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Klaus Jürgen Reichle Thermische Entwicklung atomarer freier Volumen und Kristallisation in Si-(B)-C-N-Precursorkeramiken Institut für Theoretische und Angewandte Physik Universität Stuttgart 2003

elib.uni-stuttgart.deelib.uni-stuttgart.de/bitstream/11682/4711/1/... · 2018. 12. 19. · Thermische Entwicklung atomarer freier Volumen und Kristallisation in Si-(B)-C-N Precursor-Keramiken

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  • Klaus Jürgen Reichle

    Thermische Entwicklung atomarer freier Volumenund Kristallisation in Si-(B)-C-N-Precursorkeramiken

    Institut für Theoretische und Angewandte PhysikUniversität Stuttgart

    2003

  • Thermische Entwicklung atomarer freier Volumenund Kristallisation in Si-(B)-C-N

    Precursor-Keramiken

    Von der Fakultät Mathematik und Physik der Universität Stuttgartgenehmigte Abhandlung zur Erlangung der Würde eines Doktors der

    Naturwissenschaften (Dr. rer. nat.)

    vorgelegt von

    KLAUS JÜRGEN REICHLEaus Neuhausen ob Eck

    Hauptberichter: Prof. Dr. Hans-Eckhardt SchaeferMitberichter: Prof. Dr. Fritz Aldinger

    Tag der mündlichen Prüfung: 25. Juli 2003

    Universität StuttgartInstitut für Theoretische und Angewandte Physik

    2003

  • Inhaltsverzeichnis

    1 Einleitung 1

    2 Positronenzerstrahlung in Festkörpern 52.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52.2 Positronlebensdauermessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.3 Koinzidente Messung der Dopplerverbreiterung . . . . . . . . 12

    3 Leerstellen und Leerstellenagglomerate in den binären SystemenSi3N4, BN und SiC 153.1 Defektuntersuchung in Siliziumnitrid . . . . . . . . . . . . . . 153.2 Defektuntersuchungen in Bornitrid . . . . . . . . . . . . . . . 223.3 Erzeugung und Identifizierung von Gitterleerstellen auf den

    beiden Untergittern von Siliziumkarbid . . . . . . . . . . . . 263.3.1 Leerstellen auf den einzelnen Untergittern in 6H-

    Siliziumkarbid – Erzeugung und Nachweis . . . . . . 273.4 Zusammenstellung der Identifizierung von Defekten in den

    binären Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

    4 Freie Volumen in der ternären Precursor-Keramik Si1C1,6N1,3 354.1 Herstellung und Charakterisierung der Si1C1,6N1,3–Keramik . 364.2 Die Entwicklung freier Volumen in der ternären Precursor-

    Keramik Si1C1,6N1,3 bei der Pyrolyse und nach isothermenAnlassbehandlungen bei hohen Temperaturen . . . . . . . . . 38

    4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse in der Si1C1,6N1,3–Precursor-Keramik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

    5 Strukturuntersuchungen zur quaternären Precursor-KeramikSi3B1C4,3N2 495.1 Die Herstellung, Temperaturbehandlungen und Charakterisie-

    rung der Si3B1C4,3N2– Precursor-Keramik . . . . . . . . . . . 515.2 Defektverhalten bei axialer plastischer Kompressionsverfor-

    mung (Kriechen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595.3 Nanoskalige freie Volumen in der Si3B1C4,3N2–Precursor-

    Keramik und die Entwicklung nach Anlassbehandlungen . . . 605.4 Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

    6 Zusammenfassung 77

    i

  • ii INHALTSVERZEICHNIS

    7 Summary 79

    Anhang 81A Aufbau des Positronlebensdauerspektrometers . . . . . . . . . 81B Aufbau des Spektrometers zur koinzidenten Mes-

    sung der Dopplerverbreiterung der Elektron-Positron–Zerstrahlungsquanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

    Literaturverzeichnis 85

    Symbolverzeichnis 95

  • Es ist schwer zu sagen, wasunmöglich ist, denn derTraum von gestern ist das Zielvon heute und dieWirklichkeit von morgen.

    Robert H. Goddard1Kapitel 1

    Einleitung

    Die Precursorkeramiken gehören in die Klasse der kovalent gebundenen Kera-miken. Sie werden durch Pyrolyse molekularer Vorstufen (Precursoren) her-gestellt [1]. Im wesentlichen besteht die Herstellung dieser Keramiken ausvier Schritten [2]; der Synthese präkeramischer Oligomere oder Polymerisa-tion von monomeren Einheiten, der Vernetzung dieser Precursoren zu einemzwei- oder dreidimensionalen Netzwerk, die thermische Umwandlung diesesNetzwerks in eine amorphe kovalente Keramik und schließlich die Kristalli-sation des amorphen Festkörpers in eine thermodynamisch stabile Phase überunterschiedliche metastabile Zwischenstufen.

    Die Verwendung von Monomeren oder Polymeren als molekulare Vorstufenermöglicht eine Einstellung physikalischer und chemischer Eigenschaften dergewünschten Keramik durch die entsprechende Gestaltung dieser Ausgangs-polymere. Gegenüber herkömmlichen Pulver- oder Flüssigsinterverfahren sindbedeutend niedrigere Prozesstemperaturen notwendig, was nicht nur energe-tisch günstiger ist, sondern auch in der Herstellung von Verbundwerkstof-fen mit Komponenten mit geringerer Temperaturstabilität neue Möglichkeiteneröffnet. Auch die vielfältigen Möglichkeiten der Formgebung, welche schonbei den leicht zu bearbeitenden Grünkörpern vor der Pyrolyse durchgeführtwerden kann, zeichnet diese Keramiken aus. Weitere große Vorteile sind diechemische Homogenität und der Verzicht auf Sinterprozesse mit zusätzlichenSinteradditiven, die die mechanische Stabilität negativ beeinflussen können.

    1*1882–†1945, amerik. Physiker, ”Vater der modernen Raketentechnik“

    1

  • 2 KAPITEL 1. EINLEITUNG

    Allerdings erfordert die Herstellung identischer Proben eine genaue Kontrol-le der vielen Prozessparameter (Partikelgrößen des gemahlenen Grünkörpers,Druck und Temperaturgradienten bei der Pyrolyse, Stöchiometrie der Polyme-re).

    Während frühere aus molekularen Vorstufen hergestellte Keramiken auf Grundihrer geringen keramischen Ausbeute für wirtschaftliche Anwendungen un-interessant waren, versprach die Polymerklasse der Polysilazane, die zu Ke-ramiken aus Silizium, Kohlenstoff und Stickstoff führen, die Anforderun-gen an den Markt zu erfüllen. So wurden von der Firma Nichimen (Japan)das Polysilazan NCP200 (SiNC1,5H5,5) [3] und von der Firma Hoechst AG(Deutschland) das Polysilazan VT50 (SiN1,5C2,0H4,5) [4] großtechnisch pro-duziert. Durch zusätzliches Einbinden von Bor wurde ein quaternäres Sys-tem Si-B-C-N gefunden, das sich durch eine höhere thermische Stabilität alsdie Si-C-N Keramiken [5, 6, 7, 8] auszeichnet. Zu erwähnen sind hier dieam Max-Planck-Institut für Metallforschung synthetisierten Polymere T2(1){B[C2H4Si(CH3)NH]3}n [9] und MW33 {B[C2H4SiHNH]3}n [10], da die ausdiesen Vorstufen hergestellten Keramiken eine extrem hohe Stabilität bis zu2000 ◦C zeigen [5, 9, 10].

    Erstaunlich ist bei diesen quaternären Keramiken die Existenz von Si3N4bei hohen Temperaturen, da sich diese Verbindung bei einem Stickstoff-partialdruck von 1 bar bei 1841 ◦C und beim Vorhandensein von Kohlen-stoff schon ab 1484 ◦C zersetzen sollte [11]. Unterschiedliche Modelle ver-suchen diese Stabilität zu erklären. Zum einen wird die Hochtemperatur-stabilität mit einem Mindestborgehalt [12], einem möglichst kleinen Si3N4–Gehalt [13] und einem optimalen Bor-Stickstoff–Verhältnis [14] in Verbin-dung gebracht. Durch den Einschluss von Si3N4–Kristalliten in turbostrati-sche BNCx–Schichten (”Nussschalen–Modell“), die eine Absenkung des beider Zersetzung auftretenden Stickstoffpartialdrucks bewirkt und somit der Zer-setzung von Si3N4 entgegen wirkt, wird zusätzlich die Hochtemperaturstabi-lität begründet [11, 13]. Ein weiterer Effekt könnte die Reduktion der Akti-vität des Kohlenstoffs durch dessen Einbindung in die turbostratischen BNCx–Schichten sein [11, 15, 16, 17]. Eine wichtige Voraussetzung für diese Er-klärungen ist die beobachtete Entmischung der Keramik in zwei amorphe Pha-sen, einer bereits erwähnten BNCx–Phase und einem Netzwerk aus Si(C,N)4–Tetraedern mit einer Bruttozusammensetzung entlang der SiC-Si3N4–Konode.

  • 3

    Die charakteristischen Daten zur Struktur und zur Stabilität der Si-B-C-N–Keramik wurden mit den unterschiedlichsten Methoden gewonnen. Mit Hil-fe der Röntgen- und Neutronenbeugung [18, 19, 20] und der Transmissions-elektronenmikroskopie [21, 22, 23] wurden Strukturuntersuchungen durch-geführt. Berechnungen von Phasendiagrammen mit der CALPHAD–Methode[11, 17, 24, 25, 26] ergänzten diese Untersuchungen.

    Die mechanischen Eigenschaften wurden anhand von Kriechexperimenten un-tersucht [27,28,29,30,31]. Hier zeigten sich hohe Viskositäten in der Größen-ordnung von 1015 bis 1016 MPas. Offenbar ist die Kriechfestigkeit der Si-B-C-N–Keramiken höher als die der unter Verwendung von Sinterhilfen herkömm-lich hergestellten Si3N4-Keramiken. Diese hohe Kriechfestigkeit kann mit derAbnahme der Konzentration atomarer freier Volumen [32] oder allgemein mitder Abnahme der Konzentration von Defekten in Zusammenhang gebrachtwerden, die für den Fließprozess verantwortlich sind [33]. Bei Kriechversu-chen bis zu einer Woche wurde kein stationäres Kriechen beobachtet [29, 30]im Unterschied zu vielen keramischen und metallischen Materialien [34].

    Diffusionsexperimente an diesen Keramiken [35,36] deuten auf ausgeschmier-te Leerstellen zur Erklärung des Diffusionsmechanismus hin. Auch Messun-gen von Dichte [30] und Porosität zeigen einen hohen Volumenanteil von Po-ren in bisherigen Si-B-C-N–Keramiken.

    Auffällig ist letztendlich auch die hohe Oxidationsbeständigkeit der Si-B-C-N–Keramiken. Man beobachtet [30, 37] eine an der Oberfläche sich bildendeSiO2–Schicht mit einigen µm Dicke, die passivierend für eine weitere Oxida-tion wirkt.

    Die meisten bisher durchgeführten Untersuchungen lassen erwarten, dass freieVolumen in dieser Keramik eine wesentliche Rolle bei den Eigenschaften spie-len. Mit Hilfe der Positronenzerstrahlungsspektroskopie in Festkörpern [38]können atomare freie Volumen von der Größe eines fehlenden Atoms bis zuGrößen von 1 nm3 detektiert werden – ein Größenbereich, der mit herkömm-lichen Porositätsmessungen nicht erfasst werden kann. Neben der Größe istaußerdem im Prinzip eine Aussage über die relative Größenverteilung derfreien Volumen möglich und insbesondere ist es mit der koinzidenten Mes-sung der Dopplerverbreiterung der Elektron-Positron–Zerstrahlungsquantenmöglich, über die chemische Umgebung des Zerstrahlungsortes und somit

  • 4 KAPITEL 1. EINLEITUNG

    über die Struktur der Keramik hinsichtlich der freien Volumen eine Aussagezu machen.

    Zum Vergleich mit bisherigen Untersuchungen, die bei unterschiedlichenTemperaturen und Zeitdauern durchgeführt wurden, wird in dieser Arbeit ins-besondere die Entwicklung der freien Volumen nach isothermem Anlassen von1400 ◦C bis 2000 ◦C bei Anlassdauern von 2 h bis 102 h untersucht. Parallelwerden Röntgenbeugung und Dichtemessungen an diesen Proben zur Charak-terisierung und Untersuchung der Kristallisation durchgeführt.

    Um die Interpretation der Daten in den komplexen ternären und quaternärenKeramiken zu erleichtern, sind Untersuchungen von Leerstellen und deren Ag-glomeraten in den binären Systemen BN, Si3N4 und SiC wünschenswert. Vonbesonderem Interesse ist dabei defektfreies, stöchiometrisches SiC, um dortgezielt Leerstellen einzuführen und zu untersuchen.

  • Die lohnendsten Forschungensind diejenigen, welche, indem sie den Denker erfreu’n,zugleich der Menschheitnützen.

    Christian Doppler1Kapitel 2

    Positronenzerstrahlung in Festkörpern

    Eine spezifische Methode zur zerstörungsfreien Untersuchung vonFestkörpern auf atomarem Niveau ist die Positronenzerstrahlungsspektrosko-pie [38, 39, 40]. Das Positron kann als Sonde in einen Festkörper eingebrachtwerden und zerstrahlt dort mit Elektronen. Durch Messung und Analyse derPositronlebensdauer und der Energie der Zerstrahlungsquanten können Infor-mationen über die lokale Elektronendichte am Zerstrahlungsort und über diechemische Natur der umgebenden Atome gewonnen werden. In den folgen-den Abschnitten werden zunächst knapp die zum Verständnis erforderlichenGrundlagen der Positronenzerstrahlungsspektroskopie dargestellt und an-schließend auf die in dieser Arbeit verwendeten unterschiedlichen Methodennäher eingegangen.

    2.1 Grundlagen

    Das Positron ist das Antiteilchen des Elektrons. Es entsteht u.a. beim radioak-tiven β–Zerfall. Dringt das Positron in einen Festkörper ein, wird es zunächstdurch Stöße auf thermische Energien innerhalb von 1–2 ps thermalisiert. Beider anschließenden Diffusion des Positrons im defektfreien Festkörper zer-strahlt es in einem delokalisierten, freien Zustand mit einem Elektron in zwei

    1*1803 – †1853, österr. Physiker

    5

  • 6 KAPITEL 2. POSITRONENZERSTRAHLUNG IN FESTKÖRPERN

    511 keV–γ-Quanten2. Falls im Festkörper Defekte wie Leerstellen oder freieVolumen vorhanden sind, kann das Positron in diesen eingefangen werdenund zerstrahlt dort mit einer für den Defekt spezifischen erhöhten Lebensdau-er (siehe Abschn. 2.2). Im wesentlichen findet die Zerstrahlung mit Valenz-elektronen (≈ 95%) statt. Ein relativ kleiner Anteil von ca. 5% rührt von derZerstrahlung mit Rumpfelektronen umgebender Atome her und ist wesentlichfür die Bestimmung der chemischen Umgebung des Zerstrahlungsortes (sieheAbschnitt 2.3). In Abbildung 2.2 sind die verschiedenen Messmethoden dar-gestellt, die im Folgenden näher vorgestellt werden.

    2.2 Positronlebensdauermessung

    Die Positronlebensdauer

    τ ∝{∫

    Γ(n−(r))|Ψ+(r)|2dr}−1

    (2.1)

    ist gegeben durch den Überlapp der Positronenwellenfunktion Ψ+(r) mit derdurch Coulombwechselwirkung mit dem Positron erhöhten lokalen Elektro-nendichte Γ(n−(r)). Durch den Einfang der Positronen an Leerstellen oderLeerstellenagglomeraten mit geringerer lokaler Elektronendichte erhöht sichdie Positronlebensdauer. Durch die Kenntnis der Abhängigkeit der freien Vo-lumengrößen von der Positronlebensdauer (siehe Abb. 2.3) können Einzelleer-stellen und Leerstellenagglomerate bis zu einem Volumen von ca. 1 nm3 spe-zifisch nachgewiesen werden. Diese Abhängigkeit ändert sich von Material zuMaterial und kann aber auf Grund der guten Übereinstimmung von Experi-ment und Theorie als verstanden betrachtet werden (siehe Abb. 2.5).

    Als Positronenquelle für die vorliegenden Positronenzerstrahlungsuntersu-chungen in Keramiken bei Raumtemperatur wurde eine 22NaCl–Lösung ver-wendet, die auf eine 0,8 µm Aluminiumfolie aufgetropft und eingetrocknetwurde. Diese Quelle wurde zwischen zwei Probenhälften in einer Sandwich-anordnung in ein γγ-Koinzidenzspektrometer eingebracht. Für die Messungenvon Stickstoff im flüssigen Zustand wurde die 22NaCl–Lösung auf eine 1,5 µm

    2Der Zerfall in 3 γ-Quanten wird hier wegen der sehr viel geringeren Wahrscheinlichkeit außeracht gelassen.

  • 2.2. POSITRONLEBENSDAUERMESSUNG 7

    tf

    t t>f1

    Abbildung 2.1: Schematische Darstellung der Zerstrahlung des Positrons in einem un-gestörten binären geordneten Kristall mit der freien Positronlebensdauer τ f (oben) undder Zerstrahlung in einer Leerstelle auf einem der beiden Untergitter mit einer Le-bensdauer τ > τ f . Mit Hilfe der koinzidenten Messung der Dopplerverbreiterung der511 keV Positron-Elektron–Zerstrahlungslinie kann eine chemische Analyse des Zer-strahlungsortes durchgeführt und im aufgezeichneten Fall entschieden werden, auf wel-chem Untergitter (offene oder gefüllte Kreise) sich die Leerstelle befindet. Die atomarechemische Umgebung kann dadurch analysiert werden, dass mit der Methode der koin-zidenten Dopplerverbreiterung die Impulsverteilung von Elektronen weit oberhalb desFermiimpulses in Festkörpern untersucht werden kann. Bei diesen Elektronen handeltes sich um Rumpfelektronen, die für verschiedene Aptomsorten eine jeweils charakte-ristische Impulsverteilung aufweisen.

    Polyethylenterephthalat–Folie, die in einem Metallrahmen eingespannt war,aufgetropft und dieser mit einer Aluminiumstange in den in einem Glasdewarbefindlichen flssigen Stickstoff eingeführt. Das Messverfahren ist in AnhangA näher beschrieben. Zur Lebensdauerbestimmung verwendeten wir als Start-signal für die Zeitmessung das vom 22Na beim β-Zerfall zeitgleich mit dem

  • 8 KAPITEL 2. POSITRONENZERSTRAHLUNG IN FESTKÖRPERN

    Na

    Dt

    e

    Positronen-lebensdauer

    Dopplerverbreiterung

    511 keV - plc2

    511 keV + plc2

    22 +

    e e+ -

    gstart gstopp

    Abbildung 2.2: Schematische Darstellung der unterschiedlichen Messmethoden derPositronenzerstrahlung. Die Positronlebensdauer ergibt sich aus der Zeitdifferenz zwi-schen der Aussendung eines 1,276 MeV γ-Quants, das zeitgleich mit dem Positronbeim radioaktiven Zerfall des 22Na–Isotops entsteht, und der Erzeugung der 511 keVγ-Quanten bei der Zerstrahlung des Positrons mit einem Elektron. Bei der koinzidentenMessung der Dopplerverbreiterung der Elektron-Positron–Zerstrahlungsquanten wirddie Energieverbreiterung der 511 keV Zerstrahlungslinie auf Grund des endlichen Im-pulses des Elektrons in Zerstrahlungsrichtung pl bestimmt.

    Positron ausgesandte 1,276 MeV γ-Quant. Als Stopp-Signal wurde eines derbeiden 511 keV γ-Quanten detektiert.

    Die Zeitauflösung dieses Spektrometers beträgt (210±20)ps. Die Gesamtzähl-raten der Koinzidenzen wurde im Bereich von 1-4·106 gewählt, um eine an-gemessene Statistik für die Auswertung zu erhalten. Zur Bestimmung derAuflösung des Spektrometers wurden Messungen an reinem Silizium mit derbekannten Positronlebensdauer von τ = 219ps durchgeführt und mit demTeilprogramm RESOLUTION des Programmpakets PATFIT-88 nummerischbestimmt [47, 48]. Mit dem Programm POSFIT EXTENDED [48, 49] wur-

  • 2.2. POSITRONLEBENSDAUERMESSUNG 9

    nV

    1 2 4 5 8τ

    [ns]

    0,2

    0,3

    0,4

    4,0

    8,0

    V [nm3]0,0 0,1 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

    Polymer

    Silizium

    Abbildung 2.3: Größenbestimmung freier Volumen mit der Positronlebensdauer τ. Be-rechnete (

    �[41]) und empirisch gefundene (–, s. Gleichung 2.2, [42]) Positronlebens-

    dauern in Agglomeraten mit nV Leerstellen von Silizium [41] und von Orthopositroni-um in sphärischen Hohlräumen von Polymeren [43, 44].

    den die Positronlebensdauerspektren unter Verwendung der zuvor ermitteltenAuflösungsfunktion [47, 48] ausgewertet.

    Zur Bestimmung der Größe freier Volumen aus der Positronlebensdauer wur-de als Fallbeispiel Silizium untersucht, das durch die breite Anwendung inder Halbleiterindustrie sehr gut charakterisiert ist. Vor allem können Silizium-Proben nahezu defektfrei hergestellt werden. Durch gezielte Elektronenbe-strahlung dieser Proben können sowohl Einzelleerstellen als auch Leerstelle-nagglomerate eingeführt werden. Durch derartige Untersuchungen kann dieKorrelation zwischen der Positronlebensdauer und der Größe der freien Volu-men bestimmt werden. Für diese Korrelation wurde folgende Beziehung ge-funden [42]:

    τ = C +Anv

    B+nv(2.2)

  • 10 KAPITEL 2. POSITRONENZERSTRAHLUNG IN FESTKÖRPERN

    0 200 400 600 800 100080

    120

    160

    200

    240

    280

    VFe3Al

    VTiAl VFe61

    Al39

    VSi,SiC

    VAl

    VSi

    Si

    TiAl

    Ti

    Mg

    Al

    NiCFe

    Pd

    SiC Fe61Al39

    Fe3Al

    ρeV [e- / nm3]

    τf ,

    τ V [p

    s]

    Abbildung 2.4: Abhängigkeit der Positronlebensdauer von der Valenzelektronendich-te im ungestörten Kristall bei der Zerstrahlung im freien Zustand (gefüllte Symbole)oder in Leerstellen (offene Symbole) für reine Metalle ( � ), Halbleiter ( � ) und inter-metallische Verbindungen ( � ) [45].

    mit den empirisch ermittelten Konstanten A = 266,57, B = 4,60 und C =218 ps. In guter Näherung kann diese Relation auch für Si–reiche Verbindun-gen herangezogen werden.

    Zur Abschätzung der freien Positronlebensdauer in Festkörpern kann in ers-ter Näherung die mittlere Valenzelektronendichte ρeV verwendet werden. AusDaten der Positronlebensdauern in reinen Metallen, Halbleitern und interme-tallischen Verbindungen wurde eine Beziehung zwischen diesen Größen ge-funden [45]. Diese ist in Abbildung 2.4 aufgetragen.

    Die freie Positronlebensdauer in Festkörpern kann theoretisch gut verstandenwerden, wenn die durch die Coulomb–Korrelation erhöhte Elektronendichteum das Positron berücksichtigt wird [50, 51]. Auch Positronlebensdauern inLeerstellen können theoretisch gut verstanden werden [46, 52, 53] (siehe Abb.2.5).

  • 2.2. POSITRONLEBENSDAUERMESSUNG 11

    nv0 2 4 6 8 10 12 14 16

    τ [p

    s]

    150

    200

    250

    300

    350

    400

    V [nm3]

    0,05 0,10 0,15 0,20 0,25

    τ [p

    s]

    150

    200

    250

    300

    350

    400

    NickelEisenMolybdän

    SiliziumAluminium

    Abbildung 2.5: Positronlebensdauer τ berechnet in lokaler Dichtenäherung für Leer-stellenagglomerate in Metallen [46] und Silizium [41]. Oben ist die Abhängigkeit derPositronlebensdauer von der Größe der freien Volumen V aufgetragen, wobei Gitterre-laxationen um die freien Volumen nicht berücksichtigt wurden. Unten ist die Positron-lebensdauer über der Anzahl der im Leerstellenagglomerat fehlenden Atome darge-stellt.

  • 12 KAPITEL 2. POSITRONENZERSTRAHLUNG IN FESTKÖRPERN

    2.3 Koinzidente Messung derDopplerverbreiterung

    Bei der koinzidenten Messung der Dopplerverbreiterung der Zerstrahlungs-quanten wird die Energieabweichung von der 511 keV Zerstrahlungslinie aufGrund des endlichen Impulses des an der Zerstrahlung beteiligten Elektrons,der für Leitungs- und Valenzelektronen einer Energie von mehreren Elektro-nenvolt entspricht, gemessen. Dabei ist in erster Näherung der Impuls des Po-sitrons mit thermischer Energie vernachlässigbar. Da auf Grund der Abstoungdurch den positiven Kern nur ein geringer Anteil der Positronen mit Rumpfel-ektronen mit hohem Impuls zerstrahlt, muss das Signal-Rausch-Verhältnis derDopplerverbreiterungsspektren effizient erhöht werden. Dies geschieht durchkoinzidene Messung beider bei der Positron-Elektron–Zerstrahlung mit denEnergien E1 und E2 auftretenden γ-Quanten [54] unter Nutzung der Energie-erhaltungsbedingung E1 +E2 = 2m0c2.

    Zur Auswertung der Daten wird die Anzahl koinzident gemessener Photonenmit den Energien E1 und E2 aufgetragen (siehe Abb. 2.6). Eine ausreichendeStatistik wurde bei 3 bis 5·107 Koinzidenzen erreicht. Die Auswahl der aufGrund der Energieerhaltung bei der Elektron-Positron–Zerstrahlung relevan-ten Ereignisse erhält man durch einen diagonalen Schnitt des Spektrums mitE1 + E2 = 1022keV mit einer Energiebreite von 1 keV [55, 56] (siehe Abb.2.7). Durch die koinzidente Messung erreicht man eine Unterdrückung desUntergrundes und damit die Erweiterung des auswertbaren Spektrums in denBereich (m0c2 +∆E) = (511keV+∆E) mit ∆E = 5keV bis 10keV, welcherfür die Zerstrahlung der Positronen mit Rumpfelektronen charakteristisch ist,sich von Element zu Element unterscheidet und die spezifische Analyse derchemischen Umgebung des Zerstrahlungortes ermöglicht.

  • 2.3. KOINZIDENTE MESSUNG DER DOPPLERVERBREITERUNG 13

    490 500 510 520 530

    490

    500

    510

    520

    530

    E1 [keV]

    E2

    [keV

    ]

    1,00

    3,16

    10,0

    31,6

    100

    316

    1000

    3,16E3

    1,00E4

    3,16E4

    1,00E5

    Abbildung 2.6: Das zweidimensionale Spektrum der koinzidenten Messung der e+e−–Zerstrahlungsquanten in Silizium; durch einen diagonalen Schnitt (gelbe Linie) entlangE1 + E2 = 1022keV mit einer geringen Breite von 1 keV wird sichergestellt, dass inden so gewonnenen Dopplerspektrum (siehe Abb. 2.7) nahezu ausschließlich Positron-Elektron–Zerstrahlungsereignisse enthalten sind.

  • 14 KAPITEL 2. POSITRONENZERSTRAHLUNG IN FESTKÖRPERN

    E [keV]491 501 511 521 531

    N

    100101102103104105106107

    |pl| [10-3 m0c]

    60 40 20 0 20 40 6040 60

    Silizium

    Abbildung 2.7: Das aus dem zweidimensionalen Spektrum der koinzidenten Mes-sung der e+e−–Zerstrahlungsquanten in Silizium durch einen diagonalen Schnitt mitE1 +E2 = 1022keV und einer Breite von 1 keV für die Auswertung benutzte Doppler-spektrum.

  • Phantasie ist wichtiger alsWissen, denn Wissen istbegrenzt.

    Albert Einstein1

    Kapitel 3

    Leerstellen und Leerstellenagglomerate inden binären Systemen Si3N4, BN und SiC

    Um ein besseres Verständnis für die hier angestrebten Untersuchungen vonatomaren freien Volumen in den ternären und quaternären Keramiken des Sys-tems Si-B-C-N mit der Positronenzerstrahlungsspektroskopie zu bekommen,wurden zunächst freie Positronenzustände sowie der Einfang von Positronenan Leerstellen in den thermodynamisch stabilen binären Verbindungen Silizi-umnitrid, Bornitrid und Siliziumkarbid untersucht [57]. Im Folgenden werdendie Ergebnisse der Lebensdauermessungen an unterschiedlichen Modifikatio-nen dieser Verbindungen vorgestellt. Zusätzlich wird an der hexagonalen (6H)Struktur von Siliziumkarbid beispielhaft gezeigt, wie auf den beiden Untergit-tern Leerstellen selektiv erzeugt und durch zusätzliche Messung der Doppler-verbreiterung der Zerstrahlungsquanten diese Leerstellen zuverlässig identifi-ziert werden können.

    3.1 Defektuntersuchung in Siliziumnitrid

    Die Untersuchung der Defektstruktur in Siliziumnitrid wurde an α-Si3N4 undβ-Si3N4 Pulvern und Formkörpern durchgeführt. Die Pulverproben wurden amPulvermetallurgischen Laboratorium des Max-Planck-Instituts für Metallfor-schung, Stuttgart, hergestellt. Sie wurden nassgemahlen und nasschemisch ge-

    1*1879 – †1955, deutscher Physiker, Nobelpreis für Physik 1921

    15

  • 16 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    reinigt, um oxidische Ausscheidung möglichst vollständig zu beseitigen. Diechemische Analyse ergab einen Restsauerstoffgehalt von 1,05 Gew.%.

    Abbildung 3.1: Bilder der Rasterelektronen- (links) und Transmissionselektronenmi-kroskopie (rechts) der α-Si3N4–Pulverprobe im Herstellungszustand. Sie zeigen eineschmale Verteilung der Partikelgröße um 300 nm.

    Eine polykristalline, hochreine α-Si3N4–Formkörperprobe (Plättchen mit ca.8 mm Durchmesser und 1 mm Dicke) wurde von Reimanis et al. [58] durchAbscheidung aus der Dampfphase (CVD) hergestellt. Diese Probe wurde unsvon E. Butchereit von der Universität Tübingen zur Verfügung gestellt. Ei-ne polykristalline β-Si3N4 Formkörperprobe (Plättchen ca. 5 x 5 x 1 mm3)wurde vom Fraunhofer-Institut Keramische Technologien und Sinterwerkstof-fe in Dresden durch heißisostatisches Pressen (1840 ◦C, 90 min, 0,1 MPa N2,30 MPa) mit Sinteradditiven (5 Gew.% Y2O3, 2,5 Gew.% SiO2) präpariert[59]. Trotz der relativ hohen Verunreinigung ist diese Probe auf Grund der er-zielten Korngröße von 10 µm, die bedeutend größer ist als die Diffusionslängedes thermalisierten Positrons (L+ ≈ 100nm), für unsere Untersuchungen in-teressant.

    Unter Berücksichtigung der empirischen Relation zwischen Positronlebens-dauer und Valenzelektronendichte wird für fehlstellenfreies Siliziumnitrid so-wohl für die α- als auch für die β-Phase eine freie Positronlebensdauer vonτf = 148ps erwartet [57].

  • 3.1. DEFEKTUNTERSUCHUNG IN SILIZIUMNITRID 17

    Abbildung 3.2: Bilder der hochauflösenden Transmissionselektronenmikroskopie derα-Si3N4–Pulverprobe im Herstellungszustand. Die Polykristallinität ist im linken Bilddurch die Orientierungsänderung der atomaren Ebenen erkennbar. Im rechten Bild be-obachtet man bei noch höherer Vergrößerung Nanokristalle mit einer Größe zwischen40 und 100 nm.

    Zur Berechnung der freien Positronlebensdauer aus den Komponenten derPositronlebensdauerspektren wurden die Ratengleichungen für der Anzahlder Positronen im freien Zustand nf und die Anzahl in den eingefangenenZuständen zweier unterschiedlicher Defekttypen n1 und n2 ohne Wechselwir-kung der einzelnen Zustände aufgestellt:

    dnfdt

    = −nfτf

    −σ1C1nf −σ2C2nf (3.1)

    dn1dt

    = −n1τ1

    +σ1C1nf (3.2)

  • 18 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    dn2dt

    = −n2τ2

    +σ2C2nf (3.3)

    Diese gelten unter den Voraussetzungen, dass sich bei t = 0 alle Positronen n0im freien Zustand befinden, eingefangene Positronen aus den Haftstellen vorihrer Zerstrahlung nicht mehr entweichen und die spezifischen Einfangratenσi zeitunabhängig sind.

    Nach Lösen dieser Differentialgleichungen erhält man für die Gesamtzerstrah-lungrate dn/dt:

    dndt

    =nfτf

    +n1τ1

    +n2τ2

    = n0

    [(

    1τf

    +σ1C11− τ1τ0

    +σ2C21− τ2τ0

    )

    e− tτ0 (3.4)

    −σ1C11− τ1τ0

    e− tτ1 −

    σ2C21− τ2τ0

    e− tτ2

    ]

    mit der Residenzzeit τ0 des Positrons

    τ0 =[

    1τf

    +σ1C1 +σ2C2]−1

    (3.5)

    im freien Zustand. Diese Zeit, die aus dem Poitronlebensdauerspektrum ent-nommen werden kann, ist beim Vorliegen von Haftstellen immer kleiner alsdie freie Positronlebensdauer und kann bei hohen HaftstellenkonzentrationenC1,C2, . . . gegen Null gehen.

    Durch Integration ergibt sich für die Intensitäten der einzelnen Zerstrahlungs-komponenten

    I1 =∫ ∞

    0−

    σ1C11− τ1τ0

    e− tτ1 dt = −

    σ1C11τ1− 1τ0

    (3.6)

  • 3.1. DEFEKTUNTERSUCHUNG IN SILIZIUMNITRID 19

    I2 =∫ ∞

    0−

    σ2C21− τ2τ0

    e− tτ2 dt = −

    σ2C21τ2 −

    1τ0

    (3.7)

    I0 = 1− I1− I2 (3.8)

    Durch Einsetzen erhält man für die freie Lebensdauer τf

    τf =(

    I0τ0

    +I1τ1

    +I2τ2

    )−1

    (3.9)

    Für die Zerstrahlung im freien Zustand und in nur einer Art von Haftstelle er-gibt sich nach dem sogenannten Zwei-Zustands–Modell für die freie Lebens-dauer τf:

    τf =(

    I0τ0

    +I1τ1

    )−1

    (3.10)

    In Tabelle 3.1 sind die weit höheren gemessenen Positronlebensdauern zusam-men mit der aus Gleichung 3.9 bestimmten freien Positronlebensdauer zusam-mengestellt. Die mit Hilfe von Gleichung 3.9 berechnete freie Positronlebens-dauer τf = 230ps in der α-Si3N4–Formkörperprobe ist deutlich höher als dieerwartete von 148 ps. Diese Abweichung ist auf die Einfachheit des Modellszurück zu führen, in dem ein Entkommen bereits eingefangener Positronenausgeschlossen wurde. In den anderen Si3N4–Proben zeigen die erhöhten Po-sitronlebensdauern, dass in allen Fällen Sättigungseinfang von Positronen anleerstellenartigen Defekten unterschiedlicher Größe stattfindet.

    Die in den Pulverproben gemessene Komponente τ1 ≈ 200ps mit einer Inten-sität I1 ≈ 42% kann der Zerstrahlung von Positronen in Einzelleerstellen oderVersetzungen zugeordnet werden, wenn man die Erhöhung der Positronlebens-dauer mit den Ergebnissen der Positronenzerstrahlung in Silizium [42] ver-gleicht. Die zweite Lebensdauerkomponente τ2 = 340 bis 370ps entspricht derPositronlebensdauer in Leerstellenagglomeraten oder Nanoporen in den Kris-talliten oder Grenzflächen. Die dritte Komponente τ3 = 1500ps mit ihrer nursehr geringen Intensität I3 ≈ 1,5% kann der Bildung von Ortho–Positroniumin größeren freien Volumen oder an freien Oberfläche zugeordnet werden.

  • 20 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    τ mτ 0

    τ 1τ 2

    τ 3I 0

    I 1I 2

    I 3τ f

    [ps]

    [ps]

    [ps]

    [ps]

    [ps]

    [%]

    [%]

    [%]

    [%]

    [ps]

    Pulv

    erα-

    Si3N

    4(1

    )31

    419

    335

    613

    6037

    ,361

    ,01,

    7α-

    Si3N

    4(2

    )31

    220

    437

    515

    1047

    ,451

    ,01,

    6β-

    Si3N

    431

    622

    135

    815

    6044

    ,055

    ,01,

    0

    Form

    körp

    erα-

    Si3N

    428

    110

    629

    843

    020

    ,059

    ,021

    ,023

    0β-

    Si3N

    429

    018

    331

    983

    025

    ,074

    ,01,

    0

    Tabe

    lle3.

    1:M

    ittle

    rePo

    sitr

    onle

    bens

    daue

    rnτ m

    ,die

    Leb

    ensd

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    pone

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    chG

    leic

    hung

    3.9

    bere

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    Posi

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    Prob

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    net.

  • 3.1. DEFEKTUNTERSUCHUNG IN SILIZIUMNITRID 21

    Aus Bildern der Rasterelektronenmikroskopie wurde in den Pulverproben ei-ne schmale Verteilung der Korngröße um 300 nm gefunden. Die Analyseder Röntgenbeugungsspektren und der Aufnahme der hochauflösenden Trans-missionselektronenmikroskopie ergaben eine Kristallitgröße von 40 nm bis120 nm [57]. Diese Ergebnisse bekräftigen die Annahme der Positronenzer-strahlung in Grenzflächen, da wegen der Diffusionslänge L+ ≈ 100nm desthermalisierten Positrons in defektfreien Kristalliten das Positron jeweils zuden Grenzflächen diffundieren kann. Schließlich wurde auch beim Auslagernder Pulverproben bei Ta = 1000 ◦C in Argonatmosphäre (1 bar) keine wesent-liche Änderung der Lebensdauern beobachtet, was zusätzlich die Zerstrahlungder Positronen in Defekten in den Grenzflächen bestätigt. Untersuchungen annanostrukturiertem Siliziumnitrid [60], das durch laserinduzierte chemischeAbscheidung aus der Dampfphase (CVD) hergestellt wurde, zeigen ähnlicheErgebnisse in den Positronlebensdauermessungen, die auch dort der Zerstrah-lung von Positronen in Leerstellenagglomeraten, Grenzflächen und größerenfreien Volumen zugeordnet werden.

    Die ähnlichen Größen der Einheitszellen und Massendichten bei den unter-schiedlichen Siliziumnitridmodifikationen der Formkörperproben lassen na-hezu gleiche freie Positronlebensdauern erwarten. Beide untersuchte Probenhaben Körner von einigen Mikrometern bis Millimetern. Bei diesen Korn-größen findet keine Zerstrahlung außerhalb der Körner statt. Die mit CVD her-gestellte α-Si3N4–Probe zeigt drei Lebensdauerkomponenten. Die sehr kur-ze Lebensdauer τ0 = 106ps ist auf den unvollständigen Einfang von Positro-nen in Defekten zurückzuführen. Die Lebensdauer τ1 = 298ps kann Leer-stellenagglomeraten oder Versetzungsringen zugeschrieben werden, die durchdas CVD–Herstellungsverfahren entstehen [58] und zu Restspannungen bei-tragen. Im Gegensatz zu den Pulverproben wird bei der durch CVD herge-stellten α-Si3N4–Probe keine Positroniumbildung beobachtet. Die Komponen-te τ2 = 430ps mit der Intensität I2 = 21% kann größeren freien Volumen imKristallit zugeordnet werden. Dies können vor allem Risse parallel zur Basi-sebene sein, die durch die auftretenden Spannungen beim Abkühlen der Probebei der Herstellung entstehen [58].

    In der heißgepressten β-Si3N4–Probe wurde keine Zerstrahlung im freien Zu-stand in den Kristalliten festgestellt. Die beobachtete Lebensdauerkompo-nente τ1 = 183ps kann der Zerstrahlung in Silizium- und Stickstoffleerstel-len in den Kristalliten zugeordnet werden. Dies ergibt sich aus dem Ver-

  • 22 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    gleich mit den Defektuntersuchungen in Siliziumkarbid (siehe Kapitel 3.3)mit den fast gleichen freien Positronlebensdauern von 146 ps bzw. 148 ps,die unter Berücksichtigung der Valenzelektronendichten von Siliziumkarbid(ρeV = 386,39nm−1) mit Siliziumnitrid (ρeV = 437,06nm−1) ermittelt wur-den [57]. Die zweite Lebensdauerkomponente τ2 = 319ps kann wie schonbei der α-Si3N4–Probe vielleicht Versetzungsringen zugeordnet werden, dieauch in heißgepressten Proben beobachtet worden sind [61]. Die schwache(I3 = 1%), dritte Komponente τ3 = 830ps deutet auf die Bildung von Positro-nium an Oberflächen und in Nanoporen hin.

    3.2 Defektuntersuchungen in Bornitrid

    Die Untersuchung von Bornitrid wurde an der hexagonalen und der kubischenPhase dieses Materials durchgeführt. Das hexagonale Bornitrid (h-BN) liefertedie Firma H. C. Stark GmbH, Berlin als Pulver. Die Korngröße lag bei ≈ 3µm.Die chemische Analyse ergab einen Borgehalt von 42,5 Gew.% (49,8 at%)und einen Stickstoffgehalt von 55,5 Gew.% (50,2 at%). Sowohl dieses Pul-ver als auch durch Heißpressen des Pulvers hergestellte Formkörper wurdenuntersucht. Die kubischen Bornitridproben (c-BN) wurde zum einen von De-Beers Deutschland als polykristalline Formkörper mit einer Reinheit von 99 %und einer Kristallitgröße < 50µm (c-BN(#1)) geliefert und zum anderen vonSANDVIK1 mit einer Reinheit von 98 % (2 % AlN, AlB2 und WC), einer mitt-leren Korngröße von 25 µm und einer Dichte ρ = 3,5g/cm3 hergestellt.

    In Tabelle 3.2 sind die durch nummerische Analyse der gemessenen Spektrenerhaltenen Lebensdauerkomponenten und die nach dem Zwei- bzw. Dreizu-standsmodell (siehe Gl. 3.9, 3.10) berechnete freie Positronlebensdauer aufge-listet.

    Im Herstellungszustand ist die mittlere Positronlebensdauer τm im kubi-schen Bornitrid (τm ≈ 180 bis 212ps) niedriger als im hexagonalen (τm ≈343 bis 367ps), was mit den Erwartungen aus relativen Betrachtungen derElektronenvalenzdichte ρeV übereinstimmt. Diese ist für kubisches Bornitrid676,86 e−/nm3 oder für hexagonales Bornitrid 442,46 e−/nm3 [57]. Die Ver-wendung der mittleren Valenzelektronendichte zur Berechnung von freien Po-

    1über die Firma E. C. Winter & Sohn GmbH bezogen

  • 3.2. DEFEKTUNTERSUCHUNGEN IN BORNITRID 23

    τ mτ 0

    τ 1τ 2

    τ 3I 0

    I 1I 2

    I 3τ f

    [ps]

    [ps]

    [ps]

    [ps]

    [ps]

    [%]

    [%]

    [%]

    [%]

    [ps]

    Pulv

    erh-

    BN

    343

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    277

    h-B

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    273

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    210†

    Form

    körp

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    280

    h-B

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    285

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    1)21

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    BN

    (#2)

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    Tabe

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    bar)

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  • 24 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    sitronlebensdauern kann im Falle von stark anisotropen Festkörpern zu zu klei-nen Werten von τf führen. So wird im Falle von Graphit eine viel höhere Po-sitronlebensdauer (τf = 212ps [62]) als im Diamant (τf = 110ps [62, 63]) ge-messen.

    Aus dem Zusammenhang der freien Positronlebensdauer und der Valenzelek-tronendichte (siehe Abb. 2.4) kann für kubisches Bornitrid eine freie Positron-lebensdauer von ungefähr 111 ps erwartet werden [57]. Theoretische Untersu-chungen [64,65,66] lieferten Werte für die freie Positronlebensdauern von 99-118 ps. Aus dem Vergleich der unterschiedlichen freien Positronlebensdauernin den Kohlenstoffmodifikationen Graphit und Diamant auf Grund der unter-schiedlichen Gitterstrukturen kann für die hexagonalen Phase von Bornitridaus dem kubischen Bornitrid mit einer ähnlichen Anisotropie der Gitterpara-meter c/a (siehe Tabelle 3.3) und ähnlichen Elektronendichten und atomarenBindungen eine freie Lebensdauer von τf = 215ps abgeschätzt werden. Diesel-be freie Positronlebensdauer ergibt sich aus dem Vergleich der Verhältnisse dermittleren Atomvolumen von Graphit und Diamant ΩGraphit/ΩDiamant = 1,55mit dem fast gleichen Verhältnis für h-BN und c-BN Ωh−BN/Ωc−BN = 1,53,wenn man die Abhängigkeit der freien Positronlebensdauer vom mittlerenAtomvolumen in Betracht zieht.

    Die mit dem Zwei-Zustands–Modell berechnete freie Lebensdauer in h-BNvon 210 ps unter der Annahme, dass die Positronlebensdauerkomponente mitder geringen Intensität I2 = 1,2% vernachlässigt werden kann und nur ein Typvon Defekten vorhanden ist, stimmt relativ gut mit der abgeschätzten freienPositronlebensdauer überein. Die mit dem Drei-Zustands-Modell für die rest-lichen Bornitrid-Proben berechneten freien Positronlebensdauern (siehe Tab.3.2) liegen über dem Wert von 210 ps, so dass dieses Modell die Situation wohlnicht präzise beschreibt.

    c-BN h-BN Diamant GraphitρeV [e−/nm3] 676,86 442,46 704,56 453,27c/a 2,66 2,72Ω [10−3 nm3] 5,91 9,035 5,673 8,821

    Tabelle 3.3: Valenzelektronendichten ρeV , Anisotropiefaktor c/a und mittleres Atom-volumen Ω in hexagonalem und kubischem Bornitrid, Graphit und Diamant.

  • 3.2. DEFEKTUNTERSUCHUNGEN IN BORNITRID 25

    Die im Herstellungszustand im hexagonalen Bornitrid gefundenen Residenz-zeiten τ0 ≈ 150 bis 175ps deuten auf den unvollständigen Einfang von Positro-nen an Haftstellen hin. Die zweite Positronlebensdauer τ1 ≈ 393 bis 401pskann der Zerstrahlung in freien Volumen von ungefähr 7 bis 9 fehlenden Ato-men zugeordnet werden. Die im h-BN–Pulver gefundene dritte Komponenteτ2 = 990ps weist auf die Zerstrahlung von Positronium an Oberflächen mit ei-nem Pick-off Prozess [38] hin. Diese dritte Komponente ist in der Formkörper-probe deutlich niedriger mit τ2 = 620ps mit einer allerdings hohen IntensitätI2 = 19%. Diese kann einer Restporosität beim Sintern zugeordnet werden.

    Nach dem Auslagern der hexagonalen Proben nimmt die mittlere Lebensdauerτm im Pulver deutlich auf 273 ps ab, während sie in der Formkörperprobenahe-zu unverändert ist. In der Pulverprobe nimmt die Residenzzeit der Positrons τ0auf 157 ps ab. Dies deutet, wenn eine gleichbleibende spezifische Positronen-einfangrate σ angenommen wird, auf die Zunahme der Defektkonzentration Chin (siehe Gl. 3.5). Die Leerstellenagglomerate von ca. 8 fehlenden Atomenwerden etwas größer entsprechend dem Anstieg der Positronlebensdauer auf410 ps. Sowohl die Zunahme der Defektkonzentration als auch das Wachsenvorhandener Defekte deutet darauf hin, dass leerstellenartige Defekte aushei-len und sich diese zu neuen Agglometaten zusammenschließen bzw. sich dieseDefekte an bestehende Agglomerate im Sinne der Ostwald-Reifung anlagern.

    Unter der Annahme, dass diese Leerstellenagglomerate die einzigen vorhan-denen Defekte noch in diesem Material sind, lässt sich mit Hilfe des Zwei-Zustand–Modells für den Einfang von Positronen eine freie Positronlebens-dauer von τf ≈ 209ps berechnen, welche mit obiger Annahme des Ein-fangs zwischen den hexagonalen Schichten relativ gut übereinstimmt. Die Ge-samteinfangrate σC beträgt in diesem Modell 1,57·109 s−1. Geht man von ei-ner spezifischen Positroneneinfangrate von 5·1015 s−1 bis 5·1016 s−1 aus, die inLeerstellenagglomeraten 10 bis 100 mal höher sein kann als in Einzelleerstel-len in Metallen [67], kann eine Konzentration CV = 3·10−8 bis CV = 3·10−7

    abgeschätzt werden.

    Im h-BN Formkörper nimmt die Defektkonzentration nach dem Auslagern ab,was sich in der Zunahme der Residenzzeit des Positrons τ0 von 150 ps auf173 ps äußert. Die zweite Lebensdauerkomponente τ1 steigt von 393 ps auf460 ps an, was auch hier auf das Wachsen von Leerstellenagglomeraten hin-deutet. Die relative Intensität der ebenfalls ansteigenden dritten Komponente

  • 26 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    nimmt während des Ausheilens drastisch von 19 % auf 3 % ab, was mit einemweiteren Ausheilen von Poren in diesem Material begründet werden kann.

    In defektfreiem kubischem Bornitrid erwartet man die Zerstrahlung von Po-sitronen im freien Zustand mit einer aus der Valenzelektronendichte berech-neten Lebensdauer τf = 111ps. Diese wird bei den Positronlebensdauermes-sungen nicht gefunden, was auf das Vorhandensein struktureller Leerstellenhindeutet. Auch eine kleinere Lebensdauer als die abgeschätzte freie Positron-lebensdauer wurde nicht gefunden, was auf Sättigungseinfang der Positronenin diesen Defekten schließen lässt. Man findet bei den Positronlebensdauer-messungen im wesentlichen nur zwei Lebensdauern, die dritte kann auf Grundder geringen Intensität bei der Diskussion vernachlässigt werden. Die erste Le-bensdauer τ1 = 133 bis 145ps kann dem Einfang von Positronen an Leerstellenauf dem Bor–Untergitter, die auf Grund des Ladungsübertrags im ungestörtenGitter negativ geladen sein sollten [68] , zugeordnet werden. Die Lebensdau-er τ2 = 284 bis 316ps deutet auf die Zerstrahlung in atomaren freien Volumenvon 5 bis 7 fehlenden Atomen hin, die trotz des Heißpressens bei der Herstel-lung noch vorhanden sind.

    3.3 Erzeugung und Identifizierung vonGitterleerstellen auf den beiden Untergitternvon Siliziumkarbid

    Die Defektstruktur, die für atomare Prozesse als auch elektrische Eigenschaf-ten verantwortlich ist [69, 70, 71, 72, 73], wurde an Siliziumkarbid auf Grundder potentiellen Anwendungen in der Halbleiterindustrie schon vielfach disku-tiert. In den bisher vorgestellten Untersuchungen an Siliziumnitrid und Borni-trid wurde versucht, die nach der Herstellung möglicherweise auf Grund vonAbweichungen in der Stöchiometrie vorhandenen Defekte mit der Positron-lebensdauer nachzuweisen. Im Folgenden stellen wir nun am Beispiel vonstöchiometrischem hexagonalem 6H-SiC vor, wie mit Hilfe der Positronen-zerstrahlungsspektroskopie Leerstellen auf den beiden Untergittern spezifischnachgewiesen werden können, die zuvor in den zunächst defektfreien Kristallwahlweise auf dem Kohlenstoff- oder dem Siliziumuntergitter eingeführt wur-den [74].

  • 3.3. GITTERLEERSTELLEN IN SILIZIUMKARBID 27

    3.3.1 Leerstellen auf den einzelnen Untergittern in6H-Siliziumkarbid – Erzeugung und Nachweis

    Siliziumkarbid in der hexagonalen Struktur (6H-SiC) eignet sich für die Un-tersuchungen der Möglichkeiten der Bestimmung der chemischen Umgebungvon Leerstellen mit der Positronenzerstrahlung besonders, weil die Atome dereinzelnen Untergitter ausschließlich von Atomen des entsprechend anderenUntergitters umgeben sind (siehe Abb. 3.3). Ein weiterer wesentlicher Aspektfür die Untersuchung ist die Bildung von SiC in den in Kapiteln 4 und 5 un-tersuchten ternären oder quaternären Keramiken.

    Die hier vorgestellten Messungen wurden an einkristallinen 6H-SiC Probenmit einer 5µm dicken, epitaktisch aufgewachsenen 6H-SiC Schicht durch-geführt. Die Ergebnisse stammen hauptsächlich von der Zerstrahlung im Sub-strat auf Grund der mittleren Positroneneindringtiefe von 80µm. Dieses nega-tiv dotierte Substrat (1,4·1016 cm−3 Stickstoffdotierung) wurde von der FirmaCree Inc., USA, hergestellt.

    Der spezifische Nachweis von atomaren Leerstellen auf dem einen oder ande-ren Untergitter von Siliziumkarbid erfolgte in folgenden Schritten:

    1. selektive Erzeugung von Leerstellen auf dem einen oder anderen Untergit-ter,

    2. spezifische Nachweis der Leerstellennatur der Defekte mit der Positronle-bensdauermessung,

    3. Bestimmung der chemischen Umgebung dieser Leerstellen und

    4. Vergleich mit theoretischen Untersuchungen [53].

    3.3.1.1 Die selektive Erzeugung von Leerstellen durchElektronenbestrahlung und der Nachweis mitPositronlebensdauermessungen

    Die Leerstellen wurden durch die Bestrahlung der Proben mit Elektronen un-terschiedlicher Energie erzeugt. Die Elektronenbestrahlung wurde am Dyna-mitron Beschleuniger des Instituts für Strahlenphysik der Universität Stuttgartdurchgeführt. Die Elektronendosen lagen in der Größenordnung von 1023 m−2,um die erforderliche Leerstellenkonzentration für den Einfang von Positronenzu erreichen.

  • 28 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    Si C VC VSi

    a) c)b)

    Abbildung 3.3: Im Bild a) die nächsten Nachbarn eines Atoms im ungestörten SiC–Kristall. Die nächsten Nachbarn eines Stoms sind ausschließlich Atome des anderenUntergitters. In den Bildern b) und c) ist die Umgebung einer Kohlenstoff- (VC) bzw.einer Silizium–Leerstelle (VSi) dargestellt.

    Die Verlagerungsschwellenenergie Ed von Silizium- oder Kohlenstoffatomenbeträgt 40 eV [56]. Um Leerstellen zu erzeugen, muss diese Energie beim Stoßdes Elektrons auf das Atom übertragen werden. Bei Bestrahlungen mit Elek-tronen von 0,23 MeV übersteigt die maximal auf den Kohlenstoff übertrageneEnergie Et(C) = 51eV kaum die Verlagerungsschwellenenergie, so dass nahe-zu keine Leerstellen auf dem Kohlenstoffuntergitter erzeugt werden. Bei dieserElektronenenergie ist eine Verlagerung von Siliziumatomen unmöglich. Vorund nach der 0,23 MeV–Bestrahlung beträgt die Positronlebensdauer 146 ps,die für die Zerstrahlung des delokalisierten Positrons im defektfreien Gittererwartet wird [69] (siehe Abb. 3.4).

    Nach der Bestrahlung mit Elektronen mit einer Energie Ee = 0,3MeV wur-de auf Grund der maximal übertragenen Energie auf die KohlenstoffatomeEt(C) = 70eV gegenüber der übertragenen Energie auf die SiliziumatomeEt(Si) = 30eV < Ed ausschließlich Leerstellen auf dem Kohlenstoffuntergittererzeugt; die gemessene Positronlebensdauer von τVC = 153ps entspricht demfür diesen Defekt erwarteten Wert (siehe Tabelle 3.4).

    Nach der Bestrahlung mit Elektronen der Energie Ee = 0,5MeV werdenhauptsächlich Si–Atome verlagert. Die Energien Et übersteigen sowohl die

  • 3.3. GITTERLEERSTELLEN IN SILIZIUMKARBID 29

    Positronenzustand Diese Theorie Frühere ExperimenteArbeit2

    τ [ps] τ [ps] τ [ps]

    defektfreies SiC 146±1 141 [52], 131 [53] 146 [69], 144 [75], 142 [70]

    VC in SiC 153±2 153 [52], 137 [53] 160 [76]

    VSi in SiC 176±5 192 [52], 194 [53] 260 [76]

    VC −VSi in SiC 214 [52, 53] 180±10 [69], 209 [70]

    VSi −VSi in SiC 210±2 196 [52]

    Diamant 130±10 90-92 [63] 110 [62], 107 [75]

    Graphit 216±2 185±6 [63] 212 [62], 210 [77]

    Silizium 219±1 221 [78] 218 [79]

    Tabelle 3.4: Positronlebensdauern für die Zerstrahlung in defektfreiem Siliziumkarbid,Diamant und Graphit und in Leerstellen im Vergleich zu früheren Experimenten undtheoretischen Ergebnissen.

    Verlagerungsschwellenenergie der Kohlenstoff- als auch der Siliziumatome,allerdings ist der Wirkungsquerschnitt für die Verlagerung der Siliziumato-me (σd(Si) = 2,6·10−27 m2) [56] größer als von Kohlenstoffatomen (σd(C) =1,6·10−27 m2). Die höhere spezifische Einfangrate der Siliziumleerstellen aufGrund deren negativer Ladung [80,81] in n-dotiertem Silizium lässt einen fastausschließlichen Einfang von Positronen in Siliziumleerstellen erwarten miteiner Positronlebensdauer von τVSi = 176ps, welcher dem theoretisch vorher-gesagten Wert recht nahe kommt (siehe Tabelle 3.4).

    2in Zusammenarbeit mit Dr. A. A. Rempel et al. [74]

  • 30 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    Ee [MeV]0.0 0.5 1.0

    τ [p

    s]

    150

    200

    Abbildung 3.4: Die Abhängigkeit der gemessenen Positronlebensdauer τ von der Ener-gie der Elektronen bei der Bestrahlung. Die einzelnen Stufen lassen sich verschiedenenZuständen des Positrons zuordnen: Ohne Elektronenbestrahlung der Zerstrahlung vonPositronen im delokalisierten freien Zustand im defektfreien Kristall (τf = 146ps) undder Zerstrahlung von Positronen durch Einfang an Leerstellen auf dem Kohlenstoff-(τVC = 153ps) bzw. dem Siliziumuntergitter (τVSi = 176ps) oder durch Einfang anDoppelleerstellen (τVSi−Si = 210ps).

    Bei der Bestrahlung mit 1 MeV bis 2,5 MeV finden wir einen leerstellenähn-lichen Defekt mit einer Positronlebensdauer von 210 ps, den wir dem Einfangvon Positronen an einer Silizium–Doppelleerstelle ( VSi −VSi) zuschreiben.

    Diese Ergebnisse werden im folgenden Abschnitt mit den Ergebnissender koinzidenten Messung der Dopplerverbreiterung der Elektron-Positron–Zerstrahlungsquanten verglichen.

    3.3.1.2 Die chemische Umgebung von Leerstellen in Siliziumkarbid

    Die in Abschnitt 2.3 vorgestellte Methode zur Bestimmung der chemischenUmgebung mit Hilfe der koinzidenten Messung der Dopplerverbreiterungder Elektron-Positron–Zerstrahlungsquanten im Bereich hoher Energiever-

  • 3.3. GITTERLEERSTELLEN IN SILIZIUMKARBID 31

    breiterungen haben wir zur weiteren Bestimmung der Leerstellen auf deneinzelnen Untergittern herangezogen. In Abb. 3.5 ist in der Quotientenauf-tragung der Spektren der Reinelemente im Bereich der Verbreiterung von5keV ≤ ∆E ≤ 10keV deutlich der Unterschied der Steigungen zwischen Dia-mant, Silizium und unbestrahltem Siliziumkarbid zu sehen. Die Lage desSpektrums von defektfreiem Siliziumkarbid zwischen den Spektren von Sili-zium und Diamant rührt von der Zerstrahlung des Positrons im delokalisiertenZustand sowohl mit Rumpfelektronen des Siliziums als auch mit denen desKohlenstoffs her [53].

    Nach der Bestrahlung des defektfreien Siliziumkarbids mit Elektronen un-terschiedlicher Energie sieht man in der Auftragung der Verhältnisspek-tren der koinzidenten Messung der Verbreiterung der Positron-Elektron–Zerstrahlungsquanten der bestahlten zur unbestrahlten Siliziumkarbidprobe(siehe Abb. 3.6) deutlich eine Verschiebung sowohl in der Lage der Spek-tren als auch in deren Steigung. Verglichen mit den Steigungen der Verhält-nisauftragung von Silizium und Diamant zur defektfreien Siliziumkarbidpro-be zeigt sich, dass nach der Bestrahlung der Proben mit Elektronen der Ener-gie von 0,3 MeV der Zerstrahlungsort ausschließlich von Siliziumatomen um-geben ist. Zusammen mit der Lage des Spektrums der 0,3 MeV–bestrahltenProbe, welche eine Verkleinerung des Zerstrahlungsanteils mit Rumpfelek-tronen zeigt und auf die Zerstrahlung in Leerstellen schließen lässt, und derMessung der Positronlebensdauer, welche eine Lebensdauer von 153 ps zeigt,kann dies dem Einfang und der Zerstrahlung des Positrons in Leerstellen aufdem Kohlenstoffuntergitter zuordnet werden, die durch diese Bestrahlung se-lektiv auf diesem Untergitter erzeugt wurden. Bei einer Energie der Elektronenvon 0,5 MeV zeigt sich eine weitere Verringerung des Zerstrahlungsanteils mitRumpfelektronen durch eine weitere Absenkung des Verhältnisspektrums undeine Änderung der Steigung, die auf eine Kohlenstoffumgebung des Zerstrah-lungsortes hindeutet und unter Berücksichtigung der gemessenen Positronle-bensdauer der Zerstrahlung in Leerstellen auf dem Siliziumuntergitter zuge-ordnet. Die noch größere Absenkung des Verhältnisspektrums nach Bestrah-lung mit Elektronen der Energie 2,5 MeV deutet auf eine weitere Vergrößerungder Leerstelle hin, in der das Positron zerstrahlt. Unter Hinzunahme der Hoch-impulssteigung der Dopplerspektroskopie liegt es nahe, dies der Zerstrahlungin einer Silizium–Doppelleerstelle VSi −VSi zuzuordnen.

  • 32 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    ∆E [keV]0 2 4 6 8 10

    N0/

    N0,

    6H

    -SiC

    0,5

    1,0

    1,5

    2,0

    VE RE

    a

    b

    VE+

    RE

    Diamant

    Silizium

    6H-SiC

    pl [10-3m0c]0 10 20 30 40

    N0

    10-4

    10-3

    10-2

    10-1

    100

    6H-SiCDiamantSilizium

    Abbildung 3.5: Im oberen Teilbild sind die Spektren der koinzidenten Messungder Verbreiterung der Elektron-Positron–Zerstrahlungsquanten von defektfreiem 6H-Siliziumkarbid, Diamant und Silizium aufgetragen. Unten sind die Verhältnisspektrender Messungen an Diamant und Silizium zu defektfreiem Siliziumkarbid dargestellt.Anhand der Steigungen in der Verhältnisauftragung im Bereich von 5keV ≤ ∆E ≤10keV , die ausschließlich die Zerstrahlung mit Rumpfelektronen (RE) und keinen Va-lenzelektronenanteil (VE) mehr zeigt, kann eine Zerstrahlungsumgebung mit sowohlSilizium- als auch Kohlenstoffatomen angenommen werden.

  • 3.3. GITTERLEERSTELLEN IN SILIZIUMKARBID 33

    REVE+

    RE

    0.3 MeV

    0.5 MeV

    2.5 MeV

    6H-SiC

    VE

    pl [10-3m0c]

    0 10 20 30 40

    ∆E [keV]0 2 4 6 8 10

    N0/

    N0,

    6H

    -SiC

    0,6

    0,8

    1,0

    1,2

    Abbildung 3.6: Anhand der dargestellten Verhältnisauftragung der mit 0,3 MeV,0,5 MeV und 2,5 MeV Elektronen bestrahlten SiC–Proben zur unbestrahlten SiC–Probekann unter Berücksichtigung der in Abb. 3.5 dargestellten Messungen eindeutig diechemische Umgebung des Zerstrahlungsortes und letztendlich das Untergitter, auf wel-chem die Leerstelle sich befindet, in der das Positron zerstrahlt, festgestellt werden. So-mit ist eine Analyse der durch Elektronenbestrahlung erzeugten Defekte auf den beidenUntergittern möglich.

  • 34 KAPITEL 3. KRISTALLDEFEKTE IN Si3N4, BN UND SiC

    3.4 Zusammenstellung der Identifizierung vonDefekten in den binären Verbindungen

    In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse der Positronlebensdauermessun-gen und ihre Zuordnung zu Defekten von Leerstellentyp in den binären Ver-bindungen Si3N4, BN und SiC zusammengestellt.

    Proben τ [ps] Positronenzustandα-Si3N4 148 freier Zustand

    200±10 Einzelleerstellen, Versetzungen298 Leerstellenagglomerate, Versetzungsringe

    340-430 Leerstellenagglomerate, Nanoporen1300-1500 große freie Volumen, Oberflächen

    β-Si3N4 148 freier Zustand183 Silizium- und Stickstoffleerstellen319 Versetzungsringe830 Nanoporen, Oberflächen

    h-BN 215 freier Zustand390-460 Leerstellenagglomerate620-990 Nanoporen, Oberflächen

    c-BN 100-110 freier Zustand284-316 Leerstellenagglomerate

    6H-SiC 146 freier Zustand153 Kohlenstoffleerstelle176 Siliziumleerstelle210 Si–Doppelleerstelle

    Tabelle 3.5: Zusammenstellung der Positronlebensdauern und den diesen zugeordne-ten Defekten. Lebensdauern, die kleiner als die freie Positronlebensdauer sind, zeigen,dass Positronen vor der Zerstrahlung nur teilweise an Leerstellen eingefangen werden.

  • Der Mann der Wissenschaftmuss ständig bemüht sein, anseinen eigenen Wahrheiten zuzweifeln.

    José Ortega y Gasset1

    Kapitel 4

    Freie Volumen in der ternärenPrecursor-Keramik Si1C1,6N1,3

    Zur Herstellung der hier untersuchten borfreien ternären Keramik Si1C1,6N1,3[82] wurde Polyvinylsilazan VT50 (SiN1,5C2,0H4,5) von der Firma HoechstAG in Frankfurt geliefert. Im ternären Phasendiagramm Si-C-N befindet sichdie Zusammensetzung der Keramik auf der Konode C-Si3N4 (siehe Abb. 4.2).

    NH

    NH

    HC=CH2

    Si N

    CH3

    CH3

    m n

    Abbildung 4.1: Struktureinheiten des VT50–Polymers [4, 83].

    Die in diesem System thermodynamisch stabilen Phasen bis Temperaturen von1484 ◦C bei einem N2–Partialdruck von 0,1 MPa sind Si3N4 und Graphit [25],bei höheren Temperaturen wird auf Grund des vorhandenen freien Kohlen-stoffs die Reaktion [11]

    Si3N4 +3C −→ 3SiC+2N2 ↑ (1484 ◦C bei 0,1013 MPa N2) (4.1)

    1*1883 – †1955, span. Kulturphilosoph, Soziologe u. Essayist

    35

  • 36 KAPITEL 4. FREIE VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3

    Si0.2 0.4 0.6 0.8

    N

    0.2

    0.4

    0.6

    0.8

    C

    0.2

    0.4

    0.6

    0.8

    Si3N4

    VT50k

    SiCSi0.2 0.4 0.6 0.8

    N

    0.2

    0.4

    0.6

    0.8

    C

    0.2

    0.4

    0.6

    0.8

    SiC

    Si3N4

    VT50k

    T < 1484 °C 1484 °C < T < 1841 °C

    Abbildung 4.2: Isotherme Bereiche im System Si-C-N für T < 1484 ◦C (links) und1484◦C < T < 1841◦C [24].

    mit Freisetzung von Stickstoff erwartet.

    Im Folgenden wird nun mit Hilfe der Positronlebensdauerspektroskopie dieEntwicklung der in diesem Material auftretenden atomaren freien Volumenunter Berücksichtigung der Ergebnisse von Dichtemessungen und Röntgen-beugung diskutiert.

    4.1 Herstellung und Charakterisierung derSi1C1,6N1,3–Keramik

    In Abbildung 4.3 ist schematisch die Herstellung von Keramiken aus mole-kularen Vorstufen dargestellt. Aus monomeren Einheiten wird ein Polymersynthetisiert, das als Vorstufe (Precursor) zur Herstellung der Keramik dient.Durch Thermolyse wird dieser Precursor in eine amorphe Keramik umgewan-delt, wobei die Polymere hierbei vernetzt werden und vorhandene Endgruppenwie z.B. Methylgruppen oder Wasserstoff ausgasen. Durch Anlassbehandlun-gen bei noch höheren Temperaturen entsteht eine polykristalline Keramik. DieHerstellung der hier untersuchten Precursor–Keramik Si1C1,6N1,3 wird im Fol-genden beschrieben.

    Das als 50 %-ige Lösung in Tetrahydrofuran (THF) gelieferte Polyvinylsila-zan wird bei 120 ◦C destilliert. Das Polymer wird bei 250 ◦C für je eine Stun-

  • 4.1. HERSTELLUNG UND CHARAKTERISIERUNG VON Si1C1,6N1,3 37

    Abbildung 4.3: Syntheseschema zur Herstellung von Keramiken aus molekularen Vor-stufen [1].

  • 38 KAPITEL 4. FREIE VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3

    de in Argon und im Vakuum vernetzt. Nach dem Mahlen und Sieben findetdie Kompaktierung bei 150 ◦C für 10 min bei 25 bar statt. Der so erhalteneGrünkörper wird mit einer Heizrate von 100 K/h bis 100 ◦C und anschließendmit 25 K/h bis 1050 ◦C bei einer Haltezeit von vier Stunden pyrolysiert. An-schließend wird mit einer Rate von 300 K/h das Produkt auf Raumtemperaturabgekühlt.

    Die Proben wurden mit Hilfe von Röntgenbeugung und Dichtemessungen beiRaumtemperatur nach Anlassbehandlungen von 1050 ◦C bis 1700 ◦C bei An-lassdauern von 2 h bis 102 h charakterisiert. Die Röntgenbeugung wurde aneinem Siemens D500 Diffraktometer in einer Bragg-Brentano–Geometrie mitCu-Kα–Strahlung durchgeführt. Die Massendichte ρ = m/V wurde mit derArchimedes–Methode gemessen, bei der das Volumen der Probe aus dem Auf-trieb in einer Flüssigkeit bestimmt wird. Als Messflüssigkeit wurde Dimethyl-phtalat (C10H10O4) gewählt. Diese hat sehr gute Benetzungseigenschaften,einen geringen Dampfdruck, eine hohe Dichte und ist relativ gut mit Etha-nol wieder zu entfernen. Der Vorteil dieser Methode nach Archimedes bestehtim Wesentlichen darin, dass die Messflüssigkeit wegen der guten Benetzungin die offenen Poren eindringt und diese bei der Dichtemessung nicht berück-sichtigt werden.

    4.2 Die Entwicklung freier Volumen in derternären Precursor-Keramik Si1C1,6N1,3 beider Pyrolyse und nach isothermenAnlassbehandlungen bei hohenTemperaturen

    Das bei 250 ◦C vernetzte Polymer mit einer Massendichte ρ = 1,5g/cm3 weistviele große Poren und freie Oberflächen auf. Dies zeigt sich in der Positronle-bensdauermessung in der hohen mittleren Lebensdauer von τm = 1256ps. Inder Analyse treten die Komponenten τ1 = 106ps und τ3 = 2403ps mit Inten-sitäten von I1 = 18% und I3 = 46% auf, die auf die Bildung von Para- bzw.Ortho-Positronium hindeuten, die für die Zerstrahlung in offenen Strukturenvon Polymeren typisch sind. Eine weitere Komponente τ2 = 361ps deutet

  • 4.2. DIE ENTWICKLUNG FREIER VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3 39

    auf die Zerstrahlung in Leerstellenagglomeraten in sich bildenden Festkörper-strukturen hin. Mit zunehmender Temperatur nimmt der Vernetzungsgrad zu,was gleichzeitig eine Verringerung sowohl der Anzahl als auch der Größe vonfreiem Volumen in der Keramik bewirkt. Dies zeigt sich in der Abnahme dermittleren Positronlebensdauer bei Ta = 430 ◦C auf τm = 1091ps (siehe Abb.4.4).

    Ta [°C]250 500 750 1000 1250 1500 1750

    τ m [p

    s]

    400

    600

    800

    1000

    1200

    1400

    ρ [g

    /cm

    3 ]

    1,6

    1,8

    2,0

    2,2

    2,4vernetzt

    amorph

    kristallin

    V [n

    m3 ]

    0,0200,0800,160

    Abbildung 4.4: Die bei Raumtemperatur gemessene mittlere Positronlebensdauerτm( � , linke Achse) und die Dichte ρ ( � , rechte Achse) bei unterschiedlichen Entwick-lungsstufen: Das vernetzte Polymer bei 250 ◦C und 430 ◦C nach Unterbrechung der Py-rolyse, die amorphe Keramik VT50k im Plateaubereich von 1050 ◦C bis 1500 ◦C unddie kristalline Keramik bei 1700 ◦C nach isothermem Anlassen bei der Temperatur Tafür die Zeit ta = 2h. Die Volumenskala (links unten) gibt die der Positronlebensdauerentsprechende Größe freier Volumen in Silizium an.

    Bei weiterer Pyrolyse erhält man bei 1050 ◦C eine Keramik, die in der Rönt-genbeugung eine amorphe Struktur (siehe Abb. 4.6) zeigt.

    Diese röntgenamorphe Keramik separiert in eine amorphe Si3N4 Phase und ei-ne amorphe Graphitphase [82,84,85]. Das ergibt sich aus Modellierungen derStruktur, die aus Monte-Carlo–Simulationen bestimmt wurde, deren simulier-tes Röntgenspektrum mit den gemessenen sehr gut übereinstimmt. Abbildung4.5 zeigt eine senkrechte Projektion einer 5 Å dicken Schicht dieser simulier-ten Struktur. Neben den separierten Siliziumnitrid- und Graphitphasen sindauch deutlich freie Volumen bis zu einer Größe von 1 nm erkennbar [84].

  • 40 KAPITEL 4. FREIE VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3

    Abbildung 4.5: Senkrechte Projektion der Atompositionen einer 5 Å dicken Schichtaus der Strukturmodellierung der ternären Keramik mit Monte-Carlo–Simulationen,deren simuliertes Röntgenspektrum mit dem gemessenen gut übereinstimmt [84].

    Der Volumenanteil dieser beiden Phasen ändert sich beim Anlassen in Tempe-raturbereichen, in denen keine chemische Zersetzung der Keramik statt findet,nicht ( [84,86]: 1050 ◦C-1450 ◦C, 0-16 h), allerdings vergröbert sich die Struk-tur durch das Wachsen der Phasengebiete. Während die Si3N4–Phase relativdicht ist, gibt es in der Kohlenstoffphase und in den Phasengrenzen Poren mitAbmessungen weniger Atomabstände. Die nahezu vollständige Amorphizität

  • 4.2. DIE ENTWICKLUNG FREIER VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3 41

    beobachteten wir in der Röntgenbeugung bis zu einer Anlasstemperatur von1500 ◦C. Die Röntgenspektren (Abb. 4.6) zeigen in diesem Temperaturbereichkeinerlei Änderungen. Bei Erhöhung der Anlassdauer von ta = 2h auf 102 h(Ta=1500 ◦C, siehe Abb. 4.6 c)) tauchen scharfe Reflexe auf, die auf einzelnegroße Kristallite in der im wesentlichen röntgenamorphen Keramik hindeu-ten [87].

    Diese Ergebnisse spiegeln sich auch in den Positronlebensdauermessungennach Anlassen der Si-C-N–Proben bei Temperaturen von 1050-1500 ◦C undAnlassdauern von 2-102 h wider. Trotz einer generellen Abnahme der mittle-ren Positronlebensdauer von der Vernetzung bis zur Kristallisation bleibt dieseim Bereich zwischen 1050 ◦C und 1500 ◦C, in der die Keramik amorph ist, na-hezu konstant bei (490±5) ps (siehe Abb. 4.4). Diese ist deutlich höher als diein den binären Systemen (siehe Kap. 3) gemessenen Werte, was auf eine we-nig dichte Struktur schließen läßt. Diese Konstanz zeigt sich auch in der Mas-sendichte in diesem Material mit ρ = (2,2±0,05)g/cm3 (siehe Abb. 4.7), diebedeutend kleiner ist als die der binären Verbindungen (siehe Tabelle 4.1).

    Material ρ [g/cm3]h-BN 2,18c-BN 3,49α-Si3N4 3,17β-Si3N4 3,176H-SiC 3,16Graphit 2,2

    Tabelle 4.1: Massendichten ρ der binären Verbindungen h-BN, c-BN, α-Si3N4, β-Si3N4 und 6H-SiC und Graphit [88].

    Eine Komponentenanalyse der Positronlebensdauerspektren ergibt eine domi-nierende Positronlebensdauer τ1 = (470±20)ps mit einer Intensität von I1 =90%, die der Zerstrahlung in Leerstellenagglomeraten mit 10-15 fehlendenAtomen (siehe Abb. 2.5) zugeordnet werden kann, und eine zweite Positronle-bensdauer mit τ2 im Bereich von 680 ps bis 1350 ps, die auf die Zerstrahlungin größeren freien Volumen oder an inneren Oberflächen hindeutet.

    Zur Analyse der chemischen Umgebung des vorherrschenden Zerstrahlun-gortes des Positrons wurde die Verbreiterung der Zerstrahlungslinie mit Hil-

  • 42 KAPITEL 4. FREIE VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3

    Ta = 1050 °C a)n

    [will

    k. E

    inhe

    iten]

    2ϑ [°]20 40 60 80 100

    Ta = 1300 °C b)

    Ta = 1500 °C c)

    Ta = 1700 °C d)

    Si1C1,6N1,3

    ta = 102 h

    ta = 2 h

    ta = 2 h

    ta = 2 h

    ta = 2 h

    Abbildung 4.6: Röntgenspektren der Si1C1,6N1,3– Keramik für ta = 2h bei Anlass-temperaturen von 1050 ◦C bis 1700 ◦C und zusätzlichem Spektrum für Ta = 1500◦C,ta=102 h (Teilbild c), obere Kurve). Bis zum Einsetzen der Kristallisation bei Ta =1700◦C sieht man kaum eine Veränderung. Bei Anlassdauern von 102 h bei 1500 ◦C(Teilbild c), obere Kurve) beobachtet man in der im wesentlichen amorphen Keramikeinige wenige große Kristallite. In der bei 1700 ◦C kristallisierten Si1C1,6N1,3–Probekönnen die Reflexe denen von SiC ( � ) und Graphit ( � ) zugeordnet werden.

  • 4.2. DIE ENTWICKLUNG FREIER VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3 43

    ta [h]0 20 40 60 80 100

    U [g

    /cm

    3 ]

    1,9

    2,0

    2,1

    2,2

    2,3

    2,4

    2,5

    2,6

    Ta = 1050 °CTa = 1300 °CTa = 1500 °CTa = 1700 °C

    Ta [°C]1000 1200 1400 1600

    U [g

    /cm

    3 ]

    1,9

    2,0

    2,1

    2,2

    2,3

    2,4

    2,5

    2,6

    Si1C1,6N1,3, ta = 12 h

    Abbildung 4.7: Änderung der Massendichte nach isochronem (ta = 12h, oben) undisothermem (unten) Anlassen der ternären Si1C1,6N1,3–Keramik.

  • 44 KAPITEL 4. FREIE VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3

    ∆E [keV]0 5 10

    N0 / N

    0, S

    i 1C

    1,6N

    1,3

    1

    2

    Si1C1,6N1,3CNSi

    RE

    N0

    10-6

    10-5

    10-4

    10-3

    10-2

    10-1

    100

    Abbildung 4.8: Im oberen Schaubild sind die Dopplerspektren der Reinelemente Sili-zium, Kohlenstoff (Graphit) und Stickstoff sowie der amorphen Si1C1,6N1,3-Precursor–Keramik VT50k (Ta = 1050◦C, ta = 102h) aufgetragen. Zur Analyse wurden im un-teren Schaubild die Verhältniskurven der Reinelemente zur Si1C1,6N1,3-Precursor–Keramik aufgetragen. Der grau unterlegte Energiebereich von 5keV < ∆E < 10keV ,der die Impulsverteilung der Rumpfelektronen, welche für jedes Element unterschied-lich ist, beschreibt, ist für die Analyse der chemischen Umgebung relevant.

  • 4.2. DIE ENTWICKLUNG FREIER VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3 45

    fe der koinzidenten Messung der Elektron-Positron–Zerstrahlungsquanten aneiner Probe (Ta = 1050 ◦C, ta = 102h) gemessen, bei der die Intensität derHauptkomponente I1 = 96% beträgt. Durch eine Quotientenauftragung die-ses Spektrums zu Spektren der Reinelemente Silizium, Stickstoff und Koh-lenstoff (siehe Abb. 4.8) kann im Bereich 5keV < ∆E < 10keV, der fürdie Zerstrahlung mit Rumpfelektronen der umliegenden Atome relevant ist,durch Betrachtung der Steigungen die chemische Umgebung abgeschätzt wer-den. Die große Abweichung der Steigung der Quotientenkurve von Silizi-um von der der Si1C1,6N1,3–Kurve lässt Silizium in der Umgebung des Zer-strahlungsortes in Si1C1,6N1,3 als unwahrscheinlich erscheinen. Die Steigun-gen der Quotientenkurven von Stickstoff und Kohlenstoff, die ähnlich der inder Si1C1,6N1,3beobachteten Steigung sind, deutet darauf hin, dass in der Um-gebung der freien Volumen vornehmlich diese Elemente vorliegen. Derartigefreie Volumen, die einerseits die Größe von 10-15 fehlenden Atomen habenund andererseits eine Stickstoff-Kohlenstoff–Umgebung haben, sind auch imStrukturmodell aus Monte-Carlo–Simulationen (siehe Abb. 4.5) zu erkennen.Sie befinden sich in den Grenzflächen zwischen der amorphen Kohlenstoff-phase und der amorphen Siliziumnitridphase. Aus dem fehlenden Anteil derZerstrahlung von Positronen mit Rumpfelektronen des Siliziums kann manzusätzlich schließen, dass die Siliziumnitridphase durch Stickstoffatome be-grenzt ist.

    Weder die Größe der freien Volumen noch deren chemische Umgebung ändernsich, solange die Si1C1,6N1,3–Keramik im amorphen Zustand angelassen wird.Dies ist aus der zwischen 1050 ◦C und 1500 ◦C nahezu gleich bleibenden mitt-leren Positronlebensdauer (siehe Abb. 4.4) und der sich kaum ändernden Stei-gung der Verhältnisspektren der Dopplerverbreiterung im Bereich 5keV <∆E < 10keV (siehe Abb. 4.9) ersichtlich. Zudem ist in diesem Bereich dieÄnderung der Massendichte gering (siehe Abb. 4.7).

    Beim Anlassen bei 1700 ◦C zersetzt sich die Si1C1,6N1,3–Keramik unter Aus-gasen von Stickstoff nach Gleichung 4.1 in kristallines SiC und Graphit (sieheAbb. 4.6). Die Massendichte erhöht sich trotz des Massenverlustes durch denaustretenden Stickstoff auf ρ = 2,5g/cm3, welche mit der Abnahme der freienVolumen, die in der Positronlebensdauerspektroskopie beobachtet wird, korre-liert (siehe Abb. 4.4). Man beobachtet eine Abnahme der mittleren Positronle-bensdauer τm auf 320 ps, welche sich aus der Reduzierung der Zerstrahlungs-intensität I1 der der Zerstrahlung in Grenzflächen zugeordneten Komponente

  • 46 KAPITEL 4. FREIE VOLUMEN IN Si1C1,6N1,3

    RE

    ∆E [keV]0 5 10

    N0 /N

    0, S

    i 1C

    1,6N

    1,3

    0,8

    1,0

    1,2

    Ta = 1050 °C Ta = 1300 °C Ta = 1500 °C Ta = 1700 °C

    N0

    10-6

    10-5

    10-4

    10-3

    10-2

    10-1

    100

    Abbildung 4.9: Im oberen Schaubild sind die Dopplerspektren der Si1C1,6N1,3–Proben für Anlasstemperaturen von 1050 ◦C bis 1700 ◦C aufgetragen bei einer Anlass-dauer von ta = 102h. Im unteren Schaubild sind die Verhältniskurven der Si1C1,6N1,3–Keramik nach verschiedenen Anlasstemperaturen zur Si1C1,6N1,3–Probe bei Ta =1050◦C gezeichnet.

    auf (35±5) % ergibt und gleichzeitigem Auftauchen einer zweiten Lebensdau-erkomponente τ2 = (230±10)ps mit einer Intensität I2 = (65±5)%, die typisch

  • 4.3. ZUSAMMENFASSUNG DER ERGEBNISSE IN Si1C1,6N1,3 47

    ist für die Zerstrahlung von Positronen in freien Volumen der Größe von 2-3fehlenden Atomen.

    Durch den hohen Zerstrahlungsanteil von Positronen in diesen kleinen freienVolumen erhöht sich die Zerstrahlungswahrscheinlichkeit mit Rumpfelektron-en der umgebenden Atome. Dies zeigt sich in einer Erhöhung der Verhältnis-spektrums (siehe Abb. 4.9) im Bereich 5keV < ∆E < 10keV. In den Verhält-niskurven der Dopplerverbreiterung taucht eine negative Steigung auf (sieheAbb. 4.9) ähnlich wie im Falle von reinem Silizium (siehe Abb. 4.8). Dieslässt auf erhöhte Zerstrahlung mit Rumpfelektronen von Silizium in der Um-gebung der freien Volumen von 2-3 fehlenden Atomen schließen. Diese frei-en Volumen scheinen deshalb im wesentlichen in den Siliziumkarbidkristallenvorzuliegen.

    4.3 Zusammenfassung der Ergebnisse in derSi1C1,6N1,3–Precursor-Keramik

    In der ternären Precursor-Keramik Si1C1,6N1,3 ist eine deutliche Schrumpfungder freien Volumen während der Pyrolyse zu beobachten. Im Temperaturbe-reich von 1050 ◦C bis 1500 ◦C zerstrahlen die Positronen im wesentlichen inden Grenzflächen zwischen der amorphen Siliziumnitridphase und der amor-phen Kohlenstoffphase in freien Volumen der Größe von 10 bis 15 fehlendenAtomen. Bei der Zersetzung der Si1C1,6N1,3–Keramik bei 1700 ◦C findet manneben den freien Volumen in Grenzflächen einen Hauptzerstrahlungsanteil inden sich bildenden Siliziumkarbid–Kristallen in freien Volumen von 2-3 feh-lenden Atomen mit siliziumreicher Umgebung.

  • Es ist höchste Kunst, dasKomplizierteste einfachdarzustellen.

    Felix von Eckardt1

    Kapitel 5

    Strukturuntersuchungen zur quaternärenPrecursor-Keramik Si3B1C4,3N2

    Die quaternäre Precursor-Keramik mit der chemischen ZusammensetzungSi3B1C4,3N2 [2,89] ist auf Grund ihrer Hochtemperaturstabilität ein besondersinteressantes Strukturmaterial, das im Rahmen dieser Arbeit untersucht wur-de. Die thermogravimetrischen Untersuchungen ergaben, dass bis ca. 2000 ◦Cnahezu kein Massenverlust beobachtet wird [2, 89] und somit diese Keramikeine außerordentliche Hochtemperaturstabilität aufweist. Die Gesamtporositätwurde anhand von Dichtemessungen auf ungefähr 22 % abgeschätzt [28]. Die-se makroskopische Porosität kann durch mechanische Verdichtung auf ca. 3 %verringert werden. Diese Porositätsmessungen berücksichtigen allerdings nurdie mikroskopische Porosität. Die Untersuchung nanoskaliger freier Volumen(< 1nm3) auf atomarer Basis ist mit diesen Methoden nicht zugänglich. Diesekleineren freien Volumen und atomaren Defekte sind aber zur Erklärung vonDiffusionsmechanismen [35,90] und Kriechexperimenten [28,30] wesentlich.Sie wurden mit Hilfe der Positronenzerstrahlungsspektroskopie, die spezifischdiese nanoskaligen Defekte bezüglich ihrer Größe und ihrer chemischen Um-gebung nachweisen kann, untersucht.

    Mechanische Kriechexperimente [28,30] oder Verdichtungsexperimente unterheißisostatischem Pressen wurden bei Temperaturen von 1400 ◦C bis 1600 ◦Cfür wenige Stunden bis zu einer Woche durchgeführt. Es stellt sich die Fra-

    1*1903 – †1979, Journalist und Staatssekretär

    49

  • 50 KAPITEL 5. STRUKTURUNTERSUCHUNGEN AN Si3B1C4,3N2

    Zeitskala (12,3 ps/Kanal)0 200 400 600 800

    N/ N

    max

    10-5

    10-4

    10-3

    10-2

    10-1

    100 Ta = 1400 °C (ungepresst)Ta = 1600 °C (gepresst)Ta = 1600 °C (ungepresst)

    Abbildung 5.1: Positronlebensdauerspektren der quaternären Keramik im Herstel-lungszustand nach Pyrolyse (Ta = 1400◦C, ta = 2h, � ), nach Anlassen bei 1600 ◦Cunter Stickstoffatmosphäre (ta = 4h, 0,1 MPa,

    �) und nach heißisostatischem Pressen

    (Ta = 1600◦C, ta = 4h, p = 200MPa). Die Abnahme der Positronlebensdauer ist eherauf die erhöhte Anlasstemperatur als auf den ausgeübten Druck zurückzuführen.

    ge, in wie weit die angelegten Drücke von 15 MPa bei Kriechexperimentenbis 200 MPa beim heißisostatischen Pressen, die angelegte Temperatur oderdie Versuchsdauer einen Einfluss auf die Entwicklung der nanoskaligen freienVolumen haben.

    Wie sich nun in den Positronlebensdauerspektren in Abb. 5.1 zeigt, nimmtdie Positronlebensdauer zwar mit der Erhöhung der Anlasstemperatur ab, esist allerdings bei konstanter Anlasstemperatur (Ta = 1600 ◦C) keine signifi-kante Änderung der Positronlebensdauer bis zu Drücken von 200 MPa nach-weisbar (siehe Abb. 5.1). Auf Grund dieser Beobachtungen wurden vor allemdie Abhängigkeit der Positronenzerstrahlungsspektroskopie von der Anlass-temperatur und der Anlassdauer der pyrolysierten quaternären Keramik unter-sucht, um unter Berücksichtung von Röntgenbeugung und Dichtemessungeneine Aussage über die Kinetik der Entwicklung freier Volumen und über ihrechemische Umgebung machen zu können.

  • 5.1. HERSTELLUNG, TEMPERN UND CHARAKTERISIERUNG 51

    Im Folgenden werden die Herstellung und die Temperaturbehandlungen derKeramik vorgestellt. Anschließend wird der Einfluss axialer Drücke auf ato-mare freie Volumen im Kriechversuch gezeigt. Die Ergebnisse der Positronle-bensdauermessungen und der koinzidenten Dopplerverbreiterungsmessungenin Abhängigkeit von den Temperbedingungen werden vorgestellt, mit den Er-gebnissen der Röntgenbeugung und den Dichtemessungen verglichen und ab-schließend diskutiert.

    5.1 Die Herstellung, Temperaturbehandlungenund Charakterisierung der Si3B1C4,3N2–Precursor-Keramik

    Die in dieser Arbeit untersuchten Proben der Precursorkeramik Si3B1C4,3N2wurden aus dem Polymer T2(1)1 mit der chemischen Zusammensetzung{B[C2H4Si(CH3)NH]3}n, hergestellt.

    CH3

    R = C2 4 3H Si(CH )NH

    Si

    H

    N

    n

    CH3

    CH

    B

    R

    R

    Abbildung 5.2: Struktureinheiten des T2(1)–Polymers [91].

    Die Struktureinheit ist in Abb. 5.2 dargestellt. Die Polymere wurden bei 250 ◦C(1 h Haltezeit) und anschließend 350 ◦C (5 h Haltezeit) unter Vakuum ver-netzt. Das Produkt wurde gemahlen und gesiebt (< 80 µm). Das Pulver wur-

    1Interne Bezeichnung des Polymers vom Pulvermatellurgischen Laboratorium

  • 52 KAPITEL 5. STRUKTURUNTERSUCHUNGEN AN Si3B1C4,3N2

    de bei 310 ◦C, 484 bar 10 min gepresst. Die Pyrolyse des so entstandenenGrünkörpers wurde durch Aufheizen mit 60 K/h bis 1400 ◦C und anschließen-dem Auslagern bei 1400 ◦C für 2 h durchgeführt. Danach wurden die Probenmit einer Rate von 300 K/h abgekühlt. Nähere Einzelheiten über die Herstel-lung der Polymere sind u.a. bei Weinmann et al. [89, 92] beschrieben.

    t [h]0 50 100

    T a [°

    C]

    0

    14001400

    0

    14001400

    0

    14001400

    0

    14001400

    0

    14001400

    0

    Abbildung 5.3: Die isotherme Behandlung der Proben beispielhaft für die Anlasstem-peratur Ta = 1400◦C. Die Positronlebensdauer, die Röntgenbeugung und die Massen-dichte wurden nach Anlassen bei Raumtemperatur (� ) gemessen. Die Aufheiz- undAbkühlraten betrugen 600 K/h.

    Diese nach der Pyrolyse erhaltenen nahezu vollständig amorphen Proben mitder chemischen Zusammensetzung Si3B1C4,3N2 [89] wurden bei Temperatu-ren Ta von 1400 ◦C, 1600 ◦C, 1800 ◦C und 2000 ◦C über Zeiten von 2 h, 5 h,12 h, 32 h und 102 h, wie in Abbildung 5.3 dargestellt, unter Stickstoffatmo-sphäre isotherm angelassen und nach den einzelnen Glühungen bei Raum-temperatur mit Dichtemessungen (Archimedisches Prinzip), Röntgenbeugung,Positronlebensdauer und koinzidenter Messung der Dopplerverbreiterung derPositron-Elektron-Zerstrahlungsquanten charakterisiert und untersucht.

    Die ermittelten Massendichten der quaternären Keramik (siehe Abb. 5.4) sindmit 1,95-2,3g/cm3 in Anhängigkeit vom Anlasszustand deutlich niedrigerals die der meisten binären Systeme (siehe Tabelle 4.1). Eine Abschätzung

  • 5.1. HERSTELLUNG, TEMPERN UND CHARAKTERISIERUNG 53

    der Massendichte der Si3B1C4,3N2–Keramik nach vollständiger Kristallisati-on unter der Annahme von 1 molaren Anteil h-BN, 0,25 Anteilen Si3N4, 2,25Anteilen SiC und 2,05 Anteilen Graphit entsprechend der Gesamtzusammen-setzung der Keramik führt zu einem Wert der Massendichte von 2,63 g/cm3.Dieser Wert zeigt beim Vergleich mit den niedrigeren Werten der experimen-tellen Massendichten (siehe Abb. 5.4), dass sowohl in der anfänglich amor-phen Keramik (ρ = 2,0g/cm3) als auch in der vollständig kristallinen Kera-mik (ρ = 2,3g/cm3) beträchtliche Anteile freier Volumen vorliegen.

    Im Folgenden soll nun auf die Änderung der Massendichte in Abhängigkeitvon Anlasstemperatur und Anlasszeit noch etwas genauer eingegangen wer-den. Bis zu Anlassdauern von 12 h nimmt die Dichte mit zunehmender An-lasstemperatur zu. Während bei Anlasstemperaturen bis 1800 ◦C die Dichtennahezu konstant bleiben, nimmt bei 2000 ◦C die Dichte drastisch ab, was aufMassenabnahme durch die Zersetzung der Keramik insbesondere der Silizi-umnitridkristalle nach den Reaktionen

    Si3N4 +3C −→ 3SiC+2N2 ↑ (1484 ◦C, 0,1MPa N2) (5.1)bzw.

    Si3N4 −→ 3Si+2N2 ↑ (1841 ◦C, 0,1MPa N2) (5.2)

    erwartet wird [11] und auf die Zersetzung unter Stickstoffabgabe zurück-zuführen ist.

    Die Röntgenbeugung (siehe Abb. 5.6) zeigt deutlich die zunehmende Kris-tallisation der Keramik schon bei 1400 ◦C und Anlassdauern von 2 h sowiemit zunehmender Anlasstemperatur. Die beobachteten Röntgenreflexe lassensich nahezu ausschließlich Siliziumkarbid zuordnen. Mit Hilfe der Scherrer–Formel wurde aus der Breite der Röntgenreflexe (ohne Berücksichtigung vonVerzerrungen) die untere Grenze der mittleren Kristallitgröße 〈D〉V,min abge-leitet (siehe Abb. 5.5). Diese Größe bleibt bis Anlasstemperaturen von 1600 ◦Cnahezu konstant bei 2-5 nm. Bei höheren Temperaturen steigt sie sowohl mitzunehmender Anlasstemperatur als auch mit zunehmender Anlassdauer auf biszu 33 nm an.

    Unter zusätzlicher Berücksichtigungen von Verzerrungen nach Williamsonund Hall [93] bei größeren Kristalliten (siehe Abb. 5.7), was die Zuverlässig-keit der Kristallitgrößenbestimmung im Prinzip verbessert, aber zugleich die

  • 54 KAPITEL 5. STRUKTURUNTERSUCHUNGEN AN Si3B1C4,3N2

    ta [h]0 20 40 60 80 100

    U [g

    /cm

    3 ]

    1.9

    2.0

    2.1

    2.2

    2.3

    2.4Ta = 1400 °CTa = 1600 °CTa = 1800 °CTa = 2000 °C

    Abbildung 5.4: Massendichte ρ der Si3B1C4,3N2–Keramik–Proben als Funktion derAnlassdauer ta bei unterschiedlichen Anlasstemperaturen Ta. Die Dichte wurde nachdem archimedischen Prinzip ermittelt. (siehe Kap. 4.1)

    Unsicherheitsgrenzen vergrößert, findet man bei 1800 ◦C eine mit der Anlass-dauer leicht von 35 nm auf 42 nm ansteigende mittlere Kristallitgröße 〈D〉V ,die ungefähr doppelt so groß ist wie die in Abb. 5.5 bestimmten Werte unddie mit den mittleren Kristallitgrößen, die aus der hochaufgelösten Transmis-sionselektronenmikroskopie ermittelt wurden [23], gut übereinstimmt.

    Der kristalline Anteil wurde durch eine Anpassung der theoretischen Rönt-genspektren der erwarteten Einzelphasen (SiC, Si3N4, Graphit und amorpherAnteil) an das gemessene Röntgenspektrum abgeleitet. Dabei wurde aus denermittelten Intensitätsanteilen der relative Anteil η(n-SiC) an kristallinem SiCberechnet. Dieser Anteil (siehe Abb. 5.8) steigt beim Anlassen bei 1400 ◦Cüber ta = 102h auf 30 % an. Bei einer Anlasstemperatur von 1600 ◦C steigt die-ser Anteil mit einer Zeitkonstanten von ca. 20 h auf 100 % an. Die vollständigeKristallisation wird beim Anlassen bei 1800 ◦C schon bei Zeiten unterhalb 2 herreicht.

  • 5.1. HERSTELLUNG, TEMPERN UND CHARAKTERISIERUNG 55

    ta [h]0 20 40 60 80 100

    〈 D〉 V

    ,min

    [nm

    ]

    0

    10

    20

    30 Ta = 1400 °CTa = 1600 °CTa = 1800 °CTa = 2000 °C

    Abbildung 5.5: Die untere Grenze der mittleren Kristallitgröße 〈D〉V,min der SiC–Kristallite für verschiedene Anlasstemperaturen in Abhängigkeit von der Anlassdauerta. Sie wurde mit Hilfe der Scherrer–Formel b = 0,94λ(〈D〉V,min cosΘ)−1(b = Breitedes Röntgenreflexes, λ = Wellenlänge der Röntgenstrahlung, Θ = Streuwinkel) aus derHalbwertsbreite des 101–Reflexes ohne Berücksichtigung von Verzerrungen der Kris-tallite bestimmt.

  • 56 KAPITEL 5. STRUKTURUNTERSUCHUNGEN AN Si3B1C4,3N2

    0

    500Ta= 1400 °C

    0

    500

    1000

    n [w

    illk.

    ]

    0

    500

    1000

    2ϑ [°]20 40 60 80 100

    0

    500

    1000

    1500

    Ta= 1600 °C

    Ta= 1800 °C

    Ta = 2000 °C

    Abbildung 5.6: Röntgenspektren der quaternären Si3B1C4,3N2–Keramik für Anlass-temperaturen von 1400-2000 ◦C bei einer Anlassdauer von ta= 2 h. Mit zunehmenderAnlassdauer ist eine mit der Abnahme der Peakbreite korrelierte Zunahme der mittle-ren Kristallitgröße deutlich erkennbar.

  • 5.1. HERSTELLUNG, TEMPERN UND CHARAKTERISIERUNG 57

    ta [h]0 20 40 60 80 100

    〈 D〉 V

    [nm

    ]

    0

    20

    40

    60

    80

    100

    120

    Ta = 1800 °CTa = 2000 °C

    〈ε2 〉

    1/2

    (10-

    3 )

    0

    2

    4

    6

    8

    10

    Abbildung 5.7: Die unter Einbeziehung von Verzerrungen 〈ε2〉1/2 = b/[(2π)1/2s](oberes Teilbild; b = integrale Linienverbrei