflos.Er blickte zur Tür, als sein Sohn eintrat. Basil Astiria-kos war ein gut aussehender Mann, der oft Mühehatte, sein überschäumendes Temperament zu zü-geln. Er begrüßte seinen Vater mit besonderer Herz-lichkeit und ließ sich danach berichten, was vorge-fallen war. Er wußte ebenso wenig Rat wie Han Tsu-Gol.

»Ich habe auch nicht damit gerechnet, daß Sie dieLösung jetzt sozusagen aus dem Hut ziehen wür-den«, sagte der Asiate. »Ich möchte, daß Sie sich mitdem Fall befassen und ihn aufklären. Da Sie der Sohndes Betroffenen sind, bin ich sicher, daß Sie mit dernötigen Energie ans Werk gehen werden.«

»Darauf können Sie sich verlassen«, erwiderte derSohn des Raumreeders. Er führte seinen Vater ausdem Büro des Regierungschefs und verabschiedetesich draußen von ihm.

»Wenn tatsächlich irgendwo jemand Intrigen ge-sponnen hat«, sagte er, »dann werden Köpfe rollen.Das ist sicher.«

»Ich weiß, daß du alles tun wirst, was in deinerMacht steht«, entgegnete Keklos Astiriakos. »Die Si-tuation ist ernst. Der Verlust ist auch für uns hart.Wenn es uns nicht gelingt, wenigstens einen Teil desGeldes zurückzuholen, dann sieht es schlecht aus füruns.«

»Ich habe schon begriffen, Vater«, sagte der Minister.

Er blickte seinem Vater nach, bis dieser um eineGangecke bog, und er ihn aus den Augen verlor. Imgleichen Moment sanken seine Schultern nach unten.Basil Astiriakos bot nicht mehr das Bild eines ent-schlossenen und selbstsicheren Mannes. Er sah hilflosaus.

Minutenlang blieb er auf der Stelle stehen undüberlegte, wohin er sich wenden sollte. Er fühlte sichden Problemen, die auf ihn einstürmten, nicht ge-wachsen. Sonst war er ein Mann, der vor keiner Auf-gabe und vor keiner Verantwortung zurückschreckte,doch der Problemkreis TECOM erschien ihm zu großund zu erdrückend.

Er überlegte, an wen er sich wenden konnte.Flüchtig dachte er an die zweite Chefprogrammiere-rin Melia Chang-Fu. Sie gehörte jedoch zu den weni-gen Frauen, bei denen er keinerlei positiven Eindruckhinterlassen hatte, und denen gegenüber er sich unsi-cher fühlte.

»Cliff McLane«, sagte er laut. »Er wird mir helfen.«

*

Mario de Monti strich sich genüßlich mit den Finger-spitzen über die Lippen.

»Du bist verdammt hübsch«, sagte er vergnügt.»Und du bringst mich ziemlich durcheinander.«

Jeanny Laver lachte. Sie strich sich die blondenHaare bis hinter die Ohren zurück und stützte dannihren Kopf auf die Hände.

»Ich muß dir auch ein Kompliment machen, Ma-rio«, entgegnete sie. »Du verstehst zuviel von Frauen.Du verdrehst mir den Kopf, so daß ich schon gar

nicht mehr weiß, ob ich wirklich alles will, was ichtue und denke.«

Mario de Monti griff nach seinem Glas, lächelte ge-schmeichelt und trank. Dann blickte er sich in demRestaurant um, indem sie sich aufhielten, und sagte:»Schade nur, daß hier so viele Menschen sind. Ichwürde mich viel lieber an einem Ort mit dir unter-halten, wo wir nicht gestört werden.«

Sie schob ihre Hand in die seine und erwiderte:»Ich kenne so einen Platz.«

»Was sitzen wir hier denn noch herum und ver-plempern unsere Zeit?« fragte er, drückte eine Tasteauf dem Tisch und schob dann seine Kreditkarte ineinen Zahlschlitz. Die Kosten für das Essen, das erzusammen mit dem schönen Mädchen genossen hat-te, wurden damit automatisch von seinem Konto ab-gebucht.

Mario de Monti legte seine Hände um die Schul-tern Jeannys und verließ zusammen mit ihr das Lo-kal. Sie schlenderten durch einen Park, an den Klip-pen über der Timor See entlang bis hin zu einerWohnanlage. Dabei plauderten sie ausgelassen. Hinund wieder blieben sie stehen, um auf die See hin-auszublicken oder Zärtlichkeiten auszutauschen.

Als die Tür der kleinen Wohnung hinter ihnen zu-fiel, sagte der Chefkybernetiker der ORION: »Ich hof-fe, daß du noch ein kleines Faß Whisky im Haushast.«

Sie drehte sich zu ihm um, lächelte und schüttelteden Kopf.

»Nicht einen Tropfen habe ich da«, sagte sie. Dannschoß ihre kleine Faust plötzlich nach vorn. SeineAugen weiteten sich vor Überraschung. Instinktiv

hob er die Arme, doch das half ihm nichts. Mit einerblitzschnellen Kombination von Schlägen gegen sei-nen Kopf und die Herzgegend überrumpelte Jeannyihn. Er stürzte zu Boden und blieb bewußtlos liegen.

Das Mädchen drehte ihn auf den Rücken herum,tätschelte lächelnd seine Wange und zog ihm dieKreditkarte aus der Tasche. Dann eilte sie zu einemAutomaten in der Wohnung, schob die Karte in einenSchlitz und hämmerte mit den Fingerspitzen nervösauf einer Tastatur herum. Enttäuscht blickte sieschließlich auf den Bildschirm, auf dem der Konto-stand Mario de Montis und damit die Summe, die siehatte abheben können, aufgezeigt wurde.

Sie stieß den Bewußtlosen ärgerlich mit dem Fuß an.»Nur zwanzigtausend Kreditpoints«, sagte sie.

»Und mit so einem miesen Konto machst du so einenRummel? Mann, ich dachte, du wärest ein steinrei-cher Kerl. Und nun dies. Wegen zwanzigtausend soein Risiko.«

Mario de Monti konnte auf die Vorwürfe des Mäd-chens nicht antworten. Er hörte sie nicht einmal. Ererwachte erst wieder aus seiner Bewußtlosigkeit, alssie die Wohnung längst verlassen hatte und derrechtmäßige Eigentümer der Wohnung zusammenmit einem Polizeibeamten erschien.

Der Polizist packte ihn rauh und stellte ihn auf dieBeine.

»Moment«, rief Mario empört. Seine Sinne klärtensich nun rasch. Er erinnerte sich voll an das, was ge-schehen war. Ärgerlich schüttelte er den Polizistenab. »Lassen Sie mich los. Ich bin es, der hier überfal-len worden ist. Was glauben Sie, weshalb ich sonstauf dem Fußboden herumliege?«

»Das ist mir völlig egal«, sagte der Mann, dem dieWohnung gehörte. »Ich treffe Sie hier an. Sie habenhier nichts zu suchen. Das sind meine Privaträume.Also haben Sie die Konsequenzen zu tragen.«

Marios Blick fiel auf seine Kreditkarte, die auf demBoden lag. Er erkannte sofort, daß er sie nicht verlo-ren haben konnte.

»Moment mal«, sagte er und hob die Karte auf.»Hier stimmt doch etwas nicht.«

Er berichtete kurz, wie er in die Wohnung gekom-men war.

»Das Mädchen muß mir mit einem Trick Geld ab-genommen haben.«

Der Polizist schüttelte den Kopf. Ungeduldig griffer nach Marios Arm.

»Erzählen Sie keinen Unsinn«, sagte er ärgerlich.»Sie wissen ebensogut wie ich, daß es unmöglich ist,Geld vom Konto eines anderen abzubuchen und aufdiese Weise Geld zu stehlen.«

»Es ist aber offenbar passiert«, entgegnete Mario.Er riß sich erneut los und ging zum Kreditautomaten.Er schob seine Karte hinein und drückte zwei Tasten.Sekunden später erschien auf dem Projektionsfeld ei-ne Reihe von Nullen.

»Na, bitte«, sagte Mario erbittert. Er zeigte auf dieNullen. »Das beweist doch wohl alles.«

»Nichts ist dadurch bewiesen«, erwiderte der Pol-izist. »Es gibt genügend Leute, die um diese Zeitnichts mehr auf ihrem Konto haben. Die neuen Zah-lungen kommen erst in drei Tagen.«

Mario lachte wütend.»Ich habe über zwanzigtausend Points auf dem

Konto gehabt«, erklärte er und drückte die Abbu-

chungstaste. »Hier. Sehen Sie selbst.«Im Projektionsfeld erschien die Zahl: 20 354,61. Da-

hinter flammten Datum und Uhrzeit der Abbuchungauf.

Der Polizist kratzte sich am Kopf. Der Eigentümerder Wohnung krauste die Stirn und setzte sich in ei-nen Sessel.

»Schön und gut«, sagte er. »Sie sind beklaut wor-den. Zufällig hat man meinen Automaten dazu be-nutzt. Aber das alles geht mich überhaupt nichts an.Unter den gegebenen Umständen verzichte ich aufeine Anzeige wegen Hausfriedensbruch, aber nur,wenn Sie auf der Stelle meine Wohnung verlassen.«

Der Polizist nahm die zweite Hand zur Hilfe, umsich noch etwas intensiver am Kopf zu kratzen. Of-fenbar hoffte er, dadurch besser denken zu können.

Mario de Monti ging zum Videogerät.»Erlauben Sie, daß ich ein Gespräch führe?« fragte

er.»Mit wem?« erkundigte sich der Polizist. »Mit wem

wollen Sie sprechen?«»Mit Han Tsu-Gol«, erwiderte der Kybernetiker.

»Mit wem sonst?«»Sie spinnen wohl«, sagte der Polizist heftig.

»Wenn Sie sich einen Anwalt suchen wollen, dannerlaube ich Ihnen das. Machen Sie aber keine Witze,sonst muß ich in einem anderen Ton mit Ihnen re-den.«

Mario de Monti drückte einige Tasten. Sekundendarauf erschien das Gesicht des Regierungschefs imProjektionsfeld. Bestürzt blickte der Polizist auf dasGerät. Seine Lippen zuckten.

Der Kybernetiker berichtete ruhig, was geschehen

war. Er schloß: »Für mich steht fest, daß TECOM ma-nipuliert worden ist. Ich stelle daher den Antrag, daßSie mich in die nun fraglos notwendigen Untersu-chungen einschalten.«

»Ich bin einverstanden, de Monti«, erwiderte HanTsu-Gol. »Ich werde Astiriakos informieren.«

Damit schaltete er aus. Mario de Monti drehte sichtriumphierend um. Er hatte Mühe, ein allzu deutli-ches Lächeln zu unterdrücken.

»Noch Fragen?« erkundigte er sich.»Ich habe keine Fragen«, erwiderte der Polizist

stammelnd. Er nahm eine respektvolle Haltung ein.»Ich bitte lediglich um Verständnis dafür, daß ich einProtokoll anfertigen muß.«

»Da ein solches Protokoll die Voraussetzung dafürist, daß ich später mein Geld zurückbekommen, bitteich darum«, antwortete der Chefkybernetiker derORION. »Aber das muß ja wohl nicht hier sein.«

Zusammen mit dem Polizisten und dem Eigentü-mer der Wohnung flog er zur nächsten Polizeistation,wo alle Daten festgehalten und abgezeichnet wurden.

3.

Als er die Brücke erreichte, bemerkte er den Schatten.Charles Taylor stutzte. Er ging langsam weiter und

horchte angespannt nach hinten. Deutlich konnte erhören, wie die Sohlen des anderen über den Kiesglitten und dann auf die Steinplatten gerieten. Aber-mals blieb er stehen, und das Geräusch zerbrechenderSteinchen verstummte.

Jetzt gab es keinen Zweifel mehr für Taylor. Erwußte, daß er verfolgt wurde.

Vor ihm lag die fast zweihundert Meter lange Brük-ke. Er mußte hinüber auf die andere Seite. Ein ande-rer Weg bot sich nicht an. Sein Herz schlug schneller.Er hatte ständig damit gerechnet, in eine solche Si-tuation zu geraten, gerade die Erfolge der letzten Ta-ge und Wochen aber hatten ihn sicherer gemacht, sosicher, daß er bereits an den absoluten Erfolg ge-glaubt hatte.

Seine Arbeiten an TECOM waren perfekt gewesen.Keine Spur war geblieben, die ihn hätte verratenkönnen.

Was bedeutete es also, daß er nun verfolgt wurde?Er ging weiter. Die Nacht war dunkel. Nur wenig

Licht kam von dem wolkenverhangenen Himmel. DieSicht reichte nur wenige Meter weit. Was weiter ent-fernt war, verschwand im Dunkel. Das war seineChance.

Charles Taylor schob sich blitzschnell erst den lin-ken, dann den rechten Slipper von den Füßen ab undeilte dann auf Strümpfen weiter, so daß er lautlosüber den Steinboden glitt. Plötzlich wurden die

Schritte hinter ihm schneller.Taylor lächelte. Sein Verfolger hatte sich offenbar

ebenso wie er an den Geräuschen orientiert, und nunhatte er ihn verloren. Er blieb stehen, bis die Schrittehinter ihm verstummten. Da wußte er, daß der ande-re ihn gesehen hatte und nun wartete.

Taylor duckte sich und rannte los. Für den Verfol-ger mußte es so aussehen, als ob er von einer Sekundezur anderen verschwand. Vielleicht vermutete er ihngar noch immer an der gleichen Stelle. Der Compu-terspezialist lächelte, als er das Ende der Brücke er-reicht hatte. Er war davon überzeugt, den lästigenVerfolger nun abgeschüttelt zu haben. Er lobte sichselbst, denn er glaubte, daß es ein guter Trick gewe-sen war, sich erst zu zeigen, um den anderen in Si-cherheit zu wiegen, und dann lautlos zu flüchten.

Taylor blieb stehen und blickte zur Brücke zurück.Dort blieb alles ruhig. Das war für ihn der Beweis,daß er es geschafft hatte. Lächelnd eilte er weiter biszu einem Vaser-Verteilungskasten. Mit wenigen Grif-fen öffnete er eine versiegelte Luke, ohne das Siegelzu brechen, und stieg in den nach unten führendenSchacht. Er schloß die Luke über sich und ließ sich aneiner Leiter nach unten sinken. Am Ende der Leiterbefand sich ein seitliches Schott, das ebenfalls versie-gelt war. Auch dieses Schott konnte er öffnen, ohneeinen Alarm auszulösen oder verräterische Spuren zuhinterlassen. Er schloß es hinter sich und schaltete ei-ne Taschenlampe an. Kurz darauf hatte er eine Kon-taktplatte gefunden, mit der er das Deckenlicht ein-schalten konnte.

Zufrieden lächelnd blickte er auf die mit Panzer-plast umhüllten Vaser-Bahnen, die irgendwo in der

Ferne bei TECOM endeten und Kommunikationsver-bindungen bis in alle Winkel der Erde herstellten. Erlöste eine Spezialtasche von der Brust und nahm eineReihe von elektronischen Werkzeugen heraus. Bevorer jedoch damit beginnen konnte, die Panzerplasthüllezu entfernen, öffnete sich das Schott hinter ihm.

Eine hünenhafte Gestalt schob sich herein undrichtete eine Laserhandwaffe HM 4 auf ihn.

Taylor fuhr so heftig zusammen, als werde seinKörper von einem Stromschock geschüttelt. DasWerkzeug fiel ihm aus den Händen. Er war voll-kommen überrascht worden.

»Was ... was ...?« stammelte er.»Charles Taylor«, sagte der Mann. »Ich habe es

gewußt, daß ich Sie hier unten finden würde. DrehenSie sich um, stützen Sie sich mit beiden Händen andie Wand. Und vorsichtig sein, Taylor, sonst gehtdieser Laser los. Ich bin ziemlich nervös, wissen Sie?«

Charles Taylor gehorchte. Er stützte sich mit denHänden an die Wand und spreizte die Beine. Der an-dere tastete ihn ab und nahm ihm die Gasdruckpi-stole ab, die er im Strumpf versteckt hatte.

»Sie können sich wieder umdrehen, Taylor.«Der Computerspezialist gehorchte.»Was wollen Sie von mir?« fragte er.»Das ist eine intelligente Frage«, entgegnete der

Hüne ironisch. Er deutete auf die Vaser-Bahnen. »Siegehen einer interessanten Beschäftigung nach.«

»Ich habe dringende Reparaturarbeiten durchzu-führen«, behauptete Taylor.

»Das sehe ich«, erwiderte der Fremde lachend.»Und dazu kommen Sie mitten in der Nacht. Sie stei-gen ein, ohne die Siegel zu brechen, und verwenden

nicht die offiziellen TECOM-Schlüssel, sondern Ein-bruchswerkzeuge.«

»Wer sind Sie?«»Ich bin Harris Lawford, Privatdetektiv«, antwor-

tete der Hüne bereitwillig.»Und was wollen Sie von mir?«»Sie sind der dicke Fisch, den jeder Privatdetektiv

irgendwann in seiner Laufbahn gern einmal an seinerAngel haben möchte«, erwiderte Lawford.

»Das verstehe ich nicht.«»Nun, dann will ich Ihnen sagen, was ich von Ih-

nen weiß. Es war ziemlich mühsam, das alles heraus-zubringen, aber ich habe es geschafft. Hören Sie zu.«Der Detektiv zündete sich eine Zigarette an. Er beob-achtete Taylor sorgfältig und hielt die HM 4 ständigauf ihn gerichtet. »Sie sind Charles Taylor. Am 5. De-zember 1945 waren Sie Schwarmführer einer Gruppevon Torpedobombern der amerikanischen Marinevom Typ TBM 3 Avenger.«

Taylor lachte. Er stemmte sich die Hände in dieSeiten.

»Am 5. Dezember 1945!« rief er. »Machen Sie sichnicht lächerlich. Ich bin nicht unsterblich. Wie hätteich wohl diese Zeitspanne überleben sollen?«

Harris Lawford zeigte sich unbeeindruckt.»Sie waren Lieutenant am 5. Dezember 1945. Und

Sie waren mit Ihrem Schwarm im Bermuda-Dreieckim Einsatz. An diesem Tage verschwanden alle fünfFlugzeuge des Schwarms unter – sagen wir – myste-riösen Umständen.«

»Aha«, sagte Taylor spöttisch.»Ein Funkamateur fing Ihre letzten Worte auf. Er

hat später eine Aussage gemacht.«

»So, so«, bemerkte Taylor. »Und wie waren meineletzten Worte?«

»Sie haben gerufen: Kommt mir nicht nach ... Siesehen aus, als ob sie aus dem Weltraum wären ...«

Der Computerfachmann strich sich mit der Handüber die Augen. Er lächelte plötzlich nicht mehr. Eratmete einige Male tief durch, räusperte sich undfragte: »Und wie ging es weiter, Mr. Neunmalklug?«

»Ich nehme an, daß Sie von diesen Dingen über-haupt nichts mehr wissen«, erklärte Lawford. »Ichvermute, daß Sie sich einer Hypnoschulung unterzie-hen mußten, bei der das Wissen über Ihre wahre Ver-gangenheit vollkommen ausgelöscht worden ist.«

»Nun mal ernsthaft«, sagte Taylor. »Was soll dieseSpinnerei?«

Lawford schüttelte den Kopf.»Ich meine es wirklich ernst, Taylor. Irgend jemand

hat Ihnen eine Legende beschafft, einen gefälschtenLebenslauf. Dieser hat mich auf Ihre Spur gebracht.Ich hatte Gelegenheit, Ihren Lebenslauf einzusehen.Dabei stellte ich fest, daß Sie nach diesem Lebenslaufmit mir gemeinsam die Hochschule besucht habenund in einem Seminar mit einer Gruppe, zu der auchich gehörte, eine wissenschaftliche Arbeit ausgeführthaben.«

»Das stimmt«, sagte Taylor.Lawford schüttelte den Kopf.»Das kann nicht stimmen, weil dieses Seminar da-

mals ausgefallen ist und auch nicht wiederholt wur-de. Pech, Taylor. Über derartige Kleinigkeiten kannman stolpern.«

»Und was weiter?«»Neugierig geworden, habe ich mich mit Ihnen be-

faßt. Sie haben sich vor einiger Zeit um eine Arbeits-stelle bei TECOM bemüht. Dabei haben Sie alle Testsmit ausgezeichneten Ergebnissen bestanden. Vierkleine Fehler haben Sie gemacht. Sie sind niemandemaußer mir aufgefallen. Ich habe sie näher untersuchtund bin nun überzeugt, daß Sie diese Fehler absicht-lich gemacht haben, um nicht durch ein allzu positi-ves Ergebnis aufzufallen.«

Charles Taylor verschränkte die Arme vor derBrust und lehnte sich mit dem Rücken gegen dieWand. Voller Unbehagen blickte er auf den Privat-detektiv. Er war blaß geworden, und seine Lippenzuckten. Lawford wußte, daß seine mühevollen Er-mittlungsarbeiten lohnend gewesen waren.

»Sie wurden als Überwachungstechniker für Ser-vice-Anschlüsse bei TECOM angestellt«, fuhr der Pri-vatdetektiv unerbittlich fort. »Das war noch vor Or-cunas Ende. Infolge Ihrer Ausbildung, die Sie ver-mutlich bei den Fremden aus dem Weltraum erhaltenhaben, verfügen Sie über ein Wissen, das Sie allenanderen terranischen Computer-Fachleuten überle-gen macht. Das Verbergen Sie allerdings sehr sorg-fältig.«

»Meinen Sie?« Ein spöttisches Lächeln glitt über diefarblosen Lippen Taylors.

»Davon bin ich überzeugt. Es muß Ihnen gelungensein, Orcuna durch eine Reihe von Tricks zu überli-sten und sich den Kode des Primär-Impulses anzu-eignen. Mit seiner Hilfe haben Sie von einem Pro-gramm-Injektor aus Manipulationen an TECOM vor-genommen.«

»Das sind kühne Behauptungen, die durch nichtszu beweisen sind«, erwiderte Taylor.

»Ich habe Sie, Mr. Charles Taylor«, rief der Privat-detektiv. »Oder sollte ich besser Lieutenant Taylor zuIhnen sagen?«

Taylor schwieg verbissen. Er belauerte den Mann,der ihn mit einer HM 4 bedrohte.

»Glauben Sie mir, Lieutenant, wir haben mittler-weile Verhörmethoden entwickelt, die sich mit denraffinierten Hypnomethoden der Außerirdischenmessen können. Wir werden alles aus Ihnen heraus-holen, was Sie wissen, und wir werden sogar das ansTageslicht bringen, was Sie nicht mehr wissen, weilSie präpariert worden sind.«

»Werden Sie das?« fragte Taylor. Er versuchte, iro-nisch zu sein, aber das gelang ihm nicht.

»Wir werden«, antwortete Lawford. »Und wirwerden auch die Namen Ihrer Helfer aus Ihnen her-ausholen.«

»Helfer? Was meinen Sie damit?«»Lieutenant, Sie sind nicht der einzige, der im Ber-

muda-Dreieck von Außerirdischen entführt wordenist. Viele sind den Fremden in die Falle gegangen. Fürmich ist selbstverständlich, daß Sie nicht als einzigeraus dem Weltraum zur Erde gekommen sind, umhier einen Untergrundkrieg gegen uns zu führen. Siegehören zu einer Einsatzgruppe. Und diese werde ichmit Ihrer unfreiwilligen Hilfe vernichten. Haben wiruns verstanden?«

»Allerdings«, erwiderte Charles Taylor. Er wandtesich zur Seite, als wolle er ein paar Schritte gehen,dann aber warf er sich herum und stürzte sich trotzder angeschlagenen HM 4 auf Harris Lawford.

Er war zu allem entschlossen, und er mußte sohandeln, denn der Privatdetektiv hatte Punkt für

Punkt die Wahrheit gesagt. Ihm war es ein Rätsel, wieLawford das in der kurzen Zeit hatte schaffen kön-nen. Er mußte ihn töten. Das war der einzige Aus-weg, der sich ihm nun noch bot.

*

»Du siehst aus, als habe man dir die Butter vom Brotgeklaut«, sagte Hasso Sigbjörnson, als Mario deMonti in die Bar kam, in der der Ingenieur mit Arleneund Cliff McLane saß.

»Die Butter war's nicht«, erwiderte de Monti. »Eswar vielmehr mein gesamtes Vermögen.«

»Wie kann man dir ganze Stadtteile und Industrie-Imperien entwenden?« fragte Cliff McLane.

»Was faselst du da?« Mario de Monti blickte ihn an,als habe er den Verstand verloren. »Stadtteile? Indu-strie-Imperien? Meinst du mich?«

»Allerdings«, erwiderte der Kommandant. »Wenndu als Computerspezialist es nicht schaffst, dich inden Besitz von Reichtümern zu versetzen, wer soll esdann schaffen?«

Mario de Monti stöhnte. Er ließ sich einen Ginkommen und stürzte ihn herunter.

»Spaß beiseite, mir haben sie zwanzigtausend Kre-ditpoints vom Konto geklaut.« Er erzählte, was vor-gefallen war, und schloß: »Basil Astiriakos wirdgleich hier sein.«

»Da ist er schon«, sagte die dunkelhäutige Arlene.Mario de Monti drehte sich um. Der Minister eilte

auf ihn und die anderen Besatzungsmitglieder derORION zu. Er machte einen ernsten Eindruck.

»Wir fliegen sofort zum Zentralsektor von TE-

COM«, erklärte er nach der kurzen Begrüßung. »Manerwartet uns dort bereits. Bitte, trinken Sie aus.«

»Schon geschehen«, erwiderte McLane undrutschte von seinem Barhocker. »Von mir aus kann eslosgehen.«

Basil Astiriakos atmete sichtlich auf. McLane beob-achtete ihn sorgfältig, um am Verhalten des Ministersdas Ausmaß der Gefahr erkennen zu können. Er warAstiriakos schon begegnet und hatte nie Zeichen ei-ner derartigen Nervosität an ihm gesehen. Darauswar nur ein Schluß zu ziehen: Die Erde befand sich inhöchster Gefahr. Er hielt sich an der Seite des Politi-kers, als sie zum Fluggleiter eilten.

Astiriakos machte keinen Hehl aus seinen Sorgen.»Können Sie sich vorstellen, was passieren kann,

McLane?« fragte er.»Ich glaube, ich ahne es ungefähr.«»Wenn TECOM tatsächlich manipuliert worden ist

und vielleicht noch weiter manipuliert wird, danngibt es eine weltweite, vielleicht sogar eine kosmischeKatastrophe. Ein Computerzentrum wie TECOM hatunübersehbare Vorteile. Darüber sind wir uns alleklar. Über die Nachteile haben wir bisher noch nichtintensiv genug nachgedacht.«

»Fraglos ein Fehler, der daraus resultiert, daß manauf der Erde zu arglos und zu friedfertig gewordenist. Fluidum Pax scheint allerlei Unheil angerichtet zuhaben«, sagte McLane.

»Der seidene Faden, an dem buchstäblich unseregesamte Existenz hängt, ist TECOM«, entgegneteAstiriakos. »Wir haben uns vollkommen von demComputerzentrum abhängig gemacht. Sicherlich gibtes Reservesysteme und Sicherheitsweichen, mit deren

Hilfe Ausfälle aufgefangen werden können. Einenwirksamen Schutz gegen Manipulationen aber gibt esnicht, denn bisher waren sämtliche Experten der Erdeder Ansicht, daß eine Manipulation absolut unmög-lich ist.«

»Man wird seine Meinung ändern müssen.«Astiriakos lachte verbittert auf.»Sie sagen das so, McLane, als hätten wir bisher

etwas versäumt, was nun schleunigst nachzuholenist. So aber ist es nicht. Würden Sie von der Überzeu-gung abgehen, daß zwei mal zwei gleich vier sind?«

»Sicherlich nicht.«»Sehen Sie. So einfach ist das. Sprechen Sie aber

mal mit einem Hyperphysiker. Der wird Ihnen etwasganz anderes erzählen. Der wird Ihnen beibringen,daß es gewisse hyperphysikalische Bedingungen gibt,in denen das Ergebnis ganz anders ist. Es wird ver-mutlich lange dauern, bis Sie das verstanden haben,aber Sie werden es verstehen, ebenso wie wir wahr-scheinlich einsehen müssen, daß TECOM doch zumanipulieren ist.«

Mario de Monti räusperte sich.»Es wird allerhöchste Zeit, daß Sie das begreifen«,

bemerkte er. »Für mich war das schon lange klar.«Astiriakos lachte.»Sie schneiden mal wieder fürchterlich auf, de

Monti.«»In diesem Fall nicht«, erwiderte Mario ernst. »Ob

Sie es glauben oder nicht. Für mich stand schon im-mer fest, daß auch TECOM angreifbar ist.«

»Wenn das so ist, dann habe ich ja den richtigenMann für die Lösung des Problems gefunden«, sagteder Politiker. Er hielt die Tür des Gleiters auf und ließ

die Mitglieder der ORION-Crew als erste einsteigen.Schon nach wenigen Minuten erreichte die Ma-

schine den Mount Isa in Queensland und landete ineiner Gleiterbasis im Barkly-Tafelland. Arlene unddie Männer verließen die Flugkabine und fuhren ineinem Sonderlift 1500 Meter in die Tiefe. Der Liftstürzte nach zunächst zögernder Beschleunigung wieein Stein in die Tiefe. Für die Raumfahrer traten keineungewohnten Effekte auf, Basil Astiriakos aber ver-färbte sich deutlich. Er legte sie Hand gegen denBauch und atmete tief durch, als die Kabine plötzlichstark verzögerte und dann hielt.

Mario de Monti grinste.»Sie sind so blaß um die Nase«, sagte er. »Ist Ihnen

nicht gut?«»Tun Sie nicht so«, erwiderte Astiriakos mühsam

lächelnd. »Ich habe nicht dieses blinde Vertrauen indie Technik wie Sie. Und ich habe mir einen Teil mei-ner Phantasie bewahrt. Deshalb kann ich mir gut vor-stellen, daß TECOM diesen Lift auch einmal mit vol-ler Fahrt gegen die Bodenplatte rasen lassen kann.«

»So etwas würden wir doch mit federnden Knienabfangen«, erwiderte der Kybernetiker. »Oder nicht?«

Die Tür öffnete sich. Astiriakos verzichtete auf eineAntwort. Er verließ die Kabine. Seine Stirn kraustesich, als er die beiden Männer und die Frau sah, diesich ihnen näherten. Die Frau war Melia Chang-Fu,die sich sowohl von seinem Reichtum wie von seinerMännlichkeit unbeeindruckt gezeigt hatte.

Melia blickte ihn kurz an und lächelte, aber Asti-riakos hatte das Gefühl, daß sie ihn gar nicht gemeinthatte, sondern irgendeine anonyme Person, die ausdem Lift kam.

Er begrüßte die Frau so knapp, wie es möglich war,ohne unhöflich zu sein, und wandte sich dann denbeiden Männern zu.

»Darf ich bekannt machen?« sagte er zu McLane.»Unser Erster TECOM-Chefprogrammierer Murdo-nom Kahindra. Und das ist der Dritte Chefprogram-mierer Veit Holocek.«

McLane und seine Begleiter begrüßten die Pro-grammierer. Dem Commander fiel das eigenartigeSpannungsverhältnis zwischen Astiriakos und derZweiten Chefprogrammiererin sofort auf.

»Ich schlage vor, wir gehen gleich ins Zentrum derAnlage«, sagte er. »Je eher wir eine Lösung des Pro-blems finden, desto besser.«

Basil Astiriakos führte die Gruppe in den Zentral-sektor von TECOM, der sich als eine von Schaltwän-den eingeschlossene Halle darstellte. Die Schaltwän-de waren allerdings nicht für eine manuelle Bedie-nung vorgesehen. Sie waren transparent. Hinter ih-nen spielten sich die koordinierten Schaltungen desZentralsektors ab. McLane wußte, daß diese Schalt-gänge normalerweise unsichtbar waren, aber durchbesondere optische Effekte sichtbar gemacht werdenkonnten.

Rings um den Zentralsektor lagen in schalenförmi-ger Anordnung sechs weitere Sektoren, die um somehr Schalt- und Speichereinheiten umfaßten, jeweiter draußen sie sich befanden. Der äußere Scha-lensektor war der Kommunikationssektor, der dieRückkopplungsverbindung mit der Außenwelt si-cherte. Hier befanden sich auch die Schaltstellen fürInformationen, die durch Info-Sensoren, die überallauf der Erde, im Sonnensystem und auf allen Koloni-

alwelten stationiert waren, alle nur erdenkbaren Da-ten erfaßten. Dadurch stand TECOM ständig auf demaktuellsten Wissens- und Informationsstand.

Darüber hinaus waren drei Programm-Injektorenvorhanden. Das waren tresorähnlich gebaute und ab-gesicherte Räume, in denen mit Hilfe von Schaltpul-ten Änderungen der TECOM-Programmierung oderZusatz-Programmierungen erfolgen konnten.

Das alles wußte Cliff McLane ebenso wie Mario deMonti, der Kybernetiker.

»Wir sind uns darüber einig, daß Manipulationenan TECOM vorgenommen worden sind«, sagte CliffMcLane.

»Keinesfalls«, rief Melia Chang-Fu empört. »Wirsind uns keineswegs darüber einig. Sie behaupten,daß Manipulationen vorgenommen worden sind. Wirsind ganz anderer Meinung.«

»Allerdings«, bestätigte Murdonom Kahindra, einschlanker Inder mit strengen, asketischen Gesichts-zügen. Abwehrend hob er seine feingliedrigen Hän-de. »Wir haben sofort neue Berechnungen und Kon-trollen durchgeführt, als wir von dem Verdacht hör-ten. Bestätigt hat sich der Verdacht bis jetzt über-haupt nicht.«

»Welche Voraussetzungen müssen denn überhauptgegeben sein, wenn ein mißbräuchlicher Eingriff indie Programmierung von TECOM vorgenommenwerden soll?« fragte McLane.

Murdonom Kahindra lächelte hochmütig.»Sagen wir es anders herum«, entgegnete er. »Um

mißbräuchliche Eingriffe in die Programmierung vonTECOM auszuschließen, müssen wir drei Chefpro-grammierer gleichzeitig absolut identische Manipu-

lationen von den drei Programm-Injektoren aus vor-nehmen.«

»Außerdem enthält die Grundprogrammierungvon TECOM Verhaltensweisen, die unbeeinflußbarsind«, fügte Veit Holocek hinzu. Der Dritte Chefpro-grammierer von TECOM war ein untersetzter, kor-pulenter Mann, der einen kahlen Schädel, aber einenmächtigen Kinnbart hatte. Er vergrub seine Hände inden Hosentaschen und wippte auf den Fußballen.

»Das verstehe ich nicht ganz«, erwiderte McLane.»Ganz einfach«, bemerkte Mario de Monti. »Eines

dieser Verhaltensschemata bewirkt beispielsweise,daß bei geringsten Abweichungen in der Programm-Manipulation die Möglichkeit zur Manipulationblockiert wird.«

»Aha«, sagte McLane. »Nun bin ich auch nicht vielschlauer.«

»Als der Ego-Sektor von TECOM, der ja mittler-weile zerstört worden ist, noch existierte, konnte erdie Programm-Blockade mit einem geheimen Primär-Impuls wieder lösen. Niemand außer ihm kannte denKode des Primär-Impulses. Folglich sollte es nachmenschlichem Ermessen unmöglich sein, irgend et-was zu manipulieren, da nichts über das Stadium ei-nes Versuchs hinauskäme, was nicht in TECOM seindarf«, erläuterte Melia Chang-Fu.

»Es sei denn, daß alle drei Chef Programmiererdaran beteiligt sind«, sagte Mario de Monti undblickte gelangweilt zur Decke.

4.

Lawford wich den wild zupackenden Händen vonCharles Taylor aus. Er warf sich zur Seite und ver-suchte, den HM 4-Strahler auszulösen, doch einwuchtiger Faustschlag traf die Waffe und schleudertesie meterweit weg.

Die beiden Männer standen sich gegenüber. Beidebeugten sich leicht nach vorn, um so wenig Angriffs-fläche wie möglich zu bieten. Beide streckten die Ar-me nach vorn, um so schnell wie möglich zupackenzu können, falls sich beim Gegner eine Lücke bot.

»Sie haben einen Fehler gemacht«, sagte Taylor.»Sie hätten mich gleich töten sollen. Jetzt haben Siekeine Chance mehr. Ich bin in einer Kampftechnikausgebildet worden, die hier auf der Erde völlig un-bekannt ist. Sie werden sterben, Mr. Lawford. Nichtskann Sie mehr vor dem Ende retten.«

Der Detektiv zeigte sich unbeeindruckt.»Wenn es so ist, Mr. Taylor, dann greifen Sie ruhig

an«, sagte er. »Es könnte allerdings sein, daß Sie sichdabei das Genick brechen. Darf ich fragen, wo ich dietrauernden Hinterbliebenen finde und welche Nach-richt ich ihnen zukommen lassen soll?«

»Sie dürfen nicht«, erwiderte Taylor. »Aber Siesollen wissen, daß zu unserer Gruppe zehn Spezial-kämpfer gehören. Wir werden die Erde und die ge-samte terranische Zivilisation in ein Chaos stürzen,von dem sie sich nicht wieder erholen wird.«

»Ballyhoo«, sagte Lawford geringschätzig. »Mit Ih-rem angeberischen Geschrei können Sie mich nicht be-eindrucken. Was ist denn nun, scheuen Sie das Risiko?«

Charles Taylor ließ sich provozieren. Er griff ve-hement an und versuchte, mit einer Beinschere einzu-steigen. Lawford reagierte blitzschnell. Taylor flog anihm vorbei und mußte eine Kombination von Hand-kantenschlägen einstecken, die ihn zu Boden warfen.

Der Detektiv glaubte bereits, es geschafft zu haben.Er beugte sich nach vorn, um Taylor mit einem weite-ren Schlag völlig auszuschalten, als ihm die Beine desAgenten der Außerirdischen entgegenzuckten undihn voll auf der Brust trafen. Lawford flog meterweitzurück, brach zusammen und blieb in gekrümmterHaltung auf dem Boden liegen. Er preßte sich dieHände gegen die Brust. Er hatte das Gefühl, daß seinHerz unter dem Nacken Taylors zerquetscht wordenwar.

Der Lieutenant richtete sich langsam auf. Er warebenfalls einem Zusammenbruch nahe. Lawford er-kannte, daß der Beinangriff eine rein instinktiveHandlung gewesen war, die die Außerirdischen wäh-rend der Kampfausbildung bei ihm einprogrammierthaben mußten.

Bis zu diesem Moment war Lawford davon über-zeugt gewesen, daß er Taylor überwältigen konnte.Jetzt packte ihn die Angst. Er spürte, daß er diesemGegner deutlich unterlegen war. Taylor war keinMensch mehr, er war wie ein biologischer Roboter,der genau das tat, was ihm irgendwann irgendwo inder Galaxis eingegeben worden war.

Der Detektiv richtete sich langsam auf. Er erholtesich mit jedem Atemzug mehr.

»Nun?« fragte Charles Taylor spöttisch. »Wie wardas?«

»Lieutenant Taylor«, sagte Lawford scharf. »Erin-

nern Sie sich. Sie sind ein Mensch. Sie werden vonAußerirdischen mißbraucht. Sie sollten für die Men-schen der Erde kämpfen, nicht aber gegen sie. Wa-chen Sie doch endlich auf, Taylor. Wehren Sie sichgegen das Psychoprogramm, das man Ihnen einge-pflanzt hat.«

»Seien Sie still«, forderte Taylor. Er näherte sichdem Detektiv vorsichtig.

»Versuchen Sie, sich an Ihr wirkliches Ich zu erin-nern. Versuchen Sie es wenigstens. Sie sind keinebiologische Maschine, Taylor, Sie sind ein denkendesund fühlendes Wesen, das seine Freiheit verloren hat,sie aber zurückgewinnen kann, wenn es will. Siemüssen nur wollen, Taylor.«

»Ich weiß nur, daß ich Sie zum Schweigen bringenwill und muß«, antwortete Taylor. »Das genügt fürmich. Sie können das wohl nicht verstehen, wie?«

Der Privatdetektiv wich zurück, bis er mit denSchultern gegen ein Zwischenschott stieß. Er versuchte,es zu öffnen, aber der Mechanismus reagierte nicht.

Seine Blicke fielen auf die Laserhandwaffe HM 4,die auf dem Boden lag. Sie war nur etwa zweieinhalbMeter von ihm entfernt.

»Nicht doch«, sagte Charles Taylor spöttisch. »Siewollen doch nicht versuchen, an die Waffe zu kom-men? Das wäre Ihr Ende, Lawford. Ich wäre sofortüber Ihnen, und dann wäre es vorbei.«

Der Privatdetektiv versuchte eine Finte. Er tat, alsob er sich auf die Waffe werfen wollte. Als er sah, daßTaylor darauf einging, schnellte er sich zur Seite. Mitunglaublicher Wucht hämmerten seine gestrecktenHände auf den Agenten ein. Sie schmetterten ihn er-neut zu Boden.

Dieses Mal versuchte Lawford gar nicht erst, Tay-lor vollends zu besiegen. Er rannte in weiten Sätzendurch den Gang, riß das Schott auf und flüchtetenach oben. Er hörte eilige Schritte hinter sich, wäh-rend er sich in fieberhafter Eile bemühte, denSchachtdeckel zu öffnen.

Als der Deckel nach oben schwang, hörte er ein lei-ses Lachen unter sich. Dann blitzte der HM 4-Strahlerauf. Lawford hatte das Gefühl, in glühende Lava zustürzen. Er schrie gellend auf und stürzte sterbend indie Tiefe.

Charles Taylor stieg gelassen über den Toten hin-weg, kletterte nach oben, schloß und versiegelte denSchachtdeckel und entfernte sich pfeifend. SeineSchritte verloren sich in der Dunkelheit.

*

Als Charles Taylor die Mole im Hafen von Sidney er-reichte, blieb er stehen und spähte mit verkniffenenAugen auf das Wasser hinaus. Er pfiff leise.

Kurz darauf schwebte ein dunkler Körper auf ihnzu, glitt an ihm vorbei und landete. Licht flammte füreinen kurzen Moment auf, und der Agent erkanntedie transparente Haube eines Fluggleiters, unter derein blondes Mädchen saß. Eine schlanke Hand hobsich und öffnete die Tür der Maschine. Dann erloschdas Licht wieder.

Charles Taylor stieg ein.»Los, weg hier«, befahl er ohne ein Wort der Be-

grüßung.Das Mädchen gehorchte und startete. Der Gleiter

raste in nördlicher Richtung davon.

»Alles in Ordnung?« fragte er.»Alles in Ordnung«, bestätigte sie. »Ich habe sieb-

zehn liebestollen Männern die Kreditkarte abge-nommen und anschließend abgebucht. Eine Ab-schlußkontrolle hat ergeben, daß der Plan in allenFällen aufgegangen ist. Wir haben keine finanziellenProbleme mehr.«

»Ausgezeichnet«, lobte er. »Hat es Schwierigkeitengegeben?«

»Ich glaube nicht«, antwortete sie, »obwohl ich ineinem Fall einen Kybernetiker erwischt habe. Es warMario de Monti, der Chefkybernetiker des Raum-schiffes ORION.«

»Du hast ihm auch die Karte abgenommen?«»Das habe ich getan.«»Das war ein Fehler. Der Kerl ist mit Sicherheit so-

fort aufmerksam geworden. Das bedeutet, daß wirmit Gegenmaßnahmen rechnen müssen.« CharlesTaylor war sichtlich erregt. Die Erkenntnis, daß dasMädchen neben ihm einen Fehler gemacht hatte,wühlte ihn mehr auf als der Mord an dem Detektiv.

Seine Gedanken überschlugen sich.»Ich will wissen, was vorgefallen ist«, sagte er

schließlich. »Beschreibe mir, wie du in diesem Fallgearbeitet hast. Schritt für Schritt.«

Jeanny Laver berichtete mit ruhiger, fast heitererStimme. Sie machte sich keine Sorgen.

»Das bedeutet, daß du Fingerabdrücke hinterlassenhast«, sagte Taylor schließlich.

Die Flugkabine hatte das Gebiet von Sidney verlas-sen. Jeanny Laver schaltete das Licht an.

»Sicher habe ich das«, erwiderte sie erstaunt. »Wa-ren wir uns nicht darüber einig, daß so etwas keine

Rolle spielt? Niemand kann unsere Identität enträt-seln.«

»Das ist ein Irrtum«, sagte Taylor. »Ein Privatde-tektiv hat zum Beispiel ermittelt, wer ich bin. Ichweiß nicht genau, ob er recht hatte, aber als er miretwas über mich erzählte, erinnerte ich mich plötzlichwieder an Dinge, die ich längst vergessen hatte. Ichweiß jetzt, daß ich schon im Jahre 1945 gelebt habe.«

Sie lächelte ungläubig.»Wie sollte das möglich sein?«»Wir haben geschlafen«, entgegnete er. »Ich ebenso

wie du oder die anderen acht, mit denen wir hiersind. Bisher wußte ich nicht, wann und wo ich einge-schlafen bin. Ich wußte nur, wo ich aufgewacht bin,aber noch nicht einmal, wann das genau war. Mir istklar geworden, daß ich praktisch nichts über michweiß.«

Jeanny krauste die Stirn. Sie strich sich mit derHand über den Nacken.

»Das ist richtig«, sagte sie langsam. »Ich habe nochnie darüber nachgedacht. Seltsam, aber jetzt, da du essagst, wird mir das erst klar. Wer bin ich, Charles?«

Er hob die Schultern.»Woher soll ich das wissen. Das spielt auch keine

Rolle. Wir haben eine Aufgabe, und die werden wirerfüllen, ganz gleich, was geschieht.«

Ihre Augen wurden leer und ausdruckslos.»Wir werden tun, was man uns befohlen hat«,

sagte sie mit tonloser Stimme.Taylor legte seine Hand auf ihren Arm. Sie zuckte

zurück, als habe er ihr einen elektrischen Schlag ver-setzt. Leben kehrte in ihre Augen zurück. Ihr Gesichtentspannte sich. Sie lächelte, streckte ihre Hand vor-

sichtig wieder aus und berührte seine Wange. IhreFingerspitzen wanderten zärtlich bis hin zu seinenLippen.

»Es ist eigenartig«, sagte sie flüsternd. »Zunächsthat es mich völlig kaltgelassen, als die Männer michberührten. Ich dachte nur an meine Aufgabe. Aberdann geschah etwas, über das ich mir nicht klar ge-worden bin.«

»Was?« fragte Taylor schroff.»Ich empfand etwas«, sagte sie weich. »Die Berüh-

rung war angenehm für mich. Sie war mir nicht mehrgleichgültig, und ich erinnerte mich daran, daß es Be-rührungen zwischen Mann und Frau gibt, die ichvergessen hatte. Ich wäre gern länger mit den Män-nern zusammengeblieben, um herauszufinden, wel-che das sind.«

»Es gibt keine«, behauptete er kühl. »Empfindun-gen sind Störfaktoren, die uns nur von unserer Auf-gabe ablenken. Wir haben die Pflicht, sie zu unter-drücken und völlig zu eliminieren. Du mußt dich da-gegen wehren, daß dein Körper anders reagiert, als ersollte.«

»Ich weiß nicht mehr, welche Reaktionen richtigsind, und welche falsch«, antwortete sie und drückteihre Hand weich gegen seinen Mund. »Ist es wirklichfalsch, wenn ich etwas empfinde?«

»Es ist falsch.«»Warum darf ich mich nicht freuen, wenn mir je-

mand etwas sagt, was ich gerne höre?«»Du hast nur an deine Aufgabe zu denken.« Seine

Stimme klang eiskalt. Er schlug ihre Hand zur Seite.Jeanny Laver zuckte heftig zusammen. Ihre Hände

legten sich auf ihre Knie. Steif wie eine Puppe saß sie

neben dem Gruppenführer der Sabotageeinheit.Seine Blicke fielen auf ihre Hand. An dem Ringfin-

ger ihrer Rechten steckte ein kostbarer, funkelnderRing.

»Was ist das?« fragte er heftig und riß die Hand zusich herüber.

Jeanny schrie vor Schmerz auf.»Ein Ring«, antwortete sie mit gepreßter Stimme.

»Ist er nicht schön?«Charles Taylor ließ ihre Hand sinken. Er lehnte sich

in seinem Sitz zurück und blickte starr geradeaus. DieMuskeln seiner Wangen arbeiteten heftig.

Für einige Zeit hatte er sich aus der Psychofessellösen können, die ihm eine außerirdische Macht an-gelegt hatte. Er hatte erkannt, daß ihn etwas Fremdesgegen sein eigenes Volk gestellt hatte, ohne sich da-gegen wehren zu können. Immerhin hatte er einenAnfang gemacht und sein Sklavendasein erkannt.

Der Vorwurf des Privatdetektivs, ein biologischerRoboter ohne eigenen Willen zu sein, hatte ihn getrof-fen. Er hatte eine Wunde in ihm bloßgelegt und tiefverborgene Kräfte in ihm mobilisiert. Doch dann warer wieder in seine Abhängigkeit zurückgefallen, undes war ihm nicht wieder gelungen, sich aus ihr zu be-freien.

Schuld daran war Jeanny und ihr Verhalten.Hätte sie sich wie ein biologischer Roboter be-

nommen, hätte sie sich wie eine Marionette bewegt,dann hätte sie fraglos einen weiteren Schock bei ihmhervorgerufen und ihm die Wahrheit deutlich ge-macht.

Jeanny aber zeigte sich menschlich. Sie verhielt sichso, wie sie nicht durfte. Damit aber verstieß sie gegen

alle Bestimmungen, die ihnen auferlegt worden wa-ren. Damit mobilisierte sie den ihm mit den überle-genen Mitteln der Rudraja auferlegten Ordnungs-zwang.

Seine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, daß dieMitglieder der Sabotageexpedition so funktionierten,wie die fernen Lenker im All es wollten. Trat einePanne ein, dann mußte er handeln. So verhielt sichder ihm auferlegte Ordnungsbefehl wie ein Sicher-heitsventil. In seinem Gehirn wurde durch das Ver-halten Jeannys eine chemische Reaktion provoziert,gegen die Charles Taylor absolut machtlos war.

»Gib mir die Zentralkarte«, forderte er.Das Mädchen gehorchte. Aus einer Tasche holte es

eine Kreditkarte hervor.»Ich habe sämtliche Gelder auf ein Konto gesam-

melt, so wie du es befohlen hattest«, erläuterte sie.»Mit dieser Karte kannst du die Kreditpoints abru-fen.«

»Das ist mir klar«, antwortete er kühl. »Öffne dieTür.«

Sie gehorchte. Die Schiebetür glitt nach hinten. DerWind fauchte in die enge Kabine und wirbelte ihrblondes Haar durcheinander.

»Spring«, befahl er.Sie blickte ihn mit geweiteten Augen an und

schüttelte den Kopf.»Nein, Charles«, rief sie stammelnd. »Ich möchte

leben. Bitte, nicht.«»Du hast den Befehl gehört, Jeanny. Also spring!«»Ich möchte leben«, sagte sie schluchzend. »Ich will

nicht sterben. Ich werde alles tun, um meine Fehlerwieder gutzumachen.«

»Du gibst dich deinen Emotionen hin. Du hast so-gar einen Ring gekauft, weil du dich über so etwasfreust. Darüber hast du deine Aufgabe vergessen. Dubist zu einem Sicherheitsrisiko für die ganze Gruppegeworden. Du hast den Befehl gehört.«

Er blickte sie starr an. Sein Gesicht war regungslos,als wäre es aus Stein. Seine Hände lagen ruhig aufseinen Oberschenkeln.

Jeanny Laver saß neben ihm. Ihre Augen fülltensich mit Tränen. Sie rutschte langsam auf die offeneTür zu. Ihre Hände krallten sich in die Polster ihresSitzes, aber es schien, als habe sie eine unsichtbareKraft von außen gepackt, die sie mit unwiderstehli-cher Gewalt aus der Flugkabine zerrte.

»Nein, Charles, bitte, nicht. Ich will alles tun, wasich kann, damit der Plan gelingt.«

Er antwortete nicht, sondern blickte sie nur an.»Bitte, Charles«, flüsterte sie wimmernd.Er schwieg auch weiterhin unerbittlich. Jeanny

kämpfte mit aller Kraft gegen den Befehl der fremdenMacht, die sie zwang zu gehorchen, Sie stemmte sichgegen das Ende. Sie klammerte sich an den Sitz undkonnte sich doch nicht halten.

Sie rutschte über die Kante des Sitzes hinweg. IhreAugen weiteten sich vor Entsetzen, und sie schriegellend auf.

»Du verrätst die Menschen«, schrie sie. Dannstürzte sie in die Tiefe.

Charley Taylor hob die Hände und schlug sie vordie Augen. Er hörte ihre Schreie, bis sie tief unter ihmirgendwo verstummten. Unwillkürlich blickte er aufden Höhenmesser, als er die Hände wieder herunter-nahm.

Der Gleiter flog in einer Höhe von fünftausendMetern.

Jeanny hatte keine Chance gehabt.Er schloß die Tür und rutschte auf ihren Sitz hin-

über. Die Polster fühlten sich noch warm an, als obeigenständiges Leben in ihnen sei. Charles Taylor er-schauerte. Er begriff plötzlich nicht mehr, was er ge-tan hatte.

Seine Augen füllten sich mit Tränen.»Du bist wie ein Roboter«, sagte er mit erstickter

Stimme. »Du bist nichts als ein Roboter aus Fleischund Blut, eine Maschine, die Befehle ausführt. Sonstnichts.«

Seine Hände tasteten sich zur Tür. Er wollte sieaufreißen und dem Mädchen nachspringen, um seinLeben zu beenden. Doch seine Hand zuckte zurück.Seine Gestalt erstarrte. Aus seinen Augen wich jegli-ches Leben.

Charles Taylor saß regungslos in der Kabine desGleiters, und eine Glocke psychischer Gewalt legtesich über ihn und lähmte ihn. Sein eigener Wille undseine Gefühle erstickten im Nichts.

*

»Ich verbiete mir derartige Anspielungen«, sagteMurdonom Kahindra erzürnt.

»Wollen Sie ernsthaft unterstellen, daß wir dreiChefprogrammierer gemeinsam gegen die Interessender Menschheit arbeiten?« fragte Melia Chang-Fuheftig.

»Das geht zu weit«, fügte Veit Holocek kopfschüt-telnd hinzu. »Irgendwo muß eine Grenze sein.«

»Warum so empfindlich?« fragte McLane.»Weil die drei Chefprogrammierer über jeden Ver-

dacht erhaben sind«, erklärte Basil Astiriakos ener-gisch. »Wir wollen uns gar nicht erst bei solchenÜberlegungen aufhalten. Sie bringen nichts ein, höch-stens einen Vorteil für unsere Gegenspieler.«

»Einverstanden«, sagte Mario de Monti.»Da seid ihr ja endlich«, sagte Hasso Sigbjörnson,

als Helga Legrelle und Atan Shubashi in die Zentralekamen. Die Funkerin der ORION und der Astrogatorbegrüßten Astiriakos und die Chefprogrammierer.Cliff McLane übernahm es, sie mit kurzen Worten zuinformieren. Währenddessen machte Mario de Montimit Melia Chang-Fu einen Rundgang.

»Ich glaube, ich weiß jetzt, wo die schwache Stelleist«, erklärte der Kybernetiker, als er zu der Gruppezurückkehrte. Cliff McLane hatte seinen Bericht gera-de beendet.

»Dann heraus damit«, forderte Basil Astiriakos.»Es muß eine Möglichkeit geben, die Manipulati-

onsblockade auszuschalten«, sagte Mario. »Andern-falls kann überhaupt keine mißbräuchliche Manipu-lation durchgeführt werden.«

»Ausgeschlossen«, erwiderte Veit Holocek erregt.»Das ist einfach unmöglich, was Sie da sagen. MeinenSie nicht, wir hätten über eine solche schwache Stellenicht schon oft diskutiert. Es gibt sie nicht.«

»Befragen Sie TECOM«, forderte McLane. »Das istdoch ein naheliegender Gedanke. Oder nicht?«

»TECOM ist so programmiert, daß er auf dieseFrage keine Antwort gibt«, erläuterte Melia Chang-Fu.

»Ich fordere Sie dennoch auf, TECOM zu befra-gen«, sagte Basil Astiriakos.

»Das bedeutet, daß Sie uns doch mißtrauen«, erwi-derte Melia Chang-Fu beleidigt.

»Allerdings«, fügte Veit Holocek bestürzt hinzu.»Unsinn«, wehrte sich der Minister. »Ich will le-

diglich Klarheit. Fragen Sie TECOM, und seien Sienicht so verdammt empfindlich.«

»Dann bitte ich Mister de Monti, mich dabei zukontrollieren«, sagte Murdonom Kahindra.

»Genau das hatte ich vor«, entgegnete Mario grin-send.

Er folgte dem Ersten Chefprogrammierer, der eini-ge Schaltungen an TECOM vornahm und dann lautdie geforderte Frage stellte.

TECOM antwortete nicht.»Antworte«, forderte der Chefprogrammierer

energisch.TECOM schwieg.»Dann gibt es nur einen Ausweg«, stellte Mario

fest. »Die betreffende Grundprogrammierung fürTECOM muß geändert werden. Wir müssen TECOMzwingen, auf diese Frage zu antworten.«

»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, erwiderteMurdonom Kahindra heftig.

»Die Forderung de Montis erscheint mir logisch«,sagte Basil Astiriakos. »Warum sträuben Sie sich da-gegen.«

»Weil eine solche Änderung einen grundlegendenEingriff in die Sicherheitsstruktur von TECOM be-deuten würde«, antwortete Kahindra. »Sie könnenalles von uns verlangen, das jedoch nicht. In unserengesetzlich verankerten Arbeitsbestimmungen ist fest-gelegt, daß wir einer Forderung dieser Art überhauptnicht nachgeben dürfen.«

»Sie müßten uns schon zum Rücktritt zwingen,wenn Sie damit durchkommen wollen«, erklärte Me-lia Chang-Fu.

Basil Astiriakos hob abwehrend die Hände. Er lä-chelte beschwichtigend.

»Nur nicht so aufgeregt«, bat er. »Mir geht es ein-zig und allein um die Sache. Es geht um das Schicksalder Menschheit, und es geht darum, einen Feind aus-findig zu machen, von dem wir kaum mehr wissen,als daß er existiert.«

Mario de Monti schob die Hände in die Hosenta-schen, spitzte die Lippen und pfiff ein paar Takte ei-nes Hits.

»Dann bin ich dafür, daß wir diese Konferenz zu-nächst einmal abbrechen und neue Überlegungen an-stellen«, sagte er dann. »Gibt es hier irgendwo einenanständigen Whisky?«

Basil Astiriakos schüttelte den Kopf.»Es gefällt mir nicht, daß Sie Zeit vertun wollen«,

sagte er.McLane hatte das heimliche Blinzeln Marios be-

merkt.»Ich brauche Zeit, um meine Gedanken zu ord-

nen«, behauptete er. »Hier ist ein wenig zu viel aufmich eingestürmt. Ich spüre, daß irgendwo eine Lük-ke sein muß, aber ich muß sie allein finden. LassenSie uns eine Pause machen.«

»Also gut, dann bin ich einverstanden«, erwiderteder Politiker zögernd.

»Ich auch«, sagte Murdonom Kahindra widerstre-bend.

*

»Warum wolltest du, daß wir allein miteinander re-den können?« fragte Cliff McLane, als die ORION-Crew in einer Kantine des Computerzentrums zu-sammensaß. Die Chefprogrammierer und Basil Asti-riakos hatten sich zu einer Besprechung über ein Pro-blem zurückgezogen, das die Crew nicht tangierte.

»Weil ich eine Idee habe, mit der die drei Pro-gramm-Muffel wahrscheinlich nicht einverstandensind«, erwiderte Mario de Monti und nippte unge-wohnt bescheiden an seinem mit Wasser verdünntenWhisky.

»Es ist kaum anzunehmen, daß sich diese Ideedann auch verwirklichen läßt«, sagte Helga.

»Es wäre ein Experiment«, erklärte Mario. »Unddas läßt sich bestimmt durchführen, Helga-Mädchen.«

»Laß hören«, forderte Atan Shubashi ungeduldig.»Ich möchte an die Simultan-Kupplung ange-

schlossen werden.«»Was ist das?« fragte Hasso Sigbjörnson.»Eine Vorrichtung in TECOM, die früher dazu

diente, Computer-Psychologen mit dem Bewußtseinvon TECOM zu verbinden«, erklärte der Kyberneti-ker. »Genauer, das Bewußtsein der Psychologenwurde mit dem Pseudobewußtsein von TECOM ver-bunden.«

»Und was soll das?« fragte Arlene.»Dadurch konnten sie die inneren Vorgänge von

TECOM erforschen«, antwortete Mario. »Irgendwannspäter hat Orcuna aus verständlichen Gründen dieseVorrichtungen gesperrt. Seit Orcunas Ende aber sindsie wieder offen.«

McLane nickte.

»Fabelhaft«, sagte er. »Jetzt möchte ich nur nochwissen, warum die Chefprogrammierer damit nichteinverstanden sein sollten.«

»Es könnte sein, daß ich auf Informationen stoße,die geheim sind.«

»Ich werde mit Basil darüber reden und ihn davonüberzeugen, daß wir nur so weiterkommen«, ver-sprach McLane. »Wenn die Regierung wirklich will,daß wir der Situation Herr werden, dann muß er sei-ne Zustimmung geben.«

»Und was ist, wenn die Chefprogrammierer sichquerlegen?« fragte Mario.

»Zum Teufel«, entgegnete Cliff ärgerlich. »Dannsoll er sie eben feuern.«

5.

Charles Taylor landete auf dem Hauptparkplatz vonTECOM. Er verließ den Gleiter, und nun hatte erJeanny Laver vergessen. Es war, als habe irgend je-mand die Erinnerung an sie in ihm ausgelöscht.Charles Taylor konzentrierte sich ganz auf die Auf-gabe, die ihm gestellt worden war.

Er fuhr mit dem Lift in die Tiefe, jedoch nicht biszur Hauptsohle mit der Schaltzentrale. Er verließ dieKabine schon einige Etagen vorher und eilte in einenkleinen Raum, in dem sein Arbeitsplatz war.

Die persönliche Kreditkarte, die mit seinen Indivi-dualdaten versehen war, reichte auch hier völlig aus,um ihm sämtliche Türen zu öffnen.

Er erreichte seinen Arbeitsplatz, an dem ihn nie-mand stören durfte, und er begann augenblicklichmit seiner Arbeit, so wie es der Dienstplan vor-schrieb. Doch schon bald ging er zu anderen Arbeitenüber, zu denen er nicht befugt war. Da er eine Spezi-alausbildung und eine künstliche Intelligenzaufstok-kung genossen hatte, überspielte er alle Kontrollenund Sicherheitsschranken mühelos.

Schließlich schaltete er einen Videorecorder an. EinBildschirm erhellte sich vor ihm, und nur wenige Mi-nuten vergingen, bis Taylor alles wußte, was CliffMcLane mit den drei Chefprogrammierern bespro-chen hatte.

Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, als er sah,wie die Gruppe den Zentralraum verließ.

»Verdammt«, sagte er leise. »Warum haben sienicht dort unten besprochen, was sie vorhaben?«

Enttäuscht schaltete er das Gerät ab und überlegte,welche Schritte er einleiten mußte, um einen bevor-stehenden Angriff abzuwehren. Einige Minuten ver-strichen, dann hatte er einen Beschluß gefaßt. Ertippte eine Zahlenkombination in die Tastatur desVideogeräts. Der Bildschirm erhellte sich, und nacheinigen Sekunden erschien das scharfkantige Gesichteines schwarzhaarigen Mannes im Projektionsfeld.Stahlblaue Augen blickten ihn forschend an.

*

Helga Legrelle bog in Gedanken versunken um dieGangecke und prallte unversehens mit einem hoch-gewachsenen Mann zusammen.

»Entschuldigen Sie, bitte«, sagte er nicht wenigererschreckt als sie.

Helga blickte auf.Der Mann hatte ein scharfgeschnittenes Gesicht.

Das tiefschwarze Haar reichte ihm bis auf die Schul-tern und stand in auffälligem Kontrast zu den stahl-blauen Augen. Er lächelte linkisch.

»Es tut mir leid. Ich habe überhaupt nicht aufge-paßt.« Er schob sich an ihr vorbei und eilte weiter,blieb jedoch nach einigen Schritten stehen und griffsich suchend ans Handgelenk.

»Hier liegt es«, sagte Helga Legrelle. Sie bückte sichnach einem Chronometer. Der Mann kehrte zurückund beugte sich ebenfalls herab, aber die Funkerinder ORION hatte das Chronometer bereits aufge-nommen.

»Danke«, sagte er schüchtern. »Das ist sehr nett.«Sie lächelte und beobachtete, wie er das Chrono-

meter prüfte und es sich danach wieder um dasHandgelenk legte. Er blickte auf und lächelte eben-falls.

»Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht weh getan.«Sie schüttelte den Kopf.»So schlimm war es ja nun wirklich nicht«, entgeg-

nete sie. »Ich habe nur einen Schreck bekommen. Daswar alles.«

»Dann ist es ja gut«, sagte er aufatmend. Er machteAnstalten weiterzugehen, zögerte dann jedoch undblickte ihr suchend in die Augen. »Sie wollten nichtzufällig in die D-Kantine?«

Helga lachte, weil er so ungeschickt und schwer-fällig war.

»Nein«, erwiderte sie amüsiert. »Ich wollte über-haupt nicht dorthin, wenn Sie aber dorthin gehensollten, wird mir zweifellos einfallen, daß ich Appetitauf eine Tasse Kaffee habe.«

»Ich will in die D-Kantine«, antwortete erleichtert.»Dann laden Sie mich, bitte, zu einer Tasse Kaffee

ein«, bat sie, wobei sie sich förmlich gab.»Mit dem größten Vergnügen«, sagte er ebenfalls

übertreibend.Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander

her. Dann lachte Helga auf.»Sie sind ein eigenartiger Mensch«, sagte sie. »Aber

Sie gefallen mir. Wie heißen Sie?«»Harold«, erwiderte er. »Harold Brighton. Ich bin

Simultan-Techniker. Und Sie?«»Helga.«Sie betraten die D-Kantine, und er führte sie zu sei-

nem Tisch.»Aber Sie sind nicht hier in TECOM tätig«, be-

merkte er. »Ich habe Sie hier noch nie gesehen.«Die Funkerin merkte nicht, wie raffiniert und ge-

schickt Brighton vorging. Sie ging ihm arglos in dieFalle. Sie, die sonst so frostig sein konnte, fühlte sichsicher und glaubte sich ihm überlegen. Seine linki-sche und scheinbar so naive Art täuschte sie.

Harold Brighton war allerdings ebenso wie CharlesTaylor ein perfekt geschulter Mann, der es wie keinanderer verstand, Frauen ganz nach seinen Absichtenzu führen. So merkte Helga Legrelle erst, daß sie allesausgeplaudert hatte, als es viel zu spät war. Sie hatteden Plan verraten, den Mario de Monti gefaßt hatte.

Erschreckt blickte sie Harold Brighton an, als ihrdie entscheidenden Worte entglitten waren.

»Du meine Güte«, sagte sie. »Das alles hätte ichniemals erzählen dürfen.«

»Ich habe schon wieder alles vergessen, was Sie ge-sagt haben«, beteuerte er. »Machen Sie sich keineSorgen. Ich bin ein Mensch, und ich hasse alles, wasdie Menschheit in ihrer Existenz bedroht. Ich werdeschweigen wie ein Grab. Großes Ehrenwort.«

»Sie dürfen niemandem etwas verraten. Auch nichtIhren Freunden. Das ist wichtig.«

Er nickte lächelnd, legte scherzhaft Zeige- undMittelfinger seiner rechten Hand an die Lippen unddanach ans Herz und antwortete: »Ich schwöre, daßich schweigen werde.«

Helga Legrelle war dennoch nicht beruhigt. Siewußte, daß sie einen schwerwiegenden Fehler ge-macht hatte, aber sie redete sich ein, daß sie diesemMann vertrauen durfte. Dabei war sie sich dessenbewußt, daß sie nur gegen ihre Schuldgefühle an-kämpfte. Sie wußte, daß sie Harold Brighton sofort

hätte isolieren lassen müssen, aber sie brachte es nichtübers Herz, so etwas zu veranlassen. Er erschien ihrvertrauenswürdig.

Sie blickte verstört auf ihr Chronometer.»Ich muß unbedingt gehen«, sagte sie und stand

auf.Er erhob sich sofort, doch sie wies ihn mit be-

schwichtigend ausgestreckter Hand zurück.»Bitte, Sie brauchen mich nicht zu begleiten. Im

Gegenteil. Es wäre mir lieber, wenn Sie hier blieben.Sie haben auch Ihren Kaffee noch nicht ausgetrun-ken.«

Er sank auf seinen Stuhl zurück.»Sehen wir uns wieder?« fragte er schüchtern.»Ich melde mich«, versprach sie und eilte davon.Er blickte ihr nach. Ein verächtliches Lächeln glitt

über seine Lippen, als sie die Kantine verlassen hatte.Zufrieden rührte er seinen Kaffee um und trank ihnaus.

Er hatte alles erreicht, was möglich war. Er wartetenoch einige Minuten, dann erhob er sich und begabsich zu einer kleinen Kabine, in der Charles Taylorauf ihn wartete.

*

Mario de Monti unterbrach seine vorbereitenden Ar-beiten an der Simultan-Kupplung, als die drei Chef-programmierer eintraten.

»Aha«, sagte er ironisch, »die drei Hemmschuheder Nation.«

»Ihre Bemerkung ist weder witzig noch originell«,erwiderte Murdonom Kahindra verletzt. »Wir haben

eine bessere Übersicht über die Gesamtanlage TE-COM, und wir wissen, was wir verantworten könnenund was nicht.«

»Im Gegensatz zu Ihnen verschwinden wir nachdieser Geschichte nicht einfach irgendwo im Welt-raum, sondern wir bleiben hier und müssen uns stel-len, egal wie alles ausgegangen ist«, fügte MeliaChang-Fu abweisend hinzu.

Mario de Monti grinste.»Beleidigt ist in den meisten Fällen eigentlich nur,

wer sich irgendwo zu Recht getroffen fühlt«, erwi-derte er.

Basil Astiriakos, der die Worte gehört hatte, ob-wohl er erst später in den Raum gekommen war, griffbeschwichtigend ein.

»Die Chefprogrammierer haben sich trotz aller Be-denken einverstanden erklärt«, sagte er. »Sie sehenalso, daß Ihre Vorwürfe unberechtigt waren. Aberauch Ihre Vermutung, Melia, daß sich die ORION-Crew einfach durch einen Start in den Weltraum derVerantwortung entziehen könne, ist falsch.«

»Ach, tatsächlich?« fragte sie wütend.»Allerdings«, bemerkte Cliff McLane. »Wenn wir

keinen Erfolg haben, wird es für niemanden nochWeltraumstarts geben, weil wir dann alle am Endesind.«

Helga Legrelle räusperte sich. Als Cliff McLane siejedoch anblickte, preßte sie die Lippen zusammenund schwieg. Sie wollte dem Commander berichten,was sie getan hatte, brachte aber dann doch keinWort heraus.

»Also gut«, sagte Astiriakos. »Dann können wirwohl endlich beginnen.«

»Wir können«, bestätigte der Kybernetiker undwischte sich den Schweiß von der Stirn. »Mir wäre esam liebsten, wenn Sie mich allein lassen würden. Esgenügt, wenn Cliff bei mir bleibt.«

»Einverstanden«, sagte der Politiker und führte dieChef Programmierer und die anderen Mitglieder derORION-Crew hinaus.

Mario de Monti legte sich auf eine gepolsterte Bankund stülpte sich eine Kupplungshaube über denKopf. Damit geriet sein Hirn in ein energetischesSpannungsfeld, das eine direkte Verbindung zu TE-COM herstellte, sobald einprogrammierte Span-nungsveränderungen eingeleitet wurden.

Der Kybernetiker blickte McLane an.»Die Sache ist nicht ganz ungefährlich«, bemerkte

er in einem fast gleichgültig klingenden Ton. »Eskönnte notwendig sein, daß du mich von TECOMabtrennst.«

»Moment mal«, sagte der Commander. »Davonhast du bisher nichts gesagt.«

»Sonst hättest du nicht zugelassen, daß ich michhierher lege.«

»Ich kann immer noch verhindern, daß du Selbst-mord begehst.«

»Übertreibe nicht so maßlos«, erwiderte Mario mitzuckenden Lippen. »Alles, was passieren kann, ist,daß sich mein Bewußtsein irgendwo in den zahllosenInformationsbahnen von TECOM verliert. Und überso eine Kleinigkeit wirst du dich wohl kaum aufre-gen.«

»Über Kleinigkeiten kann man unterschiedlicherMeinung sein.«

Die Augen des Kybernetikers verdunkelten sich.

»Beobachte mich«, bat er. »Falls du Anzeichen einerKrise siehst, schalte das Ding ab und hole mich zurück.«

Cliff McLane zögerte. Er wollte sich gegen das Ex-periment entscheiden, doch dann schaltete Mario deMonti die Kupplungshaube ein. Seine Augen schlo-ssen sich, und sein Körper wurde starr.

*

»Ausgezeichnete Arbeit«, sagte Charles Taylor zu-frieden, als er den Bericht von Harold Brighton ge-hört hatte. Er rieb sich die Hände und wunderte sichzugleich über das Erfolgsgefühl, das ihn durch-strömte. Derartige Gefühle waren neu für ihn. In sol-cher Intensität hatte er sie zuvor nie erlebt. Sonstpflegte er Erfolge zu registrieren und dann zu ande-ren Arbeiten überzugehen.

Er drehte sich um und nahm einige Schaltungenvor. Dann erschien das Bild eines kleinen Raumes vorihm auf dem Bildschirm.

»Da sind sie«, sagte er. »McLane und de Monti. DerKybernetiker hat die Kupplungshaube eingeschaltet.Wir müssen etwas tun.«

Harold Brighton nickte.»Das war gerade noch zur rechten Zeit«, sagte er.

»Wenn die Funkerin der ORION nicht sogleich mitden Informationen herausgerückt wäre, hätten wirden Ereignissen hinterherlaufen müssen.«

Charles Taylor musterte sein Gegenüber.»Uns bleibt keine andere Wahl«, sagte er. »Du

mußt 'ran.«»Was soll ich tun?« fragte Brighton leidenschaftslos.»Ich werde dich ebenfalls an eine Kupplungshaube

anschließen. Du wirst de Montis Bewußtsein in TE-COM aufspüren und vernichten. Komm mit.«

Harold Brighton erhob sich und folgte Taylor ge-horsam. Die beiden Männer eilten über einen Gangund verschwanden in einer kleinen Kabine, ohneaufgehalten zu werden. Niemand mißtraute ihnen, dasie alle Sicherheitsprüfungen überstanden hatten.TECOM überwachte sich jedoch auch selbst. Andere,weniger gut ausgebildete Feindagenten wären daherrasch entlarvt worden. Der hervorragend ausgebil-dete Taylor hatte jedoch Sonderprogramme in TE-COM eingeschleust, aufgrund derer er sich ganz nachBelieben verhalten konnte, ohne von TECOM darangehindert zu werden.

Aus einem Schrank holte Taylor eine Kupplungs-haube hervor. Er arbeitete in fliegender Eile, weil ernicht wußte, wann Mario de Monti sein Experimentbeenden würde.

Brighton legte sich auf eine Bank. Taylor stülpteihm den Helm über und sagte: »Wenn du ihn findest,vernichte ihn. Sofort und ohne zu zögern, ganzgleich, was sonst noch geschieht.«

Brighton nickte nur. Er schloß die Augen undwartete ruhig und entspannt darauf, daß Taylor dieKupplung aktivierte.

*

»Wieso kaust du auf deinen Fingernägeln herum,Helga-Mädchen?« fragte Hasso Sigbjörnson. »Das istja etwas völlig Neues bei dir. Was ist los?«

Die Funkerin ließ die Hände auf den Tisch sinkenund griff nach ihrer Kaffeetasse.

»Nichts ist los«, erwiderte sie und blickte flüchtig auf.»Du machst dir Sorgen um Mario«, stellte der In-

genieur fest.»Natürlich«, gab sie zu. »Wir machen uns doch alle

Sorgen.«Sie erhob sich und verließ die Kantine. Ihr

schlechtes Gewissen trieb sie hinaus. Sie brachte esnicht fertig, den anderen Mitgliedern der Crew odergar Basil Astiriakos zu gestehen, daß sie über gehei-me Dinge mit einem ihr fremden Menschen gespro-chen hatte. Sie war jedoch entschlossen, ihren Fehlerso weit wie möglich wieder auszubügeln.

Ziellos und nachdenklich wanderte sie zunächstdurch die Gänge der Anlage. Schließlich faßte sie ei-nen Entschluß und fuhr in das Hauptpersonalbürovon TECOM hoch. Ein junges Mädchen arbeitete al-lein in dieser Abteilung.

»Ich suche Harold Brighton«, erklärte Helga.»Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?«

»Sie sind Helga Legrelle«, sagte das Mädchen. »Ichhabe Ihre Unterlagen gesehen. Sie sind mir zugegan-gen, nachdem Sie in den Lift gestiegen sind. Das istimmer so bei uns.«

»Ja, ich bin Helga Legrelle«, erwiderte die Funkerinungeduldig. »Wo finde ich Brighton?«

»Ich muß wissen, was Sie von ihm wollen. Ichkönnte ihn auch ausrufen.«

»Ich muß ihn in seiner Abteilung sprechen«, er-klärte die Funkerin. »Es ist wichtig.«

»Das müssen Sie mir erklären.«Helga schüttelte ungeduldig den Kopf.»Hören Sie zu«, sagte sie nervös. »Wir von der

ORION sind hier, weil sich gefährliche Dinge tun, mit

denen wir fertig werden müssen. Wollen Sie sichquerlegen und uns behindern?«

»Nein. Das will ich nicht«, entgegnete das Mädchenund lächelte. »Ich muß mich aber an die Bestimmun-gen halten, und die besagen, daß ich derartige Aus-künfte nicht geben darf. Warum wenden Sie sichnicht an Mr. Kahindra? Wenn es wichtig ist, wird erIhnen helfen.«

»Mr. Kahindra hat zuviel zu tun, und er weiß auchgar nicht, wo Brighton zu finden ist.«

Das Mädchen lehnte sich zurück und verschränktedie Arme vor der Brust. Nachdenklich blickte sie aufdie Tastatur der Personalkartei.

»Es ist wirklich wichtig«, betonte Helga. »Und ichdenke doch, daß wir von der ORION über jeden Ver-dacht erhaben sind. Oder nicht?«

»Das sind Sie«, antwortete das Mädchen seufzend.»Also gut. Ich will Ihnen sagen, wo Brighton ist. Siefinden ihn in der Abteilung von Mr. Taylor. Hier istein Plan, an dem Sie sich orientieren können.«

Sie reichte Helga eine kleine Karte, auf der sie dieAbteilung angekreuzt hatte, in der Brighton zu findenwar. Die Funkerin dankte mit einem freundlichen Lä-cheln und zog sich eilig aus dem Büro zurück.

Sie lief zum nächsten Lift und wartete ungeduldig,bis die Kabine kam. Die Zeit drängte. Sie wußte Ma-rio unter der Simultankupplungshaube, und siefürchtete, daß irgend etwas geschehen könnte, womitniemand aus der Crew rechnete. Die Kabine kam. DieFunkerin stieg ein und tippte die Etage hastig ein. Sieatmete unwillkürlich auf, als die Kabine schnell in dieTiefe sank. Sie hatte das Gefühl, daß sie nun endlichetwas tat, was Mario nützen konnte.

Als sie die Liftkabine wenig später jedoch verließ,wußte sie nicht mehr, was sie tun sollte. Plötzlich warsie sich dessen nicht mehr sicher, daß es richtig war,mit Brighton zu sprechen.

Was soll ich ihm sagen? fragte sie sich verwirrt.Unschlüssig schritt sie über den Gang.Vielleicht genügt es, wenn ich bei ihm bin, wäh-

rend Mario unter der Haube ist, dachte sie. Wenn ichbei ihm bin, kann er nichts gegen Mario tun.

Dieser Gedanke erschien ihr am besten und amüberzeugendsten.

Sie blieb vor einer Tür stehen, an der ein Schild mitdem Namen »Taylor« befestigt war, nachdem sie kei-ne Tür gefunden hatte, an der »Brighton« stand. Sieklopfte an und trat ein. Ratlos sah sie sich in dem lee-ren Raum um. Auf einem Tisch stand ein Becher mitKaffee. Sie ging zu ihm hin und faßte das Gefäß an.Es war noch warm. Das bedeutete, daß Taylor nochnicht lange fort sein konnte.

Sie wartete einige Minuten, als Taylor dann jedochnoch nicht kam, verließ sie den Raum wieder, da sienicht wußte, wie lange sie warten mußte.

Ratlos ging sie an den Türen entlang, blieb hier undda stehen und kämpfte mit einer immer stärker wer-denden Nervosität. Sie spürte fast körperlich, daß et-was nicht in Ordnung war, ohne sagen zu können,was es war.

Immer wieder redete sie sich ein, daß Mario deMonti durch ihren Leichtsinn gefährdet war, bis siesich schließlich so über sich selber ärgerte, daß siesich laut eine »dumme Gans« nannte. Sie blieb stehen.

»Du machst dich selbst verrückt«, sagte sie. »Wahr-scheinlich ist alles in Ordnung, und Mario sitzt be-

reits mit den anderen in der Kantine zusammen undmacht seine üblichen Witze.«

Sie preßte die Lippen zusammen und ärgerte sichdarüber, daß sie anfing, Selbstgespräche zu führen.Das war ganz gegen ihre Gewohnheit.

Sie beschloß, umzukehren und ein offenes Wortmit Cliff McLane zu sprechen. Das erschien ihr nundoch wesentlich besser, als blind nach einer Gefah-renquelle zu suchen, die vielleicht gar nicht vorhan-den war.

Sie wandte sich um.In diesem Moment hörte sie hinter einer Tür eine

Stimme. Neugierig trat sie etwas dichter an die Türheran. Sie konnte nicht verstehen, was in dem Raumdahinter gesprochen wurde. Ohne nachzudenken,legte sie ihre Hand gegen den elektronischenÖffnungskontakt. Das Türschott glitt zischend zurSeite, und Helga blickte auf Harold Brighton, der wieMario de Monti unter einer Kupplungshaube lag.

Der Mann, der neben der gepolsterten Bank stand,fuhr erschreckt herum. Seine Augen fixierten sie. Eineungeheure Drohung ging von ihnen aus.

Helga Legrelle erkannte schlagartig die tödlicheGefahr, in der sie sich befand, aber auch die Bedro-hung für Mario de Monti. Sie begriff zwar nicht, inwelcher Weise der Angriff auf den Chefkybernetikerder ORION erfolgte, aber jetzt wußte sie, daß ihr Ge-fühl sie nicht getrogen hatte. Sie war einem raffinierteingefädelten Spiel zum Opfer gefallen. Nicht zufällighatte sie Harold Brighton getroffen, sondern exaktnach Plan. Er war nicht linkisch, sondern er hatte sichnur so benommen, weil er gewußt hatte, daß er sieauf diese Weise am besten täuschen konnte.

Helga Legrelle fuhr herum und floh den Gang ent-lang.

Der Mann an der Bank rannte hinter ihr her. Es warCharles Taylor. Daran zweifelte die Funkerin nicht.

»Bleiben Sie stehen«, rief er.Sie lief weiter und blickte über die Schulter zurück.

Sie hatte einen Vorsprung von etwa zwanzig Metern,als sie den Lift erreichte. Voller Angst drückte sie denRufknopf.

Charles Taylor raste heran. Er war noch zehn Metervon ihr entfernt, als sich die Doppeltüren der Liftka-bine öffneten. Helga wollte in den Fahrstuhlkorbspringen, doch da packte Taylor sie und riß sie brutalherum.

Die Funkerin schrie auf.In ihrer Angst besann sie sich auf die Kampftechni-

ken, die sie gelernt hatte. Sie versuchte, sich mit eini-gen gezielten Hieben Luft zu verschaffen, doch Tay-lor steckte sie ein, ohne mit der Wimper zu zucken.

Schließlich packte er sie an beiden Handgelenken.»Jetzt ist Schluß«, sagte er.Sie stöhnte vor Schmerz auf. Zugleich versuchte

sie, ihn mit dem Knie zu treffen, aber er wirbelte siemühelos herum und legte ihr die Hand ins Genick.

»Ganz ruhig«, sagte er drohend. »Sonst ist es vor-bei mit dir.«

Helga Legrelle erkannte voller Entsetzen, daß siewehrlos war. Er konnte sie mit einer einzigen Hand-bewegung töten, wenn er wollte.

»Wir kehren zu Brighton zurück«, erklärte er undführte sie über den Gang, wobei er sie ständig amGenick hielt. Helga ließ sich widerstandslos in denRaum drängen. Hier erst ließ er sie los.

Sie blickte auf Harold Brighton.»Warum liegt er unter der Haube?« fragte sie, doch

sie erhielt keine Antwort. Charles Taylor lächelte nur.Er deutete auf einen Hocker, und sie setzte sich.

Aus einer Schublade holte er ein paar Drähte her-vor. Damit fesselte er sie an den Hocker.

»Warum töten Sie mich nicht?« fragte sie.»Dazu wäre es zu früh«, antwortete er. »Erst ist

Mario de Monti dran. Solange wir ihn nicht erledigthaben, brauchen wir dich als Geisel. Wenn wir ihnerwischen, ist es immer noch Zeit, dich verschwindenzu lassen.«

Helga Legrelle lief es kalt über den Rücken.Sie begriff. Sie hatte keine Überlebenschance.

Charles Taylor wollte sie töten, und er würde sichdavon auch nicht abhalten lassen. Ihr Leben war zuEnde, wenn Mario tot war.

Sie blickte auf Harold Brighton.Ihre Augen weiteten sich.»Sehen Sie doch«, rief sie atemlos. »Was ist mit ihm

los?«

6.

Cliff McLane hielt unwillkürlich den Atem an.Er beugte sich vor und blickte forschend in das Ge-

sicht des Kybernetikers, das sich in den letzten Mi-nuten auf seltsame Weise verändert hatte.

»Mario«, rief er, »was ist los?«Dann erst wurde er sich dessen bewußt, daß der

Kybernetiker ihn nicht hören konnte. Er griff nachdem Arm de Montis und fühlte den Puls. Das Herzging schwach und ungewöhnlich langsam. Das Ge-sicht war bleich. Unter den Augen bildeten sich ei-genartige Flecke, und die Lider zuckten.

McLane sprang auf und eilte zu dem nächstenKommunikationsgerät. Einige Sekunden verstrichen,bis sich endlich ein junges Mädchen meldete.

»Was kann ich für Sie tun?« fragte sie freundlichlächelnd.

Der Commander ließ sie nicht aussprechen. Er fuhrihr mit den Worten dazwischen: »Ich brauche einenArzt. Auch Kahindra und die anderen Chefpro-grammierer müssen kommen. Verlieren Sie keineZeit. Geben Sie Alarm.«

»Sofort«, antwortete sie erschrocken. McLane hörte,wie sie einen Arzt anforderte und dann die dreiChefprogrammierer ausrief. Er wandte sich ab undkehrte zu Mario zurück, dessen Gesicht feuerrot ge-worden war. Er griff nach dem Arm und fühlte denPuls. Dieses Mal mußte er lange Sekunden suchen,bis er ihn gefunden hatte. Während dieser Zeit wichdas Blut wieder aus dem Gesicht des Kybernetikers,und die Wangen fielen tief ein.

Zwei Ärzte und die Chefprogrammierer stürmtenin den Raum.

»Was ist los?« rief Kahindra.»Mit Mario stimmt etwas nicht«, erwiderte der

Commander. »Kümmern Sie sich um ihn. Schnell.«Die beiden Ärzte und der Erste Chefprogrammie-

rer beugten sich über Mario de Monti und unter-suchten ihn. Sekunden nur vergingen, bis einer derÄrzte sich aufrichtete und McLane ansah.

»Sie müssen das Experiment sofort abbrechen«,sagte er. »Der Mann stirbt.«

McLane wollte die Schaltungen betätigen, aberMurdonom Kahindra griff nach seinem Arm undhielt ihn fest.

»Auf keinen Fall dürfen Sie jetzt eingreifen«, sagteer energisch. »Das Spannungsfeld, in dem das Gehirnjetzt eingebettet ist, muß langsam abgebaut werden.«

»Mario stirbt«, schrie McLane.»Das weiß ich«, erwiderte der Chefprogrammierer.

»Sie retten ihn jedoch nicht, wenn Sie das Spannungs-feld jetzt abschalten. Damit würden Sie einen Schockim Gehirn Marios auslösen, der ihn auf der Stelle tö-ten würde.«

»Aber ...«, begann Cliff stammelnd. Hilflos ließ erdie Arme sinken.

»Kahindra hat recht«, sagte einer der Ärzte, wäh-rend der andere davoneilte. »Sie würden ihn umbrin-gen.«

McLane zwang sich zur Ruhe. »Schlagen Sie vor,was ich tun soll«, sagte er mühsam.

»Es gibt nur eine einzige Möglichkeit«, antworteteder Arzt und blickte flüchtig zu Kahindra hinüber.Dieser nickte.

»Explodieren Sie nicht gleich, McLane, wenn Siehören, was ich zu sagen habe. Warten Sie, bis ich fer-tig bin«, bat er. »Wir müssen Mario sterben lassen.«

»Niemals«, rief der Commander heftig.»Warten Sie doch ab«, sagte der Arzt. »Der Körper

muß zur Ruhe kommen. Wir benötigen einige Minu-ten, bis wir das Spannungsfeld so weit abgebaut ha-ben, daß Mario eine Chance hat. Bis dahin wird dasHerz aufgehört haben zu schlagen. Das ist jedoch be-deutungslos. Mein Kollege ist bereits auf dem Wegzur Intensivstation. Er bereitet alles für eine Wieder-belebung vor.«

»Wie tröstlich«, sagte Cliff wütend.Kahindra hob abwehrend die Arme.»Machen Sie mich nicht für diesen Zwischenfall

verantwortlich«, bat er. »Ich kann nichts dafür. Wirwissen nicht, auf was Mario gestoßen ist. Nur er kannes uns erklären. Wir haben einfach keine andereMöglichkeit, sein Leben zu retten. Finden Sie sichdamit ab.«

Cliff McLane schluckte. Ihm gefiel nicht, daß erhilflos zusehen mußte, wie sich andere um das Lebendes Freundes bemühten. Er wäre viel lieber selbst ak-tiv geworden, hätte die Initiative viel lieber an sichgerissen, um dann Zug um Zug selbst entscheiden zukönnen. Jetzt aber blieb ihm lediglich eine passiveRolle.

»Also gut«, sagte er einlenkend. »Ich kann ja wohldoch nichts machen.«

»So ist es«, erwiderte der Arzt.»Ich bin einverstanden«, sagte der Commander.Er beobachtete Mario de Monti, und er glaubte,

verfolgen zu können, wie das Leben in seinem Körper

erlosch. Schließlich nickte der Arzt dem Chefpro-grammierer zu, und dieser baute vorsichtig dasSpannungsfeld ab. Der Körper Marios zuckte einigeMale zusammen. Der Arzt verabreichte ihm mehrereInjektionen. Dann gab er dem Chefprogrammierer einZeichen. Kahindra riß die Kupplungshaube ab.

Im gleichen Moment raste der zweite Arzt mit ei-ner Rettungstrage herein. Zwei weitere Ärzte beglei-teten ihn. Sie packten Mario, legten ihn auf die fahr-bare Trage, die mit zahlreichen Rettungsgeräten ver-sehen war, und rollten ihn hinaus. Dabei begannensie bereits mit Wiederbelebungsbemühungen.

Cliff McLane folgte Mario. Er war wie betäubt. DieFurcht lähmte ihm die Zunge. Er hatte tausend Fra-gen zu stellen, brachte aber keine einzige über dieLippen. Er drängte sich zusammen mit den Ärzten indie Liftkabine.

Die Mediziner arbeiteten konzentriert und wortlos.Sie schienen sich blind zu verstehen, doch ihre Be-mühungen blieben vorläufig erfolglos.

»Warum atmet er noch immer nicht?« fragteMcLane, als sie die Intensivstation erreichten.

»Es wird gleich soweit sein«, erwiderte einer derÄrzte, während er der Trage, die hinausgerollt wur-de, folgte. »Bitte, bleiben Sie hier. Sie dürfen die Stati-on nicht betreten.«

Ein Schott öffnete sich, die Trage rollte hindurch,und dann war Cliff McLane mit Murdonom Kahindraallein.

»Hoffentlich geht das gut«, sagte der Inder.Cliff wandte sich ihm zu.»Sie sind von dem Zwischenfall ebenso überrascht

worden wie ich«, stellte er fest. »Ist das richtig?«

»Das stimmt«, antwortete der Chefprogrammierer.»Was ist passiert?«»Mario muß in TECOM auf irgend etwas gestoßen

sein«, erwiderte Kahindra vorsichtig. »Was es war,weiß ich natürlich nicht, aber es muß irgendwie mitdem fraglos vorhandenen Bewußtsein von TECOMzusammenhängen.«

McLane schüttelte den Kopf und schwieg. Ihm warjetzt nicht nach Erörterungen zumute. Voller Unge-duld blickte er auf die Tür, hinter der Mario ver-schwunden war. Doch er brauchte nicht lange zuwarten. Schon bald öffnete sich die Tür und Mario deMonti kam heraus. Er war blaß und sah erschöpftaus, aber er ging, ohne daß ihn jemand stütztenmußte. Ein Arzt begleitete ihn.

»Das gibt es doch gar nicht«, sagte Cliff und eiltedem Kybernetiker entgegen. »Mario, wie geht esdir?«

»Ich fühle mich wie ein ausgewrungenes Hand-tuch«, erwiderte de Monti. »Teufel, das war nicht be-sonders angenehm.«

»Ich möchte gerne wissen, was vorgefallen ist«,sagte McLane.

»Das weiß ich selbst nicht«, erwiderte der Kyber-netiker. »Da war etwas, aber ich weiß nicht, was.«

»Hast du etwas herausgefunden? Ich meine, weißtdu, wer wo mißbräuchlich manipuliert hat? Wer istfür den Angriff auf TECOM verantwortlich?«

Mario de Monti schüttelte den Kopf.»Vorläufig weiß ich überhaupt nichts«, entgegnete

er. »Ich muß den Versuch wiederholen.«»Das kommt überhaupt nicht in Frage.«»Ich muß«, erklärte der Kybernetiker entschlossen.

»Es gibt nur diesen einen Weg. Beim ersten Versuchhabe ich nicht aufgepaßt, deshalb hat es wohl einekleine Panne gegeben. Dieses Mal wird mir das nichtwieder passieren.«

»Weißt du überhaupt, was für eine Panne daswar?« fragte McLane. Er blickte den Arzt fragend an.

»Doch, durchaus«, antwortete der Kybernetikerheiter. »Mein Leben hat eine kurze Unterbrechung er-fahren. Nun gut, das ist beim heutigen Stand der Me-dizin kein Problem, wie wir alle wissen. Hier oben istalles okay. Die kleinen grauen Zellen sind nicht durchSauerstoffmangel eingegangen. Also, was soll's?Warum diese Katastrophenstimmung?«

Cliff McLane lächelte. Er boxte Mario freund-schaftlich gegen die Brust.

»Du bist also wieder ganz der Alte«, sagte er.»Eben deshalb muß ich das Experiment wiederho-

len, oder sagen wir lieber, ich muß es fortsetzen«,sagte der Kybernetiker. »Wenn es dich beruhigt, kannja das ganze Ärzteteam dabei sein.«

»Es beruhigt mich.«»Dann bitte ich um die Begleitung der Grünkittel.«Der Commander wandte sich an den Arzt, der

noch immer neben Mario stand.»Hält er das überhaupt körperlich durch?« fragte

er. »Geben Sie als Mediziner Ihre Genehmigung?«»Ich habe keine Bedenken«, erwiderte der Arzt. »Mr.

de Monti hat eine ungewöhnlich gute Konstitution.«»Also, dann bin ich einverstanden«, sagte McLane

seufzend.»Wir beginnen jetzt gleich«, entschied der Kyber-

netiker. »Komm. Wir wollen keine Zeit verlieren.«»Wäre es nicht besser, vorher genau zu ermitteln,

was überhaupt passiert ist?« fragte der Commander.»Nein. Wichtig ist allein der Zeitgewinn.«

*

Charles Taylor fuhr herum. Seine Blicke richteten sichauf Harold Brighton.

Helga Legrelle würgte. Die Kehle schnürte sich ihrzu, und sie wandte sich zur Seite, während Taylorsich über Brighton beugte. Aus dem Mund und ausder Nase stieg Rauch auf, und ein unangenehmer Ge-ruch nach verbranntem Fleisch verbreitete sich imRaum.

Taylor schaltete die Kupplungshaube ab. Er fluchtelaut.

Helga erholte sich rasch wieder.»Ihr Plan war wohl doch nicht so perfekt, wie Sie

angenommen haben, wie?« fragte sie spöttisch, wobeisie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was siewirklich empfand.

»Seien Sie still«, erwiderte er kühl. »Ich habe einenFehler gemacht, das ist bedauerlich, aber noch langekeine Katastrophe.«

»Sie sind eiskalt«, sagte sie.Er antwortete nicht. Er zog den toten Harold

Brighton von der Bank und legte ihn achtlos in einerEcke des Raumes ab. Aus einer Lade holte er ein ka-stenförmiges Gerät, das er mit Hilfe von einigenDrähten mit der Kupplungshaube verband. Dannlegte er sich ruhig auf die Bank und stülpte sich selbstden Helm über den Kopf.

»Was ist das?« fragte die Funkerin. »Eine Selbst-verbrennungsanlage?«

»Versuchen Sie nicht, zynisch zu sein«, entgegneteer abfällig. »Das paßt nicht zu Ihnen. Außerdem wis-sen Sie recht gut, was das für eine Maschine ist.«

Er nahm den Helm wieder ab, erhob sich, ging zueinem Videogerät und schaltete es ein. Bestürzt beob-achtete Helga, was auf dem Bildschirm erschien. Siesah Mario de Monti, der sich der Simultan-Kupplungshaube näherte. Bei ihm war Cliff McLane.

»Cliff!« rief sie. »Mario!«Charles Taylor lachte.»Für wie dumm halten Sie mich eigentlich?« fragte

er. »Glaubten Sie wirklich, ich sei so leichtsinnig, eineZweibahnleitung zu benutzen?«

Er wartete vor dem Gerät ab und verfolgte, wieMario sich mit der Kupplungshaube beschäftigte. Alser sicher war, daß der Kybernetiker ein zweites Expe-riment beginnen wollte, schaltete er ab und kehrtezur Bank zurück.

»Machen Sie keinen Unsinn«, riet er. »VersuchenSie nicht, sich aus Ihren Fesseln zu befreien. Dasschaffen Sie doch nicht. Sie würden sich nur Unan-nehmlichkeiten bereiten.«

»Es hat wohl wenig Sinn, Ihnen ebenfalls ein vonder Vernunft bestimmtes Verhalten zu empfehlen,oder?«

Er lachte.»Nein«, erwiderte er und schüttelte den Kopf. »Das

hätte wirklich keinen Sinn. Sehen Sie, wir beide defi-nieren den Begriff der Vernunft völlig anders.«

Er stülpte sich den Helm erneut über, rückte einwenig hin und her, bis er bequem lag, und dannschaltete er das Gerät mit einem Griff zum Helm ein.Seine Lider schlossen sich. Das Gesicht wurde starr.

Es schien, als sei jegliches Leben aus ihm gewichen.Helga Legrelle beobachtete ihn noch einige Minu-

ten lang, dann versuchte sie, ihre Hände aus denDrahtfesseln zu befreien.

Die Drähte schnitten sich ihr tief ins Fleisch.

*

Mario de Monti nickte Cliff McLane zuversichtlichzu.

»Ich habe mir alles genau überlegt«, sagte er. »Die-ses Mal gibt es keine Panne, sonst würde ich es be-stimmt nicht riskieren.«

»Davon bin ich auch überzeugt«, erwiderte derKommandant. »Wäre ich es nicht, würde ich nichtstillhalten.«

Der Kybernetiker grinste, legte sich auf die Bankund stülpte sich den Kupplungshelm über den Kopf.

»Dann kann es ja losgehen«, sagte er und schloßdie Augen. Er gab McLane ein Zeichen mit der Hand,und der Commander schaltete das Gerät ein, mit demMario mit TECOM in unmittelbaren Kontakt tretenkonnte.

Für Mario de Monti war es, als ob in einem holo-graphischen Film eine Szene endete und die neueschlagartig beginne. Dennoch erschrak er nicht überden abrupten Szenenwechsel. Er war darauf vorbe-reitet, und er erlebte ihn nicht zum erstenmal.

Während er zunächst jedoch noch Wirklichkeit voneiner elektronischen Scheinwelt zu unterscheidenwußte, ignorierte er diese Unterschiede schon bald,weil sie unwichtig für ihn waren. Wichtig war nur fürihn, sich in dieser neuen Welt zu orientieren.

Mario de Monti fand sich in einer endlos erschei-nenden, feuerrot glühenden Röhre wieder, die nachseinem Empfinden etwa zwanzig Meter durchmaß.Er bewegte sich darin voran, ohne daß er die Beinebewegte. Seine Füße schwebten einige Zentimeterüber dem Boden. Sie schienen auf einem grünlichschimmernden Energiefeld zu stehen.

Die Szene war neu für Mario.Bei seinem ersten Experiment war alles anders ge-

wesen, aber daran erinnerte er sich nur noch dunkel.Er versuchte auch gar nicht, sich zu erinnern, weil dieVergangenheit bedeutungslos war.

Er klatschte die Hände zusammen. Funken sprüh-ten zwischen seinen Fingern hervor und stoben nachallen Seiten davon, und die Szene wechselte. Er gerietin ein riesiges Gebilde aus wirr durcheinander füh-renden farbigen Stangen, die ein unübersehbares Ge-flecht bildeten.

Nunmehr verlor sich das Gefühl für die Wirklich-keit vollends. Mario sah nur, daß er sich in einer Weltvollkommener Harmonie befand. Wohin er auchblickte, überall sah er Formen und Farben, die in ein-zigartiger Weise zueinander paßten. Gerade für ihnals Kybernetiker war unübersehbar, daß es nirgend-wo Disharmonien in den Systemen gab, die das Ge-bilde darstellten.

Im gleichen Moment, als ihm das bewußt wurde,wurde er sich auch darüber klar, wie er finden konn-te, was er suchte. Irgendwo in dem riesigen TECOM-Komplex mußte es Disharmonien geben, die verur-sacht worden waren durch unerlaubte und heimlicheManipulationen. Es mußte möglich sein, sie aufzu-spüren.

Er ging weiter, indem er versuchte, die Füße zubewegen. Er hatte das Gefühl, daß sie sich auch wirk-lich bewegten, aber als er an sich herabblickte, sah ersich ruhig stehen. Dennoch bewegte er sich vorwärts.

Ihm schien, als senke sich etwas Dunkles auf ihnherab, ohne ihn zunächst zu erreichen. GeisterhafteFinger schienen sich nach ihm auszustrecken, und erglaubte, jemanden flüstern zu hören. Furcht stieg inihm auf.

Meldete sich das Pseudo-Bewußtsein von TECOM?Wehrte es sich gegen sein Eindringen? Kannte dasPseudo-Bewußtsein überhaupt so etwas wie einenAbwehrwillen gegen Ereignisse in seinem Innern?Ließ sich so etwas einprogrammieren?

Mario de Monti eilte schneller voran. Er wollte dasGewirr der farbigen Gestänge erreichen oder dochzumindest näher heran an die so harmonisch wir-kenden Gebilde.

Doch es gelang ihm nicht.Ein Blitz zuckte aus dem Nichts heraus auf ihn her-

ab und zerschnitt die Szene in unendlich viele Teile,die funkensprühend nach allen Seiten auseinander-strebten, ihn selbst durchdrangen und zu zerspren-gen drohten, und dann fand sich der Kybernetiker ineiner Alptraumwelt wieder, die ihn erschreckte.

Er erkannte augenblicklich, daß dies nicht dietechnifizierte Bewußtseinswelt von TECOM seinkonnte, sondern daß ein Bewußtsein, das sich außer-halb der Kontrolle der Programmierer befand, dieseWelt projizierte.

Doch damit war noch nichts gewonnen. Mario deMonti suchte dieses freigewordene Bewußtsein imPseudo-Bewußtsein von TECOM. Ihm kam noch

nicht der Gedanke, daß sich ein zweiter Intellekt,ebenso wie er, an TECOM angekuppelt haben könnte.

Die Welt, in der er sich befand, war düster. SchroffeBerge, die von bizarr geformten Pflanzen überwu-chert wurden, bestimmten sie. Nebelfetzen behin-derten die Sicht, so daß Mario nur erkennen konnte,was sich jeweils wenige Meter von ihm zu befindenschien. Er war sich zunächst klar darüber, daß dieskeine wirkliche Welt war, daß also auch nicht wirk-lich vorhanden war, was er sah. Dennoch spürte erdie Drohung, die von ihr ausging. Ihm war kalt. Einstechender Geruch schlug ihm entgegen, und als einInsekt aus dem Nebel heraus auf ihn herabfiel, schrieer vor Schmerz auf. Er schlug das Tier mit der Handvon seiner Schulter und stellte dabei fest, daß es ihmeinen Stachel durch die Kombination in die Haut ge-bohrt hatte. Für eine lange Sekunden war seine rechteSeite nahezu gelähmt, so daß er sich kaum noch aufden Beinen halten konnte.

Dies ist keine Projektion mehr! sagte er sich vollerEntsetzen.

Der Wunsch kam in ihm auf, so schnell wie mög-lich in die Realität der ORION-Welt zurückzufliehen.Doch so sehr er sich auch darauf konzentrierte, esgelang ihm nicht.

Plötzlich wich das Feld unter ihm, das ihn bishergetragen hatte. Es löste sich auf, und er stürzte etwaeinen Meter tief auf den Boden. Weil er nicht damitgerechnet hatte, daß so etwas eintreten könnte, rea-gierte er zu spät und rutschte aus.

Der Boden war schmierig. Er fuhr mit den Händendarüber hinweg und hatte Mühe, sich wieder aufzu-richten. Keuchend blieb er auf der Stelle stehen. Seine

Kehle brannte, weil irgend etwas in der Luft vorhan-den war, das seine Schleimhäute in fast unerträgli-cher Weise reizte.

Doch er achtete nicht darauf, denn plötzlich rissendie Nebelbänke auseinander, und er sah eine männli-che Gestalt, die langsam und würdevoll über die Fel-sen schritt. Sie war etwa fünfzig Meter von ihm ent-fernt.

»Hallo«, rief er mit aller Stimmenkraft. »Hallo, sowarten Sie doch.«

Der Fremde blieb stehen und wandte ihm das blei-che Gesicht zu. Im nächsten Moment schlossen sichdie Nebelbänke wieder. Mario rannte los. Er hatte dasGefühl, sich durch einen zähen Brei hindurchkämp-fen zu müssen. Der Nebel schien ihm einen hartnäk-kigen Widerstand entgegenzustellen.

»Hallo, hören Sie. Ich muß mit Ihnen reden«, schrieer.

Wieder wich der Nebel, und Mario stand an derStelle, an der eben noch der Fremde gewesen war.Der Boden unter seinen Füßen war hell und durch-sichtig. Der Kybernetiker glaubte, durch transparen-tes Material bis in den brodelnden Mittelpunkt desPlaneten sehen zu können, doch er interessierte sichnur am Rande für diesen seltsamen Effekt.

»Wo sind Sie denn?« fragte er laut.Seine Stimme verlor sich in der Ferne, kehrte je-

doch nach geraumer Zeit als verzerrtes Echo zurück.Mario de Monti drehte sich um sich selbst. Er

wußte nicht mehr, wo er war. Irgendwo tief in ihmwar noch eine schwache Erinnerung daran, daß diesnicht die Wirklichkeit war, aber sie schwand immermehr, bis nur noch eine Ahnung blieb, die aber nicht

ausreichte, ihm eine gewisse Sicherheit zu geben.Seine Hände glitten über seine Hüften. Er stellte

fest, daß er waffenlos war. Die Kombination, die er zuBeginn seiner Reise durch diese Welt getragen hatte,hatte sich verwandelt. Sie war weit und leicht gewor-den. Sie fühlte sich angenehm an, aber nirgendwo inihr war eine Waffe verborgen.

Mario fluchte leise.Er wußte nicht, was er von der Erscheinung halten

sollte. War der Fremde wirklich da gewesen, oderhatte er sich geirrt?

Er beugte sich vor und verengte die Augen, weil erglaubte, dann besser sehen zu können. Etwa hundertMeter von ihm entfernt bewegte sich etwas.

»Das ist der Kerl«, sagte der Kybernetiker, strichsich die Hände an seiner Kleidung trocken und lieflos. Dabei setzte er die Füße vorsichtig auf, weil erimmer wieder ausrutschte, und achtete sorgfältig aufHindernisse, wie Löcher oder aus dem Boden hervor-ragende Felsspitzen.

Irgend etwas blitzte neben ihm auf, und ein winzi-ger Gegenstand schoß pfeifend an ihm vorbei. Er-schrocken fuhr er zurück und entging durch dieseReaktion einem zweiten Etwas, das surrend an ihmvorbei wirbelte.

Mario duckte sich und lief weiter, bis er sich durcheinige Felsen geschützter fühlte. Dann aber blieb erabrupt stehen.

Er hatte geglaubt, den Fremden vor sich zu sehen.Jetzt erkannte er, daß er sich geirrt hatte.

Zwischen den Felsen lauerte ein Geschöpf, das ei-nem ins Gigantische vergrößerten Zerrbild einerGottesanbeterin glich.

Mario fühlte sich wie gelähmt. Plötzlich gehorchtenihm Arme und Beine nicht mehr. Er wollte fliehen,aber er konnte nicht. Von den mächtigen Facettenau-gen ging ein Funkeln und Leuchten aus, das ihn ineinen hypnotischen Bann schlug.

7.

Helga Legrelle riß und zerrte an den Drähten, mit de-nen sie an den Stuhl gefesselt war, ohne sich darausbefreien zu können. Die Drähte schnitten sich ihr tiefins Fleisch, bewegten sich jedoch nicht.

Vor Schmerz stöhnend, unterbrach sie ihre Bemühun-gen nach einigen Minuten und überlegte. Verzweifeltsagte sie sich, daß es eine Möglichkeit geben mußte,die Situation zu meistern. Sie sah sich im Raum um,wurde jedoch für kurze Zeit abgelenkt, weil sich Char-les Taylor wimmernd bewegte. Sein Gesicht verzerrtesich, als ob das Bewußtsein unter Qualen zurückkeh-re, entspannte sich dann jedoch sogleich wieder.

Helga wandte sich wieder ihren Fesseln zu. Sierutschte auf dem Stuhl zur Seite, bis sie über ihreSchulter hinweg auf ihre Hände hinabsehen konnte.Sie studierte sorgfältig, wie die Drähte zusammenge-dreht waren und versuchte dann, die Enden mit denFingern zu erreichen. Das ging besser, als sie erwartethatte. Mühsam blieb es dennoch, die Drähte nach undnach auseinanderzudrehen. Helga mußte immerwieder Pausen einlegen, weil sie Krämpfe im Armund in den Fingern bekam. Schließlich aber gelang esihr, wenigstens eine Hand freizubekommen. Sie wardavon überzeugt, es nunmehr geschafft zu haben, alssie sich aber fast zehn Minuten lang vergeblich ab-gemüht hatte, auch die andere zu befreien, gab sie ih-re Bemühungen auf. Sie konnte nicht mehr, da dieKrämpfe in den Fingern immer häufiger kamen unddie dadurch notwendigen Entspannungspausen im-mer länger wurden.

Sie arbeitete sich nun an das Videogerät heran, in-dem sie mit dem Stuhl hüpfte. Sie kam nur zentime-terweise voran, schaffte es jedoch dennoch rechtschnell, an das Gerät zu kommen. Danach aber warsie so erschöpft, daß sie eine kurze Atempause einle-gen mußte. Dann tippte sie einige Zahlen in die Ta-statur. Kurz darauf erschien das Gesicht eines Man-nes auf dem Bildschirm.

»Geben Sie mir die Videonummer von Kahindra.Schnell«, bat sie.

»Sie brauchen doch nur in der Registratur nachzu-sehen«, erwiderte der Mann erstaunt.

»Ich habe keine Ahnung, wie das funktioniert«, riefHelga. »Helfen Sie mir doch. Es ist wichtig.«

»Sagen Sie mir erst einmal, wer Sie überhauptsind«, forderte der Mann argwöhnisch.

»Verdammt noch mal«, schrie die Funkerin ver-zweifelt. »Dies ist eine Notsituation. Ich muß Kahin-dra sofort sprechen. Verstehen Sie? Sofort.«

»Ich benachrichtige die Zentrale«, erklärte derMann und schaltete ab. Helga Legrelle stöhnte ent-täuscht auf. Sie war nicht in der Lage, Verständnis fürden Mann und sein Mißtrauen aufzubringen, das ihrin einer anderen Situation als durchaus verständlicherschienen wäre.

Aufgeregt suchte sie nach der Taste für die Regi-stratur. Es waren nur zwei Wahlmöglichkeiten vor-handen. Sie versuchte eine blaue Taste und hatteGlück. Die Nummern leuchteten vor ihr auf demBildschirm auf. Kahindras Nummer war dabei. Siewählte hastig und wartete fiebernd, bis er sich mel-dete. Fast zwei Minuten verstrichen, dann endlich er-schien das Gesicht des Inders im Projektionsfeld.

»Miß Legrelle«, sagte er überrascht. »Wo sind Sie?«»Ich befinde mich in einem Raum auf der Station

von Taylor«, erwiderte sie erleichtert. »Ich glaube je-denfalls, daß er Taylor heißt. Er hat sich eine Haubeüber den Kopf gestülpt. Ich vermute, daß es eineKupplungshaube ist. Ich bin gefesselt. Bitte, helfen Siemir. Kommen Sie schnell.«

Der Inder verfärbte sich.»Wir kommen sofort«, antwortete er und vergaß in

seiner Aufregung, das Gerät auszuschalten.Helga Legrelle sank aufstöhnend in sich zusam-

men. Jetzt, da sie es überstanden hatte, verließen siedie Kräfte. Die außerordentlichen Anstrengungen derletzten Stunde machten sich bemerkbar.

Als Cliff McLane, Hasso Sigbjörnson, Atan Shu-bashi und Murdonom Kahindra jedoch in den Raumkamen, hatte sie sich schon wieder etwas erholt.

»Gott sei Dank«, sagte sie. »Ich dachte schon, ihrkommt überhaupt nicht mehr.«

»Wir haben dich erst in einigen anderen Räumengesucht«, entgegnete Cliff McLane. »Wir konntennicht wissen, wo du bist.«

Er drehte die Drähte auf, während Kahindra sichüber Charles Taylor beugte.

»Taylor ist also ein Verräter«, sagte er. »Wer hättedas gedacht.«

Er berichtete McLane mit knappen Worten, was erüber diesen Mann wußte. Währenddessen unter-suchte der Commander den Toten flüchtig. Helga Le-grelle berichtete, was sie getan hatte, und erklärte,warum sie überhaupt in diese Abteilung gegangenwar.

»Schalten Sie die Haube ab«, forderte McLane.

»Mir ist nicht ganz klar, ob ich das darf«, erwiderteder Chefprogrammierer nachdenklich. »Damit würdeich Taylor fraglos umbringen.«

»Seien Sie sich doch darüber klar, daß Taylor indieser Sekunde mit Mario kämpft«, rief Cliff. »Wennich Sie richtig verstanden habe, dann befinden sichdie Egos von Mario und von Taylor in diesem Mo-ment in TECOM. Mario ist auf der Suche nach derFehlschaltung, und Taylor ist auf der Suche nach demBewußtsein von Mario. Wahrscheinlich hat er dieMöglichkeit, Mario zu töten.«

»Taylor verfügt wahrscheinlich über ein wesentlichhöheres Fachwissen, als er bisher zu erkennen gege-ben hat«, sagte Kahindra. »Er hätte von seiner Positi-on aus sonst gar nicht die Möglichkeit gehabt, sich andie Simultan-Kupplung anzuschließen. Daß er es ge-tan hat, ist für mich der Beweis dafür, daß er ein Ex-perte auf dem Gebiet der Manipulation sein muß.«

»Er ist ein Agent der Rudraja«, sagte Cliff McLane.»Wie kommst du darauf?« fragte Atan Shubashi

überrascht.»Denken wir doch an die Hypnobasis der Rudraja

auf dem Planeten Vyamar«, erwiderte der Comman-der. »Wir wissen, daß dort Menschen von der Erdedurch Zwangsimpulse von Impulssendern dazu ge-zwungen worden sind, eine Art militärische und ge-heimdienstliche Ausbildung zu absolvieren. Wirselbst sind ja vorübergehend unter den Einfluß dieserZwangsimpulse geraten.«

»Das ist allerdings richtig«, gab Atan zu. »Aber washat das mit Taylor zu tun?«

»Ich bin davon überzeugt, daß Taylor auch auf Vy-amar gewesen ist und daß er auf noch ungeklärte

Weise zur Erde zurückgekehrt ist, um hier für dieRudraja gegen die Menschheit zu kämpfen. Wie Hel-ga vor einiger Zeit schon sagte, wäre es doch sinnlosfür die Installateure der Hypnobasis gewesen, wennsie nur für eine Ausbildung der Entführten gesorgt,sie aber nicht irgendwo auch zum Einsatz gebrachthätten.«

»Auch richtig«, stimmte Atan zu.»Verdammt noch mal wie lange wollt ihr Mario ei-

gentlich schmoren lassen?« fragte Hasso Sigbjörnsonungeduldig. »Es kann auf jede Sekunde ankommen.«

»Schalten Sie ab«, forderte Cliff.Murdonom Kahindra stand neben Charles Taylor.

Seine Hand lag am Schalter, doch sie bewegte sichnicht. Schweiß trat dem Inder auf die Stirn.

»Ich kann es nicht«, sagte er. »Ich käme mir vor wieein Mörder.«

Cliff McLane schob Atan zur Seite, der ihm im Wegstand, trat an Taylor heran und griff zum Schalter.Doch dann stutzte er.

»Was ist mit ihm?« fragte er und deutete mit derlinken Hand auf Taylor.

Murdonom Kahindra beugte sich über den Rudra-ja-Agenten. Er legte ihm die Hand an den Hals, schobsie zu den Augen hoch und drückte die Lider auf.

»Er ist tot«, sagte er mit belegter Stimme.»Tot?« fragte McLane unwillkürlich. Er untersuchte

Taylor und kam zu dem gleichen Ergebnis.»Was bedeutet das?« fragte Hasso. »Ist damit auch

das Bewußtsein von Taylor erloschen? Ich meine, istMario damit vor diesem Kerl in Sicherheit? Oder lebtdas Bewußtsein in TECOM weiter und richtet dortUnheil an?«

Murdonom Kahindra hob unsicher die Hände.»Ich fürchte, daß Taylor in TECOM weiterlebt«,

entgegnete er dann. »Er hat sich uns damit entzogen.«»Bedeutet es ein Risiko für Mario, wenn ich die

Haube abschalte?« fragte Cliff.Murdonom Kahindra schüttelte den Kopf. Er sagte:

»Das ist jetzt bedeutungslos geworden.«Der Commander schaltete ab. Anschließend unter-

suchte er Taylor noch einmal, konnte jedoch keineLebenszeichen mehr an ihm feststellen.

»Und jetzt?« fragte er ratlos. »Was machen wirjetzt?«

»Wir müssen Mario zurückholen, bevor es zu spätist«, rief Helga erregt. »Wir können ihn doch nichtebenfalls unter der Haube sterben lassen.«

»Er wird nicht sterben«, erklärte Kahindra.»Wir müssen zu ihm zurück«, sagte Cliff. »Schnell.

Er ist schon viel zu lange allein.«Die ORION-Crew und der Chefprogrammierer

verließen den Raum überhastet. Auf dem Gang trafensie mit den beiden anderen Chefprogrammierern zu-sammen, die erst jetzt eintrafen. Kahindra berichtetein aller Eile, während sich die Crew nicht aufhaltenließ.

Cliff McLane bemühte sich, nicht daran zu denken,daß es Mario so ergangen sein konnte wie CharlesTaylor.

*

Mario wich langsam zurück. Er fühlte, daß eine selt-same Schwäche in seinen Beinen aufstieg. Von denFacettenaugen des gigantischen Insekts ging eine

Kraft aus, der er sich nicht gewachsen fühlte. In die-sen Sekunden verwischten sich Wirklichkeit undComputerwelt endgültig. Mario de Monti vergaß,daß er nur mit seinem Bewußtsein in dieser Welt war.Er wähnte sich auf einer Existenzebene, die mit allenihren Gelegenheiten so war, wie er sie sah.

Er konnte seine Augen nicht von dem Insekt ab-wenden, während er Schritt um Schritt zurückwich,wobei er die Hände tastend nach hinten ausstreckte.

Nach etwa zwanzig Metern berührte seine linkeHand etwas Pelziges. Er zuckte zusammen undwandte langsam den Kopf. Zugleich erstarrte er.

Hinter ihm kauerte ein spinnenähnliches Wesen,das etwa so groß war wie er. Die acht winzigen Au-gen funkelten in einem eigenartigen, drohendenLicht. Aus dem Spinnenpelz ragten Zangen undScheren hervor, aus denen eine grüne Flüssigkeittropfte.

Unwillkürlich schrie Mario auf.Sein Kopf flog hin und her. Er blickte zu dem We-

sen, das einer Gottesanbeterin glich, und dann zudem spinnenähnlichen Geschöpf. Von beiden gingeine tödliche Drohung aus.

Er warf sich zur Seite, als er es in den Spinnenau-gen aufblitzen sah, stürzte und rollte sich über denBoden. Die Scheren schossen auf ihn zu, verfehltenihn jedoch knapp. Ein grüner Giftstrahl fuhr zischendaus der Schere und traf den Boden.

Von Grauen geschüttelt, beobachtete der Kyberne-tiker, daß sich das Gestein brodelnd auflöste.

Er rannte wie von Furien gehetzt über den schlüpf-rigen Boden, rutschte aus, stürzte, raffte sich wiederauf, flüchtete weiter, warf sich hin und her, um den

Angriffen der beiden Bestien zu entgehen.Die ätzenden Gase brannten auf seinen Schleim-

häuten. Er rang keuchend nach Luft und suchte ver-geblich nach einem Ausweg aus seiner Lage.

Als er einige lose herumliegende Steine sah, bückteer sich, nahm einige Steine auf und schleuderte siemit voller Wucht gegen die Spinne, die ihn hartnäk-kig verfolgte. Er traf sie mitten zwischen den Augen.Mit einem Geräusch, das ihm einen Schauer des Ent-setzens über den Rücken jagte, zerbrach der Chitin-panzer. Gelbliches Blut quoll aus der Wunde hervor.Die Spinne eilte mit zitternden Beinen noch einigeMeter weiter auf ihn zu. Dann knickten die Beine zu-sammen, und das häßliche Tier sank sterbend zu Bo-den.

Mario de Monti atmete auf. Diese Gefahr war be-hoben, doch damit war er noch lange nicht in Sicher-heit.

Das Geschöpf, das einer Gottesanbeterin glich,hatte sich nicht bewegt. Es war jetzt etwa hundert-fünfzig Meter weit entfernt und kaum noch zu er-kennen. Es schien, als habe es nur auf den Tod derSpinne gewartet, denn jetzt schob sie mit unglaublichlangsam wirkender Bewegung die vorderen beidenBeine vor.

Mario wich stöhnend zurück.Die Beine kamen näher und näher. Sie schienen

sich mehr und mehr zu strecken, und dann erkannteer, daß das Wesen mit einem einzigen Schritt fastfünfzig Meter zurückgelegt hatte.

Dabei schien es immer länger und größer zu wer-den.

Der dreifach eingeschnürte Insektenkörper kroch

hinterher. Mario sah, daß er am Ende aus einem rie-sigen, grünen Ovalkörper bestand, der kreischendüber das Gestein schabte.

Der Kybernetiker legte die Hände an die Ohren. Erkonnte dieses Kreischen nicht ertragen. Ihm schien,als brächte dieses Geräusch seinen ganzen Körperzum Schwingen.

Er drehte sich um und rannte würgend weiter. Jetztspürte er, daß seine Kräfte nachließen. Der Boden warzu schwer und zu tückisch. Jeder Schritt erforderteeinen hohen Kraftaufwand.

Immer wieder blickte er über die Schulter zurück.Das Gigantinsekt folgte ihm mit zeitlupenhaften, aberunglaublich raumgreifenden Bewegungen. Der Ab-stand schmolz zusammen, ohne daß Mario eineMöglichkeit sah, sich irgendwo in Sicherheit zu brin-gen. Er fand keine Höhle oder etwas Ähnliches, wo ersich hätte verkriechen können. Da jedoch Nebel-schwaden immer wieder die Sicht versperrten, er-losch die Hoffnung in ihm nicht, irgendwo doch nocheinen Unterschlupf zu finden.

Plötzlich aber fiel das Land ab. Mario rutschte eineSchräge hinab, fing sich mühsam ab und richtete sichwieder auf, als der Boden wieder eben wurde. Erblickte nach oben. Der dreieckige Kopf des Insektsschob sich über die Felskante.

Er fuhr herum und rannte weiter.Der Nebel vor ihm wurde so dicht, daß er nur noch

zwei oder drei Meter weit sehen konnte. So kam es,daß er den Abgrund erst bemerkte, als er nur nocheinen einzigen Schritt davon entfernt war.

*

Cliff McLane stürzte in den Raum, in dem der Körpervon Mario de Monti lag. Seine Blicke richteten sichauf den Freund. Er hastete zu ihm hin und griff nachseinem Handgelenk. Erst als er den Pulsschlag fühlte,atmete er auf.

Doch dann bemerkte er, daß Mario seltsam blaßwar, und daß sein Gesicht ständig zuckte, als rastenelektrische Impulse durch die Muskeln.

»Kahindra«, schrie er.Ungeduldig blickte er auf die Tür. Die anderen

Mitglieder der Crew waren bereits da. MurdonomKahindra trat erst jetzt ein.

»Alles in Ordnung?« fragte er.»Ich weiß nicht«, antwortete der Commander unsi-

cher. »Ich glaube nicht. Sehen Sie selbst. Was haltenSie davon?«

Der Inder nahm den Arm Marios auf und fühlteden Puls.

»Das ganze Gesicht zuckt«, bemerkte Helga.»Es ist, als ob er Angst hätte«, sagte Hasso.»Wir müssen etwas tun«, sagte McLane. »Wir dür-

fen nicht weiter zusehen.«»Aber was?« fragte Arlene.Kahindra ging zu einem Gerät an der Wand,

klappte es auf und legte damit einen Bildschirm frei.Er schaltete es ein, und ein tanzender Leuchtpunkterschien auf der Bildfläche. Er hüpfte in unregelmä-ßigen Bewegungen auf und ab.

»Es sieht schlecht aus«, erklärte der Inder.»Was ist das?« fragte Cliff.»Es sind Bewußtseinsimpulse aus dem Gehirn Ih-

res Freundes«, erläuterte der Chefprogrammierer.»Sie sollten eigentlich so groß wie eine Faust sein.«

»Dann sind sie viel zu klein«, sagte Cliff.»Allerdings. Das bedeutet, daß sich das Bewußtsein

Ihres Freundes in TECOM zu verlieren droht. Fürmich steht jetzt fest, daß Taylor de Monti gefundenhat und daß er ihn bedroht. Ich könnte mir vorstellen,daß er eine Alptraumwelt für ihn geschaffen hat, wiees etwa unter Hypnose möglich ist.«

»Sie meinen, Mario könnte glauben, daß er sich ineiner Schreckenswelt befindet?« fragte Arlene.

»So ist es«, bestätigte der Chefprogrammierer. »Ersieht Gefahren, flüchtet vor ihnen oder kämpft mitihnen und verbraucht dabei seine Kräfte.«

»Sind die Gefahren echt für ihn?« erkundigte sichCliff. »Ich meine, was passiert, wenn er in dieserPseudowelt einem Feind begegnet, sagen wir einemRaubtier?«

»Wenn das Tier ihn angreift und ihn so verletzt,daß Mario glaubt, diese Verletzung müsse tödlichsein, dann ist sie tödlich«, erklärte Kahindra.

»Das ist doch nicht möglich«, entgegnete HassoSigbjörnson.

»Es ist aber so«, erwiderte der Inder. »Entschei-dend ist, daß sich das Bewußtsein Marios in TECOMbefindet, nicht der Körper. Wenn das Bewußtsein zuder Überzeugung kommt, daß es stirbt, dann löst essich auf und geht in TECOM auf. Es ist dann für im-mer verloren.«

»Was geschieht dann mit dem Körper?« fragteAtan Shubashi.

»Er stirbt«, antwortete Kahindra. »Ich nehme an, soetwas ist mit Taylor passiert, nur unter umgekehrtemVorzeichen. Taylor hat seihen Körper bewußt verlas-sen, um in TECOM weiterzuleben. Er wird versu-

chen, Marios Bewußtsein zu vernichten, weil er damitzum absoluten Herrscher von TECOM aufsteigenwürde.«

»Dann hätte er sein Ziel erreicht«, stellte CliffMcLane erbittert fest. »Er hätte die Macht über TE-COM und könnte damit die Menschheit in ein unvor-stellbares Chaos stürzen.«

»Dann bleibt nur noch eine Möglichkeit«, bemerkteArlene. »Wir müssen TECOM abschalten.«

»Das hätte verheerende Folgen«, sagte MurdonomKahindra. »Erstens würden Sie Mario de Monti dabeitöten. Natürlich würde auch Charles Taylor sterben,aber damit wäre das Problem nicht gelöst. Dennwenn wir TECOM abschalten, stürzen wir dieMenschheit ebenfalls in ein Chaos. Unsere gesamteZivilisation ist von TECOM abhängig. Sie kann ohneTECOM nicht existieren. Wäre TECOM auch nur füreinen einzigen Tag abgeschaltet, wären die Folgeneinfach katastrophal.«

»Dann bleibt wirklich nur noch eine Möglichkeit«,erklärte Cliff. »Wir müssen Mario zurückholen.«

»Wie wollen Sie das anstellen?« fragte Kahindra.»Ich werde ihm folgen«, sagte Cliff McLane.

*

Mario de Monti warf sich zurück und rollte sich zu-gleich auf den Bauch herum. Er stürzte auf denschmierigen Boden und rutschte haltlos auf den Ab-hang zu. Er glitt über die Felskante hinweg, als ausder Tiefe ein eigenartiges Röhren kam. Mario achtetenicht bewußt darauf, sondern schloß aus der Art desGeräusches und dem Hall, daß es hinter der Kante

mehrere hundert Meter in die Tiefe ging.Er krallte sich mit gekrümmten Fingern in den Bo-

den, durchwühlte eine schlammige Schicht und faßteeinige winzige Vorsprünge im Fels. Ein Ruck gingdurch seinen Körper. Er hatte das Gefühl, ihm wür-den die Arme aus den Schultergelenken gerissen.Dann war der Sturz zu Ende.

Der Kybernetiker baumelte über dem tiefschwar-zen Abgrund. Mit letzter Kraft hielt er sich an derFelskante. Er blickte nach oben, während erneut jeneseigenartige Röhren von unten heraufklang und ihmbestätigte, daß er wirklich in einer tödlichen Gefahrschwebte. Er erwartete, den häßlichen Kopf der gi-gantischen Gottesanbeterin über den Felsen aufstei-gen zu sehen, aber er irrte sich.

Plötzlich stand wenige Meter von ihm entfernt einedunkle Gestalt. Ein Mensch, der sich in einen weitenUmhang gehüllt hatte. Dort, wo das Gesicht seinsollte, war nur ein verwaschener Fleck.

»Helfen Sie mir«, rief Mario verzweifelt. »Bitte.«Er versuchte, sich nach oben zu ziehen, aber er war

bereits zu schwach. Er konnte seine Arme nicht ein-mal krümmen. Die Muskeln versagten ihm denDienst. Er schaffte es gerade noch, sich zu halten.

Der Fremde schritt langsam auf ihn zu, und jetztformte sich ein hageres Gesicht mit übergroßen,dunklen Augen aus dem Fleck.

»Helfen Sie mir«, flehte der Kybernetiker erneut.»Warum sollte ich das tun?« fragte der Mann. Er

trat so nahe an Mario heran, daß seine Fußspitzenseine Finger berührten. »Sie kommen hierher undstören mich. Dies ist meine Welt, in der ich Sie nochnicht einmal als Gast begrüßen möchte.«

Mario warf sich mit aller Kraft nach oben. Erschaffte es, die Kinnspitze über die Felskante zu he-ben, aber dann trat ihm der Fremde auf die Finger.

»Ich wünsche Ihnen einen guten Flug in die Tiefe«,sagte der Mann zynisch. »Die Landung wird, um inihrer Terminologie zu bleiben, etwas hart werden.«

»Sie sind ja wahnsinnig«, sagte Mario keuchend.»Was hätten Sie schon davon, wenn Sie mich um-brächten?«

Der Fremde lachte.»Gerade das werde ich Ihnen nicht verraten«, er-

widerte er und trat mit aller Kraft zu. Mario de Montischrie gellend auf. Seine Finger krallten sich noch fe-ster in die Felsen, doch dann schlug der Fremde dielinke Hand mit dem Fuß weg. Mario rutschte einigeZentimeter weiter ab. Vergeblich bemühte er sich, dieHand wieder an die Felsen zu bringen.

Der Fremde lachte schrill auf. Sein Gelächter halltevon den Felsen wider.

»Es ist zu Ende«, rief er und trat abermals zu.Marios Hand rutschte Zentimeter um Zentimeter

ab. Was er auch tat, es genügte nicht. Er konnte sichnicht mehr halten. Seine Augen weiteten sich. Erwollte etwas sagen, doch nur ein unverständlichesKrächzen kam über seine Lippen.

Da ertönte plötzlich ein Ruf.»Mario!« hallte es durch die Schlucht. »Mario de

Monti! Mario!«»Hier bin ich«, brüllte der Kybernetiker zurück.

»Hier oben.«»Mario«, rief jemand, und plötzlich erkannte de

Monti, wer es war.»Cliff«, schrie er. »Cliff McLane, wo bist du?«

Es war seltsam und fiel ihm zunächst gar nicht auf,aber seine Hand war zur Ruhe gekommen. Nur nochmit den Fingerspitzen hielt er sich an der Felskante,und es strengte ihn noch nicht einmal so sehr an.

»Mario«, rief der Commander. »Ich bin bei dir. Habkeine Angst. Dies ist nicht die Wirklichkeit. Erinneredich daran, daß dies nur die Pseudowelt von TECOMist!«

Mario de Monti zuckte zusammen. Sein Kopf fuhrherum. Er blickte nach oben. Noch immer stand derFremde vor ihm auf den Felsen, aber er wich langsamzurück.

»Die Pseudowelt von TECOM?« fragte Maria deMonti röchelnd. Er warf seinen linken Arm nach obenund legte die Hand fest um die Kante. Dann zog ersich mit einem Ruck hoch und brachte sich in Sicher-heit. Als er vor dem Mann im Umhang auf dem Bo-den kauerte, drehte dieser sich um und rannte einigeMeter weit davon.

»Vorsicht«, rief er. »Da kommt die Gottesanbeterin.Sie wird dich fressen, Mario de Monti.«

»Cliff«, brüllte der Kybernetiker. »Komm zu mir.Hilf mir.«

»Es ist zu spät«, sagte der Fremde beschwörend.»Niemand kann dir helfen. TECOM hat beschlossen,dich zu töten.«

Das Wort TECOM rüttelte Mario de Monti durch.Es war wie eine belebende Dusche.

Er sprang auf und preßte die Hände an die Schlä-fen.

»Jetzt weiß ich, wo ich bin«, sagte er, während esum ihn allmählich heller und heller wurde. Verein-zelte Blitze schienen durch die Landschaft zu zucken.

Er glaubte zunächst wenigstens, welche zu sehen.Nach einigen Minuten, in denen er dem Fremdenschweigend gegenüberstand, erkannte er, daß es jenestabförmigen Gebilde waren, die er schon vorher ge-sehen hatte.

Er ging auf den Fremden zu.»Jetzt muß sich entscheiden, wer stärker von uns

beiden ist«, sagte er grimmig.»Das steht schon jetzt fest«, erwiderte der andere

ruhig. »Ich bin es, denn ich habe nichts zu verlieren.Ich habe meinen Körper zurückgelassen. Er war un-nötiger Ballast.«

»Das spielt keine Rolle«, sagte Mario.»Oh, doch«, entgegnete der Fremde. »Denn das be-

deutet, daß du nicht mit mir kämpfen kannst. Wenndu mit mir kämpfst, tötest du deinen eigenen Körperund mußt für immer hier in TECOM bleiben. Hieraber bin ich ohnehin stärker. Ich würde dich früheroder später ins Nichts verschwinden lassen. Dir bleibtnur die Flucht.«

»Ich werde kämpfen«, sagte Mario de Monti.Im gleichen Moment schien sich der Kopf des an-

deren in einen dreieckigen Insektenkopf zu verwan-deln. Mario de Monti glaubte, erneut in die funkeln-den Facettenaugen der Gottesanbeterin zu sehen.

8.

Cliff McLane glaubte, durch das All zu schweben.Ihm war, als fliege er durch ein Meer von Sternen aufdas Zentrum der Galaxis zu. Doch der Eindruck bliebnur für eine kurze, aber nicht genau bestimmbareZeit. Danach fühlte er festen Boden unter den Füßen.Die Sterne kamen zur Ruhe und begannen, rötlich zuglimmen.

Weit vor sich erkannte er ein flackerndes Licht. Ereilte darauf zu, kam ihm allmählich näher und be-merkte endlich, daß dieses Licht eine menschlicheGestalt hatte.

»Mario«, schrie er.Fast schlagartig nahm die Gestalt festere und schär-

fere Konturen an. Cliff McLane glaubte sogar, sehenzu können, daß sie sich ihm zuwandte. Er eilte auf siezu, während er wieder und wieder den Namen desFreundes rief. Bald war klar, daß er sich nicht geirrthatte. Mario de Monti, dessen Bewußtsein im Begriffgewesen war, sich aufzulösen, kehrte zurück.

»Mario«, rief Cliff McLane noch einmal, und dannglaubte er, deutlich hören zu können, daß der Kyber-netiker antwortete. Zugleich wuchs eine düstere Ge-stalt über der Szene auf, die alles überschattete.

»Charles Taylor«, sagte der Commander. »Mariohat Sie also gefunden.«

Aus dem Nichts heraus entstand Mario de Monti.Wo eben nur ein schattenhafter, flackernder Umrißwar, der sich zu einer Gestalt formen wollte, wurdeplötzlich das völlig normal wirkende Bild des Kyber-netikers.

Mario de Monti sah erschöpft aus. Seine Wangenwaren hohl, und die Augen lagen tief in den Höhlen.

»Es wurde Zeit, daß du kommst, Cliff«, sagte er mitschleppender Stimme, in der die Mühen der letztenStunden mitklangen. »Lange hätte ich nicht mehrdurchgehalten.«

Die beiden Männer standen voreinander. CliffMcLane streckte die Hand aus, obwohl er wußte, daßer den Kybernetiker nicht wirklich berühren konnte.Dennoch hatte er das Gefühl, körperlichen Kontaktzu ihm zu bekommen.

Die beiden Männer drehten sich um.Vor ihnen tanzte wie eine gigantische, schwarze

Flamme die Gestalt von Charles Taylor. Wortlos kon-zentrierten sie sich auf ihn, während sie langsam vor-wärts schritten. Der Raum veränderte sich. Er wurdekleiner und enger. Von allen Seiten ragten blaue Spit-zen wie scharfkantige Kristalle in ihn hinein.

Taylor wich zurück. Immer wieder gingen harteImpulswellen von ihm aus, die die beiden Männervon der ORION hemmten, aber nicht aufhaltenkonnten.

»Nein, nicht«, wimmerte es dort, wo sie Taylorvermuteten. Sie ließen sich nicht aufhalten, und danngellte ein fürchterlicher Schrei durch die Pseudoweltvon TECOM.

Aus der flackernden Flamme formte sich einemenschliche Gestalt. Sie sank vor Cliff McLane aufdie Knie.

»Helfen Sie mir«, sagte Taylor wimmernd. »Ichkann nicht mehr.«

»Nicht nachlassen«, forderte Mario de Monti. »Wirdürfen ihn nicht freigeben.«

Beide Männer konzentrierten sich völlig auf Taylor.Sie trieben ihn in die Enge, verwehrten ihm seinenEinfluß auf TECOM, indem sie sich mit ihrem ganzenWillen gegen ihn stemmten.

Taylor fuhr auf, kurz bevor sie ihn erreichten. Et-was Leuchtendes entfernte sich von ihm und löstesich zu konturenlosen Nebelschwaden auf, die ir-gendwohin verwehten.

»Es ist vorbei«, sagte Charles Taylor mühsam. »Siebrauchen nicht mehr gegen mich zu kämpfen.«

Cliff McLane spürte, daß er die Wahrheit sagte.Plötzlich war alles ganz anders geworden. Die Pseu-dowelt von TECOM war nicht mehr von Feindselig-keit und Abwehr erfüllt. Das Gefühl, daß überall töd-liche Gefahren lauerten, war vorbei. Der Commandersah nur noch eine geschlagene, gebrochene Gestaltvor sich, die sich kraftlos seinem Willen beugte.

»Wer sind Sie wirklich?« fragte er.Er sah nichts als zwei übergroße, von tiefer Trauer

erfüllte Augen.»Ich war Charles Taylor«, erwiderte er mit matter

Stimme. »Ich habe die Erde am 5. Dezember 1945verlassen. Damals war ich Schwarmführer einerGruppe von Torpedobombern der amerikanischenMarine. Ich stand im Rang eines Lieutenants und be-fand mich mit meiner Gruppe im Einsatz im Bermu-da-Gebiet. Ich erinnere mich wieder daran. Außerir-dische haben mich entführt. Ich weiß nicht mehr, wo-hin. Ich weiß nur noch, daß da Maschinen waren unddaß ich lernen mußte. Ich wurde vorbereitet für denEinsatz auf einem fremden Planeten. Auf dem Pla-neten Vritru. Aber ich kam nicht dorthin, sondernhierher auf die Erde, nachdem ich geschlafen hatte.

Lange geschlafen hatte. Die Verhältnisse waren ganzanders, als sie auf Vritru sein sollten, und dochkannte ich sie. Jetzt weiß ich, warum.«

Charles Taylor schwieg.Um seine Augen, die wie eigenständige Lebewesen

vor Cliff und Mario in der Luft schwebten, bildetensich düstere Höfe.

»Sie sind nicht allein hier auf der Erde, CharlesTaylor«, sagte Cliff McLane. »Sie sind nicht allein ge-kommen, um hier ein Chaos anzurichten.«

»Nein, ich bin nicht allein. Zwei von uns sind tot.«»Wer?« fragte Mario.»Jeanny und Harold«, antwortete der Agent der

Rudraja bereitwillig.Mario fluchte lautlos. Er brauchte keine weiteren

Fragen zu stellen. Er wußte auch so, wer gemeint war.»Wieviel sind es noch?« erkundigte sich Cliff.»Außer mir noch neun«, erwiderte Taylor.»Wo sind sie?«Die beiden Augen waren kaum noch zu erkennen.

Nur noch zwei nebelhafte, schwarze Fleckenschwebten vor dem Kommandanten der ORION undseinem Kybernetiker.

»Wo sind sie?« fragte McLane drängend. »Wirmüssen es wissen, Taylor! Bedenken Sie, Sie sind einMensch dieser Erde, Sie müssen uns helfen.«

»Tötet sie nicht«, bat Taylor. »Sie können nichts da-für, daß sie so sind. Sie wurden dazu gezwungen.«

»Wenn Sie uns sagen, wo wir sie finden können,dann können wir sie retten«, sagte Cliff. »Wenn Siejedoch schweigen, dann müssen wir sie mühsam auf-spüren, und dann wird es nicht ohne Kampf abge-hen.«

»Sie finden sie in einer stillgelegten Silbermine inder Nähe des Mount Isa in Queensland«, antworteteCharles Taylor mit kaum verständlicher Stimme.»Laßt sie leben. Rettet sie. Laßt sie wieder Menschensein.«

»Taylor, warten Sie ...«, rief Mario. Er streckte dieArme aus und trat zwei Schritte vor, doch Taylor warnicht mehr. Die schwarzen Nebelflecken verwehten.

McLane und de Monti glaubten bereits, daß nunalles vorbei war. Doch noch einmal spürten sie denWillen Taylors, der sich mit letzter Kraft meldete, oh-ne daß etwas von ihm oder seinem Bewußtsein sicht-bar wurde.

»Meine Arbeit war nur Vorbereitung«, teilte er mit.»Sie sollte die wirkliche Invasion vorbereiten, dievom vierten Planeten kommen wird.«

»Vom vierten Planeten?« rief Cliff McLane. »Tay-lor, ich ...«

Er spürte, daß Taylor ihn nicht mehr hören konnte.Taylor war nicht mehr da. Sein Bewußtsein war erlo-schen. Es hatte sich im Nichts verloren. Taylor warseinem toten Körper gefolgt.

»Komm«, sagte der Commander. »Wir kehren zu-rück.«

Diese Willenserklärung genügte. Die beiden Män-ner glitten zurück. Die Räume, die sie zu durch-schweben schienen, änderten sich fortlaufend, bisübergangslos Murdonom Kahindra, Melia Chang-Fu,Veit Holocek und die Mitglieder der ORION-Crewvor ihren Augen erschienen.

Cliff McLane befreite sich stöhnend von derKupplungshaube. Er hatte Mühe, in die Wirklichkeitzurückzukehren. Es gelang ihm zunächst nicht zu

unterscheiden, was die Realität war. War es die Welt,aus der er gekommen war, oder war es jene, in der ersich nun befand? Und befand er sich tatsächlich inihr, oder glaubte er es nur?

Er hörte Arlene aufgeregt sprechen, spürte ihreLippen auf seinen Wangen, aber er verstand sie zu-nächst nicht.

Erst als Murdonom Kahindra sich über ihn beugteund ihn spöttisch fragte: »Wieder auf der Erde,Commander?« fuhr er hoch.

Er wischte sich ein Staubkorn aus dem Auge.»Machen Sie sich keine Sorgen um mich«, sagte er.

»Ich bin in Ordnung.«

*

Das Gebiet war unübersichtlich, und es schien, alsseien in ihm schon seit Jahrzehnten keine Menschenmehr gewesen. Heiß brannte die Sonne vom wol-kenlosen Himmel herab, als Cliff McLane sich mit derORION-Crew und einer von Basil Astiriakos geleite-ten Kampfeinheit dem Schlupfwinkel der neun nochlebenden Agenten der Rudraja näherte.

Unter einigen halbverdorrten Bäumen blieb derCommander liegen und spähte durch ein elektroni-sches Fernglas, zu einem vielfach zerklüfteten Berghinüber.

»Wenn der Inspektor uns richtig informiert hat«,sagte er mit gedämpfter Stimme, »dann liegt die alteSilbermine dort drüben.«

»Da ist ja auch eine alte Hütte«, bemerkte Mario deMonti.

»Dort könnte es sein.« Cliff McLane blickte blin-

zelnd nach oben. Dann hielt er sich das Armband-funkgerät vor die Lippen und befahl: »Fliegen Sie los,und passen Sie genau auf.«

»Verstanden«, meldete sich eine ruhige Stimme.Einige Minuten verstrichen, dann flog in etwa

zweitausend Meter Höhe lautlos ein Gleiter über dieGruppe hinweg.

»Glaubst du, daß der da oben die Agenten wirklichmit Hilfe von Infrarotortung findet?« fragte der Ky-bernetiker. »Mensch, Cliff, die ganze Gegend kocht jaförmlich in der Sonne. Wo sollen da noch Wärmedif-ferenzen auszumachen sein, zumal da die Burschenbestimmt tief unter der Erde stecken?«

»Abwarten«, erwiderte McLane. »Ich glaube daran,daß sich auf diese Weise etwas bestimmen läßt. Aberdu hast natürlich recht. Die Bedingungen sindschlecht für uns! Mir wäre es lieber gewesen, wennwir nachts angegriffen hätten. Dann sind die Felsenkälter, und es ist wesentlich leichter, ein paar Men-schen mit Hilfe von Infrarot auszumachen.«

»Zumal man damit rechnen kann, daß auch mal ei-ner von ihnen herauskommt, um frische Luft zuschnappen.«

»Du hast vollkommen recht, aber in diesem Fallmüssen wir uns Basil Astiriakos beugen. Er will es so.Wenn es nicht klappt, geht das auf seine Kappe. Abervielleicht sind seine Überlegungen richtig. Wir müs-sen die Agenten so schnell wie möglich schnappen,damit sie keinen Schaden mehr anrichten können.«

Mario de Monti nickte. Er sah, daß ein Licht amArmbandfunkgerät McLanes aufleuchtete. Er wolltenicht stören.

»Nichts, Sir«, tönte es aus dem winzigen Lautspre-

cher. »Selbst die Computerauswertung erbringtnichts. Ich kehre um und überfliege das Gebiet nocheinmal.«

»Dadurch wird's auch nicht besser«, sagte Mario.»Vielleicht doch«, wandte der Commander ein.

»Nehmen wir an, daß sich einer von den Agentendort unten in der Mine bewegt. Sagen wir, er geht ei-nige Schritte auf und ab. Dann verschieben sich dieWärmepunkte auf den Infrarotaufnahmen. Der Com-puter wird den Unterschied augenblicklich feststel-len, und wir haben das Versteck.«

Mario de Monti kratzte sich hinter dem Ohr.»Darauf hätte ich natürlich auch kommen können«,

sagte er verlegen grinsend. Er blickte zum Himmelhinauf. »Es ist so verdammt heiß heute.«

»Du bist entschuldigt«, erwiderte McLane spöt-tisch. »Du hast ja soviel durchgemacht!«

»Du willst doch wohl nicht sagen, daß meine Gei-steskräfte darunter gelitten haben?«

»Überhaupt nicht«, sagte Cliff lächelnd. »Im Ge-genteil. Du kommst mir jetzt noch viel schlauer vorals vorher.«

Mario blickte ihn zweifelnd an. Er wollte etwas er-widern, doch der Pilot des Gleiters meldete sich er-neut. Cliff schaltete das Armbandfunkgerät ein.

»Wir haben sie gefunden«, meldete der Pilot. »Siesind in der Mine, vor der Sie liegen.«

»Kein Zweifel möglich?«»Kein Zweifel möglich, Sir. Auch die Computer-

auswertung ist eindeutig. In der Mine befinden sichmehrere Menschen.«

»Also doch«, sagte Cliff zufrieden. Er griff in seineBrusttasche und holte den vergilbten Plan der Mine

hervor, die er von einem Mitarbeiter der in Bedeu-tungslosigkeit versunkenen australischen Bergbaube-hörde erhalten hatte. Der Mann war geradezu glück-lich gewesen, endlich einmal etwas tun zu können,was sinnvoll war.

»Wir schwärmen aus und schließen die beidenHaupteingänge ein«, befahl McLane. Er hatte sichvorbehalten, erst vor Ort die letzten Entscheidungenzu treffen.

Er richtete sich auf und eilte geduckt zusammenmit Mario de Monti weiter. Die anderen folgten ingrößerem Abstand, wobei sie seitlich ausschwärmten,bis beide Zugänge zur Mine abgedeckt waren. AlsCliff McLane einen auffallend steil aufragenden Fel-sen erreichte, blitzte es bei dem südlichen Eingangder Mine auf, und der Energiestrahl einer HM 4 rastezischend an ihm vorbei.

Der Commander warf sich in Deckung und blicktesich gleichzeitig nach dem Kybernetiker um, derdicht hinter ihm war. Bleich sank Mario de Monti aufdie Knie.

»Mann«, sagte er erschrocken. »Beinahe hätte esmich erwischt.«

Er kroch zu McLane hinüber.»Und nun?« fragte er. »Was machen wir nun? Man

hat uns offenbar entdeckt. Mit einem Überraschungs-angriff ist es also nichts mehr.«

McLane nickte.»Stell dir vor«, sagte er sarkastisch. »Das ist mir

auch bereits aufgegangen.«Er richtete sich vorsichtig am Felsen auf und blickte

durch eine Einkerbung zur Mine hinüber. Wiederblitzte es dort auf. McLane ließ sich fallen. Der Ener-

giestrahl schlug über ihm ein, und ein Regen von rot-glühenden Gesteinstropfen sprühte über ihn und deMonti hinweg.

Die beiden Männer rollten sich vom Felsen wegund suchten hinter einem Baum Schutz.

»Hast du etwas abbekommen?« fragte Mario.»Nur ein winziges Stückchen«, antwortete der

Commander und zeigte seine linke Hand. Auf derHandoberfläche befand sich eine Brandwunde.

Cliff hob das Armbandfunkgerät an die Lippen.»Basil, hören Sie?« flüsterte er.Astiriakos meldete sich augenblicklich.»Ist alles in Ordnung bei Ihnen, McLane?« fragte er.»Allerdings«, antwortete der Commander. »Wir

liegen hier gemütlich im Gras und sonnen uns. Siekönnen also nicht mehr damit rechnen, daß wir denursprünglichen Plan verfolgen. Jetzt sind Sie dran.«

»Ich habe verstanden.«McLane schaltete ab und blickte zu der Stelle zu-

rück, an der er den Politiker vermutete. Von dorthallte eine Megaphonstimme herüber.

»Achtung«, brüllte Astiriakos. »Wir wissen, daß Siedort in der Silbermine sind. Wir haben den Hinweisvon Charles Taylor, Ihrem Gruppenleiter, bekommen.Er hat aufgegeben und erteilt Ihnen hiermit den Be-fehl, den Kampf ebenfalls zu beenden.«

»Der ist aber reichlich optimistisch«, kommentierteMario. »Soll das der ganze Trick sein?«

McLane schüttelte den Kopf.»Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist«, erwiderte

er. »Damit können wir sie nicht aus dem Berg locken.Sie sind bestimmt so programmiert, daß sie nicht so-fort aufgeben.«

»Einige von den Männern Basils umgehen die Ein-gänge. Sie sind da oben.«

McLane folgte den Hinweisen des Kybernetikers,und jetzt entdeckte er die Männer aus der Kampfein-heit ebenfalls, die die Zugänge in weitem Bogen um-laufen hatten und jetzt am Berg herabkletterten.

»Kommen Sie heraus«, brüllte Astiriakos. »Sie ha-ben keine andere Möglichkeit, wenn Sie überlebenwollen. Geben Sie auf. Charles Taylor befiehlt es Ih-nen.«

Eine HM 4 blitzte auf, und der Energiestrahl schlugdort ein, wo Astiriakos war. McLane glaubte bereits,daß der Minister getötet worden war, als dieser sicherneut meldete.

»Sie haben keine Chance. Der Berg ist umstellt.Wenn wir wollten, könnten wir Sie für eine unbe-grenzte Zeit belagern, aber das wollen wir nicht. Wirwollen die Entscheidung jetzt!«

Das Licht am Arm McLanes leuchtete wieder auf.»Was ist?« fragte der Commander.»Es wäre Wahnsinn, auch nur das Leben eines ein-

zigen Mannes zu riskieren«, sagte Astiriakos. »Ichschlage daher vor, daß wir von einem Gleiter ausKampfgas in die Eingänge schießen. Damit schaltenwir die Agenten schlagartig aus, ohne jemanden zugefährden.«

McLane überlegte kurz, dann stimmte er zu.»Einverstanden«, entgegnete er. »Sorgen Sie aber

auch dafür, daß die Einsatzgruppe schnell genug inden Berg eindringt. Sie wissen, daß das Gas eine ge-fährliche Wirkung hat, wenn die Rudraja-Agentenihm länger als fünf Minuten ausgesetzt sind.«

»Wir machen das schon«, sagte Astiriakos.

Eine Minute später jagte ein Kampfgleiter über dieFelsen heran. Aus seinem Bug schossen zwei Raketen.Sie explodierten direkt vor den beiden Zugängen zurMine.

Einer der Agenten, der sich dort befand, schoß mitder HM 4, verfehlte die Maschine jedoch, da diese mithoher Geschwindigkeit weiterflog.

Sekunden darauf stürmten die Männer der Kampf-einheit, mit Gasschutzmasken versehen, die Mine.

Sie holten insgesamt neun Agenten aus den Gän-gen heraus, vier Frauen und fünf Männer.

Ein medizinischer Behandlungsgleiter landete vorder Mine, und vier Ärzte nahmen sich der Agentenan, die bewußtlos auf dem Boden lagen.

»Bringen Sie sie sofort in eine Klinik«, befahlMcLane. »Sie müssen medizinisch und psychologischbehandelt werden.«

*

Basil Astiriakos sah erschöpft aus, als Cliff McLaneihn wiedersah. Das war genau vierundzwanzig Stun-den nach dem Angriff auf die verlassene Silbermine.Der Politiker befand sich in einer Klinik in Sidney.

»Wie sieht es aus?« fragte Mario de Monti, der denKommandanten der ORION begleitete.

Astiriakos hob die Schultern.»Ich weiß es nicht. Die Ärzte haben mir noch keine

exakte Auskunft gegeben.«»Soll das heißen, daß die Agenten noch immer be-

wußtlos sind?« fragte McLane.»Es scheint so.«Die drei Männer gingen über einen Flur zu einem

Empfangsraum. Als sie diesen betraten, kam ein etwasechzigjähriger Arzt durch eine Tür herein.

»Dr. Hammy«, sagte Astiriakos. »Ich denke, eswird Zeit, daß Sie mir endlich eine klare Auskunftgeben.«

Dr. Hammy hob abwehrend die Hände. Er lächelte.»Es ist alles in Ordnung«, berichtete er. »Alle neun

sind wach, und alle haben die Gaskrise überwunden.Sie befinden sich nun bereits in psychologischer Be-handlung.«

»Und wie sieht es damit aus?« fragte McLane.»Können Sie schon etwas sagen?«

Dr. Hammy lächelte erneut.»Ich kann«, sagte er. »Wir haben die besten Psy-

chologen der Erde hier. Sie sind auf Anweisung vonHan Tsu-Gol gekommen. Sie sind fest davon über-zeugt, daß es ihnen gelingen wird, den Hypnobannzu brechen.«

Der Mediziner ließ noch eine Reihe von medizini-schen und psychologischen Erläuterungen folgen, dieso mit Spezialausdrücken aus den beiden wissen-schaftlichen Disziplinen durchsetzt waren, daß wederdie beiden Männer von der ORION noch Astiriakosviel verstanden. Daher brach der Politiker bald dasGespräch ab und verabschiedete sich von dem Arzt.

Als er zusammen mit McLane und de Monti dieKlinik verließ, sagte er: »Ich habe inzwischen mit HanTsu-Gol gesprochen und ihm beschrieben, was ge-schehen ist.«

»Was sagt er dazu?« fragte McLane.»Han Tsu-Gol scheint sehr pessimistisch zu sein.

Als ich ihm andeutete, daß eine Invasion bevorstehenkönnte, war er ziemlich erschrocken. Er meinte, wenn

diese Invasion tatsächlich stattfindet, dann ist die Er-de verloren.«

McLane und Mario de Monti schwiegen betroffen.Erst als sie ihren Gleiter erreichten, fanden sie ihre

Sprache wieder.»Meinen Sie, daß Han Tsu-Gol noch mehr Infor-

mationen hat als wir?« fragte de Monti.»Ich weiß es nicht«, erwiderte Astiriakos. Er lä-

chelte gequält. »Und ich will es auch gar nicht wissen,wenn ich ehrlich sein soll.«

ENDE