30
Universalien des Übersetzens Magda Jeanrenaud Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur TRANSKULTURALITÄT – TRANSLATION – TRANSFER

Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

Universalien des Übersetzens

Magda Jeanrenaud

Frank & Timme

Verlag für wissenschaftliche Literatur

T r a n s k U lT U r a l i T ä T – T r a n s l aT i o n – T r a n s f e r

Page 2: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

Julia Richter / Larisa Schippel (Hg.) Magda Jeanrenaud: Universalien des Übersetzens

Page 3: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

Transkulturalität – Translation – Transfer, Band 4 Herausgegeben von

Dörte Andres / Martina Behr / Larisa Schippel / Cornelia Zwischenberger

Page 4: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

Julia Richter / Larisa Schippel (Hg.)

Magda Jeanrenaud

Universalien des Übersetzens

Aus dem Rumänischen übersetzt von Claudia Elena Bobei, Daniela Cretu, Monica Valentina Fetke, Cinzia Hirschvogel Draghici, Anamaria Ivaşcu, Iunia Martin,

Iulia Natrapei, Loredana-Maria Păsărin, Andreea Celina Patraşcu, Alexandra Roată, Alexandra Rusu, Alina-Daniela Şorlei,

Anca Ioana Stroie, Aca-Olguṭa Szabo

Verlag für wissenschaftliche Literatur

Page 5: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

Umschlagabbildung: „Babelturm“, Jakob Gautel, 2006–2013, hier im Botanique in Brüssel. Höhe und Durchmesser ungefähr 4,50 m, Installation aus ca. 15 000 Büchern verschiedenster Herkunft, Themen und Sprachen. © Jakob Gautel 2006–2013

Die Publikation wurde durch die Universität Wien, die Österreichisch-Rumänische Gesellschaft und das Rumänische Kulturinstitut, Bukarest (Institutul Cultural Român, Bucureşti) gefördert.

Die Monographie wurde von Studierenden des Zentrums für Translationswissenschaft der Universität Wien im Rahmen einer Projektarbeit übersetzt. Das Projekt wurde von Julia Richter, Gudrun Huemer und Larisa Schippel unter Mitarbeit der Autorin betreut. ISBN 978-3-86596-444-1 ISSN 2196-2405 © Frank & Timme GmbH Verlag für wissenschaftliche Literatur Berlin 2014. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts- gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Herstellung durch das atelier eilenberger, Taucha bei Leipzig. Printed in Germany. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. www.frank-timme.de

Page 6: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ............................................................................................................... 7

Wo „alles gleich und nichts ähnlich ist“ ......................................................... 19

Frankophonie, Zweisprachigkeit und das Übersetzen ................................... 43

Sieben Übersetzungsverfahren, damit wir wissen, wovon wir reden … ...... 65

Die dritte Sprache der Übersetzung: Ion Luca Caragiale auf Französisch ..... 83

Eugen Ionescu und die Übersetzung .................................................................. 83

Monica Lovinescu und die Geschichte einer spät veröffentlichten Übersetzung ...................................................................... 89

Das Theater: Übersetzung oder Adaptation? .................................................... 93

Die rumänische Sprache in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ............ 103

Bühnenanweisungen .......................................................................................... 109

Das Problem der Wiederholung ....................................................................... 111

Kulturelle Bezüge ................................................................................................ 124

Übersetzung von Eigennamen, Spitznamen und affektiven Anredeformen ........................................................................... 130

Interjektionen und Zeichensetzung ................................................................. 137

Die dritte Sprache der Übersetzung ................................................................. 147

Page 7: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 6

Übersetzung als Spiel der Akkumulation und Redistribution des symbolischen Kapitals ............................................................................. 159

Fallstudie: der Verlag Polirom ........................................................................... 159

Einige Fakten zum Verlagswesen nach 1989 ......................................... 159 Der Verlag Polirom: eine Erfolgsgeschichte à la roumaine ................. 160 Die Auswahlkriterien – eine „heterologische“ Logik ............................ 163 Übersetzung als Mittel zur Synchronisierung ....................................... 167 Taste makers ............................................................................................... 171 Wer sind die Übersetzer? .......................................................................... 176 Die Sprachen der Übersetzer .................................................................... 181 Die Funktionen und Bedeutungen der Übersetzungen........................ 186

Die Eigenschaften der Exotopie .................................................................... 191

Übersetzer – Autor: ein schwieriges Verhältnis ........................................... 203

Übersetzen von Philosophie, Philosophie des Übersetzens ........................ 213

Universalien des Übersetzens ....................................................................... 237

Über die „Seele“ des Übersetzens ................................................................. 289

Zur Ethik des Übersetzens ................................................................................. 289

Übersetzung: Mit der „Seele“ oder mit dem „Herzen“? ................................ 311

Literaturverzeichnis ....................................................................................... 323

Page 8: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 7

Vorwort

Das Buch von Magda Jeanrenaud ist eine vielschichtige Darstellung der Welt der Übersetzung und der Übersetzer und liegt jetzt auch in deutscher Überset-zung vor. Es beleuchtet eingehend die wissenschaftlichen, praktischen und ethischen Aspekte dieser, für die Entwicklung der meisten Sprachen und Kul-turen wichtigen Tätigkeit, wie die neun Beiträge zur Übersetzung und Sprach-geschichte aus dem von G. Ernst, M.-D. Gleßgen, Ch. Schmitt und W. Schweickard herausgegebenen Handbuch Romanische Sprachgeschichte (Berlin, de Gruyter, 2006, Art. 118-124) zeigen. Die Autorin ist Professorin am Institut für Französische Sprache und Literatur der Alexandru-Ioan-Cuza-Universität Iaşi mit langjähriger Unterrichtserfahrung insbesondere auf dem Gebiet der Theorie und Praxis der Übersetzung, zugleich ist sie eine versierte Über-setzerin verschiedener Texttypen aus dem Französischen ins Rumänische (u.a. Texte von T. Todorov und P. Ricœur).

In zehn dichten Kapiteln werden die wesentlichen Probleme des Über-setzens aus der jeweiligen kontextuellen, theoretischen und praktischen Per-spektive erörtert. Dabei durchzieht das geforderte Berufsethos, den Anderen in die Gastgeberkultur mit hohem Respekt vor seiner Andersartigkeit aufzu-nehmen, das ganze Werk. Trotz des allgemeinen inhaltlichen Zusammenhangs kann man die Kapitel auch getrennt oder in einer anderen Reihenfolge lesen.

Dazu können die fehlende Kapitelnummerierung und die neugierig ma-chenden Kapiteltitel veranlassen.

Die übersetzerische Tätigkeit unterliegt einer kaum zu bewältigenden Kom-plexität. Der Quelltext muss verstanden und verständlich gemacht werden, Übersetzung ist also immer auch eine Interpretation. Der Übersetzer ist gefan-gen zwischen den Zwängen des Ausgangstextes und den Erwartungen des Kontextes der Zielkultur, er bewegt sich sprachlich und ethisch zwischen „Treue“ und „Untreue“. „Treue“ führt eher zur Wahl einer sogenannten lectio difficilior, „Untreue“ eher zu einer semantischen Verflachung. Wegen der ver-schiedenen semantischen Verschichtungen der Wörter in den einzelnen Spra-chen gehen häufig Polysemie und Konnotationen verloren, die aber für die Atmosphäre des Ausgangstextes von Bedeutung sein können, wie die Autorin

Page 9: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 8

anhand der Wiedergabe der französischen Wörter but (‚Ziel‘, ‚Tor‘) und flâneur in rumänischen Texten zeigt. Metaphorische Übersetzungen wecken ganz andere Assoziationen, so wenn das Partizip im Titel von T. Todorovs Werk L’homme dépaysé (dt. ‚sich aus der gewohnten Umgebung herausgerissen füh-lend‘) ins Rumänische als Omul dezrădăcinat (dt. ‚entwurzelt‘) übersetzt wird. ‚Land‘ und ‚Wurzel‘ können aber hier durch ein gemeinsames semantisches tertium comparationis in Verbindung gebracht werden. Zu Übersetzendes und Übersetztes teilen einen gemeinsamen semantischen Kern, ihre kulturellen Umfelder sind aber unähnlich, wie ähnlich und unähnlich die französichen und die deutschen Versionen der Geschichte vom Rotkäppchen sind. So kann die Autorin unseres Buches einen Satz des Philosophen André Glucksmann aus seinem Buch Le bien et le mal: Lettres immorales d’Allemagne et de France, in dem die Rotkäppchen-Versionen verglichen werden, zum Titel Wo alles gleich und nichts ähnlich ist des ersten Kapitels machen.

Aufgrund der kulturellen Leistungen Frankreichs zu verschiedenen Epo-chen sind französische Texte seit dem Mittelalter oft als Ausgangstexte für Übersetzungen in verschiedene Sprachen verwendet worden. Dies gilt ins-besondere für die anderen romanischen Sprachen, die aufgrund der verwand-ten Ähnlichkeit der Oberflächenstrukturen Gallizismen leicht adaptieren kön-nen. Im 14. und 15. Jahrhundert schreiben Italiener Epen, Romane, Legenden und Predigten in einer künstlichen Sprache, dem von der Romanistik bezeich-neten Franko-Italienisch, das das Ergebnis der Schreibweise von italophonen Autoren ist, deren Kompetenz in der Zielsprache Französisch beschränkt war. Durch die Kreuzzüge wird das gesprochene Französisch als lingua franca der Levante verwendet. Auch wenn der Begriff francophonie in sprachpolitischem Sinn erst nach dem Zweiten Weltkrieg auftaucht, besteht die Frankophonie als Expansionsphänomen seit dem Mittelalter. Dabei kann sie vereinnahmend wirken, wie in den französischen Kolonien vor dem Zweiten Weltkrieg, oder sie wird zur Entwicklung der eigenen Sprache und Kultur vereinnahmt. Letzte-res war der Fall in den rumänischen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhun-derts, da zuerst über die Höfe der Phanarioten und die Offiziere der russischen Besatzungsarmeen die französische Kultur und die französischen Manieren bekannt wurden. Die Öffnung nach Westeuropa über die Frankophonie er-laubt den rumänischen Eliten die allmähliche Abwendung von der osmani-schen Suzeränität und die Initiierung der Modernisierung der Donaufürsten-tümer. Die Aneignung der Frankophonie läuft über verschiedene Kanäle. Die Eliten lernen als internationale Kultursprache durch Hauslehrer oder durch

Page 10: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 9

Studien in Paris Französisch und werden tendenzmäßig zweisprachig. Ein Gebildeter wie der Moldauer Alecu Beldiman (1760-1826) übersetzt Florian, Voltaire und den Abbé Prévost. Die ersten verfassungsähnlichen Texte, wie die Regulamente organice von 1831/1832 und das Proiect de Constituţie von Ion C. Câmpineanu von 1838 werden auf Französisch und auf Rumänisch redigiert. Alexandru Ioan Cuza hat den ganzen Verwaltungsapparat der vereinten Fürs-tentümer nach französischem Modell aufgebaut. Wie Radu Rosetti (1853-1926) in seinem Werk Din copilărie. Amintiri (1925) berichtet, las man zur Zeit Cuzas in seiner Familie regelmäßig Zeitungen und Zeitschriften wie In-dépendance belge, Débats, Figaro, La Liberté, La Revue des Deux Mondes. Im zweiten Kapitel des Buches zeichnet Magda Jeanrenaud vor allem mit Hinwei-sen auf das klassische Werk von Pompiliu Eliade, De l’influence française sur l’esprit public en Roumanie (1898), die Bedeutung der Vereinnahmung der Frankophonie über Übersetzungen und Imitationen für die Bildung der mo-dernen rumänischen Sprache und der neuen Textsorten nach. Daher der Titel des zweiten Kapitels Frankophonie, Zweisprachigkeit und das Übersetzen.

Das Prestige der französischen Sprache und Kultur in der Moldau und in der Walachei führt dazu, dass auch in der Alltagskonversation versucht wird, Französisch zu sprechen oder nachzuahmen. Diese Erscheinung wird von Vasile Alecsandri (1818-1890), einem der großen Erneuerer der rumänischen Literatur, in den Komödien, die von der Hauptfigur Chiriţa getragen werden, immer wieder parodiert. Coana Chiriţa ist eine ungebildete Gutsbesitzerin, die den Anschein einer gebildeten Aristokratin erwecken will und daher ihre Französischkenntnisse zur Schau stellt. Französisch hat sie nur als Autodi-daktin nach Gehör gelernt, aber sie adaptiert mutig rumänische Wörter, Re-dewendungen und Eigennamen. Es entsteht so ein Idiolekt, der nur ver-ständlich ist, wenn man die Ausgangssprache kennt. So, wenn Chiriţa den rumänischen Ausdruck pentru flori de cuc (‚für Kuckuksblumen‘, d.h. ‚um-sonst‘) durch pour les fleurs de coucou statt c’est du vent wiedergibt. Alecsandri wendet dabei auf satirische Weise die ein Jahrhundert später von Jean-Paul Vinay und Jean Darbelnet in ihrer Stylistique comparée du français et de l’anglais. Méthode de traduction (London 1958) festgelegten Übersetzungs-prozeduren an. Auf diese sieben Standardverfahren – emprunt, calque, traduc-tion littérale, transposition, modulation, équivalence, adaptation –, die in der Frankomanie des rumänischen 19. Jahrhunderts immer wieder anzutreffen sind, spielt der Titel des dritten Kapitels Sieben Übersetzungsverfahren, damit wir wissen, wovon wir reden … an. Wie Magda Jeanrenaud betont, kann das

Page 11: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 10

Prestige einer fremden Sprache auch in der Moderne dazu führen, dass nicht französischsprachige Autoren einen Teil ihrer Werke auf Französisch schrei-ben, wie es der Fall war bei August Strindberg, Emil Cioran oder Milan Kundera. Kann aber der von einer Sprache vermittelte Geist in eine andere Sprache übergehen? Auf das Problem wies explizit der spanische Schriftsteller und Literaturkritiker Juan Valera (1824-1905) hin, als er in seinen Cartas ame-ricanas von 1888 (publiziert in Madrid 1899) das Buch Azul des Nicaraguaners Rubén Darío, des Initiators des Modernismus, besprach. Valera stellt eher lobend fest, dass „no hay autor en castellano más francés que Ud. Y lo digo para afirmar un hecho, sin elogio y sin censura. En todo caso, más bien lo digo como elogio“ (VALERA 1888: 217). Da Rubén Darío Nicaraguaner ist, könne er nicht von ihm verlangen, „que sea literariamente español“. Und trotz des festgestellten „galicismo de la mente“ kann Valera zugleich nur sein „echtes“ Spanisch bestätigen: „Estando así disculpado el galicismo de la mente, es fuerza dar á Ud. alabanza á manos llenas por lo perfecto y profundo de ese galicismo; porque el lenguaje persiste español, legítimo y de buena ley, y porque si no tiene Ud. carácter nacional, posee carácter individual“ (VALERA 1888: 218) Der individuelle, auch wenn „fremdgeistige“ Charakter des nicara-guanischen Autors führt Valera zu seiner vollkommenen Anerkennung: „Con el galicismo mental de Ud. no he sido sólo indulgente, sino que hasta le he aplaudido por lo perfecto“ (VALERA 1888: 236). Aus dieser Perspektive kann man sich fragen, wie französisch die Rumänisch schreibenden Schriftsteller und wie rumänisch die Französisch schreibenden rumänischen Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts sind.

Wie die Komödien Alecsandris zeigen, kann man Fremdsprachen für die Konversation mehr oder weniger gut nach Gehör lernen. Für die Übersetzun-gen vor allem von Texten, die grundsätzlich nur gelesen werden, zeigen uns Handbücher wie das schon zitierte von Jean-Paul Vinay und Jean Darbelnet, die Stylistique comparée du français et de l’allemand. Essai de représentation linguistique comparée et étude de traduction von Alfred Malblanc (Paris 1961) oder die Teoría y práctica de la traducción von Valentín García Yebra (Madrid 1982) die üblicherweise anzuwendenden Verfahren. Ansprüche besonderer Art stellt die Adaptation von Theaterstücken, bei deren Aufführung der Zu-schauer kaum Zeit hat, das allzu Fremde für sein Verständnis zu verarbeiten. Das sollte aber nicht dazu führen, dass die Merkmale der Zugehörigkeit zu einer „fremden Kultur“ oder die pragmatischen Eigenarten eines Theater-stückes zu stark verflacht oder stark ethnozentriert werden. Magda Jeanrenaud

Page 12: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 11

zeigt die Schwierigkeiten solcher Adaptationen anhand der französischen Übersetzungen der parodistischen Theaterstücke O noapte furtunoasă [Eine stürmische Nacht], Conu Leonida faţă cu reacţiunea [Herr Leonida und die Reaktion] und O scrisoare pierdută [Der verlorene Liebesbrief] des rumäni-schen Dramatikers Ion Luca Caragiale (1852-1912). Die ersten zwei Stücke wurden von Monica Lovinescu und Eugen Ionescu gemeinsam, das dritte von Monica Lovinescu allein übersetzt. Beide Übersetzer besaßen ausgezeichnete Französischkenntnisse: Ionescu war Muttersprachler, Lovinescu lebte seit 1947 in Frankreich und war u.a. durch ihre Übersetzung des Romans La vingt-cinquième heure des rumänischen Schriftstellers Constantin Virgil Gheorghiu bekannt geworden. Dank Lovinescus Tagebuch kann man die Probleme, die sie bewältigen mussten, und ihre Lösungen teilweise nachvollziehen, nicht zuletzt die Unschlüssigkeit, ob die Adaptation für eine Aufführung oder zur Lektüre bestimmt sein sollte. Die Adaptation für eine Aufführung oder für die stille Lektüre bedingt die Wahl des Sprachregisters und den Einsatz vor allem verschiedener pragmatischer Strategien. Als Beispiel führt die Verfasserin die Übersetzungen von Tschechows Чайка [Die Möwe] ins Französische an: Elsa Triolet, obwohl Muttersprachlerin, übersetzt zu gehoben, während Antoine Vitez auf Mündlichkeit und Respektierung des Rhythmus setzt. Auch wenn die Sympathie des Publikums für die Rede durch die variatio gewonnen wird, wie H. Lausberg in seinem Handbuch der literarischen Rhetorik erklärt (Stuttgart 1990, §257, 2), muss der Übersetzer erkennen, ob die Wiederholungen ein stereotypisierendes Stilem darstellen, wie es bei Caragiale der Fall ist. Die Ste-reotypie des Schlüsselwortes mahala geht verloren, wenn es einmal mit ban-lieue und einmal mit faubourg übersetzt wird. Damit verliert auch der Text als solcher an Kohärenz. Dieser Verlust ist allerdings manchmal unvermeidlich. Das Wort mahala ‚Vorstadt‘ bildet in Caragiales Texten ein semantisches Re-gisternetz mit maidan ‚unbebautes Gelände‘, mitocan ‚Vorstädter, Grobian‘ und moft ‚Flause‘, aber es dürfte kaum möglich sein, im Französischen auch die Alliteration wiederzugeben. Dagegen dürfte eine eher getreue Wiedergabe von Interjektionen und Interpunktion keine große Schwierigkeit bereiten. Durch ihre Reduzierung werden die hervorzurufenden Emotionen geschwächt, wäh-rend eine übertriebene Zeichensetzung die konnotative Funktion zu stark betont. Die Möglichkeiten und Grenzen und die Fragwürdigkeit des Übersetzens werden bei der Wiedergabe von Personennamen, Spitznamen, affektiven Anredeformen und Ortsnamen deutlich, wenn man versucht, sie der Zielkultur unterzuordnen. Bei Prăvălia lui Bursuc [Der Laden des Bursuc]

Page 13: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 12

wurde der Eigenname beibehalten (la boutique à Boursouc), obwohl eine Wiedergabe des humoristischen Charakters des Namens durch eine Übersetzung wie la boutique à M’sieu Blaireau (bursuc bedeuet auf Rumänisch ‚Dachs, dicker Mensch‘) möglich gewesen wäre. Dagegen dürfte die Wiedergabe des Monatsnamens September Răpciune, der auf den volks-tümlichen Kalender und damit auf das volkstümliche Sprachregister verweist, mit dem gelehrten fructidor (18. August – 16. September) des republikani-schen Kalenders der Französischen Revolution ein ethnozentrischer Fehlgriff sein. In Anbetracht der großen Andersartigkeit der Texte Caragiales gegenüber dem Standardfranzösischen stellt Magda Jeanrenaud die Frage, ob man die anvisierte Übersetzung über das, was Antoine Berman „la troisième langue de la traduction“ nennt, ansteuert, eine Frage, die zum Titel des vierten Kapitels Die dritte Sprache der Übersetzung: Ion Luca Caragiale auf Französisch erho-ben wird. Mit Verweis auf die Übersetzung von Miltons Paradise Lost durch Chateaubriand, der dafür immer wieder auf das Latein zurückgriff, und auf die Übersetzung von Vergils Aeneis durch Pierre Klossowski (Énéide, Paris, 1993), der immer wieder auf die Arbeiten deutscher Gelehrter rekurrierte, meint Antoine Berman, dass „celui-ci (sc. l‘acte de traduire) n’opère pas seulement entre deux langues, qu’il y a toujours en lui (selon des modes divers) une troi-sième langue sans laquelle il ne peut avoir lieu“ (La Traduction et la lettre ou L’auberge du lointain 1999: 112). Das Latein für Chateaubriand und das Deut-sche für Klossowski wären langues médiatrices, langues traduisantes reines. Eine Vermittlersprache wurde schon im 12. Jahrhundert in Toledo verwendet, als man aus dem Arabischen über das Romanische ins Latein übersetzte. Sol-che „dritte“ Sprachen bleiben aber ein Behelf gegenüber einer sprachwissen-schaftlich und philologisch fundierten Dekonstruktion und Rekonstruktion des zu Übersetzenden mit allen seinen semantischen und pragmatischen Ele-menten, wie es der Autor dieses Vorwortes in seinem Buch Erklärende Gram-matik der romanischen Sprachen (Wien 2010, §63) vorschlägt.

Politische, kulturelle und technologische Erneuerungen entstehen im All-gemeinen in bestimmten Regionen mit Vertextungen in den entsprechenden Sprachen. Von da breiten sie sich in anderen Regionen vor allem durch Über-setzungen aus. So werden das Englische, das Französische und das Deutsche seit dem 18. Jahrhundert zu dominierenden Sprachen, aus denen zum Beispiel ins Rumänische, ins Italienische, ins Spanische und ins Portugiesische über-setzt wird. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Rolle von Überset-zungen für die Modernisierung und wissenschaftliche Synchronisierung eines

Page 14: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 13

Landes deutlicher erkannt, was zu einer Professionalisierung der Übersetzer durch ihre Ausbildung an entsprechenden Abteilungen an den Universitäten führt. Die Produktion von professionalisierten Übersetzungen stellt nun ein Kapital dar, das akkumuliert und wieder verteilt werden kann, worauf der Titel des fünften Kapitels, Übersetzung als Spiel der Akkumulation und Redistribu-tion des symbolischen Kapitals, anspielt. Eine wichtige Rolle bei dieser Produktion können die Verlage spielen, was die Autorin anhand des Verlages Editura Polirom veranschaulicht. Nach 1989 fällt in Rumänien die ethische und ästhetische Zensur. Es entsteht eine große Nachfrage nach Nachschlage-werken, Ratgebern, aber auch nach Billiglektüre, die einheimische Literatur wird von Übersetzungen konkurrenziert. Polirom wird 1995 in Iaşi gegründet und widmet sich vorwiegend Bereichen, die vor 1989 unterdrückt waren, wie Anthropologie, Philosophie, Religion und Politikwissenschaft. Dabei spielten und spielen Übersetzungen eine wichtige Rolle, bis 2003 publizierte der Verlag 477 Werke von insgesamt 362 Autoren. Durch die Übersetzung von Autoren der Antike (Seneca, Augustin) und der Moderne (Henri Bergson, Hans-Georg Gadamer) verbindet er Tradition und Aktualität. Die Bedeutung der über-setzten Autoren bringt ihm symbolisches und materielles Kapital ein, das ihm erlaubt, neue Autoren oder ältere gute Übersetzungen wie Coşbucs Über-tragung von Dantes Göttlicher Komödie zu publizieren. Zur Synchronisierung mit dem restlichen Europa tragen Übersetzungen von Schriften von Jacques Delors oder Romano Prodi bei. Magda Jeanrenaud macht übrigens darauf aufmerksam, wie wichtig die Gestaltung des Umschlags, das Vorwort und die Einordnung in eine Reihe auch für Übersetzungen sind.

Eine besondere Form der Übersetzung stellt die Autorin im sechsten Kapitel, Die Eigenschaft der Exotopie, dar. Edgar Reichmann dürfte eher als französischsprachiger Romancier (Le dénonciateur, 1962; Nous n’irons plus à Sils Maria, 1996) bekannt sein. Obwohl er schon während der stalinistischen Epoche (1957) Rumänien verlassen hatte, ist er der rumänischen Kultur in einer Mischung von Identifizierung und Distanzierung, was man in Anleh-nung an Michail Bakhtine Exotopie nennen kann, treu geblieben. Er ist einer der ältesten und berühmtesten Chronisten von Le Monde. Jahrelang berichtet er für die Franzosen über die Entwicklung der rumänischen Literatur unter dem Kommunismus, aber auch über die Kontroversen über Eliades Tagebuch und M. Sebastians Jurnal, oder über Mythen, Bräuche, Mentalitäten des Karpatenlandes. Er übernimmt dabei die Rolle des aufmerksamen Beobach-ters, der das Innere, also das auf Rumänisch Ausgedrückte, kennt, aber

Page 15: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 14

außerhalb bleibt, sich also auf Französisch ausdrückt, bleibt. Originell ist seine Vermittlung rumänischer Autoren für Franzosen über Vergleiche, wie: Vasile Voiculescu sei der byzantinische Claudel oder Ion Barbu sei wie Valéry. Wegen der Bedeutung von Reichmanns Beiträgen für die Rezeptionsgeschichte der rumänischen Literatur und Kultur in Frankreich hat Magda Jeanrenaud im Einvernehmen mit dem Autor eine Auswahl seiner Artikel „rückübersetzt“ und unter dem Titel O fereastră către lume: eseuri şi articole despre cultura română (1965-2002) publiziert (Bucureşti 2003). Ob durch so eine Rück-übersetzung der rumänische Leser sich ein exotopisches Bild seiner Literatur machen wird?

Übersetzt werden grundsätzlich Texte. Um das tun zu können, ist es wichtig, dass der Übersetzer dem Texttyp, der Textkonstitution und der Sprache des Textes Beachtung schenkt. Die Satzgestaltung und die Wort-semantik sind zum Beispiel in eher informativen Texten etwas anders als in eher argumentativen Texten. Damit eine Reihe von Sätzen einen Text bildet, müssen sie eine Kohärenz aufweisen. Und damit die Zeichen als Wörter erkannt werden, müssen sie paraphrasierbar sein. Will der Übersetzer, der zuerst ein Leser ist, einen Text übersetzen, muss er die genannten Erschei-nungen erkennen. Dafür braucht er primär gute Kenntnisse der in Bezug zu setzenden Sprachen und der Textkonstitution in diesen Sprachen. In Anleh-nung an die von Roland Barthes vertretenen Auffassung in La mort de l’auteur (Manteia 1968) kann er in erster Instanz den Autor ignorieren. Ebenfalls in erster Instanz kann er in Anlehnung an Roman Jakobsons On Linguistic Aspect of Translation (1959) die außersprachliche Referenz ignorieren. Hinter der Kohärenz eines Textes steht aber eine Intentionalität und diese geht auf einen Autor zurück. Wie weit darf sich der Übersetzer von der ursprünglichen Inten-tionalität und Kohärenzbildung im Namen der Textverständlichkeit entfernen? Wie weit zwingen ihn dazu die morphosyntaktischen und lexikalischen Eigenarten oder stilistische Traditionen der Zielsprache? Oder soll man in der Zielsprache unübliche Terminologien und Stileme übernehmen? Ein Text verweist im Allgemeinen auf eine konkrete oder imaginäre Realität. Wie weit darf sich der Übersetzer wieder im Namen der Textverständlichkeit von der intendierten Realität entfernen? Diesen Fragen geht Magda Jeanrenaud im siebten und achten Kapitel unter den Titeln Übersetzer – Autor: ein schwie-riges Verhältnis und Übersetzen von Philosophie, Philosophie des Übersetzens nach. Perfekte Übersetzung gibt es nicht, wichtig ist, die Fehlerquote klein zu halten. Der Übersetzer ist aber nicht nur Vermittler zwischen zwei Sprachen,

Page 16: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 15

sondern auch zwischen zwei Kulturen. Daher vertritt Paul Ricœur – wie die Autorin betont – die Auffassung, dass es ein Ethos der Übersetzung gebe: „Amener le lecteur à l’auteur, amener l’auteur au lecteur, au risque de servir et de trahir deux maîtres, c’est pratiquer ce que j’aime appeler l’hospitalité langagière“ Sur la traduction 2004). Gelingt es der Übersetzung, die Diversität der Kulturen zu bewahren, wird sie zu einer Hermeneutik der Systeme zwischenmenschlicher Kommunikation, zu einer Philosophie.

Sieht man von den sprachenpaarbezogenen Untersuchungen ab, könnte man Übersetzen als Ergebnis einer Reihe spezifischer, aber von den beteiligten Sprachen unabhängiger, also allgemeingültiger Strategien betrachten. Sara Laviosa-Braithwaite schlägt in ihrem Beitrag Universals of Translation zur von Mona Baker herausgegebenen Routledge Encyclopedia of Translation Studies (London 2001, 288-291) folgende Universalien vor: simplification and avoidance of repetitions present in the source text, explicitation (z.B. Hinzu-fügung von Wörtern), normalization (z.B. Verschiebungen in der Zeichen-setzung oder in der Satzstruktur), discourse transfer and the law of interference (z.B. nicht reflektierte Übernahme von Strukturen der Ausgangssprache), distinctive distribution of target-language items (z.B. auffällige Frequenz von Lexemen oder grammatikalischen Formen im L2-Text gegenüber der entsprechenden Frequenz in L2-Originaltexten). Anhand einer genauen und ausführlichen Untersuchung der von Alain Paruit verfertigten französischen Übersetzung von Mihail Sebastians Roman Accidentul ([L’accident] / [Der Unfall], 1940) führt Magda Jeanrenaud im neunten Kapitel unter dem Titel Universalien des Übersetzens ad oculos vor, wie diese Universalien zu Untu-genden werden können. Das Incipit, die Gestalt des Anfangs eines Textes, entscheidet über den Rhythmus der Handlungsabfolge und antizipiert die innere Struktur des Werkes. Die Anordung der Wörter sollte nach Möglichkeit beibehalten und nicht umstrukturiert werden, damit der Rhythmus bewahrt bleibt. Claudio Magris, der vor allem Theaterstücke übersetzt hat, weist daraufhin, dass: „Tradurre è stato per me una grande scuola di scrittura, che mi ha fatto capire come l’essenza di una traduzione sia il ritmo, la musica del testo o meglio il suo equivalente (anche arditamente diverso, se necessario, ma fedele alla più intima essenza dell’originale)“ (Corriere della Sera, 5 settembre 2013, 28). Mihail Sebastian trennt häufig direkte Rede und Fortführung der Handlung nicht absatzmäßig; durch die schulische Absatzgestaltung nach französischer Art geht die verwirrte Atmosphäre der Figuren verloren. Das Gleiche gilt für die Rationalisierung der Ausrufezeichen und der Anführungs-

Page 17: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 16

zeichen. Anführungsstriche können einen sekundären Diskurs im primären signalisieren; werden sie bewusst nicht verwendet, muss der Leser die zwei Diskursebenen entdecken, fügt der Übersetzer sie hinzu, banalisiert er den Text. Werden wörtliche Wiederholungen bestimmter Lexeme durch variatio synonymica ersetzt, gehen die intendierten Stimmungen wie die einer nebligen Atmosphäre verloren. Vereinfachungen, Erklärungen, Angleichgungen, ratio-nalisierende Vereinheitlichung, Veredelung der Prosa „verstören“ das narrative Gewebe des Textes, die Übersetzung zerstört die Einzigartigkeit des Werks. Durch ihren akkuraten Übersetzungvergleich und ihre begründete Über-setzungkritik zeigt die Autorin, dass Übersetzen zugleich auch immer Text-interpretation ist.

Ein ethisch besonderes Problem stellt die Wiedergabe von fremdsprach-lichen Interviews und Stellungnahmen in der nationalen Presse dar. In Leit-artikeln können zum Beispiel Aussagen von Politikern kommentiert werden, wobei aber die zitierten Passagen nicht genau wiedergegeben werden. Die journalistischen Kommentatoren sind keine echten Übersetzer, sie analysieren, interpretieren und verändern den Ausgangstext, um eine besondere Wirkung beim Empfänger zu erzielen und ein Medienereignis herzustellen. Der Journalist ist oft stärker ethnozentrisch ausgerichtet, er „muss“ sich stärker an die Kultur seines Publikums anpassen, dabei sollten sie aber eine Ethik des Respektes vor den wirklichen Aussagen des Anderen bewahren. Was geschieht, wenn sie dies nicht tun, exemplifiziert Magda Jeanrenaud anhand der Reaktionen der rumänischen Presse einerseits auf die moralisch gefärbten Äußerungen des französischen Präsidenten Jacques Chirac vom 17. Februar 2003 über die Haltung der damaligen Beitrittskandidaten zur EU bezüglich des geplanten Irak-Krieges, und andererseits auf den ersten Satz des Strategy Paper and Report for the European Commission on the Progress towards Accession by Bulgaria, Romania and Turkey 2003: „Romania can be considered as a functioning market economy once the good progress made has continued decisively“. So mancher Journalist hat den diplomatischen Text von Chirac so umgestaltet, dass nicht mehr die Verständigung, der Konsens gesucht wird, sondern die Beleidigung des Nationalstolzes subtil geschürt wird. Wenn Chirac vor einem gewissen, möglichen Gefühl der Feindseligkeit (un sentiment d’hostilité) bei den 15 EU-Staaten warnt, spricht der Journalist verallge-meinernd von dem Gefühl der Feindseligkeit (sentimentul de ostilitate). Weist Chirac darauf hin, dass die Beitrittskandidaten sich in dem konkreten Fall als pas très bien élevés verhalten hätten, behauptet der Journalist, Chirac habe ganz

Page 18: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 17

allgemein von Beitrittsländern gesagt, sie seien schlecht erzogen (prost-crescute). Das rumänische Register wird sehr umgangssprachlich und mit plötzlichen Slawismen, Magyarismen und Turzismen frankophon. Der Re-gisterwechsel führt in die Mentalität von Dominanz/Dominiertheit zurück mit entsprechenden Reaktionen der Dominierten anstelle einer Mentalität der Verhandlung und der Solidarität. Die verschiedenen Übersetzungen des ersten Satzes aus dem Strategy Paper entfachten viele Kontroversen, die den dama-ligen Premier Adrian Năstase zur Aussage führten, die Übersetzung sei ohne ‚Seele‘ gemacht worden („traducerea s-a făcut fără suflet”). Kann man aber von einer Seele der Übersetzung sprechen? Die Frage wird schon im Titel des zehnten und letzten Kapitels, Über die „Seele“ des Übersetzens, angesprochen. George Steiner folgend schließt die Jassyer Professorin, dass Übersetzungen weder mit der Seele noch mit dem Herzen, sondern mit ethischer Genauigkeit im Kontakt zwischen Kulturen gemacht werden.

Übersetzen gewährleistet die Kontinuität und die Entwicklung unserer Kul-turen. Wie Claudio Magris betont, bringen dabei neue Übersetzungen der gleichen Texte immer wieder neue Sichten zutage: „i grandi capolavori letterari devono essere spesso ritradotti, nel mutare delle epoche e delle generazoni, perché ogni nuova felice traduzione – che non rende certo sorpassate quelle precedenti – ne porta alla luce nuovi elementi, potenzialità nascoste, e contribuisce alla perenne attualità di una grande opera d’arte, dimostra la sua capacità intrinseca di rinnovare sé stessa. Perciò la traduzione è a sua volta una vera e propria creativa opera d’arte“ (Corriere della Sera, 5 settembre 2013, 28). Übersetzen ist heute zuerst eine theoretische und angewandte Wissenschaft, deren Ausübung zu Kunstwerken führen kann. Das Erlernen einer Wissen-schaft braucht orientierende Lehrwerke. Ein solches stellt das facettenreiche Buch von Magda Jeanrenaud dar, das nicht nur die Übersetzenden orientieren kann, sondern zugleich auch die rumänische Kultur in die deutsche Sprache dem deutschen Leser näher bringt.

Michael Metzeltin

Page 19: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de
Page 20: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 19

Wo „alles gleich und nichts ähnlich ist“

In der französischen Version von Charles Perrault beginnt die Geschichte vom Rotkäppchen ziemlich freudig: „Il était une fois une petite fille de Village, la plus jolie qu‘on eût su voir“ (PERRAULT 1981: 70) und bleibt weiterhin in der Lesart „des Schönen und der Verführung“: „Sa mère en était folle et sa grand-mère plus folle encore“, bis hin zum Wolf, dessen Bösartigkeit bei Perrault eher sozial und die eines Don Juan ist, der letztlich dem Charme des Mädchens erliegt und Rotkäppchen zunächst mit den Augen verschlingt, bevor er es in vivo tut. Perrault löst das Ganze mit einer Opferung Rotkäppchens auf, das „bestraft wird, weil es die Ermahnungen zur Vorsicht nicht befolgt“ hat. Schließlich endet die Geschichte „zwar ironisch versüßt, aber doch im freien Fall, und Perrault gibt uns zu verstehen, dass die Geschichte mit Sexual-erziehung zu tun habe und die Wölfe betreffe“ (GLUCKSMANN 1998: 221-223).

In der deutschen Version der Brüder Grimm wandelt sich die Verführungs-kunst Rotkäppchens und wird milder: „eine kleine süße Dirne“, die vom Wolf, dessen „Bösartigkeit antisozial ist“, für Ungehorsam bestraft und zur „furcht- und tadellosen“ Heldin wird, und da sie als unschuldig gilt, kommt sie heil und unversehrt aus dem Bauch des Wolfs – alles eine Art „fortschrittliches Happy End“, während „den Wolf die verdiente Strafe ereilt“; und das alles, da die Brüder Grimm „einen ewigen Kampf von Gut und Böse, von Kultur und Na-tur, von Gesellschaft und Barbarei“ darstellen und letztendlich „alles zum Besten ausgehen muss“, in einem glücklichen und didaktisch wertvollen Ende. Daraus erklärt sich auch der entfesselte Zorn des „Psychoanalytikers der Mär-chen“ Bruno Bettelheim, dessen Analyse der „therapeutischen Wirksamkeit“ von Märchen zu einer rechten Anklage der Version von Perrault führt, die er für pervers hält, da „niemand Rotkäppchen davor bewahrt [habe], auf dem Weg zur Großmutter herumzutrödeln oder vom rechten Weg abzugehen“, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass in dieser Version auch noch die Großmut-ter sterben muss, die sich ja nun gar nichts hat zuschulden kommen lassen. Rotkäppchen würde sich in dieser französischen Version in der Gestalt einer „gefallenen Frau“ verbergen, einer Gestalt, mit der niemand identifiziert wer-den möchte (GLUCKSMANN 1998: 223). Die hier zusammengefasste Geschichte zielt – wie auch der Titel des Kapitels zeigt – auf Überlegungen von André

Page 21: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 20

Glucksmann, die nichts mit dem Übersetzen zu tun haben, sondern verschie-dene religiöse und humanistische Traditionen in der Erfahrung des Guten und Bösen untersuchen und den Hintergrund einer intensiven Diskussion über die Grundlagen der Moral bilden.

Natürlich lässt einen das Nebeneinander dieser beiden Rotkäppchen nach-denklich werden, und einem gewissenhaften Übersetzer, der seine Aufgabe ernst nimmt, kann sie manchen Albtraum bereiten. Denn die Geschichte ent-hält mehr als nur eine simple Beziehung der so erstrebten „Durchsichtigkeit“ (Betonung auf den Anführungszeichen!) der Übersetzung zum Quellentext. In der Übersetzungswissenschaft trägt diese „Transparenz“ den Namen „Treue“, ein Konzept und ein Ziel, das im Laufe der Zeit viele Übersetzer zur Verzweif-lung getrieben hat.

Zunächst müsste erst einmal geklärt werden, von welchem Konzept der „Treue“ die Rede ist: Die übersetzerische Praxis und die Reflexion darüber hatten immer ein gespanntes Verhältnis zu dieser Vorstellung, die jedoch nie widerlegt wurde. Zwischen „Buchstabe“ und „Geist“ hin und her gerissen wurde die „Treue“ vielfach zu einem Schlachtfeld; alle Übersetzer in allen Epo-chen erklärten ihren Glauben an die „Treue“, ohne jedoch dasselbe darunter zu verstehen. Sie selbst tragen, bewusst oder unbewusst, absichtlich oder nicht, verankert, verwurzelt in einem anderen „Ko-Text“ oder „Trans-Text“ – je nach Terminologie – oder in einer anderen Kultur, in einem anderen historischen Umfeld übernommene Ideen und auch Ideologien über die Natur und die Implikationen des übersetzerischen Vorgangs mit sich herum.

Eine ganz andere Geschichte, dieses Mal aus einem Übersetzungshandbuch (FORGET 1994: 80f.), macht die Dinge noch komplizierter und demonstriert zugleich die Komplexität der übersetzerischen Praxis. In einer Anthologie mit Fußball-Karikaturen, die aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt wur-de, zeigt eine der Zeichnungen den Torwart (gardien de but), der statt den Ball zu halten, vielmehr artig den Ratschlägen seines Vaters lauscht, wonach man im Leben immer ein Ziel verfolgen müsse, im Französischen also ebenfalls ein but; damit geht aber in der Übersetzung ins Deutsche (wie auch ins Rumäni-sche) die Polysemie des Wortes but verloren und damit auch der komische Effekt, der ja auf diesem Wortspiel beruht. Die Übersetzung kann also nicht treu sein, ja eigentlich ist sie nicht einmal mehr eine Übersetzung, denn sie hat keinen Bezug mehr zur Karikatur. Um sowohl die Botschaft als auch das Wort-spiel zu erhalten, muss ein Ausdruck gefunden werden, der zum Sinn des Wortes but im Fußball passt, denn sowohl der Sinn als auch die Pointe leiten

Page 22: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 21

sich daraus ab. Übersetzer müssten also eine Wendung finden, die zum Kon-text der Karikatur passt – etwa „wie die Kuh vor'm neuen Tor“ (a sta ca viţelul la poartă nouă), was es sowohl im Deutschen als auch im Rumänischen gibt. Und dann müsste entschieden werden, ob in einem solchen Fall eine Überset-zung im herkömmlichen Sinne vorliegt, also ein Sinntransfer von einer Spra-che in eine andere, denn hier kommt theoretisch noch ein weiterer Faktor hinzu, und zwar „un rapport de tension entre les possibles sémantiques d’un signifiant et le contexte dans lequel il donne un effet comique, qui est le but même du dessin humoristique comme combinaison d’une représentation gra-phique et d’une légende …“ (FORGET 1994: 81-82).

Hinzu kommt eine weitere Problematik: Die Bildunterschrift muss über-setzt werden, die Zeichnung aber nicht, sie geht von einer Sprache in die ande-re über, „parce qu’il ne se traduit pas, mais se transpose …“ (FORGET 1994: 80). Eventuell ist das eine weitere Alternative zu George Steiners ziemlich dunkler Voraussage, wonach auf die lange Hegemonie des Lateinischen und im 17. und 18. Jahrhundert des Französischen ein „Universal-Englisch“ folgt, das als neue lingua franca das „Postulat von Babel“ (STEINER 1996: 150) auf ironische Weise und a contrario erfüllen könnte.

Die Frage der Treue eröffnet also eine Reihe von Präsuppositionen, die in enger Beziehung zu einer Ethik dieser besonderen Kommunikationspraxis stehen. Gefangen zwischen den Zwängen des Ausgangstexts und den Erwar-tungen des Kontexts der Zielkultur, in der sie nach ihrer Fertigstellung ihren Platz finden muss, entsteht die Übersetzung einerseits aus dem Anliegen (des Übersetzers) zu verstehen, und andererseits aus dem Wunsch, den Quelltext verständlich zu machen. Für die Übersetzung „il n’y a pas adéquation parfaite, sans reste, entre le sens et la compréhension qui en est donné: le sens excède toujours la compréhension, la compréhension doit toujours faire apparaître un sens qui ne se donne pas sans la compréhension“ (FORGET 1994: 116).

Die Übersetzung ist demnach eine besondere Art der Interpretation, ein a priori-Engagement, das aus einer Art Vertrag entsteht: „ich übernehme es zu sagen, was das Original sagt“:

Et tout comme la promesse, la traduction ne se tient pas dans cet engage-ment, mais il n’y a rien de regrettable ici: sans ce désajustement originaire et irréductible, si on peut dire encore, il n’y aurait ni promesse, ni avenir pos-sibles, et on peut ajouter: ni décision, ni responsabilité (FORGET 1994: 35).

Page 23: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 22

Darin also besteht die Glücksverheißung in Sachen Übersetzung.

Ein Text, jedenfalls einer, der diese Bezeichnung verdient, d.h. „les «grands textes», ceux qui valaient la peine qu'on consacre à leur lecture de l'attention et de la passion“, hat eine Intention. Diese Intention, so sagt Pierre Pachet in seinem Habilitationsvortrag:

n'était pas un vague vouloir-dire accompagnant un texte comme la pous-sière qui s'élève au-dessus d'une armée en marche; c'était une conception organisée, cohérente, en rupture avec les opinions conformistes comme avec les conceptions les plus banales, de telle sorte qu'on ne pouvait la rencontrer et en vérifier la pertinence pour l'œuvre étudiée qu'au prix d'un effort pour s'arracher aux idées toutes faites et au poids des évidences (PACHET 2002: 1-2).

Die latente Intentionalität des Textes, die dem Gedanken „l'unité substantielle“ verleiht, „répond de la concordance fondamentale de cette pensée avec elle-même, et doit recommander au lecteur, quand il se croit en face d'incohé-rences, d'en chercher la cause, d'abord et de préférence, dans sa propre inapti-tude à la lecture, et en dernier lieu seulement et en désespoir de cause, chez son auteur“ (GOLDSCHMIDT 1983: 12).

Mir scheint, als könnte die „Treue“ mit dem philologischen Prinzip der lec-tio difficilior verglichen werden:

Cet admirable guide élaboré pour la lecture et la reconstitution des textes anciens mutilés qu'on pourrait formuler ainsi: entre deux mots ou expres-sions hypothétiques proposés pour combler une lacune dans un texte, pour reconstituer sa teneur initiale, choisir la leçon la moins banale, la moins attendue, celle qui, tout en étant compatible avec ce qu'on sait de la langue du texte et de son mouvement, introduit un élément nouveau qui soit à la hauteur de ce qu'on attend de son auteur“ (PACHET 2002: 2).1

............................................ 1 Pierre Pachet bezieht sich auf die englische Fassung von Paul MAAS: Textual Criticism, Oxford 1958,

und zitiert dessen Empfehlung: «En cherchant à comprendre comment la corruption du texte s'est pro-duite nous devons prendre en considération les erreurs les plus susceptibles de se produire pour des rai-sons psychologiques (p.ex. la tendance d'une expression originale à être remplacée par une expression plus commune, la ‘banalisation’; c'est pourquoi il convient en règle générale de préférer la lectio diffici-lior» (p.13). Und er folgert: «Quand deux leçons sont possibles, il faut préférer la moins attendue».

Page 24: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 23

So muss derjenige, der die „Intention“ eines Textes rekonstruieren will, zu-nächst sein eigenes Streben nach Homogenisierung überprüfen und sich be-mühen, „Distanz“ zu bewahren, „distance par rapport à notre propre temps, à nos propres attentes ou habitudes de pensée“ in der Überzeugung, dass:

Retrouver la littéralité d'un texte, ce n'est pas reconstituer un réservoir de lieux communs, c'est plutôt s'exercer à un dépaysement. Il ne s'agit pas de faire l'honneur à l'œuvre de la hausser jusqu'à notre temps et à notre compréhension, mais au contraire de lui faire crédit en supposant qu'elle précède la compréhension et l'appréciation du lecteur que nous sommes, de tenter de profiter de ce qu'elle a accompli pour y accéder et nous défaire de préjugés que sans elle nous ne percevrions même pas (PACHET 2002: 2).

Pachet stellt sich die Frage, wer der Erfinder dieses Prinzips der lectio difficilior gewesen sein mag und „dans quel contexte et dans quel esprit“. Das Prinzip „semble avoir été formulé pour la première fois […] par des critiques et philo-logues qui se préoccupaient de rétablir le texte le plus authentique possible des évangiles“ (PACHET 2002: 3-4), und zwar im 18. Jahrhundert von J.J. Wettstein und J.A. Bengel:

ces deux auteurs distinguent en effet d'une leçon «magis facilis» une autre «minus facilis» et ils privilégient la première, leur justification étant que le travail des copistes aboutit comme naturellement à une banalisation, à un affadissement du texte original. Ces contemporains de Richard Bentley […] prenaient position dans le grand mouvement issu de la Renaissance et de la Réforme, qui visait à se reporter aux textes eux-mêmes et se pré-occupait donc de retrouver ces textes dans leur plus grande authenticité. Jusqu'à ces novateurs, on s'en tenait au textus receptus, à savoir à l'édi-tion princeps, quitte à l'améliorer sur tel ou tel point par le recours à d'autres manuscrits que ceux exploités par le premier éditeur, ou par de rares conjectures. […] D'où un travail […] qui n'accepte pas le texte transmis comme allant de soi, mais cherche à comprendre à la fois com-ment il a été historiquement constitué (par des auteurs ou des compila-teurs successifs) et comment il a pu être adultéré (par la succession des copistes et des éditeurs). Selon les uns […] c'est consciemment que les copistes «normalisent» les textes; selon Wettstein, plus subtil et sans doute plus moderne […] la banalisation est l'effet d'une tendance inconsciente

Page 25: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 24

ou involontaire, d'une sorte de pesanteur des opinions reçues du copiste. […] Pour ma part, je m'oriente à l'aide du principe de la lectio difficilior en supposant, non pas que nous nous éloignons de la révélation ou de la pensée vraie, mais que les pensées et les textes forts, véridiques, ceux qui peuvent répondre à notre désir de savoir et de comprendre, sont rares et presque improbables, et que leur survie et la capacité de les apprécier dépendent d'un effort qui n'est pas seulement un effort technique (philo-logique ou historique) de lecture, mais dépend du sérieux des lecteurs. […] Car lire n'est pas seulement déchiffrer le lisible, qui se trouverait là accessible à qui disposerait du «code». L'œuvre n'est pas le simple support d'un message, évidemment (PACHET 2002: 3-4).

Beim Übersetzen scheint sich jedoch gerade das Gegenteil des philologischen Prinzips durchzusetzen, und zwar ziemlich energisch. Es geht um die Tendenz zur Rationalisierung, „[qui] re-compose les phrases et séquences de phrases de manière à les arranger selon une certaine idée de l’orde du discours“ (BERMAN 1999: 53), die den übersetzten Text auf eine „lineare Logik“ reduziert, die iso-topische Komplexität des Quelltextes verschleiert, ihn homogenisiert, was zur Folge hat „unifier sur tous les plans le tissu de l’original, alors que celui-ci est originairement hétérogène“. (BERMAN 1999: 60). Übersetzer scheinen immer geneigt, zu vereinheitlichen, „à homogénéiser ce qui est de l’ordre du divers, voire du disparate“ (BERMAN 1999: 60), die Schärfen zu glätten, bis hin zur Klärung und „Uniformisierung“ des Ausgangstextes, und ihn damit zu banali-sieren.

Zwischen Übersetzung und Ausgangstext entsteht auf diese Weise eine Art Kluft: sie ist deutlicher, wird aber gleichzeitig auch flacher. Hier ein Beispiel in diesem Sinne, das wiederum von Philippe Forget stammt. Georges Pompidou begann seine Rede zum Tode von General de Gaulle mit einem Bild, das be-rühmt wurde: „Le Général de Gaulle est mort. La France est veuve“ (FORGET 1994: 164-169). Reiss & Vermeer haben das Problem der Übersetzung ins Deutsche diskutiert (REIß & VERMEER 1984: 215-216). Die deutsche Überset-zung ‚Frankreich ist Witwe‘ wirft das Problem der Nichtübereinstimmung des Genus auf. Reiß & Vermeer diskutieren daher die Möglichkeit einer Wieder-gabe mit ‚Frankreich ist verwaist‘, die sie auf Grund des getilgten Genusprob-lems für die bessere halten. Forget hingegen sieht damit der Rhetorik Pom-pidous noch nicht Genüge getan, denn jener beschränkte sich nicht nur auf die

Page 26: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 25

Ehrung des Verstorbenen, sondern wollte zugleich sich als natürlicher Nach-folger de Gaulles „bei der Witwe Frankreich“ ins Spiel bringen:

Et en l’occurence, il fallait interrompre et décevoir l’attente: car contraire-ment à un mari, un père n’est pas interchangeable, question de filiation. Or Pompidou veut bien suggérer par cette « attaque » (au sens rhétorique du mot) qu’une place est vide et qu’il faut l’occuper – il joue sur l’horror vacui, dont on peut comprendre que nos auteurs y soient, eux, insensibles – et qu’il est là, Pompidou, pour jouer ce rôle, en toute légitimité (PACHET 1994: 164-169).

Als Tzvetan Todorov eines der Kapitel seines Buches Théories du symbole „Splendeur et misère de la rhétorique“ nannte, gab er damit auch den Ton für einen Diskurstyp vor. Das Register, der Inhalt und die Art der Ausführung stellen insgesamt einen intertextuellen Verweis auf den Balzacschen Titel (Glanz und Elend der Kurtisanen) dar: Glanz und Elend der Rhetorik, diese Kurtisane, die ihre Haut rettet, indem sie von Cicero bis Fontanier die schlei-chende Verkleinerung ihres Forschungsfeldes hinnimmt. Von der „wirksamen Rede“, deren Ziel es ist zu überzeugen – ein pragmatisches Ziel und als solches der Amoralität verdächtig – zur notwendigen Bedingung der Eloquenz in einer demokratischen Welt, durchläuft die Rhetorik eine Metamorphose und wird während der Monarchie etwa zu einer schlichten Apanage der „schönen“ Rede, und so reduziert sich ihr Feld schrittweise; von Quintilian bis zu Fonta-nier werden die Tropen und Figuren immer mehr zum Bestandteil der Spra-che, und ihre Wirkung auf die Empfänger interessiert immer weniger … Re-duziert auf die Funktion der Redegewandtheit und im Sinne der Effektivität wird sie rein instrumentell und schließlich als unnütz abgetan, wohingegen die inneren Eigenschaften des Diskurses höher bewertet werden. „Von den drei Funktionen der [rhetorischen] Figuren – belehren, rühren und gefallen – bleibt nur die letzte übrig“ (TODOROV & GYGER 1995: 63). Die tiefe Krise fand also eine glückliche Lösung, und die Rhetorik ging nicht völlig unter, trug aber immer die Last einer mauvaise conscience der Doppelung, die nunmehr die Grundlage ihres Überlebens bildete. Das „Fest“ der Rhetorik geriet zur Orgie. Diese mauvaise conscience, die den semantischen Kern zum Aufbau der Ar-gumentation bei Todorov (TODOROV 1977: 69) bildet, ist in der rumänischen

Page 27: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 26

Übersetzung mit nelinişte (Unruhe)2 wiedergegeben (TODOROV &; MURGU 1983: 93) oder mit conştiinţă încărcată (Gewissenslast, Gewissensnot). Die mauvaise conscience gehört jedoch bei Todorov zu einem regelrechten Schuld-komplex, aus dem sich sein modernes Verständnis ableitet, daher wird mit dieser Übersetzung das Todorovsche Verständnis von „Glanz und Elend“ der Rhetorik zugleich vereinfacht und hintergangen. Die Spuren dieser mauvaise conscience, beginnend bei der Artikulation der rhetorischen Kategorien nach Quintilian in der Opposition von res und verba, führen zu der paradoxen Konsequenz (denn das eigentliche Objekt der Rhetorik ist auch für ihn verba) einer stetigen Schrumpfung – wie eine peau de chagrin3 – das fehlt in der ru-mänischen Version, möglicherweise ohne Absicht (aber wer weiß?). Der Ver-zicht auf die Anspielung auf das Chagrinleder,4 jenen Talisman, der Kräfte verleiht um den Preis seines unausweichlichen Schrumpfens, genauso wie die Rhetorik, deren Überleben nur dank der Reduzierung ihrer eigenen Sphäre möglich war, bedeutet eine Vereinheitlichung, Rationalisierung und Homoge-nisierung des Ausgangstextes. Er wird auf einen neutralen Wissenschaftsdis-kurs, auf eine monologische Abhandlung verkürzt, was nicht in der Textinten-tion liegt, denn eine der Lektionen des Buches besteht gerade in der verstören-den Schlussfolgerung, dass wissenschaftliche Erkenntnis Illusion ist, oder dass sie nicht dazu taugt, sich zum einzigen Propagandisten der „letztendlich ge-fundenen“ Wahrheit aufzuschwingen. Deswegen wird das „Fest“ der Rhetorik zur Orgie …

Vielleicht ist es aber nicht nur die Tendenz zur „Normalisierung und Ver-einheitlichung“ der Übersetzung, sondern etwas anderes. Denken wir nämlich daran, dass Todorovs Technik der Argumentation von Thaïs E. Morgan in der Zeitschrift Semiotica (MORGAN 1985: 139) massiv angegriffen wurde, als dieser dem Autor gerade dieses „betrügerische Wortspiel“ im Titel seines Kapitels vorwarf. Er sah darin eine Abwendung vom wissenschaftlichen Geist, der strengen Regeln unterliegt. Und so können wir erleichtert aufatmen, denn dem

............................................ 2 „Inainte de a încerca să înţelegem această nelinişte să încercăm să culegem cîteva mărturii despre

ea” (TODOROV & MURGU 1983: 93). (Bevor wir versuchen, diese Unruhe zu begreifen, sollten wir einige ihrer Zeugnisse zusammenzutragen versuchen.)

3 «Une telle articulation a ceci de paradoxal que le domaine des verba se rétrécit sans cesse, telle une peau de chagrin devant le désir du rhétoricien – quand l’objet propre de la rhétorique est, chez Quintilian même, bien plus du coté des verba que de celui des res» (TODOROV 1977: 72).

4 „O astfel de articulare este paradoxală pentru faptul că domeniul lui verba se restrînge neîncetat în faţa dorinţelor retoricienilor – cînd obiectul propriu al retoricii, chiar la Quintilian, este mult mai aproape de verba decît de res” (TODOROV & MURGU 1983: 95-96).

Page 28: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 27

rumänischen Übersetzer war immerhin nicht eingefallen, die rumänische Version des Kapitels etwa „Entwicklung und Niedergang der Rhetorik“ zu nennen und damit womöglich definitiv die intertextuelle Assoziation zum Balzac-Roman aufzugeben, der die normativen Kataloge der klassischen Rhe-torik metaphorisch beschuldigt hatte, „die Sprache prostituiert“ zu haben … Der Vorwurf an Todorov lautet, anders gesagt, er habe ein anderes Register als das normale, transitive, spezifische Register des wissenschaftlichen Diskurses verwendet und stattdessen eine andere als die transparente, neutrale Sprache, um den Leser „zu verführen“. In seltenem Gleichklang agierten hier der Über-setzer und der Kritiker – einer implizit, der andere explizit, einer wahrschein-lich unbewusst, der andere bewusst – und straften Todorovs Versuch ab, die Sprache als Handlungsoption gegenüber dem Anderen einzusetzen und gegen das Verbot zu verstoßen, Sprachregister im Erkenntnisdiskurs zu vermischen. Der Übersetzer ist derselben Meinung wie Morgan und verurteilt bereits in seiner Art zu übersetzen den Tabubruch, den eine solche Vermischung der Diskurse bedeutet, gerade so als sei die Verführung des Lesers wissenschaftli-cher Texte nur mit den Mitteln dieses Diskurstyps erlaubt. Am Ende ist es die Originalität des Textes selbst, die nicht „ankommt“! Natürlich soll der rumäni-sche Text so klar wie möglich sein (wenn Klarheit Vereinfachung bedeutet), aber es muss auch gesichert sein, dass es Todorovs Art der Klarheit ist, und in dieser Übersetzung finden wir nichts mehr vom Charakter seines Herange-hens. Die Gründe für das „Unglück“ der Rhetoriker werden dem rumänischen Leser so für immer unverständlich bleiben. Der Übersetzer begibt sich in ge-fährliche Nähe zum „Verrat“.

Wie es der Zufall will, stammt eines der schönsten Beispiele für die Versu-chung zur Rationalisierung beim Übersetzen von Tzvetan Todorov selbst, aus La Conquête de l’Amérique (dt. Die Eroberung Amerikas), die ich das Glück hatte, ins Rumänische zu übersetzen: Kolumbus, in seiner Unfähigkeit, die Sprachenvielfalt zu begreifen, schreibt 1492 an seine katholische Majestät fol-genden Brief:

Wenn es dem Allmächtigen gefällt, werde ich bei meiner Rückkehr sechs dieser Männer mit mir nehmen, um sie Euren Hoheiten vorzuführen und damit sie sprechen lernen. (Den verschiedenen französischen Übersetzern

Page 29: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 28

Colóns erschien diese Ausdrucksweise so anstößig, dass sie alle berichtigten: ‚damit sie unsere Sprache lernen‘.) (TODOROV & BÖHRINGER 1985: 42).5

Die Versuchung, den Erwartungen des Lesers entgegen zu kommen, ist eine Gefahr, die der lectio difficilior potior entgegensteht. Liest man den Titel eines anderen Buches von Tzvetan Todorov, L’homme dépaysé (TODOROV 1998), in der rumänischen Version, Omul dezrădăcinat (TODOROV & POP 1999) (Der entwurzelte Mensch), darf man vermuten, dass wieder einmal der Drang zur Homogenisierung die Oberhand gewonnen hat. Diese Titelübersetzung nun gibt den Warnungen des Autors geradezu eine komische Note, da er nämlich erklärt – allerdings an anderer Stelle (aber ist es nicht die Aufgabe eines Über-setzers, das Werk oder wenigstens die wesentlichen Themen in dessen Ent-wicklung zu kennen, bevor er beginnt zu übersetzen?) –, dass das menschliche Wesen nicht mit einem Baum, einer Pflanze assoziiert werden sollte, und dass es sich folglich nicht entwurzeln (rum.: dezrădăcinat; frz.: déraciné) lässt, noch entwurzelt werden kann (TODOROV 1986: 175), ohne dass das dramatische Folgen hätte. Und Todorov fügt hinzu, dass der Mensch ein transkulturelles Wesen ist, imstande, eine neue Kultur zu erlernen, ohne deshalb seine Her-kunftskultur aufgeben zu müssen, da Menschen jenseits der Vielfalt ihrer kul-turellen Eigenheiten geeint sind durch eine „gemeinsame menschliche Identi-tät“.6 Die Angst des Übersetzers, die Erwartungshaltungen des Lesers nicht zu erfüllen, hat gesiegt, und die Homogenisierung geht am Denken des übersetz-ten Autors völlig vorbei. Kürzlich fiel mir beim Durchblättern der Zeitschrift Secolul 20 der Titel eines Textes von Vintilă Horia ins Auge, der einen beherz-ten Übersetzer vielleicht hätte inspirieren können: „Suspendat în vidul desţărării“ (Schwebend in der Leere ohne Land) (HORIA 1997/1998: 203).

Als ich L’œuvre des jours von Pierre Pachet ins Rumänische übersetzte, stieß ich selbst auf dieses Problem und ertappte mich diesmal selbst bei dem Ver-such zu homogenisieren: l’œuvre des jours, wie schön hätte lucrarea zilelor (Der

............................................ 5 «S’il plaît à Notre Seigneur, au moment de mon départ j’en emmènerai ici six [Indiens] à vos

Altesses pour qu’ils apprennent à parler. […] ces termes ont paru si choquants aux différents tra-ducteurs français de Colomb que, tous, ils ont corrigé: ‘qu’ils apprennent notre langue’» (TODOROV 1982: 36).

6 “It is not true that in changing cultures one changes one’s very being: human beings are not trees, and they can be uprooted without such dramatic consequences. My culture is not a negligible quantity, but neither it is all. We are not only separated by cultural differences; we are also united by a common human identity, and it is this which renders possible communication, dialogue, and, in the final analysis, the comprehension of Otherness – it is possible precisely because Otherness is never radiacal.” (TODOROV 1986: 175)

Page 30: Frank & Timme - download.e-bookshelf.de

© Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur 29

Tage Arbeit) auf Rumänisch geklungen. Die Formulierung hätte genau dem Wesen einer Arbeit entsprochen, die im Laufe der Zeit oder auch gegen die Zeit entsteht, einer Arbeit in ihrer Dauer, einer Arbeit „in der Zeit liegend“, deren Zusammenhalt bedroht ist und in Gefahr gerät mit jedem Augenblick, der vergeht, einer Arbeit, die mit tausend Fäden an der vergehenden Zeit hängt … Ich hatte also zwischen opera (Werk) und lucrare (Arbeit) zu wählen, und mein Autor erklärte im Sinne eines Glaubensbekenntnisses:

Inversement je ne refuse pas de donner l'œuvre aux jours : œuvre dilapi-dée, dispersée (dans les revues, les publications diverses et qui ne se rejoi-gnent pas), œuvre qui renonce à s'accumuler ou ne s'en soucie pas, à chaque fois trop passionnante pour cela, vouée à la non spécialisation (« tu te disperses »), œuvre renonçant donc à être œuvre et même tendue contre l'idée d'œuvre (PACHET 1999: 24).

Das heißt, für das, was zwischen œuvre im Sinne von Tätigkeit, Beschäftigung und œuvre im Sinne eines schriftlichen Schaffens liegt, war die beste rumäni-sche Option doch operă, denn sonst hätte es nur eine semantische Teilung mit alternierenden rumänischen Termini gegeben, und das an einer Stelle, wo das Französische mit nur einem Begriff auskommt. Ich hätte eine abweichende Botschaft riskiert – das alte Dilemma zwischen Gewinn und Verlust.

Pierre Pachet zitiert im selben Buch zwei Verszeilen von Baudelaire:

C’est l’Auberge fameuse inscrite dans le Livre Où l’on pourra dormir, et manger, et s’asseoir … (PACHET 1999: 84).

Er ist die weitberühmte gästehalle Wo jeder sitzen speisen trinken mag (BAUDELAIRE; GEORGE 1901: 178).

Die große Herberg, wie sie in dem Buch geschrieben, Wo man sich setzen kann, wo Schlaf und Speise winkt (BAUDELAIRE & VON KALCKREUTH 1907: 143).

Als eine Übersetzerin, die ihre Ethik-Lektion gelernt hat, griff ich zur rumäni-schen Ausgabe im Regal. Selbst zu übersetzen, die Frage stellt sich nicht – ohne