10
Friedrich-Schiller- Universität Jena SS 2010 Vorlesung Europarecht Prof. Dr. Christoph Ohler, LL.M.

Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

  • Upload
    gad

  • View
    34

  • Download
    0

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010. Vorlesung Europarecht Prof. Dr. Christoph Ohler, LL.M. § 1 Überblick. I. Ziele der europäischen Integration Zusammenführung der Völker und Staaten Europas zu einer größeren Einheit durch Kooperation und Koordination der Mitgliedstaaten - PowerPoint PPT Presentation

Citation preview

Page 1: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

Friedrich-Schiller-Universität Jena

SS 2010

Vorlesung

Europarecht

Prof. Dr. Christoph Ohler, LL.M.

Page 2: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

§ 1 Überblick I. Ziele der europäischen Integration

Zusammenführung der Völker und Staaten Europas zu einer größeren Einheit durch

Kooperation und Koordination der Mitgliedstaaten Gemeinsame Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben unter

Überwindung einzelstaatlicher Strukturen in einem eigens hierfür geschaffenen Verband, der Europäischen Union

Supranationaler Charakter der EU Ziele der EU, vgl. Art. 2 EUV

Friedenssicherung nach Innen und Außen Freiheit von Handel und Personenverkehr (Binnenmarkt) Wohlstandsmehrung durch Wettbewerbsschutz Soziale Sicherung u. Umweltschutz Erhaltung europäischen Einflusses in der Welt

Politisch offener Prozess (Frage der „Finalität“) Inhaltlich offen, da bloße Rahmenregelung durch das Primärrecht Organisatorisch: Staatenverbund oder Bundesstaat?

Page 3: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

§ 1 Überblick I. Ziele der europäischen Integration

Inhalte des Integrationsprogramms Abbau von Handelsschranken zwischen den Mitgliedstaaten

Verbot von Zöllen Verbot mengenmäßiger Beschränkungen Rechtsangleichung

Abbau von Freizügigkeitsschranken im Binnenmarkt Zugang zu Arbeits- und Ausbildungsmärkten

Einschließlich sozialer Sicherung Schaffung von Wettbewerbsgleichheit für Unternehmen

Verhinderung staatlichen Protektionismus Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Abbau von Personenkontrollen Einschließlich strafrechtlicher Zusammenarbeit

Wirtschafts- und Währungsunion: einheitliche Währung und Geldpolitik

Politische Union Gemeinsame Außenpolitik/Verteidigung

Page 4: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

§ 1 Überblick II. Historische Entwicklung

Der Europäische Einigungsgedanke bis zum 20. Jh. Idee einer Einigung Europas über die Jahrhunderte immer

wieder präsent, z.B. Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, 1795

Geistige Antriebskräfte Christentum Humanismus und Renaissance Sozialistische Internationale

Im 19. Jh. verstärkte internationale Zusammenarbeit (sog. Verwaltungsunionen) in einzelnen Funktionsbereichen staatlicher Aufgabenerfüllung

Post, Telefon, Eisenbahnen, Geistiges Eigentum etc. Haager Friedenskonferenzen 1899/1907

Page 5: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

§ 1 Überblick II. Historische Entwicklung: Der Europäische Integrationsprozess

im 20. Jahrhundert Erster Weltkrieg 1914 – 1918: mehr als 9 Mio. Tote Zwischenkriegszeit

Gründung des Völkerbundes Pariser Vorortverträge (in Deutschland als „Diktat von Versailles“

empfunden) Insofern keine gleichberechtigte Friedensordnung, sondern „Fortsetzung des

Krieges mit anderen Mitteln“ (Reparationsleistungen) Gründung der Paneuropa-Union (Graf Coudenhove-Kalergi) 1923; Forderung

eines europäischen Bundesstaates Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1932 Machtergreifung der NSDAP in Deutschland im Jahr 1933

Zweiter Weltkrieg 1939 – 1945 Mehr als 50 Mio. Tote (Soldaten und Zivilisten) Verwüstung weiter Teile Europas Holocaust an den europäischen Juden sowie Verfolgung zahlreicher

Minderheiten (Sinti und Roma, Homosexuelle etc.) Erkenntnis der Notwendigkeit einer Neuordnung Europas auf der

Grundlage friedlicher Gleichberechtigung der Staaten

Page 6: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

§ 1 Überblick II. Historische Entwicklung: Der Europäische Integrationsprozess im 20.

Jahrhundert Züricher Rede“ Winston Churchills (1946) 1948 – Gründung der Organisation für Europäische Wirtschaftliche

Zusammenarbeit (OEEC, heute OECD) 5. Mai 1949 – Gründung des Europarats (früher Europatag) 9. Mai 1950 (nunmehr Europatag): „Schuman Erklärung“ / „Schuman Plan“

Zusammenlegung der deutschen und französischen Kohle- und Stahlindustrie (Kriegsindustrien)

Gründung einer gemeinsamen obersten Autorität innerhalb einer Organisation, offen für Mitwirkung anderer europäischer Staaten

Erste Etappe einer „Europäischen Föderation“ 18. April 1951 – Unterzeichnung des Vertrag zur Gründung der Europäischen

Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, „Montanunion“) 23. Juli 1952 – Inkrafttreten, 23. Juli 2002 – Zeitlicher Ablauf

1954: Scheitern der EVG in der französischen Nationalversammlung 1. Juni 1955 – Außenministerkonferenz von Messina

Studienausschuss zur Prüfung der Möglichkeit einer weiteren wirtschaftlichen Integration inkl. Atomenergie

Page 7: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

§ 1 Überblick II. Historische Entwicklung: Der Europäische Integrationsprozess im 20.

Jahrhundert 25. März 1957 – Unterzeichnung der „Römischen Verträge“ durch die 6

Gründungsmitglieder (D, F, I, B, NL, Lux) Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV), seit dem

Vertrag von Maastricht (1992) „EG-Vertrag“ Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG; „Euratom“) 1. Januar 1958: Inkrafttreten der Römischen Verträge

17. Februar 1986 – Unterzeichnung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) Vertrag von Maastricht über die Europäische Union v. 7. Februar 1992, in Kraft

getreten am 1.11.1993: Gründung der Europäischen Union neben der E(W)G Urteil des BVerfG vom 12.10.1993, BVerfGE 89, 155

Amsterdamer Vertrag vom 2. Oktober 1997, in Kraft getreten am 1. Mai 1999 Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001, Inkrafttreten am 1. Februar 2003 Vertrag über eine Verfassung für Europa (gescheitert)

Unterzeichnet am 29. Oktober 2004 Ablehnende Referenden in Frankreich und NL (2005): danach endgültiges Scheitern

(Reform-)Vertrag von Lissabon, unterzeichnet am 13.12.2007, in Kraft seit 1.12.2009

Zuvor: Urteil des BVerfG vom 30.6.2009 – Lissabon, BVerfGE 123, 267

Page 8: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

§ 1 Überblick III. Die Merkmale des Rechts der EU Primäres Unionsrecht (Primärrecht)

Das geschriebene Primärrecht umfasst Vertrag über die Europäische Union als Rahmenvertrag bzw.

Grundlagenregelung (EUV) Vertrag über die Arbeitsweise der EU als Ausführungsregelung (AEUV) Protokolle zu diesen Verträgen, vgl. Art. 51 EUV, z.B. Grundrechtecharta,

Satzung EuGH, Satzung EZB usw. Alle diese Rechtsakte sind rechtlich gleichrangig und können jeweils

die gleichen rechtlichen Wirkungen entfalten, siehe Art. 1 Abs. 3 EUV Beachte zudem

Änderungsverträge gem. Art. 48 EUV ändern mit gleichem Rang und Wirkung die Verträge

Beitrittsverträge, gem. Art. 49 Abs. 2 S. 1 EUV können ebenfalls die Verträge ändern

Ungeschriebenes Primärrecht: allgemeine Rechtsgrundsätze Entwickelt durch EuGH im Wege richterlicher Rechtsfortbildung Grundlage: Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV

Page 9: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

§ 1 Überblick III. Die Merkmale des Rechts der EU Sekundäres Unionsrecht (Sekundärrecht)

„abgeleitetes Recht“ = die nach den Verträgen (EUV/AEUV) zulässigen Handlungen der Organe der EU mit verbindlicher Rechtswirkung

Sekundärrecht muss formell und materiell mit Primärrecht übereinstimmen

Rechtsgrundlage, Gesetzgebungsverfahren, Übereinstimmung mit Grundrechten und allgemeinen Rechtsgrundsätzen

Handlungsformen Art. 288 AEUV: Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse

Unverbindlich sind Stellungnahmen und Empfehlungen Art. 25 EUV: spezifische Handlungsformen der GASP Art. 216 ff. AEUV: völkerrechtliche Verträge der Union

Beachte: sie genießen Vorrang vor dem Sekundärrecht gem. Art. 216 Abs. 2 AEUV, aber Nachrang hinter dem Primärrecht, Art. 218 Abs. 11 AEUV

Sonstige (spezielle) Handlungsformen nach Maßgabe des Primärrechts

Page 10: Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010

§ 1 Überblick III. Die Merkmale des Rechts der EU Autonomie des Gemeinschaftsrechts

Nach st. Rspr. des Europäischen Gerichtshofs bildet das Gemeinschaftsrecht/Unionsrecht eine „neue Rechtsordnung des Völkerrechts“, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten sind, sondern auch private Einzelne/Unternehmen

Konsequenzen Begriffe des Unionsrechts sind grds. autonom auszulegen Letztentscheidung über Auslegungsfragen des Unionsrechts beim EuGH Verwerfungsmonopol des EuGH für sekundäres Unionsrechts

Vorrang Das Recht der EU genießt Vorrang gegenüber allem innerstaatlichen Recht Innerstaatliches Recht kann daher nicht Prüfungsmaßstab für EU Recht sein Im Kollisionsfall setzt sich EU Recht durch, widersprechendes innerstaatliches

Recht muss unangewendet bleiben (sog. Anwendungsvorrang) Unmittelbare Anwendbarkeit

EU Recht hat die Fähigkeit, unmittelbar, d.h. ohne weiteren Transformations- oder Vollzugsakt im innerstaatlichen Rechtsraum, für seine Adressaten Rechte und Pflichten zu entfalten