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Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Fakultät für Bauingenieur-, Geo- und Umweltwissenschaften
Institut für Regionalwissenschaft
Regionalwissenschaftliche Exkursion Vorarlberg, Österreich
19. bis 23. September 2011
1
EXKURSIONSTEILNEHMER
Exkursionsleiter/Referenten: Herkunftsland
Prof. Dr. J. Vogt (Leiter IfR) Deutschland
Dr. A. Megerle (Wiss. Mitarbeiter IfR) Deutschland Studenten:
Adebi, Yasmina Benin
Burkart, Sven Deutschland
Edea, Emile Benin
Gustiana, Nina Indonesien
Heckner, Ralf Deutschland
Herrera, Rocio Juliana Argentinien
Islam, Md. Shamimul Bangladesh
Koukoubou, Aymar Godfried Benin
Porst, Luise Deutschland
Soares Rocha, George Ronesle Brasilien
Youssouf, Mamoudou Ag Mali Doktorandinnen (IfR):
Moncada, Patricia Honduras
Rahadini, Ari Indonesien
2
INHALTSVERZEICHNIS
I. Einführung – Der Zweck regionalwissenschaftlicher Exkursionen 4
1. Exkursionstag 1 7
1.1. Fahrt zum Exkursionsziel – Routenbeschreibung 7
1.2. Literaturverzeichnis Exkursionstag 1 16
1.3. Abbildungsverzeichnis Exkursionstag 1 17
2. Exkursionstag 2 18
2.1. Begründung und Methodik der Landesgeschichte im Kontext
regionalwissenschaftlicher Exkursionen 18
2.2. Die Walser in Vorarlberg im europäischen historischen Kontext 20
2.3. Die Besiedlungsgeschichte der Alpen 21
2.4. Der Kernsiedlungsraum der Walser in Vorarlberg 27
2.4.1. Laterns 27
2.4.2. Bad Innerlaterns 28
2.4.3. Maiensäss und Alp- bzw. Almwirtschaft 29
2.4.4. Am Furkajoch 30
2.4.5. Damüls 31
2.4.6. Biosphärenpark Großwalsertal 32
2.4.7. Faschinajoch 34
2.4.8. Raggal 35
2.5. Literaturverzeichnis Exkursionstag 2 35
2.6. Abbildungsverzeichnis Exkursionstag 2 36
3. Exkursionstag 3 38
3.1. Die Entstehung der Alpen 38
3.2. Alpen: Pleistozäne und holozäne Überprägung 42
3.3. Höhenstufen und Lebensräume 44
3.4. Literaturverzeichnis Exkursionstag 3 49
3.5. Abbildungsverzeichnis Exkursionstag 3 49
4. Exkursionstag 4 51
4.1. Einleitung 52
4.2. Dornbirn 52
4.3. inatura 52
4.3.1. Geschichte des Standorts von inatura 52
4.3.2. inatura heute 53
4.4. Fußexkursion entlang des Steinebachs/Fischbachs in Dornbirn 55
4.5. Flora und Fauna im Steinebach/Fischbach und Uferbereich 56
4.6. Naturschutzprojekt Fischbach 62
4.7. Besuch eines Walserhauses in Laterns 64
4.8. Literaturverzeichnis Exkursionstag 4 68
4.9. Abbildungsverzeichnis Exkursionstag 4 69
3
5. Exkursionstag 5 70
5.1. Fahrtroute 70
5.2. Beschreibung des Bodenseeraums 71
5.3. Der Bodensee: unterschiedliche Nutzungen, vielfältige Nutzungskonflikte 73
5.3.1. Siedlungsraum 73
5.3.2. Der Bodensee als Trinkwasserspeicher 75
5.3.3. Industrieraum 76
5.3.4. Fischerei 77
5.3.5. Landwirtschaft 78
5.3.6. Tourismus 79
5.3.7. Der Bodensee als Verkehrsraum 80
5.4. Natur- und Wasserschutz 81
5.5. Internationale Kooperation 82
5.6. Literaturverzeichnis Exkursionstag 5 84
5.7. Abbildungsverzeichnis Exkursionstag 5 84
6. Fazit aus Sicht der Exkursionsteilnehmerinnen und –teilnehmer 86
Die Quellennachweise der Abbildungen und Graphiken finden sich am Ende des jeweiligen
Kapitels
Redaktion: Prof. Dr. J. Vogt, Dr. A. Megerle, Luise Porst
4
I. Einführung – Der Zweck regionalwissenschaftlicher Exkursionen
Joachim Vogt, Exkursionsleiter
Es sollte – zumindest im akademischen Umfeld - eine Selbstverständlichkeit sein, sein jeweiliges
Handeln rational begründen und es gegen sachlich vorgebrachte Zweifel verteidigen zu können,
gegebenenfalls mit der Bereitschaft, es aufgrund begründeter Kritik zu ändern. Dies muss besonders
für universitäre Lehrveranstaltungen gelten und selbstverständlich auch für eine universitäre
Exkursion. Es ist um so notwendiger, je mehr Exkursionspunkte in landschaftlich schönen
Erholungsgebieten liegen, denn dies nährt den Verdacht, eine Ausflugsfahrt zu unternehmen, wie
dies auch während der Exkursion unter dem Stichwort des Tourismus beobachtet und analysiert
wird.
Es muss also einleitend die Frage nach dem Ziel und Zweck einer regionalwissenschaftlichen
Exkursion gestellt und beantwortet werden. Dies kann nur unter Rückgriff auf das Ziel der
Regionalwissenschaft erfolgen, wie es dem Masterstudiengang am Karlsruher Institut für
Technologie, der ehemaligen Universität Karlsruhe, zugrunde liegt. Die notwendige Kürze einer
solchen Erklärung an dieser Stelle ist nur mit Verweis auf die entsprechenden ausführlichen
Begründungen in den Vorlesungen zu rechtfertigen.
Jedes Projekt, also eine zu lösende Planungsaufgabe, und jedes zu analysierende Problem, ist durch
Rahmenbedingungen bestimmt und so von diesen abhängig. Daher ist es nur unter Einbeziehung
dieser zu erklären und zu lösen, und jede Lösung hat Wirkungen auf die Rahmenbedingungen und
entfaltet dort – oft unerwartete oder unerwünschte – Wirkungen. Dies nennen wir das
Kontextproblem und fragen danach, welcher Art diese Kontexte sind und wie sie systematisch in die
Analyse mit einbezogen werden. Es sind drei Dimensionen, in denen dies erfolgen muss,
• fachlich, indem unterschiedliche Fachgebiete der spezialisierten Wissenschaft mit berührt und
damit mit einbezogen werden müssen (dies begründet den interdisziplinären Ansatz der
Regionalwissenschaft),
• räumlich, indem jedes Projekt in eine räumliche Situation eingebunden ist und mit ihr in
Wechselwirkung steht (dies begründet u.a. die Zuordnung der Regionalwissenschaft zu den
Raumwissenschaften einschließlich der Bearbeitung von raumtheoretischen Überlegungen) und
• zeitlich, indem jede Maßnahme eine vergangene Entwicklung mit all ihren sichtbaren und nicht
sichtbaren aktuellen Folgen fortsetzt und damit – bewusst oder unbewusst – Brüche, also
Konflikte erzeugen kann, aber auch, indem eine Maßnahme die zukünftigen Möglichkeiten in
mehr oder weniger engem Rahmen begrenzt.
Die fachliche Kontextualisierung wird offensichtlich mit der Vergegenwärtigung des Problems, dass
wir in der Wissenschaft unsere Beobachtungen, die wir an einem Ort und zu einer Zeit
zusammenhängend machen, Fächern zuordnen, welche eigene Methoden und Techniken als
Erkenntnispfade entwickelt haben und diese gegeneinander abgrenzen, so dass der Zusammenhang,
der offenkundig vorhanden ist, verloren geht. Die Wissenschaft schafft also (mit zunehmender
Tendenz) künstliche Grenzen, welche zwar einerseits in spezialisierten Themenfeldern Erkenntnisse
ermöglichen, deren Zusammenhänge mit anderen Themenfeldern aber immer weiter in den
Hintergrund drängen. Ähnliche Probleme bestehen bei zeitlichen und räumlichen Kontexten.
5
Es ist also stets die Aufgabe, in einer Analyse diese Dimensionen des Kontextes zu erfassen und die
Konsequenzen für die Lösung von Problemen daran auszurichten (Abb. I).
Abb. I: Kontexte eines Projekts (einer Planung, eines Untersuchungsobjekts) in der regionalwissenschaftlichen Analyse
Schließlich versteht sich Regionalwissenschaft als handlungsorientierte Wissenschaft, die den Zweck
der Anwendung ihrer Ergebnisse in den räumlichen Planungen verfolgt. Damit hat das Fach folgendes
Selbstverständnis:
Die Regionalwissenschaft untersucht mit sozialwissenschaftlichen, ökonomischen und
naturwissenschaftlichen Methoden, welche sie den Nachbarwissenschaften entlehnt, regionale
Verteilungsmuster, Prozesse und Konflikte (Regionalanalyse), um Regelhaftigkeiten zu ermitteln,
künftige Entwicklungen abzuschätzen (Regionalprognostik) und die ablaufenden Prozesse zu
beeinflussen (Regionalpolitik und Regionalplanung).
Die Vermittlung der theoretischen und fachlichen Grundlagen für die Regionalanalyse sind Themen
der Vorlesungen und Seminare, ebenso die Vermittlung von Methoden und Techniken der
räumlichen Planung. Dabei muss notwendigerweise ein separativer Ansatz verfolgt werden, bei
welchem die Inhalte zwar in logischer Folge, aber nacheinander und voneinander getrennt
dargestellt werden. Die anschließend notwendige Integration muss projektbezogen exemplarisch
erfolgen. Dem dient eine Exkursion. Dabei werden möglichst unterschiedliche Untersuchungsobjekte
besucht, um sie in ihren jeweiligen Begründungszusammenhängen, den fachlichen, räumlichen und
zeitlichen Kontexten zu erfassen und sie sowie mögliche Maßnahmen in ihren erwünschten und
unerwünschten Wirkungen zu bewerten.
Dazu ist es in der täglichen Praxis der Regionalwissenschaft erforderlich, die Grundlagen der Analyse
zu erarbeiten, ein häufig aufwändiger und schwieriger Vorgang. Während einer Exkursion kann dies
6
durch Vorbereitung nur teilweise erfolgen, zu breit gestreut sind die Themen und zu begrenzt die
Zeit. Daher übernehmen die Lehrkräfte, unterstützt durch externe Fachleute, diese Aufgabe. Die
Studierenden haben nun nicht etwa die Aufgabe, dieses Wissen nur abfragbar zu protokollieren und
zu aggregieren, sondern es zu verarbeiten, indem Kontexte hergestellt und Wechselwirkungen
überprüft werden. Daher beschränkt sich das Protokoll auch nicht auf die Wiedergabe des jeweils
Gehörten, sondern auf die Verarbeitung und integrierende Analyse des Gehörten, Beabachteten,
Gewussten und Erschlossenen.
Abweichend von der logisch-systematischen Sequenz der Inhalte in den Vorlesungen werden die
Inhalte auf der Exkursion objektbezogen zusammengefasst, also in einer anderen Folge erarbeitet,
die sich aus den konkreten sachlichen Voraussetzungen sinnvoll ergibt.
Da auf vorausgesetztem Wissen, insbesondere den Inhalten vorbereitender Lehrveranstaltungen,
aufgebaut wird, haben die Ausführungen vor Ort ergänzenden Charakter. Dies gilt besonderes für die
fachlichen und räumlichen Kontexte. Da die zeitlichen Kontexte (im speziellen Curriculum in
Karlsruhe) nicht systematisch erarbeitet wurden, hat die Darstellung der zeitlichen Kontexte, also der
historischen Wurzeln der untersuchten Probleme in den untersuchten Räumen (Orte, Landschaften,
Regionen) und ihre spezifische Konstruktion und Darstellung mehr grundlegenden Charakter. Dabei
wird versucht, die historischen Bedingungen gegenwärtigen Wahrnehmens und Handelns zu
begreifen sowie die Bedingungen und Wechselwirkungen zwischen lokaler, regionaler, nationaler
und auch globaler Ebene zum jeweiligen Zeitpunkt aufzuzeigen. Es wird auch danach gefragt, wie und
mit welchem Ziel das jeweils für verbindlich erklärte Konstrukt der Geschichte definiert, als
verbindlich dargestellt und durchgesetzt wurde und wie es als wesentliche Legitimation des
gesellschaftlichen Handelns instrumentalisiert wurde und wird.
Wenn erforderlich, werden auch zu den Lehrveranstaltungen komplementäre fachliche Grundlagen
vermittelt, beispielsweise bei der Geologie, ohne deren Grundverständnis räumliche
Zusammenhänge – besonders im Alpenraum – nicht erfasst werden können.
Das Ziel der Regionalwissenschaft, dies alles in der erforderlichen Tiefe zu verwirklichen, ist
anspruchsvoll, der Weg dorthin jedoch auch sehr erkenntnisreich und befriedigend. Auch wenn –
gerade bei studentischen Versuchen – das Ziel nicht ganz erreicht wird, so hat doch auch der nur
teilweise zurückgelegte Weg seinen Wert.
Eine letzte Bemerkung erfolgt bezüglich des Untersuchungsraumes. Es handelt sich, wie einleitend
bemerkt, um touristisch beliebte Erholungsräume, den Bodensee, das Alpenrheintal und Vorarlberg.
Jedoch ist nicht der touristische Wert die Begründung für die Wahl des Ziels, sondern seine
naturräumliche, politische, ökonomische und kulturelle Vielfalt. Im Vierländereck aus der Schweiz,
Österreich, Liechtenstein und Deutschland (aus bayerischer Perspektive wäre möglicherweise auch
von einem Fünfländereck zu sprechen) überlagern sich sehr unterschiedliche Kulturen
grenzüberschreitend und legen eine kulturvergleichende und interkulturell vermittelnde Analyse
nahe, wie sie dem internationalen Studiengang entspricht.
In den von den Walsern besiedelten Hochlagen Vorarlbergs sollen zudem die historischen und
aktuellen Anpassungsformen im Höhengrenzsaum der Ökumene besprochen werden. Dort fanden
sich in der Vergangenheit ähnliche Aufgabenstellungen, wie sie in vielen Mangelökonomien der Erde
aktuell bestehen. Hier wie bei anderen Themen bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, konkrete
Inhalte zu abstrahieren, daraus allgemeines Wissen zu erhalten und dies in andere Räume der Erde
zu übertragen. Die Unterbringung in einem ehemaligen Walserhaus in Laterns ist daher kein Zufall,
sondern bewusst erfolgt.
7
1. EXKURSIONSTAG 1, Montag 19.09.2011 Godfried Koukoubou, Sven Burkart
Programm
Abb. 1.1: Fahrtroute zum Exkursionsziel Laterns, mit Zwischenstopp am Gehrenberg bei Markdorf
Zeit Ort/Themen/Aktivitäten Beteiligte/Referenten
08:30 – 09:30 Uhr Vorbesprechung (KIT) Alle
09:30 – 12:30 Uhr Karlsruhe – Gehrenberg bei Markdorf (Bodensee)
12:30 – 14:00 Uhr
Begehung des Aussichtsturms und der Umgebung:
Naturräumliche Kontextualisierung (Geologie,
Vegetation, Nutzungen) und Einführung in den
Bodenseeraum: Eiszeiten,
Kulturlandschaftsgeschichte, etc.
J. Vogt
A. Megerle
14:30 – 16:45 Uhr Gehrenberg – Laterns (über Rankweil)
16:45 – 17:30 Uhr Ankunft Seminarhaus fibe Alle
20:00 – 21:15 Uhr Reflexion des ersten Exkursionstags Alle
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1.1 Fahrt zum Exkursionsziel – Routenbeschreibung
Abb. 1.1 zeigt die in süd-südöstliche Richtung verlaufende Fahrtstrecke von Karlsruhe zum Bodensee.
Die Fahrtroute führte zunächst auf der A 5 bis zum Autobahndreieck Karlsruhe, danach auf der A 8
Richtung Stuttgart. Kurz nach dem Wechsel der Autobahnen wurde der Naturraum „Oberrheinische
Tiefebene“ verlassen, was u. a. an den Buntsandsteinaufschlüssen links der Autobahn deutlich
wurde.
Der Buntsandstein bildet die erste Schichtstufe der südwestdeutschen Schichtstufenlandschaft. Er
besteht vor allem aus rötlichen Sandsteinformationen. Abgelagert wurden diese vor etwa 251 Mio.
Jahren in flachen Becken von Flusssystemen (vgl. HUTH/JUNKER 2004: 13). Buntsandstein stellt einen
wichtigen Baustoff dar, der u.a. zur Errichtung diverser großer Bauwerke in der Region diente, wie
bspw. beim Schloss Heidelberg oder dem Freiburger Münster.
Kurz vor Pforzheim macht sich die Muschelkalk-Hauptschichtstufe an einer starken und langen
Steigungsstrecke bemerkbar. Der Muschelkalk stellt die chronologisch zweitälteste Sedimentschicht
der Schichtstufenlandschaft dar. Ihre Ablagerung vollzog sich im Mittleren Trias (bis vor ca. 235 Mio.
Jahren). Die bis zu 200 m mächtige Muschelkalkschicht besteht in der oberen Lage vorwiegend aus
grauen Kalksteinen, in der Mitte herrschen Dolomite, Tonsteine, Gipse und Steinsalze vor. Auf dem
Muschelkalk konnten sich meist sehr fruchtbare Böden entwickeln (Lößauflage), welche intensiver
ackerbaulicher Nutzung zugeführt werden (HENNNGSEN/KATZUNG 2006: 110).
Die Entstehung der Schichtstufenlandschaft begann vor ca. 65 Mio. Jahren (Ende des Mesozoikums).
Damals standen hier Sedimentgesteine des Buntsandsteins, des Muschelkalks, des Keupers und des
Jura in einer Mächtigkeit von 2000m an (vgl. AHNERT 2003: 317ff.). Durch den Einbruch des
Oberrheingrabens im frühen Tertiär wurden Schwarzwald und Vogesen als Pultschollen hoch
gehoben, so dass diese Sedimentgesteine schräg gestellt wurden und durch nachfolgende
Abtragungsprozesse Schichtstufen entstanden. Seit dieser Zeit werden diese Schichtstufen durch
weitere Abtragung nach Südosten verlagert, so dass die höchste Schichtstufe des Jura sich heute im
Raum Reutlingen befindet (Trauf der Schwäbischen Alb).
Die nördlich an Pforzheim, was seiner Schmuckindustrie wegen als „Goldstadt“ Bekanntheit erlangte,
vorbeiführende A 8 verläuft in etwa entlang der Naturraumgrenze zwischen dem Kraichgau (nördlich)
und dem Nördlichen Schwarzwald (südlich).
Kurz vor dem Autobahnkreuz „Stuttgarter Kreuz“ mit der A 81 wird eine dritte mächtige Schichtstufe
erreicht, die Keuperstufe. Keuper bezeichnet die Schichtstufe des Späten Trias (vor ca. 235 – 200
Mio. Jahren). Sie stellt die lithologisch abwechslungsreichste Gruppe des Mesozoikums dar, was sich
insbesondere durch die unterschiedliche Färbung der Tonsteine (rotbraun, grün, grau, gelblich und
schwarz) bemerkbar macht, aber auch durch das Vorkommen verschiedener Sandstein-, Dolomit-
und Kalksteinbänken (vgl. GEYER/GWINNER, 2011). Die Mächtigkeit des Keupers ist im
Südwestdeutschen Schichtstufenland am größten. Erwähnenswert ist der innerhalb der Schichten
liegende sog. Stubensandstein, welcher v.a. früher als Streu- und Scheuersand für Straßen und
Holzfußböden genutzt wurde (vgl. MINISTERIUM FÜR UMWELT, KLIMA UND ENERGIEWIRTSCHAFT BADEN-
WÜRTTEMBERG 2011).
Am Autobahnkreuz Stuttgart wurde die A 8 in Richtung Süden verlassen und auf die
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„Bodenseeautobahn“, die A 81 gewechselt.
Kennzeichnend für den Großraum Stuttgart ist insbesondere die Automobilindustrie und deren
Zulieferbetriebe, was v.a. beim Passieren der Stadt Sindelfingen sichtbar wird (Werke der Daimler
AG). Kurz darauf wurde der ca. 15.600 ha große „Naturpark Schönbuch“ in einem Tunnel
durchfahren (vgl. NATURPARK SCHÖNBUCH 2011). Bedingt durch seine Geologie (Dominanz relativ
nährstoffarmer Keupersandsteine wie dem Stubensandstein) und seine Nutzungsgeschichte (früherer
Jagdbann der württembergischen Territorialherren) zeichnet sich dieser Naturpark durch seinen sehr
hohen Waldanteil und eine geringe Besiedlung aus. Insbesondere für die Kurzzeit- und Naherholung
der Bevölkerung aus den umliegenden stark besiedelten Gebieten besitzt dieser Naturpark eine
große Bedeutung.
Nach Passieren des Schönbuch-Tunnels kamen bereits die Juraschichtstufen der Schwäbischen Alb
und ihres Vorlandes in Sicht.
Der Jura wird normalerweise in drei verschiedene Gesteinsformationen untergliedert:
Schwarzer Jura (Lias): Diese zu Beginn des mittleren Mesozoikums (vor etwa 200 Mio. – 175 Mio.
Jahren) entstandene Schichtstufe besteht vornehmlich aus dunklen Tonsteinen (vgl. HENNINGSEN
/KATZUNG 2006: 110). Beim Abbau von Mergel-Zwischenlagen (Mergel = Sedimentgestein aus einem
Gemisch aus Ton und Kalk) aus dieser Gesteinsschicht stieß man auf darin befindliche fossile Reste,
beispielsweise in der Nähe des Ortes Holzmaden. Dabei handelt es sich u. a. um versteinerte Skelette
von Meeressauriern, u.a. Ichthyosaurus (Stenopterygius quadriscissus, GEYER/GWINNER 2011: 220ff.).
Brauner Jura (Dogger): Die Sedimente des Braunen Jura, welche aus dem mittleren Mesozoikum (vor
ca. 175 Mio. – 150 Mio. Jahren) stammen, überlagern die Gesteinsschicht des Schwarzen Jura und
treten in einer Mächtigkeit von bis zu 280m auf (vgl. HUTH/JUNKER 2004: 14), im mittleren und
nördlichen Oberrheingraben auch bis zu 400m (vgl. GEYER/GWINNER 2011: 246). Die
landwirtschaftliche Nutzung der darauf entstandenen Böden paust häufig die Eigenschaften der
Gesteine durch. So finden sich Wiesen und Streuobstwiesen über tonreichen, Ackerflächen hingegen
über sandreicheren Formationen (vgl. HENNINGSEN /KATZUNG 2006: 110).
Weißer Jura (Malm): Die oberste Gesteinsschicht des mittleren Mesozoikums, der Weiße Jura bzw.
Malm lässt sich hinsichtlich seiner Ablagerung in den Zeitraum vor 150 Mio. – 135 Mio. Jahren
einordnen. Insbesondere auf der Schwäbischen Alb finden sich teilweise bis zu 400m mächtige
Schichten (vgl. GEYER/GWINNER 2011). Diese verwitterten Kalksteinformationen sind als Ablagerungen
des damaligen Jurameeres entstanden, worauf auch Überreste riffartiger, von Schwämmen, Algen
und Bakterien erzeugter Gebilde hinweisen (vgl. HENNINGSEN /KATZUNG 2002 2002: 110).
Während der Kreidezeit (vor ca. 135 Mio. – 65 Mio. Jahren) erfolgte dann die Aufwölbung der
Gesteinsschichten aus dem jurazeitlichen Meer, womit die Bildung des Süddeutschen
Schichtstufenlandes begann (s.o.). Aus dieser Zeit sind in Südwestdeutschland bislang keine
Ablagerungen nachgewiesen, wohl eine Folge der Tatsache, dass diese Region damals
Abtragungsgebiet war.
Weitere hervorzuhebende Orte vor dem Erreichen des Bodenseeraums sind die Städte Oberndorf am
Neckar (Waffenindustrie) und Trossingen (Musikinstrumente). Kurz nach Erreichen des durch
10
herauspräparierte Vulkanschlote geprägten Hegaus unweit von Singen im Hohentwiel wurde auf die
A 98 gewechselt.
Infolge vulkanischer Aktivitäten vor etwa 15 Mio. Jahren im Mittelmiozän sowie im Alttertiär bildeten
sich im Hegau über 300 Einzelschlote heraus, von denen allerdings viele die Oberfläche nicht
erreichten. Erst im Zuge der Erosionsprozesse, vor allem während der glazialen Überprägung
während der letzten Eiszeit, wurden diese Gesteinskuppen freigelegt und bilden heute die
Vulkankegel im Hegau (vgl. EBERLE et al. 2010: 51).
Die A 98 endet hinter Stockach. Dieses Phänomen und die vielen Grünbrücken über die an die A 98
anschließende B 31 sind Indikatoren für die starken Konflikte zwischen den Belangen des
Fernstraßenbaus und des Naturschutzes in dieser sensiblen Landschaft.
Klimatisch bedingt weist die Bodenseeregion eine Vielfalt an Sonderkulturen auf. So finden sich hier
v.a. Obstplantagen (Äpfel, Birnen, Kirschen), im westlichen (Raum Meersburg - Hagnau) und östlichen
Teil des Bodenseenordufers (Raum Kreßbronn) findet sich Weinanbau. Dazu kommt Hopfenanbau im
Raum Tettnang – Kreßbronn und weitere Sonderkulturen wie Erdbeeranbau. Der Bodensee mit
seinen Anrainergemeinden besitzt außerdem eine hohe Bedeutung als Tourismusdestination, sowohl
hinsichtlich Tages- als auch Übernachtungsgästen (vgl. HUTH/JUNKER 2006: 8).
Der erste Zwischenstopp der Exkursion erfolgte gegen Mittag am Gehrenberg bei Markdorf, wo sich
auf einer Höhe von 704 m ü. N.N. ein stählerner Aussichtsturm befindet. Aus 30m Höhe lässt sich ein
Eindruck gewinnen von der umgebenden Landschaft, Relief und Vegetation, der Siedlungsstruktur
sowie der Vielfalt der vorhandenen z.T. miteinander in Konkurrenz stehenden Nutzungen des
Raumes. Vor allem die Konflikte zwischen landwirtschaftlichen Nutzungen, Naturschutz und
Nutzungen für Industrie und Gewerbe im Zuwanderungs- und Verdichtungsraum entlang des
nördlichen Bodenseeufers werden deutlich. Auch kollidieren die Ansprüche der Nutzung des
Bodensees als Trinkwasserspeicher immer wieder mit den landseitigen Nutzungsansprüchen von
Verkehr, Siedlung und Landwirtschaft.
Die Bedeutung des Raumes als Industriestandort lässt sich beispielhaft an der Stadt Friedrichshafen
erkennen, welche ein Zentrum der Luftfahrt- und Rüstungsindustrie darstellt. Eine der wichtigsten
Wurzeln dafür sind die rund um die Planung und den Bau von Zeppelinen entstandenen
Industriebetriebe. 1900 startete der erste Zeppelin (LZ 1) in der Manzeller Bucht bei Friedrichshafen
(vgl. SEIBOLD 2009: 473). Exemplare der neuen Generation dieser Flugkörper sind als „Zeppelin NT“
immer wieder während ihrer touristischen Rundflüge über dem Bodensee sichtbar.
Unweit des Aussichtsturmes befindet sich eine Hangrutschung (siehe Abb. 1.2 bzw. 1.3), deren
Auftreten sich auf ein Erdbeben am 16.11.1911 zurückführen lässt. Es handelt sich um eine
Translationsrutschung von eiszeitlichen Ablagerungen sowie Molasseablagerungen über tonreichen
Molassesedimenten, die als Gleitschicht fungieren. Charakteristikum eines solchen Phänomens sind
immer wieder nachrutschende Gleitschollen, die zum Teil nach hinten kippen, so dass Quellwasser
nicht mehr abfließen kann und sich Stautümpel bilden. Ein so sich selbst erhaltender Lebensraum
entspricht dem neuen Naturschutz-Leitbild des Erhalts von Dynamik, die sich durch das
11
Vorhandensein verschiedener Pioniervegetationsgesellschaften, aber auch seltener Faunenelemente
(Beispiel: Ahlenlaufkäfer) zeigt. Aus diesem Grund stellen solche Rutschungsflächen häufig
Vorranggebiete für Naturschutznutzungen dar (BERAN/GITTNER/LÖDERBUSCH 1988).
Als Molasse bezeichnet man das während der Spätphase der Orogenese (im Falle der Alpen Miozän
und Pliozän des Tertiärs1) abgelagerte Material eines Gebirges. Vornehmlich umfasst dies
gröberklastische, in flachmarinen und terrestrisch-fluviatilen Bereichen entstandene Gesteine
(Schuttsedimente; Nagelfluh2, Sandsteine, Flinz), welche sich nach Beendigung der Flysch-
Sedimentation (tiefer-marin und turbiditisch) ablagerten (vgl. BAHLBURG/BREITKREUZ 2008: 273; LESER
2001: 25). Das asymmetrisch aufgebaute, also vom nördlichen bis zum Alpenrand an Mächtigkeit der
Sedimentschichten zunehmende süddeutsche Molasse-Becken (nördliches Vorlandbecken der Alpen)
ist von unten nach oben in Untere Meeresmolasse, Untere Süßwassermolasse, Obere
Meeresmolasse und Obere Süßwassermolasse gegliedert (vgl. EBERLE et al. 2010: 47). In den tertiären
Sand- und Kalksteinen finden sich aufgrund deren Kluft- bzw. Matrixporosität mancherorts geringe
Erdöl- und –gasreserven, welche deshalb auch kaum noch gefördert werden (vgl.
HENNINGSEN/KATZUNG 2006: 144). Außerdem enthalten die unter der Molasse vorkommenden
Oberjura-Schichten (Malm-Karst3) beträchtliche Vorkommen gering mineralisiertes und ausreichend
hoch temperiertes Grundwasser, welches zur Gewinnung von Thermalwasser (Thermalbäder in
Überlingen, Aulendorf, Bad Saulgau etc.) bzw. Erdwärme eingesetzt werden kann (vgl. ebd.). Als
weitere großflächig vorkommende geologische Ressource des Molasse-Beckens sind tertiär- vor
allem aber eiszeitliche Kiese und Sande zu nennen (vgl. HENNINGSEN/KATZUNG 2006: 145).
Die Hangrutschung am Gehrenberg zerstörte einen ursprünglich dort stehenden Aussichtsturm aus
Holz, so dass der heutige Nachfolgebau aus Eisen errichtet wurde. Finanziert wurde der Neubau
durch über eine Spendenaktion des örtlichen „Verkehrs- und Verschönerungsvereins“. Diese
Phänomene auf dem Gehrenberg sind kein Einzelfall: Aussichtstürme wurden Ende des 19.
Jahrhunderts in vielen deutschen Regionen erbaut. Sie sind sicher im Zusammenhang mit dem von
vielen Akteuren damals geförderten „Nationalbewusstseins“ zu sehen, wie auch der frühere Name
„Großherzog-Friedrich-Warte“ für den Gehrenbergturm zeigt. Aussichtstürme gehören zu den ersten
touristischen Infrastrukturelementen des aufkommenden Tourismus im 19. Jahrhundert in Europa.
Wie auch im vorliegenden Fall waren die Eisentürme der Schwäbischen Alb (Lemberg) häufig Vorbild
für etliche in dieser Zeit gebaute Türme in Baden-Württemberg. Vielerorts spielten bei ihrem Bau
1 Beim Tertiär handelt es sich um eine Periode (neben dem Quartär) der die letzten 70 Mio. Jahre der Erdgeschichte umfassenden Erdneuzeit (Känozoikum). Im heutigen Bodenseeraum herrschte damals ein wärmeres Klima, Flora und Fauna wiesen eine hohe Vielfalt auf (vgl. Kommission Kultur der Internationalen Bodenseekonferenz 2000: 14). Gebirgsbildungsprozesse, insbesondere die Entstehung der Faltengebirge der Erde, lassen sich in diese Phase einordnen (vgl. LESER 2001: 878).
2 Unter Nagelfluh versteht man relativ harte Gerölle, die in einer relativ weichen Matrix (Kalk) betonartig zusammen gebacken sind und wie „Nägel“ aus einer Felswand (alemannisch „Fluh“) herausragen (vgl. HENNINGSEN/KATZUNG 2006: 141ff.).
3 Karst bezeichnet Prozesse und Formen der Lösungsverwitterung von leicht durch kohlensäurehaltiges Wasser löslichen Gesteinen wie Kalk (CaCO3), Dolomit [CaMg(CO3)2] Sulfat- oder Salzgesteine (vgl. AHNERT 2003: 332)
12
Verschönerungsvereine eine wichtige Rolle. In solchen Vereinen schlossen sich insbesondere am
Tourismus interessierte, örtliche Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe zusammen. Nicht nur als
Denkmal der Tourismusgeschichte, auch als Baudenkmal ist der Aussichtsturm heute geschützt
(BARTH 2003).
Bei einer kurzen Wanderung zeigten sich Belege eiszeitlicher Gletschertätigkeiten wie alpine
Geschiebe (Flysch, Gneise), erratische Blöcke (Gneis, Meeresmolasse) und einem Toteisloch
(Erklärungen siehe unten, Abb. 1.4). Die Gneise stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der
Silvrettaregion und wurden vom Rheingletscher bis hierher transportiert. Alle diese Phänomene
weisen darauf hin, dass der Gehrenberg noch vor ca. 25.000 Jahren von einem ca. 950 m mächtigen
Gletscher überzogen war. Erst vor ca. 18.000 Jahren war er wieder eisfrei (BARTH 2003).
Abb. 1.2: Schematisches Blockbild der Gehrenbergrutschung, Abb . 1.3: 2-fach überhöht Gehrenbergrutschung: Seitenansicht der
Abrissnische
13
Abb. 1.4: Toteisloch am Gehrenberg bei Markdorf, morphologisch, vegetationskundlich und über die Nutzung (Brache) erkennbar
Abb. 1.5: Der kantengerundete Gneis zeigt einen kleinen fluviatilen Transportweg an. Er stammt wahrscheinlich aus dem Silvrettagebiet; Fundort: Gehrenberg bei Markdorf
14
Abb. 1.6: Findling (Erratiker) aus Meeresmolasse vom Gehrenberg bei Markdorf
Abb. 1.7: Typische Ablagerungsformen eines Gletschers
Ursache dieser Vergletscherung war ein eiszeitliches Klima. Bereits vor ca. 2 Mio. Jahren kam es zu
einem massiven Rückgang der durchschnittlichen jährlichen Temperatur bei gleichzeitiger Zunahme
der Niederschläge, so dass sich auch die Inlandgletscher ausgehend von den Hochgebirgen stark
ausbreiten konnten. Der Schnee sammelte sich in Mulden und erlangte angesichts ungenügend
hoher Sommertemperaturen zunehmend größere Mächtigkeit und Festigkeit (vgl. KOMMISSION KULTUR
DER INTERNATIONALEN BODENSEEKONFERENZ 2000: 14). Das Eigengewicht des Schnees sorgte für die
Komprimierung und Vereinigung der Schneekristalle, was allmählich zur Umwandlung des Schnees in
Firn führte. Im Laufe der Zeit vollzog sich die weitere Verdichtung dieses Firns, die Zwischenräume
verkleinerten sich bis zur Entstehung reinen Eises. Infolge des Einsetzens einer plastischen
Abflussbewegung schob sich dieses Eis als Gletscher talabwärts (vgl. KOMMISSION KULTUR DER
INTERNATIONALEN BODENSEEKONFERENZ 2000: 14). Die Gesamtheit derartiger Phänomene fasst man unter
dem Begriff „Eiszeit“ zusammen. In der zeitlichen Reihenfolge ihres Auftretens im Alpenraum und
Alpenvorland unterscheidet man verschiedene Eiszeiten. Die letzte Eiszeit ist das Würm-Glazial
(beginnend vor ca. 800.000 Jahren und etwa vor 12.000 Jahren endend), welche die Landschaft des
15
heutigen Bodenseeraums sowie der Alpen selbst (vgl. Kapitel 3) bis heute stark prägt (vgl. PFIFFNER
2010: 326).
Das glazial entstandene, von Gletschern transportierte und sedimentierte in schlechter Sortierung
vorliegende Gesteinsmaterial bezeichnet man als Moräne (vgl. LESER 2001: 530), wobei folgende
Ausprägungen zu unterscheiden sind (vgl. AHNERT 2003: 364 bis 371; s. Abb. 1.7):
Bei der Grundmoräne handelt es sich um an die Gletscherbasis bzw. unterhalb des Gletschers
transportiertes, zerkleinertes und abgelagertes Material (vgl. ZEPP 2003: 197), während Endmoräne
jene vor dem Gletscher sedimentierte Gesteinsansammlungen bezeichnet, was sich auf einen
Gletschervorstoß (Vorstoßmoräne) oder Eisrückzug (Rückzugsmoräne) zurückführen lässt bzw. auch
bei stationären Gletschern entsteht. Ablagerungen der glazialen Schmelzwässer im Vorland der
Gletscher und Inlandeismassen heißen Sander. Sander oder Schwemmflächen bestehen meist aus
Sand und Kies und können große Gebiete bedecken.
Diese glazialen Ablagerungen schufen die Oberflächengestalt des Bodenseeraumes sowie die Form
des Bodensees selbst (Zungenbecken, vgl. ZEPP 2003: 195), der zudem auch noch fluviatil ausgeräumt
wurde. Aufgrund der großen Masse eines hohen Gletschers verdichtet und erodiert dieser seinen
Untergrund (glaziale Erosion). Die Gletscher erreichten eine maximale Mächtigkeit von bis zu 1.000
m. Ihre letzte maximale Ausbreitung hatte die eiszeitliche Vergletscherung vor ca. 18.000 Jahren
bevor vor etwa 11.000 Jahren eine Warmzeit einsetzte (Holozän), was zum weitgehenden Rückzug
der Gletscher führte. In der Folge wurden riesige Schmelzwassermengen frei, deren Abfluss durch die
Eismassen oder Moränen teilweise versperrt war, was die Herausbildung von Eisstauseen nach sich
zog, die heute weitgehend vermoort sind.
In der überformten, umgestalteten Landschaft hinterließen Gletscher riesige Eisbrocken, deren
Schmelzdauer sich aufgrund ihrer Bedeckung mit Geröll und Gesteinsschutt verzögerte. Dies zog die
Entstehung wassergefüllter Vertiefungen im Boden nach sich, welche als Toteislöcher bezeichnet
werden (s. Abb. 1.4, vgl. KOMMISSION KULTUR DER INTERNATIONALEN BODENSEEKONFERENZ 2000: 15f.).
Als weitere charakteristische eiszeitliche Hinterlassenschaften gelten Findlinge (Erratiker, s. Abb. 1.5
und 1.6). Die Oberflächen solcher mitunter riesigen Gesteinsbrocken weisen mitunter mit Kritzungen
oder Striemungen auf die Bewegungsrichtung des darüber geflossenen Gletschers hin (vgl. LESER
2001: 267). Die Abfolgen fluvioglazialer Erosion und die dabei geschaffenen das heutige Georelief
prägenden Formen, fasst man unter dem Begriff glaziale Serie zusammen (vgl. LESER 2001: 276).
Der Wasserhaushalt des Bodensees ist mit den nahen Alpen und ihren Gletschern, die mit ihrem
Schmelzwasser besonders im Hochsommer und Herbst den Zufluss über den Rhein aufrecht erhalten,
eng verbunden. Mit einer Fläche von 536 km² stellt der Bodensee den zweitgrößten Alpensee dar.
Seine Uferlänge beträgt 273 km und seine maximale Tiefe 254 m. Die mittlere Jahrestemperatur des
Bodenseewassers liegt bei 8,6°C. Über den Rhein erfolgt der Transport von Sedimenten in den
Bodensee, welcher aufgrund dessen langsam verlandet (vgl. http://www.igkb.de/html/geschichte/
con tent_05.html; http://www.ziele-am-bodensee.de/de/bodensee-allgemeine-info.htm).
Die Route des zweiten Fahrtabschnitts zum Exkursionsziel in Laterns im österreichischen Bundesland
Vorarlberg führte zunächst wieder auf der B 31 in südöstlicher Richtung, sowie, ab Sigmarszell,
nördlich der sich bereits im Freistaat Bayern befindlichen Stadt Lindau, auf der A 96 in Richtung
Bregenz, welche bei Grenzüberfahrt nach Österreich zur A 14 wird. Markant an diesem zu Vorarlberg
16
gehörenden Streckenabschnitt sind nach der Durchfahrt des Pfändertunnels (Länge ca. 6,7 km) der
Eintritt in das Alpenrheintal, welches einen dichten Siedlungsraum, und, v.a. ersichtlich in den
mittelgroßen Städten Dornbirn und Feldkirch, auch in bedeutendem Ausmaß Industrieansiedlungen
aufweist.
Abb. 1.8: Schematische Darstellung eines eiszeitlich entstandenen Hängetals
Die Anfahrt zum Exkursionsziel Laterns führte ab der Autobahnausfahrt Rankweil durch den
gleichnamigen Ort in östlicher Richtung hoch hinauf in das Laternsertal.
Entlang dieses Streckenabschnitts wurde auch ein Hängetal überquert. Der Lauf der Frutz, ein Zufluss
des Alpenrheins, ist hier Bestandteil dieser geologischen Besonderheit. Die auf die eiszeitliche
Vergletscherung zurückzuführende Entstehung von Hängetälern vollzieht sich aufgrund der stärkeren
Eintiefung der Haupttäler im Gegensatz zu den Seitentälern (unterschiedlich mächtige Gletscher und
damit unterschiedlich starke Abtragungskräfte), so dass Letztere nach Abschmelzen der Gletscher in
einer gewissen Höhe über dem Haupttal in selbiges einmünden, also eine Geländestufe sowie eine
Schlucht zurückbleiben, häufig mit Wasserfällen (vgl. HUTH/JUNKER 2004: 16; s. Abb. 1.8). Hängetäler
gehören damit zu den potenziell bedeutsamen Biotoplagen wie auch zu den potenziellen
touristischen Sehenswürdigkeiten.
1.1. LITERATURVERZEICHNIS Exkursionstag 1
AHNERT, F. (2003): Einführung in die Geomorphologie. Stuttgart, UTB.
BAHLBURG, H.; BREITKREUZ, C. (2008): Grundlagen der Geologie. Spektrum Akademischer Verlag
BARTH, R. (2003): Die hohe Mitte des Kreises: Der Gehrenberg und sein hundertjähriger Aussichtsturm, in:
Leben am See, 20, S. 241 – 250
BEARN, F.; GITTNER, T.; LÖDERBUSCH, W. (1988): Ein Paradies auf den zweiten Blick: Die Gehrenbergrutsche
entwickelt sich zu einer Art Urlandschaft, in: Leben am See, 6, S. 81 - 87
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Dornbirn, Vorarlberger Verlagsanstalt.
EBERLE, J., B. EITEL, W.D. BLÜMEL und P. WITTMANN (2010): Deutschlands Süden vom Erdmittelalter zur
Gegenwart. Heidelberg, Spektrum Akademischer Verlag.
17
GEYER, O.F., T. SCHOBER und M. GEYER (2003): Sammlung Geologischer Führer (94). Die Hochrhein-Regionen
zwischen Bodensee und Basel. Berlin, Stuttgart, Gebr. Borntraeger.
GEYER, O.F. und M.P. GWINNER (2011), M. Geyer, E. Nitsch und T. Simon (Hrsg.): Geologie von Baden-
Württemberg. Stuttgart, Schweizerbart.
HENNINGSEN, D. und G. KATZUNG (2002): Einführung in die Geologie Deutschlands. Heidelberg, Berlin,
Spektrum Akademischer Verlag.
HENNINGSEN, D. und G. KATZUNG (2006): Einführung in die Geologie Deutschlands. München, Spektrum
Akademischer Verlag.
HUTH, T. und B. JUNKER (2004): Geotouristische Karte von Baden-Württemberg 1 : 200.000. Schwarzwald mit
Umgebung. Erläuterungen. Freiburg, Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau.
HUTH, T. und B. JUNKER (2006): Geotouristische Karte von Baden-Württemberg 1 : 200.000.Südost.
Erläuterungen. Freiburg, Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau.
INTERNATIONALE GEWÄSSERSCHUTZKOMISSION FÜR DEN BODENSEE (2011): URL:
http://www.igkb.de/html/geschichte/content_05.html (Zugriff: 18.10.2011)
KOMMISSION KULTUR DER INTERNATIONALEN BODENSEEKONFERENZ (2000), Hrsg: Feuer, Eis und Wasser.
Streifzüge durch die Landschafts- und Entstehungsgeschichte der Bodenseeregion. Konstanz.
LERNSTUNDE (2011): URL: http://www.lernstunde.de/thema/gletscher/grundwissen.htm (Zugriff: 18.10.2011)
LESER, H. (2001), Hrsg.: DIERCKE-Wörterbuch Allgemeine Geographie. Braunschweig, Deutscher Taschenbuch
Verlag und Westermann Schulbuchverlag.
MINISTERIUM FÜR UMWELT, KLIMA UND ENERGIEWIRTSCHAFT BADEN-WÜRTTEMBERG (2011): URL:
http://themenpark-umwelt.baden-wuerttemberg.de/servlet/ is/8538/?path=4422;6277; &partId
=11&part=9011&slideID=1 (Zugriff: 18.10.2011).
NATURPARK SCHÖNBUCH (2011): URL: http://www.naturpark-schoenbuch.de/naturpark/ index.shtml (Zugriff:
14.10.2011)
PFIFFNER, 0.A. (2010): Geologie der Alpen. Bern, Haupt Verlag.
SEIBOLD, G. (2009): Zeppelin: ein Name wird zum Begriff; 100 Jahre Luftschiffbau Zeppelin GmbH.
Friedrichshafen, Gessler.
ZEPP, H. (2003): Geomorphologie: eine Einführung. Grundriss Allgemeine Geographie. Paderborn, Verlag
Ferdinand Schöningh GmbH.
ZIELE AM BODENSEE (2011): URL: http://www.ziele-am-bodensee.de/de/bodensee-allgemeine-info.htm
(Zugriff: 18.10.2011)
ZITZLSPERGER, H. (1994): Der „Eiserne“ auf dem Gehrenberg. Gedanken zum Turm auf dem Markdorfer
Hausberg. Bermatingen.
1.2. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Exkursionstag 1
Abbildung 1.1: http://maps.google.com/9. Zugriff und Bearbeitung: Burkart, 29.09.2011
Abbildung 1.2: nach BERAN, GITTNER, LÖDERBUSCH 1988
Abbildung 1.3: Sven Burkart, 19.09.2011
Abbildung 1.4: Sven Burkart, 19.09.2011 Abbildung 1.5: Godfried Koukoubou, 19.09.2011 Abbildung 1.6: Godfried Koukoubou, 19.09.2011
Abbildung 1.7: http://www.lernstunde.de/thema/gletscher/grundwissen.htm, Zugriff 18.10.2011
Abbildung 1.8: http://www.geodz.com/deu/d/images/2159_trogtal.png, Zugriff: 18.10.2011
18
2. EXKURSIONSTAG 2, Dienstag, 20.09.2011
Ralf Heckner, Emile Edea (ab 2.3.)
Programm
Zeit Themen/Aktivitäten Referenten/Beteiligte
8.00 - 9.00 Uhr Frühstück fibe Alle
9.00 - 17.30 Uhr
Rundfahrt durch den Kernsiedlungsraum der Walser
in Vorarlberg: Laterns – Damüls – Großes Walsertal –
Laterns: drei Naturräume – drei Planungsräume?
Rundfahrt mit kleineren Fußwanderungen
J. Vogt
A. Megerle
19.45 - 21.00 Uhr Reflexion des zweiten Exkursionstages Alle
Abb. 2.1: Exkursionsroute Tag 2
2.1. Begründung und Methodik der Landesgeschichte im Kontext regionalwissenschaftlicher
Exkursionen
Joachim Vogt
Objekte der regionalwissenschaftlichen Exkursion werden auch in einen historischen Kontext gestellt
und darüber erklärt. Dazu ist ein Rückgriff auf die Landes- und Ortsgeschichte erforderlich, wozu
zuweilen in erheblichem Umfang fachliche Grundlagen zu legen sind. Damit wird die thematische
Bandbreite regionalwissenschaftlicher Themen erweitert, was einer Begründung bedarf.
19
Eine sehr einfache Begründung ist, dass das von uns Beobachtete stets auch mit einer genetischen
Erklärung erschlossen werden kann: Es ist so, weil es so unter verschiedenen geschichtlichen
Einflussfaktoren so geworden ist oder so gestaltet worden ist. Dies ist zweifellos zutreffend, reicht
allein jedoch zur Begründung nicht aus.
In einem konstruktivistischen Ansatz wird Geschichte als kognitives Konstrukt verstanden. Jede Zeit
und jede Gesellschaft wählt aus den Hinterlassenschaften (mündlich, textlich, baulich, archäologisch
usw.) Bausteine aus, interpretiert sie und fügt sie zu einem Bild der Vergangenheit zusammen. Auch
jede Person tut dies, indem sie ihre eigenen Erinnerungen, übermittelte Erfahrungen und
Interpretationen verarbeitet und dabei zu einem eigenen Geschichtsbild zusammenbaut. Das
Ergebnis ist ein Konstrukt, das sehr stark von der Person und ihren eigenen Erfahrungen, Kenntnissen
und Bewertungen und auch vom sozialen und kulturellen Hintergrund abhängig ist. Geschichte ist ein
individuelles und durch die gesellschaftliche Kommunikation über die Geschichte ein kollektives
Konstrukt. Geschichte ist aber auch ein Machtfaktor, weil sie regelmäßig zur Legitimation
gegenwärtiger Machtverhältnisse herangezogen wird. Daher wird die Konstruktion von kollektiver –
meist staatlicher – Geschichte nicht dem Einzelnen überlassen, sondern beeinflusst und gesteuert.
Gesellschaften und Staaten legitimieren sich historisch, ihre Gebietsansprüche, ihre Ressourcen oder
hierarchische Beziehungen untereinander. Dabei wird auf einzelne Ereignisse Bezug genommen,
wobei diese so dargestellt und interpretiert werden, dass der Zweck damit erreicht wird. Geschichte
wird konstruiert und dient der Herstellung von gemeinsamer Identifikation, der kollektiven
Selbstvergewisserung ebenso wie der Legitimation gesellschaftlicher Bewertung und von
Machtausübung.
Ausgewählte archäologische Objekte werden museal inszeniert und öffentlichkeitswirksam
hervorgehoben, Schriftdokumente werden ausgestellt und publiziert, Zeitzeugen dürfen öffentlich
berichten und erfahren große publizistische Aufmerksamkeit, Denkmälern wird – häufig durch
Beschriftung mit Erläuterungen – eine verbindliche Deutung zugewiesen usw. Was häufig vergessen
wird, ist das parallele Verstecken von Denkmälern und sonstigen Zeugnissen, das Unterschlagen oder
auch Fälschen schriftlicher Quellen und das Verbieten abweichender Interpretationen von Quellen
oder Meinungen. Geschichte ist damit auch die mehr oder weniger verbindliche Interpretation (und
Auswahl, manchmal sogar bewusste oder unbewusste Fälschung!) von Zeugnissen der Vergangenheit
mit meist eindeutigen Zielen. Das ist nicht schwer zu realisieren, denn alle historischen Zeugnisse
bedürfen einer Interpretation. Diese kann jedoch nicht als historische Tatsache gesetzt sein, sie muss
kritisch hinterfragt werden: Warum steht an diesem Objekt diese und keine andere Erklärung?
Warum ändern sich die Einordnungen und Erläuterungen, die zu Zeugnissen gegeben werden, mit
der Zeit? Die jeweils gegebenen – auch als verbindlich formulierten – Erklärungen und
Geschichtsinterpretationen dürfen also nicht als feststehendes Faktum gelesen werden, so wie sie
sich geben, sondern als wiederum interpretationsbedürftiges Zeugnis, mit dem ein Dokument in
gesellschaftliche Zusammenhänge eingeordnet wird – auch wenn es mit dem Anspruch der absoluten
Verbindlichkeit erfolgt.
Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Der Holocaust ist für den Staat und die Gesellschaft Israels von
so überragender Bedeutung, dass seine verbindliche Interpretation national wie international
höchsten Stellenwert hat und Abweichungen davon nicht toleriert werden können. Deshalb gibt es
zahlreiche Holocaust-Museen auf der ganzen Welt. Doch muss derjenige, der das Holocaustmuseum
in Washington zum Beispiel besucht hat, natürlich auch die Frage stellen und beantworten, warum es
kein derartiges Museum für die ausgerotteten Indianervölker oder die Millionen Opfer der farbigen
20
Sklaven Nordamerikas gibt. Parallele Fragen stellen sich überall auf der Welt, die Antworten sagen
mehr über die Staaten und Gesellschaften aus als über das Ereignis, welches dargestellt und ins
Bewusstsein gebracht wird. Das tatsächliche historische Ereignis spielt nur insofern eine Rolle, als
dass es als Aufhänger dient und Widersprüche mit anderen Darstellungen oder zu einzelnen Quellen
unangenehm sind. Daher sind Auseinandersetzungen üblich, wenn mehrere Akteure Deutungsmacht
oder Deutungsmonopole beanspruchen.
Ein anderes Beispiel ist die Frage, wer Kriege, die allgemein mit Leid verbunden sind und geächtet
werden, angezettelt hat. Die Antwort ist recht schnell zu finden. Es ist immer derjenige, der den Krieg
verloren hat. Er bekommt neben Reparationen, Gebietsabtretungen (also Raub) und anderen
Leistungen und Demütigungen auch die moralische Last der Kriegsschuld aufgebürdet.
Dass zu allen Zeiten – bis in die Gegenwart – Menschen wegen abweichender Interpretationen der
Geschichte bestraft werden, von öffentlicher moralischer Verurteilung bis hin zu Haftstrafen, sollte
zu denken geben und die machtpolitischen Implikationen der Geschichte bis in die Gegenwart
deutlich machen.
Die gesellschaftliche Konstruktion von Geschichte sagt also viel über die gegenwärtige Gesellschaft
aus. Ein dekonstruktivistischer Ansatz muss diese Zusammenhänge durchleuchten und wird damit
aus der jeweiligen Darstellung der Geschichte sehr viel über die gegenwärtige Gesellschaft, ihr
Selbstverständnis und die Ziele der Meinungsführer, lernen können.
Die verschiedenen Interpretationsebenen historischer Zeugnisse und die Dekonstruktion ihrer
verschiedenen Deutungen durch unterschiedliche gesellschaftliche Akteure ist ein wesentliches Ziel
derjenigen Teile der Exkursion, die sich mit diesen Quellen auseinander setzen. Dazu ist es
erforderlich, in einem ersten Schritt den geschichtlichen Rahmen zu setzen, die Landesgeschichte
und teilweise auch die Ortsgeschichte des untersuchten Raumes darzustellen. Auch das ist ein
Konstrukt, das damit jedoch in eine Beziehung zu wahrgenommenen anderen Konstrukten gesetzt
werden kann.
Dieser Prozess ist anspruchsvoll und setzt eine beträchtliche Kenntnis verschiedener Quellen und
unterschiedlicher Perspektiven voraus. Er kann nur – als ein erster Schritt – an einigen Stellen
angerissen werden. Auf der Exkursion werden daher zunächst die notwendigen fachlichen
Grundlagen gelegt, ohne die noch nicht einmal die einfache chronologische Einordnung eines
Zeugnisses, viel weniger noch der erzielte Dekonstruktionsvorgang möglich ist.
2.2. Die Walser in Vorarlberg im europäischen historischen Kontext
Mit einem historischen Überblick, der die Geschichte des Siedlungsraums Vorarlberg und seiner
Volksgruppen in einen mitteleuropäischen Kontext stellte (zur zeitlichen Kontextualisierung in der
Regionalwissenschaft vgl. Kapitel I.), begann der Tag auf den Spuren der Walser.
Versteht man die Geschichte als eine Legitimationswissenschaft, die der Macht von Gruppen oder
des Staates dient, so wird klar, dass es nur viele unterschiedliche Geschichten geben kann. Die
Geschichte eines Raumes setzt sich aus vielen Perspektiven zusammen. Hinter den verschiedenen
Konstruktionen von Geschichte verbergen sich unterschiedliche Interessen. Die Geschichte wird
meist aus der Perspektive der Sieger geschrieben, um Machtansprüche, die das Ergebnis von
Konflikten sind, zu rechtfertigen und langfristig zu sichern. Geschichte als Konstrukt kann durch
Perspektivenwechsel besser verstanden, „dekonstruiert“ werden. Dies gilt allgemein, jedoch in
einem Überschneidungsbereich verschiedener Kulturen und Machtsphären, z.B. im Dreiländereck des
Exkursionsgebietes, besonders. Wie sehen sich die Vorarlberger? Woher kommt ihr
21
Selbstverständnis? Wie sehen sich die verschiedenen Gruppen im Land, und wie sehen sich die
Walser in Vorarlberg oder im mitteleuropäischen Kontext?
2.3. Die Besiedlungsgeschichte der Alpen
Die Auseinandersetzung mit dem Besiedlungsprozess des Großwalser- und Laternsertals, setzt eine
Beschäftigung mit den Völkern dieses Raumes und ihrer Geschichte voraus. Mit seiner spezifischen
geographischen Lage stellt der Alpenraum schon immer ein bedeutendes Bindeglied zwischen Süd-
und Mitteleuropa dar.
Die ersten Menschen folgten vor ca. 8000 Jahren dem Jagdwild in die höher gelegenen Flächen des
heutigen Vorarlbergs. Dies war erst möglich geworden nach dem Ende der letzten großen Eiszeit vor
ca. 12.000 Jahren. Zeugen dieser ersten Besiedlung sind bearbeitete Feuersteine, die beispielsweise
beim Sünser Joch (Damüls), also auf über 1500 Metern ü. N.N. gefunden wurden. Eine dauerhafte
Besiedlung seit der Jungsteinzeit ließ sich in Bartholomäberg (Nähe Schruns/Tschagguns)
nachweisen. Im letzten vorchristlichen Jahrtausend besiedelten die Kelten ganz Zentraleuropa. Diese
Großkultur entstand vermutlich durch kulturelle Evolution aus Stämmen der Urnenfelderzeit (1200
bis 750 v. Chr.; letzter Abschnitt der Bronzezeit). Die Kelten besaßen hohe handwerkliche
Fertigkeiten, vor allem bei der Weiterverarbeitung von Eisenerzen zu Eisenwaren. Ihre Waffen waren
effektiv und so gelangten sie im 4. und 3. Jh. v. Chr. durch Kriegszüge bis nach Kleinasien und
Griechenland. Die Kelten vom Stamm der Vindeliker errichteten auf dem Stadtgebiet des heutigen
Bregenz eine Stadtbefestigung namens Brigantium.
Abb. 2.2: Karte mit der Verbreitung keltischer Stämme. Zu erkennen ist das Gebiet der Vindeliker nordöstlich des Bodensees
22
Ihr südlicher Nachbarstamm, die Räter, bewohnten den Alpenraum bis nach Verona. Als aber die
römischen Truppen unter der Führung von Kaiser Augustus weiter nach Norden expandierten, wurde
dieses Gebiet Teil des Römischen Reiches. Die Brigantier wurden ebenfalls assimiliert, also in die
griechisch-römische Kultur eingeführt (Schrift, Gesetze, Straßenbau u.a.) (nachdem sie 15 v. Chr. in
einer Schlacht den Römern unterlagen) und es entstand eine für die Römer enorm wichtige Süd-
Nord-Verbindung von Mailand über Como, Chur, Feldkirch und Lindau nach Augsburg. Die
verkehrstechnische Erschließung beschränkte sich allerdings auf günstig gelegene Räume, wovon
also bspw. die Hochtäler der Alpen ausgenommen blieben. Durch die anschließende Teilung in ein
West- und Ostreich entstanden zwei Provinzen. Zum einen die Provinz Raetia prima mit der
Hauptstadt Chur und zum anderen die Provinz Raetia secunda mit Augsburg als Hauptstadt.
Den Alemannen gelang es immer wieder den rätischen Limes zu durchbrechen und so fielen sie in
mehrere Provinzen ein und zerstörten im Jahre 233 unter anderem auch die römische Siedlung
Brigantium (Bregenz). Als das Weströmische Reich u.a. aufgrund der germanischen
Wanderungsbewegungen zerfiel, geriet Rätien in den Einflussbereich der Ostgoten, welche damit
begannen, auf dem Boden des Imperium Romanum eigene Reiche zu gründen.
Abb. 2.3: Provinz Raetia vor der Teilung, bei den Orten „Augusta Vindelicum“ handelt es sich u das heutige Augsburg, bei „Castra Regina“ um das heutige Regensburg
Die Alemannen wurden – nachdem sie nach dem Niedergang des weströmischen Reiches 454/455
die Zeit ihrer größten Ausdehnung erlebt hatten (vgl. GEUENICH 2005: 163) – von Norden her
zunehmend von den erstarkten Franken bedrängt. Dadurch wurden die Alemannen im Süden
(Voralpengebiet) gezwungen, sich dem Schutz der Ostgoten unter Theoderich dem Großen zu
unterstellen, so dass Raetien bis an den Lech und die heutige Nordschweiz alemannisches Gebiet
wurde (vgl. POSTEL 2004: 80), wobei das Protektorat über sie bereits im Jahr 537 an die fränkischen
Merowinger abgegeben wurde, unter deren Oberherrschaft ab diesem Zeitpunkt alle Alemannen
innerhalb festgelegter Grenzen standen (vgl. GEUENICH 2005: 89/92; POHL 2005: 174).
Nichtsdestotrotz siedelten also ab etwa der Mitte des 5. Jh. n. Chr. Alemannen im heutigen
Vorarlberg.
23
Der ab 482 herrschende Frankenkönig Chlodwig trat 497 zum Christentum über – der Legende nach,
um die Schlacht gegen die Alemannen zu gewinnen (vgl. KNEFELKAMP 2002: 33; GEUENICH 2005: 79).
(Womöglich bedurfte es angesichts der drohenden Niederlage gegen die Alemannen der
Unterstützung durch Äbte und Bischöfe zur Aufrechterhaltung der Regierungsfähigkeit des
Frankenkönigs Chlodwig). Die Eroberung der Alemannen durch die Franken, angeführt von Chlodwig,
erfolgte in mehreren Schlachten zwischen 496 und 511 (Todesjahr Chlodwigs), die letztlich den
Verlust der politischen Unabhängigkeit der Alemannen zur Folge hatten (vgl. POHL 2005: 178; POSTEL
2004: 81). Beispielsweise mit der Gründung des Bistums Konstanz um das Jahr 600 drangen die
Franken zunehmend auch in die inneralemannischen Gebiete ein und vermochten so, auch dort ihre
Herrschaft auszuüben (vgl. POSTEL 2004: 84). Im Jahr 746 mit der von Karlmann4 abgehaltenen
Versammlung bei Cannstatt, infolge dessen Niederschlagung eines alemannischen Aufstandes,
erfolgte schließlich die Auslöschung der gesamten älteren herzoglichen Führungsschicht der
Alemannen durch die Franken im sog. ‚Blutgericht von Cannstatt‘ (vgl. GEUENICH 2005: 116/ 167;
POSTEL 2004: 85). Zudem vollzog sich der allmähliche Übergang des alemannischen Adels in das Reich
der Karolinger durch Heirat (vgl. GEUENICH 2005: 108).
Im Zuge der Christianisierung wurden die irischen Wandermönche Columban und Gallus zunehmend
bedeutend für den Bodenseeraum, die versuchten, die heidnischen Alemannen zum Christentum zu
bekehren. Während Columban nach Italien weiterwanderte, ließ sich Gallus südlich des Bodensees
nieder, wo er auch starb. An der Stelle seines Grabes gründete etwa hundert Jahre später der
rätische Priester Otmar (ein bekehrter Alemanne) die Benedektinerabtei St. Gallen (719), deren
Mönche zunächst Räter waren, später allerdings vornehmlich Alemannen. Als Gegenpol zu St. Gallen
gründeten die Franken (unter dem Hausmeier Karl Martell) 724 ebenfalls im noch überwiegend
heidnischen Alemannien das Benediktinerkloster Reichenau (vgl. GEUENICH 2005: 105f.), aus
welchem auch die ersten Mönche der 731 gegründeten Benediktinerabtei Pfäfers kamen. Die
damaligen Klostergründungen erfüllten keinesfalls ausschließlich geistliche Zwecke, sondern dienten
ebenso der Festigung territorialer Macht sowie der Schaffung von Innovationszentren. Die
Entwicklung neuer Heilverfahren (Pflanzenheilkunde) vollzog sich in Klöstern, Landwirtschaft und
Handwerk wurden darin betrieben sowie finanzielle Geschäfte (Lehn, Geldverleih) abgewickelt.
Klöster stellten also insgesamt kulturelle, politische sowie wirtschaftliche Machtzentren dar.
Angesichts ihrer gewaltigen Bedeutung wurden viele Klöster von den Landesherren gestiftet, woher
auch der Begriff Stift rührt.
Pippin, Vater Karls des Großen, gelang es, immer mehr Vertreter der gesellschaftlichen Schichten,
auch des Adels, in seinen Dienst zu stellen. Nach der Machtübernahme Karls des Großen, begann
dieser mit der Erweiterung seines Reiches (von der Nordsee bis nach Mittelitalien) durch Kriegszüge
sowie geschicktes politisches Handeln. Im Jahre 843 erfolgte die Teilung des fränkischen Reiches, das
zuvor unter der Herrschaft Karls des Großen (†814) stand, welche nach dessen Tod an seinen Sohn
Ludwig den Frommen überging. Der Teilungsvertrag von Verdun (843) legte die Aufteilung des
Reiches in drei Teile fest. An Karl fielen die Gebiete westlich der Schelde, Maas, Saone und Rhone,
während Ludwig den Teil östlich von Aare und Rhein erhielt sowie Mainz, Speyer, Worms und Lothar 4 Karlmann hatte 741 den Herrschaftsanspruch über das Gebiet Alemannien von seinem Vater Karl Martell erhalten, der das Frankenreich unter seinen Söhnen aufteilte (Karlmann und Pippin, vgl. POSTEL 2004: 84)
24
sollte als Kaiser das neu geschaffene Mittelreich (Italien, Porvence bis Friesland) regieren (vgl.
KNEFELKAMP 2002: 83; HARTMANN 2002: 82/97).
Das Herzogtum Alamannien stellte den Vorläufer des späteren Herzogtums Schwaben (sog.
‚jüngeres‘ alemannisches Herzogtum, vgl. GEUENICH 2005: 116) dar, welches sich im Süden bis zum
Gotthardpass erstreckte und ab ca. 1000 eine vorherrschende Stellung einnahm. Im 10. Jahrhundert
wurde Raetia Curiensis (Churrätien) dem Herzogtum Schwaben und somit dem deutschen Reich
angeschlossen. Die sich verstärkenden germanischen Einflüsse fanden ihren Niederschlag auch in der
Sprache. „Viele Deutsche der Ober- und Mittelschicht, die sich in Rätien niedergelassen hatten,
hielten die romanische Umgangssprache einfach für eine arg entstellte Form des Lateins, der
jegliches Prestige der klassischen Sprache, aus der sie hervorgegangen war, abging - wenn sie
überhaupt mit dem Latein in Verbindung gebracht wurde“ (BILLIGMEIER 1983: 54). Die geographische
Lage und kulturelle Tradition sorgten dafür, dass sich die Durchmischungs- bzw.
Assimilierungsprozesse in Rätien wesentlich langsamer vollzogen, wozu sicherlich auch das Gefühl
der Abgeschiedenheit in den Alpentälern beitrug. Der Stauferkönig Friedrich I., genannt Barbarossa,
wurde 1152 gewählt und versuchte seine Dynastie zu stärken. Auch die St. Peterspfarrei in Rankweil
war stauferisch.
Abb. 2.4: Karte der Reichsteilung von Verdun (Maßstabsangabe ungültig!)
25
Abb. 2.5: Lage der wichtigsten Walsersiedlungen
Etwa im 13. Jahrhundert begann eine ausgedehnte Bevölkerungsbewegung, die sog. Walserzüge, aus
dem Oberwallis, in das u.a. Alemannen im 8. Jh. eingewandert waren, so dass dort als Sprache der
Walser das Höchstalemannisch vorherrschte. Über mehrere Generationen breiteten sie sich weiter
aus, wanderten südwärts bis in italienische Gebiete, aber vor allem nordostwärts über das Gebiet des
heutigen Kantons Uri und Graubünden hinaus bis nach Liechtenstein und Vorarlberg (Abb. 2.5).
Die Ursache dieser Wanderungsbewegung bleibt ungeklärt, vermutlich lässt sie sich aber mit einem
starken Bevölkerungswachstum infolge des hochmittelalterlichen Klimaoptimums begründen,
welches Platz- und Nahrungsmittelengpässe nach sich zog. Daher bestand zunächst der Zwang zur
Spezialisierung auf alpine Hochlagen, also die Schaffung einer Existenzgrundlage durch transhumante
Viehwirtschaft. Schließlich erfolgte zusätzlich eine Ausbreitung der Besiedlung über den Kernraum
der Walliser hinaus nach Osten (s.o.), wo ebenfalls die Hochlagen mittels Weidewirtschaft besiedelt
und kultiviert wurden.
Die Lebensbedingungen in den Bergen zeichneten sich durch ihre ausgesprochene Härte aus, zu
deren Widerstehen es eines hohen Maßes an Fleiß und Ausdauer bedurfte. Angekommen im bereits
dicht besiedelten Alpenrheintal, waren die Walser auf die Zuweisung landwirtschaftlich nutzbarer
Flächen durch den Adel angewiesen. Insbesondere die Seitentäler, welche für die Adligen aufgrund
ihrer Abgeschiedenheit ohnehin kaum von Interesse waren, erwiesen sich dabei für die Walser als
geeignet, sodass sie diese zugesprochen bekamen. Das dabei entstandene vertragliche Abkommen
gewährte etliche Sonderrechte, darunter auch das frei vererbbare Nutzungsrecht am Land, die
Ausnahme von der Leibeigenschaft, das Recht auf freie Heirat, die Steuerbefreiung, aufgrund der
schwierigeren Bedingungen in den alpinen Hochlagen (vgl. BILLIGMEIER 1983: 67).
Die bedeutenden wirtschaftlichen Tätigkeiten der Walser umfassten insbesondere Forst- und Alp-
wirtschaft mitsamt ihrer weiter-verarbeitenden Produktion (Milch, Käse, Butter, Fleisch usw.). Mit
26
diesen Produkten führten die Walser Tauschhandel und versorgten so die Siedlungen im Rheintal mit
Milcherzeugnissen und gleichzeitig sich selbst mit Getreide, Mehl und Gemüse. Es entwickelte sich
folglich eine wirtschaftliche Interdependenz, welche in Einklang mit dem Konzept der ‚Cohabitation‘
stand, das über den wirtschaftlichen Austausch zwischen Tal- und Bergbevölkerung hinaus die
Autonomie der einzelnen Volksgruppen (Alemannen, Rätoromanen, Walser) vorsah.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Seitentälern erwiesen sich allerdings als äußerst
schwierig. Allen voran harte Winter sowie das Fehlen jeglicher Annehmlichkeiten (fließendes Wasser,
Warmwasser und Elektrizität), welche den Alltag hätten erleichtern können, trugen dazu bei. Dies
erforderte ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit, Kreativität, Selbstständigkeit bei der Herstellung
von Unterkünften und Geräten sowie Sparsamkeit im Umgang mit den vorhandenen Ressourcen.
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts breiteten sich die Habsburger Richtung Ostalpen aus und kauften
u.a. die Grafschaften Feldkirch, Bludenz sowie die Südhälfte der Herrschaft Bregenz. Durch Heiraten
und Erbschaften entwickelten sich die Habsburger zu einer großen Dynastie mit hohen Ansprüchen.
So kam es, dass sie mit Karl V. 1519 den deutschen König und den römischen Kaiser stellten. Dies
steigerte die Rivalität zu Frankreich und den Türken und führte letztlich auch zu territorialen
Machtkämpfen. Nach dem von Napoleon diktierten Frieden musste Österreich in der Folge des
Friedensschlusses von Pressburg im Dezember 1805 u.a. die Grafschaften Vorarlberg und Tirol an das
Königreich Bayern als Verbündete Frankreichs abgeben (vgl. ERBE 2000: 169).
Die Vorarlberger wehrten sich zunächst gegen die Besatzer, ihnen gelang sogar die Zurückdrängung
der Bayern bis auf die Höhe des Bodensees, doch nach kurzer Zeit verlor der Widerstand an Kraft,
weshalb sich die Lage wieder beruhigte. Die feudale Struktur Vorarlbergs blieb erhalten und die
Reformen verliefen humaner als erwartet. Nach den napoleonischen Kriegen ging Vorarlberg 1814
wieder an Österreich. Im April 1848 erreichte die Märzrevolution Vorarlberg. Landtage wurden
gestürmt, Forderungen nach einer Demokratisierung der Wahlen gestellt sowie die Abkopplung
Vorarlbergs von Tirol (bajuwarisch) verlangt. 1861 erlangte Vorarlberg schließlich seine
Eigenständigkeit als Land mit Landtag in Bregenz. Die Pariser Vorortverträge von 1919 sahen
allerdings wiederum den Anschluss Vorarlbergs an eine Republik Österreich an, woraufhin sich die
Vorarlberger zwar stattdessen für die Zugehörigkeit zur Schweiz aussprachen, was allerdings keine
Zustimmung fand. Vorarlberg gehört somit seit 1919 als Bundesland zu Österreich.
Wie eingangs dargelegt trägt dieser die Region entscheidend prägende historische Hintergrund eine
wesentliche Bedeutung auch hinsichtlich raumplanerischer Ansätze und Eingriffe, welchen schließlich
stets ein umfassendes Verständnis dessen vorausgehen muss, was hinter dem Konstrukt Region
steckt, was zu dessen Erschaffen beitrug und welche Deutungsmuster vorherrschen.
27
2.4. Der Kernsiedlungsraum der Walser in Vorarlberg
2.4.1. Laterns (Pfarrkirche)
Abb. 2.7: Gedenkstein in der Fassade der Laternser Kirche: ‘Gott zum Gruss aus der alten Heimat Vallis’
Abb. 2.8: Inschriften an der Südwestecke der Laternser Kirche
Die Besiedlung des heutigen Laternsertals durch die Walser begann im Jahr 1313. Diese kamen aus
dem Gebiet des heutigen Kanton Wallis. Vorher waren in diesen Hochtälern nur temporäre
Siedlungen, welche nun durch Dauersiedlungen ersetzt wurden. Die Besiedlung erfolgte zunächst
überwiegend auf den süd-exponierten Hängen, auf welchen günstigere (meso-) klimatische
Bedingungen zur Bewirtschaftung herrschten. Durch Abholzung schafften die Walser freie Flächen in
den Hochlagen, die sog. Almen oder Alpen, welche ausschließlich im Sommer als Weideflächen für
das Vieh genutzt wurden. Zwischen diesen beiden Begriffen besteht lediglich ein etymologischer
Unterschied: während Alpe alemannischen Ursprungs ist, stammt der Begriff Alm aus dem
Bajuwarischen.
Die Walser besaßen die Fähigkeit, diese Flächen zu bewirtschaften, wodurch sie gleichzeitig eine
neue Kultur in diese Regionen einführten. Überdies behielten sie auch andere Traditionen bei, ehrten
u.a. weiterhin ihre eigenen Heiligen. So ist in den meisten Walserkirchen bspw. eine Statue zu finden,
welche den heiligen Theodul, den Schutzheiligen der Walser aus Sitten in Wallis, darstellt. Nicht nur
dies unterstreicht das Bestreben der Walser zu kultureller Eigenständigkeit, zur Aufrechterhaltung
28
ihrer eigenen Identität, sondern z.B. auch ein in der Fassade der Laternser Pfarrkirche befindlicher
Stein, der auf die Ankunft der Walser im Jahre 1313 hinweist (Abb. 2.7), sowie an der Westseite der
Kirche in die Mauer eingelassene Inschriften (Abb. 2.8), welche ebenfalls auf die Verbindung zur alten
Heimat Wallis hindeuten. In einer stark religiös geprägten Gesellschaft besitzen Gotteshäuser bzw. in
diesem Fall die Kirche eine immense Bedeutung für das Selbstverständnis der Volksgruppe, weshalb
es für die Auseinandersetzung mit einer Region von so entscheidender Bedeutung ist, sich mit
solchen Orten vertraut zu machen.
2.4.2. Bad Innerlaterns
Der heutige Ortsteil Bad Innerlaterns stellte früher ein Maiensäss entsprechend des oben
geschilderten dreigliedrigen Almwirtschaftssystems dar (vgl. Abb. 2.11 und nachfolgendes
Unterkapitel).
Im 19. Jahrhundert erhielt der (Bäder-)Tourismus Einzug in Vorarlberg. Da der Maiensäss Bad
Innerlaterns eine Schwefelquelle besaß, erfuhr dieser Ort eine zeitweise Nutzung als Kurstätte (vgl.
http://www.heimatschutz.ch/uploads/media/15_11_2005_d.pdf).
Abb. 2.9: Gasthaus in Bad Innerlaterns
29
Abb. 2.10: Partielle Siedlungswüstung Bad Innerlaterns: Das alte Schindelhaus wird nur noch extensiv genutzt
Inzwischen besitzt Bad Innerlaterns hauptsächlich eine geringe Bedeutung für touristische Nischen
wie Biker- oder Angelausflügler, welchen die noch vorhandenen ehemaligen Wirtschafts- und
Wohngebäude als Gastwirtschaft dienen. Das Entwicklungspotential dieses Ortes bewegt sich
allerdings in eher engen Grenzen, was auch dessen Attraktivität für Investitionen einschränkt.
2.4.3. Maiensäss und Alp- bzw. Almwirtschaft
Der Maiensäss bezeichnet eine niedrige, also auf dem Weg zur Sommerweide in geringerer Höhe
gelegene Alpe oder Alm, welche lediglich einer temporären Nutzung – im Mai – zugeführt wurde.
Diese Fläche wurde bestoßen, sobald das eingelagerte Viehfutter sich dem Ende neigte und der
Schnee in den höher gelegenen Regionen zu schmelzen begann. Ein solcher Maiensäss umfasste als
temporäre Siedlung auch Wohngebäude, da das Vieh dort stets bewacht wurde (Abb. 2.11).
30
Abb. 2.11: Maiensäss (eigene Darstellung Emile Edea)
Die erste Stufe beschreibt die Viehwirtschaft im Tal von Oktober bis April. Gehen die Futtervorräte im
Tal zu Ende, in den Hochlagen liegt allerdings noch Schnee, treibt man das Vieh zunächst auf der
Maiensäss. Sofern die Hochalmen schneefrei sind, werden sie bestoßen. Dort verbringt das Vieh die
Sommermonate. Bei der Verbindung von Stufe eins zu Stufe drei handelte es sich ursprünglich um
einen Fußweg. Heute wird diese Nutzung des Maiensäss meist ausgelassen, da Straßen es
ermöglichen, das Vieh direkt bis ganz hinauf zur Hauptalpe zu treiben.
2.4.4. Am Furkajoch
Das Furkajoch stellt den Übergang zum Bregenzerwald dar, der Ausbau des Saumpfades zur Straße
erfolgte 1970. Sie verbindet die Walserorte Laterns und Damüls. Im Namen Furkajoch steckt zweimal
dieselbe Bedeutung: sowohl Furka als auch Joch bezeichnen einen kleinen Pass. Die heutige
Passstraße ersetzt den alten Saumpfad, welcher die traditionelle Verbindung zwischen den
Siedlungen Laterns und Damüls darstellt.
31
Abb. 2.12: Passstraße von Laterns nach Damüls über das Furkajoch
Der Saumpfad (Saum = Last) war für Lasttiere passierbar und spielte ursprünglich eine wichtige Rolle
beim Transport von Waren und anderen Gütern im Rahmen der Almwirtschaft. Die Bauern im
Alpenrheintal verkauften den Walsern Getreide und kauften im Gegenzug Milch und Käse von den
Walsern, die diese Produkte selbst herstellten, sodass sich wirtschaftliche und soziale Beziehungen
zwischen Laterns und Damüls herausbildeten. Über das Furkajoch war so auch Damüls mit dem
Handel im Alpenrheintal verbunden. Zudem diente der Saumpfad dem Auf- und Abtrieb des Viehs im
Frühjahr bzw. Herbst.
Die aus armen Bergbauernfamilien stammenden, sogenannten „Schwabenkinder“ oder Hütekinder,
liefen ebenfalls diesen Fußweg über das Joch, um dann auf Kindermärkten hauptsächlich in
Oberschwaben als saisonale Arbeitskräfte an wohlhabende Bauernfamilien „vermietet“ zu werden.
Bis ins 19. Jh. hielt diese Form des wirtschaftlichen Austauschs zwischen Oberschwaben und
Vorarlberg an. Infolge des Baus befestigter, befahrbarer Passstraßen ging die Bedeutung der
Saumpfade zurück. Heute, zumal durch zusätzliche Belebung mittels der Errichtung von
Gastwirtschaften entlang der Wege, erfüllen sie hauptsächlich touristische Zwecke (vgl. EBERLE 2010).
2.4.5. Damüls
Die 324 Einwohner (Stand 30. Juni 2011) zählende ursprüngliche Walsersiedlung Damüls stellt eine
der lediglich zwei vom (vornehmlich Ski-)Tourismus als wichtigstem Wirtschaftsfaktor stark
geprägten Vorarlberger Gemeinden dar (vgl. Protokoll Regionalwissenschaftliche Exkursion 2010).
Allein durch Investitionen innerhalb der letzten zwei Jahre wurde das Angebot an Gästebetten um ca.
2000 aufgestockt. Während der Wintersaison 2008/2009 hatte Damüls 214.000 Übernachtungen zu
verzeichnen (http://de.wikipedia.org/wiki/Dam%C3%BCls, 24.10.2011). Durch die Erweiterung der
touristischen Infrastruktur (Hotels, Restaurants, Gasthäuser, Aufstiegshilfen usw.) lässt sich eine
weitere Belebung des Ortes als Urlaubsdestination feststellen. Der im Dezember 20095 vollendete
5 vgl. http://www.cusoon.at/skigebiet-damuels-at, Zugriff 12.11.2011
32
Bau der Gipfelbahn hatte durch die damit geschaffene Verbindung zum Skigebiet Mellau eine
erhebliche Vergrößerung des einstigen Skigebiets zur Folge.
Neben dem wirtschaftlichen Erfolg für die Region birgt der Skitourismus jedoch Risiken sowohl für
den Naturhaushalt als auch für das soziale Gleichgewicht der betroffenen Gemeinden. So steigern die
Veränderung des Reliefs durch die Planierung der Skipisten sowie die Entfernung der Vegetation auf
einigen Hängen die Gefahr des Abgangs von Lawinen; kleinräumige Habitate verschwinden oder
erfahren deutliche Beeinträchtigungen, sodass die Verdrängung bestimmter Arten droht (Bsp.
Bergmolch). Eine weitere Belastung stellen die Wasserver- sowie Abwasserentsorgung dar, deren
Gewährleistung bei der beträchtlichen Anzahl an Übernachtungsgästen jedes Jahr erforderlich ist.
Der Wasserverbrauch steigt zudem immens aufgrund des Einsatzes von Beschneiungsanlagen im
Skigebiet.
Ferner besteht durchaus angesichts eines hohen Touristenaufkommens eine Tendenz einerseits zur
Herausbildung bzw. Verstärkung sozialer Disparitäten sowie andererseits zum Verlust der Identität
und lokaler kultureller Besonderheiten.
In Damüls erinnern noch einige denkmalgeschützte Objekte an die Kulturgeschichte der Walser,
worunter eines die Pfarrkirche St. Nikolaus ist, welche einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der
Walserkultur leistet. Wie bereits angedeutet, spielt die Kirche für die Selbstdefinition christlich
geprägter Volksgruppen eine wichtige Rolle. Wie alle heiligen Stätten bildet auch die St. Nikolaus-
Pfarrkirche die politische, soziale und ökonomische Geschichte dieser Region ab. Die Kirche,
umgeben von einem Friedhof, befindet sich in exponierter Lage über der Siedlung. Sie wurde im Jahr
1484 im gotischen Baustil von Rolle Maiger aus Röthis errichtet und später im Barockstil erneuert. In
der Kirche finden sich etliche Hinweise zur Kulturgeschichte, so die Wappen der Habsburger und der
Grafen von Montfort (s. Abb. 2.14). Letztere entstammten dem heutigen Vorarlberg, besaßen ab
etwa 1200 Herrschaften u.a. in Gebieten um Feldkirch, Bludenz und Bregenz bis ins 14. bzw. 16.
Jahrhundert hinein, wodurch sie als Adelsgeschlechter großen Einfluss in Österreich ausübten. Sie
wurden im 14. Jh. durch die Habsburger als Lehnsherren beerbt. Des Weiteren fällt auch hier an der
rechten Seite vor dem Chorraum eine Statue des Walserpatrons Theodul aus dem Jahre 1460 ins
Auge.
2.4.6. Biosphärenpark Großes Walsertal
Einer der wichtigen Inhalte der Exkursion bestand in der Auseinandersetzung mit der Frage nach
einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Naturschutz und ökonomischer Leistungsfähigkeit einer
Region. In diesem Zusammenhang gerät unweigerlich der seit 2000 bestehende UNESCO
Biosphärenpark Großes Walsertal in den Fokus der Betrachtung, welcher die sechs Gemeinden
Thüringerberg, St. Gerold, Blons, Raggal, Sonntag sowie Fontanella umfasst
(http://www.walsertal.at/ biosphaerenpark).
33
Abb. 2.13 (links): St. Nikolaus-Pfarrkirche in Damüls Abb. 2.14 (rechts): Wappen der Grafen von Montfort
Unter einem Biosphärenreservat versteht man im Allgemeinen eine international repräsentative
Modellregion, in welcher die Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung im Mittelpunkt steht. Zu den
wichtigsten Zielen von Biosphärenreservaten zählen Naturschutz, Forschung, Umweltmonitoring und
-bildung (vgl. PROTOKOLL REGIONALWISSENSCHAFTLICHE EXKURSION 2009).
Im Großen Walsertal, welches sich auf einer Fläche von ca. 200 km² ausdehnt, leben ca. 4000
Menschen (AMT DER VORARLBERGER LANDESREGIERUNG 1996), was 1% der gesamten Wohnbevölkerung
Vorarlbergs ausmacht. Diese geringe Besiedlungsdichte des Großen Walsertals und die
naturbelassenen Biotopstrukturen haben eine große Dichte und sehr enge Verzahnung der einzelnen
Lebensräume zur Folge. Mangelnde Vernetzung und das Vorhandensein passender und genügend
großer Flächen stellen kein Problem dar. Die naturräumliche Gliederung und die Naturausstattung
sind ganz wesentlich durch die Geologie des Tales charakterisiert. Seit der Besiedelung durch die
Walser im 13. und 14. Jahrhundert ist das Große Walsertal bergbäuerliches Kulturland. Die
wichtigsten ökonomischen Aktivitäten umfassen Landwirtschaft, insbesondere Viehzucht, Tourismus
und, in kleinerem Umfang, Kleinindustrie sowie Handwerk. Zur Erreichung der Ziele der
Biosphärenreservatrichtlinien, erfolgt deren Unterteilung in vier Zonen:
1. In der Kernzone können sich nur die natürlichen Ökosysteme ohne menschlichen Eingriff
entwickeln (BIOSPHÄRENPARK GROßES WALSERTAL, 2010).
2. Die Pflegezone umfasst diejenigen Flächen, die besonders schützenswerte und
pflegeabhängige Kulturlandschaft beinhalten.
3. In den Entwicklungszonen soll eine nachhaltige Nutzung und Entwicklung erfolgen.
4. Die Regenerationszonen stellen großräumige renaturierungsbedürftige Gebiete dar
(BIOSPHÄRENPARK GROßES WALSERTAL, 2010).
Diese Zonierung ist als ein wichtiges Planungsinstrument für den Biosphärenpark Großwalsertal
anzusehen und soll zur Lösung der Raumnutzungskonflikte zwischen Naturschutz, Landwirtschaft,
Forstwirtschaft und Tourismus beitragen.
34
Das Konzept des besagten Biosphärenparks sieht des Weiteren zur Nutzung der diversen
vorhandenen Naturraumpotentiale eine Überlagerung unterschiedlicher Nutzungen vor, da diese
(Tourismus, Wasserwirtschaft, Land- und Forstwirtschaft) nicht ausschließlich in Konflikt miteinander
stehen, sondern auch nebeneinander ohne gegenseitige Schädigung existieren können. Zweifelsohne
treten dabei ebenfalls Nutzungsausschlüsse auf (z.B. Weidewirtschaft in Konkurrenz zur
Neubesiedlung von Großraubtieren wie Bär oder Wolf etc.), was allerdings am Leitbild des
Biosphärenparks – Vereinbarung von Kulturlandschaft (Alpwirtschaft) mit Naturkonservierung und –
wiederherstellung – nichts ändert. Der wirtschaftende Mensch (Sennerei, Weidewirtschaft) ist in
diesem Raum durchaus erwünscht, da er damit u.a. für die Freihaltung von Flächen sorgt, was
wiederum auch dem Skitourismus zuträglich ist. Zudem betreibt man Naturschutz im Sinne des
Menschen (anthropozentrische Absicht), weshalb die Vertreibung des Menschen wenig Sinn ergibt
und ohnehin existieren im Biosphärenpark Großes Walsertal kleine von menschlicher Nutzung
vollkommen unberührte Flächen, auf welchen folglich ausschließlich Naturschutz ohne
anthropogenen Einfluss erfolgen kann.
2.4.7. Faschinajoch
Ein weiterer Gebirgspass, das Faschinajoch, verbindet das Großwalsertal mit dem Bregenzer Wald.
Das Dorf Fontanella Faschina, deren Erreichbarkeit ursprünglich ausschließlich über Saumpfade
erfolgen konnte, geht ebenfalls auf die Besiedlung durch Walser zurück.
Heute besitzt der Ort Fontanella Faschina eine nicht unwesentliche touristische Bedeutung als
Skigebiet. Während der Sommermonate zieht ins-besondere die Passstraße auch etliche Motorrad-
sportler an.
Abb. 2.15: Lawinensicherung in Faschina
An einem Seitenhang des Faschinajochs fällt hier die Lawinensicherung mit Hilfe von Doppel-T-
Trägern und Eisenbahnschienen auf (Abb. 2.15).
35
2.4.8. Raggal
Raggal, ein Walserdorf mit 824 Einwohnern (Stand 30. Juni 2011), gehört dem Bezirk Bludenz an und
liegt mitten im Großen Walsertal auf einer Hochterrasse. Architektonisch ist der Ort gekennzeichnet
durch eine Vermischung der typischen Walsergebäude mit rätoromanischen Hauselementen. Die
drei Haupterwerbszweige bilden Landwirtschaft, Fremdenverkehr sowie Forstwirtschaft (47% der
Gemeindefläche sind bewaldet). Infolge der Fremdenverkehrsentwicklung setzte in der jüngeren
Vergangenheit eine starke Bevölkerungszunahme ein.
Abb. 2.16: Blick auf Raggal
Die Entwicklung des Ortes basiert auf einem eher konservativen Planungsansatz, welcher den Erhalt
der Kulturlandschaft, also Land- (Südhang) und Forstwirtschaft (Schatthang), beinhaltet. Das
Planungsziel besteht folglich im Erhalt der Attraktivität der Landwirtschaft mit dem Ansinnen, eine
übermäßige Abwanderung der Bevölkerung in die umliegenden Industriestandorte (Ludesch,
Bludenz) zu verhindern. Nach dem II. Weltkrieg erfolgte daher der Bau befestigter Straßen zur
Sicherstellung einer besseren Erreichbarkeit bzw. Erschließung der Hochtäler sowie einzelner Höfe
und Streusiedlungen. Eine weitere Maßnahme zur Vermeidung von Wüstungen in derartigen
Hochlagen umfasst die Schaffung von Zwergschulen.
2.5. LITERATURVERZEICHNIS Exkursionstag 2
AMT DER VORARLBERGER LANDESREGIERUNG, Abteilung VIIa – Raumplanung und Baurecht (Hrsg.):
Strukturdaten Vorarlberg. Bregenz. 1996
BILLIGMEIER, R. H. (1983): Land und Volk der Rätoromanen. Eine Kultur- und Sprachgeschichte mit einem
Vorwort von Iso Camartin. Frauenfeld
BULLINGER, J. (2002): Die ersten Menschen im Alpenraum. Von 50000 bis 5000 vor Christus. Zürich
36
DEPLAZES, G. (1991): Die Rätoromanen. Ihre Identität in der Literatur. Disentis
ERBE, M. (2000): Die Habsburger 1493-1918. Eine Dynastie im Reich und in Europa. Kohlhammer, Stuttgart
GEUENICH, D. (2005): Geschichte der Alemannen. Kohlhammer, Stuttgart
HARTMANN, W. (Hrsg.) (2002): Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Bd. 1. Frühes und hohes
Mittelalter 750-1250. Reclam, Stuttgart.
KNEFELKAMP, U. (2002): Das Mittelalter. Geschichte im Überblick. UTB, Paderborn
KUHN, M. (2005): Eine kurze Geschichte Vorarlbergs. Ereignisse, Persönlichkeiten, Jahreszahlen. Wien
POHANKA, R. (2008): Die Völkerwanderung. Wiesbaden
POHL, W. (2005): Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration. Kohlhammer, Stuttgart
POSTEL, V. (2004): Die Ursprünge Europas. Migration und Integration im frühen Mittelalter. Kohlhammer,
Stuttgart
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
BIOSPHÄRENPARK GROSSES WALSERTAL (2010): Daten zur Region. Online unter
http://www.grosseswalsertal.at/ (Zugriff: 20.10.11)
BISCHOF, G.; STAUDINGER, M. (2009): Aktualisierung des Biotopinventars Vorarlberg – Gemeinde Damüls. In:
Vorarlberger Landesregierung Abteilung Umweltschutz (IVe), AVL Arge Vegetationsökologie und
Landschaftsplanung (Hrsg.): Biotopinventar Vorarlberg. (online verfügbar, www.vorarlberg.at, Zugriff
25.10.2011)
BRUNS, S.: Alpenpässe. Die Pässe zwischen Bodensee und Comer.
http://www.walsertal.at/biosphaerenpark Zugriff: 30.10.2011
BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ (2010): Zonierung der UNESCO-Biosphärenreservate. Online unter
http://www.bfn.de/0308_zonen.html (Zugriff: 22.10.11)
EBERLE, K. (2010): Schwabenkinder. Online unter
http://www.alpic.net/region/history/schwabenkinder.php
MAURER, P. (2005) : Maiensäße – Kulturlandschaft zwischen Zerfall und Umbau!
http://www.heimatschutz.ch/uploads/media/15_11_2005_d.pdf Zugriff : 25.09.11
http://de.wikipedia.org/wiki/Furkajoch 25.09.11
PROTOKOLLE DER REGIONALWISSENSCHAFTLICHEN EXKURSIONEN DES INSTITUTS FÜR
REGIONALWISSENSCHAFT (KIT) 2009, 2010
2.6. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Exkursionstag 2
Abbildung 2.1: Google Earth, Zugriff 24.10.2011
Abbildung 2.2: http://www.prenna-touta.de/mediapool/83/830093/resources/10250301.jpg, Zugriff
16.10.2011
Abbildung 2.3: http://www.antikefan.de/kulturen/rom/raetia.html, Zugriff 22.10.2011
Abbildung 2.4: http://www.forestarius.de/images/reichsteilungen_843.jpg, Zugriff 18.10.2011
Abbildung 2.5: http://www.walserweg.ch/besiedlung.html, Zugriff 19.10.2011
Abbildung 2.6: http://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten /phil_Fak_III/Geschichte/w98vsmm42.htm,
Zugriff 19.10.2011
Abbildung 2.7: http://www.laternsertal.at/nexus3 /WebObjects/nexus3.woa
/wa/article?id=12803&ru bricid=751&menuid=796&back=rp, 26.10.11
Abbildung 2.8: http://www.laternsertal.at/laterns/images/large/2001/laterns20010920000022L.jpeg,
Zugriff 18.10.11
Abbildung 2.9: Emile Edea
Abbildung 2.10: Emile Edea
Abbildung 2.11: Emile Edea
37
Abbildung 2.12: http://www.alpentourer.de/alpenpaesse/region1/furkajoch/karte_furkajoch/karte_ furkajoch.html
Abbildung 2.13: Emile Edea
Abbildung 2.14: http://de.wikipedia.org/wiki/Montfort_(Adelsgeschlecht), Zugriff 12.11.2011
Abbildung 2.15: Luise Porst
Abbildung 2.16: Luise Porst
38
3. EXKURSIONSTAG 3, 21.09.2011
Mamoudou Ag Youssouf, George Ronesle Soares Rocha
Programm
Zeit Ort/Themen/Aktivitäten Referenten/Beteiligte
8.00 - 8.45 Uhr Frühstück Fibe Alle
8.45 - 9.30 Uhr Einführung in die Orogenese und Geologie der Alpen J. Vogt, A. Megerle
10.00 - 17.30 Uhr
Alpintour (Wanderung) Portlahorn:
„Ökologie als Wirkfaktor regionalwissenschaftlichen
Kontextualisierens am Beispiel der Höhenstufen in
den Alpen“
J. Vogt
A. Megerle
17.30 - 18.30 Uhr Ankunft im Seminarhaus Fibe und Pause
18.30 - 19.30 Uhr Abendessen im Seminarhaus Fibe
20.00 - 21.00 Uhr Reflexion, Planspiel: Planungsausschusssitzung
Alle
Der dritte Exkursionstag umfasste eine etwa sechsstündige Rundwanderung vom Furkajoch (auf 1759
m ü. N.N.) über das Portlahorn (2010 m ü. N.N.) und die Sünser Alp zurück zum Ausgangspunkt,
welche unter dem Thema „Ökologie als Wirkfaktor regionalwissenschaftlichen Kontextualisierens am
Beispiel der Höhenstufen in den Alpen“ stand. Zudem wurden einige wichtige Gesichtspunkte der
Geologie und Morphologie der Alpen besprochen.
Abb. 3.1: Exkursionsroute
3.1. Die Entstehung der Alpen
Während die eigentliche Herausbildung der Alpen als Gebirge während des Tertiärs erfolgte, liegt die
Entstehung der Gesteine der heutigen Alpen mehr als 200 Mio. Jahre zurück. Zu dieser Zeit (am Ende
Exkursionsroute
39
der Trias) befand sich im späteren Sedimentationsraum der Alpen ein Meeresbecken, die Tethys, in
dem sich über einen langen Zeitraum hinweg die Ablagerung und Bildung mariner Karbonatgesteine
der alpinen Trias (Riffkalk, Dolomit) unter tropischen Klimaverhältnissen6 vollzog. Dazu kommen
kreidezeitliche Flysch-Gesteine (Tiefseebildungen mit Wechsel tonig-mergeliger und sandig-kalkiger
Bänke) und kalkig-sandige Flachwasserbildungen des Randmeeres (helvetische Fazies) sowie
vereinzelt noch Molasseablagerungen, die dann später (im Tertiär) das Ausgangsmaterial für die
alpine Orogenese bildeten. Infolge der Konvergenz der eurasischen und afrikanischen Platte (inkl. der
dieser vorgelagerten adriatischen Platte) kam es zur intensiven Auffaltung der mächtigen
Sedimentschichten und zur Überschiebung der verschiedenen Gesteinspakete
(Deckenüberschiebungen), folglich auch zu deren Transport über z.T. mehrere hundert Kilometer,
sodass die ursprünglich triassischen Meeressedimente heute die nördlichen und südlichen Kalkalpen
bilden (vgl. AHNERT 2009: 255; HENNINGSEN/KATZUNG 1992: 139ff.).
Abb. 3.2: Geologischer Schnitt durch die westlichen Ostalpen und Südalpen
Ein Profil von Norden nach Süden umfasst also heute folgende Gesteinsformationen:
Im Norden, im Alpenvorland, liegt die gerade noch durch die Alpenfaltung beeinflusste
Faltenmolasse (Abtragungsmaterial), nach Süden hin schließen sich helvetische Decken an
(Helvetikum, unter flachmarinen Bedingungen abgelagertes Gestein), dann das Penninikum
(Tiefseefazies, Turbidite, Flysch, Kalzite), teils überschoben von kristallinem Gestein. Noch weiter
nach Süden hin schließt sich dann das Südalpin (Kalk) an (vgl. AHNERT 2009: 255), gefolgt vom
Kristallin. Es handelt sich dabei angesichts der Faltungen und Überschiebungen selbstverständlich
nicht um glatte Decken, auch das Kristallin (der variszischen Orogenese vor 330 Mio. Jahren im
Karbon und Perm) ist nicht mehr als Sockel, sondern als Decke zu bezeichnen, da sich jüngere
Schichten (Penninikum, Südalpin) darunter schoben und es vom Sockel abriss. Generell stimmt die
horizontale Gliederung der Gesteinsschichten nicht mit der zeitlichen Folge ihrer Ablagerung überein,
sondern infolge der Überschiebungen können jüngere Sedimente durchaus unter älteren
Gesteinsschichten liegen (siehe dazu Abb. 3.2).
6 Das Gebiet der heutigen Alpen befand sich zu dieser Zeit als Teil Pangäas näher am Äquator als heute, es herrschte tropisches Klima (vgl. MARTHALER 2002)
40
Wie bereits erwähnt, resultieren die Alpen aus der Kollision der eurasischen und afrikanischen bzw.
adriatischen Platte. Derartige Bewegungen der Kontinentalplatten in der Lithosphäre (Erdkruste und
oberer Erdmantel) werden angetrieben durch die Konvektionsströme im Erdmantel. Man
unterscheidet konvergente, divergente und transkurrente Bewegungen der Platten. Die konvergente
Verschiebung führt zur Bildung von Gebirgsformationen und Vulkanen, als Resultat divergenter
Bewegungen bilden sich vor allem Schluchten und Gräben, während Erdbeben hauptsächlich bei
transkurrenten Bewegungen auftreten (vgl. MARTHALER 2002: 27; PRESS/SIEVER 2003: 71f., 516).
Abb. 3.3: Lage der Kontinente im Zeitalter der Trias, vor 200 Mio. Jahren
Abb.3.4: Zerfall von Pangäa durch eine divergente Plattengrenze
Nachdem Pangäa, vor ca. 200 Mio. Jahren, durch die Öffnung der Tethys nach Westen hin zerfallen
war (s. Abb. 3.3 und 3.4), weitete sich der Ozean zwischen Westafrika und dem südlichen
Nordamerika aufgrund der ständigen Produktion neuer ozeanischer Kruste am Meeresboden
(Atlantik) aus. In gleicher Weise bildete sich zwischen Europa und Afrika das penninische
Meeresbecken heraus. Darin lagerten sich jene Tiefseegesteine ab, deren Formation heute nach
deren Ablagerungsraum als Penninikum bezeichnet wird. So ergibt sich des Weiteren die Gliederung
der Sedimentationsgebiete der heutigen alpinen Gesteine in den Helvetischen Schelf am Rand der
europäischen Platte, das Ozeanbecken selbst (Tiefsee) sowie den Ostalpinen Schelf (vgl. PFIFFNER
2010: 25ff.; BAHLBURG/BREITKREUZ 2008: 331ff.).
41
Am Ende der Kreidezeit kam es zur Konvergenz und schließlich zur Kollision der afrikanischen mit der
eurasischen Platte, wodurch sich das Tethysmeer verengte (vgl. AHNERT 2009: 32). An diesen aktiven
Kontinentalrändern, welche sich i.A. durch den Prozess der Subduktion ozeanischer unter
kontinentale Kruste auszeichnen, entstanden vor ca. 65 Mio. Jahren die Alpen (vgl. AHNERT 2009:
36f.). Einhergehend mit der weitgehenden Subduktion ozeanischer Kruste (Penninikum) unter das
Ostalpin sowie in Kombination mit Verwerfungen, Auffaltungen und Überschiebungen entstand das
komplizierte System aus Gesteinsdecken unterschiedlicher Fazies, welches heute die Alpen prägt (s.
Abb. 3.5).
Vor etwa 30 Mio. Jahren wurde dann infolge des Ungleichgewichts der Massenverteilung, das sich
aus der Verdickung der kontinentalen Kruste nach dem Zusammenprall der beiden Kontinente
(Europa und Afrika) ergab, eine Aufwölbung der Alpen in Gang gesetzt (isostatischer Ausgleich)7,
welche das heutige Hochgebirge entstehen ließ. Dieser Hebungsprozess hält auch weiterhin an,
obgleich in geringerem Ausmaß (vgl. PRESS/SIEVER 2003: 259ff., 575ff.).
Abb. 3.5: Entstehung einer Überschiebungsdecke
Im Eozän begann die Absenkung des dem entstehenden Orogen nördlich vorgelagerten Gebiets, so
dass im Alpenvorland die Paratethys als mariner Sedimentationsraum entstand (welcher geprägt war
durch einen Wechsel von Transgressionen und Regressionen). Die nach Norden gerichteten
Überschiebungen des Gebirges setzten sich allerdings währenddessen fort, sodass die im
Entstehungsprozess befindlichen Molassesedimente (bestehend aus dem Abtragungsmaterial der
7 Je höher ein Gebirge über N.N. aufragt, desto tiefer ragt es auch in das Erdinnere hinein, denn das auf der Erdkruste lastende Gewicht ist höher, sodass diese sich absenkt. Die daraus entstehende Ausbeulung an der Unterseite der Kruste sorgt für den Auftrieb der Masse, führt also zur Hebung (vgl. PRESS/SIEVER 2003: 515).
42
entstehenden Alpen) selbst in die Verfaltung einbezogen wurden und mithin als Gesteinsdecken zum
weiteren Aufbau des Gebirgskörpers beitrugen (subalpine Molasse, vgl. BAHLBURG/BREITKREUZ 2008:
272f.; ZAUGG 2000: 4f.; vgl. Abb. 3.2 und 3.6).
Abb. 3.6: Geologischer Schnitt durch das Alpenvorland und die nördlichen Alpen
3.2. Alpen: Pleistozäne und holozäne Überprägung
Die weitere Oberflächengestaltung der Alpen, nach Ende der tektonischen Aktivitäten und damit
verbundener Überschiebungen und Verwerfungen, war zunächst geprägt durch Erosionsprozesse
aufgrund fluviatiler Dynamik und Murgängen, im Pleistozän spielte die glaziale Überprägung die
entscheidendste Rolle bei der weiteren Reliefgestaltung der Alpen, während danach wieder vor allem
Flussläufe die Oberfläche der Alpen einem Prozess stetigen Umformens aussetzen.
Zu den zahlreichen Hinweisen auf die glaziale Überprägung der Oberflächengestalt der Alpen
während der pleistozänen Vereisung zählen neben den bereits angesprochenen Hängetälern, Grund-
und Endmoränen u.a. auch Mittel- und Seitenmoränen, Kare, Karschwellen und -seen sowie
Gesteinskritzungen.
Abb. 3.7: Glaziale Kritzungen im Gestein
Letztere deuten auf die Bewegung und Bewegungsrichtung eines Gletschers hin. Die vom Gletscher
an dessen Unterseite eingeschlossenen und transportieren Gesteinstrümmer üben Schleif- oder
Kratzwirkungen auf den Untergrund eines Gletschers aus (Detersion), was Gletscherschrammen oder
43
Kritzungen hinterlässt (vgl. PRESS/SIEVER 2003: 397, AHNERT 2009: 308; vgl. Abb. 3.7). Aus diesen lässt
sich bspw. auch rekonstruieren, dass Gletscher, aufgrund ihrer plastischen Bewegen (Eisströme),
auch Bergkämme entgegen der Hangabtriebskraft überfließen können. Man spricht in diesem
Zusammenhang von Transfluenz8. Infolge der seit der Eiszeit dauernden Verwitterungsprozesse
nehmen derartige Spuren am Gestein (Kritzungen oder Schrammen) allerdings an Deutlichkeit ab, bis
sie gänzlich verschwinden.
Ein Kar bezeichnet eine Geländeeintiefung, welche auf das Vorhandensein eines Gletschers in einer
Hangmulde zurückzuführen ist. Infolge der Hangabwärtsbewegung des Gletschers, verbunden mit
Abtragungsprozessen, erfolgt die Vergrößerung und weitere Vertiefung der Mulde, so dass ein Kar
entsteht (s. Abb. 3.8). Die andauernde Erosion führt zudem zum Abreißen des Eises am Rückhang des
Kars, wodurch eine Spalte zwischen Gletscher und dem am Hang angefrorenen Eis entsteht, der
Bergschrund (vgl. AHNERT 2009: 306). Der hauptsächlich durch Frostverwitterung erzeugte
Gesteinsschutt wird vom Gletscher aufgenommen, abtransportiert und am Ende des Gletschers zu
einer Moräne (Karschwelle) aufgehäuft. Da die Abtragung im Bereich des Bergschrundes in höherem
Ausmaß erfolgt als am darüber liegenden Hang, kommt es zur Zurückdrängung und Übersteilung des
Karrückhangs. Im Bereich der Gletscherzunge ergibt sich eine geringere Eintiefung des Geländes, im
Gegensatz zum Zentrum des Kargletschers, wo die Mächtigkeit des Eises am größten ist und mithin
die intensivste Tiefenerosion stattfindet. Folglich bildet sich ein von den übersteilten Hängen und der
Karschwelle begrenztes übertieftes Becken heraus, welches sich nach der Gletscherschmelze zu
einem Karsee entwickeln kann (s. Abb. 3.8, vgl. AHNERT 2009: 310), der in der Folgezeit häufig
vermoort.
Kare können auch als Ursprung von größeren Talgletschern fungieren, denn bei großem
Schneeüberschuss fließen Gletscherzungen weit aus dem Kar heraus, teils bis ins Tal, zum Teil sogar
in das Vorland. Eine Karschwelle wird in einem solchen Fall entweder erst gar nicht gebildet bzw.
wird durch Überfahrung wegerodiert. Der Großteil der Talgletscher allerdings entsteht aus dem
Zusammenfluss mehrerer Kargletscher (vgl. AHNERT 2009: 306). Sie werden durch Mittelmoränen
getrennt, welche heute als kleinere Geländeerhebungen an vielen Stellen in den Alpen zu erkennen
sind (Beispiel: am gegenüberliegenden Hang des Unterkunftshauses in Laterns). Sie stellen einen
Streifen aus Gesteinsschutt dar, dessen Entstehung sich auf die Vereinigung der Seitenmoränen beim
Zusammenfließen zweier Gletscher zurückführen lässt (vgl. AHNERT 2009: 313).
8 Transfluenz bezeichnet das Abfließen eines Gletschers über einen (Transfluenz-)Pass in ein anderes Talsystem. Durch die daraus resultierende Verringerung der Eismächtigkeit und Erosionskraft des Gletschers können im Haupttal die für das Längsprofil glazialer Talformen typischen Schwellen entstehen (vgl. BRUNOTTE et. al 2002: 367).
44
Abb.3.8: Sünser See, ein Karsee, vor seiner typischen übersteilten Rückwand. Deutlich zu erkennen ist ein weiteres, darüberliegendes Kar (ohne See), so dass von einer Kartreppe gesprochen werden kann, Zeuge der sich im Pleistozän und Nachpleistozän verändernden klimatischen Schneegrenze
3.3. Höhenstufen und Lebensräume
Abb. 3.9: Höhenstufen in den Alpen
In Gebirgen unterscheidet man unterschiedliche Höhenstufen, denen jeweils potenziell natürliche
Waldgesellschaften zugeordnet werden (s. Abb. 3.9). Als unterste Stufe dieser vertikalen Zonierung
45
gilt die kolline Stufe, welche in den Alpen bis etwa 500 (N) bzw. 800 m (S) reicht und in der Eichen als
wichtige Baumart eine große Rolle spielen. Darüber folgt die submontane Stufe bis 800/1000 m, die
in den nördlichen Randalpen hautsächlich aus Buchen besteht. Die Höhenlage zwischen 800 bis 1400
m in den Nordalpen bzw. 1000 bis 1600 m in den Südalpen bezeichnet man als montane Stufe. Dort
kommen neben Nadelgehölzen (eigentlich Tannen, infolge des anthropogenen Einflusses wie
Aufforsten und historische Waldübernutzung überwiegt heute allerdings das Auftreten der Fichte),
auch Laubbäume vor, hauptsächlich die Buche, ferner der Berg-Ahorn. Daran schließt sich die
subalpine Stufe auf 1400/1600 bis 2100/2300m an, deren Wälder nach oben hin (Waldgrenze!)
lichter werden und die in den Nordalpen hautsächlich aus Fichten bestehen (s. Abb. 3.10 und 3.11).
Auf einer Höhe von ca. 2300m bis 2800m spricht man von der alpinen Stufe, auf welcher keine
Bäume mehr leben können, so dass Zwergsträucher und Rasen dominieren. Die subnivale Stufe,
deren Höhenlage bei 2800/3000-3000/3500m liegt, ist durch inselartige Rasen- und
Polsterpflanzenformationen sowie Moosen und Flechten gekennzeichnet, während in der nivalen
Stufe auf >3000m ü.N.N. nur noch einzelne Flechten, Moose und wenige Stauden leben können, und
dass nur an nicht bzw. nicht zu lange von Eis bzw. Schnee bedeckten Standorten wie steilen
Felshängen (vgl. MERTZ 2008).
Die Wanderung begann auf einer Höhe von ca. 1.700 Metern ü. N.N., bezogen auf die Höhenstufen-
Gliederung also im Bereich der hochmontanen bis subalpinen Stufe. Allerdings hat der Mensch durch
seine intensive Nutzung der Hochlagen (Rodungen, Alpwirtschaft mit Waldweide, früher auch
Ackerbau) bereits in historischer Zeit die Vegetation sowie die Standorte um fast eine ganze
Höhenstufe verändert. Zu sehen waren deshalb hauptsächlich Inseln aus Fichtenwäldchen. Nur ganz
selten waren einzelne Vogelbeeren oder Buchen zu sehen. Dafür dominieren
Zwergstrauchformationen (Heidelbeere, Rauschbeere, Alpenrosen, Zwergweiden u. a.) sowie Gras-
und Staudengesellschaften (s. Abb. 3.10 und 3.11).
Abb. 3.10 und 3.11: Reliktische Waldinseln in der hochmontanen bis subalpinen Stufe im Bereich Portlahorn – Sünser Spitze
Die Heidelbeere (s. Abb. 3.14) wirft ihre Blätter im Herbst ab, kann aber auch danach assimilieren
(Photosynthese über immergrüne Zweige). Im Gegensatz dazu erfolgt die Photosynthese bei der
Rauschbeere (s. Abb. 3.13), welche der Heidelbeere sehr ähnlich ist, ausschließlich über deren
Blätter. Beide Pflanzenarten kommen aufgrund ihrer geringen Wuchshöhe mit einer nur dünnen
46
schützenden Schneedecke aus (vgl. HESS 2000: 110). Weiterhin tritt auf dieser Höhenstufe die
Alpenrose auf (s. Abb. 3.12), welche aufgrund ihrer hohen Frostempfindlichkeit lediglich an
Standorten mit einer dickeren schützenden Schneebedeckung im Winter vorkommt (vgl. HESS 2000:
110).
Als charakteristisch für diese alpwirtschaftlich genutzten Höhenlagen erweist sich die kleinräumige
Vielfalt verschiedenster Lebensräume auf kleinem Raum. Diese sind auch bedingt durch kleinräumige
Relief- und Expositionswechsel (zum Beispiel bedingt durch geologische Härtlingsstrukturen).
Aufgrund der häufigen extremen Witterungsbedingungen mit ihren Wirkfaktoren Sonne, Wind,
Schnee und Eis können dabei auch kleine Reliefunterschiede zu einer Akzentuierung der
Standortunterschiede führen. Diese Biotopvielfalt ist aber vor allem bedingt durch eine differenziert
intensive weidewirtschaftliche Nutzung, die u. a. zu einem Nährstoffgradienten von den Almen hin zu
den peripheren Weidegebieten führt. Vor allem an den Almgebäuden und an anderen
windgeschützten Viehlagerplätzen tritt die aus Stickstoffzeigern aufgebaute Lägerflur (Brennessel,
Alpenampfer, Wolfseisenhut) auf.
Abb. 3.12: Alpenrose Abb. 3.13: Rauschbeere
Abb. 3.14: Heidelbeere
Borstgrasrasen mit dem Namen gebenden Borstgras (Nardus stricta) sowie mit dem Heidekraut
(Calluna Vulgaris, s. Abb. 3.15), treten bis zur alpinen Stufe auf sauren, nährstoffarmen Böden auf ,
auf denen es dominieren und deshalb regelrechte Rasen bilden kann (vgl.
GERBER/KOZLOWSKI/MARIÉTHOZ 2010: 172). Häufig weisen Borstgrasrasen auf anthropogen bedingte
Bodendegradierungen als Folge historischer Übernutzungen hin. In Feuchtheiden und Mooren
gesellen sich auf den sauren Standorten Moose der Gattung Sphagnum hinzu (Abb. 3.16). Sie können
große Mengen Wasser speichern und bedingen die Ökosystemdienstleistung „Wasserretention“ von
Hochmooren.
47
Abb. 3.15: Heidekraut Abb. 3.16: Moose der Gattung Sphagnum
Aufgrund der Alpwirtschaft kommt es in deren Einflussbereich zum Auftreten und zur Häufung von
Pflanzenarten, die sich an durch anthropogene Eingriffe gestörten, eutrophen Standorten durch
besondere Konkurrenzstärke gegenüber anderen Arten auszeichnen. Solche Ruderalstandorte
entstehen bspw. auf Böden, die aufgrund der räumlichen Konzentrationen von Exkrementen des
Viehs (häufig frequentierte Bereiche wie Windschutzlagen, Bereiche um die Alpgebäude, etc., s.
Abb. 3.18) eine erhöhte Stickstoffkonzentration aufweisen. Ebenso trägt die touristische Nutzung
der Flächen (als Wandergebiet) zum erhöhten Nährstoffeintrag bei. Dazu kommt die Trittwirkung,
sowohl von Kühen wie von Menschen. Diese Standortfaktoren begünstigen die Verbreitung von
Stickstoff- (Beispiel: Brennnessel) und Trittzeigern (Beispiel: Frauenmantel, s. Abb. 3.17, vgl. GODET
2000: 245). Der Frauenmantel zeigt überdies eine besondere Anpassung an den für diese
Höhenlagen häufig auftretenden Wasserüberschuss im Boden: Überschüssiges Wasser kann von
diesen Pflanzen in Form von Guttation aktiv über die Blattränder ausgeschieden werden.
Abb. 3.17: Frauenmantel
Besondere Lebensräume in Hochgebirgen sind Feuchtgebiete wie Quellen, Bäche, Seen (Beispiel:
Karseen) sowie kleine Stillgewässer wie dem Blauen See (Mittagsrast), der durch eine Rutschung
entstanden ist.
Typische Vertreter der Biozönosen dieser Biotoptypen sind Amphibien wie Frösche, Kröten und
Molche. Entlang des Wanderweges konnten zwei verschiedene Amphibienarten identifiziert werden:
Grasfrosch (Rana temporaria, adult, an einem quelligen Grünlandstandort, Abb. 3.19) sowie
Bergmolch (Ichthyosaura aopestris, Larve, Blauer See, Abb. 3.20).
48
Abb. 3.18: Alpe mit Stall und saisonal genutztem Wohngebäude, heutzutage häufig mit touristischer Nutzung „Jausenstation“
Abb. 3.19: Grasfrosch Abb. 3.20: Bergmolchlarve
49
Insgesamt ließ sich während der Wanderung eine große räumliche Dichte, zum Teil auch
Überlagerungen diverser Nutzungen feststellen. Besonders deutlich wurde die Bedeutung der
Alpwirtschaft nicht nur als an die Höhenökosysteme angepasste, landwirtschaftliche
Produktionsform, sondern auch als Garant für den Erhalt einer hohen Biotop- und Biodiversität.
3.4. LITERATURVERZEICHNIS Exkursionstag 3
AHNERT, F. (2009): Einführung in die Geomorphologie. Stuttgart
BAHLBURG,H.; BREITKREUZ, C. (2008): Grundlagen der Geologie. Spectrum Akademischer Verlag
BROGGI, GRABHERR, ALGE, GRABHERR (1991): Biotope in Vorlarlberg : Natur und Landschaft in Vorlarberg.
Vorlarberger Verlagsanstalt
BRUNOTTE, Ernst; GEBHARDT, Hans; MEURER, Manfred (2002): Lexikon der Geographie - Ökos bis Wald.
Spektrum Akademischer Verlag GmbH. Heildelberg / Berlin
GERBER, E.; KOZLOWSKI, G.; MARIÉTHOZ, A.(2010): Die Flora der Voralpen. Haupt
GODET, Jean-Denis (1999): Blumen der Felsen, Halden, Moränen, Rasen, Weiden und Waldränder. Thalacker
Medien
HENNINGSEN, D.; KATZUNG, G. (1992): Einführung in die Geologie Deutschlands. Stuttgart
HESS, Dieter (2001): Alpenblumen: Erkennen – Verstehen – Schützen. Eugen Ulmer
HOFER, Rudolf (Hrsg.) (2009): Die Alpen: Einblicke in die Natur. Innsbruck University Press
KWET, A. (2010): Reptilien und Amphibien Europas. 190 Arten mit Verbreitungskarten. Stuttgart
MARTHALER, Michel (2002): Das Matterhorn aus Afrika: die Entstehung der Alpen in der Erdgeschichte. Ott
Verlag
MERTZ, Peter (2008): Alpenpflanzen in ihren Lebensräumen. Haupt
OBERRAUSER, R., RATAJ, W. (1996): Geologisch-Tektonische Überschichtkarte von Vorlarlberg 1:200000.
Geologische Bundesanstalt. Wien
PFIFFNER, O. Adrian (2010): Geologie der Alpen. 2. Auflage. Haupt
PRESS, F.; SIEVER, R. (2003): Allgemeine Geologie. Einführung in das System Erde. 3. Auflage. Elsevier,
München
ZAUGG, A. (2000): Vom Hegau zum Säntis – das Verbreitungsgebiet der Molasse. In: Kommission der
Internationalen Bodenseekonferenz (Hrsg.): Feuer, Eis und Wasser. Streifzüge durch die Landschafts- und
Entstehungsgeschichte der Bodenseeregion. S. 4-5
3.5. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Exkursionstag 3
Abbildung 3.1: http://www.damuels.at/xxl/de/map/index.html, Zugriff 22.10.2011
Abbildung 3.2: Ahnert 2009: 255
Abbildung 3.3: http://geologisch.wordpress.com/2011/03/08/die-erde-und-ihr-klima-ein-palaoklima
tologischer-exkurs/, Zugriff 29.01.2012
Abbildung 3.4: Marthaler 2002: 29
Abbildung 3.5: Egli 1961
Abbildung 3.6: http://www.lfu.bayern.de/geologie/geotope_schoensten/48/index.htm, Zugriff
29.01.2012
Abbildung 3.7: George Rocha
Abbildung 3.8: Luise Porst
Abbildung 3.9: http://www.geodz.com/deu/d/H%C3%B6henstufen, Zugriff 29.01.2012
Abbildung 3.10: Luise Porst
Abbildung 3.11: Luise Porst
50
Abbildung 3.12: George Rocha
Abbildung 3.13: http://www.rotholl.at/archiv/beeren-fruechte-1/rauschbeere/19893.html,
Zugriff 20.11.2011
Abbildung 3.14: http://de.wikipedia.org/wiki/Heidelbeere, Zugriff 20.11.2011
Abbildung 3.15: George Rocha
Abbildung 3.16: George Rocha
Abbildung 3.17: Godfried Koukoubou
Abbildung 3.18: George Rocha
Abbildung 3.19: http://www.naturzentrumglarnerland.ch/glarner-naturlexikon/g/grasfrosch-gl/,
Zugriff 20.11.2011
Abbildung 3.20: George Rocha
51
4. EXKURSIONSTAG 4, 22.09.2011
Yasmina Adebi, Md. Shamimul Islam
Programm
Abb. 4.1: Fahrtroute Laterns – Dornbirn, inatura
Zeit Ort/Themen/Aktivitäten Referenten/Beteiligte
8.30 - 9.30 Uhr Fahrt Laterns - Dornbirn (inatura) Alle
9.30 - 12 Uhr inatura: Geschichte des Standorts von inatura als "hot
spot" der Industriegeschichte Vorarlbergs
Ruth Swoboda
(inatura)
12.00 - 13.30 Uhr Mittagspause Alle
13.30 - 17.15 Uhr
Fußexkursion und Vorstellung des Naturschutzprojektes
„Renaturierung/Aufweitung Steinebach/Fischbach im
Bereich Bickweg“ als Beispiel für ein Naturschutzprojekt
im dichter besiedelten Raum
A. Megerle
J. Vogt
Klaus Zimmermann
(inatura)
17.45 - 19.35 Uhr Rückfahrt
Abendessen im Seminarhaus Fibe Alle
19.30 - 21.45 Uhr Besuch des Walserhauses in Laterns Alle
N
52
4.1. Einleitung
Für diesen Tag waren vier Exkursionsziele von Bedeutung:
1. Das Verstehen der Bedeutung des Standorts der inatura als "hot spot" der Industriegeschichte
Vorarlbergs
2. Das Verstehen der Vor- und Nachteile des Modells inatura als gesetzlich verankerte, aber
privatrechtlich organisierte Institution zur Umweltbildung und Naturschutzberatung der
Landesregierung und der Vorarlberger Bevölkerung
3. Die Veranschaulichung einer solchen Beratung am Beispiel eines praktischen Naturschutzprojekts
am Beispiel des Projekts „Renaturierung/Aufweitung des Steinebachs/Fischbachs im Bereich
Bickweg“ in Dornbirn
4. Die Veranschaulichung des Lebens von Walsern in einem Walserhaus (Fallbeispiel Walserhaus von
Benno Finke in Laterns).
4.2. Dornbirn
Dornbirn liegt in Vorarlberg, dem westlichsten Bundesland Österreichs, auf 437m Höhe
im Rheintal am Fuße des Bregenzerwaldes. Aufgrund ihrer Wirtschaftskraft stellt die 45.797
Einwohner (Stand 30. Juni 2011) zählende Stadt eines der wichtigsten Zentren Vorarlbergs dar.
Neben Bregenz als Verwaltungszentrum (zugleich kulturellem Schwergewicht) – Landesregierung
sowie Landestheater- und Museum befinden sich dort – und Feldkirch als Justizzentrum Vorarlbergs
(Landesgericht) bildet Dornbirn den industriellen Mittelpunkt des Alpenrheintals, und ist zudem
Standort etlicher Wissens- und Medieninstitutionen (FH, Wirtschaftsforschungsinstitut, ORF; vgl.
SALZMANN/ZECH 2009: 84). Diese Aufteilung dieser zentralörtlichen Funktionen auf drei
unterschiedliche Standorte Vorarlbergs erhöht das Verkehrsaufkommen innerhalb der Region.
Zudem stellt die großflächige Ausbreitung Dornbirns aufgrund seiner Genese aus mehreren
zusammen gewachsenen Dörfern eine planerische Herausforderung dar.
Die relativ frühe Industrialisierung der Stadt (ab den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts) und ihrer
Umgebung steht mit ihrer vormaligen Funktion als Standort des Weinbaus in Zusammenhang. Die
Ende des 17./Anfang des 18. Jh. einsetzende, das mittelalterliche Klimaoptimum ablösende kleine
Eiszeit sorgte für den Niedergang dieses landwirtschaftlichen Sektors – zu kurze Sommer sowie
Rebkrankheiten gefährdeten den Bestand – was die im Weinbau Beschäftigten zur Schaffung
alternativer Verdienstmöglichkeiten zwang. Da sich eine ausschließliche Konzentration auf die
Grünlandwirtschaft als ungenügend erwies, entwickelte sich der Flachsanbau in stärkerem Maße und
die Baumwollverarbeitung sowie Spinnerei ließen ein Zentrum der Textilindustrie entstehen.
Der Hauptfluss Dornbirns ist die Dornbirner Ach bzw. Ache, die das Ortsgebiet in zwei Hälften teilt
und früher häufig über ihre Ufer trat, was deren Begradigung bedingte. Inzwischen ergab sich daraus
wiederum ein für den Naturschutz relevantes Handlungsfeld, was sich im Bestreben um eine
Renaturierung des Flusses widerspiegelt.
4.3. inatura
4.3.1. Geschichte des Standorts von inatura
Die im Jahre 1827 von Josef Ignaz Rüsch gegründete Maschinenfabrik und Eisengießerei im
Dornbirner Stadtteil "Schmelzhütten" war einer der wichtigsten Maschinenbau-Betriebe Vorarlbergs.
53
Aufgrund der relativ frühen Mechanisierung der Textilindustrie ist die regionale Kopplung dieser
beiden Industriebereiche in vielen Regionen zu beobachten. Der Niedergang vieler europäischer
Textilunternehmen begann mit der Globalisierung der Produktion in den sechziger und siebziger
Jahren und setzte sich bis in die jüngste Zeit hinein fort. Auch die Rüsch-Werke waren davon
betroffen, so dass der Betrieb im Jahr 1984 eingestellt wurde.
Zur Entwicklung einer Nachfolgenutzung des großräumigen Werkareals wurde 1988 ein Wettbewerb
für dessen Bebauung ausgeschrieben. Diese sollte Flächen für ein Vorarlberger Industriemuseum
sowie Wohnungen und Dienstleistungsbetriebe an diesem zentralen Standort umfassen. 1999
entschied man sich schließlich, gemeinsam mit dem Projektpartner F.M. Hämmerle Holding AG, auf
dem ehemaligen Rüsch-Werke-Areal ein Museum für Naturkunde (speziell des Raumes Vorarlberg),
kombiniert mit der Geschichte dieses Industriestandortes zu realisieren. Die Eröffnung der inatura,
deren Trägerschaft je zur Hälfte den Händen der Stadt Dornbirn und des Landes Vorarlberg liegt,
erfolgte im Juni 2003 (s. Abb. 4.2-3). Ursprünglich lässt sich die Idee der Museumsgründung auf die
Initiative des Fabrikanten und Sammlers Siegfried Fussenegger (1894-1966) zurückführen, dessen Ziel
in der Schaffung eines modernen und lebendigen Museums für die Bevölkerung des Landes
Vorarlberg bestand (vgl. http://www.inatura.at/Geschichte.6058.0.html; s. Abb. 4.2-3).
Abb. 4.2-3: Erstes Museum Siegfried Fusseneggers in der Fronfeste (=Altes Rathaus) und neues Museum inatura
4.3.2. inatura heute
Im Jahr 2003 fiel mit der Eröffnung der inatura in Dornbirn der Startschuss für ein bis dahin in
Vorarlberg noch nicht erprobtes Museumskonzept der erlebnisorientierten Vermittlung
naturkundlicher Themen, was durch die Einrichtung der Science Zones noch um die Disziplinen Physik
und Technik erweitert wurde. Hinter diesen interaktiven Bereichen des Museums steht das Konzept
«learning by doing». Indem auf diese Weise das Erleben der Museumsbesucher über mehrere Sinne
vollzogen werden kann, ergänzt das Science Center die bestehende, didaktisch eher traditionelle
Ausstellung der inatura (vgl. www.biologiezentrum.at; inatura aktuell 01/2011: 3, s. Abb. 4.4 – 4.6).
Den Großteil der Besucher bilden Österreicher (50%), deutsche Besucher machen einen Anteil von
54
30% und Schweizer von 20% aus. Über die Hälfte der Besucher sind Kinder und Jugendliche, welche
die inatura vor allem in Kindergartengruppen oder Schulklassen sowie im Familienverband besuchen.
Abb. 4.4: Die Schau- und Erlebnisräume der inatura zeigen das Konzept der Verbindung eines Industriedenkmalrahmens mit naturkundlichen Vermittlungsinhalten
Abb. 4.5-6: Installationen zur spielerischen Entdeckung komplexer naturwissenschaftlicher Prozesse
Seit April 2011 hat Frau Mag. Ruth Swoboda die Position als naturwissenschaftliche Direktorin der
inatura inne. Die Aufgaben der inatura umfassen neben der Sammlung und Bewahrung von Tieren und
Pflanzen ebenso die Präsentation von Daten sowie die Forschung im Bereich Naturschutz, Klimawandel
und Biodiversität. Daher bestehen zum einen Kooperationen mit anderen österreichischen
Bildungseinrichtungen, wie bspw. dem LFI Vorarlberg (Ländliches Fortbildungsinstitut) oder dem
Science Center Netzwerk. Zum anderen gewährt die inatura finanzielle Unterstützung für
wissenschaftliche Forschungsvorhaben (mit thematischem Bezug auf Vorarlberg). Eine wichtige
Funktion ist die naturschutzfachliche Beratung von Bürgern, aber auch Politikern bzw. anderen
Verwaltungsstellen in Vorarlberg. Weiterhin befinden sich in den Räumlichkeiten der inatura sowohl
55
die Geschäftsstelle des Vorarlberger Naturschutzrates als auch die Naturschutzanwaltschaft, welche im
genannten Rat die NGOs des Landes vertritt (vgl. http://www.naturschutzrat.at/, 13.11.2011).
Seit 2007 tragen das Land Vorarlberg sowie die Stadt Dornbirn je zur Hälfte die Ausgaben der inatura,
wobei das Land für die Deckung der im Bereich Forschung sowie für den Naturschutzrat anfallenden
Kosten allein aufkommt. Im Jahr 2003 bspw. betrugen die Landesausgaben für die inatura insgesamt
ca. € 1,5 Mio. (vgl. LANDESRECHNUNGSHOF VORARLBERG 2005: 9).
Die inatura fördert die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung in allen Disziplinen und vergibt
Forschungsaufträge mit spezieller Fokussierung auf Biodiversität und Naturschutz in Vorarlberg.
Forschungsförderung in Form von finanzieller Unterstützung wird Projekten bereitgestellt, die der
Erweiterung der Kenntnisse über die Natur Vorarlbergs dienen. Gewonnene Forschungsergebnisse
stehen sowohl für Naturschutzzwecke als auch für die Aufnahme in internationale Biodiversitäts-
Informationssysteme zur Verfügung (vgl. www.inatura.at, 11.11.2011).
4.4. Fußexkursion entlang des Steinebachs/Fischbachs in Dornbirn
Der durch Dornbirn verlaufende Steinebach kommt aus dem östlich an das Rheintal angrenzenden
Gebirge. Mit seinem starken Gefälle besitzt er eine hohe Transportkraft. Aus diesem Grund kann er
auch Material großer Korngrößen mitführen. Das starke Gefälle, verbunden mit einer hohen
Geschiebeführung, führt zu einer starken Tiefenerosion und zur Entstehung von Tobeln
(Alemannischer Regionalbegriff für tiefe, häufig waldbestandene Schluchten, meist Kerbtäler). Dieser
natürliche Vorgang wird vom Menschen nicht mehr geduldet, da seine Nutzungsansprüche vor allem
in Form von Siedlungsflächen dadurch gefährdet werden: Durch die Tiefenerosion drohen seitliche
Rutschungen. Zur Verminderung dieses Risikos und zur Reduzierung der durch die Tiefenerosion
stattfindenden Grundwasserabsenkung erfolgte die Installierung von Sohlschwellen (quer zur
Strömungsrichtung eines Flusses installierte Bauwerke, s. Abb. 4.7). Diese Sohlbefestigung soll zur
Minderung der Tiefenerosion vor allem kleiner und mittelgroßer Fließgewässer beitragen (vgl. HÜTTE
2000: 118). Allerdings ergeben sich auch Nachteile wie die ökologische Barrierenwirkung: Unterhalb
der Sohlschwellen bilden sich oftmals kleine Stromschnellen und Wasserfälle, die von vielen
Wasserorganismen (Fische, Krebse, Wasserinsekten, Amphibienlarven, etc.) nicht oder nur sehr
schwer zu überwinden sind. Zur Lösung dieses Problems werden aktuell im Rahmen von
Fließgewässer-Renaturierungsprojekten Aufstiegshilfen eingebaut, beispielsweise in Form so
genannter „rauer Rampen“ (Synonym: Sohlrampe), wie auch im Steinebach zu beobachten. Dabei
handelt es sich um eine naturnahe und möglichst gefällearme Befestigung des steilen Bereichs
zwischen der Sohlbefestigung und dem natürlichem Bachbettabschnitt unterhalb davon.
Zu einer Namensänderung des Flusses kommt es nach seinem Naturraumwechsel in das Rheintal:
Der Steinebach heißt ab hier Fischbach, was auf seine frühere Bedeutung als Fischgewässer in diesem
Abschnitt hinweist. Die Ursachen dafür sind sein geringeres Gefälle und seine somit verminderte
Transportkraft, die zur Sedimentation kleinerer Korngrößen führt, was für viele Fischarten günstige
Laichhabitate darstellt. Dazu kommt ein erhöhter Nährstoffeintrag durch Wasser- und
Bachröhrichtpflanzen.
56
Abb. 4.7: Sohlbefestigung im Steinebach. Da das Gefälle darunter abnimmt, kommt es zur Sedimentation von größeren Geröllen
Nachlassende Transportkraft führt zur verstärkten Sedimentation von Bachgeröllen. Dadurch können
Schwemmfächer (bzw. –kegels9) entstehen (vgl. AHNERT 2009: 197), wie sie für die
Übergangsbereiche zwischen Gebirge und Ebene typisch sind. Häufig tragen die Schwemmkegel
Siedlungen. Der Grund dafür ist, dass Schwemmkegel erhöhte, relativ hochwassersichere, trotzdem
mit Trinkwasser leicht versorgbare Standorte bereitstellen (vgl. ebd.).
Entlang des Ufers fiel weiterhin eine im Vergleich zu vielen Regionen Deutschlands relativ hohe
Vielfalt in der äußerlichen Gestaltung der umliegenden Bebauung ins Auge. Sie lässt auf eine eher
innovations- und experimentierfreundliche Städtebaukultur schließen. Architekten bietet ein solcher
Planungsansatz, der nicht hauptsächlich die Einheitlichkeit von Wohngebieten in den Vordergrund
stellt, die Möglichkeit, mit modernen Formen des Bauens zu experimentieren. Allerdings gibt es auch
Stimmen, die einen solchen „experimentellen Städtebau“ als „nicht an die Region angepasst“
ablehnen.
4.5 Flora und Fauna im Steinebach/Fischbach und Uferbereich
Die Untersuchung des Benthos, also der Lebewesen an der Bodenzone eines Gewässers, lässt
Rückschlüsse auf die Gewässerqualität zu. Im Strom des Steinebachs ließen sich unter größeren
Steinen Steinfliegen- und Köcherfliegenlarven nachweisen. Sie dienen als Indikatoren zur
Bestimmung der biologischen Wasserqualität, die hier abschnittsweise relativ gut ist. Der Grund
dafür ist, dass in dem schnell fließenden Steinebach sehr viel Sauerstoff in das Wasser gelangt, der
zum Abbau von organischer Substanz genutzt werden kann.
9 Schwemmkegel weisen im Gegensatz zu Schwemmfächern ein steileres Gefälle auf (vgl. AHNERT
2009: 197)
57
In einer stilleren Bucht des gefällearmen Fischerbachs konnte als typischer Bewohner ein
Wasserskorpion nachgewiesen werden. Dieses in Mitteleuropa beheimatete Tier (s. Abb. 4.8) ist eine
insbesondere in kleinen Stillgewässern lebende Wanzenart, die sich von Kleintieren wie Daphnien
(Krebstiere), Fliegen- und Amphibienlarven etc. ernährt (vgl.
http://www.renatur.de/wasserskorpion13299 .html?csid=3939263a57a524931a3cf60afbdfa 27).
Sein Stich ist auch für den Menschen schmerzhaft, aber trotzdem harmlos. Das Tier sticht nur selten.
Abb. 4.8: Wasserskorpion
Die Vegetation entlang des Steinebachs besteht vorwiegend aus einem Galeriewald aus
Weidengebüsch und Grauerlen, denen sich landseitig Ahorn und Eichen anschließen. Solche reich
strukturierten, siedlungsnahen Galeriewälder besitzen eine wichtige Funktion als biotopvernetzende
Elemente. Stellenweise werden diese Arten jedoch durch stark dominierende Neophytenarten zurück
gedrängt. Es handelt sich dabei um Pflanzenarten, deren Einführung in Gebiete, in welchen sie
natürlicherweise nicht vorkommen, indirekt oder direkt auf anthropogene Einflüsse zurückzuführen
ist. Ein Großteil der Neophyten ist mittlerweile angesichts ihrer vielfältigen, auch negativen,
Wirkungen auf die sie umgebenden Organismen auf der Liste der problematischen gebietsfremden
invasiven Arten zu finden (vgl. Infoblatt SKEW 2011). Beispielweise können einige Neophytenarten
aufgrund der Wuchsform ihrer Wurzeln Erosion an Gewässerrändern verursachen (vgl. GIGON et al.
2005: 22). Weiterhin kann die Ausbreitung von Neophyten an einem Standort die Ansiedlung von
Parasiten oder Pflanzenkrankheiten in einem Ökosystem nach sich ziehen, wovon ein negativer
Einfluss auf andere Organismen eines Lebensraums bzw. auf dessen gesamten Nährstoffkreislauf
ausgehen kann. Überdies können Neophyten im Bereich der Wasserwirtschaft Schäden verursachen,
bspw. indem sie als Hindernisse in Kanälen, Rohren und Becken auftreten. Von ihnen kann zudem
eine Gefährdung von Fischereigewässern ausgehen, ebenso von Flussufern, deren Sicherung sie
durch Dammschäden oder Uferabbrüche bedrohen können (Erosionsgefahr, s.o.; vgl. ALTMAIER 1999).
Manche Neophyten bergen eine besondere Gefahr für Böschungen und Ufer von Fließgewässern.
Bspw. vermögen es die besonders großen und kräftigen Rhizome des auch im Bereich des
Steinebachs vorkommenden Staudenknöterichs, Pflastersteine als Uferbefestigung aus ihrem
Untergrund herauszuhebeln (vgl. BAUER 1995: 108; SÄCHSISCHE LANDESANSTALT FÜR LANDWIRTSCHAFT
2004). Darüberhinaus erschwert der Staudenknöterich aufgrund seiner Blattgröße die genügende
Belichtung ihn umgebender Pflanzen, womit u.a. seine Konkurrenzstärke und damit seine Dominanz
58
bspw. an Uferstandorten sowie seine enorme Ausbreitungsgeschwindigkeit zu begründen sind.
Demgegenüber können Neophyten durchaus auch positive Wirkungen entfalten. So zeichnen sich
bestimmte Neophyten aufgrund ihres Blütenstands und ihrer Blütezeit als vor allem ssisonal oft
wichtige Pollenquellen aus (ALTMAIER 1999; Beispiel Indisches oder Drüsiges Springkraut, s.u.).
Im Uferbereich entlang des Steinebachs/Fischbachs ließ sich ein enorm gehäuftes Auftreten von
unterschiedlichen Neophyten feststellen. Einige davon werden nachfolgend näher vorgestellt.
Neophyt 1: Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera)
Abb. 4.9: Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera)
Beim Drüsigen (oder Indischen) Springkraut, einer Art aus der Familie der Balsaminaceae, handelt es
sich in Mitteleuropa um einen Neophyten, der dem westlichen Himalaya entstammt, wo er in einer
Höhe von 1800-3000m an Bachufern auftritt (vgl. SCHULDES 1995: 83). Im 19. Jahrhundert erfolgte
dessen Einführung als Zierpflanze nach Nordamerika und Europa. Zudem diente das Springkraut
vielerorts (Beispiel Bodenseeraum) als Trachtpflanze für die Bienenzucht und Honigproduktion. Vor
allem in Gebieten mit Mono- bzw. Intensivkulturen, aber einem hohen Bedarf an Bienen (Beispiel:
Bestäuber für den Obstbau!), können diese nur noch mit großen Schwierigkeiten gehalten werden.
Manche Neophyten wie das Indische Springkraut bieten eine gute Nahrungsgrundlage für die Bienen,
so dass diese Art gerade in solchen Regionen von Imkern stark verbreitet wurde. Das Drüsige
Springkraut ist durchaus in der Lage, Dominanzbestände zu bilden, also angestammte Pflanzenarten
zu verdrängen, allerdings nicht im selben Ausmaß wie manch andere Neophytenarten (Kanadische
Goldrute, Japanischer Staudenknöterich; vgl. SCHULDES 1995: 84).
59
Neophyt 2: Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum)
Abb. 4.10: Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum)
Bei dem der Familie der Doldenblütler (Apiaceae) angehörigen Riesenbärenklau (Heracleum
mantegazzianum) handelt es sich ebenfalls um einen Neophyten. Sein natürliches Vorkommen
beschränkt sich auf Waldgebiete in Asien, vornehmlich Russland (ursprünglich Kaukasus). Der
hinsichtlich seiner Standortbedingungen wenig anspruchsvolle (lediglich sehr saure Böden bilden ein
Ausschlusskriterium) Riesenbärenklau konnte sich seit seiner Einführung nach Europa im 19. Jh. als
Zierpflanze und seiner wirtschaftlichen Nutzung für die Imkerei und Forstwirtschaft seit Mitte des 20.
Jh. auf extensiv genutzten Wiesen oder Weiden, auf Waldlichtungen sowie an Ruderalstandorten,
bspw. Verkehrswegen oder innerhalb städtischer Bebauung ansiedeln (vgl. SÄCHSISCHE LANDESANSTALT
FÜR LANDWIRTSCHAFT 2004). Er zeichnet sich durch die Bildung photosensibilisierender Substanzen aus,
die in Kombination mit Sonnenlicht phototoxisch wirken, also bspw. eine höhere Empfindlichkeit der
menschlichen Haut für UV-Strahlung auslösen. Menschen, die sich nach einer Kontaktaufnahme mit
dieser Pflanze ungeschützt in der Sonne aufhalten, können folglich gefährliche Hautverbrennungen
erleiden (vgl. KÜBLER 1995: 89). Überdies verursacht der Riesenbärenklau auch ökonomische
Schäden. So kann es infolge der Ausbreitung von Riesenbärenklau-Stauden auf Äckern und Wiesen zu
beträchtlichen Ertragsverlusten kommen. Zudem trägt das Vorkommen dieser Neophytenart an
Gewässerrändern zu erhöhter Erosionsgefahr bei.
Neophyt 3: Japanischer Staudenknöterich (Fallopia japonica)
Der zur Familie der Knöterichgewächse (Polygonaceae) gehörende Japanische Staudenknöterich
stellt einen weiteren Repräsentanten von Neophyten in Mitteleuropa dar. Ursprünglich stammt er
aus Ostasien, wo er in China, Korea und Japan heimisch ist (Infoblatt SKEW 2011: 1ff.). Vornehmlich
kommt er in Uferbereichen von Gewässern, an Waldrändern, Straßen- und Eisenbahnböschungen vor
(s. Abb. 4.11 und 4.12).
60
Abb. 4.11: Japanischer Staudenknöterich (Fallopia japonica)
Abb. 4.12: Japanischer Staudenknöterich am Steinebach in Dornbirn. Zu erkennen ist die starke Dominanz dieser invasiven Art, aber auch die Bedeutung ihrer Blüten als Nahrungshabitat für einheimische Insektenarten, vor allem im Herbst (im Hintergrund: Sohlschwelle mit ökologischer Barrierenwirkung, erkennbar am Wasserfall)
Neben seiner Funktion als Zierpflanze spielt der Staudenknöterich ebenso als Futterpflanze bei der
Viehhaltung sowie in der Bienenzucht eine bedeutende Rolle, insbesondere als Bienenweide im
Frühherbst (Spättracht). Wie bereits erwähnt, zieht die Ausbreitung von Knöterichgewächsen in
Fließgewässerbereichen etliche negative Wirkungen nach sich (s.o.). Insbesondere ihr enormes
Rhizomwachstum sowie ihr geringer Anteil an Feinwurzeln (was eine ausreichende Sicherung des
Bodensubstrats verhindert) führen zu erhöhter Bodenerosion an Fließgewässerrändern. Zusätzlich
61
reduziert ihr massiver Aufwuchs Abflussquerschnitte, beeinträchtigt also den Wasserdurchfluss,
wodurch vornehmlich in hochwassergefährdeten Bereichen Schwierigkeiten auftreten (vgl. BAUER
1995: 109).
Neophyt 4: Kanadische Goldrute
Abb. 4.13: Kanadische Goldrute (Solidago canadensis)
Bei der kanadischen Goldrute (Solidago canadensis) handelt es sich um eine Pflanzenart der
Unterfamilie der Asteroideae in der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Sie stammt ursprünglich
aus Kanada, wurde allerdings als Zierpflanze und Bienenweide auch nach Mitteleuropa eingeführt
und besiedelt inzwischen vornehmlich Ruderalstandorte und landwirtschaftliche Brachflächen. Die
starke Vermehrung der kanadischen Goldrute lässt sich auf ihre Fähigkeit zurückführen, sich sowohl
generativ als auch vegetativ zu vermehren sowie die Keimung anderer Arten durch Lichtentzug zu
verhindern, wodurch sie für die Verdrängung einheimischer Flora auf großen Flächen sorgt (vgl.
SKEW 2006; HARTMANN/KONOLD 1995: 93ff.). An Fließgewässern kann diese Verdrängung anderer
Arten zur Destabilisierung des Gewässerrandes führen, da die flachen Wurzeln der kanadischen
Goldrute dem Boden nur wenig Halt verleihen.
Neophyt 5: Einjähriges Berufkraut
Die wissenschaftliche Bezeichnung des Weißen oder Einjährigen Berufkrauts lautet Feinstrahl
(Erigeron annuus). Diese auch als Neophyt auftretende und ursprünglich in Nordamerika
beheimatete Art gehört zur Familie der Korbblütler (Asteraceae). Ein besonderes Charakteristikum
des Einjährigen Berufkrauts besteht in seiner ungeschlechtlichen Vermehrung. Typische Standorte
dieser Art umfassen Uferbereiche von Fließgewässern, feuchte Wiesen, sowie Ruderalfluren. Eine
Besonderheit des ein-jährigen Berufkrauts liegt in seiner raschen Ausbreitung aufgrund seiner hohen
Samenproduktion sowie der Flugfähigkeit derselben (vgl. OEKO-PLUS AARGAU 2009).
62
Abb. 4.14: Einjähriges Berufkraut (Erigeron annuus)
4.6. Naturschutzprojekt Fischbach
Amphibien sind während der Wanderung zu ihren Laichplätzen im Frühjahr angesichts dabei zu
überwindender Barrieren in Form von Verkehrswegen stets einer erhöhten Gefahr ausgesetzt. Auf
Initiative von Anwohnern und mit Hilfe finanzieller und fachkundiger Unterstützung durch die inatura
entstand 2004 am Fischbach in Dornbirn (im Bereich Bickweg; s. Karte Abb. 4.15) ein – zwar kleines,
lokal begrenztes, allerdings mittlerweile beispielhaftes – Projekt zunächst zur Verminderung des
Amphibiensterbens durch den Straßenverkehr und darüberhinaus zur Renaturierung bzw.
Aufweitung des Steinebachs/Fischbachs, welches insbesondere dem Schutz von Amphibien bzw.
deren Laichhabitats im Siedlungsraum dient.
63
Abb. 4.15: Lageplan Naturschutzprojekt Bickweg Dornbirn: Laichhabitat der Frösche im Fischbach
Der Fischbach und damit auch der Wanderungskorridor der Frösche kreuzt in diesem Bereich eine
viel befahrene Straße, weshalb jedes Jahr eine große Anzahl von Fröschen auf dem Weg zu ihren
Laichplätzen dem Straßenverkehr zum Opfer fielen, da sie an dieser Stelle den Fluss aufgrund der
hohen Fließgeschwindigkeit im Bereich der Brückenunterführung verließen. Insbesondere die
Anwohner der umgebenden Einfamilienhaussiedlung waren bestrebt, diesen Zustand zu beheben,
was zunächst durch die Errichtung eines Zauns und das Sammeln von Fröschen und Kröten in Eimern
zur sicheren Fahrbahnüberquerung geschehen sollte. Inzwischen wurde allerdings ein Vorsprung aus
Stein direkt unter der Brücke, also im Bach selbst, allerdings oberhalb der Wasseroberfläche
geschaffen, was es den Amphibien erlaubt, auch dieses Stück ihres Wanderkorridors direkt am
Gewässerrand entlang zu passieren.
Darüber hinaus errichtete man zunächst im Bach eine Barriere zur Regulierung des Wasserstroms,
sodass eine der Gewässergerinne an der Flussbiegung vor der Brücke von der Strömung weniger
betroffen war und mithin als Laichplatz (s. Abb. 4.16) für die vor allem in Frage kommenden
Grasfrösche (Rana temporaria) dienen konnte. Dieser wird im Frühling zur Paarung und
anschließender Ablage des Laichs aufgesucht. Auch hier erreicht trotz des Eingriffs des Menschen zur
Unterstützung stets nur ein geringer Teil der 2.000 bis 4.000 von einem Grasfroschweibchen pro Jahr
abgelegten Eier das Adultstadium.
1. Brücke mit Aufstiegshilfe für Amphibien
2. Laichbiotop für Grasfrosch und
1. Brücke mit Aufstiegshilfe für Amphibien
2. Laichhabitat für Grasfrosch und Erdkröte
3. alter Zulauf zum Froschhabitat
64
Abb. 4.16: Barriere zum Schutz des Froschlaichs vor starker Strömung im Steinebach/Dornbirn. Der sich dadurch bildende Stillwasserbereich dahinter kann als Amphibienlaichplatz fungieren
An dieser Stelle des Fischbachs ergab sich jedoch bald ein Problem aus der Einleitung von
Haushaltsabwässern einer oberhalb gelegenen Wohnsiedlung in den Fluss, was dessen
Wasserqualität minderte und überdies das Laichhabitat der Frösche gefährdete. Mittlerweile existiert
allerdings ein Anschluss an das Kanalisationssystem.
Insgesamt lässt sich das Projekt durchaus als erfolgreich bewerten. Aufgrund seiner lokalen
Verankerung und des starken ehrenamtlichen Engagements der Anwohner zum Schutz der Frösche,
hielten sich die finanziellen Aufwendungen in Grenzen. Ferner trug die fachliche Beratung sowie
materielle Unterstützung der inatura zum Gelingen des Vorhabens bei.
4.7. Besuch eines Walserhauses in Laterns
Der Besuch des Walserhauses beim Seminarhaus fibe in Laterns, welches seit über 300 Jahren an
dieser Stelle existiert, gewährte den Exkursionsteilnehmern einen Einblick in die Lebens- und
Wirtschaftsweise der Walser in Vorarlberg.
Als „Walserhaus“ bezeichnet man einen spezifischen Haustyp, dessen Name auf die Volksgruppe der
Walser zurückzuführen ist und der mehrere Charakteristika vereint. Zum einen betrifft dies die
Bauweise als Blockhaus. Diese Bauweise entstammt ursprünglich jener im Quellgebiet der Walser
(Oberwallis), wurde allerdings jeweils lokalen Anpassungen unterzogen entsprechend der
Anforderungen der Zielsiedlungsgebiete der Walser. Als Baumaterial dient ausschließlich Holz (ca. 16
cm mächtige Vierkantbalken aus Lärchenholz), welches nicht durch Eisennägel zusammengehalten,
sondern an den Ecken verzapft bzw. verstrickt wird. Zur Abdichtung der Fugen in der Außenfassade
dient Moos (vgl. http://www.wiswiz.de/Walserhaus; http://www.walser-museum.ch/museum/arbei
t/bauen/voraussetzungen/baumaterialien.html).
65
Abb. 4.17: Walserhaus in Laterns
Abb. 4.18: Kachelofen im früher einzigen beheizbaren Raum, der „Stube“
Das Haus ist unterteilt in einen Wohn- und einen Wirtschaftsteil. Neben Küche (s. Abb. 4.19-20) und
Schlafzimmer befindet sich im Wohnteil die Stube als wichtigster Raum des Hauses und
Hauptaufenthaltsort seiner Bewohner. Dort befindet sich auch die einzige Wärmequelle des Hauses,
der Kachelofen (s. Abb. 4.18). Zur effektiven Nutzung der so produzierten Wärme sieht die Bauweise
der Häuser niedrige Decken und eher kleine Fenster vor (wobei Letzteres auch auf das Bestreben
zurückzuführen ist, die Ausmaße vertikaler Elemente im Bau angesichts des sich nach der Errichtung
eines Gebäudes noch verziehenden Holzes möglichst gering zu halten, vgl. ebd.).
66
Abb. 4.19-20: Küchengeräte im Walserhaus
Zu den Wirtschaftsräumen des Hauses gehören neben Werkstatt, Dachboden als Geräte- und
Vorratslager, inklusive Schlafraum der Bediensteten, der Stall, das Feuerholzlager sowie Heuboden
und Stellplatz für die Heuschlitten. Insbesondere Werkzeuge zur Holzbearbeitung (Schnitzbank,
Küblergeräte u.a.) besaßen notwendigerweise einen hohen Stellenwert in der Werkstatt eines
Walserhauses.
Abb. 4.21: Die Holzwerkstatt ist ein wichtiger Bestandteil eines Walserhauses
67
Abb. 4.22: Schindeln aus Tannenholz zur Abb. 4.23: Schneeschuhe oder „Reifen“ Verkleidung der Außenfassade sind wichtige zeigen, wie wichtig früher das „Zu-Fuß- Produkte der Kübler und Holzschnefler Gehen“ auch im Winter bei hoher
Schneedecke war
Darüber hinaus ließen sich zahlreiche weitere Einrichtungsgegenstände, Möbelstücke,
Arbeitsmaterialien, Haushaltsgeräte etc. finden, deren Alter, Beschaffenheit und mutmaßliche
Funktion einen umfassenden Einblick in die Lebensweise und Kultur der Walser ermöglichen, was
einem solchen Haus sowie dessen Erhalt einen unschätzbaren Wert verleiht.
Einige Schmetterlingsarten überwintern auch in den mittleren Breiten als Falter (statt als Raupe, Ei
oder Puppe), wozu es geschützter Standorte bedarf, die ihnen das Überleben auch bei geringen
Temperaturen ermöglichen. Für diesen Zweck eignen sich bspw. hohle Bäume, Höhlen oder kleine
Refugien in Siedlungsräumen (Holzschuppen, Gerätespeicher oder dergleichen). Auch das verwaiste
Gerätelager eines lediglich periodisch genutzten Walserhauses kann, wie vor Ort zu beobachten war
(s. Abb. 2.24), als Winterhabitat dienen.
Abb. 4.24: Walserhaus als Schmetterlingshabitat: Überwinternde Imago des kleinen Fuchses
(Aglais urticae)
68
4.8. LITERATURVERZEICHNIS Exkursionstag 4
AHNERT, F. (2009): Einführung in die Geomorphologie. 4. Auflage. Stuttgart
ALTMAIER, A. (1999): Neophyten und Neozoen an und in Fließgewässern
http://www.alblamm.de/naturschutz/themen/neo/neo_altmaier.html#aVI1, Zugriff : 26.10.2011
BAUER, M. (1995): Verbreitung neophytischer Knötericharten an Fließgewässern in Baden-
Württemberg. In: Böcker; Gebhardt; Konold; Schmidt-Fischer (Hrsg.): Gebietsfremde
Pflanzenarten. Auswirkungen auf einheimische Arten, Lebensgemeinschaften und Biotope.
Kontrollmöglichkeiten und Management. Hohenheim. 1995. S. 105-112
GIGON, A.; WEBER, E. (2005): Invasive Neophyten in der Schweiz: Lagebericht und Handlungsbedarf.
Geobotanisches Institut, ETH Zürich
HARTMANN, E.; KONOLD, W. (1995): Späte und Kanadische Goldrute (Solidago gigantea et canadensis):
Ursachen und Problematik ihrer Ausbreitung sowie Möglichkeiten ihrer Zurückdrängung. In: Böcker; Gebhardt;
Konold; Schmidt-Fischer (Hrsg.): Gebietsfremde Pflanzenarten. Auswirkungen auf einheimische Arten,
Lebensgemeinschaften und Biotope. Kontrollmöglichkeiten und Management. Hohenheim. 1995. S. 93-104
HÜTTE, M. (2000): Ökologie und Wasserbau. Ökologische Grundlagen von Gewässerverbauung und
Wasserkraftnutzung. Berlin
KÜBLER, R. (1995): Versuche zur Regulierung des Riesenbärenklaus. In: Böcker; Gebhardt; Konold;
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Lebensgemeinschaften und Biotope. Kontrollmöglichkeiten und Management. Hohenheim. 1995. S. 89-92
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LE MAITRE; VAN WILGEN; GELDERBLOM (2001): Invasive alien trees and water resources in South Africa:
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http://etat.geneve.ch/dt/SilverpeasWebFileServer/impatiente_a4.pdf?ComponentId=
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plantes exotiques envahissantes, Zugriff: 05.10.2011
MEINLSCHMIDT, E. (2004): Sächsische Landesanstalt für Landwirtschaft, Fachbereich Pflanzliche
Erzeugung, Referat Pflanzenschutz, online verfügbar: http://www.floraweb.de/neoflora/hand
buch/Faltlatt_Staudenknoeteriche_Sachsen.pdf, Zugriff: 23.10.2011
OEKO-PLUS AARGAU (2009): Einjähriges Berufkraut (Erigeron annuus) http://www.hausenag.ch/dl.
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Komplexe Regionen – Regionenkomplexe. Multiperspektivische Ansätze zur Beschreibung regionaler und
urbaner Dynamiken. Wiesbaden. 2009. S. 79-98
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Auswirkungen auf einheimische Arten, Lebensgemeinschaften und Biotope. Kontrollmöglichkeiten und
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http://www.cpsskew.ch/fileadmin/template/pdf/inva_deutsch/inva_reyn_jap_d.pdf : Stauden-Knöteriche;
Invasive gebietsfremde Pflanzen: Bedrohung für Natur, Gesundheit und Wirtschaft. Art der Schwarzen Liste,
2011. Info SKEW, Zugriff: 25.10.2011
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http://www.cps-skew.ch/deutsch/inva_soli_can_d.pdf: Invasive gebietsfremde Pflanzen: Bedrohung für Natur,
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http://www.giant-alien.dk/pdf/German%20manual_web.pdf: Praxisleitfaden Riesenbärenklau: Richtlinien für
das Management und die Kontrolle einer invasiven Pflanzenart in Europa, Zugriff: 08.10.2011
http://www.bachpaten-freiburg.de/oekologi/neophyt/goldfr.htm: Problem-Neophyten, Zugriff: 08.10.2011
http://www.natur-portrait.de/foto-28624-mein-erster-skprion.html, Zugriff: 08.10.2011
www.inatura.at, Zugriff: 08.10.2011
http://www.landesmuseum.at/pdf_frei_remote/aktuell_2009_1_0001.pdf, Zugriff: 08.10.2011
http://www.wiswiz.de/Walserhaus, Zugriff: 23.10.2011
http://www.walser-museum.ch/museum/arbeit/bauen/voraussetzungen/baumateri alien.html, Zugriff:
05.11.2011
http://www.smul.sachsen.de/lfl/publikationen/download/968_1.pdf, Zugriff: 05.11.2011
http://www.naturschutzrat.at/, Zugriff: 13.11.2011
4.9. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Exkursionstag 4
Abbildung 4.1: Google Maps
Abbildung 4.2-3: http://www.inatura.at/Geschichte.6058.0.html
http://www.dietrich.untertrifaller.com/projekt/inatura (24.10.2011)
Abbildung 4.4: Md. Shamimul Islam
Abbildung 4.5-6: Md. Shamimul Islam
Abbildung 4.7: Yasmina Adebi
Abbildung 4.8: Md. Shamimul Islam
Abbildung 4.9: Yasmina Adebi
Abbildung 4.10: http://www.kreis-wesel.de/
Abbildung 4.11: Yasmina Adebi
Abbildung 4.12: Yasmina Adebi
Abbildung 4.13: Md. Shamimul Islam
Abbildung 4.14: A. Mrkvicka, 16.6.2004, Niederösterreich, Perchtoldsdorf – Umgebung, http://flora.nhm-
wien.ac.at/Seiten-Arten/Erigeron-annuus-strig.htm, Zugriff: 19.01.2012
Abbildung 4.15: Google Maps, ergänzt
Abbildung 4.16: Yasmina Adebi
Abbildung 4.17: Md. Shamimul Islam
Abbildung 4.18: Yasmina Adebi
Abbildung 4.19-20: Yasmina Adebi
Abbildung 4.21: Godfried Koukoubou
Abbildung 4.22: Godfried Koukoubou
Abbildung 4.23: Yasmina Adebi
Abbildung 4.24: Yasmina Adebi
70
5. EXKURSIONSTAG 5, Freitag, 23.09.2011
Nina Gustiana, Rocío Herrera
Programm
09:00- 10:30: Fahrt nach Friedrichshafen-Manzell („Negerbad“)
10:30- 12:30: Grenzüberschreitendes Gewässermanagement: Der Bodensee als Modell?- Exkursions-
Endreflexion am Bodenseeufer, Dr. Andreas Megerle, Prof. Dr. Joachim Vogt.
5.1. Fahrtroute
Die Fahrt führte von Laterns – Österreich – aus über Friedrichshafen-Manzell nach Karlsruhe (s. Abb.
5.1).
Auf der Autobahn A14 ging es zunächst über Dornbirn in Richtung Bregenz durch das Rheintal.
Das Rheintal erlebte eine sehr frühe auf der Textilindustrie basierende Industrialisierung. Eng
verknüpft mit der Textilindustrie entwickelte sich auch die Maschinenbauindustrie. Seit den siebziger
Jahren jedoch erlitt die Textilindustrie als Folge der Globalisierung (Verlagerung der Produktion in
Billiglohnländer) große Krisen und es kam zu bedeutenden Veränderungen der regionalen
Wirtschaftsstruktur. Andere Sektoren wie Maschinen- und Stahlbau, Eisen-, Metall- und
Elektroniksektor, Nahrungs- und Genussmittelindustrie, chemische, Kunststoff-, Papier- und
holzverarbeitende Industrie gewannen daraufhin an Bedeutung (vgl. SAURWEIN 2008: 208f.).
Die weitere Strecke verlief entlang der Bundesstraße B 31 in Richtung Friedrichshafen-Manzell.
Erste Anzeichen von hier besonders stark konkurrierenden Raumnutzungsansprüchen ließen sich auf
Plakaten am Straßenrand erkennen: „Verkehr raus aus der Stadt“, „Zukunft für den
Wirtschaftsraum“. Hinsichtlich des Baus eines weiteren Umgehungsrings im Zuge der Bundestrasse B
31 stehen die Interessen der Stadt Friedrichshafen und der dort ansässigen Industrie gegen jene der
Landwirtschaft und des Naturschutzes, woran die besonders großen Herausforderungen für die
Regionalplanung deutlich ersichtlich werden.
Der letzte Streckenabschnitt führte über die A81 Richtung Stuttgart10 und schließlich zurück nach
Karlsruhe.
10 Aufgrund eines Staus auf der AB A8 zwischen Karlsruhe und Stuttgart folgten die Busse anschließend unterschiedlichen Strecken (s. Abb. 5.1).
71
Abb. 5.1: Fahrtroute Laterns – Karlsruhe über Friedrichshafen-Manzell
5.2. Beschreibung des Bodenseeraums
Der Bodensee liegt an den Grenzen von Deutschland (mit den Bundesländern Baden-Württemberg
und Bayern), Österreich (mit dem Bundesland Vorarlberg) und der Schweiz (mit den Kantonen St.
Gallen und Thurgau). Im Bodensee-Obersee sind die Territorialverhältnisse ungeklärt sind bzw. eine
exakte Grenzziehung existiert nicht.
Es existieren verschiedene Benennungen für den Bodensee, im Englischen und in romanischen
Sprachen heißt er Konstanzer See (Lake Constance, Lac de Constance, Lago di Constanza).
Ursprünglich stammt der Name Bodensee von Bodman, einem kleinen Ort am Nordwestufer des
Sees (vgl. ZINTZ et al. 2009).
Der Bodensee besteht aus einem tiefen Obersee und einem deutlich flacheren Untersee. Im Sommer
führt der Temperaturunterschied zwischen der Wasseroberfläche und den tieferen
Gewässerschichten zu einer stabilen Schichtung des Wassers (s. Abb. 5.2). Im sauerstoffreichen
Epilimnion (Oberflächenwasser) findet die primäre Produktion von Algen statt, während das
sauerstoffarme Hypolimnion (Tiefenschicht) die Abbauzone darstellt. Im Herbst und Frühling
herrschen in der tiefen und obersten Wasserschicht ungefähr gleich hohe Temperaturen, was die
Durchmischung des Wassers und damit eine Zirkulation zulässt (s. Abb. 5.3).
72
Abb. 5.2: Sommerliche Wasserschichtung am Bodensee (verändert nach ZINTZ et al. 2009: 52)
Abb. 5.3: Die Vollzirkulation bringt Sauerstoff in große Tiefen (nach ZINTZ et al. 2009: 52)
Diese Durchmischung führt zu einer Sauerstoffanreicherung der Tiefenschicht. Sofern diese
ausbleibt, kann es hier zu Sauerstoffdefiziten, anaerobem Abbau von organischer Substanz und
Entstehung von Giftgasen (Schwefelwasserstoff) kommen. Vor allem bei einer starken
Pflanzenproduktion aufgrund eines erhöhten Nährstoffeintrags in den See ist dieses Risiko hoch.
73
Allerdings haben die internationalen Anstrengungen der Anrainerstaaten zu einer Reoligotrophierung
(Prozess der Wiedererlangung nährstoffarmer Verhältnisse) des Sees geführt, so dass das Risiko
aktuell geringer ist. Aus diesem Grund plädiert die Bodensee-Wasserversorgung für den Erhalt dieses
Oligotrophiegrades, während Akteure wie Berufsfischer dies kritisieren, da aufgrund der geringeren
Produktionsleistung des Sees auch die Fische kleiner werden.
5.3. Der Bodensee: unterschiedliche Nutzungen, vielfältige Nutzungskonflikte
5.3.1. Siedlungsraum
Abb. 5.4: Rekonstruktion bronzezeitlicher Abb. 5.5: Als Weltkulturerbe geschützte Pfahlbauten in Uhldingen-Mühlhofen Pfahlbaureste im Bodensee
Archäologischen Funden zufolge stellte das Bodenseegebiet bereits während der Jungsteinzeit einen
attraktiven Siedlungsraum für Menschen dar. Reste von Pfahlbauten sowie Keramikscherben liefern
Hinweise auf kulturelle Errungen-schaften und die Lebensweise zu jener Zeit in dieser Region (vgl.
ZINTZ/LÖFFLER/SCHROEDER 2009: 25). Schon damals bestand die Attraktivität des Bodensees in der
Möglichkeit des Fischfangs als eine wichtige Existenzgrundlage, sowie in der Sicherheit gegenüber
Tieren und Feinden, welche die Uferlage bot (vgl. ZINTZ/LÖFFLER/SCHROEDER 2009: 25f.).
Auch heute stellt der Bodenseeraum einen attraktiven Siedlungsraum dar. Die EUREGIO Bodensee11
zeigte in den letzten zehn Jahren eine Bevölkerungszunahme von ca. 6%. Die baden-
11 Die EUREGIO Bodensee besteht aus den deutschen Landkreisen Bodenseekreis, Konstanz, Lindau, Oberallgäu, Ravensburg und Sigmaringen, den schweizerischen Kantonen Appenzell
Pfahlbauten: Weltkulturerbe aus der Steinzeit
„Erbe verpflichtet – nicht nur uns Archäologen, sondern die gesamte Bevölkerung.“
(http://www.weltkulturerbe-pfahlbauten.de/)
Am 27. Juni 2011 erkannte die UNESCO die Reste von Pfahlbauten in sechs Ländern Europas (Slowenien, Italien,
Frankreich, Schweiz, Österreich und Deutschland) offiziell als Weltkulturerbe an. Es handelt sich dabei um unter Wasser
befindliche Relikte von Uferrandsiedlungen aus der Zeit zwischen 5000-500 v. Chr. stammen (s. Abb. 5.4 und 5.5). Diese
besitzen nicht nur eine enorme Bedeutung für die Wissenschaft, sondern auch für die Menschen der Region, die so
einen Einblick in die Kulturgeschichte ihrer Region erhalten können. Solche Landschaftsarchive gilt es zu schützen, die
bedeutenden sogar als Weltkulturerbestätten. Laut Weltmuseumsverband ICOM muss „[…] die Forschung, das
Sammeln von Belegstücken, die Bewahrung der Informationsträger und die Ausstellung des Wissens gegenüber der
Öffentlichkeit im Mittelpunkt der Aufgaben [solcher Standorte] stehen“ (http://www.weltkulturerbe-pfahlbauten.de/).
Dementsprechend besteht für die UNESCO das oberste Handlungsziel in der „Bildung der Bevölkerung über das
geschützte Objekt“, also in der Vermittlung der Bedeutung solcher historischer Zeugnisse, wodurch der nachhaltige
Schutz des Erbes leichter gelingen kann (vgl. ebd.).
74
württembergischen Landkreise am Bodensee verzeichneten innerhalb dieses Zeitraums ebenfalls
eine Zunahme der Bevölkerung von ca. 6-7 %, wobei es im gesamten Bundesgebiet lediglich 1,9%
betrug. Laut demographischen Vorausschätzungen wird die Bevölkerung in der EUREGIO-Bodensee
auch weiterhin zunehmen: für den Zeitraum 2005-2015 um ca. 4,9% (vgl. SCHULZ/BYARAM 2007: 3;
HETHEY/MAIER/SCHULZ 2006: 17).
Abb. 5.6: Konfliktverursachende Einflüsse und Nutzungen am Bodensee
Belege für die starke Bevölkerungs- und Siedlungsflächenzunahme finden sich bereits im
sogenannten "Hecking-Gutachten“12. Dieses beinhaltete auch Empfehlungen zur Einschränkung des
Flächenverbrauchs im Uferbereich sowie zur Prüfung von Möglichkeiten der Verstärkung der
Siedlungsentwicklung im „seeabgewandten“ Hinterland – Vorschläge, welche in den Regionalplan
Bodensee-Oberschwaben übernommen wurden (vgl. REGIONALPLAN BODENSEE-OBERSCHWABEN 1996: 3).
Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, St. Gallen, Schaffhausen, Thurgau und Zürich, dem österreichischen Bundesland Vorarlberg und dem Fürstentum Liechtenstein
12 Studie zur Bevölkerungs- und Siedlungsentwicklung im Bodenseeraum (Region Bodensee-Oberschwaben und Landkreis Konstanz) des Städtebaulichen Instituts der Universität Stuttgart über den Zeitraum 1968 bis 1983 (vgl. REGIONALPLAN BODENSEE-OBERSCHWABEN 1996)
75
Laut den Grundsätzen und Zielen für den Bodenseeraum ist im Uferbereich13 des Bodensees „die
Siedlungsentwicklung auf geeignete seeabgewandte Standorte in den Ufergemeinden, vorrangig aber
in Siedlungsbereiche angrenzender Räume der Region zu lenken“ (ebd.: 2). Alle Initiativen zur
Einschränkung des „Flächenverbrauchs“ konnten jedoch eine Entwicklung von Teilen des
Bodenseeraums hin zum Verdichtungsraum nicht verhindern.
5.3.2. Der Bodensee als Trinkwasserspeicher
Der Bodensee stellt ein wichtiges Trinkwasserreservoir dar. Der Rhein führt dem Bodensee große
Mengen Schmelz- und Niederschlagswasser aus dem alpinen Einzugsgebiet zu. 11,5 Mrd. m3 Wasser
durchströmen jährlich den Bodensee, wovon nur etwas mehr als ein Prozent, nämlich 125 Mio. m3,
als Trinkwasser entnommen werden. Zur Organisation der großräumigen Fernwasserversorgung mit
Bodenseewasser kooperieren 147 baden-württembergische Städte und Gemeinden und 34
Wasserversorgungszweckverbände in einem interkommunalen Zweckverband, dem Zweckverband
Bodensee-Wasserversorgung (BWV). Auf diese Weise können etwa 4 Mio. Menschen mit Bodensee-
Trinkwasser versorgt werden (vgl. Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung- Zahlen und Fakten14),
darunter vor allem solche, die in den geologisch bedingten Wassermangelgebieten von Baden-
Württemberg leben. Dem Zweckverband zufolge verfügt der See über eine sehr hohe Wasserqualität
ohne nennenswerte Beeinträchtigungen durch Schadstoffeinträge wie Schwermetalle, Pestizide oder
Industriechemikalien (vgl. ebd.15). Die Wasserqualität des Bodensees unterliegt durchaus
Schwankungen. Ab Ende der 1960er bis Anfang der 1990er Jahre ließ sich eine sehr hohe Phosphat-
Konzentration (ortho-Phosphor-Phosphat) feststellen, deren Auftreten mit dem Einleiten von
Waschmittelresten in den Bodensee in Zusammenhang stand, welche in damaligen Kläranlagen noch
keiner ausreichenden Entfernung aus den Abwässern unterlagen. Die Funktionsweise von
Kläranlagen basiert auf sogenannten Selbstreinigungskräften. Ab Ende des 19. Jahrhunderts und
besonders nach dem Zweiten Weltkrieg reichten die natürlichen Selbstreinigungskräfte des Wassers
wegen der drastisch erhöhten Verschmutzung der Gewässer einhergehend mit der Industrialisierung
nicht mehr aus, sodass dazu übergegangen werden musste, Abwässer vor deren Rückführung in den
Wasserkreislauf in Kläranlagen mechanisch, biologisch sowie später auch chemisch zu reinigen (vgl.
ZINTZ et al. 2009: 122ff.). Bei der Entwicklung eines Klärwerksystems spielt u.a. der Anschlussgrad der
Bevölkerung eine wichtige Rolle. 1972 gelangte lediglich ¼ des Schmutzwassers in Kläranlagen, 2001
lag der Wert bereits bei 97,5%. Eine weitere Verbesserung des Systems der Abwasserreinigung liegt
in der Entfernung von Phosphorverbindungen (vornehmlich aus Waschmitteln) aus dem
Schmutzwasser, was mittlerweile zu etwa 99% möglich ist (vgl. ZINTZ et al. 2009: 123ff.)
13 Der Uferbereich des Bodensees ist im Landesentwicklungsplan Baden-Württemberg abgegrenzt und umfasst die Gemeinden bzw. Ortsteile: Daisendorf, Eriskirch, Friedrichshafen (Gemeindeteile Friedrichshafen, Kluftern), Hagnau a.B., Immenstaad a.B., Kressbronn a.B., Langenargen, Markdorf (Gemeindeteil Ittendorf), Meersburg (ohne Baitenhausen), Sipplingen, Stetten, Überlingen (Gemeindeteile Bondorf, Deisendorf, Hödingen, Nesselwangen, Nußdorf, Überlingen), Uhldingen-Mühlhofen (vgl. REGIONALPLAN BODENSEE-OBERSCHWABEN 1996: 2) 14 Vgl. http://www.zvbwv.de/de/zahlen_und_fakten.html, Zugriff 20.10.2011 15 Vgl. http://www.zvbwv.de/de/trinkwasser_aus_dem_bodensee.html, Zugriff 20.10.2011
76
Als wichtigster Grundsatz im Bereich der Abwasserreinigung gilt das Vorsorgeprinzip26, welches auch
in den Bodenseerichtlinien der Internationalen Gewässerschutzkommission festgehalten ist. Trotz
hoher Standards bei der Abwasserreinigung finden sich unerwünschte Stoffe in den Gewässern, wie
Abbauprodukte von Medikamenten oder andere anthropogen bedingte „Spurenstoffe“ wie EDTA,
wenngleich, insbesondere im Bodensee, in geringer Konzentration. In manchen Zuflüssen des
Bodensees liegt der Wert allerdings höher, weshalb diesen Risikostoffen besonderes Augenmerk
geschenkt werden muss (vgl. ZINTZ et al. 2009: 123, http://www.igkb.de/pdf/anthropogene spuren
stoffe_im_bodensee.pdf, 23.01.2012). Ein bekanntes Beispiel für einen früheren Problemstoff ist das
Totalherbizid Atrazin, ein früher vor allem in Sonderkulturen eingesetztes Insekten- und
Pilzvernichtungsmittel, dessen zunehmende negative Auswirkungen auf die Umwelt seit Beginn der
1980er Jahre festgestellt wurden16. Erst infolge des Totalverbots im März 1991 konnte eine
Verringerung der Konzentration festgestellt werden (vgl. ebd. S. 124).
5.3.3. Industrieraum
Friedrichshafen ist eine bedeutende Industriestadt am Bodensee. Ihre Industrialisierung begann
Mitte des 19. Jh. mit der Inbetriebnahme einer Eisenbahnteilstrecke, nämlich der Südbahn als Teil
der wichtigen Verbindung von der württembergischen Residenzstadt Stuttgart über Ulm –
Ravensburg nach Friedrichshafen. Die 1847 eröffnete Lederfabrik Huni & Co. repräsentierte den
ersten Industriebetrieb der Stadt. Sie existiert immer noch, hat sich inzwischen allerdings auf
Innenbeschichtungen von Behältern sowie Anlagen-, Apparate-, und Maschinenbau spezialisiert.
Abb. 5.7 Ferdinand Graf von Zeppelin
Das bedeutendste Symbol Friedrichshafens stellt hingegen „der Zeppelin“ dar, ein Starrluftschifftyp,
dessen Bezeichnung auf seinen Konstrukteur Ferdinand Graf von Zeppelin zurückgeht. Am 2. Juli
1900 startete und landete der erste Zeppelin im Friedrichshafener Ortsteil Manzell. Viele der heute
noch in Friedrichshafen tätigen Unternehmen bzw. deren Rechtsnachfolger wurden als Zulieferer für
die Zeppelinwerke gegründet: So geht das Unternehmen MTU Friedrichshafen (Motoren- und
Turbinen-Union) auf die ursprünglich 1900 gegründete Luftfahrzeug-Motorbau GmbH zurück, welche
16 Insbesondere auf Amphibien entfaltet die Substanz eine schädliche Wirkung (Störung der Entwicklung von Fröschen)
77
1911/1912 von Bissingen an der Enz nach Friedrichshafen umzog. Die 1915 vollzogene Gründung der
ZF (Zahnradfabrik Friedrichshafen) sollte der Verbesserung der Getriebetechnik der Zeppeline
dienen. Mittlerweile zählt die ZF Friedrichshafen AG zu den wichtigsten Unternehmen für Antriebs-
und Fahrwerktechnik der Welt17. Auch in der Region ansässige Betriebe der Luft- und Raumfahrt-
technik (Beispiel: EADS Deutschland mit seinen Töchtern, vor allem am Standort Immenstaad) haben
oftmals ihre Wurzeln im Zeppelinkonzern.
Darüber hinaus entwickelten sich am Bodensee zahlreiche andere Industrie- und Gewerbezweige,
vor allem der Maschinenbau (Beispiel Fa. Hilti in Schaan, Fürstentum Liechtenstein), aber auch die
Pharmaindustrie (Beispiel Nycomed in Konstanz und Zürich) und andere (vgl. WIMA 2011: 2).
5.3.4. Fischerei
Im Bodensee leben etwa 30 Fischarten, darunter wichtige Nutzfische wie Bodenseefelchen, Kretzer,
Seeforelle, Weißfischarten wie Ukelei, Hasel, Rotfeder u.a. Auch seltene oder vom Aussterben
bedrohte Arten, wie Bitterling, Moderlieschen oder Groppe finden hier einen Lebensraum. Ebenso
kommt im Bodensee die Trüsche vor, eine Art, die außerhalb des Bodensees stark gefährdet ist
(http://www.themenpark-umwelt.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/15928/?TBiframe=true&heigh
t=650&width=700&viewMode=popupSlideView&slideID=-1, 23.01.2012).
Abb. 5.8: Felchen
Als wirtschaftlich wichtigste Fischart im Bodensee gilt allerdings das Felchen aufgrund seiner weiten
Verbreitung und seiner Beliebtheit als Speisefisch18 (s. Abb. 5.8). Der Anteil der Felchen am
Gesamtfischfang im Bodensee von ca. 770.000kg/a zwischen 1999 und 2009 lag bei knapp 75%19.
Vor allem in jüngerer Zeit treten immer wieder neue Tierarten im und am See auf, sogenannte
Neozoen, welche nicht ursprünglich in diesem Lebensraum beheimatet sind, aber infolge
menschlicher Aktivitäten (bspw. infolge des Ansiedelns neuer Arten zur biologischen Bekämpfung
heimischer „Schädlinge“ oder um daraus wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen oder unbewusst) seit
Ende des 15. Jh. in den See kamen. Ein Beispiel dafür ist der aus Nordamerika in den Bodensee
eingeschleppte Sonnenbarsch (http://www.neozoen-bodensee.de, 02.07.2012).
17http://www.suedkurier.de/region/bodenseekreis-oberschwaben/friedrichshafen/Wie-die-Luftschifffahrt-die-Haefler-Industrie-befluegelte;art372474,5120777, Zugriff am 26. Oktober 2011
18 Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF), http://www.ibkf.org/wissenswertes/fische-des-bodensees.html, Zugriff 07.11.2011 19 Fangstatistik für den Bodensee 2009, http://www.ibkf.org/uploads/media/Fangstatistik_Bodensee_2009.pdf, Zugriff 07.11.2011
78
Seit Jahrzehnten sind die Fangerträge verschiedener Fischarten deutlich gesunken. Zurückzuführen
ist dies vermutlich auf eine Kombination vieler Faktoren: Der Bau von Wehren und Kraftwerken in
den Bodenseezuflüssen wirken als ökologische Barrieren für Wanderfischarten wie der Seeforelle.
Dazu kamen in der Vergangenheit Gewässerqualitätsprobleme, aber auch Überfischungen,
unzureichende Schonbestimmungen und Befischungsmethoden. In jüngster Zeit wird die
Reoligotrophierung des Sees als einer der Ursachen benannt. Mit Ausnahme der Reoligotrophierung
ergreift man zur Beseitigung dieser Probleme diverse Maßnahmen (Fangbeschränkungen, künstliche
Besatzmaßnahmen wie z.B. die Inkubation von Felchen- und Seeforelleneiern in Fischbrutanstalten
rund um den See, Einbau von Fischtreppen bzw. „raue Rampen“ in den Zuflüssen, vgl. ZINTZ et al.
2009: 98ff.). Hierbei spielt die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei
(IBKF, eine der ältesten grenzüberschreitenden Organisationen am Bodensee) eine große Rolle. Ihre
heutige Handlungsgrundlage ist noch immer einer der ältesten internationalen Fischereiverträge: die
Bregenzer Übereinkunft vom 5. Juli 189320.
Heute gibt es zirka 140 Berufsfischer und mehr als 10.000 Freizeitfischer am Bodensee, die jährlich
über 1.000 Tonnen Fisch fangen (vgl. SCHRÖDER 2006: 35).
5.3.5. Landwirtschaft
Aufgrund starker Nutzungskonkurrenzen, vor allem durch Siedlungsflächen, stehen der
Landwirtschaft im Bodenseeuferbereich, aber auch im seenahen Hinterland, mittlerweile immer
weniger Flächen zur Verfügung. Dazu kommen Intensivierungsprozesse (Umwandlung in
Sonderkulturen). Auf diese Weise verschwanden vor allem die früher landschaftsprägenden und, als
Folge einer Risikominderungsstrategie, sortenreichen Streuobstflächen. Dabei handelt es sich um
Landwirtschaftsflächen, auf denen eine Nutzung auf zwei Stockwerken stattfindet: Im unteren
Bereich als Acker oder als Grünland; im oberen Bereich als Dauerkultur (Obst, vor allem Äpfel und
Birnen, aber auch Kirschen). Die heute geringe wirtschaftliche Bedeutung geht vor allem auf die
geringen Möglichkeiten der Erhöhung der Produktivität zurück. Dazu kommen große
Ertragsschwankungen21 und Konkurrenzsituationen zum intensiven Erwerbsobstbau (dieser in Form
von hochproduktiven, aber sortenarmen Niederstamm- und Spindelanlagen mit deutlich höherem
Pestizideintrag), aber auch Änderungen der Verbrauchernachfrage (Rückgang des Konsums von
Most, einem leicht alkoholischen Getränk aus Obstsäften, Änderung von Geschmacks- und
Zubereitungsvorlieben etc.)22. Der Sortenverlust ist beträchtlich: Das Apfelsortiment im Handel
beschränkt sich auf lediglich sieben Hauptsorten, während das Spektrum im Streuobstbau etwa 50
Apfelsorten mit überregionaler Bedeutung sowie mehrere Hundert mit regionaler oder lokaler
Bedeutung umfasst (vgl. LANDESANSTALT FÜR UMWELTSCHUTZ 2001: 10). Dazu kommen Verluste an
Biodiversität aufgrund der hohen Biotoppotenziale von Streuobstwiesen.
Aufpreisvermarktungsmodelle nach dem Vorbild des „Markdorfer Modells“ von 1987
(http://www.bund-bawue.de/themen-projekte/streuobst/aktiv-fuer-streuobstwiesen/vermarktung,
20 siehe Fußnote 18 21 So betrug der Apfelertrag aus dem gesamten Streuobst- und Gartenobstanbau Baden-Württembergs im Jahr 1999 ca. 600.000 Tonnen, im Jahr 2000 dagegen etwa 1,3Mio t, um im darauffolgenden Jahr 2001 erneut deutlich zu sinken auf 450.000t (vgl. Landesanstalt für Umweltschutz 2001: 10; online verfügbar http://www.fachdokumente.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/50141/inf01_2.pdf?command=downloadContent&filename=inf01_2.pdf, Zugriff 02.11.2011) 22 vgl. http://www.weltkulturlandschaft-bodensee.info/index.php?id=46, Zugriff 24. Oktober 2011
79
23.01.2012) versuchen, über regionale Netzwerke den Streuobstanbau zumindest als
regionalökonomische „Nische“ so weit wie möglich zu erhalten.
Aus der Veränderung des Landwirtschaftmarktes resultiert u.a. eine zunehmende
Flächeninanspruchnahme für ökologischen Landbau und Bioprodukte. Im Bodenseeraum (auf
deutscher Seite, Landkreise Konstanz und Bodenseekreis) erhöhte sich die Anzahl der nach
entsprechenden Standards wirtschaftenden Betriebe im Vergleich zu 1999 um ca. 65% auf 303 im
Jahr 200323.
5.3.6. Tourismus
Der Bodenseeraum ist nicht nur als Siedlungsstandort, sondern auch als Tourismusdestination
attraktiv. In der Bodenseeregion (Abgrenzung vgl. Tabelle 1) waren im Jahr 2010 mehr als 7,1 Mio.
Gästeankünfte zu verzeichnen, wovon ca. 33% (2,3 Mio.) auf die deutsche und 47% (3,3 Mio.) auf die
schweizerische Seite entfielen24.
Tabelle 1: Gästeankünfte (mit Übernachtung) in der Bodenseeregion im Jahr 2010
Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage der Daten des Projektes Statistik für die Bodenseeregion,
online verfügbar unter http://daten.statistik-bodensee.org/table.php?thema=8, Zugriff am 19. Oktober 2011
Die Anzahl der Tagestouristen beläuft sich auf etwa 14 Millionen pro Jahr (vgl. ZINTZ et al. 2009: 118).
Der Bodenseeraum und der See selbst bieten ein vielfältiges Angebot an Freizeitaktivitäten, wie
Baden, Fischen, Segeln und Tauchen, Camping, Möglichkeiten für Fahrradtourismus u.a. Die große
Bedeutung des Tourismus birgt auch Risiken für den Bodensee. An erster Stelle ist hier der Verkehr
und die damit zusammenhängenden Umweltprobleme wie Lärm, Schadstoffemissionen etc. zu
nennen. Der Bootsverkehr auf dem See belastet über die Motoremissionen das Wasser selbst, aber
23 vgl. http://www.weltkulturlandschaft-bodensee.info/index.php?id=45, Zugriff 24. Oktober 2011 24 Vgl. http://www.statistik-bodensee.org/index.php/ueber-uns.html, Zugriff 20. Oktober 2011
Gebietsbezeichnung Gästeankünfte
Hotellerie
%
GGeebbiieett aauuff ddeeuuttsscchheerr SSeeiittee
Landkreis Konstanz
LK Sigmaringen
LK Bodenseekreis
LK Ravensburg
LK Lindau
LK Oberallgäu
Kempten
2.341.984 32,9%
SScchhwweeiizzeerr GGeebbiieett
Kanton Zürich
Kt. Schaffhausen
Kt. Appenzell Ausserrhoden
Kt. Appenzell Innerrhoden
Kt. St.Gallen
Kt. Thurgau
3.350.062 47,1%
Land Vorarlberg (ÖÖsstteerrrreeiicchh) 1.367.326 19,2%
Fürstentum LLiieecchhtteennsstteeiinn 51.815 0,8%
Bodenseeregion 7.111.187 100%
80
auch, über seinen Bedarf an Liegeplätzen und andere Infrastruktureinrichtungen, die besonders
empfindliche Uferzone (vgl. ZINTZ et al. 2009: 118f.). Immerhin sind 36.000 Motorboote auf dem See
zugelassen (http://www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/66770/, 02.11.2011). Einerseits
bildet die Region ein geeignetes und bevorzugtes touristisches Ziel, was auch zur Entstehung
tourismuswirtschaftlicher Wertschöpfungsketten führt. Andererseits verlangt der Bodenseeraum im
Sinne des Erhalts der zur Verfügung stehenden Ressourcen nach einer Steuerung der
Nutzungsansprüche zur Gewährleistung seiner nachhaltigen Nutzung; zumal diese Ressourcen häufig
diejenigen Anziehungspunkte bilden, auf welchen der Tourismus basiert.
Der Regionalplan trägt dem durch die Formulierung u. a. folgender Grundsätze Rechnung: „Der
Fremdenverkehr in der Region soll in Form eines umwelt- und sozialverträglichen Tourismus weiter
ausgebaut werden. Neue Gästegruppen sollen gewonnen werden […]. Weitere Angebote für
Familienerholung für Langzeiturlaube und für Zweit- und Kurzurlaube sind zu schaffen und alle
Möglichkeiten zur Saisonverlängerung zu nutzen.“ (REGIONALPLAN BODENSEE-OBERSCHWABEN, 1996: 54).
5.3.7. Der Bodenseeraum als Verkehrsraum
Neben seinen Funktionen als Trinkwasserspeicher sowie Erholungsstandort nimmt der
Bodenseeraum eine wichtige Stellung als Kommunikationsstandort ein, besitzt also eine hohe
„verkehrspolitische Bedeutung“ (vgl. http://www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/66770/,
02.11.2011).
Ein Beispiel dafür ist der Seekörper selbst mit seinem Schiffsverkehr, der teilweise primär touristische
(„Weiße Flotte“), teilweise aber auch ÖPNV-ähnliche Angebote umfasst. So können vor allem die
Fähr- und Katamaranverbindungen zwischen den Uferstädten am See zu einer Reduzierung des
Straßenverkehrs beitragen. Pro Jahr überqueren 61.000 Schiffe den See, wodurch über 4,3 Mio.
Menschen, 1,4 Mio. Pkw sowie 89.000 Nutzfahrzeuge transportiert werden (vgl. ebd.).
Der Schiffsverkehr auf dem Bodensee wird seit langem grenzüberschreitend geregelt. Die Grundlage
der aktuellen Regelung wurde 1973 gelegt, als Österreich, Deutschland und die Schweiz über eine
gemeinsame Schiffsverkehrsregelung übereinkamen, auf dessen Grundlage die
Bodenseeschifffahrtsordnung (BSO) festgelegt wurde, welche wiederum zur Bildung der
Internationalen Schifffahrtskommission für den Bodensee (ISKB) führte25. Die BSO ist auch die
Rechtsgrundlage für das Bodenseeschifferpatent, das aufgrund der Spezifika des Bodensees (u.a.
Sturmgefährdungen, Anforderungen aufgrund der Eigenschaft als internationales Gewässer) von den
Führern von Motor- und größere Segelbooten für den Bodensee verlangt wird, einzigartig für die
deutschen Binnenseen.
5.4. Natur- und Wasserschutz
„Die Grundwasservorkommen und das Oberflächenwasser des Bodensees sind für die langfristige
Wasserversorgung zu schützen“, „Der Bodensee ist als Ökosystem und wegen seiner Funktion als
Trinkwasserspeicher vor schädigenden Einflüssen zu sichern“ (REGIONALPLAN BODENSEE-OBERSCHWABEN
25 MINISTERIUM FÜR VERKEHR UND INFRASTRUKTUR BADEN-WÜRTTEMBERG http://www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/ 66770/, Zugriff am 19. Oktober 2011
81
1996: 154/156). Mit der Festsetzung solcher Erfordernisse spiegeln sich der Wert des Bodensees und
seiner Schutzbedürftigkeit im Regionalplan Bodensee-Oberschwaben deutlich wieder. Im räumlichen
Teilregionalplan „Bodenseeuferplan“, einem Instrument, das am Bodensee erstmals in Baden-
Württemberg angewendet wurde, erfahren sie eine weitere Vertiefung und sachlich-räumliche
Konkretisierung. Dies betrifft u.a. die Themen „Flachwasserzonen-„ sowie „Natur- und
Landschaftsschutz“. Flachwasserzonen erfüllen unterschiedliche Funktionen innerhalb des
Seeökosystems. Sie tragen zur Selbstreinigungskraft des Seewassers bei, bilden den Lebensraum für
viele Wasserpflanzen und stellen Laich- und Aufwuchshabitate für unterschiedliche Fischarten bereit.
Überdies dient dieser Übergangsbereich zwischen Wasser und Land zahlreichen Vogelarten als
Lebensraum. Eingriffe in Uferzonen, bspw. in Form des Baus von Hafenanlagen oder durch künstliche
Aufschüttungen, können dieses bedeutsame, komplexe und empfindliche System in seiner
Funktionsweise massiv beeinträchtigen (vgl. BODENSEEUFERPLAN 1984: 1ff.). Überdies liegen in diesem
Bereich häufig Relikte prähistorischer Siedlungen. Infolgedessen gibt der Bodenseeuferplan eine
Regulierung der unterschiedlichen Nutzungen im Uferbereich vor und unterscheidet zwei Typen von
Flachwasserschutzzonen entsprechend „der limnologischen Bedeutung, dem Grad der Schädigung
und der künftigen Nutzung“ (vgl. ebd.: 6). Bezüglich Natur- und Landschaftsschutz sieht der Plan den
Erhalt bzw. die Erweiterung der Schilfbestände (als Ziel der Raumordnung und Landesplanung) vor.
Diese spielen ebenfalls eine wichtige Rolle als Lebensraum, Laichplatz und Aufwuchsstandort für
Amphibien, Wasserinsekten und Fische sowie als Mauser-, Rast- und Überwinterungshabitate für
bestimmte Vogelarten. Darüber hinaus trifft der Bodenseeuferplan Festlegungen über
unterschiedliche Vorrangbereiche für Natur- und Landschaftsschutz im Uferbereich, was auf den
Ausschluss bzw. die Einschränkung bestimmter Nutzungen hinwirken soll (vgl. ebd.: 1-24).
Ab der 1950er Jahre waren deutlich die Auswirkungen des Bevölkerungszuwachses, der
prosperierenden Industrie, der aufgrund der günstigen regionalen klimatischen Verhältnisse sich
stark auf Sonderkulturen spezialisierenden Landwirtschaft sowie der zunehmende
Wirtschaftswohlstand zu spüren (Intensivierung Tourismus, Zunahme Immissionen in den See).
Nährstoffe konnten sich im See anreichern, was dessen Eutrophierung nach sich zog, verbunden mit
zum Teil gravierenden Problemen, die Reinhaltung des Trinkwasserspeichers sowie die
Aufrechterhaltung des Images der Tourismusdestination betreffend (vgl. ZINTZ et al. 2009: 9). Dies
führte zu einem Konsens über die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen sowie darüber, dass die
Durchführung dessen auf internationaler Ebene geschehen sollte (Gründung der Internationalen
Gewässerschutzkommission für den Bodensee im Jahr 1959, vgl. ZINTZ et al. 2009: 9; s.a. Abschnitt
3.6 in diesem Kapitel). Zur Verbesserung der Wasserqualität des Bodensees errichtete man
zahlreiche Kläranlagen, in welchen eine weitgehende Reinigung des Abwassers vor der Einleitung in
den Bodensee stattfindet. Infolge derartiger und anderer Bemühungen wies bspw. der
Phosphorgehalt des Bodensees (Indikator für den Zustand eines Gewässers) zwischen 2005-2008
ähnliche Werte auf wie vor der Eutrophierung des Sees. Trotz solcher Erfolge bedarf es der
Fortsetzung von Schutzmaßnahmen, da der See stets neuen und intensiveren Nutzungen ausgesetzt
ist, welche auch mit Risiken einhergehen. „Hierzu muss man vom Reparaturgedanken wegkommen
und das Vorsorgeprinzip26 zum obersten Gebot erheben“ (ZINTZ et al. 2009: 123). Angesichts dessen
26 Das Vorsorgeprinzip ermöglicht eine schnelle Reaktion angesichts möglicher Gefahren für die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder aus Gründen des Umweltschutzes. In den Fällen, in denen die verfügbaren wissenschaftlichen Daten keine umfassende Risikobewertung
82
findet weiterhin eine Förderung und Durchführung von Forschungen über den Bodensee statt,
koordiniert von dem der baden-württembergischen Landesanstalt für Umwelt, Messungen und
Naturschutz (LUBW) unterstehenden Seenforschungsinstitut in Langenargen.
5.5. Internationale Kooperation
Wie oben erwähnt, kam es bisher zu keiner Festlegung genauer Nationalstaatsgrenzen zwischen den
am Bodensee liegenden Staaten (Deutschland, Österreich, Schweiz) im Bereich des Obersees, was die
zwischenstaatliche Kooperation keineswegs behindert, sondern eher noch fördert. Diverse
internationale Kommissionen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten arbeiten stets mit
dem Ziel zusammen, den Bodensee sowie die dort lebende Flora und Fauna zu schützen und den
Bodenseeraum auf eine nachhaltige Art und Weise zu fördern (Zintz et al. 2009:13). Die wichtigsten
internationalen Kommissionen sind:
IBFK – Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei: Am 5. Juli 1893
beschlossen die Regierungen von Österreich, Baden, Bayern, Liechtenstein, Württemberg und der
schweizerische Bundesrat mit dem Ziel der im Konsens erfolgenden Erarbeitung und Anwendung von
Bestimmungen für die Fischerei die „Bregenzer Übereinkunft“ als bis heute geltende Grundlage für
Fischereiregelungen. „Die Idee der nachhaltigen Bewirtschaftung war ebenso enthalten wie der
Artenschutz. Auch der Zusammenhang des Bodensees mit seinen Zuflüssen und mit anderen
Gewässernutzungen wurde bereits damals erkannt und berücksichtigt, ebenso die Notwendigkeit der
Fischereiaufsicht“ (IBFK – Aufgaben und Ziele. Die Begrenzer Übereinkunft27).
IGKB – Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee: Die IGKB wurde 1959
angesichts des bereits erläuterten Verschmutzungsprozesses des Bodensees gegründet (vgl. ZINTZ et
al 2009: 13). Zu den Mitgliedern bzw. Gründern dieser Kommission gehören Baden-Württemberg und
Bayern, die Republik Österreich und die Schweizerische Eidgenossenschaft. Deren wichtigste
Aufgaben beinhalten u.a. die Überwachung des Bodenseezustandes, die Feststellung von
Belastungsursachen und die Empfehlung koordinierter Gegen- bzw. Vorsorgemaßnahmen (vgl.
Website der IGKB28).
IBK – Internationale Bodenseekonferenz: Ausgehend vom Bedarf an einem gemeinschaftlichen,
internationalen Umgang mit dem Bodensee gründete man 1972 die IBK. Mitglieder sind nicht nur die
an den Bodensee grenzenden, sondern auch jene mit dem Bodensee verbundenen administrativen
Gebiete (vgl. Website der IBK29), darunter:
zulassen, ermöglicht der Rückgriff auf dieses Prinzip beispielsweise die Verhängung eines Vermarktungsverbots oder sogar den Rückruf etwaig gesundheitsgefährdender Produkte“, Zusammenfassungen der EU Gesetzgebung, Umwelt (vgl. http://europa.eu/legislation_summaries/environment/general provisions/l32042_de.htm, Zugriff am 20. Oktober 2011. ) 27 IBFK Website, http://www.ibkf.org/aufgaben-und-ziele/bregenzer-uebereinkunft.html., Zugriff am 20. Oktober 2011. 28 IGKB Website, http://www.igkb.de/html/aufgaben/index.html, Zugriff am 20. Oktober 2011. 29 IBK- Website, http://www.bodenseekonferenz.org/20664/IBK/Mitglieder/index_v2.aspx, Zugriff am 20. Oktober 2011.
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• Deutschland:
∼ Baden-Württemberg: Landkreise Konstanz, Bodenseekreis, Ravensburg, Sigmaringen
∼ Freistaat Bayern: Landkreise Lindau und Oberallgäu, Stadt Kempten
• Österreich:
∼ Land Vorarlberg
• Liechtenstein
∼ Fürstentum Liechtenstein
• Schweiz:
∼ Kanton Thurgau
∼ Kanton St. Gallen
∼ Kanton Schaffhausen
∼ Kanton Appenzell Innerrhoden
∼ Kanton Appenzell Ausserrhoden
∼ Kanton Zürich.
Der Themenbereich der Konferenz umfasst ein breites Spektrum, da sämtliche Funktionen des
Bodenseeraums (Natur-, Lebens-, Kultur-, und Wirtschaftsraum) in die Betrachtung mit einbezogen
werden. Der Erhalt bzw. die Förderung der Funktionen der Bodenseeregion zählt neben der
Verstärkung der regionalen Kohärenz zu den Zielen dieser Konferenz (vgl. ebd.30). Die Arbeit der
Konferenz erfolgt vor allem in Form von Kommissionen. Beispiele dafür sind:
1. Bildung, Wissenschaft und Forschung,
2. Kultur,
3. Umwelt,
4. Verkehr,
5. Wirtschaft,
6. Gesundheit und Soziales,
7. Öffentlichkeitsarbeit30.
Die dargestellte Art der Kooperation wird von vielen Akteuren als „gut“ bewertet, obwohl auch
immer wieder Interessensgegensätze der verschiedenen Konferenzmitglieder deutlich werden.
30 IBK- Website, http://www.bodenseekonferenz.org/20658/IBK/Ueber-die-IBK/index_v2.aspx, Zugriff am 20. Oktober 2011
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5.6. LITERATURVERZEICHNIS Exkursionstag 5
HETHEY, T.; MAIER, W-P.; SCHULZ, J. (2006): EUREGIO-BODENSEE – Zahlen, Fakten, Trends,
Bevölkerung. translake GmbH; online verfügbar: http://www.statistik-bodensee.org/tl_files/statistik/
downloads/publikationen/trends.pdf, Zugriff 19.10.2011
SAURWEIN, K. (2008): Wirtschaftsakteure im Alpenrheintal: Vernetzungen und Orientierungen in einem von
Grenzen durchzogenen Wirtschaftsstandort.Universität Innsbruck, Institut für Geographie; online verfügbar:
http://www.uibk.ac.at/dokonara/2008/downloads/saurwein.pdf, Zugriff 20.10.2011
SCHRÖDER, H.G. (2006): Gewässerschutz für den internationalen Trinkwasserspeicher Bodensee. In: ROTT, U.:
Innovationen in der Wasserversorgung, 20. Trinkwasserkolloquium am 22. Februar 2006. Komissionsverlag.
München. S. 31-42
SCHULZ, J.; BAYRAM, E.(2007): Im Fokus: Die Regio Bodensee – Bevölkerung, Beschäftigung und Arbeitsmarkt.
Ausgewählte Branchen. Verkehr, Bildung, private Ausgaben. Bevölkerung. translake GmbH im Rahmen des
Projekts Statistikplattform Bodensee; online verfügbar: http://www. statistik-
bodensee.org/tl_files/statistik/downloads/publikationen/imfokus.pdf, Zugriff 19.10.2011
ZINTZ, K.; LÖFFLER, H.; SCHRÖDER, H.G. (2009): Der Bodensee. Naturraum im Wandel. Thorbecke
BODENSEEUFERPLAN, online verfügbar: http://www.bodensee-oberschwaben.de/upload/
bodenseeuferplan_1984___Text__mq__501.pdf, Zugriff 19.10.2011
Fangstatistik für den Bodensee 2009: http://www.ibkf.org/uploads/media/Fangstatistik_Bodensee_ 2009.pdf,
Zugriff 07.11.2011
IBFK: http://www.ibkf.org/aufgaben-und-ziele/bregenzer-uebereinkunft.html, Zugriff 20.10.2011
Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden- Württemberg: Verkehrspolitik, Schiffahrt und Häfen,
Schifffahrt auf dem Bodensee: http://www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/66770/, Zugriff 19.10.2011
Pfahlbaumuseum Unteruhldingen Bodensee, Freilichtmuseum und Forschungsinstitut,
http://www.weltkulturerbe-pfahlbauten.de/, Zugriff 19.10.2011
Protokolle der Regionalwissenschaftlichen Exkursionen des IfR 2007, 2008, 2009
Regionalverband Bodensee-Oberschwaben, Regionalplan, online verfügbar: http://www.bodensee-
oberschwaben.de/ upload/RVBO_Regionalplan1996_Textteil_174.pdf, Zugriff 19.10.2011
SAVE-Foundation (Sicherung der landwirtschaftlichen Arten Vielfalt in Europa): http://www.save-
foundation.net/deutsch/heim.htm, Zugriff 28.10.2011
Statistik Bodensee, Tourismusdaten: http://daten.statistik-bodensee.org/table.php?thema=8, Zugriff
19.10.2011
Südkurier 21.09.2011: Wie die Luftschifffahrt die Häfler Industrie beflügelte: http://www.suedkurier.
de/region/bodenseekreis-oberschwaben/friedrichshafen/Wie-die-Luftschifffahrt-die-Haefler-Industrie-
befluegelte;art372474,5120777, Zugriff 26.10.2011
Weltkulturlandschaft Bodensee: http://www.weltkulturlandschaft-bodensee.info/index.php?id=45, Zugriff
24.10.2011
Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung (BWV): http://www.zvbwv.de/, Zugriff 20. 10. 2011
http://www.tierportraet.ch/htm06/gelbstirnamazone.php, Zugriff 7.11.2011
5.7. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Exkursionstag 5
Abbildung 5.1: Google Earth, Zugriff 26.10.2011
Abbildung 5.2: Zintz et al. 2009: 52
Abbildung 5.3: Zintz et al. 2009: 52
Abbildung 5.4: http://www.weltkulturerbe-pfahlbauten.de/details/artikel02.html, Zugriff
18.10.2011
Abbildung 5.5: http://www.weltkulturerbe-pfahlbauten.de/details/artikel01.html, Zugriff 18.10.2011
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Abbildung 5.6: http://www.igkb.de/html/seedaten/index.html, Zugriff 25.10.2011
Abbildung 5.7: http://zbw.eu/beta/p20/person/42352/about.en.html
Abbildung 5.8: http://www.fischereivereinkleinmeiseldorf.at/bilder/bildergalerie/felchen-g.jpg,
Zugriff 24.10.2011
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6. FAZIT aus Sicht der Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmer
Rückblickend und zusammenfassend lässt sich durchaus das Gelingen des Exkursionsvorhabens
feststellen, beispielhaft ein raumanalytisches Vorgehen (hinsichtlich sozialer, wirtschaflticher,
ökologischer Zusammenhänge) anzuwenden, stets eine Kontextualisierung des Erfahrenen
vorzunehmen und in der Synthese dessen eine Vorstellung davon zu gewinnen, auf welcher Basis
Planungskonzepte entstehen.
Zwischen vorhandenem sowie vor Ort erarbeitetem Wissen ließen sich am Beispiel Vorarlbergs im
Laufe der Exkursion permanent Bezüge herstellen zu beobachteten, wahrgenommenen
Sachverhalten, wobei die (anfängliche) Unkenntnis der gesamten Region seitens der
Exkursionsteilnehmer sicherlich keinen Nachteil darstellte, sondern es im Gegenteil erleichterte,
auch das vermeintlich Offensichtliche zu hinterfragen und sich so ein umfassendes Bild der
zugrundeliegenden Strukturen innerhalb der Region zu erarbeiten. Letztlich brachte dies den
Teilnehmern zwar auch den Planungskontext in der Region Rheintal oder im Bundesland Vorarlberg
näher, es wurde darüberhinaus die Herangehensweise zur Analyse eines solchen Konstrukts einer
Region deutlich. Vorarlberg stellt für die Anwendung eines solchen Ansatzes in der Tat ein geeignetes
Beispiel dar. Innerhalb Österreichs besitzt es nicht zuletzt angesichts seines historischen Hintergrunds
eine besondere Stellung, hat überdies eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung vorzuweisen,
verfügt u. a. wegen seiner hohen Naturraumdiversität über eine beträchtliche Vielfalt an
Raumnutzungspotentialen, u. a. als Tourismusdestination, notwendigerweise einschließlich aller
Nachteile, bspw. daraus resultierender Nutzungskonflikte.
Obwohl dies zunächst auf eine eher idiosynkratische Vorgehensweise bei der Raumanalyse
hindeutet, handelt es sich bei dem methodischen Ansatz zweifelsohne um einen auf andere
Raumeinheiten übertragbaren, was schließlich nochmals die hohe Bedeutung der Durchführung
einer solchen Exkursion für angehende Regionalwissenschaftler/-planer bekräftigt.