10
I Tensoranalysis 1 Gradient, Divergenz und Rotation Im hier beginnenden Teil I werden notwendige mathematische Grundlagen zusam- mengestellt. Dabei geht es vor allem um die Tensoranalysis, die die Differenziation und Integration von Tensorfeldern behandelt. Kapitel 1 führt die koordinatenunabhängigen und anschaulichen Definitionen der Vektoroperationen Gradient, Divergenz und Rotation ein. In Kapitel 2 wer- den Tensorfelder formal durch ihr Verhalten unter orthogonalen Transformationen definiert; außerdem wird das praktische Rechnen mit den Vektoroperationen de- monstriert. In Kapitel 3 wird die δ -Funktion eingeführt, die Beziehung (1/r) = 4π δ(r ) abgeleitet und ein Vektorfeld durch seine Quellen und Wirbel dargestellt. Kapitel 4 befasst sich mit Lorentztensorfeldern. Wir betrachten ein beliebiges skalares Feld Φ(r ) und ein beliebiges Vektorfeld V (r ) im dreidimensionalen Raum. Die formale Definition der Eigenschaften Ska- lar und Vektor wird in Kapitel 2 nachgeholt. Wir setzen die Differenzierbarkeit der auftretenden Funktionen voraus. Für die im Folgenden untersuchten partiellen Ortsableitungen spielt eine eventuelle Zeitabhängigkeit in Φ(r ,t) und V (r ,t) keine Rolle; sie wird daher in der Notation unterdrückt. Wir definieren folgende Differenzialoperationen: 1. Der Gradient eines skalaren Felds Φ wird mit grad Φ bezeichnet. Die Kom- ponente des Vektorfelds grad Φ in Richtung eines beliebigen Einheitsvektors n wird durch n · grad Φ(r ) = lim Δr 0 Φ(r + n Δr) Φ(r ) Δr (1.1) definiert. Die Größe n · grad Φ ist die Ableitung von Φ in dieser Richtung. Die geometrische Bedeutung des Gradienten ist in Abbildung 1.1 illustriert. 3 T. Fließbach, Elektrodynamik, DOI 10.1007/978-3-8274-3036-6_2 © Springer-Verlag Berlin Heidelbcrg 2012

Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

  • Upload
    torsten

  • View
    214

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

I Tensoranalysis

1 Gradient, Divergenz und Rotation

Im hier beginnenden Teil I werden notwendige mathematische Grundlagen zusam-

mengestellt. Dabei geht es vor allem um die Tensoranalysis, die die Differenziation

und Integration von Tensorfeldern behandelt.

Kapitel 1 führt die koordinatenunabhängigen und anschaulichen Definitionen

der Vektoroperationen Gradient, Divergenz und Rotation ein. In Kapitel 2 wer-

den Tensorfelder formal durch ihr Verhalten unter orthogonalen Transformationen

definiert; außerdem wird das praktische Rechnen mit den Vektoroperationen de-

monstriert. In Kapitel 3 wird die δ-Funktion eingeführt, die Beziehung �(1/r) =−4π δ(r) abgeleitet und ein Vektorfeld durch seine Quellen und Wirbel dargestellt.

Kapitel 4 befasst sich mit Lorentztensorfeldern.

Wir betrachten ein beliebiges skalares Feld Φ(r) und ein beliebiges Vektorfeld

V (r) im dreidimensionalen Raum. Die formale Definition der Eigenschaften Ska-lar und Vektor wird in Kapitel 2 nachgeholt. Wir setzen die Differenzierbarkeitder auftretenden Funktionen voraus. Für die im Folgenden untersuchten partiellen

Ortsableitungen spielt eine eventuelle Zeitabhängigkeit inΦ(r, t) und V (r, t) keine

Rolle; sie wird daher in der Notation unterdrückt.

Wir definieren folgende Differenzialoperationen:

1. Der Gradient eines skalaren Felds Φ wird mit gradΦ bezeichnet. Die Kom-

ponente des Vektorfelds gradΦ in Richtung eines beliebigen Einheitsvektors

n wird durch

n · gradΦ(r) = limΔr→0

Φ(r + nΔr)−Φ(r)

Δr(1.1)

definiert. Die Größe n · gradΦ ist die Ableitung von Φ in dieser Richtung.

Die geometrische Bedeutung des Gradienten ist in Abbildung 1.1 illustriert.

3

T. Fließbach, Elektrodynamik, DOI 10.1007/978-3-8274-3036-6_2© Springer-Verlag Berlin Heidelbcrg 2012

Page 2: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

4 Teil I Tensoranalysis

�x

�y

..............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

..........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

.....................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

..................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

...................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

..........................................................................................

.................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

..........................................................................................

.................................................................................................................................

............................................................................................................................

.

grad Φ

Φ = const.

Abbildung 1.1 Die Abbildung zeigt

einige Höhenlinien Φ(x, y) = const.

Im Dreidimensionalen werden diese

Höhenlinien zu den Flächen Φ(r) =Φ(x, y, z) = const. Der Gradient von

Φ steht senkrecht auf diesen Flächen.

Er zeigt in die Richtung des stärksten

Anstiegs von Φ; sein Betrag ist pro-

portional zu diesem Anstieg.

2. Die Divergenz eines Vektorfelds V wird mit divV bezeichnet. Das skalare

Feld divV wird durch

divV (r) = limΔV→0

1

ΔV

∮ΔA

dA · V (1.2)

definiert. Hierfür wird ein Volumenelement1 ΔV bei r betrachtet; über seine

Oberfläche ΔA wird das Skalarprodukt V · dA aufsummiert. Die geometri-

sche Bedeutung der Divergenz ist in Abbildung 1.2 illustriert.

3. Die Rotation eines Vektorfelds V wird mit rotV bezeichnet. Die Komponen-

te des Vektorfelds rotV in Richtung eines beliebigen Einheitsvektors n wird

durch

n · rotV (r) = limΔA→0

1

ΔA

∮ΔC

dr · V , n = ΔA

ΔA(1.3)

definiert. Hierfür wird ein Flächenelement ΔA ‖ n bei r betrachtet; über sei-

nen Rand ΔC wird das Skalarprodukt V · dr aufsummiert. Die geometrische

Bedeutung der Rotation ist in Abbildung 1.3 illustriert.

Die Definitionen (1.1) – (1.3) haben folgende Vorteile:

• Sie machen die Bedeutung der Differenzialoperationen für physikalische Fel-der deutlich.

• Sie sind unabhängig von der Koordinatenwahl.

• Aus ihnen folgen sofort wichtige Integralsätze.1In der Regel wird das Volumen mit dem Buchstaben V bezeichnet. In Formeln, in denen ein

Vektorfeld V oder seine Komponenten Vi auftreten, verwenden wir jedoch den etwas anderen Buch-

staben V für das Volumen.

Page 3: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

Kapitel 1 Gradient, Divergenz und Rotation 5

............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. ..........................................................

..

.................................................... .................................................... .................................................... ............................................................................................................................................................ ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ .................................................... ....................

............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. ..........................................................

..

.................................................... .................................................... .................................................... ............................................................................................................................................................ ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ .................................................... ....................

............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. ..........................................................

..

.................................................... .................................................... .................................................... ............................................................................................................................................................ ................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ .................................................... ....................dA dA dA

V VV

���

���

��� �

�����

���

������

�������

����

����

��

���

���

divV = 0 divV > 0 divV groß

Abbildung 1.2 Zur Berechnung der Divergenz (1.2) wird ein kleines Volumen ΔV be-

trachtet (hier speziell kugelförmig). Wenn das Vektorfeld V im Bereich des Volumens kon-

stant ist (links), verschwindet die Divergenz. Nimmt V dagegen in Feldrichtung zu (Mitte),

so ist divV positiv. Die Divergenz wird maximal, wenn das Vektorfeld durchweg parallel

zum Flächenvektor dA der Oberfläche von ΔV ist (rechts). Das Vektorfeld hat hier eine

Quelle; allgemein ist divV ein Maß für die Quellstärke des Felds.

........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

.................................................... .................................................... .................................................... ..........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

.................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. .................................................... ....................

........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

.................................................... .................................................... .................................................... ..........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

.................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. .................................................... ....................

........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

.................................................... .................................................... .................................................... ..........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................

.................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. .................................................... ....................

dr dr dr

V VV

���

���

��� �

�����

���

����

���

�������

���

���

��

���

���

n · rotV = 0 n · rotV > 0 n · rotV groß

Abbildung 1.3 Zur Berechnung der Rotation (1.3) wird eine kleine Fläche ΔA (hier spe-

ziell kreisförmig) mit dem Normalenvektor n (senkrecht zur Bildebene) betrachtet. Wenn

das Vektorfeld V im Bereich der Fläche konstant ist (links), verschwindet die Rotation.

Nimmt V dagegen quer zur Feldrichtung zu (Mitte), so ist n · rotV ungleich null. Die Rota-

tion wird maximal, wenn das Vektorfeld durchweg parallel zum Wegelement dr des Rands

von ΔA ist (rechts). Das Vektorfeld hat hier einen Wirbel; allgemein ist |rotV | ein Maßfür die Wirbelstärke des Felds.

Page 4: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

6 Teil I Tensoranalysis

������

������

������

��

��

��

��

��

��

��

���

� � ��������

ex

ez ey

ΔA = −ex Δy Δz

V (x, y, z)

ΔA = ex Δy Δz

V (x +Δx, y, z )

(x +Δx, y +Δy, z +Δz)

(x, y, z)

Abbildung 1.4 Zur Berechnung von divV in kartesischen Koordinaten wird ein quader-

förmiges Volumen ΔV = Δx Δy Δz gewählt. Die Beiträge aller sechs Seitenflächen zum

Flächenintegral∮dA · V werden aufsummiert und durch ΔV geteilt.

Kartesische Koordinaten

Für kartesische Koordinaten lautet der infinitesimale Ortsvektor

dr = dx ex + dy ey + dz ez (1.4)

Diese Größe wird auch als Wegelement bezeichnet.Wir werten die Definitionen (1.1) bis (1.3) für kartesische Koordinaten aus. In

(1.1) wählen wir n = ex ; dann gilt dr = dx ex . Außerdem setzen wir Φ(r) =Φ(x, y, z) ein:

ex · gradΦ = Φ(x + dx, y, z)−Φ(x, y, z)

dx= ∂Φ

∂x(1.5)

Dies ist die x-Komponente des Vektors gradΦ. Insgesamt erhalten wir

gradΦ = ∂Φ

∂xex +

∂Φ

∂yey +

∂Φ

∂zez (1.6)

Im Folgenden verwenden wir auch die abkürzende Schreibweise

∂xΦ =∂Φ

∂xoder ∂x =

∂x(1.7)

Durch

∇Φ(r) ≡ gradΦ(r) (1.8)

definieren wir den Nabla-Operator ∇. Der Vergleich mit (1.6) ergibt

∇ = ex ∂x + ey ∂y + ez ∂z (1.9)

Page 5: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

Kapitel 1 Gradient, Divergenz und Rotation 7

����

����

ex

ey

Δr = ex Δx

Δr = −ex Δx

V (x, y +Δy, z)

V (x, y, z)

(x +Δx, y +Δy, z)

(x, y, z)

Abbildung 1.5 Zur Berechnung von ez · rotV in kartesischen Koordinaten wird eine

Rechteckfläche ΔA = Δx Δy gewählt. Die Beiträge aller vier Seiten zum Linienintegral∮dr · V werden aufsummiert und durch ΔA geteilt.

Zur Auswertung von divV betrachten wir das in Abbildung 1.4 gezeigte Volumen-

elementΔx Δy Δz bei r := (x, y, z). Wir werten∮dA ·V für die in der Abbildung

markierten Flächen aus:∮dA · V = Δy Δz

(Vx(x +Δx, y, z )− Vx(x, y, z )

)+ . . . (1.10)

Der Integrand [Vx(x + Δx, y, z) − Vx(x, y, z)] wurde vor das Integral gezogen.Nach dem Mittelwertsatz der Integralrechnung ist er dann an einer geeigneten (un-

bekannten) Stelle y, z im betrachteten Integrationsbereich zu nehmen. Wir realisie-

ren den GrenzfallΔV → 0 durchΔx → 0,Δy → 0 undΔz→ 0. Dann gehen die

unbekannten Argumente y und z gegen y und z und wir erhalten

1

Δx Δy ΔzΔy Δz

(Vx(x +Δx, . . .)− Vx(x, . . .)

)ΔV→ 0−→ = ∂Vx

∂x(1.11)

Die in (1.2) verlangte Summation über alle Flächen ergibt somit

divV = ∂Vx

∂x+ ∂Vy

∂y+ ∂Vz

∂z= ∇ · V (1.12)

Die Divergenz kann also durch das Skalarprodukt mit dem Nabla-Operator ausge-

drückt werden; dabei wirken die Differenzialoperatoren in∇ auf alle rechts stehen-

den Größen.

Zur Auswertung von rotV betrachten wir das in Abbildung 1.5 gezeigte Flä-

chenelement ΔA = Δx Δy ez bei r := (x, y, z). Wir werten∮dr · V die in der

Abbildung markierten Randstücke aus:∮dr · V = Δx

(Vx(x, y, z)− Vx(x, y +Δy, z)

)+ . . . (1.13)

Page 6: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

8 Teil I Tensoranalysis

Dabei wurde wieder der Mittelwertsatz der Integralrechnung verwendet. Geteilt

durch ΔA = Δx Δy und im Limes Δx → 0 und Δy → 0 ergibt der angeschriebe-

ne Term −∂Vx/∂y. Insgesamt erhalten wir

(rotV )z =∂Vy

∂x− ∂Vx

∂yund rotV = ∇ × V (1.14)

Die Rotation kann durch das Vektorprodukt mit dem Nabla-Operator (1.9) ausge-

drückt werden.

Orthogonale Koordinaten

Die Definitionen (1.1) – (1.3) sind koordinatenunabhängig; sie lassen sich daher für

beliebige Koordinaten auswerten. Ein praktisch wichtiger Fall sind orthogonale Ko-

ordinaten; hierzu gehören Kugel-, Zylinder- und elliptische Koordinaten. Für kar-

tesische, Zylinder- und Kugelkoordinaten sind die expliziten Formen der gängigen

Differenzialoperatoren in Anhang C angegeben.

Wir bezeichnen die Koordinaten mit q1, q2 und q3. Von lokal orthogonalen

Koordinaten sprechen wir, wenn die drei infinitesimalen Vektoren dr , die vom

Punkt (q1, q2, q3) jeweils nach (q1 + dq1, q2, q3) und (q1, q2 + dq2, q3) und

(q1, q2, q3 + dq3) zeigen, ein orthogonales Dreibein aufspannen. Wir definieren

e1, e2, e3 als die orthonormierten Basisvektoren dieses Dreibeins; für Kugelkoordi-

naten sind dies die Vektoren er , eθ und eφ . Der wesentliche Unterschied zu karte-

sischen Koordinaten besteht darin, dass diese Basisvektoren von dem betrachteten

Punkt, also von den Koordinaten q1, q2, q3 abhängen; daher spricht man von lokalorthogonalen Koordinaten. Kartesische Koordinaten sind dagegen global orthogo-

nal.

Definitionsgemäß zeigt e1 von (q1, q2, q3) nach (q1+ dq1, q2, q3). Das zugehö-

rige Wegelement ist proportional zu dq1 e1; den Proportionalitätsfaktor bezeichnen

wir mit h1. Das Wegelement dr von (q1, q2, q3) nach (q1+dq1, q2+dq2, q3+dq3)ist dann von der Form

dr =3∑

i=1hi dqi ei (1.15)

Speziell für kartesische (x, y, z), Zylinder- (ρ, ϕ, z) und Kugelkoordinaten (r , θ , φ)

lautet das Wegelement

dr =

⎧⎪⎨⎪⎩dx ex + dy ey + dz ez

dρ eρ + ρ dϕ eϕ + dz ez

dr er + r dθ eθ + r sin θ dφ eφ

(1.16)

Hieraus lesen wir die hi ab:

(h1, h2, h3) =

⎧⎪⎨⎪⎩(1, 1, 1) (Kartesische Koordinaten)

(1, ρ, 1) (Zylinderkoordinaten)

(1, r, r sin θ ) (Kugelkoordinaten)

(1.17)

Page 7: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

Kapitel 1 Gradient, Divergenz und Rotation 9

Die Felder werden in den jeweiligen Koordinaten und Basisvektoren ausgedrückt:

Φ(r) = Φ(q1, q2, q3) , V (r) =3∑

i=1Vi(q1, q2, q3) ei (1.18)

Die Ableitung der Vektoroperationen aus (1.1) – (1.3) erfolgt analog zu der in karte-

sischen Koordinaten. Wegen der lokalen Orthogonalität kann ΔV in (1.2) als Qua-

der und ΔA in (1.3) als ein Rechteck gewählt werden. Die Seitenlängen sind durch

hi dqi gegeben. Die Ergebnisse dieser Verallgemeinerung sind:

gradΦ = ∇Φ =3∑

i=1

1

hi

∂Φ

∂qiei (1.19)

divV = 1

h1h2h3

[∂(h2h3V1)

∂q1+ ∂(h1h3V2)

∂q2+ ∂(h1h2V3)

∂q3

](1.20)

rotV = 1

h2h3

[∂(h3V3)

∂q2− ∂(h2V2)

∂q3

]e1 + zyklisch (1.21)

Aus (1.19) folgt der Nabla-Operator

∇ =3∑

i=1ei1

hi

∂qi(1.22)

Alle Vektoroperationen können durch den Nabla-Operator ausgedrückt werden:

gradΦ = ∇Φ , divV = ∇ · V , rotV = ∇ × V (1.23)

Da die Operationen auf den rechten Seiten (wie zum Beispiel das Vektorprodukt)

koordinatenunabhängig definiert sind, genügt es, die Gültigkeit dieser Aussagen für

kartesische Koordinaten zu zeigen; dies wurde oben gemacht. Für beliebige Koordi-

naten ist (1.23) so zu verstehen, dass durch die erste Relation (mit dem Gradienten

aus (1.1)) der Nabla-Operator definiert wird. Dann können die Divergenz und die

Rotation gemäß (1.23) mit diesem Operator definiert werden (anstelle von (1.2) und

(1.3)). Wenn man diese Form benutzt, muss man allerdings beachten, dass die par-

tiellen Ableitungen ∂/∂qi auch auf die Basisvektoren in V wirken; im Gegensatz

zu kartesischen Koordinaten gilt im Allgemeinen ∂ei/∂qj �= 0.Im Folgenden werden wir die beiden Seiten der Gleichungen in (1.23) gleich-

wertig nebeneinander benutzen. Im amerikanischen Sprachraum wird fast immer

die Schreibweise mit den Nabla-Operator benutzt. Im deutschen Sprachraum über-

wiegt die Schreibweise mit grad, div und rot. In konkreten Rechnungen verwendet

man aber auch hier meist die Schreibweise dem Nabla-Operator.

Ein weiterer wichtiger Differenzialoperator ist der Laplace-Operator

� = div grad = 1

h1h2h3

[∂

∂q1

(h2h3

h1

∂q1

)+ zyklisch

](1.24)

Page 8: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

10 Teil I Tensoranalysis

Durch � = div grad ist der Laplace-Operator koordinatenunabhängig definiert.

Aus (1.19) und (1.20) folgt die angegebene Form für orthogonale Koordinaten.

Vektoroperationen (wie das Skalar- und Vektorprodukt, der Gradient, die Di-

vergenz und die Rotation) können koordinatenunabhängig definiert werden. Daher

sind Vektorgleichungen (zum Beispiel rot gradΦ = 0 für beliebiges Φ) invariant

gegenüber Koordinatentransformationen. Zum Beweis einer solchen Gleichung ge-

nügt es dann, ihre Gültigkeit für spezielle Koordinaten zu zeigen. Man wählt dazu

die Koordinaten, für die der Beweis am einfachsten zu führen ist; dies sind meist

kartesische Koordinaten. In Kapitel 2 wird das Rechnen mit dem Nabla-Operator in

kartesischen Koordinaten noch näher beschrieben.

Integralsätze

Aus der Definition der Divergenz (1.2) folgt durch Integration über ein endliches

Volumen V ∫V

dV divV =∮A

dA · V Gaußscher Satz (1.25)

Hierbei ist A = A(V) der (glatte) Rand des Volumens V.

Aus der Definition der Rotation (1.3) folgt durch Integration über eine endliche

Fläche A ∫A

dA · rotV =∮C

dr · V Stokesscher Satz (1.26)

Dabei ist C = C(A) der (glatte) Rand der Fläche A. Zur Ableitung von (1.25)

denken wir uns das Volumen V in kleine Teilvolumina zerlegt:∫V

dV divV =∑i

ΔVi divV (r i) =∑i

∮ΔAi

dA · V (1.27)

Der erste Schritt folgt aus der Bedeutung des Integrals, der zweite aus (1.2). Im

letzten Ausdruck tritt jede Fläche, die zwischen zwei Teilvolumina liegt, zweimal

auf, und zwar mit jeweils unterschiedlicher Orientierung. Diese Flächenbeiträge

heben sich daher auf; übrig bleibt nur die Außenfläche A des Volumens V, also die

rechte Seite von (1.25). Die Ableitung von (1.26) erfolgt entsprechend, wobei (1.3)

anstelle von (1.2) betrachtet wird.

Für ein Vektorfeld ist Wirbelfreiheit gleichbedeutend mit der Wegunabhängig-

keit des Linienintegrals:

rotV = 0 ←→∫ 2

1

dr · V = wegunabhängig (1.28)

Die linke Seite soll in einem einfach zusammenhängenden Bereich gelten (zum Bei-

spiel im gesamten Raum). Die im rechten Teil betrachteten Wege sollen in diesem

Page 9: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

Kapitel 1 Gradient, Divergenz und Rotation 11

Bereich liegen. Zum Beweis betrachtet man zwei Wege C1 und C2, die von 1 nach

2 führen. Wenn die Wege verschieden sind und sich nicht überschneiden, schließen

sie eine Fläche A ein, so dass∮Rand von A

dr · V =∫ 2

1,C1

dr · V −∫ 2

1,C2

dr · V (1.29)

Ist nun rotV = 0, dann ist nach dem Stokesschen Satz die linke Seite null; also

sind die Linienintegrale für beliebige Wege C1 und C2 gleich. Ist andererseits das

Linienintegral für beliebige Wege gleich (rechte Seite von (1.28)), dann folgt aus

(1.29) für eine beliebige infinitesimale Fläche∮

V · dr = 0; nach der Definition

(1.3) impliziert dies dann rotV = 0. Damit sind beide Schlussrichtungen in (1.28)gezeigt. Falls die beiden Wege sich überschneiden, ist (1.29) für jeden Teilbereich

zwischen zwei Schnittpunkten zu verwenden.

Greensche Sätze

Wir betrachten zwei beliebige skalare Funktionen Φ(r) und G(r) und setzen das

Vektorfeld V = Φ (∇G) in den Gaußschen Satz ein:∫V

dV

((∇Φ

) · (∇G)+Φ�G)=∮A

dA ·Φ (∇G) (1. Greenscher Satz)

(1.30)

Dabei wurde ∇ · (Φ ∇G) = (∇Φ) · (∇G) + Φ�G verwendet. Wir schreiben das

entsprechende Ergebnis für V = G(∇Φ) an und subtrahieren beide Gleichungen

voneinander. Dies ergibt∫V

dV(Φ �G−G�Φ) =

∮A

dA · (Φ ∇G−G∇Φ)

(2. Greenscher Satz)

(1.31)

Dabei ist A = A(V) die (zumindest stückweise glatte) Oberfläche des Volumens

V. Es wird vorausgesetzt, dass die zweiten partiellen Ableitungen der Funktionen

Φ und G stetig sind.

Page 10: Elektrodynamik || Gradient, Divergenz und Rotation

12 Teil I Tensoranalysis

Aufgaben

1.1 Verifikation des Stokesschen Satzes

Verifizieren Sie den Stokesschen Satz für das Vektorfeld

V = (4x/3− 2y) ex + (3y − x) ey

und die Fläche

A = {r : (x/3)2 + (y/2)2 ≤ 1, z = 0}

1.2 Verifikation des Gaußschen Satzes

Verifizieren Sie den Gaußschen Satz für das Vektorfeld

V = a x ex + b y ey + c z ez

und die Kugel x2 + y2 + z2 ≤ R2.

1.3 Elliptische Zylinderkoordinaten

Durch die Transformation

x = q1q2 y =√(

q 21 − �2)(1− q 22

), z = q3 (1.32)

sind die elliptischen Zylinderkoordinaten qi definiert. Die Transformation hängt von

einem Parameter � ab; die Koordinatenwerte sind durch q1 ≥ � > 0, |q2| ≤ 1,

|q3| <∞ eingeschränkt.

Skizzieren Sie die Koordinatenlinien q1 = const. und q2 = const. in der x-y-

Ebene. Zeigen Sie, dass es sich um orthogonale Koordinaten handelt. Geben Sie h1,

h2, h3 an, und drücken Sie die Einheitsvektoren e1, e2, e3 durch ex , ey , ez aus.

1.4 Rotation für orthogonale Koordinaten

Gehen Sie von der Definition (1.3) der Rotation aus. Zeigen Sie für orthogonale

Koordinaten

rotV = 1

h2h3

[∂(h3V3)

∂q2− ∂(h2V2)

∂q3

]e1 + zyklisch

1.5 Divergenz für orthogonale Koordinaten

Gehen Sie von der Definition (1.2) der Divergenz aus. Zeigen Sie für orthogonale

Koordinaten

divV = 1

h1h2h3

[∂(h2h3V1)

∂q1+ ∂(h3h1V2)

∂q2+ ∂(h1h2V3)

∂q3

]