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Psychopharmaka im Alter
-Grundlagen-
München, 7. Juni 2018
Gerhard Stadler, BBA, Krankenpfleger f. Psychiatrie
allgäu akademie Kaufbeuren
Der heutige Tag
Zahlen/Daten/Fakten Psychopharmaka und Demenz
Was sind Psychopharmaka?
Wie wirken Psychopharmaka?
Welche besonderen Bedingungen gibt es im Alter zu beachten?
Was sind Antipsychotika – Wirkung/UAW?
Welche Schlüsselfaktoren tragen zur Qualitätsverbesserung bei?
Grundsätze Psychopharmaka im Alter
Psychopharmaka im Alter –
Aktualität?
Psychopharmaka - BRD 2014 – Ausgaben insgesamt 1,7 Mrd. Euro – Platz 2
– Verbrauch insgesamt 2 Mrd. DDD – Platz 5
– Der größte Teil der Neuroleptika und Antipsychotika
wird nicht zur Behandlung der Schizophrenie
eingesetzt.
– Neuroleptika werden überproportional bei älteren
Menschen verordnet
– beträchtlicher Anteil muss als potenziell inadäquate
Medikation im Alter angesehen werden
Arzneimittel-Atlas und Arzneiverordnungsreport 2014
Arzneiverordnungsreport Jahr 2008: – über 60-jährige bekommen 66 % aller
verordneten Fertigarzneimittel, obwohl sie nur
26,8 % der Gesamtpopulation ausmachen.
– jeder über 70-Jährige nimmt regelmäßig Ø 6
verschiedene Medikamente
– jährlich ca. 20.000 Tote in der BRD durch
Nebenwirkungen der Medikamente
– keine Leitlinien für Pat. mit mehreren
Medikamenten
Arzneimittel im Alter
Quelle: Dtsch Arztebl Int 2010, 107 (31-32): 543-51
Psychopharmaka bei Menschen mit Demenz in Pflegeheimen Sekundärdatenanalyse in Deutschland, Österreich und den Niederlanden
Ergebnisse:
55–77% der Bewohner mit Demenz bekommen Psychopharmaka.
37–60% der Bewohner werden Neuroleptika verabreicht.
6–18% der Demenzkranken erhalten drei oder mehr verschiedene
Psychopharmaka.
Die höchsten Verordnungszahlen finden sich sowohl in einzelnen
deutschen als auch österreichischen Heimen.
In deutschen Pflegeheimen werden bei den Neuroleptika Melperon,
Risperidon und Pipamperon bevorzugt,
während es in Österreich Prothipendyl,
Risperidon und Haloperidol sind.
Quelle: Stefan Wilm - Institut für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Universität Witten/Herdecke, Witten, Deutschland, September 2011.
Psychopharmaka in Pflegeheimen – Aktualität?
Januar 2013 –
Untersuchung der Medikamenten-
rezepte aller Bewohner
Münchner Altenheime durch die FQA.
Ergebnisse:
o Von 6394 Senioren hatten 51% eine
Verordnung über Beruhigungsmittel.
o Gabe vor allem abends und nachts.
o Am häufigsten den Wirkstoff
Lorazepam.
Quelle: http://www.ppm-online.org/verlag/artikel-lesen/artikel/pflege-medikamente/27.03.2013.
Pflege-Report 2017 (1) Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), 5. April 2017
43% der Bew. mit Demenz dauerhaft mind. 1
Neuroleptikum
20% der Bew. ohne Demenz
Dauerhafter Einsatz verstößt gegen Leitlinien
Nur wenige Wirkstoffe haben Zulassung und nur
bis zu einer Behandlungsdauer von 6 Wochen
Europäischer Vergleich:
12% Schweden
30% Finnland
Pflege-Report 2017 (2) Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), 5. April 2017
Schriftliche Befragung 2500 Pflegefachpersonen
Mehr als die Hälfte der Bew. erhalten
Psychopharmaka
64% erhalten die Verordnungen schon länger
als 1 Jahr
82% der Pflegenden hielten diesen Umfang für
angemessen
S3-Leitlinien „Demenzen“
Vor dem Einsatz von Psychopharmaka bei
Verhaltenssymptomen soll ein psychopathologischer
Befund erhoben werden.
Darüber hinaus besteht eine Indikation für eine
pharmakologische Intervention, wenn psychosoziale
Interventionen nicht effektiv, nicht ausreichend oder
nicht verfügbar sind.
Bei Eigen- oder Fremdgefährdung, die nicht anders
abwendbar ist, kann eine unmittelbare pharmakologische
Intervention erforderlich sein. Good clinical practice, Expertenkonsens
Quelle: S3-Leitlinie "Demenzen": Langversion (1. Revision, August 2015), S. 68.
S3-Leitlinien „Demenzen“
Die Gabe von Antipsychotika bei Patienten mit
Demenz ist wahrscheinlich mit einem erhöhten
Risiko für Mortalität und für zerebrovaskuläre
Ereignisse assoziiert.
Es besteht ferner wahrscheinlich das Risiko für
beschleunigte kognitive Verschlechterung
durch die Gabe von Antipsychotika bei Demenz.
Die Behandlung soll mit der geringstmöglichen
Dosis und über einen möglichst kurzen Zeitraum
erfolgen.
Quelle: S3-Leitlinie „Demenzen“, 2015, Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia und III
Arzneimittel im Alter
Seit 08/2010
Priscus-Liste (potentiell inadäquater
Medikation für ältere Menschen)
stuft 83 Medikamente als für
Senioren ungeeignet ein, da sie
höhere Risiken mit sich bringen.
Gleichzeitig zeigt eine Untersuchung:
40 Prozent der Altenheim-
Bewohner bekommen Mittel,
die auf der Liste stehen.
Quelle: P. Thürmann, Witten/Herdecke
Beispiele Priscus-Liste
Antidepressiva: Amitriptylin (z. B. Saroten), Doxepin (z. B. Aponal) Bedenken: Mundtrockenheit, Verstopfung, Herzrhythmusstörungen, Benommenheit, erhöhtes Sturzrisiko Alternativen (laut Priscus-Liste): Citalopram, Escitalopram, Sertralin Herz-Kreislauf-Mittel: Nifedipin (z. B. Adalat) Bedenken: in kurzwirksamer Form erhöht sich das Herzinfarkt-Risiko Alternativen (laut Priscus-Liste): ACE-Hemmer, Betablocker Muskelentspannende Mittel: Baclofen (z. B. Lioresal), Tetrazepam (z. B. Musaril) Bedenken: können Vergesslichkeit, Verwirrtheit und Stürze hervorrufen Alternativen (laut Priscus-Liste): Tolperison, Tizanidin Schlaf- und Beruhigungsmittel: Langwirksame Benzodiazepine wie Chlordiazepoxid (z. B. Librium), Diazepam (z. B. Valium), Flurazepam (z. B. Dalmadorm) Bedenken: können die Sturzgefahr erhöhen, weil sie die Muskeln entspannen, außerdem sind Unruhe, Reizbarkeit oder Halluzinationen möglich Alternativen (laut Priscus-Liste): kurz wirksame Benzodiazepine, Opipramol, niederpotente Neuroleptika (z.B. Melperon, Pipamperon)
Psychopharmaka (psychotrope Substanzen)
-Einteilung-
• Antipsychotika – 1. Generation [klassische] (z.B. Haldol®, Neurocil®, Atosil®, Dipiperon®, Eunerpan®)
– 2. Generation [atypische] (z.B. Risperdal®, Zyprexa®, Leponex®, Seroquel®)
• Antidepressiva – Trizyklische AD - TZA (z.B. Saroten®, Amitriptylin)
– Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer – SSRI (z.B. Cipramil®/Citalopram) – Noradrenalin/Serotonin-selektive Antidepressiva – NaSSA (z.B. Remergil®/Mirtazapin) – Selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer – SSNRI (z.B.
Trevilor/Efectin (ER)®/Venlafaxin) – Phytopharmaka (z.B. Jarsin®/Johanniskraut)
• Tranquilizer – Benzodiazepine (z.B. Tavor®/Laubeel® (Lorazepam)
– Non-Benzodiazepin-Tranquilizer (z.B. Buspiron/Bespar®)
• Antidementiva – Acetylcholinesterasehemmer (z.B. Aricept®, Reminyl®, Exelon®)
– Glutamatmodulatoren (z.B. Ebixa®, Axura®)
– Nootropika mit unspezifischer Wirkung auf Stoffwechsel und Durchblutung (z.B. Hydergin®, Nimotop®, Nootrop®, Tebonin®)
• Phasenpropylaktika – Lithiumsalze (z.B. Quilonum®, Hypnorex®)
– Antikonvulsiva (z.B. Valproinsäure, Carbamazepin, Lamotrigin)
Wie wirken Psychopharmaka?
• Psychopharmaka greifen durch
synaptische Interaktion mit den
physiologischen Überträgersubstanzen in
die Nervenregulation ein
Synapsen (gr. syn = zusammen haptein = ergreifen) sind Kontaktstellen
zwischen Nervenzellen bzw. zwischen Nervenzellen und anderen Zellen
Transmitterhypothese
Psychose
Depression
Demenz
Antidepressiva (AD)
Antidementiva
Neuroleptika (NL)
(Antipsychotika)
Überschuss an
Dopamin
führt zu
Mangel an
Serotonin
führt zu
Mangel an
Acetylcholin
führt zu
Psychopharmakologische Besonderheiten beim Alterspatienten
• Langsamer und
einschleichender Behandlungsbeginn
bis zu max. 1/3 der Dosis des
jüngeren und mittleren
Erwachsenenalters (Konsensus-Konferenz 2000)
Psychopharmakotherapie Allgemeine Grundsätze
Ausreichende Dosierung aber nur ca. 1/3. Erwachsenendosis
erhöhte ZNS-Sensibilität
verändertes Muskel-Fett-Verhältnis
verringerter first-pass Effekt
reduzierte Metabolisierung
physiologisch reduzierte renale Clearance
Anticholinerge Substanzen meiden !
z.B. Saroten®, Taxilan®
Merke: so wenig (psychotrope) Substanzen wie
möglich, keine Pharmakapolypragmasie Konsensustreffen der Geriatrischen Fachgesellschaften 2000, Düsseldorf
Nißle, 2003
• Patientin im Heim, 89 Jahre
• Diagnose: „Unruhezustände bei Demenz“
• Medikation
– 10 - 15 mg Diazepam täglich
• Zustandsbild der Patientin
- sie kann kaum aufstehen
- Beschäftigung / Aktivität nicht möglich, sediert
- schwer pflegebedürftig
• „Pflegestufe II
Fallbeispiel 1: Aus einem Kaufbeurer Altenheim
• Halbwertszeiten
• Diazepam : 20 – 40 h
• Nordazepam = pharmakologisch aktiver Metabolit
36 – 200 h
Benkert O, Hippius H,
Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie 2003: 297-300
Fallbeispiel 1: Aus einem Kaufbeurer Altenheim
Fallbeispiel 1: Aus einem Kaufbeurer Altenheim
• Auf Drängen der Einrichtung
- Reduzieren und schließlich Absetzen von
Diazepam
• Ergebnis
- Patientin nicht mehr sediert,
- Zunahme der Mobilität
- sie liest ein wenig in der Zeitung
- weniger Pflegebedarf
• Patientin wird auf Pflegestufe I zurückgestuft
• Unterschied von Pflegestufe I Pflegestufe II: 256 € / Monat
Konsequenzen (2) – Aspekt „Bioverfügbarkeit“
Medikament 20-30j 65-70j Verhältnis
Clomethiazol 5-16% 70-90% 7,0
Nalbuphin 11% 44% 4,0
Lidocain 13% 27% 2,1
Verapamil 23% 38% 1,7
Propanolol 30% 55% 1,8
Nifedipin 46% 61% 1,3
Fichtl B, Pharmakokinetik beim alten Menschen,
in: Forth W et al. (Hrsg.) Allg. u. spezielle Pharmakologie u. Toxikologie (8.Aufl),
© Urban & Fischer 2001 70
Bedeutung der Kombinationstherapie für die Arzneimittelsicherheit
0,00%
5,00%
10,00%
15,00%
20,00%
25,00%
Ost
1-5 Medik.> 5 Medik.
UAW-Rate
Platt/Mutschler, Pharmakotherapie im Alter (1999)
Gründe für Polypharmazie
• Verschiedene Ärzte verordnen verschiedene
Therapien
• Die Therapien werden zulange durchgeführt
• Die Nebenwirkungen werden mit weiteren meist
teureren Arzneimitteln behandelt
• Unwirksame Arzneimittel werden mit wirksamen
kombiniert anstatt durch solche ersetzt
• Zusätzlich wird eine Selbstmedikation betrieben
Quelle: Rheinfelder Tage 2005; Alter Ernährung & Medikamente (Möll)
Delir – Epidemiologie
Gehäuft ab dem 60. Lebensjahr
Etwa 20 % aller 65-jährigen bei
Krankenhausaufnahme
Gehäuft bei Demenz
Mortalität 25%
In Pflegeheimen besonders hoch mindestens
jeder zweite Pflegeheimbewohner (58 %)
Bei ca. 11 – 30 % ist das Delir durch
Medikamente bedingt
30-60% der Delirien bleiben unerkannt
Quelle: Lorenzl, S., Füsgen, I., Noachtar, S., Dtsch Arztebl Int 2012; S. 109.
Exkurs:
Formen des Delirs
Hyperaktives Delir (z.B. Delirium tremens) - ca. 15% psychomotorische Unruhe (bis zur Erregung)
erhöhte Irritierbarkeit
Halluzinationen
Angst
ausgeprägte vegetative Zeichen
Hypoaktives Delir (z.B. Medikamentenintoxikationen) –
ca. 25% „scheinbare“ Bewegungsarmut
kaum Kontaktaufnahme
Halluzinationen und Desorientierung erst durch Befragen deutlich
kaum vegetative Zeichen
Gemischtes Delir – ca.50%
Exkurs:
Analgetika ++++ Morphin und Derivate (stark wirksam), ASS in hoher Dosierung, Risiko für
Paracetamol am geringsten
Benzodiazepine +++ Benzodiazepin-Entzug kann auch delirante Bilder verursachen
Antidepressiva +++ Risiko steigt mit der sedativen Potenz der jeweiligen Substanz und
deren anticholinerger Nebenwirkung (vor allem trizyklische
Antidepressiva wie z.B. Doxepin (Aponal®), Amitriptylin
(Saroten®)
Parkinsonmittel ++ - +++ Risiko für anticholinerge höher als für dopaminerge Substanzen
Kortikosteroide +++ besonders bei Dosen > 40 mg/Tag Prednisolonäquivalent über >1 Woche
Antihypertonika Substanz-
abhängig
zentralwirksame Substanzen haben ein hohes, Alpha- u. Beta-Blocker ein
mittleres, Diuretika, Kalzium-antagonisten und ACE-Hemmer ein geringes
Risiko
Theophyllin ++ –
Digitalis ++ Digoxin
Antiarrhythmika ++ Risiko für Lidocain am größten
H2-Antagonisten +++ Risiko für Cimetidin am größten
Neuroleptika +++ vor allem bei sedierender und anticholinerger Nebenwirkung z.B.
Clozapin (Leponex®), Thioridazin (Melleril®),
Levomepromazin (Neurocil®), Promethazin (Atosil®)
Antibiotika + Gyrasehemmer, Sulfonamide, Tuberkulostatika, Aciclovir, Nitrofuran
Ophtalmologika + Atropin-haltige Augentropfen
Antikonvulsiva ++
Quelle: Damerau-Dambrwoski, Hager 2006.
Pharmaka die ein Delir auslösen können Exkurs:
Was sind Neuroleptika /Antipsychotika?
• Als Neuroleptikum (etwa „Nervendämpfungsmittel“) wird ein Medikament bezeichnet, das als psychotrope Substanz eine
o antipsychotische
o sedierende
o psychomotorische Wirkung besitzt
Antipsychotika (Neuroleptika)
Wirkung • die eigentlich antipsychotische Wirkung setzt erst nach
2 – 4 Wochen (im Alter nach 4 – 6 Wochen) ein:
• UAW dagegen nach Stunden bzw. Tagen oder nach
der ersten Gabe:
modifiziert nach Hinterhuber H, Haring CH,
Unerwünschte Wirkungen, Kontraindikationen, Überdosierungen, Intoxikationen
In: NEURO-PSYCHOPHARMAKA Bd. 4: Neuroleptika Hrsg.: Riederer P, Laux G, Pöldinger W © Springer-Verlag Wien New York 1998: 144-165
Wirklatenz
Nicht-Wirklatenz
Einteilung der Neuroleptika/Antipsychotika
• Antipsychotika der 1. Generation
– Niederpotent
– Mittelpotent
– Hochpotent
• Neuroleptika der 2. Generation
Niederpotente Antipsychoptika
Medikament (Handelsnamen) Neuroleptische
Potenz
Äquivalenzdosis
in mg
Sulpirid (Dogmatil®) 0,5 600
Thioridazin (Melleril®) 0,75 400
Perazin (Taxilan®) 0,75 400
Pipamperon (Dipiperon®) 0,75 400
Chlorprothixen (Truxal®) 0,86 350
Chlorpromazin (nicht mehr
eingesetzt) 1 300
Levomepromazin
(Neurocil®) 1 300
Melperon (Eunerpan®) 1 300
Grad der Sedierung: hoch
Wirksamkeit gegen Psychosen: niedrig
Mittelpotente Antipsychotika
Medikament
(Handelsnamen)
Neuroleptische
Potenz Äquivalenzdosis in mg
Zotepin (Nipolept®) 3 100
Zuclopenthixol (Ciatyl-Z®) 5 60
Perphenazin (Decentan®) 9,38 32
Grad der Sedierung: mittel
Wirksamkeit gegen Psychosen: mittel
Hochpotente Antipsychotika
Medikament
(Handelsnamen)
Neuroleptische
Potenz Äquivalenzdosis in mg
Fluspirilen (Fluspi®,
Imap®) 37,5 8
Flupentixol (Fluanxol®) 50 6
Pimozid (Orap®) 50 6
Fluphenazin (Dapotum®,
Lyogen®) 60 5
Bromperidol (Impromen ®) 60 5
Haloperidol (Haldol®) 60 5
Benperidol (Glianimon® ) 100 3
Grad der Sedierung: gering
Wirksamkeit gegen Psychosen: hoch
Antipsychotika 2. Generation „Atypika“
Wirkstoff Handelsname
Amisulprid SOLIAN®
Aripiprazol ABILIFY®
Clozapin LEPONEX®
Olanzapin ZYPREXA®
Quetiapin SEROQUEL®
Risperidon RISPERDAL®
Ziprasidon ZELDOX®
Einteilung der Nebenwirkungen
• Parkinsonoid
• Dystonien
• Akathisie
• Dyskinesien
• Malignes neuroleptisches
Syndrom (0,2 – 0,4%)
• Vegetative, endokrine,
metabolische und
psychische Nebenwirkungen
EP(M)S
Vegetative Nebenwirkungen
Symptome Behandlung
• orthostatische Dysregulation
• Herz-Kreislauf-Beschwerden (z.B.
ventrikuläre Tachykardie, Torsade de
Pointes)
• Mundtrockenheit
• Akkomodationsstörung • Mydriasis
• Glaukom
• Obstipation
• Miktionsstörungen • vermindertes Schwitzen
• Temperaturerhöhung
• Sedierung
• Schlafstörungen
• Kognitive Störungen
• Dosisreduktion
• Wechsel des Neuroleptikums
• symptomspezifische
Medikamente
(Anticholinerg, v.a. bei niederpotenten Antipsychotika)
Symptome Behandlung
• Medikamentöse Ursachen?
– durch veränderte Pharmakodynamik
Zunahme von Wechselwirkungen und Nebenwirkungen
– Typische UAW
» Neurologisch (Schluckstörungen, Stürze)
» Kardiovaskulär (Hypotonie, Kollaps, Arrythmie)
» Kognitiv-zerebral (Sedation, Unruhe, Verwirrtheit, Halluzinationen)
Hinweis:
Demenz und Ursachen von
forderndem Verhalten
Prof. Dr. med. D. Bredthauer,
Redufix Studie 2006
Schlüsselposition: Pflegefachkräfte!!!
Zu fordern: ärztliche Überprüfung der Medikation
durch gerontopsychiatrisch erfahrenen Arzt
Schlüsselposition: Pflegefachkräfte!!!
Pflegende haben bei der
Psychopharmakatherapie
eine Vermittlerrolle zwischen
Bewohnern/Patienten und
den Hausärzten.
Schlüsselfaktoren zur
Qualitätsverbesserung
Aktive Mit- und Zusammenarbeit
Information
Kommunikation
Beobachtung
Dokumentation
Aktive Mitarbeit und Zusammenarbeit (Compliance)
• Tragfähige Beziehung
• Gemeinsames Behandlungskonzept • Kommunikative Grundhaltung (aktives Zuhören, Zuwendung, Wärme,
Empathie, Stellungnahme nicht werten, Entscheidungsfähigkeit respektieren)
• Eigene Sichtweise
• Ausreichende, begleitende Aufklärung • Verschweigen von UAW (Resultat Non-Compliance wird gefördert)
• Kontinuierliche Weiterbildung für Ärzte und Pflegepersonal
Information
Wissen über und Einschätzung von
psychischen Befindlichkeiten,
Störungen und Erkrankungen
Basiswissen über Wirkung bzw.
unerwünschte Wirkungen von
Psychopharmaka
Wichtiger: Alternativen zu
Psychopharmaka kennen
Fallbeispiel 2: aus einem Altenheim im Oberallgäu
Frau D., 79 Jahre, lebt seit 3 ½ Jahren
im AH
2007 Schlaganfall
2008 depressive Phase
seither gut ins AH integriert, sucht und
genießt Kontakte, nimmt aktiv am
Leben teil
Fallbeispiel 2: aus einem Altenheim im Oberallgäu
Alendronsäure 70 mg montags Osteoporose 1 0 0
ASS 100 mg Vorbeugung
Herzinfarkt 0 1 0
Calcium 500 mg Calziummangel
Osteoporose 1 0 1
Laif 900 mg Balance Depression 1 0 0
Metodura comp 100 mg Bluthochdruck 1 0 0
Omeprazol 20 mg
Di+Mi+Fr+So
z.B. Magengeschwür 0 0 1
Torasemid 10 mg Ödeme ¼ 0 0
Movicol Pulver Btl. Verstopfung 1 0 0
Zusätzlich vom Hausarzt als sog. „Aufbauspritze“
ca. alle 3-4 Wochen 1,5 ml Imap (Fluspi) i.m.
Medikation der Bew.:
Frau D. hat morgens Anlaufschwierigkeiten, ist tagsüber aktiv und fröhlich, nimmt Gruppenangebote gerne an, Schlaf gut. Eine Woche später: Zieht sich vermehrt ins Zimmer und Bett zurück, vernachlässigt Körperpflege, äußert körperl. Beschwerden, isst u. trinkt unzureichend, wirkt antriebslos, grippaler Infekt, Temp. erhöht. Noch eine Woche später: Infekt klingt ab, klagt weiter über körperl. Beschwerden, fordert Hilfe ein, vernachlässigt sich, antriebslos, zeigt kognitive Defizite (Apraxie, Orientierungsstörungen, etc.) Essen muss eingegeben werden. Hausarztbesuch: 1,5 ml Imap + Diagnose V. a. Demenz + Axura 20 mg
Fallbeispiel 2: aus einem Altenheim im Oberallgäu
Verlaufsdokumentation:
Wieder eine Woche später:
Weiter klagsam, antriebslos, lehnt Körperpflege öfters ab, fast nur noch
im Bett, stuhlinkontinent, massive kognitive Defizite, völlig apraktisch,
kippt Essen und Getränke ins Bett.
Hausarztbesuch keine Änderungen, dementielle Entwicklung
Nach 5 Wochen:
Zustand massiv verschlechtert, ausschließlich im Bett, Körperpflege mit
2 Pflegepersonen, stuhl- und harninkontinent, formales Denken
eingeengt, negative Inhalte, grübelt, wirkt weinerlich, massive kognitive
Defizite.
Bew. ist mittlerweile in allen Bereichen des täglichen Lebens hilfs- und
pflegebedürftig
Fallbeispiel 2: aus einem Altenheim im Oberallgäu
Verlaufsdokumentation:
Bezugspflegekraft fordert psychiatrisches Konsil
wird von HA und HL/PDL abgelehnt
Begründung dementielle Entwicklung
Bezugspflegekraft bleibt hartnäckig und besteht auf das psychiatrische Konsil.
Psychiatrisches Konsil:
Diagnose: F32.2 Schwere depressive Episode
ohne psychotische Symptome
Citalopram 20 mg 1 0 0 .
Fallbeispiel 2: aus einem Altenheim im Oberallgäu
Verlaufsdokumentation:
2 Wochen nach Beginn der antidepressiven Therapie: Bew. nimmt Gespräche gerne an, äußert Gefühle der inneren Leere in den vergangenen Wochen, sagt sie sei froh, dass es ihr wieder besser geht, Appetit gut, isst und trinkt selbstständig, will mobilisiert werden, kontinent, geringe kognitive Defizite.
Fallbeispiel 2: aus einem Altenheim im Oberallgäu
Verlaufsdokumentation:
Fluspirilen (Imap®, Fluspi®)
Indikation: akute und chronische Psychosen
Keine Verordnung bei: Depression, Störung des hämatopoetischen
Systems, Morbus Parkinson, Krampfanfällen in der Anamnese
UAW: EPS, initiale Müdigkeit über 1 - 2 Tage (zumind. nach der 1. Injektion häufig).
Quelle: Benkert, Pocket Guide, Springer 2010, S. 98 ff.
Beispiel Dokumentation UAW
Frau X. zeigt seit dem Aufstehen deutliche Anzeichen einer
Akathisie.
Augenscheinlich sind diese vor allem beim Stehen,
Bew./Pat. tritt permanent von einem Bein auf das andere.
Ruhiges Sitzen scheint ihr ebenfalls schwer zu fallen, hier
ist ein ständiger Aufstehimpuls abwechselnd mit
rhythmischem überkreuzen der Beine beobachtbar.
Bew./Pat. ist auch nicht in der Lage über einen längeren Zeitraum sitzen zu bleiben, selbst bei den Mahlzeiten kommt sie nicht zur Ruhe.
Frau X.wirkt insgesamt sehr angespannt und gereizt,
gequälter Gesichtsausdruck. Auf die Bewegungsunruhe
angesprochen äußert sich Bew./Pat. nicht konkret, meint, es gehe ihr nicht gut, sie müsse nach Hause.
Dieser Zustand hielt den gesamten Vormittag unverändert an. Der behandelnde Hausarzt wurde telefonisch über das Befinden von Fr. X informiert.
Projekt AMTS-AMPEL (Arzneimitteltherapiesicherheit bei Patienten in Einrichtungen der Langzeitpflege, 2012-2015)
Beteiligte:
18 Einrichtungen – 1016 Bewohner
Hausärzte, Apotheker, Pflegekräfte
Ziel:
Kommunikation und Kooperation der
Berufsgruppen zur AMTS der Bew. zu
verbessern
Prävalenz (Häufigkeit) und Inzidenz
(Neuauftreten) von UAW reduzieren
Projekt AMTS-AMPEL (Arzneimitteltherapiesicherheit bei Patienten in Einrichtungen der Langzeitpflege, 2012-2015)
Ziel:
Kommunikation und Kooperation der Berufsgruppen zur AMTS der Bew. zu verbessern
Prävalenz und Inzidenz von UAW reduzieren
Beteiligte:
18 Einrichtungen – 1016 Bewohner
Hausärzte, Apotheker, Pflegekräfte
Ergebnisse:
UAW konnten um 50% reduziert werden, auch 6 bzw. 12
Monaten nach Ende
UAW-auslösende Arzneistoffe – am häufigsten ZNS-
wirksame Substanzen, Analgetika und Diuretika
Die meisten UAW hatten medizinische und/oder
pflegerische Konsequenzen (zusätzliche Visiten,
erhöhter Pflegebedarf und Krankenhauseinweisungen)
Aufklärungs- und Informationspflichten
des Arztes
Auch ist, im Falle einer Arzneimittelverordnung, über die Dosis, etwaige
Unverträglichkeiten und Nebenfolgen zu sprechen.
Die Aufklärung hat ausnahmslos mündlich und regelmäßig im Rahmen eines
individuellen Gesprächs zwischen Arzt und Patient zu erfolgen (§ 630e Abs. 2 Nr. 1 BGB; BGH vom 08.01.1985 – VI ZR 15/83; BGH vom 07.02.1984 – VI ZR 174/82).
Die Aufklärungspflicht ist eine Hauptpflicht des Arztes aus dem
Behandlungsvertrag. Zusammengefasst gilt folgender Grundsatz:
Der Patient muss rechtzeitig wissen, was medizinisch mit ihm, mit welchen
Mitteln und mit welchen Risiken und Folgen geschehen soll. Patientenrechtegesetzes 02/2013 BGB (§ 630e BGB, ferner § 630c BGB).
Patienteninformation (§ 630c BGB) und Patientenaufklärung (§
630e BGB) allein Aufgabe des Behandlers. Bei allen ärztlichen Maßnahmen
darf also ausschließlich ein Arzt den Patienten aufklären.
Information und Aufklärung des Patienten durch nicht-ärztliches Personal sind
in jedem Fall unzulässig.
Quelle: https://www.aerztekammer-bw.de/10aerzte/40merkblaetter/10merkblaetter/aufklaerungspflicht.pdf
Rechtliche Aspekte
• Formfreiheit
– Anordnungen können schriftlich/mündlich/fernmündlich erfolgen
– bei fernmündlicher Anordnung wird von der Rechtssprechung eine Wiederholung des gehörten Textes verlangt
Rechtliche Aspekte
Bedarfsmedikation
unbestimmte Rechtsbegriffe wie:
• bei Unruhe, bei Schmerzen, bei Schlafstörungen,
bei Angstzuständen sind nicht zulässig
• qualitative und quantitative Einschränkung
• Arzt muss „wenn – dann“ Ausführungsdefinition leisten
Beispiel
Bedarfsmedikation
Datum Bedarfsmedikation HZ Abges.
24.03.18
Bei Unruhe 5 ml Melperon GE 30.03.18
30.03.18
Wenn Fr. X starke psychomotorische
Unruhe zeigt und durch Beschäftigungs-
angebote, oder Gespräche nicht zu
beruhigen ist, dann kann sie einmalig 5 ml
Melperon erhalten.
GE
30.03.18
Wenn Fr. X nach Erhalt von Schlaftee bis
22.00 Uhr nicht einschlafen kann, dann
20 Trpf. Dominal. Ab 24.00 Uhr keine
Schlafmittel geben.
GE
1. Ist dieses Medikament jetzt notwendig oder kann dem
anliegenden Problem mit anderen Möglichkeiten begegnet
werden ?
- z.B. mit Gespräch, Zuwendung, Aktivität
2. Jedes Medikament birgt auch Risiken in sich, insbesondere dann,
wenn der Patient bereits mehrere Medikamente hat
- Probleme der Wechselwirkungen von Medikamenten im Alter !
3. Benzodiazepine wie Tavor®, Laubeel®, werden im Alter häufig
(langfristig) eingesetzt, das kann oft zu einer Beruhigung und
Entspannung führen
aber: - soll eine Abhängigkeit in Kauf genommen werden ?
- Muskelrelaxation ?
- evtl. paradoxe Reaktion ?
Grundsätzlich gilt für die Pharmakotherapie bei älteren Menschen:
Einteilung der Benzodiazepine
• Lang wirksam (Halbwertszeit = 20-40 h) – Diazepam (Valium®)
– Flunitrazepam (Rohypnol®)
– Flurazepam (Dalmadorm®)
• Mittel wirksam (Halbwertszeit = 6-12 h) – Oxazepam (Adumbran®)
– Lorazepam (Tavor®)
– Lormetazepam (Noctamid®)
• Kurz wirksam (Halbwertszeit = 2-5 h) – Triazolam (Halcion®)
– Midazolam (Dormicum®)
– Brotizolam (Lendormin®)
Kumulation
Welche Nebenwirkungen haben
Benzodiazepine?
Gleichgültigkeit, Affektabflachung
Müdigkeit, Verwirrtheit, verwaschene Sprache
Schwindel, Muskelschwäche, motorische
Inkoordination
Sedierung, Atemdepression
4. Strukturelle Defizite der Einrichtung (Krankenhaus, Heim)
lassen sich mit Medikamenten nicht beheben; dafür sind
Psychopharmaka und sonstige Medikamente auch nicht
da !
5. Die Verabreichung eines Medikamentes muss dann in
Frage gestellt werden, wenn es in erster Linie eine Hilfe für
die Anderen ist.
6. Ein Medikament ist dann erfolgreich, wenn der Mensch, der
es einnimmt, den Nutzen selbst spüren kann.
7. „Jedes neue Symptom sollte als potenzielle
Arzneimittelnebenwirkung betrachtet werden – bis zum
Beweis des Gegenteils“ (J. Gurwitz1995).
Grundsätzlich gilt für die Pharmakotherapie bei älteren Menschen: