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VII Elemente der Optik
35 Huygenssches Prinzip
Die Optik ist die Lehre von der Ausbreitung des Lichts oder allgemeiner der elektro-
magnetischen Wellen. Ausgangspunkt sind daher die Maxwellgleichungen und ihre
Wellenlösungen im Vakuum (Kapitel 20) oder in Materie (Kapitel 33). Die Optik ist
ein großes und eigenständiges Gebiet1, von dem wir im Teil VII einige Grundlagen
(Beugung und Interferenz, Reflexion und Brechung, geometrische Optik) behan-
deln.
Eine elektromagnetischeWelle falle auf eine Blende, also auf eine undurchlässi-
ge Fläche mit Öffnungen. DasWellenfeld hinter der Blende kann dann (in einer sehr
brauchbaren Näherung) mit Hilfe des Huygensschen Prinzips berechnet werden.
Nach diesem Prinzip geht von jedem Punkt der Blendenöffnung eine Kugelwelle
aus. Im Rahmen der Kirchhoffschen Beugungstheorie leiten wir in diesem Kapitel
das Huygenssche Prinzip ab. Das Ergebnis kann in der Fraunhoferschen Näherung
vereinfacht werden.
Wir betrachten monochromatische Wellenfelder im Vakuum:
E(r, t) = E(r) exp(− iωt) , B(r, t) = B(r) exp(− iωt) (35.1)
Die Realteilbildung wird nicht mit angeschrieben. Im quellfreien Bereich folgen aus
den Maxwellgleichungen (im Vakuum) die Wellengleichungen (21.4) und (21.5).
Für (35.1) ergeben sie
(�+ k2
) ( E(r)
B(r)
)= 0 (k = ω/c) (35.2)
Für jede Komponente des elektromagnetischen Felds (also etwa für ψ = Ex) gilt
damit (�+ k2
)ψ(r) = 0 (35.3)
1Als modernes Lehrbuch sei die Optik von S. G. Lipson, H. S. Lipson und D. S. Tannhauser,Springer-Verlag 1997, genannt.
325
T. Fließbach, Elektrodynamik, DOI 10.1007/978-3-8274-3036-6_36© Springer-Verlag Berlin Heidelbcrg 2012
326 Teil VII Elemente der Optik
Wir untersuchen im Folgenden nur Konsequenzen dieser skalaren (einkomponenti-gen) Wellengleichung. Damit vernachlässigen wir alle Polarisationseffekte. Dies ist
für viele Anwendungen ausreichend.
Wir betrachten die in Abbildung 35.1 und 35.2 skizzierte Situation. Vor der
Blende gebe es bei r ′′ ein Punktquelle, hinter der Blende ist das Wellenfeld gesucht:
ψ(r) ={Cexp( ik |r − r ′′|)
|r − r ′′| vor der Blende
? hinter der Blende(35.4)
Mit Ausnahme des Punkts r ′′ der Quelle erfüllt ψ(r) die Wellengleichung (35.3).Die Lage und Form der Blende und ihrer Öffnungen werde durch eine Fläche A
beschrieben. Die Fläche A soll ein Volumen V einschließen; dazu wird sie gege-
benenfalls weitab von den Öffnungen zu einer geschlossenen Fläche ergänzt (etwa
durch eine große Halbkugel).
Zur Berechnung des Felds ψ(r) hinter der Blende gehen wir vom zweiten
Greenschen Satz (1.31)∫V
d3r(ψ(r)�G−G�ψ(r)
) = ∮A
dA · (ψ(r)∇G−G∇ψ(r))
(35.5)
mit
G(r, r ′) = exp( ik |r − r ′|)|r − r ′| (35.6)
aus. Nach (3.37) gilt (�+ k2
)G(r, r ′) = −4π δ(r − r ′) (35.7)
Auf der linken Seite von (35.5) können wir zunächst beide�-Operatoren durch�+k2 ersetzen; denn die zusätzlichen Terme mit k2 heben sich auf. Danach verwenden
wir auf dieser linken Seite (35.3) und (35.7) und erhalten so
ψ(r ′) = 1
4π
∮A
dA ·(G(r, r ′) ∇ψ(r)− ψ(r) ∇G(r, r ′)
)(35.8)
Der Vektor r zeigt zu einem Punkt der FlächeA, über die integriert wird. Der Vektor
r ′ zeigt zu einem Punkt innerhalb von V , an dem das Wellenfeld ψ(r ′) berechnetwerden soll.
Die Blende absorbiere das Licht vollständig (außerhalb der Öffnungen). Dies
macht die folgenden Annahmen der Kirchhoffschen Beugungstheorie für das Feldψ auf der Fläche A plausibel:
1. Auf der Blende verschwinden das Feld und seine Ableitung. Die Integration
in (35.8) kann daher auf die Öffnungen der Blende beschränkt werden.
2. In den Öffnungen ist ψ das ungestörte Feld der Quelle (erste Zeile in (35.4).
Kapitel 35 Huygenssches Prinzip 327
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&&&&'n
Q
P
Punktquelle
Volumen VFläche A��+
rQ
rP...............................................................................................................
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Abbildung 35.1 Die Kugelwelle einer Quelle Q fällt auf eine Blende (geschlossene Fläche
A mit einer Öffnung). Gesucht ist das Wellenfeld am Punkt P innerhalb des Volumens V .
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�����
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��������
���
Q
r ′′ P
rQ = r − r ′′
rP = r ′ − r
r
r ′
Ursprung KS
!!!"n
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rQ
rP
φQ
φP
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Abbildung 35.2 Ergänzend zu Abbildung 35.1 werden einige Vektoren und Winkel defi-
niert, die in der Rechnung auftreten. Der Vektor r zeigt zu einem Punkt der Blendenöffnung,
r ′′ gibt den Ort der Quelle an, n ist ein Einheitsvektor, der senkrecht auf der Fläche steht.Bei r ′ soll das Wellenfeld berechnet werden. Für die im rechten Teil definierten Winkel giltn · rQ = −rQ cosφQ und n · rP = −rP cos φP.
328 Teil VII Elemente der Optik
Mit den Bezeichnungen aus Abbildung 35.2 erhalten wir G = exp( ik rP)/rP und
ψ = A exp( ik rQ)/rQ. Hiermit und mit den Kirchhoffschen Annahmen wird (35.8)
zu
ψ(r ′) ≈ C
4π
∫Öffnungen
dA n ·(exp( ik rP)
rP∇exp( ik rQ)
rQ− exp( ik rQ)
rQ∇exp( ik rP)
rP
)(35.9)
Mathematisch sind die Kirchhoffschen Annahmen allerdings inkonsistent: Wenn
auf einem endlichen Flächenstück ψ = 0 und n · ∇ψ = 0 gilt (dabei ist n ein
Normalenvektor), dann folgt daraus ψ ≡ 0. Wir ersetzen die 1. Kirchhoffsche An-nahme daher durch: Außerhalb der Öffnungen ergeben ψ und n ·∇ψ vernachlässig-bare Beiträge zum Integral (35.8). Diese Annahme ist nicht inkonsistent und führt
zu (35.9) als Näherung.
Für die weitere Auswertung nehmen wir
rQ � λ , rP � λ (35.10)
an. Wir führen nun die Ableitungen im Integranden von (35.9) aus. Mit rQ = r−r ′′
und dem Winkel φQ aus Abbildung 35.2 erhalten wir
n ·∇ exp( ik rQ)
rQ= n · rQ
rQ
(ik − 1
rQ
) exp( ik rQ)rQ
≈ − ik cos φQexp( ik rQ)
rQ(35.11)
Die entsprechende Formel für rP = r ′ − r enthält vom Nachdifferenzieren ein
zusätzliches Minuszeichen (∇ wirkt auf r). Wir setzen die Ausdrücke für die Ab-
leitungen in (35.9) ein:
ψ(r ′) ≈ − ikC4π
∫Öffnungen
dAexp( ik rP)
rP
exp( ik rQ)
rQ
(cosφQ + cos φP
)(35.12)
Die erwähnte Inkonsistenz der 1. Kirchhoffschen Annahme kann formal durch
eine modifizierte Greensche Funktion G(r, r ′) vermieden werden (Abschnitt 9.8in [6]). In diesem Fall erhält man anstelle von cosφQ + cosφP einen anderen
Winkelfaktor, und zwar 2 cosφQ oder 2 cosφP je nach Näherungsannahme. Wir be-
schränken uns im Folgenden auf kleine Winkel und nähern den Winkelfaktor durch
cos φQ + cos φP ≈ 2 an. Dadurch umgehen wir auch Modifikationen, die bei ei-
ner Korrektur der Kirchhoffschen Annahmen auftreten können. In dieser Näherung
wird (35.12) zu
ψ(r ′) ≈ − ikC2π
∫Öffnungen
dAexp( ik rQ)
rQ
exp( ik rP)
rP(35.13)
Dies ist das Huygenssche Prinzip: Von jedem Punkt der Öffnung geht eine Kugel-welle exp( ik rP)/rP aus. Ihre Stärke und insbesondere ihre Phase wird von der ein-
fallenden Kugelwelle C exp( ik rQ)/rQ bestimmt. Als mögliche Verallgemeinerung
Kapitel 35 Huygenssches Prinzip 329
können auch mehrere Quellen zugelassen werden; dann ist C exp( ik rQ)/rQ durch
die Überlagerung der Felder aller dieser Quellen zu ersetzen.
Wir vereinfachen (35.13) noch durch die Annahme, dass der Abstand rQ zur
Quelle viel größer als der Durchmesser d der Blendenöffnung ist, und dass dieWelle
senkrecht auf eine ebene Blende fällt. Dann gilt im Bereich der Blendenöffnung
exp( ik rQ)
rQ≈ const. (rQ � d, senkrechter Einfall) (35.14)
Eine konstante Phase im Bereich der Blende bedeutet, dass die Kugelwelle hier
lokal durch eine ebene Welle angenähert wird. Damit wird (35.13) zu
ψ(r ′) ≈ C ′∫Öffnungen
dAexp( ik rP)
rP
Huygenssches Prinzipfür senkrechten Einfalleiner ebenen Welle
(35.15)
Die Vorfaktoren wurden durch C ′ abgekürzt. Damit lautet das Huygenssche Prinzip:Von jedem Punkt der Blendenöffnung geht eine Kugelwelle aus.
Huygens stellte sein Prinzip bereits 1679 auf. Die hier gegebene Begründung
geht auf Kirchhoff (1882) zurück. Trotz der Probleme in der Ableitung ist das
Huygenssche Prinzip eine gute und sehr nützliche Näherung. Für eine weiter-
führende Diskussion (Winkelfaktoren, Polarisation) sei auf Jackson [6] verwiesen.
Nach demHuygensschen Prinzip sind Beugung und Streuung verwandte Phäno-
mene. Bei der Streuung fällt Licht auf Streuzentren (etwa Atome oder Striche eines
Gitters). In Kapitel 25 wurde (mit Polarisationseffekten) berechnet, wie ein Atom
zu Dipolschwingungen angeregt wird und dadurch seinerseits zur Quelle einer aus-
laufenden Kugelwelle wird. Damit geht von jedem Atom (oder Streuzentrum) eine
Kugelwelle aus, so wie von jedem Punkt der Öffnung in (35.13).
Fraunhofersche Beugung
�O�P
�
�������������
x
rOP
rP
Abbildung 35.3 Wir führen einen Vektor rOP von
einem festen Punkt O der Blendenöffnung zum
Beobachtungspunkt P ein. Dann ist rP = rOP − x,
wobei x := (ξ, η) ein (zweidimensionaler) Vektor
in der Ebene der Blendenöffnung ist.
Wir entwickeln r 2P = (rOP − x)2 = (xOP − ξ)2 + (yOP − η)2 + z 2OP nach Potenzen
von x,
r 2P = r 2OP
(1− 2 kOP · x
k rOP+ x2
r 2OP
)(35.16)
wobei
kOP = krOP
rOP(35.17)
330 Teil VII Elemente der Optik
Wir verwenden die Entwicklung (35.16) im Integranden von (35.15):
exp( ik rP)
rP≈ exp( ik rOP)
rOPexp(− ikOP · x) exp
(ikx2
2 rOP
)(35.18)
≈ exp( ik rOP)
rOPexp(− ikOP · x) für D � πa2
λ
Für hinreichend großen Abstand D zwischen Blende und Schirm ist der letzte Ex-
ponentialfaktor in der ersten Zeile ungefähr gleich 1; dabei ist D ≈ rP ≈ rOP,
und a kennzeichnet die Größe der Blendenöffnung. Für D ≤ πa2/λ muss dieser
Exponentialfaktor dagegen berücksichtigt werden; dieser Fall wird in der Literatur
unter der Bezeichnung Fresnelsche Beugung diskutiert.Mit (35.18) wird (35.15) zur Fraunhofersche Beugung oder Näherung:
ψ(r ′) ≈ C ′exp( ik rOP)
rOP
∫Öffnung
d2x exp(− ikOP · x ) (35.19)
Wenn sich Materie in der Öffnung der Blende befindet, dann ist die Stärke der aus-
gehenden Wellen (Kapitel 25) ortsabhängig. Dies kann dadurch berücksichtigt wer-
den, dass der Vorfaktor C ′ durch B(x) ersetzt und unter das Integral geschriebenwird:
ψ(r ′) ≈ exp( ik rOP)
rOP
∫Öffnung
d2x B(x) exp(− ikOP · x ) (35.20)
Das Integral ist die Fouriertransformierte von B(x), also der zweidimensionalen
Struktur in der Öffnung. Aus dem Beugungsmuster erhält man |ψ |2 und damit dasBetragsquadrat der Fouriertransformierten.
Es ist häufig so, dass ein Streuexperiment zur Fouriertransformierten der zu un-
tersuchenden Struktur führt. Als Beispiel sei die Bornsche Näherung (in Teil VII
von [3]) angeführt: Dabei wird die Streuung von Teilchen an einem Target auf die
Streuung an einem Potenzial (zwischen dem Projektil und einem Targetteilchen)
zurückgeführt. In der Bornschen Näherung ist der berechnete Wirkungsquerschnitt
dann proportional zum Betragsquadrat der Fouriertransformierten dieses Potenzi-
als. Ein vergleichbares Ergebnis haben wir in (25.27) für die Streuung von Licht
erhalten.
Ein Standardproblem bei dieser Art von Abbildung (der Struktur B(x) oder desPotenzials) ist, dass man nur den Betrag, nicht aber die Phase der Fouriertransfor-
mierten erhält. Ein weiteres Problem ist, dass das Experiment immer nur einen end-
lichen Bereich von k-Werten umfasst. Um B(x) (oder das Potenzial) zu erhalten,
muss man daher zusätzliche Annahmen machen. Man könnte etwa einen plausiblen
Ansatz für B(x) machen, der von einigen Parametern abhängt. Der Vergleich der
Fouriertransformierten des Ansatzes und des Experiments kann dann die Parameter
festlegen.