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Fremdsprache Deutsch Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts Heft 38 I 2008 Hueber Freude an Sprachen Theorien und Modelle

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Fremdsprache Deutsch

Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts

Heft 38 I 2008

Hueber Freude an Sprachen

Theorien und Modelle

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5 Klaus-Börge BoeckmannDer Mensch als Sprachwesen – das Gehirn als Sprachorgan

12 Gerard WesthoffÜber die Lernwirksamkeit von Sprachlernaufgaben am Beispiel von „WebQuests“

19 Nicole MarxWozu die Modelle? Sprachlernmodelle in neueren Deutsch-Lehrwerken am Beispiel der Tertiärsprachendidaktik

26 Hans-Jürgen KrummGemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: Ziele, Wirkungen und Nebenwirkungen

29 Sabine Hoffmann, Michael SchartUnbestimmtheit als Potential: Projektorientiertes Lehren und Lernen

36 Manfred Schifko„... oder muss ich expliziter werden?“ Formfokussierung als fremdsprachen di-daktisches Konzept: Grundlagen und exemplarische Unterrichtstechniken

46 Karin Kleppin, Grit MehlhornSprachlernberatung im schulischen Kontext

53 Karin AguadoWie beeinflussbar ist die lernersprachliche Entwicklung? Theoretische Überlegungen, empirische Erkenntnisse, didaktische Implikationen

Rubriken 4 Impressum/Editorial

59 Bücher und Aufsätze zum Thema

62 Aktuelles Fachlexikon

64 Unsere Autorinnen und Autoren

Inhalt Heft 38

03_04_FSD_Inhalt Impressum:Layout 1 01.04.2008 08:47 Uhr Seite 3

Fremdsprache Deutsch Heft 38/2008 – Sprechen lernen – Theorien und Modelle, ISBN 978-3-19-709183-9, © Hueber Verlag 2008

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IMPRESSUMFremdsprache Deutsch

Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts herausgegeben vom Vorstand des Goethe-Instituts und Peter Bimmel, Christian Fandrych, Britta Hufeisen, Hans-Jürgen Krumm, Rainer E. Wicke im Verlag Hueber GmbH & Co KG, Ismaning

Schriftleitung und Vertretung des Goethe-Instituts: Werner Schmitz

Verantwortlicher Themenheftherausgeber: Klaus-Börge Boeckmann

Redaktion: Veronika KirschsteinGestaltung und Realisation: Thomas SchackAnzeigenleitung: Hueber Verlag GmbH & Co KGDruck: Ludwig Auer GmbH, DonauwörthTitelbild: Thomas Schack

Themen der nächsten Hefte:• Textkompetenz • Integriertes Sprach- und Fachlernen (CLIL)• Blended Learning

Ein Einzelheft „Fremdsprache Deutsch“ kostet EUR 9,60zuzüglich Versandkosten. Ein Jahresabonnement umfasstzwei reguläre Aus gaben und kostet EUR 16,50 zuzüglichVersandkosten. Die Dauer eines Abonnements beträgt einKalender jahr und verlängert sich automatisch jeweils um einJahr. Kündigung des Abonnements ist bis zwei Monate vorAblauf eines Kalenderjahres möglich.© Die Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechtevorbehalten. Die als Kopiervorlage bezeichneten Unterrichts -mittel dürfen bis zur Klassen- bzw. Kursstärke vervielfältigtwerden. Auch unverlangt eingesandte Manuskripte werdensorgfältig geprüft. Unverlangt eingesandte Bücher werdennicht zurückgeschickt.

Adresse der Schriftleitung: Dr. Werner SchmitzGoethe-Institut e.V.Bereich 42 Bildungskooperation DeutschDachauer Str. 122, 80637 MünchenTel.: +49 (0)89-15921-407, E-Mail: [email protected]

Bezugsadresse: Ludwig Auer GmbH LeserserviceHeilig-Kreuz-Str. 1686609 DonauwörthTel.: +49 (0)906-73-478, Fax: +49 (0)906-73-122E-Mail: [email protected] Internet: www.hueber.de/fremdsprache-deutsch

Kontakt Verlagsredaktion: Annette AlbrechtTel.: +49 (0)89-9602-233, Fax: +49 (0)89-9602-254E-Mail: [email protected]

ISBN 978-3-19-709183-9ISSN 0937-3160Heft 38/2008

EDITORIALLiebe Leserinnen und Leser,

„Projektunterricht“, „Formfokussierung“, „Tertiärsprachen di -da ktik“ – die neue Ausgabe von FREMDSPRACHE DEUTSCHmöchte zur Klärung beitragen, was sich hinter diesen undanderen Begriffen aus der Fremdsprachenerwerbstheorie ver-birgt.

Klaus-Börge Boeckmann, der Herausgeber dieses Themen -heftes, fasst das wie folgt zusammen:

„In diesem Heft werden aktuelle wissenschaftliche Erkennt -nisse, Modelle und Theorien zum Lernen weiterer Sprachenvorgestellt. Auch wird gefragt, wie wir das Lernen planen undgestalten können, um die Lernenden bestmöglich zu unterstüt-zen … Darüber hinaus werden zugleich mögliche Formen derUmsetzung gezeigt oder zumindest beispielhaft benannt.“Ausgangspunkt ist in diesem Kontext die Hirnforschung undihre Folgen für das Sprachenlernen.

Die – überraschende? – Pointe: „Mehrsprachigkeit machtschlau!“ (S. 8)

„Gibt es überhaupt einen Bezug zwischen den gelerntenHypo thesen und der tagtäglichen Unterrichtspraxis? Inwiefernwird Theorie in Deutsch-als-Fremdsprache-Lehrwerken wider-gespiegelt?“, will z.B. Nicole Marx wissen und kommt zu derfür alle Beiträge im Heft geltenden Feststellung „EinBasiswissen über Lerntheorien hilft dann, zu entscheiden, wel-che Aufgaben wie und für welche Gruppen einzusetzen sindund was die Funktion eines spezifischen Textes oder einerbestimmten Übung ist. Gerade deswegen ist es aber wichtig,dass man sich ab und zu mit neueren Lerntheorien undLehrmethoden auseinandersetzt: Nur so können Lehrendesowie Lernende von neueren Erkenntnissen und Ansätzen imFremdsprachen unterricht profitieren.“ (S. 25 ff)

Den „Zielen, Wirkungen und Nebenwirkungen“ desGemein samen europäischen Referenzrahmens für Sprachen(GER) und seiner Bedeutung für das Fremdsprachenlernen und–lehren sowie für die Entwicklung des Deutschunterrichts wid-met sich Hans-Jürgen Krumm. Dieser zentrale Beitrag, in demKrumm die „Grundannahme (des GER) gesellschaftlicher undindividueller Mehrsprachigkeit“ hervorhebt und auch denBlick auf die vernachlässigten Potenziale lenkt, ist zugleichsein letzter Beitrag als Mitherausgeber von FREMDSPRACHEDEUTSCH. Damit verabschiedet sich nach 20 Jahren ein weite-rer Gründungsherausgeber, wenn nicht der „Spiritus Rector“der Zeitschrift. Ohne die Fülle seiner ideenreichen Anregungenund konstruktiven Hinweise zu allen im Lauf der Jahre behan-delten Themen und geschriebenen Artikel, ohne seine berufli-chen und persönlichen Kontakte hätte FREMDSPRACHEDEUTSCH nicht das Niveau erreicht, für das sie seit langembekannt ist. Hierfür gebührt ihm der herzliche und besondereDank des Vorstands des Goethe-Instituts und aller über dieJahre Beteiligten. Im Gremium der Mitherausgeber werden wirH.-J. Krumm vermissen - und hoffen zugleich, dass er „seiner“FREMDSPRACHE DEUTSCH mit weiteren Beiträgen als Autortreu bleibt!

Mit den besten Grüßen,IhrWerner Schmitz Goethe-Institut München

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Fremdsprache Deutsch Heft 38/2008 – Sprechen lernen – Theorien und Modelle, ISBN 978-3-19-709183-9, © Hueber Verlag 2008

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Zentrale FragenSprache in der Form, wie wir sie verwenden, istetwas spezifisch Menschliches und mit anderenkünstlichen oder natürlichen Kommunikations-systemen (etwa Computer- oder Tier-„Spra-chen“) nicht vergleichbar. Menschen habenSprache als Kennzeichen ihrer Gattung, so wiez.B. Fledermäuse die Navigation mittels Ultra-schall. Wir Menschen sind „Sprachwesen“ undwerden erst zu Mitgliedern der Menschheit

durch den Erwerb unserer (Erst-)Sprache, oftauch als „Muttersprache“ bezeichnet. Die Mehr-heit der Menschen erwirbt bzw. lernt nicht nureine, sondern – gleichzeitig oder mit zeitlicherVerzögerung – sogar weitere Sprachen. Dabeikönnen wir allerdings einen markanten Unter-schied beobachten: Der Erstspracherwerb läuft(von pathologischen Fällen abgesehen) nacheiner Art biologisch-psychologischem „Pro-gramm“ ab und erreicht immer ein einigerma-

Der Mensch als Sprachwesen – das Gehirn als Sprachorgan

In diesem Heft werden aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse, Modelle und Theorien zum Lernenweiterer Sprachen vorgestellt. Auch wird gefragt, wie wir das Lernen planen und gestalten können, umdie Lernenden bestmöglich zu unterstützen. Dabei sollen einige ausgewählte Fragestellungen aus der oftsehr komplexen und abstrakten Fachdiskussion in der Fremdsprachenforschung für Praktiker/-innenaufbereitet werden, sodass klar wird, was sich hinter Schlagworten wie „Aufgabenorientierung“,„Formfokussierung“ oder „Projektorientierung“ theoretisch verbirgt. Darüber hinaus werden zugleichmögliche Formen der Umsetzung gezeigt oder zumindest beispielhaft benannt.

Von Klaus-Börge Boeckmann

© fotolia.com

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ßen gleich hohes Niveau. Der Erwerb weitererSprachen hingegen kann, vor allem wenn ernicht im Kindesalter stattfindet, auf ganz ver-schiedene Weise erfolgen (mit oder ohne Unter-richt, mit oder ohne Schriftkompetenz, mit vieloder mit wenig Sprachkontakt zu Muttersprach-ler/-innen) und zu ganz unterschiedlichenErgebnissen führen. Es liegt nahe zu fragen, wel-che Rahmenbedingungen denn für den Lerner-folg die günstigsten wären.

Die Bereiche aus der Fachdiskussion, die ichhierfür ausgewählt habe, sind:• die Frage, wie die fortschreitende Erforschung

des menschlichen Gehirns uns helfen könnte,Sprachunterricht „gehirngerechter“ zu gestal-ten (sie wird in diesem Beitrag im Folgendenbehandelt),

• die Frage, wie Sprachlernaufgaben aus lern-und spracherwerbstheoretischer Perspektiveauf ihre Wirksamkeit hin zu beurteilen sindund wie aufgabenorientierter Sprach unter -richt die Möglichkeiten neuer Medien (spe-ziell des Internets) nutzen kann (sie wird imBeitrag von Gerard Westhoff erörtert),

• die Frage, auf welcher theoretischen Grund -lage projektorientierte Lernformen imSprach unterricht stehen, wie sie sich entwi-ckelt haben und wie sie aktuell gesehen undweiterentwickelt werden (sie wird im Beitragvon Sabine Hoffmann & Michael Schart the-matisiert),

• die Frage, wie sich aktuelle sprachlerntheore-tische Modelle (unter besonderer Berücksich -ti gung der Tertiärsprachendidaktik) in Lehr -werken widerspiegeln (sie wird im Beitragvon Nicole Marx untersucht),

• die Frage, wie sich sprachliche Strukturenabseits von konventionellem Grammatik unter -richt mit dem Modell der Form fokus sierung(„focus on form“) im Unterricht behandelnlassen und auf welchen theoretischenHintergründen dieses Modell beruht (sie istdas Thema des Beitrags von Manfred Schifko),

• die Frage, wie Lernersprachen, u.a. in Hin -blick auf Lern- bzw. Erwerbssequenzen, syste-matisch analysiert werden können und wel-che Konsequenzen das für den Unterricht hat(sie wird von Karin Aguado in ihrem Beitrag inden Mittelpunkt gestellt),

• die Frage, wie Sprachlernberatung lern-theoretische Erkenntnisse und individuum-zentrierte Ansätze des Sprachunterrichtsumsetzt und welche Rolle sie im Sprachlern-

prozess spielen kann (diese Frage ist derFokus im Beitrag von Karin Kleppin und GritMehl horn),

• die Frage, wie der Gemeinsame europäischeReferenzrahmen für Sprachen die Umsetzungneuer Lernmodelle im Fremdsprachen unter -richt beeinflusst (diesem Thema widmet sichder Beitrag von Hans-Jürgen Krumm).

Mir liegt daran, vor der Vorstellung zu warnen, wissenschaftliche Erkenntnisse seien

grundsätzlich direkt im Unterricht anwendbar.

Obwohl in allen Beiträgen nicht die Darstellungder Theorie im Vordergrund steht, sondernimmer versucht wird, den AnwendungskontextSprachunterricht im Blick zu behalten, möchteich eines hervorheben: Mir liegt daran, vor derVorstellung zu warnen, wissenschaftliche Er -kenntnisse seien grundsätzlich direkt im Unter-richt anwendbar. Viele der wissenschaftlichenErkenntnisse entstehen ja ohne Bezug auf denUnterricht, z.B. in der klinischen Behandlungvon sprachbeeinträchtigten Personen, in Labor-experimenten (zum Beispiel im Computertomo-graphen, einer nicht sehr natürlichen Lebens-umwelt) oder auch in natürlichen Spracher-werbs- (nicht Unterrichts- und Lern-)Kontexten.Trotzdem werden oftmals, ohne allzu großeSkrupel, Forschungsergebnisse in teils abenteu-erlicher Weise auf den Unterricht übertragen unddaraus Handlungsanweisungen für Unterrich-tende abgeleitet. Auf der anderen Seite gibt esnatürlich auch anwendungsbezogene Forschun-gen, die von Anfang an der UnterrichtssituationRechnung tragen. Lehrende sollten deshalbeinen grundlegenden Einblick in die aktuelleFachdiskussion haben, um sich ein ausgewoge-nes Bild machen zu können und gegen Scharla-tanerien gewappnet zu sein.

Der zentrale Ort der Sprachver -arbeitung und des Sprachlernens:das Gehirn Obwohl wir für unsere sprachlichen Leistungenauch unsere Sinnesorgane und unseren motori-schen Apparat einsetzen, gilt das Hauptinteresseder Fremdsprachenforschung doch dem Gehirn:Dort werden alle sprachlichen Reize aufgenom-men, verarbeitet und zur Speicherung ausge-wählt. Dort werden eigene sprachliche Äußerun-gen unter Abruf von verschiedenen Wissens-beständen vorbereitet. Wir können im Unter-

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schied zu früheren Auffassungen, die ein Sprach-zentrum oder Sprachorgan als Teil des Gehirnsfestzumachen versuchten (s. u.), getrost davonsprechen, dass das Gehirn als Ganzes unserSprachorgan ist. Wie sprachliche Verarbeitungs-und Speicherungsprozesse genau ablaufen undob es Unterschiede zwischen der Verarbeitungund Speicherung von Erstsprachen und weiterenSprachen gibt, ist dabei von zentralem Interesse,denn hier könnten Maßnahmen ansetzen, dem Gehirn das Sprachenlernen zu „erleich-tern“.

Blick zurück: Was so nicht mehr gilt.Angesichts der gegenwärtigen Begeisterung fürGehirnforschung und daraus abgeleitete Lern-verfahren, die als „Gehirn-Euphorie“ bezeichnetwerden könnte, ist daran zu erinnern, dass einigeder ursprünglich in Sprachdidaktik und Unter-richtspraxis teils mit großer Begeisterung aufge-nommenen Konzepte zu Sprache und Gehirnsich inzwischen als falsch oder zumindest nurteilweise richtig herausgestellt haben.

Die kritische Periode als beste Zeit zum FremdsprachenlernenEine sogenannte „kritische Periode“ für denErwerb von Fremdsprachen wurde zunächst vonLenneberg angenommen und mit der angebli-chen Plastizität des Gehirns vor der Pubertätbegründet. Später wurde sie von anderen For-schern dahingehend modifiziert, dass es einekritische Periode nur im Bereich der Aussprachegäbe oder für unterschiedliche Bereiche derSprache (Aussprache, Grammatik, Wortschatz /Lexik) verschiedene kritische Perioden anzuneh-men wären. Folge war, dass davon ausgegangenwurde, dass Fremdsprachenunterricht vor derPubertät am effizientesten sei. Heute wird dasVorhandensein einer kritischen Periode selbstfür die Aussprache angezweifelt. Wohlgemerktbeziehen sich diese Ergebnisse auf das Fremd-sprachenlernen bzw. den Zweitspracherwerb, fürden Erstspracherwerb gibt es nämlich For-schungsergebnisse, die eine kritische Periodenahe legen. Da die wesentlichen bekannten Ver-änderungen im Gehirn weit vor der Pubertätstattfinden, ließe sich aus der Perspektive derHirnforschung für eine Effizienzsteigerung desFremdsprachenlernens eigentlich nur bei einemFrühbeginn im Vorschulalter argumentieren. Indiesem Alter kann aber nur mit Einschränkun-gen von „Fremdsprachenunterricht“ gesprochenwerden (vgl. List 2006, 20).

Die unterschiedlichen Funktionen der GehirnhälftenDas „Dogma der Lateralität“ (List 2006, 14)spricht den beiden Hirnhälften ganz unterschied-liche Funktionsweisen zu und geht daher davonaus, dass beiden Hälften unterschiedliche Lern-angebote („rechtshemisphärisches“, weiblich-intuitives versus „linkshemisphärisches“, männ-

lich-logisches Lernen) gemacht werden müssten.Das Sprachzentrum wurde der linken Hirnhälftezugeordnet. Da es Anzeichen gab, dass bei Mehr-sprachigen die rechte Gehirnhälfte stärker insprachliche Leistungen eingebunden wird,wurde dafür plädiert, im Fremdsprachenunter-richt gezielt die rechte Hirnhälfte anzusprechen.Diese und auch andere Hypothesen zur Lokali-sierung sprachlicher Leistungen im Gehirn kön-nen heute als überholt gelten. Mit heutigenMethoden der Hirnforschung kann gezeigt wer-den, dass weit verteilte Bereiche des Gehirns ansprachlichen Leistungen Anteil haben und dassdie sprachliche Dominanz auch bei Rechtshän-dern nicht zwingend in der linken Hirnhälfte lie-gen muss (vgl. Götze 1997, 3). Im Fremd sprach en-unterricht zu versuchen, beide Hirnhälften„anzusprechen“, ist sicherlich kein Fehler, nur istkeineswegs klar, wie eine solche gezielte Anspra-che denn erfolgen sollte.

Das Gehirn – Sprachorgan des Menschen © Finest Images/dieKleinert

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Die Besonderheit mehrsprachiger GehirneDie Besonderheit der Organisation mehrsprachi-ger Gehirne wurde immer wieder erforscht.Abgesehen von der oben erwähnten Hypothese,dass bei Mehrsprachigen die Sprachdominanzeiner Hirnhälfte weniger ausgeprägt sei, wurdenu. a. die unterschiedlichen Möglichkeiten derSpeicherung mehrerer Sprachen in einemGehirn untersucht. Dabei wurde lange Zeit dieTheorie verfochten, dass es eine kompositionelle(ein Speicher für alle Sprachen) und eine koordi-nierte Art der Speicherung (mehrere getrennteSpeicher) gebe. Das wurde in Zusammenhangmit dem Lernkontext gebracht: Um Sprachmi-schungen zu verhindern, die bei der kompositio-nellen Speicherung drohen würden, sei es wich-tig, die verschiedenen Sprachen möglichst ge -trennt darzubieten. So könnte eine koordinierte,„ungemischte“ Mehrsprachigkeit entstehen. ImBemühen, Interferenzen zwischen verschiede-nen Sprachen zu verhindern, wurde daraufhinz.B. der Fremdsprachenunterricht an Schulen soorganisiert, dass nie zwei Fremdsprachen aneinem Tag unterrichtet wurden. Aus heutigerSicht ist die Auffassung, Mehrsprachigkeit gehegrundsätzlich mit einer besonderen Organisati-on des Gehirns einher, nicht aufrechtzuerhalten– schön auf den Punkt gebracht in der Frage:„Was wäre dem Gehirn denn ‚fremd’?“ (so derTitel von List 2006). Statt negativ bewerteterInterferenzen zwischen den Sprachen sind dielernfördernden Möglichkeiten des Wissenstrans-fers von einer Sprache in die andere in den Blickgeraten. Das legt nahe, mehrere Sprachen koor-diniert gemeinsam zu lernen, wie es die Mehr-sprachigkeitsdidaktik vorschlägt. Außerdem gibtes durchaus Indizien, dass sprachliche Leistun-gen von Mehrsprachigen auch auf andere, nicht-sprachliche kognitive Bereiche ausstrahlen (s. Kasten).

Die Einheitlichkeit der HirnstrukturenZuletzt und vielleicht am wichtigsten: Die Vor-stellung, dass irgendwie alle menschlichenGehirne gleich funktionieren, dass z.B. die beiSprachverarbeitung aktiven Bereiche im Großenund Ganzen gleich verteilt sind und dass esdaher möglich wäre, Unterricht einheitlich„gehirngerechter“ zu organisieren, für die Gehir-ne aller Lernenden zugleich, erweist sich mehrund mehr als falsch (vgl. Götze 1997, 5). NeuereForschungen weisen oft eine erstaunliche Indivi-dualität in der Hirnorganisation und Hirnaktivi-tät nach. Das rückt den entscheidenden Unter-schied zwischen dem Gehirn und anderen Orga-nen, sagen wir der Bauchspeicheldrüse, in denVordergrund: Das Gehirn ist ein Organ, das bis inseine physiologische Substanz hinein lebenslangvon Erfahrung geprägt wird (vgl. List 2006, 14 f.).Folglich sind keine zwei Gehirne gleich, und dieVorstellung, es gäbe im Gehirn wie beim Compu-ter eine Trennung zwischen einer „Hardware“(einer vorgegebenen Organisationsstruktur) undder „Software“ (den in der vorgegebenen Struk-tur ablaufenden Programmen und Prozeduren)ist unzutreffend. Vielmehr ist das Gehirn lebens-lang damit beschäftigt, sich selbst umzubauen –entsprechend den Anforderungen, die an esgestellt werden.

Blick voraus: neuere ErkenntnisseIm Folgenden wird der Blick auf einige wichtigeneuere Erkenntnisse gerichtet, die für die Gestal-tung des Unterrichts, also für Fremdsprachen-lehrende, von besonderem Interesse sind. In die-sem Rahmen können die einzelnen Problemkrei-se nur angerissen werden, für nähere Erläuterun-gen muss auf die weiterführende Literatur ver-wiesen werden.

Implizit-prozedurales und explizit- deklaratives GedächtnisEine Unterscheidung, die in der Fremdsprachen-didaktik schon seit längerer Zeit gemacht wird(zumindest seit Krashens Dichotomie „Erwerben– Lernen“), ist die zwischen impliziter und expli-ziter Sprachaneignung sowie prozeduralem unddeklarativem Wissen. Implizite Vorgänge (vonKrashen als „Erwerben“ bezeichnet) laufen ohnebewusste Kontrolle oder Steuerung ab und füh-ren zu prozeduralem Wissen, das auch als „Wie-Wissen“ bezeichnet werden könnte. Ein Beispielfür prozedurales Wissen wäre die Art und Weise,wie ein Kind grammatische Regeln seiner Erst-sprache erwirbt: Es kann sie anwenden, aber

Allen Sprachlehrenden sei hier die guteNachricht mitgeteilt: Immer mehr For-schungsergebnisse deuten darauf hin, dassmehrsprachige Kinder und Erwachsene,zumindest bei hoher Kompetenz in mehre-ren Sprachen, entscheidende mentale Vor-teile haben. Diese Vorteile werden daraufzurückgeführt, dass Mehrsprachige darintrainiert sind, sich jeweils auf eine Sprachezu konzentrieren und die andere „auszu-blenden“ – eine Fähigkeit, die sich auch aufandere geistige Leistungen, bei denen Kon-zentration und Wechsel zwischen verschie-

denen Aufgaben erforderlich sind, übertra-gen lässt (De Bleser, Paradis & Springer2006). Offensichtlich hält diese geistigeLeistungsfähigkeit bis ins hohe Alter an: Ineiner aktuellen Studie wurde nachgewie-sen, dass Mehrsprachige rund vier Jahrespäter an Alzheimer und anderen Demenz-erkrankungen als vergleichbare Einsprachi-ge erkrankten (Bialystok, Craik & Freedman2007). Damit liefert die HirnforschungSprachlehrenden einen weiteren gutenGrund, sich für die Förderung von Mehr-sprachigkeit einzusetzen!

Mehrsprachigkeit macht schlau!

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nicht benennen oder gar erklären. Explizite Pro-zesse hingegen (von Krashen als „Lernen“ be -zeichnet) finden bewusst und gesteuert (z.B. imUnterricht) statt und führen zu deklarativemWissen, das als „Was-Wissen“ bezeichnet werdenkönnte. Beispiel für deklaratives Wissen istRegelwissen, das im Fremdsprachenunterricht

vermittelt wird: In diesem Fall können Lernendedie Regel, die sie anwenden, benennen undmeistens auch erklären. In der Hirnforschunglässt sich nun zeigen, dass diesen Aneignungs-bzw. Wissenstypen auch hirnphysiologischunterschiedliche Prozesse entsprechen, d. h. dasprozedurale Gedächtnis ist im Gehirn andersrepräsentiert als das deklarative Gedächtnis.Zwar wird das prozedurale Gedächtnis v. a. mitLernvorgängen im Kindesalter in Verbindunggebracht, es ist jedoch nachgewiesen, dass auchErwachsene implizit lernen (vgl. List 2006, 18).Eine interessante Hypothese, die die Effizienzimpliziten Lernens im Kleinkindalter zu erklärenversucht, ist die „Weniger ist mehr“-Hypothese:Säuglinge und Kleinkinder könnten auf Grundihrer entwicklungsbedingt geringen Aufnahme-kapazität nur die bedeutsamsten Einheiten aus

dem Sprachangebot entnehmen. Das verhindert,dass sie von Menge und Vielfalt des Sprachange-bots überfordert werden (näher erläutert in List2006, 17 f.; Steinbrink & Spitzer 2006, 35). Fremd-sprachliche Fertigkeiten greifen jedenfalls aufprozedurales und deklaratives Wissen zurück.

Sprachliches Regelwissen und sprachliche EinheitenIn dieser Gegenüberstellung spiegelt sich dieUnterscheidung zwischen „Wortschatz“ und„Grammatik“ wider, die wohl so alt ist wie derFremdsprachenunterricht. Das moderne Kon-zept hat allerdings einige wichtige Unterschiedezu den traditionellen Begriffen. Es scheint zwarso zu sein, dass regelgenerierte („grammatikali-sierte“) Sprache auf der einen Seite und „lexikali-sierte“ Sprache (Wörter und Wendungen) auf deranderen Seite jeweils verschiedene Speicherortebzw. -strukturen im Gehirn beanspruchen. Spe-ziell für die schnelle syntaktische Verarbeitungder Erstsprache scheinen ganz spezifische Struk-turen zur Verfügung zu stehen. Aber das Regel-wissen betrifft auch das Lautsystem, die Wortbil-dung und in einem gewissen Ausmaß auch wei-tere Sprachebenen wie Textlinguistik undSprachhandeln (Pragmatik) und geht damit überdie konventionelle „Grammatik“ deutlich hinaus.Auch das mentale Lexikon speichert nicht nurWörter, ihre Bedeutung und ihre grammatikali-schen Eigenschaften (z.B. Wortarten).

Das Lexikon enthält also auch Wissensbestände, die traditionell der

Grammatik zugeordnet werden.

So sind hier außerdem auch Stücke formelhafterSprache, sogenannte „chunks“ (z.B. Grußfloskelnoder andere sprachliche Versatzstücke) undunregelmäßige Formen, die nicht aus dem Regel-wissen generiert werden können (z.B. Formenstarker Verben) gespeichert. Das Lexikon enthältalso auch Wissensbestände, die traditionell derGrammatik zugeordnet werden. Für die sprachli-chen Einheiten und das Regelwissen zu ihrenVerknüpfungen gibt es also im Gehirn unter-schiedliche Speicherstrukturen, wobei nichtimmer vorhersagbar ist, ob eine bestimmtesprachliche Erscheinung als Einzelelementgespeichert oder aus einer gespeicherten Regelgeneriert wird (vgl. List 2006, 19). Es ist sogardenkbar, dass manches in doppelter Weise – als„Wort“ und als „Regel“ – gespeichert und abruf-bar ist.

Hirnphysiologisch unterschiedliche Prozesse: © fotolia/kts design

prozedurales und deklaratives Gedächtnis

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Speicherung: Bewertung undMultimodalitätIn jeder Sekunde hat unser Gehirn Tausende vonEinzelreizen zu verarbeiten. Der Großteil dieserReize erreicht nie unser Bewusstsein oder wirdüber einen längeren Zeitraum gespeichert. UnserGehirn muss einen Reiz als bedeutsam bewer-ten, um auf ihn „aufmerksam“ zu werden undihn unter Umständen auch zu speichern (vgl.Götze 1997, 4 f.). Die Bewertung von Informatio-nen erfolgt einerseits auf affektiv-emotionalerEbene. Andererseits wird entschieden, ob eineInformation bekannt oder unbekannt bzw. in einbestehendes Wissensnetz einzuordnen ist. DieseWissensnetze können wir uns als Bündel vonEigenschaften vorstellen, die beispielsweise miteinem Wort bzw. einer Wortbedeutung in ver-schiedenen Regionen des Gehirns durch immerwieder aktivierte Nervenbahnen in Verbindungstehen. Diese Form der Speicherung ist • multimodal: sie kann Sinneseindrücke aus

verschiedenen Wahrnehmungsbereichen(Hören, Sehen, Schmecken, Riechen),Erinnerungen u. Ä. enthalten und

• assoziativ: die Speicherung erfolgt nicht punk-tuell, sondern die gespeicherte Informa tionliegt in den Verknüpfungen, den Kon stel la -tionen von regelmäßig aktivierten Hirn arealen,die z.B. ein bestimmter Begriff auslöst.

Unter der Überschrift „Multi-Merkmal-Hypothe-se“ wird diese Form der Speicherung in GerardWesthoffs Beitrag (S. 12) in diesem Heft nähererläutert und mit einem Beispiel illustriert. Sehrwichtig ist, darauf hinzuweisen, dass die Bewer-tung von Informationen und ihre Speicherung inNetzwerken hochindividuell ist, sodass ein undderselbe Wissensinhalt bei jedem einzelnen Ler-nenden einer Lerngruppe unterschiedlichgespeichert wird. Im Grunde lernt also jeder Ler-nende trotz gleichen Lerninhalts etwas anderes(vgl. Götze 1997, 5).

Verarbeitung der Erstsprache und weiterer SprachenEine der wichtigsten Fragen bei der Betrachtungder Mehrsprachigkeit in der Hirnforschung, diezumeist unter der Bezeichnung „bilingualesGehirn“ thematisiert wird, ist die folgende:Inwieweit wird auf verschiedene Sprachen inunterschiedlicher Weise zugegriffen? Zeigen sichsprachspezifische Verarbeitungsmuster? Obwohles hierzu widersprüchliche Ergebnisse gibt,scheint es tendenziell so zu sein, dass in frühen

Lernphasen des Erwerbs weiterer Sprachenbeide Hirnhälften stärker einbezogen werden.Lernende in diesem Stadium versuchen, fehlen-des implizites Sprachwissen durch sogenanntepragmatische Inferenzen zu kompensieren. Dasbedeutet, dass fehlende sprachliche Informationaus dem Situationszusammenhang erschlossenwird und daher nicht nur die auf Sprache spezia-lisierten Gehirnareale benötigt werden.Bei Menschen mit hoher Sprachbeherrschung inweiteren Sprachen sind diese Sprachen aber imGehirn in ähnlicher Weise wie die Erstspracherepräsentiert. Der Grad der Sprachbeherrschungscheint höheren Einfluss auf die Verarbeitungs-muster zu haben als das Lernalter. Allerdingsgibt es auch Hinweise, dass bei späterer Aneig-nung einer weiteren Sprache (also höherem Lernalter) diese im Gehirn zumindest teilweiseunterschiedlich von früher gelernten Sprachenrepräsentiert wird. Eine Hypothese versucht, diese Unterschiede,die vor allem bei später Sprachaneignung undniedriger Sprachbeherrschung aufzutretenscheinen, so zu erklären, dass in diesem Fall stär-ker deklarative Gedächtnisstrukturen zum Ein-satz kommen als bei anderen Aneignungsfor-men. Grundsätzlich ist ja leicht vorstellbar, dassweitere Sprachen auf Grund der Vielfalt derAneignungsformen und erreichten Kompetenz-niveaus in vielfältiger Weise im Gehirn repräsen-tiert sind. Aber auch bei Lernenden / Erwerben-den, die sich eine weitere Sprache nach dem Kin-desalter aneignen und trotzdem eine hoheSprachbeherrschung erreichen, sind diese Spra-chen sehr ähnlich wie die Erstsprache repräsen-tiert. In solchen Fällen nutzen also offenbar alleSprachen weitgehend dieselben Hirnstrukturen.

Drei Folgerungen für dieUnterrichtspraxisIn komprimierter Form sollen hier nun dreiwesentliche, miteinander in Zusammenhang ste-hende Folgerungen, die sich aus einer vorsichti-gen Anwendung der Erkenntnisse aus der Hirn-forschung auf den Fremdsprachenunterrichtergeben, genannt und in Zusammenhang mitden in den Beiträgen dieses Hefts präsentiertenLernmodellen gebracht werden:

Folgerung 1Individualisiertes, autonomes Lernen, das Rück-sicht auf die jeweils ganz persönliche Ausgestal-tung von Motivations- und Wissensstrukturen

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Der Mensch als Sprachwesen – das Gehirn als Sprachorgan 11

nimmt, bedeutet eine Vielfalt des sprachlichenMaterials und der Zugänge dazu. Es soll einer-seits ein reiches Sprachangebot als Basis fürimplizite Aneignungsprozesse schaffen undandererseits in Hinblick auf Sprach- und Arbeits-formen einzelnen Lernenden verschiedene Mög-lichkeiten geben, ihre individuellen Wissensnet-ze zu aktivieren und zu erweitern.

Zu einer lernerorientierten Vorgehensweisegehört auch die Schaffung eines fördernden,

emotional positiven Lernklimas

Das steht übrigens auch im Einklang mit dererkenntnistheoretisch-philosphischen Strömungdes Konstruktivismus1, die in der Fremdspra-chendidaktik in den letzten Jahren große Auf-merksamkeit erfahren hat. Zu einer lernerorien-tierten Vorgehensweise gehört auch die Schaf-fung eines fördernden, emotional positivenLernklimas, in dem die Lernenden Verantwor-tung für ihr eigenes Lernen übernehmen undLerninhalte als persönlich relevant empfinden.Möglichkeiten der Umsetzung solcher individu-umzentrierter Ansätze in der Fremdsprachendi-daktik werden in diesem Heft in drei Beiträgenthematisiert. Es sind dies Aufgabenorientierung(Beitrag Westhoff, S. 12), Projektorientierung(Beitrag Hoffmann & Schart, S. 30) und Sprach-lernberatung (Beitrag Kleppin & Mehlhorn, S. 46).

Folgerung 2Für den Fremdsprachenunterricht können wirdavon ausgehen, dass eine eher inhaltsorientier-te Bearbeitung von Sprache eine notwendige,aber nicht hinreichende Voraussetzung für dieoptimale Förderung lernersprachlicher Systemeist (vgl. Beitrag Aguado, S. 53). Sie legt denSchwerpunkt auf implizit-prozedurale Aneig-nung. Diese inhaltsorientierte Bearbeitung sollteergänzt werden durch eine explizit-deklarativeKomponente, die die Aufmerksamkeit bewusstauf die Zusammenhänge von Form und Inhaltrichtet. Hierfür ist die isolierte Bearbeitung vonFormen nach der Art des konventionellen Gram-matikunterrichts nicht geeignet. Vielmehr emp-fiehlt es sich in Zusammenhang mit Folgerung 1,induktive Erschließungstechniken zu verwendenund einen starken Inhaltsbezug aufrechtzuerhal-ten, wie bei den Techniken der Formfokussie-rung (Schifko, S. 36). Eine solche Förderung vonSprachaufmerksamkeit sollte auch und geradedie zuvor und parallel gelernten Sprachen als

Vergleichsbasis und Kontrastfolie heranziehen,wie das in der Tertiärsprachen- und Mehrspra-chendidaktik erfolgt (Marx, S. 19). Durch daskoordinierte Befassen mit mehreren Sprachenlassen sich sowohl Lernerleichterungen als auch,unter Umständen, weitere kognitive Vorteileerreichen (s. Kasten S. 8). Auch der Gemeinsameeuropäische Referenzrahmen für Sprachen gehtja von einer einzelsprachübergreifenden Sprach-lichkeit des Menschen aus und versucht dieseabzubilden (Krumm, S. 26).

Folgerung 3Angesichts der Erkenntnis, dass zumindest zweiverschiedene Speichersysteme – eines fürsprachliche Einzelelemente und eines für regel-hafte Konstruktionen – an der Verarbeitung vonSprache beteiligt sind, sollte sich der Fremdspra-chenunterricht Gedanken darüber machen, wiediese beiden Systeme am besten „gefüttert“ wer-den können. Es scheint sich anzubieten, sowohlim Sprachangebot wie in der Sprachproduktiondarauf zu achten, dass eher automatisierte, for-melhafte Sprache ebenso wie regelhaft konstru-ierte Sprache berücksichtigt wird. Das bedeutetein reiches Sprachangebot variierender Komple-xität und differenzierte Aufgabenstellungen fürdie Sprachproduktion (Beitrag Westhoff, S. 12),die Inhalts- und Formbezug enthalten. Auf derGrundlage einer genauen Beobachtung der ler-nersprachlichen Entwicklung (Aguado, S. 53)sollten Aktivitäten zur Form- und Regelorientie-rung (Beitrag Schifko, S. 36) dort eingesetzt wer-den, wo die Beherrschung und Übung der Regelden Lernenden eine entscheidende Weiterent-wicklung ihrer Lernersprache ermöglicht.

LiteraturBialystok, Ellen; Craik, Fergus I.M. & Freedman, Morris:

Bilingualism as a protection against the onset of symp-toms of dementia. Neuropsychologia, 45 (2) 2007, 459–464.

De Bleser, Ria; Paradis, Michel & Springer, Michael: Mehr-sprachigkeit macht schlau (Interview). Gehirn & Geist,6 (2006), 54-57.

Mehr Literatur zu diesem Thema s. S. 59.

Anmerkungen1 Siehe „Aktuelles Fachlexikon“, S. 62.

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Dieser Beitrag behandelt die Frage, wie Sprachlernaufgaben aus lern- und spracherwerbs -theoretischer Perspektive auf ihre Wirksamkeit hin zu beurteilen sind und wie aufgabenorientierterSprachunterricht (task-based teaching) die Möglichkeiten neuer Medien (speziell des Internets)nutzen kann. Zum Entwurf von Aufgaben braucht man Kenntnisse über die Lernwirksamkeit vonLernaktivitäten und über die dabei entscheidenden Merkmale in der Aufgabenstellung. Eine solcheKompetenz setzt lerntheoretische Kenntnisse und Wissen über Spracherwerbstheorie voraus. Dasist ziemlich viel verlangt, und in den Lehrerausbildungen wird der kritischen, theoriebasierten undqualitativen Materialanalyse im Allgemeinen wenig Aufmerksamkeit gewidmet. In diesem Zusam -me nhang schien es nützlich, über Möglichkeiten nachzudenken, wie für Lehrpersonen undMateri al ersteller eine Handreichung in Form einer „Messlatte“ entwickelt werden kann. Iminternet basierten WebQuest-Konzept (http://webquest.org/index.php) bot sich ein guter Anlassund ein konkreter Rahmen, eine derartige Handreichung zu entwickeln.

Von Gerard Westhoff

Über die Lernwirksamkeit von Sprachlernaufgaben amBeispiel von „WebQuests“1

© WebQuest.org

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Erkenntnisse aus der Spracherwerbs -theorie: die Ernährungspyramide Trotz heftiger Debatten und erbitterter Kämpfescheint sich in der Fremdsprachenerwerbs-Lite-ratur doch ein gewisser Konsens abzuzeichnenin Bezug auf fünf Ausgangspunkte, die Curricu-lumsentwickler oder Materialersteller alsBezugspunkte benutzen können. Ich besprechesie kurz: • „Einem reichen Input (Sprachangebot)

ausgesetzt sein“Es wird kaum mehr bestritten, dass es eineentscheidende, wenn auch nicht exklusive,Voraussetzung des Spracherwerbs ist, einemreichhaltigen Sprachangebot (Input) in derZielsprache ausgesetzt zu sein. Das Sprach -angebot muss umfangreich und verschieden-artig sein. Es soll verschiedene Textsorten inunterschiedlichen Registern oder Darbie -tungs formen enthalten. Auch ist man sich ingroben Zügen darüber einig, dass dieses„Ausgesetzt-Sein“ am meisten bringt, wenndas Sprachangebot im Schwierigkeitsgradetwas (aber nicht zu sehr) oberhalb des aktuel-len Beherrschungs- und Kenntnisniveaus derLernenden liegt. Fachsprachlich ausgedrücktsoll der Input „i + 1“ sein (i = interlanguage =Interims- oder Lernersprache; vgl. BeitragAguado, S. 53).

• „Inhaltsorientierte Verarbeitung“Dem Input ausgesetzt zu sein, führt nur dannzu Lernergebnissen, wenn Lernende sich dieBedeutung des Inputs bewusst ge machthaben. Und zwar am besten so, dass dieseBedeutung im Rahmen der Lernaktivität funk-tional ist und mit den Inter essen der Lern en -den übereinstimmt. So bringt zum Beispieleine Lernaktivität mit dem Computer, die mitbloßem „Kopieren und Einfügen“ ausgeführtwerden kann, weniger als eine Aufgabe, dieirgendeine Form der inhaltlichen, mentalenBearbeitung voraussetzt.

• „Sprachformorientierte Verar bei tung“Es gibt in der internationalenwissenschaftlichen Fach -literatur in letzter Zeit wie-der mehr Befürworterbewusster Regel -kenntnisse imFremd sprachen -unterricht.

Aus der vergleichenden Forschung hat sichergeben, dass Lernende, die nicht nur viel Inputverarbeiten, sondern sich daneben auch inirgendeiner Weise bewusst mit der Sprachformbefasst hatten, schneller vorankamen, letztend-lich ein höheres Niveau erreichten, komplizier-tere Sprachäußerungen produzieren konntenund dabei weniger Fehler machten. Wohl ge -merkt: Mehr Aufmerksamkeit für Grammatikhatte nur den erwähnten Effekt, wenn sie mitreichem Sprachangebot kombiniert wurde.Zweitens konnte festgestellt werden, dass unter-richtete Grammatikregeln von den betreffendenLernenden zwar gelernt, aber bei der Produk -tion in vielen Fällen so gut wie nicht benutztwurden. Eine mögliche Erklärung für diesesParadoxon liefert die Annahme, dass Lernendeihre eigenen Regeln aufstellen, die sie aus demInput ableiten. Die Fokussierung auf grammati-sche Formaspekte hilft ihnen dabei nur auf indi-rekte Weise. Durch die darauf gelenkte Aufmerk -samkeit werden sie sich ganz allgemein derExistenz solcher Aspekte bewusst. DieseBewusst heitsbildung bringt sie dann dazu, eigene Regeln zu formulieren. Die Wirksamkeitdieser Art von „Sprachbewusstheitsförderung“(awareness-raising) wird in der Fachliteraturziemlich breit unterstützt und meistens als„Form fokussierung“ bezeichnet (vgl. Schifko, 36).

Über die Lernwirksamkeit von Sprachlernaufgaben am Beispiel von „WebQuests“ 13

Produk-tive

Formelhafte Kreative

Rezep-tive

Kompensationstrategien

Sprachformorientierte Verarbeitung

Sprachäußerungen produzieren

Inhaltsorientierte Verarbeitung

Einem reichen Input ausgesetzt sein

Abb. 1: Ernährungspyramide für den Spracherwerb

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denen sie ihre Defizite kompensieren können.Es werden in diesem Zusammenhang produk-tive und rezeptive Kompensations strategienunterschieden. Rezeptive Strategien werdenauch oft als Lese- oder Hörstrategien be -zeich net. Beispiele sind u. a. das Erratenunbekannter Wörter oder die Aktivierungmöglichst vieler Vorkenntnisse. ProduktiveKompensationsstrategien werden auch oft alsKommunikationsstrategien bezeichnet. Siewerden u. a. benutzt, um zu verhüllen, dassman etwas nicht äußern kann, und um – trotzmangelnder Sprachmittel – doch verstandenzu werden.

Man kann diese fünf Ausgangspunkte als not-wendige Bestandteile eines vollständigenErwerbsangebots betrachten. Dabei wird keineSequenzierung vorgeschlagen, sondern angege-ben, welche „Zutaten“ Fremdsprachenunter -richt enthalten soll – ganz gleich in welcherForm und Reihenfolge – damit ein optimalesLernergebnis erwartet werden kann.

Das Allerwichtigste ist, dass alle „Nahrungsmittel“ enthalten sind.

So wie in der bekannten Ernährungspyramidenur wiedergegeben wird, welche Bestandteileeine gesunde, vollständige Mahlzeit enthaltensoll, sind auch beim Spracherwerb Form undReihenfolge der beschriebenen Bestandteilenicht so wichtig. Vielleicht ist es sogar vorteil-haft, jedes Mal etwas anderes zu wählen, damitdie Abwechslung zusätzlich „Appetit“ macht.Das Allerwichtigste ist, dass alle „Nahrungs-mittel“ enthalten sind.

Erkenntnisse aus der kognitivenPsychologie: die Multi-Merkmal-HypotheseDie nächste Frage ist, wie Kenntnisse in den fünfBereichen der Ernährungspyramide erworbenwerden. In der kognitiven Psychologie herrschtvorwiegend Einigkeit darüber, dass wir uns sol-che Kenntnisse nicht als abgerundete, geschlos-sene Gebilde (als fertige Bilder sozusagen) vor-stellen sollten; Kenntnisse existierten in unseremGehirn vielmehr in Form mehr oder wenigeroffener Strukturen von Eigenschaften. Ich versu-che das hier an einem Beispiel zu illustrieren:Das (mentale) Konzept „Rose“ kann sich ineinem Gehirn u. a. aus Merkmalen folgenderKategorien zusammensetzen:

Über die Lernwirksamkeit von Sprachlernaufgaben am Beispiel von „WebQuests“14

• „Sprachäußerungen produzieren (ForcierteSprachproduktion)“Es hat Vorteile, wenn man Lernende dazubringt, sich zu äußern. Dadurch entdecken sievon selbst die lexikalischen, grammatischenund syntaktischen Defizite, die sie daran hin-dern, genau das zu äußern, was sie möchten.In vielen Fällen haben Lernende bereits eineVorstellung von der Sprachform, sind sichaber nicht sicher, ob ihre Hypothese richtigist. Forcierte Sprachproduktion zwingt siedann dazu, ihre Hypothesen zu überprüfen,indem sie diese einfach ausprobieren.Schließlich gibt es Spracherscheinungen, dieeinem nicht auffallen, wenn man sie nur überden rezeptiven Weg erfährt, etwa weil man inder Muttersprache dafür keine Äquivalentehat. Ein Beispiel wäre der Unterschied zwi-schen „Sie“ und „du“ für Anglophone. Um sol-che Dinge zu lernen, braucht man sogenannte„negative Rückkopplung“ von Seiten einesGesprächspartners. Forcierte Sprach produk -tion in der Unterrichtssituation ermöglicht esden Lehrenden, eine solche Rückkopplung zuorganisieren. Wir unterscheiden zwei Typen von Sprach -produktion: Zum einen das Produzieren vonsogenannten „Sprachbausteinen“ (formelhaf-te Sprache) und zum anderen das regelgelei-tete Produzieren (konstruierte Sprache).Sprach bausteine sind unanalysierte Kombi na -tionen, die zwar aus mehreren Wörtern beste-hen, aber als eine einzige Einheit erfahrenund gelernt werden – so als handle es sich umein einzelnes Wort. Ein Beispiel dafür ist, dassman ohne jegliche Regelkenntnis korrekt„Guten Abend“ sagen kann, ohne dabei be -gründen zu können, warum es nicht etwa„Gute“, „Guter“ oder „Gutem“ heißt (vgl.Aguado, S. 53).Bei konstruierter Sprache geht man davonaus, dass die produzierte Sprachäußerung mitHilfe von Regelanwendung erzeugt wird.Beide Arten der Produktion tragen zumSprach erwerb bei, sie sollten also beide geübtwerden.

• „Strategisches Handeln“Die für das Erlernen einer Fremdsprache zurVerfügung stehende Zeit ist meistens relativbe schränkt, wir müssen davon ausgehen, dassimmer Kenntnisdefizite übrig bleiben werden.Des halb ist es nützlich, Lernende die An -wendung von Strategien üben zu lassen, mit

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Über die Lernwirksamkeit von Sprachlernaufgaben am Beispiel von „WebQuests“ 15

• Semantische Merkmale: „ist bunt“; „riechtgut“; „ist Teil einer Pflanze“

• Morphologische Merkmale: bekommt ein „-n“in der Mehrzahl

• Syntaktische Merkmale: kann als Subjekt undals Objekt in einem Satz verwendet werden,nicht als Verb oder Adverb; wird oft durcheinen Artikel markiert

• Kollokationsmerkmale: wird öfter mit denWörtern „pflücken“ und „rot“ kombiniert

• Pragmatische Merkmale: kann dienen, umsympathisch gefunden zu werden; kann beieinem Besuch mitgebracht werden

• Umgebungsmerkmale: steht oft in einemGarten oder in einer Vase

• Assoziative Merkmale: ist verbunden mitGefühlen wie „fröhlich“ oder „feierlich“ bzw.mit „erster Verliebtheit“

Jedes Merkmal kann zugleich auch Bestandteileines anderen Konzeptes sein – so kann dieEigenschaft „rot“ z.B. Teil der Konzeptstruktur„Rose“ sein, aber ebenso gut auch in die Kon-zeptstrukturen „Blut“ oder „Sonnenuntergang“einbezogen sein. Man könnte diesen Sachverhaltmit dem Funktionieren einer elektronischenInformationstafel vergleichen, wobei jedesLämpchen als Bestandteil verschiedener Buch-staben fungieren kann – je nach programmierterKombination mit anderen Lämpchen.

Kenntnisse sind also in Form von Netzwerken imGehirn gespeichert. Bei Abruf (wenn wir dieKenntnisse zu irgendetwas brauchen) werdendiese Netzwerke nie in ihrer Totalität aktiviert.Wir aktivieren nur das, was wir in der gegebenenSituation benötigen. Dabei kann das konzeptuel-le Netzwerk von jeder einzelnen Eigenschaft ausaktiviert werden. Reichtum und Vielfältigkeiteines Netzwerks sind also vorteilhaft: Je reicherund vielfältiger es ist, umso schneller – unddurch umso unterschiedlichere Reize in derAußenwelt – kann das Konzept aktiviert werden.

Wie entstehen solche Kombinationen von Ver-bindungen in unserem Gehirn? Etwas verein-facht gesagt registriert unser Gehirn, dass einegewisse Kombination bestand, mit welchenanderen Kombinationen sie verbunden war undhält fest, wie oft dies geschah. Diese Frequenzbestimmt die Gewichtung einer Verbindung unddie Schnelligkeit, mit der die darin repräsentierteEigenschaft abrufbar ist.

Eine Lern handlung ist umso intensiver bzw. tiefer, je mehr verschiedene Merkmale sie in die mentale Aktivität miteinbezieht.

Daraus kann abgeleitet werden, dass die nütz-lichsten Kenntnisse aus reichhaltigen und viel-fältigen Netzwerken von Merkmalen bestehen,aus Kombinationen, die ihrer Frequenz in An -wen dungssituationen so gut wie möglich ent-sprechen. Das heißt, dass wir Lernenden helfen,indem wir sie Lernaktivitäten ausführen lassen,in denen derartige Kombinationen eine substan-zielle Rolle spielen. Zusammengefasst kanndaher aus dieser Theorie in Bezug auf Lernaufga-ben die sogenannte „Multi-Merkmal-Hypothese“abgeleitet werden:

Aus dieser Hypothese lassen sich einige konkreteKriterien für Lernaufgaben ableiten, beziehungs-weise besser begründen. • Erstens sagt sie voraus, dass auch aus kogni-

tiv-psychologischer Sicht das Erwerben vonSprachkenntnissen effektiver ist, wenn dieLernhandlung inhaltsorientiert – d. h. ausge-führt in einem Zusammenhang – ist, wobeiBedeutungsvermittlung das primäre Ziel derÜbungshandlung ist. Durch die Berücksich -tigung möglichst vieler Bedeutungsaspektewerden viel mehr verschiedene Merkmale indie mentale Handlung miteinbezogen.

• Zweitens bietet sie die Möglichkeit, die Be -griffe „intensive Lernhandlung“ oder „Ver -arbeitungstiefe“ zu konkretisieren. Eine Lern -handlung ist umso intensiver bzw. tiefer, jemehr verschiedene Merkmale sie in die men-

Eine Lernhandlung wird zu besserem Behalten und schnellerem Aktivieren führen, wenn sie die Lernenden in der aufgerufenen Lernaktivität• viele Merkmale• aus vielen verschiedenen Kategorien• in frequenten, „üblichen“ Kombinationen• möglichst oft• zu gleicher Zeitmental bearbeiten lässt.

Die Multi-Merkmal-Hypothese

Abb. 2: „Teil einer Pflanze“ und „steht in einem Garten“: die Rose

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Über die Lernwirksamkeit von Sprachlernaufgaben am Beispiel von „WebQuests“16

tale Aktivität miteinbezieht. Im Allgemeinenkann man sagen, dass offene Aufgaben daseher tun als geschlossene. Lehrpersonen nei-gen manchmal dazu, geschlossene Aufgabenzu bevorzugen. Eine Aufgabe wie „Versuche mit Hilfe vonInternetquellen folgende Fragen zu beantwor-ten: An welchen Schweizerischen Universi tä -ten kann man Keltisch studieren? Wie langedauert so ein Studium? Was kostet es und woist die Mensa am preiswertesten?“ ist einfa-cher zu managen, zu beurteilen und zu beno-ten als „Mache deinen Mitschülern einen Vor -schlag für ein Studium in der Schweiz inÜber einstimmung mit ihren Zu kunftsplänen,verfügbarer Zeit, finanziellen Möglichkeitenund bevorzugten Charakter is tika einerStuden tenstadt“. Die zweite Vari ante verlangtausführlichere und stärker variierte Bearbei -tung des Inputs und wird also intensivereLernaktivität hervorrufen.

• Drittens sollte die Aufgabe dazu führen, dassdiejenigen Kombinationen, die in der Wirk -lich keit am frequentesten sind, in der Übungauch am häufigsten vorkommen. Um das zuverwirklichen, ist es möglich – aber relativmühsam – künstlich Aufgaben zu konstruie-ren, die diesem Kriterium genügen. Viel einfa-cher ist es, Lernaufgaben zu entwerfen, die sobeschaffen sind, dass für die Ausführung dieBenutzung von lebensechtem Sprachmaterialin einer lebensechten Anwendung notwendigist. Das wird automatisch dazu führen, dassviele Merkmale in üblichen und frequentenKombinationen zu gleicher Zeit im Arbeits ge -dächtnis anwesend sein werden.

• Viertens machen Aufgaben, die funktionalsind, die mentale Bearbeitung von Kombina -tionen semantischer und pragmatischerMerk male wahrscheinlicher (in dem Sinne,dass sie einem Ziel dienen oder zu irgendei-nem praktisch brauchbaren Ergebnis führen,wie z.B. einem Brief, einer Debatte, einemFaltblatt oder einer Ausstellung).

• Fünftens erleichtern Aufgaben, die in derErlebniswelt der Lernenden ausgeführt wer-den können, schon früher erworbeneKenntnisstrukturen zu aktivieren. Dadurchwird neues Wissen effizienter in bestehendesWissen eingeordnet und verankert.

• Schließlich führen Aufgaben, in denen das zulernende Sprachmaterial von verschiedenenSeiten – das heißt in vielfältiger Form undAnwendung – bearbeitet werden kann, zu

Lernergebnissen, die später auch von vielenunterschiedlichen Reizen in der Außenweltaktiviert werden können.

WebQuests undFremdsprachenerwerbAuf den ersten Blick scheint das „WebQuest“-Konzept für viele der oben erwähnten Entwick-lungen eine Lösung zu bieten. Es wurde von Ber-nie Dodge entwickelt als Format für komplexe,integrierte, mithilfe von Internetquellen auszu-führende Aufgaben. Ein WebQuest ist einelebensechte Aktivität, die in ein konkretes, funk-tionales Produkt mündet (Kunstwerk, Gutachten,Ausstellung, Broschüre, Zeitung, Plan, Veranstal-tung usw.). Die für die Produktion benötigtenInformationen können in Internetquellen gefun-den werden. Um dem Problem vorzubeugen,dass viel Zeit durch ineffizientes, ungezieltes„Herumsurfen“ verloren geht, werden so vieleQuellen vorgegeben, dass die Aufgaben ohneweiteres Suchen erledigt werden können. Um dieLernhandlung zu steuern, ist ein WebQuest nacheinem festen Muster strukturiert. Jeder Web-Quest besteht aus folgenden Bestandteilen:

Einführung Sie bietet eine Orientierung inner-halb der Aufgabe, indem Kontext und Anlasszum erwünschten Produkt angegeben werden:Situation, (fiktiver) Auftraggeber, (fiktiver)Abnehmer, Adressatengruppe, erhofftes Lerner-gebnis usw.

Auftrag Er beschreibt, was für ein Produkt gelie-fert werden soll und welchen Anforderungen esgenügen soll (die Spezifizierungen).

Abb. 3: Bildschirmfoto WebQuest „Kaffee und Kuchen“, Seite „Einleitung“

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Über die Lernwirksamkeit von Sprachlernaufgaben am Beispiel von „WebQuests“ 17

Quellen Die Internet-Adressen, die mindestensnotwendig sind, um die Aufgabe ausführen zukönnen.Verfahrenshinweise Sie beschreiben, welcheSchritte im Produktionsprozess berücksichtigtund geplant werden sollen.Beurteilung Sie beschreibt, nach welchen Krite-rien die Produkte beurteilt bzw. benotet werden.Rückblick Er liefert den Lernenden den Rahmenfür eine Reflexion darüber, was sie (a) gelernthaben; worauf sie (b) dies zurückführen; wie sie(c) sicherstellen, das Gelernte auch zu behalten;und was sie sich (d) vornehmen, in Zukunftanders zu machen.Lehrerseite Sie enthält allerlei praktische Infor-mation über Dinge wie: Adressatengruppe,benötigte Vorkenntnisse, erzielte Lernergebnisse,benötigte Rahmenbedingungen bei Vorbereitungund Ausführung, Probleme und Lösungen inBezug auf die Organisation, Erfahrungen beimGebrauch, Tipps usw.

Das Konzept wurde für die Anwendung in allen Schulfächern entwickelt.

Bei genauerem Hinsehen ergeben sich jedocheinige Fragen. Das Konzept wurde für dieAnwendung in allen Schulfächern entwickelt,was bedeutet, dass spezifische Anforderungendes Fremdsprachenlernens nicht berücksichtigtsind. Ob die Aufgabe etwa eine intensive Benut-zung der Fremdsprache voraussetzt, ist im Web-Quest-Konzept kein Kriterium. Wir haben des-halb einen ergänzenden Kriteriensatz entwickelt,mit dessen Hilfe die Lernwirksamkeit eines Web-Quests in Bezug auf Fremdsprachenkompetenz(also eines „SprachQuests“) gezielter beurteiltwerden kann. Dabei haben wir auf die obengeschilderten theoretischen Erkenntnisse Rück-sicht genommen.

Die Entwicklung des Beurteilungs -instruments: die „Messlatte“Aufgrund der Erkenntnisse aus der Spracher-werbstheorie einerseits und der kognitiven Psy-chologie andererseits haben wir ein Auswer-tungsinstrument in Form eines Fragebogenskonstruiert – die so genannte „Messlatte“. Fürdie Beurteilung von WebQuests hatte der Be -grün der Bernie Dodge schon einen Satz von glo-balen Kriterien formuliert, die sich vornehmlichauf das Vorhandensein und die Qualität der fürein WebQuest obligatorischen Bestandteile bezo-gen. Dabei handelt es sich um insgesamt siebenFragen des Kriteriensatz 1, wie z.B.:

Zusätzlich haben wir zwei Sätze von Kriterienformuliert, um die potenzielle Lernwirksamkeitin Bezug auf den Fremdsprachenerwerb spezifi-scher einschätzen zu können; so wird in Krite-riensatz 2 nach Vorhandensein und Qualität derhier besprochenen „Zutaten“ gefragt. Das führtezu insgesamt acht Fragen , wie z.B.:

Im Kriteriensatz 3 wird nach Charakteristika derAufgabe gefragt, die Handlungsintensität undVerarbeitungstiefe sowie Lebensechtheit, Funk-tionalität und Offenheit bestimmen. Dabei wirdversucht, diese ziemlich abstrakten Konzepte soweit wie möglich in konkreten Charakteristikaeiner Aufgabe zu operationalisieren. Das führtezu vier Fragen, wie z.B.:

Es war wichtig, dass es auch für Praktiker/-innenohne eingehende Kenntnisse der Spracherwerbs-theorie oder kognitiven Psychologie möglich seinsollte, mit diesem Instrument zu arbeiten. In denersten Fassungen erwies sich dies allerdings alsproblematisch. Wir hatten zu jedem Kriterium

Abb. 4: Bildschirmfoto WebQuest „Kaffee und Kuchen“, Seite „Prozess“

Stehen Informationsquellen zur Verfügung und inwieweit sind diese fürdie Durchführung der Aufgabe zweckmäßig?

Beispiel aus Kriteriensatz 1: Allgemeine WebQuest-Kriterien © Werkplaats Talen

Inwiefern regt die Aufgabe Lernende dazu an, auf Merkmale derSprachform (wie beispielsweise Wortstellung, Benutzung der Tempora,

Wort en dungen, Prä- und Suffixe, Pluralformen etc.) zu achten und sichihre mögliche Bedeutung bewusst zu machen?

Beispiel aus Kriteriensatz 2: Kriterien aufgrund der Fremdsprachenerwerbstheorie © Werkplaats Talen

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Richtet sich die Ausführung der Aufgabe vor allem nach Bedürfnissen und Interessen der Lehrkraft (benoten bzw. Lernstoff behandeln wollen)oder aber nach Bedürfnissen und Interessen der „imaginären Kunden“,

für die das Produkt bestimmt ist? (Grad der Realitätsnähe)Beispiel aus Kriteriensatz 3: Kriterien in Bezug auf Lernhand lungstiefe © Werkplaats Talen

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Über die Lernwirksamkeit von Sprachlernaufgaben am Beispiel von „WebQuests“18

Konkretisierung kann nach Bedarf bei jedemUrteil durch Mausklick abgerufen werden, wie inAbb. 5 zu sehen ist. Die entscheidenden Worte inder Umschreibung sind fett gedruckt. Die „Messlatte“ ist inzwischen so programmiert,dass, wenn alle Kriterien „benotet“ sind, auto-matisch per Beurteilungssatz eine Gesamtbewer-tung berechnet wird. Aufgrund dieser Ergebnissewird eine Gesamtbeurteilung für die ganze Auf-gabe berechnet und in Sternen ausgedrückt.

Von diesem ursprünglich niederländischenInstrument gibt es inzwischen auch eine engli-sche und eine deutsche Fassung. Wer sie auspro-bieren oder weitere Einzelheiten erfahren möch-te, findet sie unterhttp://webquest.kennisnet.nl/talenquest/talenquest_beoordelen (auf „Deutsche Version“klicken). In Ausbildungskontexten ergab sich,dass eine Benutzung einen guten Rahmen für dieTheorieanwendung bietet. Mit dem Instrumentkann man mehr als nur WebQuests beurteilen, eseignet sich auch allgemein für die Einschätzungder Lernwirksamkeit von komplexen, lebensech-ten und integrierten Sprachlernaufgaben. DieBeantwortung ganz spezifisch auf Computerver-wendung abzielender Fragen kann dann ohneProbleme weggelassen werden. Darüber hinausträgt der Gebrauch der „Messlatte“ nach Ein-schätzung der Benutzer ganz generell zu einerErweiterung ihrer Kompetenz im Beurteilen derLernwirksamkeit von Materialien, Aufgaben undLernaktivitäten bei. Schließlich bietet die „Mess-latte“ auch bei einem Neuentwurf von inhalts-orientierten, komplexen und integrierten Sprach-lernaufgaben einen Bezugsrahmen, der alsCheckliste beim Erstellen benutzt werden kann.

Literatur Mehr Literatur zu diesem Thema s. S. 60.

Anmerkungen1 Das englische Wort „quest“ bedeutet „Suche, Streben“.

WebQuest, lässt sich also am besten als „Netzsuche“ insDeutsche übersetzen.

mehr oder weniger offene Fragen formuliert.Beurteiler konnten bei jeder Frage auf einerSkala von 1–4 ihre Einschätzung ausdrucken. Inverschiedenen Sitzungen mit Benutzern ergabsich, dass die Skalierung zwischen Bewertung 1(„Ist kaum der Fall“) und Bewertung 4 („Trifft inhohem Maße zu“) zu vage und zu fließend warund näherer Konkretisierung bedurfte – undzwar so, dass die zugrunde liegende Theoriesozusagen in den Beurteilungsformulierungeneingebaut war. Auch die Verwendung von Fach-ausdrücken blieb ein Problem. Wir haben dieseProbleme zu lösen versucht, indem wir die end-gültige Formulierung in Interaktion mit denPraktiker/-innen, für die das Instrument gedachtwar, so ausgehandelt haben, dass wir uns letzt-endlich auf einen gemeinsamen Wortlaut einigenkonnten.Dabei ergab sich, dass die Umschreibungen ziem-lich explizit und konkret sein mussten, um für dieAdressatengruppe klar verständlich zu sein, unddass Kürze oft zu Unklarheiten führte. Die so ent-standene „Messlatte“ war folglich ziemlichumfangreich und umfasste mehrere Seiten, waswiederum die Übersicht und die Gebrauchs-freundlichkeit beeinträchtigte. Um dieses Pro-blem zu lösen, haben wir die „Messlatte“ digitali-siert. Dadurch konnten wir sie nicht nur über dasInternet zugänglich machen, sondern es wurdeauch möglich, eine Hypertextstruktur zu verwen-den. In der endgültigen Fassung sind nur die glo-bale Kriterienbeschreibung und die Benotungsal-ternativen an der Oberfläche sichtbar. Nähere

Inwiefern regt die Aufgabe Lernende dazu an, auf Merkmale der Sprachform (wie z.B.Wortstellung, Benutzung der Tempora, Wortendungen, Prä- und Suffixe, Pluralformenusw.) zu achten und sich ihre möglichen Bedeutung bewusst zu machen?

Qualitätssterne und ihre Bedeutung: * Eine sinnvolle Aufgabe, die alle Qualifikationen erfüllt.

** Eine überdurchschnittlich gute, interessante undinstruktiv effektive Aufgabe.

*** Eine ausgezeichnete Aufgabe mit vielen schönen, ori-ginellen Ideen. Wirklich ein Glanzstück.

12 Sprachformorientierte Verarbeitung

Abb. 5: Umschreibungen für Beurteilungsstufen zum Kriterium 12 (SprachformorientierteVerarbeitung)

1Die Aufgabe fördertdie Aufmerksam-keit der Lernendenin Bezug auf formaleAspekte innerhalbder zur Verfügunggestellten Materia-lien überhauptnicht.

2Die Aufgabe fördertzwar die Aufmerk-samkeit der Lernen-den im Hinblick aufformale Aspekte inden zur Verfügunggestellten Ressour-cen, jedoch nichtfunktional: Es han-delt sich dabei eherum eingeschobene,in dem Kontextnicht notwendigeGrammatikübungen

3Die Aufgabe erfor-dert Aufmerksam-keit in Bezug aufformale Aspekte derbetreffenden Spra-che, und obwohldies auch in gewis-ser Weise mit deninhaltlichen Aspek-ten der Aufgabe inZusammenhangsteht, liegt der pri-märe Fokus aufdem grammatikali-schen / syntakti-schen Phänomen.

4Die Aufgabe erfor-dert Aufmerksam-keit in Bezug aufdie formalenAspekte der betref-fenden Sprache.Dabei liegt derFokus primär aufder Bedeutungund dem Inhalt.Lernende werdenjedoch dazu ange-regt, zur Kenntnis zu nehmen, welcheRolle gewisse Form-aspekte dabei spie-len können.

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Studium vs. PraxisNehmen Sie sich eine Minute Zeit, um folgendedrei Fragen zu beantworten:• Welche Fremdsprachenlehrmethode entwickel-

te sich aus der Notwendigkeit (durch politischeund wirtschaftliche Expansionen), auch Sprech -fertigkeit in der Fremdsprache zu erlangen?

• Welcher lerntheoretische Hintergrund steckthinter der audiolingualen Methode, und wie

sehen Lehrwerke aus, die nach diesem Prinzipentwickelt wurden?

• Welche Fremdsprachenlehrmethode ist heuteim Trend?

Wer kennt noch die Antworten darauf, ohnenachzuschlagen?1 Im DaF-Studium setzt mansich mit den verschiedenen Theorien des Sprach-erwerbs und des Fremdsprachenlernens sowiemit den z.T. daraus entwickelten Methoden aus-

Im Studium befasst man sich mit den Fremdsprachenerwerbshypothesen, bis zur Lehrpraxis hat mandieses Wissen aber meist zugunsten dringender Fragen der Unterrichtsgestaltung verdrängt. Gibt esüberhaupt einen Bezug zwischen den gelernten Hypothesen und der tagtäglichen Unterrichtspraxis?Inwiefern wird Theorie in Deutsch-Lehrwerken widergespiegelt?Der folgende Beitrag bespricht, welchen Einfluss gängige Modelle des Fremdsprachenlernens undinsbesondere der Tertiärsprachendidaktik (beim Lernen einer zweiten oder weiteren Fremdsprache) aufdie Gestaltung von Unterrichtsmaterialien ausüben. Es wird gezeigt, dass Deutsch-Lehrkräfte davonprofitieren können, sich ab und zu mit Lernmodellen auseinanderzusetzen, um den Aufbau der eigenenLehrwerke sowie deren Sprachlernprinzipien besser zu verstehen und somit anwenden zu können.

Von Nicole Marx

© Langenscheidt 2002, Hueber 2004, Lettera 2000

Wozu die Modelle?Sprachlernmodelle in neueren Deutsch-Lehrwerken am Beispiel der Tertiärsprachendidaktik

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Fremdsprache Deutsch Heft 38/2008 – Sprechen lernen – Theorien und Modelle, ISBN 978-3-19-709183-9, © Hueber Verlag 2008

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einander und schreibt womöglich eine Hausar-beit darüber. Nach einem Jahr Lehrpraxis wirddieses Wissen aber häufig aufgrund dringendererAlltagsprobleme verdrängt. Es lohnt aber meinesErachtens immer, die Prozesse und Methoden zureflektieren, die einem Lehrwek zugrunde liegen.Das kann dank der Selbstreflexion nicht nur zueiner verbesserten Lehre, sondern sogar zuErneuerungen und Verbesserungen der gängigenDeutsch-Lehrwerke führen.

Mehrsprachige LernmodelleZeitgleich zur gängigen Zweit- und Fremdspra-chen-Lernforschung liefen schon in den 60er-und 70er-Jahren Forschungsprojekte, die sichnicht auf das Lernen einer zweiten Sprache (L2),sondern auf das einer dritten (L3) konzentrier-ten. Interessant war vor allem, dass im schuli-schen Rahmen immer häufiger mehr als nur eineFremdsprache gelernt werden sollte und derLernprozess in gewissen Punkten anderenRegeln zu folgen schien als der Lernprozess beider ersten Fremdsprache.

Es wurde immer offensichtlicher, dass das Lernen einer weiteren Fremdsprache gewisseQualitäten hat, die durch gängige Erwerbs -

modelle nicht erklärt werden konnten

Eine typische Situation: In den 70er-Jahren führ-te eine Forscherin eine gewöhnliche Fehlerana-lyse zu geschriebenen Texten im Deutschunter-richt von in Schweden lebenden finnischenSchülern durch. Entgegen ihren Erwartungenschien eine erhebliche Anzahl von Fehlern in derProduktion des Deutschen weder der Lerner-sprache noch der Muttersprache (dem Finni-schen) zu entstammen. Auch durch normale,erwerbsbedingte Prozesse konnten die Fehlernicht erklärt werden. Interessanterweise schie-nen sie aber mit richtigen Elementen in der ers-ten Fremdsprache der Lernenden, dem Schwedi-schen, übereinzustimmen. So musste einge-räumt werden, dass einiges in der Lernerproduk-tion direkt aus dem Schwedischen entnommenworden war, obwohl diese Sprache weder Mut-ter- noch Zielsprache darstellte (Stedje 1976).

Auf solche Studien folgten weitere, die dieSituation des L3-Lernens unter die Lupe nah-men. Es wurde immer offensichtlicher, dass dasLernen einer weiteren Fremdsprache gewisseQualitäten hat, die durch gängige Erwerbsmo-delle nicht erklärt werden konnten – davon ist

der Transfer aus einer vorher gelernten Fremd-sprache nur eine (s. u.).

Einen weiteren Ansporn erhielt die Tertiär-sprachenforschung durch die Konzepte der„Internationalisierung“ und „Europäisierung“,die u.a. mehr Fremdsprachen in den Schulenund am Arbeitsplatz fordern. Seit 1996 gibt esauch von der Europäischen Union deutlicheRichtlinien, nach denen alle europäischen Schü-ler und Schülerinnen mindestens zwei Fremd-sprachen lernen sollten (Weißbuch der Europäi-schen Kommission 1996). Wie das passiert, ver-sucht die Tertiärsprachenforschung zu erklären.Wie das umgesetzt wird, versucht die Tertiär-sprachendidaktik zu erläutern.

Zunächst aber zur Frage, warum an neuenErklärungsmodellen – z.B. zum Tertiärsprachen-lernen – überhaupt Bedarf besteht. Letztendlichbestehen schon ausreichend viele Theorien zuden L2-Erwerbs- bzw. Lernprozessen. Ein Terti-ärsprachenlernmodell versucht der Aufgabegerecht zu werden, nicht nur den Erwerb einerersten oder einer zweiten Fremdsprache zuerklären, sondern auch den der Mutterspracheoder einer fünften Fremdsprache. Insofern kannhier von einem übergreifenden Sprachener-werbs-/-lernmodell gesprochen werden. Für unsvon besonderem Interesse ist, wie sich Lernendesowohl die erste als auch die zweite – und weite-re! – Fremdsprachen aneignen.

Es wird somit gefragt, inwiefern L3-Lernende(d.h. Lernende mit einer Muttersprache L1, undeiner ersten Fremdsprache L2) sich neue Fremd-sprachen anders aneignen als Lernende, die eineL2 lernen. Wie wir bereits oben gesehen haben,ist der (nicht nur negative) Transfer aus einer L2ein Faktor, der das Lernen einer L3 andersmacht. Weitere Unterschiede werden durch dasFaktorenmodell von Britta Hufeisen dargestellt(z.B. in Hufeisen/Marx 2005). Dieses Modellbesagt, dass im Laufe des Erlernens jeder neuenSprache immer neue Faktoren den Lernprozessbeeinflussen, sodass das Lernen einer L3 sichnicht nur quantitativ, sondern auch qualitativvon dem einer L2 unterscheidet. So sind die Ler-nenden im Laufe des L2-Lernens erfahrenergeworden und kennen schon erprobte Fremd-sprachenlernstrategien, d.h. auch kognitive Fak-toren sind weiter entwickelt. Lernende wissenz.B., wie sie mit einer neuen Fremdsprachezurechtkommen, wenn sie ihren jeweiligen Ler-nertyp kennen und dadurch die entsprechendenStrategien des Sprachenlernens auswählen kön-nen. Sie kennen verschiedene Möglichkeiten,

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auch außerhalb des Klassenraums zu lernen (imInternet suchen / surfen, Musik hören, einenOnline-Tandempartner finden, Chaträume auf-suchen, Rechtschreibkorrekturprogramme an-wenden …); sie wissen auch, wie sie am bestenlernen können – z.B. durch Hören oder Sprechen,durch Aufschreiben neuer Regeln oder Vokabeln,durch Musik und Rhythmusspiele.

Hierbei spielen emotionale Faktoren einenicht zu unterschätzende Rolle und werden vonder vorangegangenen Erfahrung mit dem Fremd -sprachenlernen beeinflusst: Lernende sind meistweniger gewillt, eine neue Fremdsprache zu ler-nen, wenn ihnen das Lernen der L2 nicht gefallenhat. Lernende, die im L2-Unterricht schlechteErfahrungen gemacht haben, werden ihre Motiva-tion zum Fremdsprachenlernen verlieren – undsomit weiterhin schlechte Erfahrungen beimzukünftigen Fremdsprachenlernen machen.

Nach dem Faktorenmodell ist schließlichauch anzunehmen, dass Erfahrung mit demmehrsprachigen Denken (Parallelen zwischenden bekannten Sprachen ausfindig machen undreflektieren) zu einem erleichterten Lernen derL3 beitragen kann – insbesondere dann, wenn L1und/oder L2 und/oder L3 eine Verwandtschaftaufweisen. Mit all diesen neuen Faktoren arbei-tet die Tertiärsprachendidaktik.

Die Entwicklung derTertiärsprachendidaktikDie Tertiärsprachendidaktik geht davon aus,dass die didaktische Gestaltung des L3-Unter-richts darauf Rücksicht nehmen muss, dass Ler-nende einer L3 anderen Lernbedingungen unter-liegen als Lernende einer L2. Für den Deutsch-Unterricht bedeutet dies, dass vorher gelernteFremdsprachen sowie die Muttersprache auchbeim Deutschlernen eine Hilfe sein können. Imheutigen Kontext mündet dies häufig (obwohlnicht immer) in den „DaFnE“-Unterricht(Deutsch als Fremdsprache nach Englisch).

Obwohl es anfangs so aussah, ist die Tertiär-sprachendidaktik nicht einfach eine Erweiterungder kontrastiven Didaktik, da es nicht um einenreinen Vergleich zwischen L1/L2 und L3 geht,oder um Gemeinsamkeiten und Unterschiede,die im Unterricht herausgestellt und erarbeitetwerden. Vielmehr sollte der gesamte Kenntnis-stand (also auch – aber nicht ausschließlich – derder L2) von Fremdsprachenlernenden eingesetztwerden können, wenn es um das Sich-Aneigneneiner neuen Fremdsprache geht.

Dabei sieht sich die Tertiärsprachendidaktik nichtals Ersatz für weitere didaktische Modelle, wie z.B.die kommunikative Didaktik, sondern als Ergän-zung dazu – was man auch merkt, wenn manneuere Deutsch-Lehrwerke untersucht, die imRahmen der Tertiärsprachendidaktik entwickeltwurden (s. u.). Wie in weiteren Bereichen derDidaktik wird nicht mehr ausschließlich ein theo-retischer Lernhintergrund und eine Lehrmethodebevorzugt, sondern es wird – je nach Lernergrup-pe, Lernzielen und Präferenzen der/des Lehren-den – ausgewählt, wie in der jeweiligen Situationunterrichtet wird. Das bezieht die Tertiärspra-chendidaktik in ihre Lehrprinzipien mit ein.

Deutsch-Lehrwerke sollten frühere (Fremd -sprachen-)Lernerfahrungen mitberücksichtigenund sich bereits bestehende sprachliche undprozedurale Kenntnisse aus dem früherenFremdsprachenunterricht zunutze machen

Was heißt das aber konkret für den Sprachunter-richt und für Lehrwerke, die im Rahmen der Ter-tiärsprachendidaktik entwickelt werden?Deutsch-Lehrwerke sollten frühere (Fremdspra-chen-)Lernerfahrungen mitberücksichtigen undsich bereits bestehende sprachliche und proze-durale Kenntnisse aus dem früheren Fremdspra-chenunterricht (z.B. aus dem Englischunterricht)zunutze machen (zum prozeduralen Wissen vgl.Boeckmann, S. 5 ff). Nicht nur leicht erschließbarerinternationaler oder englischer Wortschatz (wie„Hotel“, „Sport“ oder „Biologie“) könnte imDeutschunterricht hilfreich sein, sondern auchbereits bekannte Strukturen (z.B. der Aufbau derNominalgruppe), morphologische Gemeinsam-keiten (die Adjektivsteigerung lässt sich auf ähn-liche Weise in beiden Sprachen bilden) oder kul-turelle Erfahrungen (wie unterschiedliche Kultu-ren ihre spezifischen Prägungen aufweisen) las-sen sich mit einbeziehen und können den Weg indie zweite Fremdsprache bahnen sowie das Ler-nen des Deutschen erleichtern und beschleuni-gen.

Zudem fordert die Tertiärsprachendidaktikdazu auf, den Bereich der Lernstrategien ver-stärkt einzusetzen und zu besprechen. Somit ler-nen Schüler, sich schneller und effektiver ineiner neuen Sprache zu orientieren und ihresprachlichen Bedürfnisse zu decken (ausführli-chere Informationen hierzu geben Bimmel /Rampillon 2000).

Auf diesen zwei Säulen – schon vorhandenesWissen aus anderen Sprachen und aus schuli-

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schen und außerschulischen Erfahrungen sowieWissen über das Lernen von Sprachen – stütztsich die Tertiärsprachendidaktik. Ende der 90er-Jahre wurden die Forderungen, die sich nochparallel zu den Modellen entwickelten, in erstenVersuchen in schulischen Deutsch-Lehrwerkenumgesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass diese theore-tischen Erkenntnisse mehr Eingang in die Praxisfinden als es bisher der Fall war. Dies werden wirjetzt untersuchen.

Des Kaisers neue Kleider? – Die ersteGeneration der „DaFnE“-Lehrwerke Im Folgenden möchte ich darauf eingehen, wiesich L3-Erwerbsmodelle und die Tertiärspra-chendidaktik in den neueren Lehrwerken nieder-schlagen. Dabei unterziehe ich die Lehrwerkekeiner Lehrwerkanalyse, sondern betrachte sieexemplarisch anhand des Faktorenmodells undder Empfehlungen für den L3-Unterricht. Zu die-sem Zweck sind drei Lehrwerke in Betracht zuziehen, die eng nach der Tertiärsprachendidaktikentwickelt wurden, sowie zwei neuere Lehrwerkevon deutschen Schulbuchverlagen, die aber nicht explizit in Hinblick auf die Tertiärsprachen-didaktik erstellt wurden.

Die erste Generation der Deutsch nach Eng-lisch (DaFnE)-Schullehrwerke erschien im Jahr2000. Es handelte sich dabei um regionale, d.h.für bestimmte Länder entwickelte Lehrwerke.Diese versuchten, die Forderungen der Tertiär-sprachendidaktik umzusetzen, wie sie zu dieserZeit propagiert wurden, und nahmen die Tertiär-sprachendidaktik vor allem als eine Weiterent-wicklung der kontrastiven Didaktik wahr. Diesentstammte der Auffassung des L3-Lernens alsProzess, der auf die Kenntnisse der L2 aufbauteund sich die L2-Kenntnisse zunutze machensollte. Somit ist aber in vielerlei Hinsicht einRückschritt zu vermerken, indem wichtige Prin-zipien der kommunikativen Didaktik zugunstender kontrastiven Didaktik vernachlässigt wurden.Man erinnert sich an die Grammatik-Überset-zungs-Methode, hier aber mit Übersetzungs-übungen in die L2 anstatt in die L1.

In Anlehnung an die Tertiärsprachendidaktikrücken die ersten „DaFnE“-Lehrwerke für Anfän-ger Kenntnisse des Englischen in den Vorder-grund. Fokussiert wird in den ersten Bänden vorallem der Wortschatz, der sich leicht aus demEnglischen (teilweise auch aus der Mutterspra-che) ableiten lässt, sowie Unterschiede in derAussprache, der Schreibung oder der Flexiondieser Wörter. Typischerweise wird über eine

Einheit zum Thema „Internationalismen“ oder„Anglizismen“ eingestiegen, wobei teilweisekurze Texte oder vereinzelte Wörter wiederer-kannt werden sollen. Dabei sind Überschriften,Schlagzeilen, Werbung und Steckbriefe beliebteTextsorten. Ein Beispiel hierfür findet sich imbulgarischen Lehrwerk Deutsch ist IN (Dikova u.a. 2000, 11, vgl. Abb. 1). Hier sollen Lernendedafür sensibilisiert werden, dass es viele Ge -mein samkeiten zwischen Englisch und Deutschgibt, die sie ausnutzen können, um sich deutsch-sprachige Texte zu erschließen. Dabei wird aberdie Muttersprache fast außer Acht gelassen,sodass es zu einer Reflexion der L2 in Bezug aufdie L3 kommt, diese aber nicht auf die L1 erwei-tert wird. Somit kann noch nicht von einer Mehr-sprachigkeitsdidaktik, die alle Sprachenkennt-nisse einbezieht, gesprochen werden. Insgesamtwerden Kenntnisse weiterer Sprachen – ob Mut-

Abb. 1: Aus Deutsch ist IN, (Dikova u.a. 2000, 11).

ter- oder sonstiger Fremdsprachen – in die Lehr-werke nicht einbezogen, was notwendigerweisezu einer Überbetonung des Englischen führt.

Diese Tendenz wird weiterhin offensichtlich;die Prinzipien der Tertiärsprachendidaktik wer-den vor allem in Bezug auf Wortschatz und Text-arbeit einbezogen. Nur punktuell wird auf struk-turelle Ähnlichkeiten und Unterschiede zwi-schen den schon beherrschten Sprachen einge-

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gangen, wie z.B. in der MaterialiensammlungDeutsch nach Englisch: good + gut = ottimo ausItalien (Berger, Curci & Gasparro 2003). DiesesModul arbeitet sehr sprachkontrastiv, sowohl mitEnglisch als auch mit der Muttersprache Italie-nisch, und bezieht auch Einheiten zu Lautent-sprechungen sowie Satzstrukturen in den beidenFremdsprachen mit ein. Es wird hierbei häufigmit Übersetzungen in die L2 gearbeitet, wobeiaber auch ein erster Versuch gemacht wird, zueiner sprachlichen Reflexion hinzuführen.

Die Prinzipien „zuerst Rezeption, dann Pro-duktion“ sowie „Textorientierung“ (vgl. Neuner2001) werden relativ streng eingehalten. Bereitslängere (Lese-)Texte werden früh präsentiert,diese werden aber durch einen schon bekanntenWortschatz aus der L2 erleichtert. Somit habenSchüler einen lexikalischen Halt und könnensich auf weitere Aspekte des Textes konzentrie-ren. Hierzu ein Beispiel aus dem polnischenLehr werk DACHfenster (Reymont u. a. 2001, 37,vgl. Abb. 2). Teilweise sind die vermeintlichauthentischen Texte sehr forciert, sodass der Ein-bezug des Englischen gezwungen wirkt. Die Dia-loge und Dialogübungen erinnern an die audio-linguale Methode – sie wirken künstlich undwenig sprachrealistisch. Sowohl authentische alsauch synthetische Texte haben ihren Platz imUnterricht. Aus Sicht der kommunikativen Di -dak tik ist die Präsentation authentischer, zumin-dest aber realistischer Sprache vonnöten, umLernende auf Kommunikation im Zielland vor-zubereiten.

Nach der Rezeption sollte die Möglichkeit zum(kreativen) Umgang mit der Sprache in Form vonProduktion erfolgen, die in allen drei besproche-nen Lehrwerken vergleichsweise selten vor-kommt: Übungen sind häufig solche, die eineVerwendung der Sprache im Kontext nicht erfor-derlich machen, z.B. Zuordnungs-, Lücken-,Ergänzungs- und Nachsprechübungen. SolcheÜbungen eignen sich zwar hervorragend zumKontrastieren von Sprachen und zur Vermeidungvon Fehlern (auch Interferenzfehlern), werdenaber auch für Anfänger schnell eintönig.

In dieser Lehrwerkgeneration ist eine Reflexi-on über Sprache an sich noch nicht zentral fürdas Fremdsprachenlernen. Auch die Bewusstma-chung von Fremdsprachenlernstrategien wirdselten angestrebt. Nur im italienischen Deutschnach Englisch: good + gut = ottimo wird daraufverwiesen, dass die Besprechung und Erarbei-tung von Lernstrategien im Fremdsprachenun-terricht notwendig sind.

Strategien werden für das Fremdsprachenler-nen inzwischen für essenziell gehalten: Nebender Entwicklung einer interkulturellen Kompe-tenz und einer kommunikativen Kompetenz istlernstrategische Kompetenz nach Neuner (2001,23ff u.a.) eines der drei wichtigsten Ziele der Ter-tiärsprachendidaktik.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dassmit dieser ersten Generation von „DaFnE“-Lehr-werken ein großer Schritt Richtung Tertiärspra-chendidaktik gemacht wurde, dass aber in vielerHinsicht diese eher als kontrastive Didaktik ver-standen wird. Dieses Verständnis der Tertiärspra-chendidaktik mündet in einen betonten Einbezugdes Englischen als L2, führt aber nicht weiter zueiner Sprach(en)reflexion seitens der Lernenden.

Gegenwärtige Tendenzen in derUmsetzung der Tertiärsprachendidaktikin LehrwerkenDie Autoren regionaler Lehrwerke haben alserste die Notwendigkeit erkannt, Konzepte derTertiärsprachendidaktik in ihren Materialienumzusetzen. Dies liegt zum Teil am Engagementeinzelner Forschender in den verschiedenenLändern, zum Teil aber auch an der homogenenZielgruppenzusammensetzung. Deutschanfän-ger hatten fast allesamt schon Englischunterrichthinter sich und wiesen eine gemeinsame L1 auf.Schließlich war ein strikt monolinguales Unter-richtsvorgehen, wie es in den deutschsprachigenLändern zu finden war, durch den schon akzep-tierten Einsatz der L1 im Fremdsprachenunter-

Abb. 2: Aus DACHfenster © Wydawnictwo Szkolne PWN Sp. z o.o. 2001

(Reymont u.a. 2001, 37).

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richt selten zu finden. Dies erleichterte denZugang zur Tertiärsprachendidaktik und ihrensprachkontrastiven Empfehlungen.Bald nach dem Erscheinen der ersten regionalenDaFnE-Lehrwerke fingen auch internationaleDeutschlehrwerke an, ein Mehrsprachigkeits-konzept einzubeziehen. Eine Untersuchung die-ser Lehrwerke zeigt einen Bruch mit den vorher-gehenden „DaFnE“-Materialien, obgleich gewis-se Ähnlichkeiten bestehen bleiben. So ist z.B. derEinstieg in diesen Lehrwerken von denen derersten Generation nicht zu unterscheiden; allefangen mit Texten an, die internationale Begriffeund Anglizismen enthalten (was aber nur einerster Schritt in Richtung Tertiärsprachendidak-tik bedeutet).

Vor allem geni@l A1 (Funk u.a. 2002) hebt sich hier als überregionales, auf einem Mehr-sprachigkeitskonzept basierendes Lehrwerk ab.Schon früh finden sich Texte mit vielen schonbekannten Wörtern (z.B. sensationell, Athlet,Medaille), Strukturen oder Phänomenen, die indas Leseverstehen einführen und somit einenZugang zur deutschen Sprache gewährleistensollen. So sind z.B. schon im ersten Kapitel län-gere Texte zu finden, die die Anwendung inter-lingualer Strategien sowie die Auswahl notwen-diger Lesestrategien fördern.

Interessanterweise bleibt dieses Lehrwerkden Prinzipien der kommunikativen Didaktik

viel treuer als die vorhin erwähnten „DaFnE“-Lehrwerke. So werden sowohl mehrsprachigeStrategien als auch weitere wichtige Lernstrate-gien eingeübt. Wenn das Lehrwerk bewusst spra-chenübergreifend arbeitet (vgl. Abb. 3), geschiehtdies überlegt und an sinnvoller Stelle.

Das Aneignen von Strategien – ob mehrspra-chige, kommunikative, Erschließungs- oderLernstrategien – nimmt einen wichtigen Platz indiesen Lehrwerken ein. Somit kommt dem „Ler-nen lernen“ neben der Grammatik und der Kom-munikation eine wichtige Rolle zu. Bei geni@l A1werden diese als „Lerntipps“ bezeichnet, bei Planet A1 (Kopp/Büttner 2004) heißen sie ein-fach „Tipps“. Was allerdings in allen Lehrwerkenfehlt, ist eine eingebaute Probierphase: Schülerbekommen Tipps, jedoch nicht die Aufforde-rung, diese auszuprobieren. Somit bleibt es demLehrenden überlassen, Übungen zu Lernstrate-gien einzusetzen bzw. zu entwerfen – und dieserwichtige Bereich der Lernstrategien könntedabei leicht übersehen werden.

Planet A1 berücksichtigt ebenso, wenn auchim geringerem Maße, weitere Anforderungen aneine Mehrsprachigkeitsdidaktik, indem Schülernbewusst gemacht wird, welche Vorteile sie als L3-Lernende in den Deutschunterricht mitbringen.Allerdings wird weit weniger sprachenkontrastivgearbeitet und möglicherweise bestehendes Wis-sen aus dem Englischen eher selten angespro-

Abb. 3: Aus geni@l Arbeitsbuch (Funk u.a. 2002, 28) Abb. 4: Aus Planet A1 (Kopp / Büttner 2004, 29) © Hueber 2004

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chen – z.B. beim Dialogtext zum Thema „Papa,ich und Rockmusik“ auf Seite 29 (vgl. Abb. 4).

Auch bei den neuesten Lehrwerken werdenaber die Tertiärsprachendidaktik bzw. ein Mehr-sprachigkeitskonzept selten umgesetzt. So findetman andere Sprachen nicht explizit angespro-chen, und interlinguale Erschließungsstrategienwerden nicht thematisiert. Die zwei hier erwähn-ten überregionalen Lehrwerke sind Ausnahmenin ihrem Einbezug des sprachlichen Wissens ausanderen Bereichen; bei dem Großteil der neue-ren Lehrwerke ist das Konzept kaum oder nochgar nicht zu erkennen.

Zusammenfassung1. Die früher übliche Konzentration auf einModell bei der Entstehung neuer Methoden ist heute einem Methodeneklektizismus gewi-chen. Selten werden Lehrmaterialien mit nureinem bestimmten methodischen Hintergrundentworfen.

2. Die Einführung der neuen Tertiärsprachen-lernhypothesen hat zu einer anfänglichen Fokus-sierung auf eine kontrastive Fremdsprachen-didaktik geführt, worin vor allem interlingualeLern- und Erschließungsstrategien (prinzipiellbezogen auf L2-L3) herangezogen wurden.

3. Spätere Lehrwerke, denen ein Mehrsprachig-keitskonzept zugrunde liegt, sehen die L2 alseine Hilfestellung oder Brücke zur zu lernendenFremdsprache, jedoch ist beim Lernen einerZielsprache das gesamte früher erworbenesprachliche und interkulturelle Wissen vorteil-haft. Diese Lehrwerke sehen daher Lern- undErschließungsstrategien, die auf Korresponden-zen und Unterschieden zwischen der L2 und derL3 basieren, als eine unter vielen Möglichkeiten,den Weg zur neuen Sprache zu bahnen.

Wir kommen damit zurück zur Eingangsfrage:Gibt es noch einen Bezug zwischen den Lernhy-pothesen und der tagtäglichen Unterrichtspra-xis? Die Antwort ist: „Jein“. Denn obwohl dieLernhypothesen eine Basis für Lehrmethodenund Lehrwerkentwicklung bilden, ist nichtimmer klar, auf welchem Hintergrund Übungenbasieren. Ein Basiswissen über Lerntheorien hilftdann, zu entscheiden, welche Aufgaben wie undfür welche Gruppen einzusetzen sind und wasdie Funktion eines spezifischen Textes oder einerbestimmten Übung ist. Gerade deswegen ist esaber wichtig, dass man sich ab und zu mit neue-ren Lerntheorien und Lehrmethoden auseinan-dersetzt: Nur so können Lehrende und Lernendevon neueren Erkenntnissen und Ansätzen imFremdsprachenunterricht profitieren.

LiteraturBerger, Maria Cristina / Curci, Anna Maria / Gasparro,

Antonia: Deutsch nach Englisch: good + gut = ottimo.Ein Modul für die ersten 30 Unterrichtsstunden.Deutsch als 2. Fremdsprache an italienischen Schulen.Rom: Goethe Institut Inter Nationes 2003

Bimmel, Peter / Rampillon, Ute: Lernerautonomie undLernstrategien. Fernstudieneinheit 23. Ber-lin/München u.a.: Langenscheidt / Goethe-InstitutMünchen 2000

Dikova, Ventzislava / Mavrodieva, Lyubov / Kudlinska-Stankulowa, Krystyna: Deutsch ist IN. Das Lehrwerk fürDeutsch als 2. Fremdsprache. Plovdiv: Lettera 2000

Europäische Kommission: Weißbuch zur allgemeinen undberuflichen Bildung. Lehren und lernen – Auf dem Wegzur kognitiven Gesellschaft. Luxemburg: Amt für amtli-che Veröffentlichungen der Europäischen Gemein-schaften 1996

Funk, Hermann / Koenig, Michael / Koithan, Ute / Scher-ling, Theo: geni@l. Deutsch als Fremdsprache fürJugendliche. Berlin / München: Langenscheidt 2006

Hufeisen, Britta / Marx, Nicole: Auf dem Wege von einerallgemeinen Mehrsprachigkeitsdidaktik zu einer spezi-fischen „DaFnE“-Didaktik. In: Fremdsprachen lehrenund lernen (FLuL) 34/2005, 146-155

Kopp, Gabriele / Büttner, Siegfried: Planet A1 Kursbuch 1.Ismaning: Hueber 2004

Neuner, Gerhard / Hunfeld, Hans: Methoden des fremd-sprachlichen Unterrichts. Fernstudieneinheit 4. Ber-lin/München u.a.: Langenscheidt. / Goethe-InstitutMünchen 1993

Neuner, Gerhard: Didaktisch-methodische Konzeption.Teil I: 2. In: Neuner, Gerhard und Britta Hufeisen u. a.:Tertiärsprachen lehren und lernen. Beispiel: Deutschnach Englisch. Vorläufige Arbeitsmaterialien. Mün-chen: ECML und Goethe Institut Inter Nationes 2001

Neuner, Gerhard / Hufeisen, Britta / Kursisa, Anta / Marx,Nicole / Koithan, Ute / Erlenwein, Sabine: Deutsch imKontext anderer Sprachen. Tertiärsprachendidaktik:Deutsch nach Englisch. Fernstudieneinheit 26. Lan-genscheidt. / Goethe-Institut München (im Druck)

Reymont, Elz.bieta / Sibiga, Agnieszka / Jezierska-Wiejak,

Małgorzata: DACHfenster. Warsaw: WydawnictwoSzkolne 2001

Stedje, Astrid: Interferenz von Muttersprache und Zweit-sprache auf eine dritte Sprache beim freien Sprechen –ein Vergleich. In: Zielsprache Deutsch 1 / 1976, 15-21

Anmerkungen1 (1) Die direkte Methode; (2) Der Behaviorismus; (3) DieFrage ist eigentlich eine Falle; lesen Sie weiter, um heraus-zufinden, warum.Ausführliche Informationen zu den Fremdsprachenlehr-methoden finden Sie u. a. in der Fernstudieneinheit„Methoden des fremdsprachlichen Unterrichts“ von Ger-hard Neuner und Hans Hunfeld 1993.

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Mithilfe des Referenzrahmens ist es dem Euro -pa rat gelungen, den Fremd sprachen unter richtwieder zum bildungs- und sprachenpolitischenThema zu machen, indem er zu einer Über -arbeitung und Modernisierung von Lehr plänen,Lehr- und Lern materialien und Prüfungen auf-fordert.

Nachdem es der Fachdiskussion in den letztenJahren nur in wenigen Fällen gelungen ist, diePraxis des Sprachenlehrens und -lernens nach -haltig zu verändern und auch die Bil dungs poli -tik zum Handeln zu bewegen, könnte es mithilfedes Referenzrahmens gelingen, zentrale Aspekteeines modernen Fremd sprachen unterrichts, diez.B. mit Begriffen wie „Mehrsprachigkeit“, „in ter-kulturelles Lernen“ oder „handlungsorientierterSprachen unterricht“ verbunden sind, in stärke-rem Maße praxiswirksam werden zu lassen.

Fremdsprachendidaktik, Curriculument wicklungund insbesondere die Entwicklung von Lehrma -terial und Prüfungen wurden und werden durchden Referenzrahmen wirksam beeinflusst.Der Referenzrahmen wurde in erster Linie alsDokument mit sprachenpolitischen Zielsetzun-gen konzipiert und nicht, so muss im Kontextdieses Heftes betont werden, auf einer lerntheo-retischen oder empirischen Grundlage. Ganz imGegenteil: Es wird explizit erklärt, dass der Refe-renzrahmen auf eine spezielle Grundlage zur„Erklärung des Sprachenlernens“ verzichtet: „DieRolle, die ihm (dem GER) zusteht, ist die, alle anSprachlern- und -lehrprozessen als Partner Be -teiligten zu ermutigen, ihre eigene theoretischeBasis und ihre methodische Praxis so explizitund transparent wie möglich darzulegen.“ (GER,S. 29)1

Der Gemeinsame europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) bildet seit seinem Erscheineneine zunehmend wichtige Grundlage für Entscheidungen über das Lehren und Lernen von Sprachen,gerade auch was die Entwicklung des Deutschunterrichts – keineswegs nur in Europa – betrifft.

Von Hans-Jürgen Krumm

© Panthermedia

Ziele, Wirkungen undNebenwirkungen Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen

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Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, denndie Theorie- und Methodenkonzepte, an denensich die Autoren des Referenzrahmens orientierthaben, lassen sich an den allgemeinen Ausfüh-rungen wie auch an der Formulierung der Des -kriptoren ablesen.

Der Sprachbegriff im Gemeinsameneuropäischen ReferenzrahmenGrundsätzlich nimmt der Referenzrahmen dieImpulse einer pragmatisch-funktionalen Sichtauf Sprache auf, wie sie sich insbesondere imGefolge des britischen Kontextualismus entwi-ckelt hat: Sprache wird handlungsorientiert alsim Wesentlichen ziel- und zweckorientierteSprachaktivität aufgefasst (Kap. 2). Das führtdazu, dass im Referenzrahmen die „ästhetischeSprachverwendung“ (Kap. 4.3.5) zwar aufgeführt,jedoch – stark verkürzt – letzten Endes als erzie-herische Komponente mithilfe literarischer Texteinterpretiert wird (insbesondere S. 62). Die Fähig-keit, auch mit einer neuen Sprache gestalten zukönnen, ist selbst auf Stufe C2 nicht vorgesehen.Und auch für die Sprachrezeption fehlen in derstufenbezogenen Auflistung der Fertigkeiten(Kap. 4.4) alle Dimensionen, die auf die ästheti-sche Dimension zielen, z.B.: „Ich kann die ästhe-tische Qualität eines gelesenen / gehörten Texteseinschätzen“. Für das Verständnis von Spracheist in dem Zusammenhang gerade gegen über denauf Literatur zielenden Anmerkungen die Formu-lierung bei C1 (S. 76) verräterisch: „... Texte,denen man im gesellschaftlichen, beruf lichenLeben oder in der Ausbildung begegnet, ...“.

Diese nutzungsorientierte Auffassung vonSprache deckt sich zwar mit den Interessen vielerLernenden, jedoch keineswegs mit allen. „DaKultur eine der Triebfedern von Entwicklung ist,sind die kulturellen Aspekte ebenso wichtig wiedie wirtschaftlichen. Es ist das fundamentaleRecht von Menschen, daran teilzuhaben undsich daran zu erfreuen.“ – heißt es im Gegensatzzu dieser funktionalistischen Auffassung im Ent-wurf der UNESCO-Konvention zum Schutz undzur Förderung kultureller Vielfalt.

Mehrsprachigkeit ist mehr als ZweisprachigkeitHervorzuheben ist, dass der Referenzrahmenvon der Grundannahme gesellschaftlicher undindividueller Mehrsprachigkeit ausgeht, d.h. dass – zumindest in den einleitenden Kapiteln –

„Sprache“ im Sinne des jedem Menschen insge-samt zur Verfügungen stehenden Sprachbesitzesverstanden wird, in dem isolierte Sprachen nichtals getrennte Systeme vorkommen, sondern alsBestandteile einer vielsprachigen Identität, diesich dynamisch entfaltet. Kap. 8 des GER führtdiesen Grundgedanken dann im Hinblick auf dieCurriculumentwicklung weiter und es ist ver-dienstvoll, dass der Referenzrahmen den Gedan-ken einer curricularen Mehrsprachigkeit hier alsGrundlage jeder künftigen Curriculumentwick-lung hervorhebt. Allerdings hält der Referenzrah-men diesen Ansatz nicht konsequent durch, viel-mehr finden sich auch Aussagen, die die Mehr-sprachigkeit als einen eher problematischen Fak-tor ins Spiel bringen und in eine vereinfachtekontrastive Auffassung zurückfallen:

Von Mehrsprachigkeit, z.B. der Tatsache, dassetwa tschechische Deutschlernende eventuellzuvor Englisch gelernt haben und sich daher derZugang zur deutschen Sprache nicht allein amSprachenpaar L1 – L2 orientieren wird, ist hierkeine Rede mehr – erst recht nicht von Lernen-den mit Migrationshintergrund, die teilweisebereits zwei Familiensprachen und manchmalvier oder fünf weitere Sprachen in den Unter-richt mitbringen. Insofern verwundert es auchnicht, dass bei den vorgestellten Skalen genaudieser Bereich des code switching, des Sprach-wechsels zur Überwindung von Sprachnot, fehlt(etwa „kann andere Sprachen seiner Lebensweltnutzen, um Missverständnisse oder Kommuni-kationsabbrüche zu vermeiden“ oder „kannInternationalismen bzw. Kenntnisse aus anderengelernten Sprachen als Verstehenshilfen nutzen“).Dabei kommt dem Referenzrahmen das Verdienstzu, mit der Kategorie „Sprachmitteln (Übersetzen,Dolmetschen)“ (vgl. S. 89 f.) einen zentralenAspekt von Mehrsprachigkeit in den Fremdspra-chenunterricht zurückgeholt zu haben, der allzulange aus dem Unterricht verdrängt war. Wer eineSprache lernt, will sein Können auch benutzen,um Brücken zwischen den Sprachen zu bauen.

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„Kontrastive Faktoren spielen eine große Rolle für die Bestimmung des Lernpensums und somit für das ‚Kosten-Nutzen-Verhältnis’ der verschiedenen möglichen Abfolgen. So stellen z.B. deutsche

Nebensätze für französische und englische Lernende größere Wortstellungs-probleme dar als für niederländische Lernende. Andererseits können Sprecher eng verwandter Sprachen, z.B. Deutsch / Niederländisch,

Tschechisch / Slowakisch, dazu neigen, mechanische Wort-für-Wort-Übersetzungen vorzunehmen.“

(Europarat 2001, 148)

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Individuelle Sprachenbiographienund der ZollstockeffektDer Referenzrahmen betont, wie individuellSprachlernbiographien sind und wie notwendiges ist, offene und zu regional und individuellunterschied lichen Profilen führende Sprachlern-angebote zu entwickeln.

Sprachunterricht sollte den Lernenden helfen,sich ihrer Sprachen und deren unterschiedli-chen kommunikativen Möglichkeiten bewusstzu werden. Wenn wir also Deutschunterricht pla-nen, Lehrwerke erstellen oder auswählen, gilt eszu prüfen, für welche der unterschiedlichenKommunikationsräume die Lernenden sprachli-che Handlungsfähigkeit entwickeln.

Mit den Sprachenportfolios hat der Europaratein Instrument geschaffen, das es erlaubt, solcheindividuellen und sprachspezifischen Profil-bildungen zu dokumentieren. Das Ergebnis wärendemnach – je nach individuellen Fähigkeiten,Zielsetzungen und Lebensumständen – unter-schiedliche Profile, z.B. B2 im Sprechen undLesen, B1 im Bereich des Hörverstehens, abereventuell nur A2 im Bereich des Schreibens.

Die Niveaustufenbeschreibungen des Refe-renzrahmens werden aber nicht genutzt, um sol-che ungleichmäßigen Profile abzubilden, viel-mehr werden sie fast ausschließlich als Bildungs-standards gelesen (vgl. Fremdsprache Deutsch34, 2006) und haben einen Prüfungsboom beflü-gelt, bei dem es jeweils um das Abprüfen einerNiveaustufe in allen Fertigkeitsbereichen geht.So gibt es Prüfungen auf A2- oder B1-Niveaunach genau dem Zollstock-Prinzip, vor dem imReferenzrahmen gewarnt wird:

Die einseitige Verwendung der Niveaustufen alsMess-Skalen zeigt sich nicht zuletzt dadurch,dass die in den ersten Kapiteln des Referenzrah-mens formulierte Offenheit zugunsten eines pri-

mär prüfungsorientierten Sprachlehrkonzeptesteilweise aufgegeben wird. Nachdem die einseiti-ge Bindung von Lehrwerken und Prüfungen andie Grammatik weitestgehend überwunden ist,droht nunmehr eine ebenso einseitige Orientie-rung an den nach Niveaustufen geordnetenDeskriptoren des Referenzrahmens.

Damit geraten zentrale sprachdidaktische Ziel-setzungen des Referenzrahmens aus dem Blick.

Die vernachlässigten ImpulseEs ist erstaunlich, dass sich Diskussion undRezeption des Gemeinsamen europäischen Refe-renzrahmens für Sprachen nahezu ausschließ-lich auf die Niveaustufenbeschreibungen kon-zentriert, zentrale sprachdidaktische Impulseaber kaum aufgegriffen werden. Dazu gehören:• der Hinweis auf die Bedeutung authentischer

Texte für das Sprachenlernen,• die Betonung der Notwendigkeit, an direkter

sprachlicher Interaktion teilzunehmen – dieFestlegung von „Interagieren“ als einem eige-nen Lernzielbereich ist ein wichtiger Schritt,

• die Betonung des autonomen Lernens und dieAufnahme von Lernstrategien in die Niveau-stufenbeschreibungen.

Hier werden vorhandene Einsichten durch denReferenzrahmen mit einem gewichtigen Impulsversehen. Es ist daher von großer Bedeutung,darauf zu achten, dass der Referenzrahmen alsdas benutzt wird, was er ursprünglich sein sollte:ein offener Rahmen und nicht ein wortwörtlichzu befolgendes Rezept- und Prüfungsbuch. Gera-de weil der Referenzrahmen durch seine spra-chenpolitische Akzeptanz und Verbreitung auchein wichtiges Instrument zur Förderung desSprachenlernens ist, bedarf seine Implementie-rung einer systematischen Begleitforschung undEvaluation, um die befürchteten Rückwirkungenauf den Unterricht zu kontrollieren. Dies gilt fürdie Umsetzung im Bereich • der Curriculum- und Prüfungsentwicklung,• der Lehrwerkentwicklung,• der Lehreraus- und -weiterbildung.

LiteraturK.-R. Bausch u.a. (Hrsg.): Der Gemeinsame europäische

Referenzrahmen für Sprachen in der Diskussion. G.Narr: Tübingen 2003

Anmerkungen1 Alle Verweise beziehen sich auf:

Europarat: Gemeinsamer europäischer Referenzrahmenfür Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Übersetzt von J.Quetz. Langenscheidt u.a.: Berlin 2001www.goethe.de/referenzrahmen

„Die mehrsprachige und die plurikulturelle Kompetenz ist im Allge meinen auf eine oder mehrere Arten ungleichmäßig:

- Lernende werden meist in einer Sprache kompetenter als in einer anderen;- das Kompetenzprofil in einer Sprache unterscheidet sich von dem in anderen

(z.B. sehr gute mündliche Kompetenz in zwei Sprachen, aber gute schriftliche Kompetenz in nur einer von beiden); ...“

(Europarat 2001, 132 f)

„Lernfortschritt ist nicht nur einfach das Vorankommen auf einer vertikalen Skala.Es gibt keinen zwingenden logischen Grund dafür, dass Lernende sämtliche

niedrigeren Stufen einer Teilskala durchlaufen müssen. ... Man sollte sichschließlich davor hüten, Niveaus und Sprachkompetenzskalen als eine lineare

Mess-Skala – wie z.B. einen Zollstock – zu interpretieren.“(Europarat 2001, 28f)

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Projektunterricht im historischen RückblickDie lerntheoretische Auseinandersetzung mitdem Projektunterricht hält seit über einem Jahr-hundert an. Auch wenn die Idee dieser Lern- und Arbeitsform schon sehr viel früher bestand,verdankte sie ihre Heranreifung dem philosophi-schen Pragmatismus in Amerika Anfang des 20. Jahrhunderts.

John Dewey und William Heard Kilpatrickversahen den Projektbegriff als Erste mit einem

theoretischen Hintergrund. Ihr Ausgangspunktist die Übertragung empirischer Vorgehenswei-sen auf den Bildungsprozess. Denkakte laufenwie Experimente ab und liefern das Grundsche-ma für die Projektarbeit: • Problemanalyse, • Problemlösung, • Erprobung durch das Experiment. Erkenntnisse gewinnt der Mensch durch seinehandelnde Auseinandersetzung mit der Umwelt.Die so ausgelösten Lern- und Denkprozesse wer-

Auch wenn sich Projektarbeit auf dem Gebiet des Lehrens und Lernens von Deutsch als Fremdsprachezunehmender Beliebtheit erfreut, so herrscht doch weder Klarheit noch Übereinstimmung darüber, wases eigentlich genau mit dieser Form von Unterricht auf sich hat. Unser Anliegen soll es daher sein, zueinem besseren Verständnis des Projektunterrichts beizutragen, indem wir seine Entstehungsgeschichtenachzeichnen, eine Begründung in den sozialisations- und lerntheoretischen Voraussetzungen suchenund schließlich seine Umsetzung in der Fremdsprachendidaktik darstellen. In den folgendenÜberlegungen gehen wir davon aus, dass die Versuche, den Projektunterricht begrifflich eindeutig zufassen, für praktische Belange letztlich kontraproduktiv sind, da gerade die inhaltliche Unbestimmtheitdes Konzepts einen Teil seines Potentials und auch seines innovativen Charmes ausmacht.

Von Sabine Hoffmann und Michael Schart

© Xinhua/Das Fotoarchiv

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den allerdings nur durch Tätigkeiten in Ganggesetzt, die auf Interesse stoßen bzw. eine Anre-gung bedeuten. Dabei will Dewey den Begriff„Interesse“ nicht im Sinne einer „Bonbonpäda-gogik“ (Dewey 1993, 171) verstanden wissen, diemit äußerlichen Anreizen einen sonst langweili-gen Stoff attraktiver macht. Interesse bedeutetfür ihn, dass sich die Lernenden mit „ganzer Hin-gabe“ (Dewey 1993, 234) einer Aufgabe widmen,die den „eigenen Zwecken und Wünschen“ ent-spricht (Dewey 1993, 235f). Um den Lernendendie Gelegenheit zu geben, solche für sie relevan-ten Erfahrungen zu machen, müssen sie eine„persönliche Methode“ (Dewey 1993, 230f) ent-wickeln. Die Verantwortung für diese Erfah-rungsprozesse der Lernenden übernimmt dieLehrkraft. Hier unterscheidet sich Dewey wesent -lich von Kilpatrick, bei dem die Ausrichtung aufden Schüler zum primären Ziel in der Projektar-beit wird.

Denkakte laufen wie Experimente ab und lieferndas Grundschema für die Projektarbeit.

Die Kindorientierung Ende des 19. Jahrhunderts,die weite Teile der Lerntheorien und Lehrkon-zepte sowohl in Europa als auch in Übersee be -stimmte, knüpfte bei deren deutschen Verfech-tern verstärkt an der Aufklärung an, insbesonde-re an Rousseau und Pestalozzi. Hierbei trug sie inihrem Vorhaben einer „natürlichen Erziehung“,die sich häufig in Form von Hauslehrern,Arbeitsschulen oder Landerziehungsheimenabseits der offiziellen Bildungsanstalten vollzog,deutlich idealistische Züge, die der amerikani-schen, in den Institutionen verankerten funktio-nalen Pädagogik in diesem Ausmaß fremdwaren. In der Laboratory School an der Universi-tät Chicago, die Dewey selbst mehrere Jahre lei-tete (1896 – 1903), steht das „Erfahrungslernen“im Mittelpunkt: So „erleben“ die SchülerGeschichte, indem sie z.B. für eine Epoche typi-sche Gegenstände herstellen und gemeinsamdamit umgehen, oder „entdecken“ anhand desGebrauchs von Alltagsgegenständen physikali-sche Gesetze.

Der Blick in die Geschichte des Projektunter-richts führt vor Augen, dass die Idee, Unterrichtin Projektform zu organisieren, nie als eine ein-heitliche Theorie existierte. Der Einsatz von Pro-jektunterricht kann daher in den gegenwärtigengesellschaftlichen Verhältnissen und lerntheore-tischen sowie fachdidaktischen Auseinanderset-zungen überzeugender begründet werden.

Projektunterricht im Brennpunktgesellschaftlicher VeränderungenEine wichtige theoretische Begründung findetder Projektunterricht in den gegenwärtigengesellschaftlichen Bedingungen. Der moderneMensch verliere, so eine verbreitete Argumenta-tion, zunehmend die Möglichkeit, seine Umweltunmittelbar zu erleben und sich Erfahrungenaktiv-produktiv anzueignen. Demgegenüberwachse aber zugleich die Komplexität der Gesell-schaft. Es braucht mündige Bürgerinnen undBürger, die in einer demokratischen Gesellschaftangesichts vielschichtiger Probleme über Urteils-,Entscheidungs- und Handlungskompetenzenverfügen müssen, um sich aktiv am gesellschaft-lichen Leben beteiligen zu können.

Diese Beschreibungen gesellschaftlicher Ent-wicklungen münden unmittelbar in der Forde-rung, solche Unterrichtsformen zu stärken, indenen Lernende mit komplexen Sachverhaltenkonfrontiert werden, die sie sich selbstständigoder gemeinsam mit anderen erschließen. In -dem sie sich eigene Arbeitsziele setzen, Problem-lösungen entwerfen, Entscheidungsprozessegestalten und ihre Erkenntnisse anderen erklä-ren bzw. präsentieren, sollen junge MenschenVertrauen in die eigenen Handlungspotentialeentwickeln, sich im Umgang mit Ambiguitätenüben und lernen, sich als Individuen aktiv, krea-tiv, (selbst)kritisch und verantwortungsbewusstin die Gestaltung einer sich beständig verän-dernden Lebenswelt einzubringen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass derBezug auf gesellschaftliche Veränderungen einer-seits und der Blick auf die Lebenswelt der Ler-nenden andererseits dazu geführt haben, selbst-bestimmten, fächerübergreifenden und ganz-heitlichen Lernformen einen größeren Raum imUnterrichtsalltag zu gewähren. Und im Projekt-unterricht wird eine vielversprechende Möglich-keit gesehen, diese Prinzipien in die Realitätumzusetzen.

Lern- und kognitionspsychologischeBegründung für den ProjektunterrichtAus lern- und kognitionstheoretischer Perspekti-ve lässt sich der Projektunterricht auf zweigrundlegende Konzepte zurückführen: Zumeinen auf konstruktivistische Vorstellungen,nach denen sich Wissenserwerb als ein individu-eller und aktiver Prozess durch das Zusammen-spiel von bisherigen Erfahrungen und neuerInformation vollzieht. Und zum anderen auf die

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Überzeugung, dass Lernen über die individuelle,kognitive Ebene hinaus auch als ein sozialesGeschehen verstanden und organisiert werdenmuss.

Konstruktivistische LerntheorieNach konstruktivistischer Annahme finden dieKonstruktionsprozesse zum Wissensaufbauzunächst ausschließlich im Individuum selbststatt, bevor dieses dann – im Prozess der sogenannten Viabilisierung – versucht, das Ergeb-nis eines solchen Vorgangs mit anderen Indivi-duen abzugleichen. Demzufolge brauchen dieLernenden die aktive Auseinandersetzung mitden anderen, denn nur so können sie ihre Denk-muster überprüfen, um sie anschließend defini-tiv zu speichern. Es bleibt allerdings fraglich, obsich der Konstruktionsvorgang im Individuumwirklich so vom Prozess der Bedeutungsaus-handlung trennen lässt, oder ob er nicht schonin der Interaktion mit anderen Beteiligten imUnterricht stattfindet. Denn wenn Schüler zumBeispiel gemeinsam einen Text erschließen, ent-steht ja dessen Sinn im Kopf eines jeden erstdurch das Zusammentragen von Einzelteilen. Esbedarf also der Zusammenarbeit, was grundsätz-lich dafür spricht, den Unterricht so zu gestalten,dass den Teilnehmern diese Interaktion ermög-licht wird.

Soziale Prozesse in der ProjektarbeitDie individuellen Lernprozesse des Einzelnensind damit an die Gruppe gekoppelt, die über ihr unmittelbares Ein- und Mitwirken hinausaber auch dazu beiträgt, dass die Lernenden ihr Verhalten zunehmend als steuerbar wahr-nehmen. Diese Entwicklung unterstützt Projekt-arbeit entschieden, denn hier wird gelernt, sichmit anderen über längere und höchst unter-schiedliche Lernphasen in Richtung auf eingemeinsames übergeordnetes Lernvorhabenauseinanderzusetzen.

Lernen muss auch als ein sozialesGeschehen verstanden und organisiert werden.

Durch das Austragen von Konflikten wird Hand-lungskompetenz und Vertrauen aufgebaut undso das Selbstwert- und Gruppengefühl gestärkt.Die miteinander gesammelten Erfahrungenerhöhen die Bereitschaft, die Beobachtungen derMitlernenden anzunehmen und ihre Hinweisezu reflektieren, und fördern darin die Bewusst-machung des eigenen Lernverhaltens. So kann

zum Beispiel ein sich gegenseitiges Vorlesen Aus-spracheschwächen erkennen lassen oder derVergleich mit anderen Methoden zur Entde-ckung effektiverer Lernweisen führen.

Dabei übernehmen die Lernenden selbstLehrerfunktionen, indem sie das Lernen deranderen unterstützen, ihren Lern- bzw. Arbeits-prozess organisieren oder Ergebnisse präsentie-ren. Kompetent durch die in der gemeinsamenTätigkeit erworbenen Kenntnisse können sichdie Lernenden untereinander sehr wertvolle Rat-schläge geben. Hierbei besteht auch für leis-tungsschwächere Schüler die Chance, normaler-weise leistungsstärkeren Mitschülern helfen.

Flexibilität der ProjektarbeitAuch wenn es mittlerweile als erwiesen gilt, dasskollektives Arbeiten dem Lernprozess förderlich ist,so darf dies wiederum nicht dazu verleiten, überEinzelfälle und die vielfältigen individuellen, situa-tiven und themenbezogenen Unterschiede hin-wegzusehen, aus denen sich gemeinsames Lernenzusammensetzt. Eine Besonderheit des Projektun-terrichts ergibt sich eben gerade daraus, dass dieseBerücksichtigung finden. Er geht daher weit überdas hinaus, was in den Unterricht integrierte Grup-penarbeit leisten kann. Indem er ein Zusammen-spiel sehr verschiedener Sozial- und Aufgabenfor-men ermöglicht, zu denen neben Gruppenaktivitä-ten auch Einzelarbeit oder Vorträge des Lehrendenzählen können, erweitert er die Handlungs(frei)-räume des Einzelnen und erreicht damit auch Ler-nende, deren Lernstil sich nicht oder nur einge-schränkt mit kooperativen Lernarrangementsdeckt. Das betrifft zum Beispiel Schüler mitSprechangst. Auch wenn nicht davon auszugehenist, dass Sprechen in und vor Gruppen grundsätz-lich Spannungen erzeugt, tritt sie doch bei vielenLernenden auf und kann bei einer angemessenenGruppenzusammensetzung abgeschwächt wer-den. Allerdings ist die Voraussetzung für eine angst-senkende Wirkung, dass zwischen Lehrenden undLernenden sowie unter den Lernenden Vertrauenherrscht. Dieses herzustellen gehört zu den grund-sätzlichen Aufgaben der Lehrkraft.

Projektunterricht im Kontext der kommunikativen Fremd sprachen didaktikBereits in den 1980er-Jahren gab es erste Bestre-bungen, die Projektidee für das Lehren und Ler-nen von Fremdsprachen fruchtbar zu machen(z.B. Legutke 1988 und die Beiträge in Heft 4 die-

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ser Zeitschrift aus dem Jahr 1991). Eine wichtigetheoretische Grundlage für die momentane Ent-wicklung wurde allerdings bereits in den 1970er-Jahren geschaffen. Mit der sogenannten „kom-munikativen Wende“ in der Fremdsprachendi-daktik begann sich die Überzeugung durchzuset-zen, dass Lernende bereits während des Unter-richts die Möglichkeit erhalten müssen, mit Hilfeder Fremdsprache eigene Handlungsabsichtenzu realisieren sowie Intentionen, Gedanken undGefühle auszudrücken. Wenn sie konsequent zuEnde gedacht wird, steht diese neue Zielsetzungallerdings im Widerspruch zu jeder Form vonUnterrichtsplanung, die auf der Segmentierungder Fremdsprache nach linguistischen Gesichts-punkten beruht. In der sogenannten „starkenVariante“ der kommunikativen Fremdsprachen-didaktik wird daher auf die Strukturierung desUnterrichts an Hand linguistischer Kategorienvollends verzichtet. Stattdessen stellen eine vonden Beteiligten als sinnvoll erlebte Interaktionund die Auseinandersetzung mit bedeutungsvol-len Inhalten die zentralen Kriterien bei derUnterrichtsplanung dar.

Das Projekt als MaxiaufgabeEine naheliegende Möglichkeit, diese Idee in die Praxis zu übertragen, besteht darin, denUnterricht als eine Abfolge von Aufgaben (tasks)zu organisieren. Im Unterschied zu Übungen(exercises) handelt es sich hierbei um inhaltsbe-zogene und ergebnisoffene Lernaktivitäten, dieohne eine gewisse kreative Eigenleistung derLernenden nicht bewältigt werden können (vgl. Westhoff, S. 12). Diese Überlegung führtnun unmittelbar zum Projektunterricht, lässtsich dieser doch als Maxiaufgabe denken. Einzel-ne Teilaufgaben werden in einem zeitlichbegrenzten Rahmen derart aneinander gekop-pelt, dass sie die Lerngruppe sukzessive einemvorab gesetzten, gemeinsamen Ziel näher brin-gen. Im Kontext der kommunikativen Fremd-sprachendidaktik liegt die Besonderheit des Pro-jektunterrichts somit in seiner Zielorientierungbei gleichzeitiger Öffnung von Freiräumen. Fürdie Lernenden schafft er Bedingungen, unterdenen die Motivation zum sprachlichen Handelnvon den Inhalten ausgeht.

Dies ist – zugegebenermaßen – nur eine sehrvage Beschreibung dessen, was in einem Projektpassiert, entspricht aber seiner hybriden Form,die sich der Zuordnung einer Methode mit genaudefinierten Merkmalen und festgeschriebenem

Vorgehen entzieht. Denn als ein sehr flexiblesArrangement von Unterricht lassen sich Projektemit einer Vielzahl von Zielen, Aufgabentypenoder Sozialformen vereinbaren. Dies macht eseinerseits zwar sehr schwierig, den Projektunter-richt eindeutig begrifflich zu fassen, dochbezieht er andererseits gerade aus seiner großenAnpassungsfähigkeit an lokale Bedingungen seinbesonderes Potential.

Die Bandbreite praktischer Anwendungsmög-lichkeiten wird an den zahlreichen Erfahrungs-berichten deutlich, die in den zurückliegendenJahren zu diesem Thema auch in dieser Zeit-schrift veröffentlicht wurden. So werden bei-spielsweise in Heft 4 (1991) Rechercheprojektezur deutschen Geschichte vorgestellt und Inter-viewprojekte beschrieben, bei denen sich Ler-nende auf die Suche nach Orten in ihrem unmit-telbaren Lernumfeld begeben, an denen sieMenschen aus den deutschsprachigen Länderntreffen können. Ein Schreibprojekt, bei dem dieLernenden gemeinsam einen Liebesroman ver-fassen, ist in Heft 24 (2001) dokumentiert. Übereinen E-Mail-Austausch unter dem Motto „Euro -pa live erleben“ erfährt man in Heft 28 (2003).Dieses Projekt fand in einer Ausstellung einenbeeindruckenden Abschluss. In Heft 29 (2003)schließlich werden Begegnungsprojekte überGrenzen hinweg beschrieben. Eine große Spann-breite praktischer Umsetzungen der Projektideefindet sich auch in Wicke (2004). Der Autor zeigt,wie Projekte mit unterschiedlichen Inhalten(literarische Texte, Kunstbilder, Grammatik,Geschichte u.v.m.) und Zielsetzungen (Wahrneh-mungstraining, Perspektivenwechsel, kreativeTextarbeit u.v.m.) gestaltet werden können.

Phasen der ProjektarbeitFreys Modell einer „Projektmethode“ (1. Auflage1982) stellt zweifellos den bekanntesten Versuchim deutschsprachigen Raum dar, den Projektun-terricht in einzelne Phasen aufzugliedern. Damitwird Lehrenden ein Planungswerkzeug an dieHand gegeben, das unabhängig von den jeweili-gen Voraussetzungen Anwendung finden kann.Für den Fremdsprachenunterricht mit seinerbesonderen Problematik, die durch das (zumin-dest partielle) Zusammenfallen von Kommuni-kations- und Zielsprache bedingt ist, bedarf die-ses Modell freilich einiger Ergänzungen. Das fol-gende Modell soll dies am Beispiel der bereitserwähnten Interviewprojekte mit Personen ausden deutschsprachigen Ländern verdeutlichen(vgl. Abb. 1). Den einzelnen Schritten des Pro-

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jektverlaufs sind jeweils zu klärende Fragestel-lungen zugeordnet, die natürlich nur eine Aus-wahl darstellen und, dem Kontext entsprechend,verändert oder ergänzt werden müssen.

Solche Ablaufschemata schaffen den notwen-digen Überblick, bergen allerdings zugleich auchdie Gefahr, dass der Projektunterricht auf eineTechnik verengt wird, die sich scheinbar losge-löst von Zielen und Inhalten anwenden lässt.Und obwohl Frey nicht verschweigt, dass eineÜberbetonung seiner Phasenfolgen zu routine-haftem und monotonem Unterricht führenkönnte, hält er doch selbst an dem Bemühenfest, das Nicht-Planbare planbar zu machen.

InformationsquellenEin weiterer Versuch der Systematisierung des Pro-jektunterrichts bezieht sich auf die Quellen fürjene fremdsprachlichen Informationen, die gleich-sam den „Treibstoff“ für ein Projekt darstellen.Anhand dieses Kriteriums werden zum BeispielTextprojekte, Korrespondenzprojekte, Umfrage-projekte oder Begegnungsprojekte voneinanderunterschieden. Aber auch diese Typologie kannnur bedingt überzeugen, sind doch die gebildetenKategorien keineswegs trennscharf. Je nachThema und Zielsetzung bringt die Praxis eherdiverse Mischformen dieser Projekttypen hervor.

Rollenverteilung Wie wir bereits zu Beginn dieses Beitrags aufzeig-ten, gehört die Rollenverteilung zu jenen Gesichts-punkten, denen in den Beschreibungen des Pro-jektunterrichts immer wieder eine zentrale Bedeu-tung zukommt. Denn sobald Lehrende ihr Pla-nungsmonopol aufgeben und Freiräume für dieSelbsttätigkeit der Lernenden öffnen, stellt sichzwangsläufig die Frage, wie diese veränderte Rol-lenverteilung konkret beschaffen sein kann. DieUnterscheidung in strukturierte, halbstrukturierteund unstrukturierte Projekte oder die Beschrei-bung des Lehrenden als Wissensvermittler, Betreu-er und Moderator geben allenfalls eine sehr grobeOrientierung. Auch die Forderung, die Planung desLehrenden sei verantwortlich für die Selbstpla-nung der Lernenden, stellt eher ein pädagogischesLeitbild dar als eine Hilfe für die Vorbereitung undReflexion konkreter Unterrichtsstunden.

EntscheidungsprozesseIn den Diskussionen um eine angemessene Rol-lenverteilung wird leicht übersehen, dass ineinem konkreten Kontext letztlich nur die Betei-ligten selbst die Angemessenheit einer bestimm-

ten Form von Zusammenarbeit beurteilen kön-nen. Dabei wird das Verhältnis zwischen Lehren-den und Lernenden bei jedem einzelnen Schrittin einem Projektverlauf neu gestaltet. Wichtig bei

1. Thema verabredenWo können wir in unserem Lernumfeld Deutsch sprechende Menschen finden (Flughafen,Jugendherberge, Firmen etc.)? Über welche Themen können wir mit diesen Menschen sprechen?

2. Zielsetzung verabredenWas sollen die Ziele unseres Projekts sein? Welche Fertigkeiten sollen trainiert, welchesfremdsprachliche Wissen und Können erworben, welche inhaltlichen Fragen geklärt werden?

3. Projekt strukturierenWie müssen wir vorgehen, um diese Ziele zu erreichen? Welche Aufgaben fallen an und wie könnenwir sie in der Lerngruppe verteilen? Wie viel Zeit soll das Projekt in Anspruch nehmen?

4. Interviews sprachlich vorbereitenWelche sprachlichen Mittel benötigen wir, um die Interviews durchführen zu können? Sollten wir dieInterviewsituation zur Übung im Klassenraum simulieren?

5. Interviews führenSind die technischen Geräte zum Aufzeichnen funktionsbereit? Sind die Aufgaben innerhalb derGruppe klar geregelt?

6. Analyse der Interviews vorbereitenWelche Probleme sprachlicher Art sind uns bei den Interviews aufgefallen? Müssen wir sprachlicheProbleme klären, um die Gespräche auswerten zu können?

7. Interviews analysieren und aufbereitenWelche Informationen sind wichtig, um die Zielstellung des Projekts zu erreichen? Müssen wirInformationen recherchieren, um die Interviews verstehen zu können?

8. Präsentation der Ergebnisse sprachlich vorbereitenWelche sprachlichen Mittel benötigen wir, um unsere Ergebnisse verständlich darzustellen? WelcheTextsorten können wir benutzen? Was sind deren Besonderheiten?

9. Ergebnisse präsentierenWie können wir die Ergebnisse interessant präsentieren? Was sollen die anderen aus derPräsentation lernen?

10. Projekt evaluierenHaben wir die Ziele des Projekts erreicht? Was haben wir in diesem Projekt gelernt? Wie können dieErgebnisse gerecht bewertet werden?

Abb. 1: Projektablaufschema am Beispiel eines Interviewprojekts

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Im Alltag trifft der Projektunterricht auf wider-strebende Prinzipien und lässt sich nur selten inReinform verwirklichen. Für den BereichDeutsch seien als ein Beispiel die Erwartungshal-tungen im Hinblick auf die Rollenverteilung beiLehrenden und Lernenden genannt, die je nachkulturellem Kontext sehr unterschiedlich aus -fallen können. Aber Projektunterricht ist keines-wegs zum Scheitern verurteilt, wenn die Frei -räume der Lernenden durch solche lokalenBedingungen teilweise eingeschränkt werden.Ein Modell des Projektunterrichts, das an denEntscheidungsprozessen ansetzt, kann dabeihelfen, diese Unterrichtsform unter sehr unter-schiedlichen Bedingungen zu planen und durch-zuführen.

Produkte Ob der Projektunterricht ein materielles Produktals Ergebnis hervorzubringen habe, gehört zuden umstrittenen Punkten. Diese Forderung lässtsich zwar historisch gut begründen underscheint für bestimmte Lerngegenstände auchdurchaus angemessen. Für das fremdsprachlicheKlassenzimmer jedoch ist sie nur von begrenz-tem Wert. Dort vollzieht sich schließlich das Ler-nen vor allem über kommunikative Prozesse, indenen Situationen gemeinsam gedeutet undausgehandelt werden. Dass sich daraus resultie-rende Einsichten oder Verhaltensänderungenweit schwieriger dokumentieren lassen als hand-werkliche Tätigkeiten, darf die Forderung nachProdukten jedoch noch nicht von der Projektar-beit ausschließen. Es ist somit folgerichtig, dassauch Aufführungen (z.B. Theaterstücke), Veran-staltungen (z.B. Diskussionsrunden) oder orga-nisatorische Strukturen (z.B. der Aufbau einesAustauschprogramms) als mögliche „Produkte“der Projektarbeit im Fremdsprachenunterricht inBetracht gezogen werden.

LerneffekteDer Blick auf die Endprodukte wirft zwangsläufigauch die Frage auf, ob der Projektunterrichtanhand der erzielten Lerneffekte beschriebenwerden kann. Dass mit dieser Unterrichtsformgroße Erwartungen in Hinblick auf den Lernfort-schritt der Teilnehmenden verknüpft werdenkönnen, sollte aus den vorangegangenen Aus-führungen deutlich geworden sein. Diese Hoff-nung ist jedoch mit der Schwierigkeit verbun-den, die Lernerfolge konkret zu fassen. Mit ihremproject framework unternehmen Beckett undSlater (vgl. Beckett & Slater 2005) den Versuch,

Institution entscheidet

Lehrende entscheiden

Lernende wählen aus vorgegebenen Alternativen

Lehrende und Lernende entscheiden gemeinsam

Lernende entscheiden in Gruppen oder selbstständig

Abb. 2: Schritt 5 des Projektablaufs: Interviews führen

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diesem Ansatz für eine Beschreibung des Pro-jektunterrichts ist die Überlegung, dass alle denProjektunterricht betreffenden Entscheidungenzwei Domänen zugeordnet werden können: Dasind zum einen die normativen Entscheidungen.Sie regeln die grundlegenden Fragen von Machtund Mitbestimmung im Klassenraum. Zu diesemBereich zählen etwa die Orte, Zeiten und Zielefür das Lernen, die Gruppengröße, die Arbeits-formen oder die Bewertungsmaßstäbe. Diesenormativen Entscheidungen lassen sich von denoperativen Entscheidungen abgrenzen, beidenen es darum geht, innerhalb bereits gesetzterGrenzen einzelne Lernprozesse zu gestalten. Hier-zu gehören etwa die Gliederung einer Aufgabeund die Verteilung von Teilaufgaben in einerGruppe, die Zeitplanung, die Koordination oderdas Konfliktmanagement innerhalb von Gruppen.

Auf der Grundlage dieser Zweiteilung lässtsich für jede der notwendigen Entscheidungenein bestimmter Grad an Mitbestimmung durchdie Lernenden definieren, wobei die folgendenStufen unterschieden werden können:

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Unbestimmtheit als Potential: Projektorientiertes Lehren und Lernen 35

solche potentiellen Lerneffekte des Projektunter-richts systematisch darzustellen. Die Lerneffektewerden dafür in die drei Domänen „Inhalte“ (z.B.Verständnis für ein Fachgebiet), „Fertigkeiten“(z.B. Filtern von Informationen aus komplexenTexten) und „fremdsprachliches Wissen undKönnen“ (z.B. Wortschatzerwerb) unterteilt. Indem Modell werden diese Domänen in Formeiner Tabelle angeordnet, wobei zwischen denErwartungen vor Beginn des Projekts und dentatsächlichen Ergebnissen unterschieden wird(vgl. Abb. 4). Beckett und Slater machen in einerFallstudie deutlich, dass das project frameworkals ein sehr hilfreiches Werkzeug bei der Planungund Reflexion von Projekten dienen kann. Eskann sowohl von Lehrenden als auch von Ler-nenden (etwa in Form eines Lerntagebuchs) ein-gesetzt werden.

FazitTrotz der großen Aufmerksamkeit, die der Pro-jektunterricht seit einigen Jahren erfährt, wissenwir nach wie vor sehr wenig darüber, wie er inder Praxis funktioniert, wann und zu welchenErfolgen er führt oder wann er scheitert. Diemeisten Berichte über Projektunterricht doku-mentieren positive Erfahrungen und Ergebnisseund verzichten darauf, das Geschehen im Klas-senzimmer systematisch zu erforschen (auchhierfür ist Wicke 2004 ein gutes Beispiel). Diegrundlegende Kritik an dem durch empirischeErkenntnisse nur wenig gestützten Boom desaufgabenbasierten Unterrichts (task-basedlanguage learning) in den letzten Jahren trifftsomit auch den Projektunterricht.

Die Ergebnisse, die aus den wenigen empiri-schen Forschungen zu diesem Thema jedochbisher hervorgegangen sind, lassen es ange-bracht erscheinen, den Projektunterricht nichtmit überhöhten Erwartungen zu belasten. MitBlick auf die Lehrenden zeigen diese Studien(vgl. Schart 2003, auch Beckett & Slater 2005),dass sich Projekte aus gegensätzlichen Perspekti-ven sinnvoll arrangieren und mit vielen Zielenund Aktivitäten zweckmäßig verknüpfen lassen.

Wie schwierig es ist, Lerneffekte vorweg zuplanen, zeigen jüngste Untersuchungen vonfremdsprachlichen Lernprozessen, in denen sichkollektives Lernen auf individuell höchst unter-schiedlichen Stufen ansiedelt (vgl. Hoffmann2007). So kann das gemeinsame Erschließeneines Textes bei einigen Lernenden zum Aufbauvon Bedeutung führen, während andere im Aus-

tausch bereits bestehende Denkmuster durchhinzukommendes Material ergänzen. Es kommtaber auch vor, dass kaum etwas von den Anre-gungen übernommen und an den eigenen Struk-turen beharrlich festgehalten wird. Eingebundenin die Lernprozesse kann die Gruppe zumwesentlichen Baustein der eigenen kognitivenLeistungen werden oder sie hilft durch emotio-nales Feedback, Sicherheit in der Fremdspracheaufzubauen.

Literatur zu diesem Thema s. S. 60

Anmerkungen1 Dieser Begriff bezeichnet das Überprüfen von Bedeutun-

gen durch die Konfrontation mit anderen.

Erwartungen vor Beginn Lerneffekte am Ende des Projekts des Projekts

Inhalte Fertigkeiten fremdsprach- Inhalte Fertigkeiten fremdsprach-liches Wissen liches Wissenund Können und Können

Abb. 4: Modell zur Planung und Evaluation von Projektunterricht (nach Beckett & Slater 2005).

Abb. 3: Schritt 9: Ergebnisse präsenteren

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Fragen zur FormvermittlungIn der Regel finden heute Deutsch-Lehrendeeine Vielzahl von maßgeschneiderten Rezeptenfür eine möglichst optimale und effiziente Sprach-form- bzw. Grammatikvermittlung vor. Eine ver-führerische (Über-)Fülle von methodisch-didak-tisch gut durchdachten Lehrwerken und gram-matikorientierten Materialien hilft ihnen dabei,

den richtigen Mix von Zutaten und die passendeAbfolge von „Zubereitungsschritten“ für eingelungenes „Lernmenü“ ohne langwierige Vorbe-reitung zu finden.

So praktisch und unverzichtbar diese media-len Hilfestellungen für die alltägliche Unter-richtsarbeit sind, bergen sie jedoch die Gefahr,dass dadurch Sprachvermittlung in Routineab-

Alternativ zum lehrwerkbasierten Grammatikunterricht, der oft einem mehr oder wenigerroutinehaften „Präsentieren-Üben-Anwenden“- Modell folgt, möchte ich im Folgenden einSzenario entwerfen, in dem sich die Lehrpersonen stärker als reflektierende Praktiker/-innenbegreifen. Sie müssten dazu versuchen, zumindest einige der zahlreichen Faktoren, die dasGelingen oder Misslingen von Sprachunterricht bedingen können, in der Unterrichtsplanung und -vorbereitung zu bedenken. Im Kern wird es darum gehen, aus der Lehrperspektive die Ver -bindung herzustellen zwischen der externen Grammatik, d. h. den zu erwerbenden Strukturenund Elementen der Zielsprache einerseits und der internen Grammatik andererseits, die sich inder Lernerkognition aufbaut.

Von Manfred Schifko

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„ ... oder muss ich expliziterwerden?“

Formfokussierung als fremdsprachendidaktisches Konzept: Grundlagen und exemplarische Unterrichtstechniken

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läufen erstarrt. Wenn hingegen Grammatikunter-richt ohne Lehrwerk und Zusatzmaterialienerfolgen soll und die Lehrenden zudem bereitsind, psycholinguistische Kriterien in die Unter-richtsplanung zu integrieren, wären am Beginneiner solchen Vermittlungssequenz folgende Fra-gen hilfreich:• Soll die zielsprachliche Form tendenziell bes-

ser deduktiv (z.B. erläuternde Präsentationdurch den Lehrenden mittels einer signal-grammatisch aufbereiteten Overhead- oderPowerpoint-Folie) oder induktiv (z.B. For mu -lierung einer Regel durch die Lernenden aufder Basis von repräsentativem Input) vermit-telt werden?

• Welcher Grad an metasprachlicher Expli zit -heit bzw. Regelformulierung ist für dieVermittlung der zielsprachlichen Form über-haupt angemessen/notwendig?

• Lässt sich einschätzen, ob die zielsprachlicheForm und die mit ihr verbundene(n) Regel(n)eher leicht oder eher schwer zu erwerbensind? Welche Rolle spielen bei der Beur tei -lung des Schwierigkeitsgrades die Erst -sprache bzw. eventuell zuvor erworbeneFremd sprachen?

• Wie sinnvoll ist es überhaupt, Regeln mitgeringer Reliabilität und Zuverlässigkeit zuvermitteln?1

• Ist es möglich, die zu vermittelnde zielsprach-liche Form an einer Stelle in der (natürlichen)L2-Erwerbsfolge festzumachen und so ihreLernbarkeit zu einem gegebenen Zeitpunktadäquater einzuschätzen?

Zugegeben – für die alltägliche Praxis stellt dieBerücksichtigung dieser Faktoren eine ziemliche,zumeist (auch zeitlich) kaum zu leistende Her -ausforderung dar; aber es geht ja nicht um daserzwungene Reflektieren dieser Fragestellungenin der Unterrichtsvorbereitung, sondern um eineveränderte Perspektive auf den Grammatikun-terricht, eine Sichtweise, die sich der Tatsachebewusst ist, dass sich der Prozess des Spracher-werbs nicht aus der systematisierenden Be -schreibung des Produkts, nämlich der Zielspra-che und ihrem regelgeleiteten Bau, ableiten lässt.

Formfokussierung – Grundlagen undVermittlungsaspekte Zumindest eine Annäherung an Antworten aufdiese Fragen bietet ein hier als „Formfokussie-rung“ (oft auch als focus on form) bezeichneterfremdsprachendidaktischer Zugang, der seit

Beginn der 1990er-Jahre hauptsächlich in derkognitiv orientierten, angloamerikanischenSprachlern- und Fremdsprachenerwerbstheorieentwickelt und diskutiert wurde. Formfokussie-rung darf allerdings keinesfalls als in sichgeschlossene und ausformulierte Unterrichtsme-thode aufgefasst werden; eher handelt es sichum eine Bauanleitung für bestimmte unterricht-liche Vorgehensweisen, deren spezifischesDesign sich aus der Berücksichtigung der jeweili-gen Unterrichtskonstellation ergibt.

Formfokussierung propagiert eine – psycho-linguistisch begründbare – „integrative“ Vorge-hensweise, d. h. eine Verschmelzung von forma-len Zielsetzungen mit Parametern des kommuni-kativen Zugangs. Das unterscheidet Formfokus-sierung einerseits von Zugängen wie naturalapproach und Immersionsunterricht, die explizi-te Grammatikvermittlung für nicht lernrelevanterachten und so weit wie möglich ausklammern,und andererseits von traditionellen grammatik-orientierten Ansätzen, die Formaspekte außer-halb ihres Bedeutungs- und Verwendungszusam-menhangs betrachten.

Zentral dabei ist die selektive Aufmerksam-keit. Aufmerksamkeit wird als jener Mechanis-mus gesehen, der den äußeren Sprachkontextmit der Kognition der Lernenden verbindet. UmLernprozesse zu generieren, müssen (neue)Sprachelemente in mehr oder weniger expliziterForm in den Aufmerksamkeitsfokus gelangen.

In der so genannten noticing-Hypothese wirddieses Aufmerksamwerden hinsichtlich zweierFunktionen beschrieben. Der Prozess helfe Ler-nenden,• Merkmale des Inputs zu „bemerken“, die

sonst ignoriert würden,• „die Diskrepanz zu bemerken“ zwischen

– ihren eigenen nichtzielsprachenkonformen,aber von der Aussage her vollständigen Äußerungen,

– ihren intendierten, im Sprechplanstadiumbefindlichen und aufgrund beschränktersprachlicher Mittel nicht realisierten Äußerungen

– und dem, was für sie in den Produktionenkompetenterer Sprecher in ihremLernumfeld als Vergleichsbasis verfügbar ist.

Dabei ist nicht von einer Dichotomie zwischensehr bewusster und beinahe unbewussterSprachverarbeitung auszugehen. Nachvollzieh-bar erscheint hingegen ein Aufmerksamkeits-kontinuum, das vom fast unterschwelligen

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Formfokussierung als fremdsprachendidaktisches Konzept38

Wahrnehmen von sprachlichen Oberflächen-merkmalen bis zum – auch abstrakten, meta-sprachlich gefassten – Verstehen von grammati-schen Regeln reicht.

In der Umsetzung im Unterricht ist Formfo-kussierung durch folgende idealtypische Merk-male charakterisiert, die sich unter realen Unter-richtsbedingungen freilich nicht immer zurGänze umsetzen lassen:• „Aufmerksamkeit auf Form erfolgt im Rahmen

einer kommunikativen Zielsetzung.“ Dies istdas Kernaxiom des Formfokussierungs-Konzepts. Die Formfokussierung wird sogelenkt, dass dabei (möglichst) kein Bruch mitdem Verstehen, Aushandeln oder Produzierenvon Bedeutung entsteht. Dadurch soll erreichtwerden, dass die Lernenden ihre Aufmerk -sam keit kurzzeitig – und möglichst simultan –der Form, der Bedeutung und dem Gebraucheines Sprachelements innerhalb eines kogniti-ven Ereignisses zuwenden.

• „Die Behandlung des Formaspekts geht mög-lichst kurz und unaufdringlich vor sich.“ Diesist eine Spezifizierung des ersten Aspekts,wobei Folgendes angenommen wird: Je weni-ger eine didaktische Intervention die Makro -prozesse von Sprachverstehen und Sprach -pro duktion beeinträchtigt, desto höher ist dieWahrscheinlichkeit, dass die neue linguisti-sche Information in die Lernersprache inte-griert wird.

• „Die Formfokussierung kann zufällig (reaktiv)oder geplant (proaktiv) erfolgen.“ Idealtypischist die Formfokussierung reaktiv, d.h. die

Verlagerung der Aufmerksamkeit von derBedeutung bzw. deren Aushandlung zumFormaspekt sollte nur als (möglichst sponta-ne) Reaktion auf im Unterricht auftauchendeProbleme in Rezeption oder Produktion erfol-gen. In der Praxis erweist sich diese Vorgangs -weise nicht in allen Fällen als praktikabel: – Sie impliziert eine eher extensive Behand -

lung oder überhaupt Vernachlässigung vonFormaspekten.

– Zahlreiche Formfokussierungstechnikensind relativ elaborierte Verfahren und des-halb nicht spontan erstell- bzw. durchführ-bar.

Lernszenarien und VermittlungstechnikenAusgehend von der äußerst gerafften Darstellungdes theoretischen Hintergrunds und der metho-disch-didaktischen Spezifik werden nun im Rah-men von drei verschiedenen Lehr- / Lernszena-rien Formfokussierungstechniken präsentiert (s. Tabelle 1). Aufnahme finden nur solche Aufga-ben, die die Fokussierung auf Form und Bedeu-tung / Gebrauch integrieren. Das bedeutet, dasskeine Prozeduren berücksichtigt werden, dieausschließlich isolierte metalinguistische Infor-mation präsentieren. Wichtig ist außerdem,darauf hinzuweisen, dass • keine der angeführten Aufgabenformen und

Techniken garantieren kann, dass dieLernerinnen und Lerner auf die intendierteForm aufmerksam werden bzw. Erwerbspro -zesse stattfinden, und

• zahlreiche der Formfokussierungs-Technikenin Kombination miteinander eingesetzt wer-den können.

Die einzelnen Techniken werden nach dem Auf-merksamkeitskontinuum eingeteilt. Es gibt an,wie sehr der durch ein bestimmtes Verfahrenausgelöste Prozess selektiver Aufmerksamkeitden Kommunikationsfluss unterbricht. Die Tech-niken der Formfokussierung werden also nachdem Grad ihrer kognitiven „Aufdringlichkeit“kategorisiert (vgl. Abb. 1).

Die einzelnen Techniken werden in unter-schiedlicher Ausführlichkeit hinsichtlich ihrerSpezifik bzw. ihres didaktischen Potentialsbeschrieben und an Beispielen veranschaulicht.

Implizites LernenZentral für das Sprachlernen in diesem Szenarioist eine inhalts- und inputbasierte (Immersion)Lernumgebung, die ein qualitativ (Verständlich-keit) und quantitativ (Frequenz) adäquates

Lehr- / Lern- Formfokussierungs-Technik unaufdringlich aufdringlichszenario

Implizites Inputflut

Lernen Interpretationsaufgaben

Grammatik kreativ

Implizites Inputintensivierung

Lernen Bedeutungsaushandlung

unter Auf- Reformulierungen

merksamkeit Interaktionsoptimierung

Community Language Learning

Dictogloss

Grammatisierungs-Aufgaben

Explizites SprachbewusstheitsförderndeLernen Aufgaben

Verarbeitungsanleitung

Grad der kognitiven Aufdringlichkeit der didaktischen Intervention

Abb. 1: Grad der kognitiven Aufdringlichkeit der didaktischen Intervention (Schifko 2007, 141)

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Sprachangebot bereitstellt. Je häufiger undintensiver die Lernenden in natürlichen, bedeu-tungsbezogenen Sprachkontakt (und -gebrauch)involviert sind, desto schneller und effizienterwird die Zielsprache erworben. Die Entwicklungeiner regelgeleiteten Sprachverwendung ergibtsich (weitgehend) von selbst.

Im Formfokussierungs-Konzept werden Tech-niken und Verfahren empfohlen, die daraufabzielen, die Lerneraufmerksamkeit möglichstimplizit und unaufdringlich auf bestimmteSprachelemente zu lenken und die kognitive Ver-arbeitung dieser Sprachformen zu unterstützen –ohne explizite Anleitung, auf welche Weise undzu welchem Zeitpunkt dies gemacht werden soll.

Die folgenden drei Techniken lassen sich dem impliziten Lernen zuordnen: „Inputflut“,„Interpretationsaufgaben“ und „Grammatikkreativ“.

InputflutDie impliziteste und damit unaufdringlichsteFormfokussierungstechnik überhaupt wird als„Inputflut“ bezeichnet. Sie besteht darin, schrift-liches oder mündliches Inputmaterial in ausrei-chendem Maß mit der zu fokussierenden ziel-sprachlichen Form anzureichern und dadurchdie Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass diese imInput bemerkt wird.

In der Unterrichtspraxis muss wahrscheinlichfür einen Großteil der heutzutage vorherrschen-den Unterrichtskonstellationen die Aufgabe derTextauswahl bzw. der Anreicherung in Bezug aufeine bestimmte zielsprachliche Form nicht mehrvon den Lehrenden selbst geleistet werden. ImNormalfall enthalten die für ein bestimmtesKursniveau ausgewählten Lehrwerke, Lerner-grammatiken etc. bereits in genügendem Maßentsprechend didaktisiertes Lese- oder Hörma-terial. Allerdings könnte die Aufgabe des / derUnterrichtenden darin bestehen, zusätzlichesInputmaterial zu erstellen und dadurch die Vor-kommenshäufigkeit der in den Fokus genomme-nen Form noch weiter zu erhöhen. Dabei ist essicher empfehlenswert, auf weitgehend authen-tische Texte zurückzugreifen und diese soweit zumodifizieren, dass die zu fokussierende Formdeutlich häufiger als im Originaltext auftritt,jedoch die Authentizität des Textes bzw. der Text-sorte weitgehend erhalten bleibt und der struk-turelle und lexikalische Schwierigkeitsgrad desTextes insgesamt nur geringfügig über demSprachniveau der Lernenden liegt.

Um mit knapper Unterrichtszeit effizient umzu-gehen, erscheint es naheliegend, auch bei Ver-wendung der Inputflut-Technik den Rezeptions-prozess etwas genauer zu steuern bzw. die Auf-merksamkeit der Lernenden auf für den Erwerbanstehende Sprachformen zu lenken. Dies kanndurch verschiedene textbezogene Übungen undAufgaben passieren, so z.B. durch Verständnis-fragen, deren richtige Beantwortung die bewuss-te Wahrnehmung einer bestimmten Form impli-ziert.

Eine andere Form von Aktivität ginge in dieRichtung, dass man die Aufmerksamkeit der Ler-nenden so lenkt, dass es ihnen gelingt, auf einernoch allgemeineren Ebene bestimmte Form-Bedeutungs-Verbindungen zu entdecken. Wasdamit gemeint ist, demonstriere ich an einer

Abb. 2: Inputflut. Buchseite aus: em neu (Perlmann-Balme / Schwalb © Hueber Verlag 2008, 147)

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m. E. gelungenen Übungssequenz aus einemDeutsch-Mittelstufenlehrwerk (vgl. Abb. 2). Zueinem relativ anspruchsvollen Text zum Thema„Autonavigation“ werden zunächst Leseverste-hens- und Wortschatzübungen durchgeführt,damit die Lernenden den Text inhaltlich erfas-sen. Daran schließt sich dann folgender Auftragan: „Unterstreichen Sie im Text alle Konstruktio-nen, die ausdrücken, dass etwas ‚gemacht wer-den kann‘.“

Sogenannte Foto-Hörgeschichten könnte man als auditive

Inputflut charakterisieren.

Diese Übung ist eine unaufdringliche, impli-zite Methode, die Lernenden auf die zahlreichen,z. T. formal komplexen Alternativen, die dasDeutsche für das „modale Passiv“ bereithält, auf-merksam zu machen. Die lernersprachlicheBereit schaft vorausgesetzt, können die Lernen-den auf diese Weise erste, sicher noch unvoll-ständige Form-Bedeutungs-Verbindungen fürdiese Sprachelemente herstellen, ohne sich mitmetalinguistischer Terminologie auseinanderset-zen zu müssen und ohne in die meist überfor-dernde Situation versetzt zu werden, dass dieseFormen sofort in einer produktiven Übung zuverwenden sind.

Sogenannte Foto-Hörgeschichten, wie sie imneueren Deutsch-Grundstufenkurs Schritte (vgl.z.B. Bovermann et al. 2004) als fixer Bestandteilfür den Lektionseinstieg eingesetzt werden,könnte man als auditive Inputflut charakterisie-ren. Dabei wird eine aus ca. acht bis zwölf diffe-renzierbaren Hörszenen bestehende Alltagsge-schichte mit aussagekräftigen Fotos unterlegt. Inder Hörgeschichte werden die in der Lektion zufokussierenden neuen Sprachformen mit gering-fügig erhöhter Vorkommenshäufigkeit (vergli-chen mit „echten“ Dialogen) ausreichend kon-textualisert eingeführt, der Verstehensprozesswird durch vorentlastende Techniken sowie visu-elle Information unterstützt.

Bei dem Versuch, Lese- oder Hörmaterialienim Sinne der Inputflut-Technik mit Beispiel-Itemsder in den Fokus zu nehmenden Form anzurei-chern, kann man natürlich Gefahr laufen, dass dieTexte durch „Überladung“ ihre Textsorten-Typikverlieren und schließlich für die Rezipientenunauthentisch und konstruiert wirken. Hier sollteman bei allem didaktischen Enthusiasmus nichtübersehen, dass Sprache primär nicht Formen,sondern Inhalte transportieren soll.

InterpretationsaufgabenBei Interpretationsaufgaben wird davon ausge-gangen, dass das Verstehen für den Spracher-werb zunächst wichtiger ist als die Sprachpro-duktion. Die erzwungene Produktion einer ebenerst gelernten Struktur (wie im „Präsentieren-Üben-Anwenden“-Modell angelegt) kann sichals kontraproduktiv erweisen, wenn die mit demSchreiben oder Sprechen verbundene kognitiveAnstrengung die Lerneraufmerksamkeit davonabhält, zu verstehen, wie die neue Struktur hin-sichtlich ihres Form-Funktions-Zusammenhangsüberhaupt funktioniert.Im deutschsprachigen Kontext hat sich u. a.Portmann-Tselikas (2003) für eine stärkereRezeptionsorientierung des Grammatikunter-richts ausgesprochen. Er betont, dass die Regel-präsentation im rezeptiven Grammatikunterrichtüber – wie er es bezeichnet – „Minimalpaare“auch „direkt, kontextlos und zugespitzt möglich[ist], sodass ohne Umschweife auf die (vorsichti-ger ausgedrückt: auf eine) entscheidendesemantische Leistung einer grammatischenForm aufmerksam gemacht werden kann.“ (Port-mann-Tselikas 2003, 23; H.i.O.). Durch die Mini-malpaar-Methode könne man sowohl formalähnliche, aber funktional deutlich divergenteWortformen oder Konstruktionen, als auchumgekehrt formal unähnliche, aber sich in derBedeutung nahe stehende Strukturelemente auf

Abb. 3: Interpretationsaufgabe. Buchseite aus: Schritte 2 (Bovermann e t al. © Hueber Verlag 2004, 95)

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höchst konzentrierte Weise in den Aufmerksam-keitsfokus der Lernenden rücken.

Die Aufgabe in Abbildung 3 ist eine auf Mini-malpaar-Zuschnitt reduzierte Interpretations-aufgabe. Sie soll den Lernenden ermöglichen, zuerkennen, wie Ort und Richtung in Phrasen mitlokalen Präpositionen formal sehr unterschied-lich ausgedrückt werden.

Es empfiehlt sich, formal und funktionalkomplexe, neu zu lernende Formen auf diese Artund Weise einzuführen und wiederholt zu prä-sentieren. Erst wenn bei der Auswertung derÜbungen evident wird, dass Restrukturierungs-prozesse in der lernersprachlichen Grammatikstattgefunden haben, sollten stärker produktivorientierte Aufgaben eingesetzt werden.

Grammatik kreativBei „Grammatik kreativ“ (Gerngroß / Krenn /Puchta 1999) handelt es sich m. E. um ein ausge-sprochen implizites Verfahren, da im Vermitt-lungsablauf weder explizite Regelerklärungennoch metasprachliche Terminologie vorkommenund auch zu keinem Zeitpunkt verlangt wird,dass sich die Lernenden mit dem Input oderauch mit ihren Produktionen metakommunika-tiv beschäftigen.

Zentral für den lerntheoretischen Hinter-grund von „Grammatik kreativ“ ist die Annahme,dass im Fremdsprachenerwerb implizites gram-matisches Wissen nicht durch bewusst gelernteRegeln, sondern über das Speichern von vorge-fertigten, modellhaften und zum Auswendigler-

nen geeigneten Sequenzen erworben wird. Einenotwendige Bedingung für die lerneffizienteBündelung von Einheiten zu solchen Sprachbau-steinen (chunks) ist dabei die Herstellung einesBedeutungs- oder Situationsbezugs.

Wie jede Einheit beginnt auch die Sequenzzum „Konjunktiv I / II der Indirekten Rede“ miteiner Phase, die „thematische Einstimmung“genannt wird (vgl. Abb. 4). Sie verfolgt denZweck, die Lernenden zunächst affektiv zu invol-vieren und ist rein bedeutungsbezogen, d. h. dieZielstruktur wird nicht angesprochen bzw.kommt in manchen Einheiten in dieser Phase im

Eine notwendige Bedingung für die lerneffiziente Bündelung von Einheiten

zu solchen Sprachbausteinen (chunks) ist dabei die Herstellung eines Bedeutungs-

oder Situationsbezugs.

Input überhaupt nicht vor. Die affektive Anspra-che erfolgt meistens über eine Präsentation odereinen Austausch von Informationen in Form vonDaten, Meinungen, Einstellungen, Vorlieben etc.,die die Lehrkraft und / oder die Lernenden alsPerson betreffen – wie auch das gewählte Bei-spiel zeigt.

Nachdem in Phase A der pragmatische Rah-men für die Zielstruktur abgesteckt worden ist,wird die Struktur in Phase B (vgl. Abb. 5) ineinem Modelltext präsentiert. Im konkreten Fallgeschieht dies über ein sog. „Laufdiktat“, d. h.die Lernenden müssen sich den Text sowohl

unter kognitiver als auch physischer Anstren-gung erarbeiten. In dieser Einheit ist das Lauf-diktat die Methode, die das Memorisieren der

Abb. 4: Thematische Einstimmung. Aus: Grammatik kreativ(Gerngroß / Krenn / Puchta 1999, 71)

Abb. 5: Präsentation und Rekonstruktion des Modelltextes.Aus: Grammatik kreativ (Gerngroß / Krenn / Puchta 1999, 72)

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Zielstruktur als unanalysierte lexikalische Einheitermöglichen soll. In einer dritten Phase schreiben die Lernendeneigene, ihre persönliche Erfahrungswelt reflek-tierende Texte, wobei sie sich weitgehend an dieStruktur des vorweg erarbeiteten Modelltexteshalten. Ich halte die „Grammatik kreativ“-Technik ausfolgenden Gründen für sehr kompatibel mitFormfokussierung:• Im Unterschied zu vielen anderen Lern- und

Übungsszenarien (in Lehrwerken, Übungs-grammatiken und Zusatzmaterialien) gelingtes in den meisten Einheiten, auf verschieden-artige, meist originelle Weise jene Konstel -lation herzustellen, die wir oben als für denFormfokussierungs-Zugang konstitutiv be -zeichnet haben: nämlich, dass die Lerner au f -merksamkeit simultan auf Form, Be deu tungund Gebrauch eines Sprachelements gerichtetist. Somit wird das Zusammenspiel dieser dreiAspekte für die Lernerkognition innerhalbeines kognitiven Ereignisses erfahrbar.

• Durch die Kürze, Kompaktheit und den star-ken Bedeutungsbezug der Modelltexte, sowieder eigenen zu produzierenden Texte, ist, fallserforderlich, eine beiläufige Form fokus sie -rung ganz im Sinne der einleitenden Merk-malsbeschreibung möglich (s. oben).

• Schließlich reduzieren die obengenanntenMerkmale auch die Gefahr, dass der Auto-matisierungsversuch über Produktion (einpotentieller Kritikpunkt an „Grammatik krea-tiv“) die Lernenden kognitiv überfordert und /oder emotional frustriert.

Implizites Lernen unter AufmerksamkeitDieses Szenario ist das Herzstück des Formfo-kussierungskonzeptes, da hier eine Verbindungzwischen explizitem Lernen und implizitem Wis-sen / Können für möglich und unter bestimmtenBedingungen auch für lernfördernd erklärt wird.Ziel dieses Zugangs ist es, durch die (die Lerner-aufmerksamkeit auf sich ziehende) Beschaffen-heit des Inputs, der Aufgabenstellung oder desFeedbacks, zu ermöglichen, dass der Sprachlern-als nicht vom Sprachgebrauchsprozess getrenntwahrgenommen wird.

Folgende Verfahren können als Umsetzungendieses Zugangs betrachtet werden: „Inputinten-sivierung“, verschiedene Formen und Szenarien„interaktionalen Feedbacks“, die „Dictogloss“-Prozedur und sogenannte „Grammatisierungs-Aufgaben“.

InputintensivierungInputintensivierung ist ein Verfahren, ausge-wählte zielsprachliche Elemente in Lesetextendurch verschiedene Formen der graphischenManipulation wie Fettdruck, Unterstreichen,Unterlegung mit Farbe etc. so auffällig zu prä-sentieren, dass sie von den Lernenden leichterwahrgenommen und verarbeitet werden kön-nen. Diese Technik ist noch immer relativ impli-zit und kognitiv unaufdringlich, da sie einfachFormen perzeptuell auffälliger macht, ohne dieLernenden darauf festzulegen, wie sie den Inputverarbeiten sollen.

Inputintensivierung ist somit eher eine Tech-nik der Grammatikpräsentation als eine Aufga-benstellung – ähnlich dem, was man unter „Sig-nalgrammatik“ versteht – allerdings mit demUnterschied, dass die visuellen Hervorhebungenimmer kontextualisiert sind (zumindest auf Satz-, meistens aber auf Textebene; vgl. Abb. 6).

Interaktionales Feedback Im Zentrum einer weiteren Gruppe von Formfo-kussierungs-Techniken steht die Art und Weise,wie im Unterricht mit fehlerhaften Lerneräuße-rungen umgegangen werden soll. Es handelt sichdabei nicht um Aufgabenstellungen im her-kömmlichen Sinn, sondern um interaktionaleTechniken der mündlichen Fehlerbehandlungbzw. -korrektur. In der „Interaktionshypothese“wird das unmittelbare Zusammenwirken vonInput, Interaktion und Output für den Sprach-lernprozess als besonders relevant erachtet.

Bedeutungsaushandlung und / oderReformulierungen sind Prototypen für

reaktive Formfokussierung.

Bedeutungsaushandlung und / oder Reformulie-rungen sind Prototypen für reaktive Formfokus-sierung, d. h. die Behandlung des Formaspektserfolgt spontan als Reaktion auf nicht zielspra-chenkonforme Lerneräußerungen oder Ver-

Abb. 6: Inputintensivierung Personalpronomen. Aus: Tangram 2Kursbuch © Hueber Verlag, 2000, 22

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ständnisschwierigkeiten im Rahmen bedeu-tungsbezogener Kommunikation.

Speziell dem Korrekturtyp „Reformulierung“(d.h. eine Reaktion auf eine fehlerhafte Äuße-rung, die diese in Richtung Zielsprachenadä-quatheit wiederholend korrigiert, ohne dabei dieSemantik der ursprünglichen Äußerung massivzu beeinträchtigen) als kurzem, stark fokussier-tem Feedback wird bei der Formfokussierunglernwirksames Potential zugesprochen.

„Interaktionsoptimierung“ und „CommunityLanguage Learning“ sind zwei relativ elaborierte,aufgabenorientierte Verfahren, in denen daserwerbsfördernde Potential von korrigierendemFeedback im Rahmen interaktiver, bedeutungs-bezogener Kommunikation genutzt wird (vgl.Schifko 2007).

DictoglossEine Möglichkeit, Formfokussierung und bedeu-tungsbezogene Kommunikation miteinander zuverbinden, ist der Einsatz kooperativer Aufga-ben. Sie verlangen von den Lernenden, sichintentional und gemeinschaftlich auf die rezepti-ve und produktive Verarbeitung von Sprache ein-zulassen. Eine relativ weit verbreitete Methode,eine solche gemeinschaftliche Lernsituation herzustellen, ist der Einsatz der „Dictogloss“-Prozedur.

Dieser Form von „forcierter“ Produktion (vgl.Westhoff, S. 12) werden mehrere, dem Spracher-werb förderliche Funktionen zugeschrieben.Speziell die metalinguistische Funktion vonSprachproduktion wird als spracherwerbsrele-vant hervorgehoben. Beim kooperativen Rekon-struieren des Textes – der strukturell ja so konzi-piert sein sollte, dass mit möglichst großer Wahr-scheinlichkeit bestimmte grammatische Phäno-mene benutzt werden – bemerken die Lernen-den, was sie produzieren können und wo sieSchwierigkeiten haben. Um einen möglichst

kohärenten und grammatisch korrekten Text zuerhalten, müssen die Lernenden diese Defizitemetakommunikativ thematisieren: D.h. sie müs-sen ihre divergierenden Lösungsvorschläge – inmanchen Fällen eventuell unter Einbeziehungvon metasprachlicher Terminologie und/oderRegelerklärungen – miteinander sprachlich aus-handeln.

Grammatisierungs-AufgabenThornbury (2001) präsentiert einen Aufgabentyp,der darauf abzielt, die Lernenden – ähnlich wiebeim Dictogloss – zu einer verstärkt syntaktischenVerarbeitung anzuregen. Die Grundannahme ist,dass persönliche Alltagskommunikation oft fastnur lexikalisch und weitgehend grammatiklos ist.Ein Mehr an Grammatik wird benötigt, wenn esgilt, verschiedene Formen von Distanz zu über-brücken und dadurch die Möglichkeit von Miss-verständnissen in der Kommunikation gering zuhalten. Thornbury zufolge grammatisiert man, ummindestens folgende Distanzen zu überbrücken:• räumlich-zeitliche Distanz: Wenn wir uns aus

dem unmittelbaren Raum-Zeit-Kontext(„hier“, „jetzt“, „wir“) hinausbewegen in einenräumlich und zeitlich nicht-präsentischenKontext („dort“, „damals/dann“, „sie“), benö-tigen wir ein Mehr an Grammatik.

• kognitive Distanz: Um auszudrücken, dassein Sachverhalt nur hypothetisch, irreal oderein Wunsch ist, ist es z.B. im Deutschen not-wendig, über verschiedene Formen undBedeutungen des Konjunktiv II zu verfügen.

• soziale Distanz: Vertrautheit und sozialeGleichrangigkeit („du“) ermöglichen oftKommunikation in sprachlich reduzierter(lexikalischer) Form. Fehlt diese Vertrautheitund/oder besteht zwischen den Kommuni -kationspartnern ein deutlicher Unterschied inder sozialen Rangordnung, erfordert dieseKluft ebenfalls ein Mehr an Grammatik („Sie“).

• Ein kurzer, informationsdichter Text (ca. 50-100 Wörter, je nach Niveau), der die zu erwerbenden zielsprachlichen Formengehäuft aufweist (z.B. regelmäßige und unregelmäßige Präteritumformen in einem Narrativ), wird den Lernenden in normalerLesegeschwindigkeit zweimal diktiert.

• Beim ersten Mal hören die Lernenden nur zu, um den Inhalt des Textes zu erfassen. Beim zweiten Vorlesen (keine übliche Dik-tatgeschwindigkeit, nur zwischen den Sätzen werden kurze Pausen von 3 – 4 Sekunden gemacht) notieren die Lernenden soviele Wörter und Phrasen (Inhaltswörter) wie möglich. Am Ende des Diktat-Stadiums haben sie eine Anzahl isolierter Wörteroder Wortgruppen notiert, die insgesamt einen sehr inkohärenten Text ergeben.

• In Kleingruppen legen sie ihre Textfragmente zusammen und bemühen sich, eine möglichst korrekte Version des Originaltexteszu erstellen. Jede Kleingruppe erarbeitet ihre eigene rekonstruierte Version. Ziele sind grammatische Richtigkeit und Textkohä-renz, nicht aber die genaue Nachbildung des Originaltextes.

• Die verschiedenen Versionen werden analysiert und verglichen, und die Kleingruppen optimieren ihre Texte im Lichte gemeinsa-mer Diskussion und Überprüfung.

Die Standardvariante der „Dictogloss“-Prozedur wird folgendermaßen durchgeführt:

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Ein typisches Beispiel für eine solche Grammati-sierungs-Aufgabe wäre, im Kontext einer klarfestgelegten Kommunikationssituation stich-wortartige Notizen zu einem kohärenten Textauszubauen (vgl. Abb. 7) – was erfordert, dassein- und derselbe Mitteilungsinhalt auf einersyntaktisch-grammatisch und lexikalisch höhe-ren Ebene nochmals versprachlicht wird. Dadiese Art von Aufgabe bereits einige Textsorten-kompetenz und Beherrschung von Registernvoraussetzt, ist ihr Einsatz eher erst auf höherenNiveaustufen zu empfehlen bzw. überhauptmöglich.

Explizites LernenIm Kontext expliziten Lernens wird der Aufmerk-samkeit auf der Ebene des Verstehens von Regu-laritäten und strukturellen Zusammenhängenlernförderndes Potential zugeschrieben. In die-ser Ausprägung von Formfokussierung sind dieFormulierung von Regeln und metasprachlicheTerminologie legitimer Bestandteil des Unter-richts, solange dabei die Behandlung des Form-aspekts unter Aufrechterhaltung des Bedeu-tungsbezugs nicht aus dem Blick gerät. Die fol-genden Unterrichtsverfahren („Sprachbewusst-heitsfördernde Aufgaben“ sowie „Verarbeitungs-anleitung“) sind aufgrund ihrer Explizitheit undmetasprach lichen Orientierung eindeutig amexpliziten Ende des Formfokussierungs-Kontinu-ums anzusiedeln.

Sprachbewusstheitsfördernde Aufgaben Bei sprachbewusstheitsfördernden Aufgaben(consciousness-raising tasks) werden Lernendedazu aufgefordert, in der Zielsprache über gram-matikalische Phänomene zu kommunizieren.Der Inhalt der Aufgabe ist die Grammatik selbst:Die Lernenenden sprechen miteinander über dieKorrektheit bestimmter Sätze sowie über dieRichtigkeit einer Regel. Sie versuchen gemein-sam, deduktiv vorgegebene Regeln zu verstehenoder induktiv Regeln zu ermitteln und tauschenInformationen über Grammatik aus.

Bei der Auswahl der Fehler in dieser Aufgabe(vgl. Abb. 8) ist besonders darauf zu achten, dassdie Sätze nur solche Normverstöße enthalten, fürderen Reflexion und Korrektur die Lernendeninterimsprachlich schon bereit sind. Die zweifa-che Analyse der Fehler in Gruppen verschiede-ner Größe und Zusammensetzung soll gewähr-leisten, dass in ausreichendem Maß metasprach-licher Austausch (metatalk) abläuft.

VerarbeitungsanleitungDas Verfahren der „Verarbeitungsanleitung“ (pro-cessing instruction) zielt darauf ab, den Anteil anSprachaufnahme (intake) aus dem Sprachangebotdadurch zu erhöhen, dass die Merkmale von Auf-gaben in der Weise manipuliert werden, dass sichdie Anwendung der standardmäßigen Verarbei-tungsstrategie für die Bewältigung der Aufgabe alsnicht ausreichend effizient erweist (z.B. verwendenLernende mit L1-Englisch bei der Sprachverarbei-tung standardmäßig die Erste-Nomen-Strategie,die dem ersten Nomen oder Pronomen in einerÄußerung automatisch die Agens- oder Subjekt-Rolle zuweist. Diese Strategie kann aber für dieInterpretation und den Erwerb bestimmter Syntax-muster des Deutschen durchaus hinderlich sein).Diese Technik umfasst im Allgemeinen drei Stufen: ❶ Man erklärt den Lernenden den Zusammen-

hang zwischen der gegebenen Form und derdamit verbundenen Bedeutung (deduktiv-metasprachlich),

❷ man informiert sie über geeignete und weni-ger geeignete Verarbeitungsstrategien (deduk-tiv-metasprachlich),

❸ man ermöglicht ihnen mittels strukturierterInput-Aufgaben unter kontrollierten Bedin-gungen, die relevanten grammatischen Signa-le wahrzunehmen und dadurch qualitativbessere Form-Bedeutungs-Verbindungen her-zu stellen. Diese Input-Aufgaben sind implizit;sie ähneln den oben besprochenen Interpre-tationsauf gaben.

Abb. 7: Grammatisierungs-Aufgabe. Aus: ÖSD Modellsatz C1[online]

© Ö

SD

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Formfokussierung als fremdsprachendidaktisches Konzept 45

Meines Erachtens kann die Verarbeitungsanlei-tungs-Technik auch intralingual eingesetzt wer-den, z.B. wenn eine neu zu lernende L2-Regeleiner bereits früher erworbenen und eventuellbereits automatisierten widerspricht. Einanschauliches Beispiel für das Deutsche ist diegeänderte Grundfolge bei pronominalen (Akku-sativ vor Dativ: „Er hat ihn ihr gegeben.“) im Ver-gleich zu nominalen Kasusergänzungen (Dativvor Akkusativ: „Er hat der Kollegin den Kugel-schreiber gegeben.“). Damit die Pronomen-Regelerworben werden kann, ist es meiner Erfahrungnach notwendig, sie im Unterricht explizit undim Kontrast zur Nomen-Regel zu fokussieren.

SchlussbemerkungFormfokussierung kann verstanden werden alseine Zusammenstellung spezifischer Unter-richtstechniken mit dem Potential, dominante,systematische und hartnäckige L2-Lernschwie-rigkeiten in Angriff zu nehmen, für die rein kom-munikative und inputbasierte Unterrichtsszena-rien keine ausreichenden Lösungsansätze bie-ten. Eine bei Formfokussierung immer wiedergenannte, keinesfalls zu vernachlässigendeGrundbedingung für erfolgreichen Sprachunter-richt ist die lernersprachliche Bereitschaft: Ler-nende können nur solche Phänomene erlernen,für deren Erwerb sie psycholinguistisch bereitsind. Tendenziell empfiehlt die Formfokussie-rungs-Literatur eine eher die Rezeption betonen-de, implizite und reaktive Vorgangsweise.Spracherwerb beginnt über die Rezeption unddurch Implizitheit bleibt die Gefahr eines Bruchsmit der Bedeutung / dem Gebrauch von Sprach-formen gering. Explizitere und u.U. sogar meta-sprachliche Lehr- oder Lernformen sind demge-genüber eventuell dann angezeigt, wenn Lernen-

de Sprachformen erwerben sollen, die kommu-nikativ redundant und/oder perzeptuell unauf-fällig sind, denen formal und/oder funktionalkomplexe Regularitäten zugrunde liegen und dieein starkes Kontrastverhältnis zur Mutterspracheder Lernenden aufweisen bzw. in dieser über-haupt nicht vorhanden sind.

LiteraturGerngroß, Günter & Puchta, Herbert: Creative Grammar

Practice. Longman: Harlow 1992. Österreichisches Sprachdiplom Deutsch. Modellsatz C1.

[online] http://www.osd.at/modellpruefungen/mpC1OD.asp (zuletzt eingesehen 27.10.2007)

Schifko, Manfred: „Fokus-auf-Form“ als fremdsprachendi-daktisches Konzept – psycholinguistische Modellie-rung und Taxonomie von Unterrichtstechniken. (Diss.Universität Graz 2007).

Mehr Literatur zu diesem Thema s. S. 60.

Anmerkungen1 Als zuverlässige Regel im Deutschen kann z.B. gelten,dass der Komparativ durch Anhängen der Endung -er andas Adjektiv gebildet wird. Diese Regel hat zudem einegroße Reichweite, da sie für fast alle steigerbaren Adjektivegilt. Im Falle von Regeln mit geringer Reliabilität (d.h. esgibt sehr viele Ausnahmen) und geringer Reichweite (d.h.die Anzahl der Sprachelemente, auf die sie angewendetwerden kann, ist niedrig) wird neuerdings empfohlen, diedamit verbundenen Sprachphänomene ohne Regelformu-lierung als gesamthafte Einheiten (chunks) zu vermittelnbzw. lernen zu lassen, da die Anwendung unproduktiverRegeln zu falschen „Regelübertragungen“ führen kann.

VorbereitungWählen Sie aus Texten Ihrer Lerner / -innen 10 bis max. 14 Sätze aus, die für Ihre Gruppetypische und repräsentative Fehler enthalten (aber nicht mehr als 1 – 2 Fehler pro Satz).Schreiben Sie die Hälfte der unkorrigierten Sätze auf das Arbeitsblatt „Team 1“, die andereHälfte auf das Arbeitsblatt „Team 2“.Schreiben Sie dann die korrekte Version der auf Blatt 1 stehenden fehlerhaften Sätze aufBlatt 2 und umgekehrt. Auf jedem Blatt sollten die richtigen und falschen Sätze gutgemischt sein.

Verlauf1. Bilden Sie Großgruppen (6 – 8 Lerner /-innen) und teilen Sie jede Gruppe jeweils in

Team 1 und Team 2 auf. Die beiden Teams arbeiten (auch räumlich) getrennt voneinan-der. Verteilen Sie die Arbeitsblätter und bitten Sie jedes Team zu entscheiden, welcheSätze auf seinem Blatt korrekt und welche falsch sind.

2. Verfolgen Sie die Diskussion der Lernenden, aber greifen Sie nicht ein. Geben Sie kei-nerlei Hilfestellungen, denn andernfalls funktioniert die Übung nicht mehr.

3. Wenn die Mehrzahl der Gruppen die Sätze besprochen hat, lassen Sie die vorher inTeam 1 und Team 2 aufgeteilten Gruppen wieder zusammenkommen. Jede dieserGroßgruppen bekommt nun den Auftrag, die Fehlersätze nochmals zu diskutieren bzw.die in den Kleingruppen getroffenen Entscheidungen zu vergleichen. Anschließendschreibt jede Großgruppe die ihrer Meinung nach fehlerlosen Sätze auf ein großes Pla-kat. Die Gruppen sollten alle ungefähr gleichzeitig fertig werden und danach ihr Plakatnebeneinander an eine Pinnwand heften (evtl. mit den Namen der Gruppenmitglieder).

4. Jetzt beginnt die Plenumsphase, in der die Resultate der Großgruppen verglichen unddiskutiert werden; der/die Lehrende leitet nun die Diskussion, bewertet die Ergebnisseund erklärt – falls erforderlich – die Regeln.

5. Abschließend erhält jede/r ein Lösungsblatt, auf dem die Fehlersatzpaare einander kon-trastiv gegenübergestellt sind und aus dem klar hervorgeht, welche Sätze falsch bzw.richtig sind.

NachbereitungLassen Sie die Plakate einige Zeit im Kursraum hängen; waren die gewählten Fehlersätzerepräsentativ, werden diese Fehler im Kursgeschehen sicher wieder vorkommen und mankann dann darauf verweisen.

Fehleranalyse in Teams

Abb. 8: Sprachbewusstheitsfördernde Aufgabe „Fehleranalyse“ (adaptiert nach Rinvolucri/Davis 1999, 65)

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Was ist individuelleSprachlernberatung?Allgemeines Ziel von Sprachlernberatung ist es,Lernende in ihrem Fremdsprachenlernen ineiner Reihe von Lernumgebungen inner- undaußerhalb von institutionellen Kontexten zuunterstützen, sodass sie Verantwortung für deneigenen Lernprozess übernehmen und für sieeffiziente Lernwege entwickeln können. Beratererreichen dieses Ziel, indem sie Lernenden hel-fen, Fähigkeiten zu entwickeln, um

• eigene Lernziele und -gegenstände zu bestimmen,

• Lernstrategien, Materialien und sozialeArbeitsformen auszuwählen,

• sich ihre Motive und Einstellungen zumLernen bewusst zu machen,

• ihre Fortschritte zu verfolgen, ihre Ergebnissezu evaluieren und

• dabei Motivation und Selbstwirksamkeit1

aufzubauen.

In der fremdsprachendidaktischen Fachliteratur wird häufig – abgeleitet aus lerntheoretischen Vor-stellungen – ein Wandel der Lehrerrolle gefordert. Die Lehrkraft sollte weniger instruieren, son-dern vielmehr als Berater/-in, Coach, Mediator/-in oder Lernhelfer/-in tätig sein. Eine konsequenteWeiterentwicklung bietet die individuelle Sprachlernberatung. Der folgende Beitrag diskutiert, obund wie sich eine Sprachlernberatung überhaupt im schulischen Kontext realisieren lässt.

Von Karin Kleppin und Grit Mehlhorn

© Getty Images / Riser

Sprachlernberatung im schulischen Kontext

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Von welchen Erkenntnissen geht individuelle Sprachlernberatung aus?Individuelle Sprachlernberatung geht nicht voneiner einzigen Lerntheorie aus, sondern beziehtsich vielmehr auf Erkenntnisse und Untersu-chungen im Bereich der Sprachlehr- und -lern-forschung und der Fremdsprachendidaktik, diesich zum Teil auch auf unterschiedliche Philoso-phien, Wissenschaftsdisziplinen, Theorien undAnnahmen stützen. Das soll an einigen Punktenerläutert werden. So ist z.B. die Art, wie Fremd-sprachen gelernt werden, durch eine Vielzahlvon persönlichen Komponenten beeinflusst, dieindividuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sind.Dazu gehören u.a.: • Interesse am Sprachenlernen allgemein,• Einstellung zur jeweiligen Fremdsprache, dem

Zielsprachenland und seinen Sprechern,• Sprachbewusstheit (auch in Bezug auf die

eigene Muttersprache),• bisherige Sprachlernerfahrungen,• Neugier, Ängstlichkeit, individueller Lernstil.

Individuelle Lernerfaktoren sind nicht nur inner-halb einer Gruppe, sondern auch innerhalb einerPerson als dynamisches Geflecht zu betrachten,z.B. können Bedarf und Bedürfnisse, Motivationund Ziele von Fremdsprache zu Fremdsprache,chronologisch oder auch in Abhängigkeit vonder Lernumgebung variieren. Im Fremdspra-chenunterricht ist es fast nicht möglich, all die-sen Faktoren und ihren Ausprägungen bei jedemeinzelnen Lernenden Rechnung zu tragen. SelbstVerfahren der Binnendifferenzierung, z.B. überSozialformen, Projektarbeit und Arbeit an Statio-nen, gehen in der Regel von Vermutungen derLehrenden über ihre Schüler aus – u.a. in Bezugauf gemeinsame Interessen, unterschiedlicheTalente innerhalb einer Klasse oder ähnlicheLernniveaus – jedoch nicht von den tatsächli-chen individuellen Unterschieden. Ein direktesEingehen auf persönliche Eigenschaften, Einstel-lungen und Sichtweisen der einzelnen Lernen-den, das nicht nur auf Vorannahmen der Lehr-person beruht, sondern den einzelnen Schüler inseinem gesamten Kontext wahrnimmt, ist eherin einer individuellen Sprachlernberatung mög-lich.

Weitere wissenschaftliche GrundlagenSprachlernberatung berücksichtigt weiterhinErkenntnisse aus der humanistischen Psycholo-gie, z.B. die Einsicht, dass Menschen die Lösungfür ihre Probleme in sich tragen. Eine struktu-

rierte Beratung kann es dem Lernenden alsoermöglichen, zu einem Verständnis seiner selbstzu gelangen und aufgrund dieser neuen Orien-tierung positive Schritte zu unternehmen.Sprach lernberater/-innen arbeiten mit Ge sprächs-techniken aus der Kommunikationspsychologie(vgl. Bachmair et al. 1999) wie dem Aktiven Zu -hören, dem Spiegeln und bestimmten Fragetech-niken. Im Folgenden drei Beispiele dafür:❶ Beraterin: „Wenn ich dich richtig verstanden

habe, Pierre, fühlst du dich wohler, wenn dunur zuzuhören brauchst. Wenn du etwassagen sollst, hast du Angst, Fehler zu machen.Und das verunsichert dich.“

❷ Beraterin: „Halja, du findest, dass dein Aufsatz‚ganz schrecklich‘ ist, obwohl du sehr dafürgelobt wurdest. Was ist denn für dich ein guterAufsatz?“

❸ Agnieszka: „Mein Bruder hat gesagt, dass maneine Sprache nur im Ausland richtig lernt.“Beraterin: „Dein Bruder?“

Im ersten Beispiel paraphrasiert die Beraterinmit ihren eigenen Worten, wie sie die Ausführun-gen des Schülers verstanden hat und „spiegelt“ihm ihre Sichtweise, was Pierre ermöglichen soll,seine Situation aus einer anderen Perspektive zusehen. Im zweiten Beispiel konfrontiert die Bera-terin eine Schülerin mit deren Selbsteinschät-zung, die in großem Widerspruch zur Fremdein-schätzung durch die Lehrerin steht. Ziel ist es,Halja deren eigene Kriterien bewusst zu machen,sodass sie auch Selbstwirksamkeit erfahrenkann. Im dritten Beispiel wendet die Beraterindie Technik des Akzentuierens an: Die aus weni-gen Worten bestehende Wiederholung der Schü-leräußerung wird mit einer fragenden Intonationversehen und fordert Agnieszka auf, einenbestimmten Aspekt ausführlicher zu beschrei-ben. Indem die Aufmerksamkeit auf diese kon-krete Information gelenkt wird, kann die Schüle-rin dazu angeregt werden, bestimmte Sichtwei-sen zu hinterfragen.

Diese Gesprächstechniken dienen als Reflexi-onsanstöße und Gesprächsimpulse; im Dialogmit dem Berater sollen die Lernenden so zuErkenntnissen über sich und ihr eigenes Spra-chenlernen kommen (vgl. Mehlhorn 2006). Indiesen individuellen Gesprächen werden häufigauch subjektive Theorien von Lernenden überihr eigenes Fremdsprachenlernen, z.B. in Bezugauf persönliche Erklärungsmuster für Lernerfol-ge, offengelegt, die den Lernenden im Bera-tungsgespräch bewusst werden und die ggf.durch das Einbringen neuer Sichtweisen des

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Beraters ergänzt oder erweitert werden können.Inhaltliche Beispiele für Beratungsergebnissekönnten folgendermaßen aussehen:

❶ Pierre ist durch das Beratungsgespräch be -wusst geworden, dass er durch seine Angstvor Fehlern Vermeidungsstrategien entwickelthat, die kontraproduktiv für das Sprechen inder Fremdsprache sind. Dass er aus Fehlernauch lernen kann, erscheint ihm jetzt eigent-lich logisch. Allerdings ist er sich unsicher, ober die Sprechangst so schnell überwindenkann. Die gemeinsam erarbeitete Vereinba-rung, dass er sich in jeder Deutschstundemindestens einmal zu Wort melden will,glaubt er aber umsetzen zu können. Das wäreein erster Schritt …

❷ Halja hat gemeinsam mit der Beraterinherausgefunden, dass sie sehr hohe Maßstäbean sich selbst anlegt und erst zufrieden ist,wenn ihr Aufsatz auch grammatisch 100-pro-zentig korrekt ist. Andere Kriterien wie Inhalt,Aufbau, Sprachstil, Wortschatz usw. sind ihraus dem Blick geraten, weil sie damit keineSchwierigkeiten hat. Durch das Beratungsge-spräch hat sie erkannt, dass es ihr schwer fällt,ihre Stärken wahrzunehmen und die Bedeu-tung von Fehlern einzuschätzen. Die Sicht-weise der Beraterin, dass sie auf das Erreichteauch stolz sein darf, ist ihr völlig neu, aber siewird weiter darüber nachdenken.

❸ Die Nachfrage der Beraterin hat Agnieszkadazu veranlasst, zu überlegen, warum ihr Bru-der zu dieser Meinung kommt. Tatsächlichhat ihr Bruder bei einem längeren Aufenthaltin Deutschland sein Deutsch sehr verbessert.Allerdings hatte er vorher sechs Jahre Deutschin der Schule gelernt und war damals schongut in Deutsch. So ganz stimmt seine Behaup-tung also nicht ...

Einen großen Einfluss auf die Sprachlernbera-tung hat die Diskussion um die Lernerautono-mie, bei der davon ausgegangen wird, dass Lernende bei der Verarbeitung von Lerninhaltenvon außen nur eingeschränkt zu beeinflussensind. Es werden daher eine Veränderung der Lehrerrolle und / oder ein individueller Lernbe-rater als wichtiger Begleiter der Lernenden gefor-dert. Bei den Lernenden sollen Reflexionen überden Lernprozess angeregt werden, damit sieKontrolle über das eigene Lernen (Steuerung,Überwachung und Evaluation) ausüben und sichihren individuellen Voraussetzungen gemäß weiter entwickeln können.

Sprachlernberatung in der Schule?Sprachlernberatung ist im deutschsprachigenRaum in vielen Bereichen der Erwachsenenbil-dung schon weitgehend implementiert (vgl.Mehlhorn et al. 2005). Die Erfahrungen aus Bera-tungen erwachsener Fremdsprachenlerner kön-nen jedoch nicht 1:1 auf das Sprachenlernen imschulischen Kontext übertragen werden. Dafürgibt es mehrere Gründe: • Sprachlernberatung sollte freiwillig sein. Dies

ist in der Schule sicherlich schwierig zu errei-chen, da Schüler ihren Beratungsbedarf meistnicht selbst erkennen. Allerdings ist es ange-sichts der Tatsache, dass die Teilnahme amschulischen Sprachunterricht zumeist ver-pflichtend ist, eventuell vertretbar, die Schülerauch in einem gewissen Ausmaß zur Sprach-lernberatung zu verpflichten.

• Für die effektive Nutzung von Sprachlern be -ratung ist unseres Erachtens ein gewisserGrad an Lernerautonomie notwendig, der vorallem bei jüngeren Schülern und insbesonde-re beim Erlernen der ersten Fremdsprache inder Regel noch nicht explizit vorhanden istund zunächst im Unterricht entwickelt wer-den müsste.

• In der Sprachlernberatung werden Ziele ver-folgt, wie z.B. selbstbewusstes Entscheidendarüber, was man überhaupt lernen möchte,welche Prüfungen man ablegen möchte undmit welchen Materialien man arbeiten könn-te. Diese Ziele sind nicht immer kompatibelmit den Bedingungen im schulischen Kontext,in dem es Vorgaben durch Lehrpläne gibt.

• Sprachlernberatung sollte auf der Basis deszugrunde liegenden Konzeptes nicht direktivsein, was für den schulischen Kontext wohlgraduell verändert und an die jeweilige –durchaus auch kulturell bedingte – Situationvor Ort angepasst werden müsste.

• Schüler können Sprachlernberatung zunächstmöglicherweise als Nachhilfeunterricht miss-verstehen. Dem muss explizit entgegenge-wirkt werden.

• Sprachlernberatung muss von psychologi-scher Beratung abgegrenzt werden, was selbstin der Sprachlernberatung mit erwachsenenLernenden schon eine Herausforderung dar-stellt, da Lernschwierigkeiten zum Teil durch-aus auch auf Persönlichkeitsfaktoren zurück-zuführen sind.

• Sprachlernberatung sollte keine zusätzlicheBelastung für Schüler darstellen, die ohnehinschon Schwierigkeiten haben, die an sie

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gestellten Anforderungen zu erfüllen. Es müs-sen daher neue organisatorische Ideen ent -wickelt werden.

Es wäre wünschenswert, wenn sich an Schulen eine „Sprachlernberatungskultur“

herausbilden könnte.

• Es wäre wünschenswert, wenn sich anSchulen eine „Sprachlernberatungskultur“herausbilden könnte. Lehrende stellen an sichden Anspruch – und dies erwarten häufigsowohl Schüler als auch Eltern von ihnen –dass sie am besten wissen (sollten), wie ihreSchüler lernen können / sollten / müssten.Ein Sprachlernberater wird daher wohl nur inseltenen Fällen kontaktiert, auch hier sindorganisatorische Ideen gefragt.

• Schließlich besitzen nicht alle Fremd sprachen-lehrenden überall auf der Welt denselbenAusbildungshintergrund. Lerntheorien, sub-jektive Theorien, Vermittlungsmethoden undLehrverhalten differieren, wie auch die Vor -stellungen von Lernerautonomie und derenAusprägungsgrade. Konzepte von Sprach lern -beratung müssen daher sicherlich an dieSituation vor Ort angepasst werden.

Beratungselemente im Fremd sprachen unterrichtTrotz der oben genannten Punkte, die einerImplementierung von Sprachlernberatung in derSchule entgegenstehen könnten, sind doch eini-ge Prinzipien in den Fremdsprachenunterrichtintegrierbar bzw. können in den schulischenBereich transferiert werden. Dabei handelt essich vor allem um Beratungselemente, die auchzur Förderung der Lernerautonomie dienen.Unterstützung können Lernende z.B. bei der Ent -wicklung folgender Kompetenzen gebrauchen: • Reflexion interner Bedingungen und Voraus -

setzungen (z.B. Lernstile, Lernstrategien,Erfahrung von Selbstwirksamkeit, interneMotive) und Möglichkeiten der Weiterent -wicklung (z.B. Entwicklung geeigneter Lern -strategien),

• Auseinandersetzung mit den externen Lern -bedingungen und -voraussetzungen (z.B. zuerreichende Mindeststandards, vorgegebeneLernzeiten und -orte, Elternwünsche), Mög -lich keiten des Abbaus von Lernbehinde -rungen und Motivationsbarrieren,

• Setzen eigener Lernziele, die an die Unter -richtssituation angepasst sind bzw. die außer-

halb der Unterrichtssituation realistisch zuerreichen sind,

• Erkennen von eigenen Lernschwierigkeitenund Lösungsmöglichkeiten (z.B. in angeleite-ten Gesprächen und Versuchen mit anderenSchülern),

• Erkennen von eigenen Lernfortschritten undAufbau von Selbstwirksamkeit,

• Evaluation des eigenen Lernprozesses, derverwendeten Lernstrategien etc.

Im Folgenden wird anhand des ausgewähltenBeispiels „Erkennen von eigenen Lernfortschrit-ten“ gezeigt, wie Lernberatungselemente in denUnterricht integriert werden können.

Entwicklung der Kompetenz, eigene Lernfortschritte zu erkennenZu Beginn eines Fremdsprachenlernprozesseswerden Fortschritte zunächst häufig sowohl vonder Lehrkraft als auch vom Lernenden wahrge-nommen und meist auf die sprachlichen Kom-petenzen bezogen. Die Erfahrung, dass man anGesprächen auf der Niveaustufe A1 des Gemein-samen europäischen Referenzrahmens (Europa-rat 2001) teilnehmen kann, dass man z.B. einfa-che und häufig wiederkehrende Sprechsituatio-nen und Gesprächsroutinen des Alltags bewälti-gen kann, dass man sich am authentischenUnterrichtsgespräch beteiligen kann, wirdzunächst ein Erfolgserlebnis darstellen. Erst spä-ter scheinen Lernende auf der Stelle zu treten;sie haben selbst das Gefühl, nichts dazuzulernenund verlieren die Lust am Sprachenlernen. DieseBeobachtung machen viele Lehrende. Begrün-dungen dafür scheinen zunächst offensichtlichzu sein: Das anfängliche Neugiermotiv wirktnicht mehr und die Anstrengung wird möglicher-weise reduziert. Darüber hinaus ist die Bandbrei-te des Niveaus A1 sehr gering im Vergleich etwazum Niveau B1. Schüler brauchen also in derRegel viel weniger Zeit für die unteren Niveausals für die höheren. Trotzdem werden wahr-scheinlich individuell sehr unterschiedlich aus-geprägte Fortschritte gemacht.

Dies sollte im Sinne der Lernerautonomieund der Aufrechterhaltung von Motivation auchvom Schüler selbst erkannt werden können. Dasstellt eine Fähigkeit dar, die zunächst entwickeltwerden muss. In einer individuellen Lernbera-tung wird ein Berater – eventuell auf der Grund-lage einer schriftlichen Produktion des Lernen-den – über offene Fragen versuchen herauszufin-den, was der Lernende bei der nächsten Produkti-

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on gerne besser machen möchte (z.B. „Ich möchtebeim nächsten Mal den Fehler x nicht mehrmachen.“ Oder: „Ich möchte beim nächsten Maldrei komplexere Sätze schreiben.“). Zwar kanneine ganze Klasse über eine geeignete Aufgaben-stellung dazu angeregt werden, ihr eigenes Lernenzu reflektieren und gemeinsam nächste Schrittebeim Lernen zu diskutieren. Die Entscheidungen,diese Schritte dann auch tatsächlich zu unterneh-men, können jedoch in der Unterrichtssituation –im Gegensatz zu einer Beratungssituation – nichtklar definiert werden, und so verbleibt man eherim Allgemeinen.

Dennoch könnte eine direktivere Form alsBeratungselement in den Fremdsprachenunter-richt eingehen. Mögliche Schritte, z.B. für eineschriftliche Arbeit, die einer Leistungsüberprü-fung dient, könnten folgendermaßen aussehen: • Damit die Schüler zunächst überhaupt verste-

hen, dass es unterschiedliche Bewertungskri -ter ien gibt, sollten diese transparent gemachtwerden. Dazu erhalten sie z.B. zunächst voreiner schriftlichen Arbeit den Hinweis:„Dieses Mal soll beim Schreiben vor allem aufden Inhalt geachtet werden. Die sprachlicheRichtigkeit ist heute eher nebensächlich.“Oder: „Dieses Mal wird der Schwer punkt aufKorrektheit gelegt.“ So können sich dieSchüler auf die Bewertungs kriterien einstellenund Selbstwirksamkeit erfahren: Man weiß,wobei man sich anstrengen will bzw. soll undkann das Ergebnis dann auf diese Anstreng -ung und Aufmerksamkeit zurück führen.

• In einem nächsten Schritt können die Schülerdann von sich aus am Ende der Arbeit einPhänomen angeben, auf das sie besondersgeachtet haben (z.B. „Ich habe dieses Mal ver-sucht, die Vergangenheitsformen möglichstkorrekt einzusetzen“). Wenn erkennbar ist,dass dies den Schülern weitgehend gelungenist, kann die Lehrkraft einen Extrapunkt beider Bewertung vergeben. Ein solches Ver fah -ren dient dem Ziel, dass die Schüler kriterien-gelenkt ihre Aufmerksamkeit auf be stimmteAspekte fokussieren. Der Erfolg wird über dieExtrapunkte für den Schüler unmittelbarerfahrbar.

Diese beiden Verfahren sollen vor allem dazuführen, dass Schüler eigenständig mit Bewer-tungs kriterien umzugehen lernen und damit dieFähigkeit zur Selbstevaluation entwickeln.

Möglichkeiten der Implementierungvon Sprachlernberatung im schulischen KontextWie oben schon dargestellt, schätzen wir dieSituation und konkreten Bedingungen so ein,dass eine Übertragung von Sprachlernberatungauf schulische Kontexte flächendeckend kaummöglich sein wird. Daher wollen wir hier einigeMöglichkeiten benennen, die wir für sinnvollund realistisch halten. Dafür sollte ein Fremd-sprachenlehrer mit sprachlernberaterischemHintergrund (möglichst mit zertifizierter Ausbil-dung) die Funktion des Sprachlernberaters an

1) Die Lehrkraft X berichtet über einen Fall: „Nadja sagt über-haupt nie etwas, ist aber im Schriftlichen eine der Besten.“ Einerfahrener Sprachlernberater wird in dieser Situation zunächstdie gleichen Gesprächstechniken anwenden wie in einer ‚ech-ten‘ Sprachlernberatungssituation. D. h. er wird gemeinsammit der entsprechenden Lehrkraft versuchen, die Gründeherauszufinden, da auch hier vielfältige Variablen im Spiel sind.Es kann sein, dass Nadja eine eher rezeptiv vorgehende Schüle-rin ist, dass sie ihre Aufmerksamkeit darauf fokussiert, was inden schriftlichen Arbeiten vorkommt. Es kann aber auch sein,dass Nadja Sprechangst oder Angst vor Fehlern hat. Die schrift-lichen Arbeiten können sich z.B. nur auf die Überprüfung vonGrammatik beziehen, was Nadja vielleicht am besten kann, inanderen schriftlichen Prüfungen schneidet sie vielleicht nichtmehr so gut ab. ... Solche Gespräche zwischen Fachlehrendenund Sprachlernberatern dienen dazu, Lehrende auf der Basisder konkreten Fälle zur Reflexion ihres Unterrichtsverhaltensanzuregen, Lernberatungssituationen selbst zu erfahren undlangfristig gesehen schrittweise Beratungselemente in ihrenUnterricht zu integrieren. 2) Dieses Beispiel soll zeigen, dass auch individuelle Sprachlern-beratungen direkt für Schüler angeboten werden sollten. Lehrer Y berichtet folgenden Fall: „Seiko hat im Gegensatz zu

den anderen Schülern seltsamerweise immer noch Probleme mitder Aussprache des deutschen „r“, dabei korrigiere ich sie per-sönlich permanent und habe ihr auch die Strategie dafür erklärt:Man kann das deutsche „r“ wunderbar dadurch lernen, dassman bewusst gurgelt, das ist dann quasi das Gleiche.“ Der Leh-rer hat sich hier um eine individuelle Behandlung des Ausspra-cheproblems von Seiko bemüht und ihr eine – aus seiner Sicht –sinnvolle Strategie empfohlen, die offensichtlich bei einigenSchülern gut funktioniert. Ein Sprachlernberater würde zunächstversuchen, gemeinsam mit Seiko herauszufinden, worin dieeigentliche Schwierigkeit liegt: ob sie das „r“ überhaupt vonanderen Lauten, insbesondere dem „l“ unterscheiden kann,inwieweit Seiko überhaupt „deutsch“ klingen möchte, ob sieüberhaupt „gurgeln“ will, wie sie dabei vorgeht, ob sie sich dieProduktion des „r“ visuell vorstellen kann, den Laut taktil fühltund welche alternativen Strategien und Zwischenstufen zurErreichung des deutschen „r“ noch denkbar wären. Hierbei han-delt es sich meist um sehr individuell ausgeprägte Schwierigkei-ten, die leichter in einem persönlichen Gespräch besprochenwerden können. Der Sprachlernberater wird also, da es sich beiSeiko möglicherweise um ein Lernproblem handelt, das nichtallein im Unterricht abgebaut werden kann, dem Lehrer empfeh-len, Seiko direkt zu ihm zu schicken.

Beispiele

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Sprachlernberatung im schulischen Kontext 51

einer Institution übernehmen. Wir schlagendaher Folgendes vor:• Der Berater gilt zunächst als Spezialist für

Fremdsprachenlernen und steht als Ansprech -partner sowohl für Fremdsprachenlehrer alsauch für Schüler zur Verfügung, wenn konkre-te Fälle mit vermeintlichen Sprachlern pro -blemen auftauchen (vgl. Kasten: Beispiele).

• Der Sprachlernberater bietet allen Fremd -sprachenlehrern gemeinsam von Zeit zu Zeiteine Gesprächsrunde an, in der ausgewählteFälle mit möglichen Interpretationen undLösungsvorschlägen besprochen werden. Ersteht als Moderator zur Verfügung.

• Bei einzelnen Schülern kann sicherlich auchdas Angebot einer freiwilligen individuellenBeratung fruchtbar sein. Dabei muss es sichnicht unbedingt um Schüler mit konkretenProblemen handeln. Auch ‚gute‘ Fremd -sprachenlerner nehmen vielleicht sogar vonsich aus gerne eine Sprachlernberatung inAnspruch, in der sie sich einfach nur Be -stätigung etwa für den Einsatz von bestimm-ten Lernstrategien erwarten und dementspre-chend Selbstwirksamkeit erleben können, wassich u. U. wiederum positiv auf ihre weitereMotivation auswirkt.

Kleppin (2003) gibt einen umfassenden Über-blick darüber, was potenzielle Sprachlernberaterkönnen und wissen müssen und beschreibt ver-schiedene Möglichkeiten der Ausbildung künfti-ger Beratender. Bisher gibt es nur wenige Univer-sitäten, die eine Beraterausbildung z.B. im Rah-men einer Zusatzqualifikation anbieten. Als Bei-spiel sei die Universität Bochum genannt, wo imMasterstudiengang Sprachlehrforschung eingesamtes Wahlpflichtmodul (insgsamt 10 CP) zurSprachlernberatung angeboten wird (s. unterhttp://www.rub.de/slf ). Zwar erhalten die meis-ten Beratenden ihre Ausbildung immer noch „onthe job“, jedoch ist Sprachlernberatung in denletzten Jahren zunehmend ein wichtiges Themavon Fortbildungsveranstaltungen geworden undgute Praxisbeispiele werden daher stark nachge-fragt (vgl. die Beiträge in Mehlhorn und Kleppin2006).

Checklisten mit Beratungsstrategien könnenvor allem angehenden Beratenden helfen, ihreBeratungssitzungen im Nachhinein selbst zuevaluieren bzw. sich von Kollegen evaluieren zulassen. Im Folgenden handelt es sich um einenAusschnitt aus einer solchen Checkliste (vgl. aus-führlicher: Mehlhorn et al. 2005, 206-209):

Es empfiehlt sich, mit einer solchen Liste in ver-schiedenen Stadien der Beraterausbildung zuarbeiten, um Veränderungen im eigenen Strate-gien-Repertoire erfassen zu können.

Die Implementierung von Sprachlernbera-tung in den schulischen Kontext ist unserer Mei-nung nach machbar, wenn auch nicht in demMaße durchführbar wie es an Universitäten undSprachenzentren oder bei privaten Anbieternmöglich ist. Wir können hier nur einige Anregun-gen liefern, die Umsetzung und Weiterentwick-lung in der Praxis muss sich natürlich am einzel-nen Schüler und dem jeweiligen Lernkontext ori-entieren.

Literatur Mehr Literatur zu diesem Thema s. S. 61.

Anmerkungen1 Als Selbstwirksamkeit bezeichnet man in der Psycholo-

gie die Fähigkeit, aufgrund eigener Kompetenzen Hand-lungen ausführen zu können, die zu den gewünschtenZielen führen. Die Überzeugungen eines Lernendenbezüglich dieser Fähigkeiten beeinflussen seine Wahr-nehmung, seine Motivation und seine Leistungen inBezug auf das Fremdsprachenlernen.

... hat den Schüler gebeten, die Bedingungen zu beschreiben, unter denen bestimmte Schwierigkeiten auftreten („Wann fühlst du dich ...?“).

... hat den Schüler gebeten, einige Konsequenzen, die aus seinem Verhalten resultie-ren, zu beschreiben („Was geschieht, wenn du ...?“).

... hat den Schüler gefragt, wie er sein Verhalten ändern möchte („Wie möchtest dusein?“).

... hat mit dem Schüler gemeinsam die Beratungsziele entwickelt. ... hat dafür gesorgt, dass die gesteckten Ziele spezifisch, konkret und operationalisiert

formuliert werden. ... hat den Schüler um eine mündliche Verpflichtung gebeten, sich für das Erreichen

der Ziele auch wirklich zu engagieren. ... hat den Schüler darauf angesprochen, wenn er sich widerstrebend verhielt oder sich

am Erreichen der Veränderungen nur wenig interessiert zeigte. ...

Ziele setzen: Die Beraterin …

... hat ihre Antworten in der Regel direkt auf die jeweils wichtigste Komponente einerjeden Äußerung des Schülers bezogen.

... ist in ihren Ausführungen dem Schüler gefolgt, indem sie jeweils auf die wichtigstenkognitiven bzw. affektiven Inhalte, die vom Schüler eingeführt wurden, eingegangen ist.

... hat die Gefühle des Schülers erkannt und ist darauf eingegangen. ... hat nonverbale Hinweise des Schülers auf seine Gefühle aufgegriffen. ... hat den Schüler ermutigt, über seine Gefühle zu sprechen. ... hat den Schüler ermuntert, seine eigenen relevanten Verhaltensweisen zu erkennen

und einzuschätzen. ... hat den Schüler davon abgehalten, ständig nach Ausreden, Entschuldigungen oder

Rationalisierungen für seine Verhaltensweisen zu suchen. ... hat dem Schüler offene Fragen gestellt („Wie, was, wann, inwiefern, ...?“). ...

Gesprächstechniken: Die Beraterin …

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Alle Lehrenden – unabhängig davon, ob sie Sprachen, Mathematik oder Geografie unterrichten –machen die Erfahrung, dass das, was sie im Unterricht anbieten und zu vermitteln versuchen, nichtzwingend identisch ist mit dem, was ihre Lernenden davon aufnehmen und behalten. Was die mög -lichen Ursachen für diese Diskrepanz zwischen Input (Angebot) und Intake (Aufnahme) in Bezug aufdas Fremdsprachenlernen sein könnten und welche Möglichkeiten es gibt, diese Kluft zu überwinden,soll im vorliegenden Beitrag erörtert werden.

Von Karin Aguado

©fotolia.com

Wie beeinflussbar ist die lernersprachliche Entwicklung? Theoretische Überlegungen, empirische Erkenntnisse, didaktische Implikationen

Das individuelle sprachliche System, das Lernendeim Verlauf ihres Spracherwerbsprozesses aufbauenund das ihren Äußerungen zugrunde liegt, wird als„Lernersprache“ bezeichnet. Bevor diskutiert wer-den kann, ob diese durch Unterricht gezielt beein-flusst werden kann, müssen zunächst einmal ihrezentralen Merkmale skizziert werden. Anschlie-ßend wird die Lehrbarkeits-Hypothese erläutert,

der zu Folge es eine natürliche, feste und unverän-derliche Erwerbsreihenfolge gibt. Im An schlussdaran sollen die wichtigsten Ergebnisse einerempirischen Studie im gesteuerten Fremdspra-chen- erwerb dargestellt und kritisch beleuchtetwerden. Die dort vorgeschlagenen didaktischenKonse quen zen werden diskutiert und um weitereunterrichtspraktische Vorschläge ergänzt.

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Zentrale Merkmale vonLernersprachenWie alle natürlichen Sprachen zeichnen sichauch Lernersprachen durch ihre Systematizität(Systemhaftigkeit) und ihre Dynamizität (Verän-derlichkeit) aus. Dadurch, dass Lernende ständigneue Hypothesen über die zu lernende Sprachebilden, diese auch überprüfen und ggf. modifi-zieren, befinden sich ihre individuellen Sprach-systeme in permanenter Veränderung. Lerner-sprachen weisen aber nicht nur eine diachrone,sondern auch eine synchrone Variabilität auf. Sokönnen korrekte und fehlerhafte Realisierungenderselben Zielstruktur problemlos koexistierenund auch von ansonsten hochkompetenten Ler-nern über längere Zeiträume in freier Variationgebraucht werden (z.B. „das Programm“ und*„der Programm“).

Zudem verläuft die lernersprachliche Ent-wicklung meist nicht kontinuierlich, sondernvon einem relativ stabilen Stadium (auch „Pla-teau“ genannt) zum nächsten. Dabei könnensich die einzelnen sprachlichen Fertigkeitenunterschiedlich schnell entwickeln und entspre-chend zu unterschiedlichen Zeitpunkten Stabili-tät erlangen. So können sich viele Lernendemündlich durchaus angemessen und verständ-lich ausdrücken, während sie im schriftlichenAusdruck große Schwierigkeiten haben – undumgekehrt. Oder aber Lernende verfügen übergut ausgebildete rezeptive Kenntnisse, währendihre produktiven Fertigkeiten weniger gut entwi-ckelt sind.

Ein vermehrtes Auftreten von fehlerhaftenLerneräußerungen kann ein Anzeichen

für Lernfortschritt sein, der dann dazu führt, dass ein neues Plateau erreicht wird

und sich die Lernersprache stabilisiert.

Mit Dynamizität ist ferner gemeint, dass Lernen-de zeitweise in frühere Stadien zurückfallen kön-nen und plötzlich wieder Schwierigkeiten mitdem Verstehen oder der Produktion von ziel-sprachlichen Formen oder Strukturen haben, diesie bereits sicher zu beherrschen schienen.Gründe dafür können mangelnde Übungs- bzw.Anwendungsmöglichkeiten, aber auch eine zugroße Komplexität der betreffenden sprachli-chen Struktur und daraus resultierender kogniti-ver Stress sein. Es könnte aber auch sein, dassein Lernender gerade damit beschäftigt ist, ent-weder eine neue Form zu erwerben oder einebereits erworbene Struktur zu analysieren und

die ihr zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeitenzu entdecken. So müssen Teile der Lernerspra-che umstrukturiert werden, was zwischenzeitlichUnsicherheiten und fehlerhafte Produktionenmit sich bringt. So paradox es klingen mag: Einvermehrtes Auftreten von fehlerhaften Lerneräu-ßerungen kann ein Anzeichen für Lernfortschrittsein, der dann dazu führt, dass ein neues Plateauerreicht wird und sich die Lernersprache stabili-siert.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dasses sich bei der Lernersprache um ein individuel-les, regelgeleitetes, dynamisches System handelt,bei dem die von den Lernenden aufgestelltenRegeln das Resultat des Lernprozesses darstel-len, nicht seine Ursache.

Die Lehrbarkeits-Hypothese:Annahmen, Belege, KritikIn empirischen Studien konnte festgestellt wer-den, dass es beim Erwerb einiger grammatischerPhänomene des Deutschen offen bar feste Reihen-folgen gibt. Diese sind sowohl für den ungesteuer-ten Erst- und Zweitsprachenerwerb als auch –und das ist das Be mer kenswerte – für den Fremd-sprachenunterricht nachgewiesen worden. Füreine erfolgreiche Vermittlung dieser zielsprachli-chen Strukturen müssen der Lehrbarkeits-Hypo-these (teachability) von Pienemann (1984) zufolgeLernende „entwicklungsmäßig“ bereit sein. Oderanders ausgedrückt: Ein idealer Fremdsprachen-unterricht muss genau auf die überindividuellenEntwicklungsstufen abgestimmt sein. Danebengibt es, vor allem im lexikalischen Bereich, indivi-duelle Variation in der Lernersprachentwicklungeinzelner Lernender.

Dass durch Unterricht diese Entwicklungssta-dien schneller durchlaufen werden können, istinzwischen nachgewiesen. Die Behauptung Pie-nemanns, dass keine Erwerbs stufe übersprungenwerden könne, ist bisher nicht eindeutig belegt.Auch in Bezug auf die praktische Umsetzung derForschungergebnisse zur Lehrbarkeits-Hypothesewurden eine Reihe von Einwänden erhoben, vondenen einige im Folgenden genannt werden sollen:• Für konkrete didaktische Empfehlungen

reicht die bisherige empirische Basis nichtaus; so sind derzeit zu wenige sprachlichePhänomene untersucht worden, um eine ver-bindliche Liste von sprachlichen Strukturenund ihrer Vermittlungsreihenfolge aufstellenund an Lehrende ausgeben zu können.

• Es ist ferner nicht belegt, dass eine an die

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Erwerbssequenzen angepasste unterrichtlicheVermittlung tatsächlich auch langfristig posi-tive Wirkung zeigt.

• In Bezug auf die konkrete Umsetzung stellensich die Fragen, mittels welcher VerfahrenLehr ende feststellen sollen, in welchem Ent -wicklungsstadium sich ihre einzelnenLernenden gerade befinden und wie sie es inder Unter richtspraxis bewerkstelligen sollen,den Lernenden ein individuell auf ihrenSprach stand abgestimmtes Programm anzu-bieten.

Erwerbssequenzen im gesteuertenFremdsprachenerwerb: die DiGS-StudieIm Rahmen der von Diehl et al. (2000) durch -geführten und inzwischen als DiGS-Studie ( = Deutsch in Genfer Schulen) weithin bekann-ten empirischen Untersuchung zum gesteuertenDeutscherwerb in der französischsprachigenSchweiz wurde untersucht, inwieweit die Lernen-den das, was ihnen im FremdsprachenunterrichtDeutsch vermittelt wurde, auch tatsächlich ver-wenden.

Über einen Zeitraum von zwei Schuljahrenwurden insgesamt 1800 Aufsätze von 220 Schü-lern aus 30 Klassen der Jahrgangsstufen 4 – 12 anGenfer Schulen untersucht und ausgewertet. InBezug auf den Erwerb der Verbalflexion, derVerbstellung und des Kasussystems hat dieDiGS-Studie feste Abfolgen ermittelt. Gleichzei-tig wurden Unterschiede hinsichtlich der Ge -schwindigkeit ermittelt, mit der die Lernendendie einzelnen Phasen durchlaufen. Die Autorin-nen resümieren: „In keinem der drei Bereicheverläuft der Erwerb parallel zum schulischenGrammatikprogramm. Am größten ist die Dis-krepanz beim Kasuserwerb; dieser beginnt beider Mehrheit unserer Probanden – wenn über-haupt – erst zwei bis drei Jahre nach der Behand-lung im Unterricht und ist auf der Maturitätsstu-fe nur in Ausnahmefällen abgeschlossen“ (DiGS,359). Der aus diesen Beobachtungen gezogeneSchluss „Der Grammatikerwerb unterliegt inter-nen Gesetzmäßigkeiten, die durch den Unter-richt nicht kurzgeschlossen und nicht geändertwerden können“ (DiGS, 359) ist meiner Ansichtnach jedoch nicht zwingend. Die Generalisie-rung ist u. a. deshalb nicht angemessen, weil inden Publikationen zur DiGS-Studie nicht doku-mentiert ist, wie der Grammatikunterricht imEinzelnen ausgesehen hat. Es ist nicht nachvoll-

ziehbar, wie die betreffenden grammatischenStrukturen im Unterricht eingeführt, erklärt, ge -übt und wiederholt worden sind.

Individuelle Lernerstrategien unduniverselle ErwerbssequenzenFür die lernersprachliche Entwicklung ist dieLernerperspektive wesentlich. Die Forscherin-nen beschreiben insgesamt drei Verfahren, diedie Schülerinnen und Schüler bevorzugt in ihrenschriftlichen Produktionen anwenden:

1. Die Lernenden übernehmen frequente, for-melhafte und von ihnen memorisierte Wendun-gen („Sprachbausteine“) aus dem Input, wobeisie – wie die Autorinnen anmerken – die diesenAusdrücken zugrunde liegenden Regularitätennicht durchschauen.

2. Die Lernenden erschließen sich die ziel-sprachlichen Regeln selbstständig aus demInput, indem sie eigene Hypothesen aufstellenund überprüfen, d. h. sie nutzen für ihrenErwerb die von den Lehrenden gegebenen Erklä-rungen grammatischer Phänomene nur wenigoder gar nicht.

3. Die Lernenden greifen auf ihr erstsprachli-ches Wissen zurück und beziehen dieses aktiv inihre Produktionen mit ein, machen also massi-ven Gebrauch von der Strategie des interlingua-len (zwischensprachlichen) Transfers, der Über-tragung von einer Sprache in die andere.

Zusammenfassend betrachtet zeigen die hieraufgeführten Lernerstrategien – von denen ichaus Platzgründen nur die erste etwas näher dis-kutieren kann – dass die Lernenden ihre Auf-merksamkeit offenkundig eher auf die zu lernen-de Sprache selbst und weniger auf die ihnen vonden Lehrenden angebotenen expliziten Informa-tionen über die Sprache richten. Die Lernendenpraktizieren damit ein bemerkenswertes Maß anSelbststeuerung.

Zur Bedeutung von SprachbausteinenDie Bewertung der von den Lernenden offenbarvergleichsweise häufig angewendeten Strategie,memorisierte Sequenzen bzw. Sprachbausteine(chunks) zu verwenden, fällt außerordentlichnegativ aus. Die Aussage in der Studie „Schüler,die sich mit einem Minimum an ‚Sprachlernfä-higkeit‘ begnügen müssen, rekurrieren fast aus-schließlich auf memorisierte chunks“ (DiGS)zeugt von einer äußerst konservativen Einstel-lung gegenüber der Rolle, der Sprachbausteinenfür den Sprachgebrauch und das Sprachenlernen

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dig aus unanalysierten chunks bestehen, nicht alsgleichwertig zu frei gebildeten Produktionenbetrachtet werden sollten.

Didaktische Implikationen aus der DiGS-StudieEinige der von den Autorinnen aus ihren Analy-sen gezogenen Schlussfolgerungen sind unmit-telbar nachvollziehbar und die daraus abgeleite-ten didaktischen Implikationen offenkundig. • Da nicht selten „die schulische Grammatik -

progression zu steil [ist] und der Mehrheit vonLernern nicht die nötige Zeit für eine Inte gra -tion des Grammatikstoffes [lässt]“ (DiGS), er -scheint es durchaus sinnvoll, das schulischeLern pensum insgesamt zu verringern bzw.das je weils vorgesehene Zeitfenster fürVermittlung und Erwerb zu vergrößern.

• Auch der Forderung der DiGS-Studie nacheinem toleranteren Umgang mit fehlerhaftenLern er äußerungen kann ich mich direktanschließen.

Dass Lernende in ihrer lernersprachlichen Ent-wicklung prinzipiell keinen Nutzen aus derunterrichtlichen Vermittlung ziehen, konntemeiner Ansicht nach mit dieser Studie jedochnicht nachgewiesen werden. Sie belegt lediglich,dass Schülerinnen und Schüler von einem her-kömmlichen, eher instruktivistisch ausgerichte-ten Fremdsprachenunterricht nicht erkennbarprofitieren und dass sie sich das zielsprachlicheSystem stattdessen mittels ihrer eigenen Lerner-strategien erschließen – was grundsätzlich mög-lich, aber sehr viel langwieriger, fehleranfälligerund damit auch frustierender sein kann.

Gleichzeitig greifen die von der DiGS-Studieformulierten didaktischen Implikationen meinerEinschätzung nach viel zu kurz. So plädieren dieAutorinnen lediglich pauschal für eine „Redi-mensionierung des Grammatikstoffs“, um aufdiese Weise der – wie sie es nennen – einge-schränkten Verarbeitungskapazität von Fremd-sprachenlernenden Rechnung zu tragen.Gemeint ist damit, dass die Menge der explizit zuvermittelnden grammatischen Regeln reduziertwerden sollte. An der Art der unterrichtlichenVermittlung wollen sie jedoch offenbar festhal-ten. Somit werden lediglich quantitative Verän-derungen des Lehrens und Lernens von Spracheangestrebt. Für eine gezielte Unterstützung derlernersprachlichen Entwicklung und die Ermög-lichung einer positiven Beeinflussung der „inter-nen Gesetzmäßigkeiten“ sind jedoch qualitativeVerbesserungen erforderlich.

Meiner Meinung nach …

Ich hätte gerne …

zugeschrieben wird. Aktuellen Erkenntnissenzufolge bilden kompetente (muttersprachliche)Sprecher einen Großteil ihrer flüssigen Äußerun-gen nicht regelgeleitet und kreativ, sondern set-zen sie aus unterschiedlich komplexen, partielloder vollständig vorgefertigten und im Langzeit-gedächtnis memorisierten Sequenzen zusam-men (vgl. für einen Überblick Aguado 2002). Ein-deutige Beispiele sind hier sämtliche Begrüßungs-, Verabschiedungs-, Entschuldigungs- oder Dan-kesformeln, aber auch Ausdrücke wie „meinerMeinung nach“, „vor einem Jahr“ oder Muster wie„ich hätte gern x“, „wie wärs mit x“ etc.

Lernende verwenden bereits sehr früh komplexe Formulierungen.

Aus Untersuchungen wissen wir, dass Lernendenicht zwingend mit den kleinsten sprachlichenEinheiten beginnen und diese zu immer größe-ren Einheiten zusammensetzen. Stattdessen ver-wenden sie bereits sehr früh komplexe Formulie-rungen. Diese übernehmen sie als Ganzes ausdem Input und memorisieren, automatisierenund analysieren sie im Laufe der Zeit auch größtenteils. Schließ-lich decken die Lernenden die diesen komplexenFormulierungen zugrunde liegenden Gesetzmä-ßigkeiten auf und wenden sie anschließend pro-duktiv an.

Die in der DiGS-Studie vorgenommene Cha-rakterisierung der Verwendung von Sprachbau-steinen nimmt eine klare Trennung vor zwischen • der – eher negativ beurteilten – Strategie der

Memorisierung und • der – eher positiv beurteilten – Strategie der

Analyse.Dabei gilt, dass für einen erfolgreichen Spracher-

werb beide Strategien unver-zichtbar sind. Hier stellt sich die grundsätzlicheFrage, wieso zielsprachlich – alsogrammatisch und pragmatisch –korrekt verwendete Lerneräuße-rungen, die partiell oder vollstän-

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Unverzichtbare Zutaten für eine unterrichtliche Förderung der lernersprachlichen EntwicklungIch möchte im Folgenden an einige der Beob-achtungen der DiGS-Studie anknüpfen und eineReihe von aus meiner Sicht unverzichtbaren Zu -taten eines erwerbsförderlichen Fremdsprachen-unterrichts skizzieren. Ein Unterricht, in dem einausgewogenes Verhältnis zwischen mitteilungs-und formbezogener Vermittlung angestrebt wirdund der sowohl implizite als auch explizite Pro-zesse und Verfahren gezielt miteinander ver-knüpft, beeinflusst den Fremdsprachenerwerbam ehesten positiv.

Eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dassüberhaupt etwas Neues gelernt werden kann, istder Prozess des subjektiv bewussten Bemerkensauf Seiten des Lernenden (noticing; vgl. dazuSchmidt 1995). Ob dieser Prozess stattfindet,hängt sowohl von der Quantität als auch von derQualität des Inputs ab. So genügt es nicht, mög-lichst viel Input – also eine sogenannte Inputflut(vgl. Schifko, S. 36) – zu bieten, denn nicht alles,was häufig im Input vorkommt, wird zwangsläufigschnell oder leicht gelernt. Der Input muss auchqualitativ hochwertig sein, d. h. die angebotenensprachlichen Formen, Strukturen oder Merkmalemüssen auffällig, eindeutig und somit für den Ler-nenden gut wahrnehmbar sein. Möglichst fre-quenter und hochwertiger Input ist für einenerfolgreichen unterrichtlichen Fremdsprachener-werb zwar notwendig, aber nicht hin reichend.

Je einfacher die betreffende sprachliche Regel ist, desto erfolgreicher wirkt die

Formfokussierung.

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass sich eineformfokussierte Vermittlung im Rahmen einesmitteilungsbezogenen Fremdsprachenunter-richts langfristig positiv auf den Fremdsprachen-erwerb auswirkt. Eine Fokussierung auf die Formfunktioniert erwiesenermaßen bei einigensprach lichen Strukturen besser als bei anderen.So gilt: je einfacher die betreffende sprachlicheRegel ist, desto erfolgreicher wirkt die Form -fokussierung. Allerdings ist dies nicht weiter ver-wunderlich, weshalb einige Fremdsprachener-werbsforscher auch dafür plädieren, bei ein -fachen Regeln auf die Formfokussierung zu ver -zichten, da sich die Lernenden diese Regelnohnehin leicht selbst erschließen können.Wenn eine zielsprachliche Struktur hingegeneher selten vorkommt, unregelmäßig und nur

wenig auffällig ist, erscheint eine Fokussierungder Form besonders angezeigt. Dasselbe gilt,wenn eine sprachliche Struktur ein nur geringeskommunikatives Gewicht hat (also wenig zurVerständigung beiträgt) – wie dies im Deutschenz.B. beim Genus der Fall ist. Welche Art derFormfokussierung im Einzelnen gewählt wird, istnicht nur von der zielsprachlichen Struktur,ihrem Schwierigkeitsgrad und ihrer Komplexitätabhängig. Ebenfalls relevant sind hier individuel-le Lernerfaktoren wie beispielsweise das Alter,die Sprachlernerfahrung, der Lernertyp, das Bil-dungsniveau oder der Lernkontext.

In Bezug auf die in der Lernersprachenfor-schung schon seit geraumer Zeit bestehendeForderung nach mehr Fehlertoleranz ist unterdem Gesichtspunkt der Formfokussierung fol-gendes zu sagen:

Tolerant gegenüber Fehlern zu sein, heißtnicht, Fehler zu ignorieren. Es bedeutet viel-mehr, sie als notwendige Begleiter des Erwerbs-prozesses anzuerkennen und entsprechend zubehandeln. Wichtig für einen erfolgreichenErwerb ist ein differenziert und konsequentangebotenes korrektives Feedback, das sich vorallem durch seine Explizitheit und Kürze aus-zeichnet. Dabei muss sichergestellt werden, dassdas angebotene korrektive Feedback von denLernenden auch als solches wahrgenommenwird. Je nach Komplexität oder Schwierigkeits-grad der betreffenden Struktur können unter-schiedlich lange „Inkubationszeiten“ erforderlichsein, bis das korrektive Feedback eine erkennba-re Wirkung zeigt. Diese Zeiten müssen Lehrendezulassen können, wobei sie gleichzeitig konse-quent weiter korrigieren müssen – nicht zuletzt,um den Lernenden Sicherheit hinsichtlich derZielstruktur zu geben.

Bausteine kompetenter Sprach -verwendung und Katalysatoren derlernersprachlichen EntwicklungEntgegen den Annahmen der Lehrbarkeits-Hypothese ist es möglich, Lernenden erfolgreichsprachliche Formen und Strukturen zu vermit-teln, die oberhalb ihres aktuellen Sprachstandesliegen. Vorab muss festgestellt werden, dass dieRolle und die Funktion von Sprachbausteinen imFremdsprachenunterricht nach wie vor starkunterschätzt wird. Noch immer wird die Wieder-gabe bzw. Paraphrase ‚mit eigenen Worten‘höher bewertet als der Abruf von memorisiertenAusdrücken und Konstruktionen. Dabei ist die

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Wie beeinflussbar ist die lernersprachliche Entwicklung? 58

aufmerksame Wahrnehmung eines Sprachbau-steins, seine Memorisierung und anschließendeinhaltlich-situativ und formal-strukturell ange-messene Verwendung eine beachtliche Leistung.Die Verwendung von Sprachbausteinen ermög-licht nicht nur eine korrekte und flüssige, son-dern auch eine idiomatische Sprachproduktion.Sie ist der Normalfall eines kompetenten – alsokorrekten, flüssigen und idiomatischen –Sprachgebrauchs und sollte daher möglichstfrüh im Fremdsprachenunterricht angestrebtwerden.

Die positive Wirkung frühzeitiger Vermitt-lung, Übung und Verwendung von Sprachbau-steinen ist vielfältig. Motivationspsychologischbesonders wichtig ist, dass die Lernenden schonfrüh die Sicherheit haben, korrekten Output zuproduzieren. Lernpsychologisch aber mindes-tens ebenso wichtig ist die Tatsache, dass dieLernenden auf diese Weise hochwertigen – alsogrammatisch und idiomatisch korrekten sowieflüssigen – Auto-Input produzieren. Damit istgemeint, dass das, was die Lernenden als Outputvon sich geben, für sie selbst auch wieder Inputist. Je qualitativ hochwertiger dieser Auto-Inputist, umso günstiger wirkt sich dies auf ihre ler-nersprachliche Entwicklung aus, da er nicht nurtiefer verarbeitet, sondern auch leichter automa-tisiert wird.

Ein Ergebnis der DiGS-Studie war, dass imschulischen Fremdsprachenunterricht gramma-tische Phänomene wie beispielsweise das deut-sche Kasussystem „wenn überhaupt, dann sehrspät“ erworben werden, dass aber zielsprachen-korrekte Kasusmarkierungen in Präpositional-phrasen erheblich früher verwendet werden alsin einfachen Nominalphrasen. Dies zeigt m. E.ganz deutlich, dass der Zeitpunkt ihres Erwerbseng mit der kommunikativen Relevanz der jewei-ligen Konstruktion verknüpft ist: Präpositional-phrasen (z.B. Orts- oder Zeitangaben) werdensehr früh benötigt und deshalb auch früh be-nutzt und erworben. D. h. die Lernenden lernendiese komplexen Phrasen als Sprachbausteine,und zwar schnell und korrekt, obwohl sie deut-lich oberhalb ihres aktuellen lernersprachlichenNiveaus liegen. So gesehen „verkürzen“ Sprach-bausteine den Erwerbsprozess, indem sie dasÜberspringen von nicht-zielsprachenkonformenErwerbsstadien ermöglichen. Die in der DiGS-Studie gezogene Schlussfolgerung, dass die Aus-wahl des Grammatikstoffes nach kommunikati-ver Notwendigkeit erfolgen sollte, möchte ichdaher voll unterstützen.

FazitDer Fremdsprachenerwerb ist ein langsamerProzess des Erkennens und der Entwicklung vonForm-Funktions-Beziehungen und den ihnenzugrunde liegenden Regularitäten. Inzwischenist zwar unbestritten, dass Wissen nicht voneiner Person auf eine andere übertragen werdenkann, sondern dass es von dem Lernenden selbst(re-)konstruiert werden muss. Dennoch bin ichdavon überzeugt, dass die lernersprachliche Ent-wicklung durch einen quantitativ und qualitativhochwertigen Input, eine gezielte Fokussierungder sprachlichen Form sowie intensives Übenweit stärker von außen beeinflussbar ist, als diegegenwärtige Forschung zu den Erwerbssequen-zen und zur Lehr- und Lernbarkeit von Sprachesuggeriert. Zwar kann der Prozess des Aufbausimpliziten Wissens durch die Vermittlung explizi-ten Wissens nicht ersetzt werden, aber er kannzumindest unterstützt, ergänzt oder abgekürztwerden.

Dass der Lernerfolg im schulischen Fremd-sprachenunterricht häufig begrenzt ist und meisthinter den Erwartungen zurückbleibt, ist denBeteiligten seit langem bekannt. Die DiGS-Studiezeigt sehr anschaulich, welche Erwartungen inBezug auf den unterrichtlichen Fremdsprachen-erwerb im Rahmen eines herkömmlichenFremd sprachenunterrichts realistisch sind.

Abschließend bleibt festzustellen, dass wirmehr empirische Längsschnittstudien zur Unter-suchung des gesteuerten Fremdsprachenerwerbsbenötigen, wobei künftig die Lehrenden vielstärker in den Forschungsprozess einbezogenwerden sollten, da ihre Expertise in Bezug auf dieunterrichtlich gesteuerte lernersprachliche Ent-wicklung von besonderer Bedeutung ist.

LiteraturAguado, Karin: Formelhafte Sequenzen und ihre Funktio-

nen für den L2-Erwerb. In: Zeitschrift für AngewandteLinguistik (ZfAL) 37 (2002), 27-49

Diehl, Erika / Christen, Helen / Leuenberger, Sandra / Pel-vat, Isabelle / Studer, Thérèse: Grammatikunterricht:Alles für der Katz? Untersuchungen zum Zweitspra-chenerwerb Deutsch. Tübingen: Niemeyer 2000

Pienemann, Manfred: Psychological constraints on theteachability of languages. In: Studies in SecondLanguage Acquisition 6 (2) 2000, 186-214

Schmidt, Richard: Consciousness and foreign languagelearning: a tutorial on the role of attention and aware-ness in learning. In: Schmidt, Richard (ed.) Attentionand awareness in foreign language learning. Universityof Hawaii at Manoa: Second Language Teaching & Cur-riculum Center 1984, 1-63.

Anmerkungen1 „Instruktivismus“ ist der Gegenbegriff zu „Konstruktivis-

mus“ (siehe aktuelles Fachlexikon).

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Bücher und Aufsätze zum ThemaAllgemein (kommentiert von K.-B. Boeckmann)Ernst Apeltauer: Grundlagen des Erst- undFremdsprachenerwerbs. Berlin u.a.: Langen-scheidt 1997. (Fernstudienprojekt zur Fort-und Weiterbildung im Bereich Germanistikund Deutsch als Fremdsprache; Fernstudien-einheit 15).Grundlegende und verständlich geschriebeneEinführung in Voraussetzungen und Formender Aneignung von Sprachen. Sowohl Vor-aussetzungen und Ablauf des Erstspracher-werbs als auch der Aneignung von fremdenSprachen werden genau dargestellt. Dabeiwird auch die Entwicklung von Lernerspra-chen erläutert und es werden einige wichtigeTheorien zum Fremdsprachenlernen vorge-stellt. Obwohl die Inhalte nicht mehr ganzaktuell sind, ist diese Fernstudieneinheit nochimmer ein geeigneter Einstieg für Lehrendeohne Vorkenntnisse in dieses Thema.

Klaus-Börge Boeckmann: Grundbegriffeder Spracherwerbsforschung. In: Frühes Deutsch, 15: 7, S. 38-44.Ein Aufsatz, der versucht, auf wenigen Sei-ten die wichtigsten Grundbegriffe derSpracherwerbsforschung zu definieren undzu erklären. Wesentliches Augenmerk wirdauf die Darstellung der „großen Hypothe-sen“ zum Erst- und Zweitspracherwerb(Identitäts-, Interferenz-, Interimssprachen-und Interdependenzhypothese), sowie aufdie Rolle des Inputs beim Erst- und Zweit-spracherwerb gelegt.

Wolfgang Butzkamm / Jürgen Butz-kamm: Wie Kinder sprechen lernen – kindli-che Entwicklung und die Sprachlichkeit desMenschen (2., vollst. neu bearb. Aufl.). Tübingen u.a.: Francke 2004.Anschaulich geschriebenes Buch, das sichausführlich verschiedenen Aspekten desmenschlichen Erstspracherwerbs widmetund Schritt für Schritt zu zeigen versucht,wie ein Kind sich im Kontakt mit seiner Um-welt der Welt und der Worte bemächtigt.Auch auf Sonderfälle des Spracherwerbs wie

Hier werden die Grundlagen der (Erst-)Sprach verarbeitung im Gehirn und einigeAspekte, die auch für den Zweitspracher-werb bedeutsam sind, erläutert. Unter ande-rem wird gezeigt, dass für die schnelle syn-taktische Verarbeitung der Erstsprache eige-ne Strukturen im Gehirn verantwortlich zusein scheinen, die für weitere Sprachen nichtmehr zur Verfügung stehen.

Lutz Götze: Was leistet das Gehirn beimFremdsprachenlernen? Neue Erkenntnisseder Gehirnphysiologie zum Fremdsprachen-erwerb. In: Zeitschrift für InterkulturellenFremdsprachenunterricht [Online], 2 (2) 1997, http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-02-02/beitrag/goetze01.htm (15 S.) (Zugriff 10.05.06). Neben Grundinformationen zu den neurolo-gischen Grundlagen der Sprachverarbeitungargumentiert dieser Artikel für eine holisti-sche Sichtweise der Leistungen des Gehirns,hebt die Bedeutung der Bewertung vonsprachlichen Reizen durch das Gehirn hervorund zieht didaktische Schlussfolgerungen.

Gudula List: Zweitsprachenerwerb als individueller Prozess I: NeuropsychologischeAnsätze. In: Hans-Jürgen Krumm (Hg.):Deutsch als Fremdsprache. Ein internationa-les Handbuch (Bd. 19, 1. Halbband). Berlin,New York: Walter de Gruyter 2001, (Hand-bücher zur Sprach- und Kommunikations-wissenschaft 19.1), S. 693-700. Dieser Beitrag bietet einen kritischen Über-blick in den Forschungsstand. U.a. wird ge-zeigt, dass frühere Hypothesen zur Lokalisie-rung sprachlicher Leistungen im Gehirn heute als überholt gelten können.

Gudula List: Was wäre dem Gehirn denn"fremd"? Hirnforschung und Fremdspra-chenlernen. In: Hans Barkowski / ArminWolff (Hg.): Umbrüche. Beiträge der 33. Jahrestagung DaF 2005. Regensburg:Fachverband Deutsch als Fremdsprache2006, (Materialien Deutsch als Fremd -sprache; 76), S. 7-23.

z.B. Gehörlosigkeit wird eingegangen. Einwesentlicher Teil des Buches ist der Erläute-rung des Aufbaus der Grammatik gewidmetund zeigt, welche Funktionen sie für dieSprache und die Kommunikation hat.Schließlich machen sich die Autoren auchnoch Gedanken über die Lehrbarkeit vonErst- und Fremdsprachen. Insgesamt einesehr anregende Lektüre, auch wenn die Au-toren stellenweise etwas ins Spekulative ab-gleiten und einige ihrer Aussagen wenigfundiert sind.

Gehirn & Geist, Das Magazin für Hirnfor-schung und Psychologie. Sprich mit mir!Gehirn & Geist Dossier, 3/2006.Populärwissenschaftlich aufbereitetes Maga-zin zu vielen interessanten Aspekten derSprache mit Artikeln zu den Bereichen: Spra-che und Denken, Sprechen lernen, Körper-sprache und Kommunikation. Angesproche-ne Themen sind u.a. der kindliche Spracher-werb, Mehrsprachigkeit, Gesten als Begleitersprachlicher Kommunikation oder auch dieEigenschaften von Gebärdensprachen.

Fremdsprache Deutsch. Sondernummer1995: Fremdsprachenlerntheorie.Hrsg. von Wolfgang Tönshoff. München:Goethe-Institut, Klett Edition Deutsch.Auch heute noch nicht überholte umfassen-de Bestandsaufnahme, die sich mit verschie-denen Aspekten des Lernens und der Kogni-tivierung im Fremdsprachenunterricht be-schäftigt. Neben den lerntheoretischenGrundlagen werden Lernstrategien, Fehler,Hirnforschung, Sprachbewusstheit, Motivati-on und Rolle der Lehrperson behandelt.

Sprache und Gehirn(kommentiert von K.-B. Boeckmann)Angela D. Friederici: Menschliche Sprach-verarbeitung und ihre neuronalen Grund -lagen. In: Heinrich Meier & Gerald M. Edel-man (Hg.): Der Mensch und sein Gehirn : die Folgen der Evolution (2. Aufl.). Mün-chen; Zürich: Piper 1998, S. 137-156.

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Bücher und Aufsätze Aktueller Forschungsüberblick, in dem dieneueren Entwicklungen z.B. in Bezug aufimplizites und explizites Lernen sowie regel-hafte und lexikalische Speicherung kom-mentiert werden. Auch zur Frage des Lernal-ters und zur „Weniger ist Mehr“-Hypothesewird Stellung genommen.

Steven Pinker: Wörter und Regeln – dieNatur der Sprache. Heidelberg u.a.: Spektrum Akad. Verl. 2000. Umfassende, anschaulich geschriebene Dar-stellung der Grundprinzipien menschlicherSprachspeicherung und -verarbeitung mitbesonderer Betonung der Prinzipien regel-hafter und lexikalischer Sprache auf der Ba-sis von Erkenntnissen aus der Computerlin-guistik, der Experimentalpsychologie, derSpracherwerbsforschung und der kognitivenLinguistik. Vor allem am Beispiel der regel-mäßigen und unregelmäßigen Verben ver-deutlicht Pinker, wie die unterschiedlicheSpeicherung verschiedener Typen sprachli-cher Daten im Gehirn funktioniert.

Claudia Steinbrink / Manfred Spitzer:Sprache lernen – Lernprozesse in der kindli-chen Sprachentwicklung. In: FrühesDeutsch, 15 (7) 2006, S. 34-37. Kurzer Überblick über Erkenntnisse im Bereich des frühen Spracherwerbs, in demauch die „Weniger ist Mehr“-Hypothese erläutert wird.

Spracherwerbstheorie undSprachlernaufgaben(kommentiert von G. J. Westhoff)Gerard J. Westhoff: Eine Ernährungspyra-mide für den Fremdsprachenunterricht. In:H.-J. Krumm & P. R. P. Tselikas (Hg.): Theorieund Praxis. Schwerpunkt: Aufgaben, Öster-reichische Beiträge zu Deutsch als Fremd-sprache (Bd. 10), S. 55-66. Innsbruck: Studienverlag 2007. Enthält genauere Informationen zur sprach-erwerbstheoretischen "Ernährungspyrami-de" und zahlreiche weiterführende Literatur-hinweise.

Gerard J. Westhoff: Die Multi-Merkmal-Hy-pothese. Charakteristiken effektiver Sprach-

nene Handbuch liefert eine Einsicht in dieGeschichte des Projektunterrichts und An-sätze einer historischen Begründung für denEinsatz dieser Unterrichtsform. Der Schwer-punkt dieser Arbeit besteht aber in einer ge-nauen Beschreibung der einzelnen Projekt-phasen.

Michael K. Legutke: Lebendiger Englisch-unterricht. Kommunikative Aufgaben undProjekte. Bochum: Kamp Verlag 1988. Eine der ersten systematischen Einführungenin die Projektarbeit für den Fremdsprachen-unterricht. Das in diesem Buch dokumentier-te Airport-Projekt wird nach wie vor im Eng-lischunterricht an deutschen Schulen prakti-ziert und hat auch auf den Bereich Deutschals Fremdsprache einen großen Einfluss aus-geübt.

Michael Schart: Projektunterricht – subjek-tiv betrachtet. Eine qualitative Studie mitLehrenden für Deutsch als Fremdsprache.Hohengehren: Schneider Verlag 2003. Die Studie zeigt, wie die Projektidee mit sehrunterschiedlichen individuellen Vorstellun-gen eines effektiven Fremdsprachenunter-richts verschmolzen werden kann. Sie ge-währt Einblicke in die beruflichen Erfahrun-gen von Lehrerinnen und Lehrern und lädtdazu ein, sich mit dem didaktischen Denkenanderer auseinander zu setzen.

Rainer E. Wicke: Aktiv und kreativ lernen.Projektorientierte Spracharbeit im Unterricht.Ismaning: Hueber Verlag 2004. Eine sehr praxisnahe Einführung in hand-lungs- und projektorientierte Unterrichtsfor-men. Der Autor dokumentiert – reich illu-striert – eine Vielzahl von konkreten Beispie-len aus seinem Deutschunterricht an einemGymnasium in der Tschechischen Republikund der Fortbildung von Lehrenden.

Formfokussierung(kommentiert von M. Schifko)Catherine Doughty / Jessica Williams:Pedagogical choices in focus on form. (Didaktische Entscheidungen bei der Form-fokussierung). In: Doughty, C. & Williams, J. (Hrsg.), Focus on form in classroom

lernaufgaben. In H.-J. Krumm & P. R. Port-mann-Tselikas (Hg.), Theorie und Praxis.Schwerpunkt: Innovationen – Neue Wegeim Deutschunterricht. Österreichische Bei -träge zu Deutsch als Fremdsprache (Bd. 9), S. 59-72. Innsbruck: Studienverlag 2006. Hier werden die Erkenntnisse aus der kogni-tiven Psychologie und die Multi-Merkmal-Hypothese ausführlich besprochen und weiterführende Literaturhinweise gegeben.

Gerard J. Westhoff: Grammatische Regel-kenntnisse und der GER. Babylonia, 7 (1)2007, S. 7-16. (http://www.babylonia-ti.ch/BABY107/westhoffde.htm) Erläutert den Anteil formelhafter und kon-struierter Sprache im Zusammenhang mitunterschiedlichen Formen von korrektiverRückkopplung auf den verschiedenen Stufender Entwicklung einer Fremdsprachenkom-petenz. Mit zahlreichen weiterführenden Literaturhinweisen.

Projektlehren und -lernen(kommentiert von S. Hoffmann / M. Schart)Gulbahar H. Beckett / Tommy Slater:The project framework: a tool for language,content, and skills integration. ELT Journal59 (2) 2005, S. 108-116. Die Autoren beschreiben ein Planungs- undReflektionsmodell für den Projektunterrichtund zeigen anhand einer empirischen Studie, wie es eingesetzt werden kann, umLernende mit dieser Unterrichtsform vertrautzu machen und die Selbstevaluation zu un-terstützen.

John Dewey: Demokratie und Erziehung.Weinheim/Basel: Beltz Verlag 1993. Das erstmals 1916 erschienene Werk enthältdie wesentlichen Überlegungen des Pädago-gen und Philosophen John Dewey, dessenhandlungsorientiertes Lernen den Grund-stein nicht nur für die Reformpädagogik legte, sondern auch den Versuch darstellte,demokratisches Denken auf den Schulalltagzu übertagen.

Karl Frey: Die Projektmethode. Weinheim/Basel: Beltz Verlag 2005. Das mittlerweile in der 10. Auflage erschie-

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zum Themasecond language acquisition. Cambridge:Cambridge University Press 1998, S. 197-261. Der Aufsatz bildet den substantiellen Kernder Formfokussierungs-Diskussion aus didak-tischer Perspektive; Zusammenfassung undInterpretation der im Sammelband vereintenempirischen Arbeiten zur Formfokussie-rungs-Forschung.

Paul R. Portmann-Tselikas: Aufmerksam-keit statt Automatisierung. Überlegungenzur Rolle des Wissens im Grammatikunter-richt. In: German as a foreign language 2,2003, 29–58. [Online] http://gfl-journal.com(zuletzt eingesehen 27.10.2007).Unter Bezugnahme auf die angloamerikani-sche Formfokussierungsliteratur werden De-signmerkmale eines Grammatikunterrichtsdiskutiert, der die traditionell starke Produk-tionsorientierung des GU als Hemmschuhfür den Spracherwerb sieht und stattdesseneine gewichtigere Rolle für die Sprachrezep-tion, das Aufmerksammachen und –werdenim Sprachlernprozess und den kooperativenAustausch von Sprachwissen unter Lernen-den propagiert.

Sprachlernberatung(kommentiert von G. Mehlhorn / K. Kleppin)Sabine Bachmair / Jan Faber / ClaudiusHennig: Beraten will gelernt sein. Ein prakti-sches Handbuch für Anfänger und Fortge-schrittene. Weinheim: Beltz 1999. Das Lehrbuch für Beratungslehrende orien-tiert sich am klientenzentrierten Ansatz CarlRogers und dem Kommunikationsmodellvon Paul Watzlawick, führt in Grundlagenund Methoden der Beratung ein und lieferthilfreiche Übungsaufgaben vom Rollenspielbis zum Videoeinsatz.Karin Kleppin: Sprachlernberatung: ZurNotwendigkeit eines eigenständigen Ausbil-dungsmoduls. In: Zeitschrift für Fremdspra-chenforschung, Bd. 14, H. 1, 2003, S. 71-85.Der Artikel gibt einen Überblick über not-wendiges Hintergrundwissen, fachlicheKompetenzen und kommunikative Fertigkei-ten von Sprachlernberatern und -beraterin-

nen und stellt ein Modul zur Ausbildung vonSprachlernberatenden vor.

Grit Mehlhorn (unter Mitarbeit von Karl-Richard Bausch, Tina Claußen, Beate Helbig-Reuter und Karin Kleppin):Studienbegleitung für ausländische Studie-rende an deutschen Hochschulen. Teil I: Handreichungen für Kursleiter zumStudierstrategien-Kurs. Teil II: IndividuelleLernberatung – Ein Leitfaden für die Beratungspraxis. München: Iudicium 2005.Der Beraterleitfaden bietet eine Fülle an authentischen Beispielen zu real auf -tretenden Lernschwierigkeiten, Kultur -spezifika und individuellen Beratungsmög-lichkeiten für ausländische Studierende, die auch auf andere Sprachlernkontexteübertragbar sind.

Grit Mehlhorn / Karin Kleppin (Hrsg.):Sprachlernberatung. In: Zeitschrift fürFremdsprachenunterricht 2/2006, abrufbarunter: http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-11-2/allgemein/beitra30.htmDieses online publizierte Themenheft enthält13 Beiträge zur Sprachlernberatung von ver-schiedenen Autorinnen und Autoren, dietheoretische Grundlagen der Sprachlernbe-ratung diskutieren, aber auch gute Praxisbei-spiele weitergeben möchten.

Lehr- und Übungsbücher(kommentiert von M. Schifko)Monika Bovermann / Sylvette Penning-Hiemstra / Franz Specht / Daniela Wag-ner: Schritte 2. Ismaning: Hueber 2004.Schritte bzw. Schritte international (Aus-landsversion) ist ein sechsbändiges DaF-Grundstufenlehrwerk mit flacher Progressionund zahlreichen innovativen Vermittlungs-techniken (z.B. Foto-Hör-Geschichte) undÜbungstypen. Sehr gute und vielfältige Online-Materialien.

Rosa-Maria Dallapiazza / Eduard von Jan / Beate Blüggel / Anja Schümann:Tangram 2A. Lehrerbuch. Ismaning: Hueber 2000. Ein dem entdeckenden, induktiven Lernen

verpflichtetes DaF-Lehrwerk für die Grund-stufe. Kognitiv orientiert. Relativ anspruchs-volle Lese- und Hörtexte. Inhaltlich und in-terkulturell fordernd.

Günter Gerngroß / Wilfried Krenn / Herbert Puchta: Grammatik kreativ. Berlin: Langenscheidt 1999. Materialienband zum kommunikativenGrammatikunterricht; sehr brauchbar, umdie Bedeutungs- und Gebrauchsperspektivegrammatischer Strukturen deutlich zu ma-chen.

Michaela Perlmann-Balme / SusanneSchwalb: em neu: Hauptkurs. Deutsch alsFremdsprache für die Mittelstufe. Ismaning: Hueber 2005.DaF-Mittelstufenlehrwerk in drei Bänden(B1-C1); inhaltlich sehr anspruchsvoll, mitzahlreichen literarischen, auch Kunst undKünstlerpersönlichkeiten thematisierendenTexten.

Mario Rinvolucri / Paul Davis (Hrsg.):66 Grammatik-Spiele Deutsch als Fremd-sprache. Stuttgart: Klett 1999.Eine Sammlung von verschiedenen, meistbrauchbaren und inspirierenden Spielideenfür den Grammatikunterricht.

Scott Thornbury: Uncovering Grammar(Grammatik entdecken). Oxford: Oxford University Press 2001. Materialienband zum Grammatikunterricht,der Grammatik mehr als Fertigkeit (die es imUnterricht zu entwickeln gilt) denn als Wis-sen begreift; interessante und innovative un-terrichtspraktische Ideen.

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Aktuelles FachlexikonAufgabenorientierter Unterricht(task based teaching)Aktuelle Strömung in der Fremdsprachendi-daktik, die sich auf die Auswahl geeigneterSprachlernaufgaben konzentriert, die dieLernenden zum Ausüben und Erlernen dergewünschten sprachlichen Fertigkeiten brin-gen sollen. Aufgaben (tasks) werden im Ge-gensatz zu Übungen (exercises) als flexiblerund offener gesehen und ermöglichen esden Lernenden, bei der Bearbeitung bis zueinem gewissen Grad autonom zu handeln Lernerautonomie.

Entwicklungsstufen, -stadien, Erwerbs-oder LernsequenzenVerschiedene Begriffe für die Erkenntnis,dass die Entwicklung der Interimsspracheder Lernenden stufenartig verläuft, wobeidie einzelnen Stufen bis zu einem gewissenGrad universell sind (d.h. für alle Lernendengelten). Die Stufen selbst und auch die Ge-schwindigkeit, mit der sie durchlaufen wer-den, können wohl nur teilweise durchSprachunterricht beeinflusst werden – wieweit, ist umstritten (vgl. Aguado, S. 53).

Forcierte Sprachproduktion(pushed output)Verfahren, bei dem die Sprachproduktionvon Lernenden gefördert wird, um sie dazuzu bringen, ihre Hypothesen (Annahmen)über bestimmte Phänomene bei der Sprach-verwendung zu testen und sich damit überdiese Phänomene klarzuwerden. Oftmals soangelegt, dass von den Lernenden die Ver-wendung bestimmter sprachlicher Formenoder die Bewältigung bestimmter Kommuni-kationssituationen verlangt werden.

Formfokussierung, Formorientierung (focus on form)Verfahren im Fremdsprachenunterricht, beidenen die Aufmerksamkeit der Lernendenauf die sprachliche Form gerichtet wird (Sprachaufmerksamkeit), damit sie selbst Zu-sammenhänge erkennen und Regeln er-schließen können. Der Unterschied zur kon-ventionellen Grammatikarbeit liegt darin,dass der Zusammenhang zu den Inhaltenbzw. Funktionen der sprachlichen Formenimmer gewahrt bleiben soll. So werden die-

nen einer Fremd- oder Zweitsprache erreichthaben. Interimssprachen entwickeln sichüber mehrere Entwicklungsstufen, diesich nach und nach der Zielsprache annä-hern. Interimssprachen sind außerdem syste-matisch, das heißt eventuelle Abweichungenvon der Zielsprache sind nicht zufällig undfolgen einer eigenen inneren Logik. Häufigtritt das Phänomen auf, dass Regeln, die füreinen Bereich richtig sind, fälschlicherweiseauf andere Bereiche angewendet werden.Auf diese Weise kann es z.B. im Deutschenzu Formen wie „gelauft“ kommen, indemdie regelmäßige Partizipbildung auf unregel-mäßige Verben angewendet (generalisiert)wird.

Konstruktivismus / InstruktivismusDie Verwendung dieser Begriffe ist nicht ein-heitlich. Der Konstruktivismus ist eigentlicheine Erkenntnistheorie, die betont, dass daswas Menschen von der Welt wahrnehmen,ihre eigenen Konstruktionen sind und nichteine von dieser Wahrnehmung unabhängigeRealität. Diese Grundidee wird im Konstruk-tivismus als Lerntheorie so verstanden, dassder Mensch sich in Interaktion mit seinerUmwelt in kreativer Weise seine eigene Weltschafft, dass Lernen also die Konstruktionvon Wirklichkeit im Individuum bedeutet.Das heißt, es ist besonderes Augenmerk aufdie Lerneraktivität und die Individualität derLernenden zu richten. Gegenbegriff zumKonstruktivismus ist der Instruktivismus, derLernen als einen von außen steuer- undplanbaren, eher rezeptiven Prozess verstehtund weitgehend davon ausgeht, dass ver-schiedene Lernende in ein und derselbenLernsituation sehr ähnliche Lernprozessedurchlaufen.

Kritische PeriodeUnter kritischer Periode ist zu verstehen,dass es während der menschlichen Entwick-lung ein gewisses „Zeitfenster“ für die Ent-wicklung bestimmter kognitiver Fähigkeitengibt. Ein solches Zeitfenster scheint es fürden Erstspracherwerb zu geben: wenn ernicht bis zum Alter von etwa vier Jahren be-ginnt, scheint eine normale Erstsprachent-wicklung nicht mehr möglich zu sein. Auchfür den Fremd- und Zweitspracherwerb wur-

se nicht isoliert behandelt, sondern es wirdder Form-Inhalts-Bezug in der Sprache the-matisiert.

Input (Sprachangebot) / Intake (Sprachaufnahme)Unter Input versteht man alles, was Lernen-de im Kontakt mit der Sprache hören oderlesen, die Gesamtheit der sprachlichen Rei-ze, die auf die Lernenden einwirken, unab-hängig davon, ob diese Reize auch aufge-nommen und verarbeitet werden. Der Anteildes Input, der aufgenommen wird, wird mitdem Begriff Intake bezeichnet. In der Regelist davon auszugehen, dass der Intake imVerhältnis zum Input nur einen beschränk-ten Umfang hat, da die Lernenden abhängigvom Niveau ihrer Sprachbeherrschung nureine begrenzte Aufnahmekapazität haben.

Inputflut (input flood)Verfahren, bei dem im Input, der den Ler-nenden präsentiert wird, bestimmte sprachli-che Formen gehäuft vorkommen, um dieLernenden speziell auf diese Form aufmerk-sam zu machen. Dieses Verfahren wird beider Formfokussierung eingesetzt. Es istwichtig, darauf zu achten, dass keine Textepräsentiert werden, die sehr konstruiert undunnatürlich wirken. Die Sprache sollte ge-genüber authentischen Texten nicht zu sehrverändert werden, um die Lernenden mitrealistischer Sprache zu konfrontieren.

InteraktionshypotheseDie Interaktionshypothese, auch „Bedeu-tungsaushandlungshypothese“ genannt,geht davon aus, dass nicht Input alleinden Spracherwerb fördert. Es käme ebensoauf Output (Sprachproduktion) und auf In-teraktion (vor allem mit anderen Lernenden)an. Output und Interaktion würden beidewiederum zum Input für andere Lernende.Die Interaktion sollte dem Aushandeln vonBedeutung(en) bzw. dem Aushandeln vonSinn gewidmet sein, das heißt, die Lernen-den sollten sich interaktiv mit den Inhaltender Sprache auseinandersetzen.

Interimssprache, Lernersprache (interlanguage)Die Zwischenstufe, die Lernende beim Ler-

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de eine kritische Periode definiert, die etwamit der Pubertät endet. Heute ist diese Vor-stellung umstritten, da von der Forschung ei-nige Fälle von Lernenden beschrieben wur-den, die nach der Pubertät eine Zweitspra-che bis zu fast muttersprachlichem Niveauentwickelt haben.

Lateralität / LokalisierungDiese beiden Begriffe haben mit der Veror-tung gewisser Fähigkeiten und kognitiverLeistungen im Gehirn zu tun: Lateralität be-deutet, dass die beiden Hirnhälften auf un-terschiedliche Aufgaben spezialisiert sind,sodass etwa Sprache eindeutig der linkenHirnhälfte zuzuordnen wäre. Lokalisierungmeint darüber hinaus, dass sich für bestimm-te sprachliche Leistungen, so z.B. für lexikali-sche Speicherung, ein bestimmtes Areal imGehirn bezeichnen lässt, das diese Aufgabeerfüllt. Neuere Forschungen zeigen, dass sol-che räumlichen Zuordnungen problematischsind, da bei sprachlicher Aktivität oft weitver-zweigte Hirnareale beteiligt sind und die je-weiligen Aktivierungsmuster zudem individu-ell sehr unterschiedlich ausfallen.

LernerautonomieLernende übernehmen Verantwortung fürSteuerung, Planung und auch Inhalte ihres eigenen Lernens. Grundlage dafür ist einer-seits ein demokratisches Verständnis von Bil-dungsprozessen und andererseits das Argu-ment, dass Lernende befähigt werden sollen,unabhängig und selbstgesteuert zu lernen,um ihr ganzes Leben lang erfolgreich weiter-zulernen. Dazu kommt, dass insbesondere imZusammenhang mit der Lerntheorie des Konstruktivismus ein gewisser Grad vonAutonomie Voraussetzung dafür ist, dassLernprozesse überhaupt erfolgreich verlaufen.Erst eine gewisse Eigenaktivität der Lernen-den erlaubt ihnen die Konstruktionsprozesse,die zur Aneignung der Lerninhalte führen.

MetaspracheDas Sprechen oder Schreiben über Sprache.Das beginnt mit einfachen Sätzen wie „DasWort ‚essen’ schreibt man mit Doppel-S“und führt bis hin zu ausgefeilter grammati-scher Terminologie. Die Fähigkeit von Ler-nenden über Sprache zu sprechen, also ihre

te können später als regelgenerierte Kon-struktionen in Erscheinung treten. Dabeikann es auch zu scheinbaren Rückschrittenim Sprachlernprozess kommen: Bei der An-wendung der Regeln werden Fehler ge-macht, die in den „auswendig“ gelerntenSprachbausteinen nicht vorkamen.

Sprachbewusstheit (language awareness)Kenntnisse und Einsichten der Lernendenüber das Funktionieren von Sprache allge-mein sowie einzelner Sprachen. Dazu gehö-ren ganz grundlegende Erkenntnisse wie dieTatsache, dass es für gleiche oder ähnlicheInhalte mehr als einen sprachlichen Aus-druck gibt, dass es auch umgekehrt sprachli-che Formen gibt, die für mehr als einen In-halt stehen können. Aber auch spezialisierte-re Kenntnisse wie das Wissen, welchesprachlichen Grundfunktionen (z.B. Fragebil-dung, Verneinung) in verschiedenen Spra-chen mit welchen Mitteln gebildet werdenkönnen, zählen dazu. Generell gehensprachbewusste Lernende mit erhöhter Auf-merksamkeit und Analysefähigkeit ansprachliche Phänomene heran und sind auchin der Lage, ihre Beobachtungen mittels Metasprache zu formulieren.

TransferDie Übertragung von sprachlichen Elemen-ten von einer Sprache auf eine andere. DieseÜbertragung kann auf der Ebene der Aus-sprache liegen und ist dann als Akzent er-kennbar, sie kann das „Ausborgen“ vonWörtern aus einer anderen Sprache (z.B.„waiten“ statt „warten“) oder auch dieÜbernahme von grammatischen Konstruk-tionen von einer Sprache in die andere (z.B.„mehr intensiv“ statt „intensiver“) umfas-sen. Die Übertragung kann aus der Erst- indie Zweitsprache, aus der Zweit- in die Dritt-sprache usw., aber auch von später gelern-ten auf zuvor gelernte Sprachen erfolgen.Oft wird zwischen positivem Transfer, derElemente betrifft, die tatsächlich auf die an-dere Sprache übertragbar sind und negati-vem Transfer, bei dem die übertragenen Ele-mente zu Fehlern in der anderen Spracheführen, unterschieden. Der negative Transferwird auch als „Interferenz“ bezeichnet.

metasprachliche Fähigkeit, wird als wichtigerBestandteil ihrer Sprachbewusstheit gese-hen und daher gibt es in neueren sprachdi-daktischen Konzeptionen vermehrt Aufga-ben und Übungen, die auf metasprachlichenAustausch abzielen.

Regelgenerierte KonstruktionenDarunter versteht man die Sprachäußerun-gen, die auf der Anwendung grammatischerRegeln auf sprachliche Elemente beruhen.Sie wird auch als „kreative“ oder „gramma-tikalisierte“ Sprache bezeichnet. So muss indem Satz „Das ist der Mann, den ich ge-stern gesehen habe.“ an verschiedenen Stel-len (Übereinstimmung des Relativprono-mens, Partizipialkonstruktion ...) auf Erzeu-gungsregeln zurückgegriffen werden, um ei-nen korrekten Satz zu produzieren. Die Kon-struktion des Partizips („gesehen“) hingegenkann in diesem Satz nicht von einer Regelabgeleitet sein, sondern muss aus dem lexi-kalischen Speicher stammen, da es sich umeine unregelmäßige Verbform handelt.

Sprachaufmerksamkeit (noticing)Prozess, bei dem Lernende besondere Form-eigenschaften im Input bemerken undsich in einer zweiten Stufe über deren Funk-tion klar werden ( Sprachbewusstheit). EinBeispiel: Lernende bemerken zuerst die fürsie neue unregelmäßige Form „gebracht“ im Input und ordnen sie in einem zweitenSchritt bezüglich ihrer verschiedenen Eigen-schaften ein: Es handelt sich um eine Formdes Verbs „bringen“, es handelt sich um einPartizip Perfekt ...

Sprachbausteine (chunks)Darunter versteht man die sprachlichen Äu-ßerungen, die formelhaft verwendet wer-den. Sie werden nicht aus ihren Bestandtei-len konstruiert ( regelgenerierte Konstruk-tionen), sondern als unanalysierte Einheitverwendet. Bei Lernenden können wir oftcharakteristische Fehler beobachten, an de-nen man erkennen kann, dass sie versuchen,Sprachbausteine in regelgenerierte Kon-struktionen einzubauen wie z.B.: „Wie gehtses dir?“; „Zwei ein Bier bitte!“ (Sprachbau-stein jeweils kursiv). Von Lernenden anfäng-lich als Bausteine verwendete Sprachelemen-

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Fremdsprache Deutsch Heft 38/2008 – Sprechen lernen – Theorien und Modelle, ISBN 978-3-19-709183-9, © Hueber Verlag 2008

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Prof. Dr. Karin AguadoFachbereich 02Deutsch als Fremd- und ZweitspracheUniversität KasselGeorg-Forster-Str. 3D-34125 [email protected]://karin.aguado.de/Tel.: +49-561-804-3309Tel.: +49-561-804-3310 (Sekretariat)Fax: +49-561-804-3873Professorin für Deutsch als Fremd- undZweitsprache mit den Arbeitsschwer -punkten Sprachlehr- und -lernforschung,Psycholinguistik des Zweitspracherwerbs,individuelle Unterschiede (Faktor„Alter“), Forschungsmethodologie

Univ.-Prof. Dr. Klaus-Börge BoeckmannDeutsch als ZweitspracheInsti tut für Germanistik der Universität WienDr.-Karl-Lueger-Ring 1A-1010 WienÖ[email protected]://homepage.univie.ac.at/klaus-boerge.boeckmannTel.: +43-1-4277-42173Tel.: +43-1-4277-42107 (Sekretariat)Fax: +43-1-4277-42180Professor für Deutsch als Zweitsprachemit den Arbeitsschwerpunkten Fremd-und Zweitsprachenerwerb und -lernen,Interkulturelle Kommunikation undInterkulturelles Lernen, Aktions for -schung im Fremd- und Zweitsprachen -unterricht, Neue Medien in der spra-chenbezogenen Lehre

Sabine Hoffmann (M.A.)DeutschlektorinUniversità degli Studi di PalermoDipartimento ARCOV.le delle Scienze - Ed. 15 I-90128 [email protected].: +39-091-6561029 (Institut)Tel.: +39-091-6561001 (Sekretariat)Deutschlektorin an der Universität inPalermo mit den ArbeitsschwerpunktenLernerautonomie, Projektunterricht,Lernberatung, Strategien- undMotivationsforschung

Prof. Dr. Karin Kleppin Ruhr-Universität BochumSeminar für SprachlehrforschungD-44780 [email protected] für Sprachlehrforschung undwissenschaftliche Leiterin des Zentrumsfür Fremdsprachenausbildung. Arbeits -schwerpunkte: Sprachlern beratung,Fremd- und Selbstevaluation,Bewertungskriterien, (e)Tandem

O. Univ.-Prof. Dr. Hans-Jürgen KrummLehrstuhl Deutsch als FremdspracheInstitut für Germanistik der Universität WienDr.-Karl-Lueger-Ring 1A-1010 WienÖ[email protected]://homepage.univie.ac.at/hans-juergen.krummTel.: +43-1-4277-42174Tel.: +43-1-4277-42107 (Sekretariat)Fax: +43-1-4277-42180Professor für Deutsch als Fremdsprachemit den Arbeitsschwerpunkten Deutschals Zweitsprache, Sprachenpolitik,Deutsch und Mehrsprachigkeit,Interkulturelle Kommunikation undLandeskunde, Sprache und Identität

Akademische Oberrätin Dr. Nicole MarxWestfälische Wilhelms-Universität MünsterGermanistisches InstitutAbtei lung Didaktik der deutschenSprache und LiteraturLeonardo-Campus 11D-48149 Mü[email protected].: +49-251-83 39315Fax: +49-251-83 31755Dozentin an der Wilhelms-UniversitätMünster mit den Schwerpunkten Mehr -sprachigkeit und Tertiär sprachen lernen,Metalinguistisches Bewusstsein, Neue Medien im FSU

Prof. Dr. Grit Mehlhorn Universität LeipzigInstitut für SlavistikBeethovenstr. 15D-04107 [email protected] für Didaktik der slavischenSprachen. Arbeitsschwerpunkte: Sprach -lernberatung, Ausspracheerwerb, Mehr -sprachigkeit, Sprachlernbewusstheit

Dr. Michael SchartKeio Universität TokioJuristische Fakultät / Nebenfachbereich„Deutsche Sprache, Kultur & Gesellschaft“Hiyoshi 4-1-1J-Yokohama [email protected].: +81-467-5403230Fax: +81-467-5403230Arbeitsschwerpunkte: Evaluations- undAktionsforschung im Fremdsprachen -unterricht, aufgaben- und inhaltsbasier-ter Fremdsprachenunterricht, Methodenund Methodologie der empirischenUnterrichtsforschung

Dr. Manfred SchifkoVorstudienlehrgang der Grazer UniversitätenNeubaugasse 10A-8020 GrazÖ[email protected].: +43 (0)316 950 112 Fax: +43 (0)316 950 111Seit 1987 Lehrer für Deutsch als Fremd -sprache in der Studienvorbereitung ausländischer Studierender; Lehrbeauf tragter an den DaF-Abtei -lungen der Universitäten Graz und WienArbeits schwerpunkte: Grammatik beschreibung/-vermittlung,kognitive Fremdsprachenerwerbstheorie,Testen und Evaluation vonSprachbeherrschung

Prof. Dr. Gerard WesthoffUniversiteit Utrecht, IVLOSPostbus 80127NL-3508 TC [email protected]://www.ivlos.uu.nl/deorganisatie/wiewatwaar/medewerkers/ westhoff/6797main.htmlTel.: 030-2532263Tel.: +31-30-253 7968 (Sekretariat)Fax: +31-30-253 2741Professor an der Universität Utrecht mitden Arbeitsschwerpunkten Psycho lingu -istik, Fremd- und Zweitsprachenerwerbund -lernen, Analyse und Entwurf vonLernaufgaben

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