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Schulfernsehen Geschichte Südafrikas 3. Vom Apartheidstaat zum neuen Südafrika Ein Film von Christel Fomm & Judith Völker Beitrag: Volker Eklkofer & Simon Demmelhuber Inhalt Südafrika wird unabhängig 1910 entsteht Süd- afrikanische Union, Buren und Briten versöhnen sich. Die großen Verlie- rer im Kampf um Land und Macht sind die Schwar- zen. Das Wahl- recht wird ihnen vorenthalten, man drängt sie in Reservate und beutet sie in den Bergwerken als billige Arbeits- kräfte aus. Der African National Congress (ANC) beginnt seinen - zunächst gewaltlosen - Wider- stand. Apartheid - die Trennung der Rassen In den 30er und 40er Jahren sympathisieren vie- le Buren mit den italienischen Faschisten und den deutschen Nationalsozialisten. Die Stim- mung im Land verschärft sich. Die Parlaments- wahlen im Mai 1948 gewinnt die rechte National Party. Der neue Premierminister Daniel Malan erklärt: „Südafrika ist wieder unser, gebe Gott, dass es immer unser bleibe“. Systematisch er- baut Malan den Apartheidstaat. Gesetze regeln die strikte Trennung von Schwarzen, Farbigen und Weißen in allen Lebensbereichen. Der ANC reagiert mit Massenprotesten und Aktionen zivi- len Ungehorsams. Der Schock von Sharpeville Als die Polizei 1960 eine friedli- che Demonstration von Schwarzen im Township Sharpe- ville brutal auflöst, sterben 69 Men- schen. Nun kommt es zu Unruhen im ganzen Land. Teile des 1960 offiziell verbotenen ANC entschließen sich zum bewaffneten Kampf. Im Juli 1963 lässt die Regierung die Führung des ANC verhaften. Nelson Mandela und andere An- ti-Apartheid-Aktivisten werden zu hohen Haftstra- fen verurteilt und auf die Gefängnisinsel Robben Island verschleppt. Das Ende der weißen Vorherrschaft Durch den permanenten Rassenkrieg isoliert sich Südafrika international, das Apartheidregime gerät in wirtschaftliche Bedräng- nis. 1989 leitet Staatspräsi- dent Frederik Willem de Klerk die Öffnung des Re- gimes ein. 1990 wird Mandela freigelassen und vier Jahre später bei den ersten freien Wahlen zum Präsidenten Südafrikas gewählt. Ein schmerzhafter Prozess der Aufarbeitung der Ver- gangenheit und der Versöhnung beginnt. © Bayerischer Rundfunk 1

Geschichte Südafrikas 3. Vom Apartheidstaat zum neuen

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Geschichte Südafrikas3. Vom Apartheidstaat zum neuen Südafrika

Ein Film von Christel Fomm & Judith Völker

Beitrag: Volker Eklkofer & Simon Demmelhuber

Inhalt

Südafrika wird unabhängig

1910 entsteht Süd-afrikanische Union, Buren und Briten versöhnen sich. Die großen Verlie-rer im Kampf um Land und Macht sind die Schwar-zen. Das Wahl-recht wird ihnen

vorenthalten, man drängt sie in Reservate und beutet sie in den Bergwerken als billige Arbeits-kräfte aus. Der African National Congress (ANC) beginnt seinen - zunächst gewaltlosen - Wider-stand.

Apartheid - die Trennung der Rassen

In den 30er und 40er Jahren sympathisieren vie-le Buren mit den italienischen Faschisten und den deutschen Nationalsozialisten. Die Stim-mung im Land verschärft sich. Die Parlaments-wahlen im Mai 1948 gewinnt die rechte National Party. Der neue Premierminister Daniel Malan erklärt: „Südafrika ist wieder unser, gebe Gott, dass es immer unser bleibe“. Systematisch er-baut Malan den Apartheidstaat. Gesetze regeln die strikte Trennung von Schwarzen, Farbigen und Weißen in allen Lebensbereichen. Der ANC reagiert mit Massenprotesten und Aktionen zivi -len Ungehorsams.

Der Schock von Sharpeville

Als die Polizei 1960 eine friedli-che Demonstration von Schwarzen im Township Sharpe-ville brutal auflöst, sterben 69 Men-schen. Nun kommt es zu Unruhen im ganzen Land. Teile des 1960 offiziell verbotenen ANC entschließen sich zum bewaffneten Kampf. Im Juli 1963 lässt die Regierung die Führung des ANC verhaften. Nelson Mandela und andere An-ti-Apartheid-Aktivisten werden zu hohen Haftstra-fen verurteilt und auf die Gefängnisinsel Robben Island verschleppt.

Das Ende der weißen Vorherrschaft

Durch den permanenten Rassenkrieg isoliert sich Südafrika international, das Apartheidregime gerät in wirtschaftliche Bedräng-nis. 1989 leitet Staatspräsi-dent Frederik Willem de Klerk die Öffnung des Re-

gimes ein. 1990 wird Mandela freigelassen und vier Jahre später bei den ersten freien Wahlen zum Präsidenten Südafrikas gewählt. Ein schmerzhafter Prozess der Aufarbeitung der Ver-gangenheit und der Versöhnung beginnt.

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Fakten

Ausbau der Rassendiskriminierung

Im frühen 20. Jahrhundert entsteht neben dem schwarzen Proletariat eine weiße Unterschicht. Wegen der Zerstörungen im 2. Burenkrieg (1899-1902; die Briten verwüsteten Farmen, ver-brannten Ernten und töteten Vieh) gerät die Landwirtschaft in eine tiefe Krise. Viele junge Afrikaaner aus kinderreichen Familien müssen die elterlichen Höfe verlassen. Eine bewaffnete Landnahme, wie sie ihre Vorfahren im 19. Jahr-hundert praktizierten, ist nun nicht mehr möglich. So drängen besitzlose Buren in die Industriebe-triebe und Bergwerke.

Die Bergwerksbesitzer stellen jedoch, um Lohn-kosten zu sparen, bevorzugt Schwarze ein oder verpflichten chinesische Kontraktarbeiter. Der Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze führt zuneh-mend zu Spannungen zwischen den Angehöri-gen der Unterschichten. Eine Revolte verarmter afrikaanssprachiger Weißer endet 1922 erst, als die Armee in das Grubengebiet am Witwaters-rand einrückt.

Die Unzufriedenheit in Teilen der weißen Bevöl-kerung macht sich die 1914 von dem ehemali-gen Burengeneral Barry Hertzog gegründete National Party (NP) zunutze. Hier sammeln sich verarmte weiße Arbeiter, Kleinbauern und Intel-lektuelle, die die Gräuel des Burenkriegs nicht vergessen können und denen die von Premier-minister Louis Botha betriebene Aussöhnung mit den Briten zuwider ist.

Die Rassendiskriminierung schreitet während-dessen voran:

• Der Native Labour Regulation Act (1911) schreibt das System der Wanderarbeit fest.

• Der Mines and Work Act (1911) bestimmt, dass qualifizierte Tätigkeiten für weiße Arbei-ter reserviert werden.

• Der Natives Land Act (1913) regelt die Ver-teilung des Landes zwischen Schwarz und Weiß. Den Schwarzen werden insgesamt sie-ben Prozent der Landfläche überlassen (1936 wird das Gebiet auf 13,7 Prozent erweitert). In den Reservaten darf kein Weißer Land erwer-ben. Außerhalb dieser Territorien sind Schwarze vom Grundbesitz ausgeschlossen.

• Der Apprenticeship Act (1922) verhindert, dass Schwarze und die meisten Farbigen in den Genuss einer Facharbeiterausbildung kommen.

• Der Native Urban Areas Act (1923) reguliert den Zuzug von Schwarzen in Städte und schafft die gesetzliche Basis für getrennte Wohngebiete. So genannte locations, schwar-ze Arbeiterghettos, entstehen. Aus ihnen ent-wickeln sich Satellitenstädte, die townships. An den Rändern der Großstädte werden auch neue townships gebaut.

Bei den Wahlen im Jahr 1924 siegt die National Party. Barry Hertzog wird Premierminister und bleibt bis 1939 im Amt. Die Regierung Hertzog schränkt u. a. die Versammlungsfreiheit der Nicht-Weißen ein und erlässt ein Gesetz, dass es den Sicherheitskräften gestattet, „Agitatoren“ ohne Gerichtsbeschluss von bestimmten Orten fern zu halten. Außerehelicher Geschlechtsver-kehr zwischen Weißen und Schwarzen wird 1927 unter Strafe gestellt. Die Burensprache Afrikaans ist neben Englisch nun Amtssprache in der Süd-afrikanischen Union.

Mit dem Aufkom-men des Faschis-mus in Europa und dem Machtantritt der Nationalsozia-listen in Deutsch-land wächst auch in Südafrika die Zahl der Rechtsra-dikalen. Diese gründen 1935 anlässlich der 100-Jahr-Feier des Aufbruchs zum Großen Trek, auf dessen Legenden der burische Nationalismus fußt, die Ossewa Brandwag (Ochsenwagen-Brandwache). Neben dieser militärisch organi-sierten völkischen Gruppierung, die schnell auf 300.000 Mitglieder anwächst, entstehen weitere kleine Organisationen der extremen Rechten. Als der Zweite Weltkrieg in Europa ausbricht, ist die weiße Bevölkerung in Südafrika gespalten.

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Ein Teil sympathisiert mit Großbritannien, ein an-derer mit Hitler-Deutschland. Als das Parlament 1939 über Neutralität oder Kriegseintritt auf Sei-ten Großbritanniens abstimmt, setzen sich die England-Befürworter nur knapp mit 80 gegen 76 Stimmen durch. Die südafrikanische Armee zieht in den Krieg und kämpft u. a. in Nordafrika ge-gen die Truppen des deutschen Feldmarschalls Erwin Rommel. In Südafrika verüben Rechtsradi-kale bis 1945 immer wieder Sabotageakte.

Daniel Malan und der Apartheidstaat

Im Mai 1948 gewinnt die National Party die Parlamentswah-len in Südafrika. Da-niel Malan, Befür-worter einer radika-len Rassentrennung, wird Premierminister. Malan, der den alten burischen Traum vom „weißen Süd-afrika“ verwirklichen

möchte, hat den Wahlkampf mit einem Schlag-wort bestritten: Apartheid, der afrikaansen Über-setzung von Segregation.

Zunächst werden die Rassen im Land voneinan-der unterschieden. Nach einer anfänglichen Grobklassifizierung in „Weiß“, „Coloured“ (Misch-linge), „Asiaten“ und „Bantu“ (Schwarze) werden weitere Untergruppen definiert. Über die Einglie-derung der Einwohner Südafrikas in eine Bevöl-kerungsgruppe entscheidet das Amt für Ras-senklassifizierung.

Die Rassenzugehörigkeit wird in den Pass einge-tragen, den jeder Südafrikaner mit sich führen muss. Wer die Ausweispapiere - Schwarze müs-sen auch Arbeits- und Steuernachweise vorzei-gen – nicht dabei hat, kommt in Haft. Sinn der ri-giden Passkontrollen, ist es, „überflüssige“ Per-sonen aus weißen Gegenden fern zu halten und

dort nur diejenigen Schwarzen zu dulden, die als Arbeitskräfte benötigt werden. Wer keine Arbeit hat, darf sich nicht länger als 72 Stunden in ei-nem städtischen Gebiet aufhalten.

1949 werden Mischehen zwischen Weißen und Nicht-Weißen verboten. 1950 tritt der Immorali-ty Act in Kraft: Er untersagt den Geschlechtsver-kehr zwischen Weißen und allen anderen Bevöl-kerungsgruppen. Der Group Areas Act von 1950 gestattet es der Regierung, einzelnen Be-völkerungsgruppen bestimmte Wohngebiete zu-zuweisen und ihre beruflichen und geschäftlichen Aktivitäten auf ausgesuchte Gegenden einzu-grenzen. Unverzüglich werden Inder und Colou-reds aus ihren Wohnvierteln vertrieben, ihre oft wertvollen Immobilien eignen sich Weiße an. Ab 1957 sind die Stadtzentren generell weiße Ge-biete.

Mit dem Inkrafttreten des Reservation of Sepa-rate Amenities Act entstehen ab 1953 getrennte öffentliche Einrichtungen. Angehörige einer Ras-se dürfen nur die für sie vorgesehenen Hotels, Restaurants, Busse. Züge, Postämter, Strände, ja sogar Brücken und Parkbänke benutzen.

Die bislang unabhängigen Missionsschulen, die nicht selten auf hohem Niveau unterrichten, ver-staatlicht die Regierung 1953 mit dem Bantu Education Act. Die weißen Machthaber wollen die Masse der Schwarzen nicht in den Genuss einer hochwertigen Bildung kommen lassen.

Der für „Bantu-Angelegeheiten“ zuständige Mi-nister Hendrik Verwoerd erklärt im Parlament: „Wenn ich die Kontrolle über die Bantuerziehung habe, werde ich sie so reformieren, dass den Eingeborenen von Kindheit an beigebracht wird, dass die Gleichheit mit den Europäern für sie nicht in Frage kommt“.

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Homelands – territoriale Trennung zwischen Schwarz und Weiß

Der Natives Land Act (1913) regelt die Vertei-lung des Landes. Die Masse der Schwarzen wird in Reservate abgedrängt, man überlässt ihnen zunächst sieben Prozent der Landfläche. Auf An-raten einer Regierungskommission wird das Ge-biet 1936 auf 13,7 Prozent erweitert. In den ho-melands, die zwar „Heimatländer“ genannt wer-den, aber allenfalls kleine Teile der alten Stam-mesgebiete umfassen, darf kein Weißer Land er-werben. Außerhalb dieser Territorien sind Schwarze vom Grundbesitz ausgeschlossen.

Die Homelands sollen als Arbeitskräftereser-voir dienen und das System der Wanderarbeit verfestigen. Während Wanderarbeiter vor allem in den Bergwerken und in Industriebetrieben be-schäftigt sind, leben ihre Familien im Reservat. Braucht man die Arbeiter nicht mehr, kehren sie in die homelands zurück.

Homelands eignen sich bestens dazu, Bevölke-rungsteile nach Belieben umzusiedeln. Bis in die 80er Jahre werden mehrere Millionen Menschen, oft aus städtischen Wohngebieten, den town-ships, deportiert und in die Reservate verfrach-tet. Hier müssen sie in primitiven Wellblechsied-lungen hausen.

Die wirtschaftlichen Perspektiven der homelands sind miserabel, aus eigener Kraft sind sie nicht lebensfähig. Wanderarbeit und Überbevölkerung verhindern den Aufbau einer funktionsfähigen Landwirtschaft, der Abbau von Bodenschätzen lohnt nur in wenigen Gebieten. Die Situation bes-sert sich erst, als die südafrikanische Regierung an den „Grenzen“ zu den Reservaten Industrie-betriebe ansiedelt. Um einen Wirtschaftskollaps in den homelands zu vermeiden, sind Subventi-onszahlungen durch die südafrikanischen Regie-rungen unvermeidlich.

Mit der Existenz der Reservate begründet das Apartheidregime die Entrechtung der Schwarzen im „weißen Südafrika“. Ausreichend Möglichkei-ten der Mitbestimmung in allen Lebensbereichen hätten sie schließlich in ihren „Heimatländern“, denen man überdies die Selbstverwaltung zuge-steht. 1976 wird die Transkei „unabhängig“, 1977 folgen Bophutatswana, 1979 Venda, 1981 die Ciskei. Damit verlieren mehr als neun Millionen Schwarze die Staatsbürgerschaft Südafrikas!

Widerstand und Repression

Bereits im 19. Jahrhundert, zu Zeiten der briti -schen Kapkolonie und der Burenrepubliken, for-miert sich eine afrikanische Bürgerbewegung, die Imbumba Yama Afrika (1882). Gebildete Schwarze suchen den Schulterschluss mit libera-len Weißen, um eine Teilhabe am politischen Prozess zu erlangen.

Nach der Gründung der Südafrikanischen Union und der Versöhnung von Buren und Briten auf Kosten der Schwarzen, rufen Angehörige des kleinen schwarzen Mittelstandes 1912 den South African Native National Congress (SANNC) ins Leben, der 1923 in African Natio-nal Congress (ANC) umbenannt wird. Nun be-ginnt – zunächst auf friedlichem Wege – der Kampf um Gleichberechtigung und politische Mitsprache. Mit Petitionen, Versammlungen, Protesten und Zeitungen versucht sich der ANC Gehör zu verschaffen.

Auf die Durchsetzung der Apartheidpolitik durch die Regierung Malan reagiert der ANC in den 40er und 50er Jahren mit Massenprotesten. 1952 vereinigen sich der ANC und der South African Indian Congress, die Organisation der ebenfalls von der Rassentrennung betroffenen indischen Bevölkerung, zur Defiance Campaign. Zahlreiche Aktivisten – in der Sendung wird dies am Bei-spiel des Bürgerrechtlers Walter Sisulu in Spiel-

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szenen gezeigt – verstoßen gezielt gegen Apart-heidgesetze. Sie betreten, wie z. B. Sisulu, „wei-ße“ Postämter, besteigen Verkehrmittel, die für „Europäer“ bestimmt sind und lassen sich wider-standslos von der Polizei verhaften. Statt einzu-lenken, verschärft die Regierung die Rassenge-setze, die Polizei geht mit Härte gegen die Bür-gerrechtsbewegung vor.

1959 spaltet sich eine links-revolutionäre Grup-pierung vom ANC ab, der gewaltbereite Pan Af-rican Congress (PAC) entsteht.

Im Zuge einer Kampagne gegen die Passgeset-ze demonstrieren tausende Schwarze am 21. März 1960 friedlich gegen die Einschränkung ih-rer Bewegungsfreiheit. Der „Tag von Sharpeville“ endet in einem Massaker, die Polizei erschießt 69 Männer, Frauen und Kinder; 178 werden ver-wundet. Eine Verhaftungswelle folgt, ANC und PAC werden verboten.

ANC-Aktivisten ge-hen nun zum be-waffneten Kampf über und gründen die Militärorganisati-on Umkhonto we Sizwe („Speer der Nation“). Zwar gelin-gen mehrere Sabo-tageakte, doch die gut organisierte Po-

lizei bereitet dem mit dem Untergrundkrieg nur wenig vertrauten schwarzen Kampfbund schnell ein Ende. Im Juli 1963 wird die Führung des ANC auf der Farm Liliesleaf im Johannesburger Vorort Rivonia verhaftet. Im so genannten Rivo-nia-Prozess verhängt ein Gericht hohe Haftstra-fen. Das Verfahren gegen den ehemalige ANC-Generalsekretär Walter Sisulu und Nelson Mandela, den ersten Kommandanten der Umkhonto we Sizwe, endet mit lebenslänglichen Zuchthausstrafen.

Nelson Mande-la, Sohn eines Xhosa-Häup t -lings, studiert Jura an der Far-bigen-Universi -tät Fort Hare. Er ist Vorsitzender der ANC-Ju-gendliga und or-ganisiert Mas-senproteste und

Aktionen des zivilen Ungehorsams. Ende 1961 entscheidet er sich für den bewaffneten Kampf und reist 1962 durch Europa und Afrika, um Geld für den Widerstand zu sammeln und die militäri-sche Ausbildung von ANC-Kämpfern im Ausland zu organisieren. Nach seiner Rückkehr fällt er der Polizei in die Hände. Mandela wird nach der Verurteilung auf die berüchtigte Gefängnisinsel Robben Island gebracht. Im Gefängnis steigt der charismatische Mandela zum Mythos des unter-drückten schwarzen Südafrika auf. Weltweit for-mieren sich Unterstützergruppen, der internatio-nale Druck auf das Apartheidregime wächst.

Der Schock von Sharpeville und das Verbot von ANC und PAC sitzen tief, „Friedhofsruhe“ macht sich breit, der schwarze Widerstand in Südafrika ist jahrelang gelähmt. Erst in den 70er Jahren wehren sich Schwarze dagegen, in die ghettoarti-gen townships der Städte gepfercht oder in ho-melands deportiert zu werden. Schüler und Stu-denten protestieren im Juni 1976 gegen die Ein-führung von Afrikaans als Unterrichtssprache. In Soweto (township von Johannesburg) kommt es zu schweren Krawallen. Hunderte Menschen, darunter viele Jugendliche, werden von der Poli-zei getötet, über tausend verletzt. Die Unruhen greifen auf andere townships über, wo die Si-cherheitskräfte ebenfalls rücksichtslos einschrei-ten. Das blutige Vorgehen der Polizei sorgt welt-weit für Aufsehen. Die Soweto-Unruhen läuten eine neue Phase des Widerstands ein. Akteure sind nun Schüler und Studenten, die eine eigene Identität – Black Consciousness – entwickeln. Der Wegbereiter der Black Conciousness-Bewe-gung, der Studentenführer Steve Biko, wird im September 1977 verhaftet und zu Tode gefoltert.

Im Zeitraum 1984 bis 1986 erlebt Südafrika meh-rere Wellen der Gewalt, die Zahl der Toten wird auf 2.300 geschätzt. Das Regime setzt nun ne-ben der Polizei auch Militär gegen die Protestie-rer ein und verhängt den Ausnahmezustand. Dennoch ist der Niedergang des Apartheidstaa-tes nicht mehr aufzuhalten. Im Ausland nimmt die Empörung zu.

Südafrika entwickelt sich zwischen 1948 und 1989 zum

Unrechtsstaat und zur Rassendiktatur.

• Der Suppression of Communism Act (1950) ist so weit gefasst, dass auch liberale Ideen unterdrückt werden können.

• Der Bann (1950) ermöglicht es, Oppositio-nelle aus der Öffentlichkeit fern zu halten. Der Justizminister hat das Recht, einer Per-

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son die Teilnahme an Versammlungen von mehr als zwei Personen zu verbieten. Das Regime darf Gebannte davon abhalten zu publizieren und verhindern, dass sie von Ge-sinnungsgenossen zitiert werden. Der Bann kann mit Hausarrest verknüpft sein oder sich auf bestimmte Gebiete oder Gebäude erstre-cken.

• Laut dem 90-Tage-Gesetz dürfen Verhaftete ohne richterliche Verfügung drei Monate lang eingesperrt werden.

• Der Terrorism Act (1967) erlaubt es, Men-schen zu inhaftieren und zu verhören, „bis sämtliche Fragen zufriedenstellend beant-wortet sind“.

• Mehr als 100 Gesetze und Verordnungen he-beln die Pressefreiheit aus.

Die townships, Schwarzenviertel an den Rändern der Städte, werden im Hinblick auf mögliche Po-lizeieinsätze gebaut. Sie müssen für motorisierte Kräfte schnell erreichbar und leicht abzuriegeln sein.

Ein neues Südafrika entsteht

Frederik Willem de Klerk, der im Jahr 1989 Staatspräsi-dent Südafrikas wird, leitet die in An-lehnung an die Perestroika Michail Gorbatschows als Pretoriastroika be-zeichnete Öffnung des Regimes ein. Seit seiner Studentenzeit engagiert sich der 1936 geborene de Klerk in der National Party (NP) und ist lange Zeit ein Verfechter der Apartheid. Erst in den 80er Jahren präsentiert er sich als Refor-mer, der immer wieder vom „Gleichgewicht der Gruppen“ spricht. Im Februar 1989 wird er zum Vorsitzenden der NP gewählt und übernimmt nach der Parlamentswahl, die die NP im Sep-tember erwartungsgemäß gewinnt, den Posten des Staatspräsidenten.

Präsident de Klerk weiß, dass Südafrika interna-tional isoliert ist. Anfang der 70er Jahre hat die UNO-Vollversammlung alle Mitgliedsstaaten auf-gefordert, die Kooperation mit Südafrika in den Bereichen Kultur, Bildung und Sport zu beenden. 1977 erließ der UN-Sicherheitsrat ein Waffenem-bargo, seit Mitte der 80er Jahre bringen interna-

tionale Sanktionen Südafrikas Wirtschaft in Be-drängnis. Und seit das Ende des Ost-West-Kon-flikts immer näher rückt, hat der Burenstaat auch als antikommunistische Bastion ausgedient. Der Klerk steht unter Zugzwang. Wenn er das Über-leben der Buren sichern will, muss er die Staats-idee der Apartheid zu Fall bringen.

Am 2. Februar 1990 hält de Klerk eine viel beachtete Rede. Er verkündet das baldige Ende der Rassentrennung und die Legalisie-rung oppositio-neller Gruppie-rungen wie dem African National Congress (ANC). Nelson Man-dela wird am 11. Februar aus der Haft entlassen. Bereits im Mai treffen sich Vertreter von ANC und Regierung zu Verhandlungen. Im August be-kennt sich der ANC zum Gewaltverzicht und in den kommenden Monaten werden die Apartheid-gesetze trotz wütender Proteste konservativer Buren schrittweise abgeschafft. Mehr und mehr Oppositionelle kehren aus dem Exil nach Süd-afrika zurück. Zwar kommt es immer wieder zu Übergriffen von Polizisten und militanten Buren gegen Schwarze, doch die Verhandlungen in ei-ner Mehrparteienkonferenz werden fortgesetzt. Im März 1992 lässt de Klerk in einem Referen-dum die Weißen Südafrikas über seine Reform-politik abstimmen, knapp 70 Prozent sind einver-standen. Widerstand im Militär bricht de Klerk durch die Entlassung hoher Offiziere.

Vom 26. bis 29. April 1994 finden demokratische Parlamentswahlen statt. Wahlsieger ist der ANC mit 62 Prozent der Stimmen, de Klerks National Party kann sich mit 20,39 Prozent behaupten. Am 9. Mai 1994 wird Nelson Mandela zum Staatspräsidenten gewählt.

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De Klerk übernimmt neben dem ANC-Politiker Thabo Mbeki das Amt eines Vizepräsidenten. Der konsensorientierten Politik Mandelas ist es zu verdanken, dass der tief greifende politische Umbruch in Südafrika weitgehend friedlich ver-läuft. Da Mandela und die ANC-domierte Regie-rung an der Westorientierung Südafrikas festhal-ten, sparen die Industrienationen nicht an Inves-titionen und Finanzhilfen.

Eines der wich-tigsten Projekte der neuen Regie-rung ist die Ein-setzung einer Kommission für Wahrhe i ts f in -dung und Aus-söhnung unter Leitung des angli-

kanischen Erzbischofs Desmond Tutu.

Die Kommission soll Verbrechen und Menschen-rechtsverletzungen der früheren Sicherheitskräf-te aufklären, aber auch Übergriffe des ANC und anderer Widerstandsgruppen unter die Lupe neh-men. Täter, die geständig sind, erhalten Straffrei-heit. Sogar den Polizisten, die für den Foltertod des Studentenführers Steve Biko im Jahr 1977 verantwortlich sind, gewährt die Kommission Amnestie.

Zur Überraschung vieler Beobachter verkraften die meisten Buren den Verlust der politischen Macht. Zahlreiche Alte tauchen in die „innere Emigration“ ab, manche weiße Farmer verlassen das Land. Junge Buren konzentrieren sich, da der öffentliche Dienst nun von Schwarzen domi-niert wird, auf eine Karriere in der Privatwirt-schaft.

In Südafrika leben heute 50 Millionen Menschen, der Anteil der Weißen an der Gesamtbevölke-rung beträgt 9,2 Prozent.

Didaktische Hinweise

Die Sendung kann im Erdkunde-/Geographieunterricht sowie im GSE-/Geschichtsunterricht ab der 7. Jahrgangsstufe eingesetzt werden.

Lehrplanbezüge (Bayern)

Hauptschule

GSE9. Jahrgangsstufe9.7 Ein aktuelles ThemaDie Schüler sollen nach ihrer Interessenlage ein bedeutsames Thema aus dem politischen Geschehen aufgreifen und multiperspektivisch untersuchen. 9.7.1 Zugang- Themenwahl- Leitfragen- Methodenbestimmung, z. B. Medienrecherche, Expertenbefragung9.7.2 Untersuchung- mögliche Aspekte, z. B. politische, soziale, historische, geographische, rechtliche, ethische, religiöse, wirtschaftliche- Verknüpfungen und rationale Urteilsbildung9.7.3 Präsentation- sachgerechte, verständliche und übersichtliche Darstellung, in der Zusammenhänge aufgezeigt werden

Realschule

Erdkunde 7. Jahrgangsstufe7.3 Schwarzafrika- Abgrenzung des Kulturraums, topografischer Überblick: Großlandschaften, große Flüsse, bedeutende Städte

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- Leben in einem schwarzafrikanischen Staat: historische und politische Verhältnisse (an einem konkreten Beispiel) - Vertiefung: Krisenkontinent Afrika

Gymnasium

Geographie8. Jahrgangsstufe8.2.2 Afrika südlich der Sahara- gesellschaftliche Schlüsselprobleme und Projekte zu deren Lösung

Geschichte 12. Jahrgangsstufe12.2 Konfliktregionen und Akteure internationaler Politik in historischer Perspektive

Lernziele

Die Schülerinnen und Schüler sollen

• über die fortschreitende Rassendiskriminierung nach der Gründung der Südafrikanischen Union (1910) informiert werden;

• Einblick erhalten in die Politik der Apartheid; • wissen, dass es Widerstand gegen die Apartheidpolitik und Repression gab; • die Bedeutung des politischen Umwälzungsprozesses ab 1989 und die Versöhnungspolitik

Mandelas einschätzen.

Anregungen

"Geschichte Südafrikas" dokumentiert – und inszeniert – eindrucksvoll die Geschichte dieses Landes. Der Jahrhunderte andauernde Kampf um Land und politische Macht sowie das fatale Dreiecksverhält -nis Bantu-Buren-Briten werden anschaulich geschildert. Dabei setzt die Reihe gezielt auf die Methode des Reenactments - bedeutende Ereignisse werden, damit die Schüler sie besser verstehen, nachge-stellt.

Zudem erzählt die „Geschichte Südafrikas“, geschickt eingebettet in ein Gerüst von Fakteninformatio-nen, Schicksale von Menschen. Folge 3 schildert den Lebensweg des Bürgerrechtlers Walter Sisulu.

Sisulu kommt am 18.5.1912 als Sohn eines weißen Straßenbauarbei-ters und eines Xhosa-Mädchens zur Welt. Er wächst bei einem Onkel auf und besucht eine Missionsschule. Als junger Minen- und Fabrikar-beiter kämpft er für eine bessere Bezahlung der Schwarzen und orga-nisiert Streiks. 1940 schließt er sich der Befreiungsbewegung African National Congress (ANC) an. Wie sein Freund Nelson Mandela hofft er, mit Massenprotesten und zivilem Ungehorsam gegen die Rassen-diskriminierung in Südafrika vorgehen zu können. 1949 wird Sisulu ANC-Generalsekretär. Das Regime des Apartheidstaates zerrt ihn mehrmals vor Gericht. Als er ab 1954 keine öffentlichen Treffen mehr besuchen darf, tritt er als ANC-Generalsekretär zurück. Nach dem

Verbot des ANC im Jahr 1960 schlägt sich Sisulu auf die Seite der militanten ANC-Gruppierung Umkhonto we Sizwe („Speer der Nation“). Im Juli 1963 verhaften ihn Sicherheitskräfte auf einer Farm im Johannesburger Vorort Rivonia. Im Rivonia-Prozess (1963/64) werden Sisulu und sieben Mitstrei-ter, darunter Mandela, zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt. Erst im Oktober 1989 wird er aus dem Gefängnis entlassen. In den 90er Jahren unterstützt er als ANC-Vizepräsident Nelson Mandelas Versöhnungspolitik. Am 5. Mai 2003 stirbt Walter Sisulu in Johannesburg.

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Arbeitsaufträge / Beobachtungsaufträge

Beschreibt, worauf die Idee der Apartheid abzielt!

Wie stellt sich die ab 1948 amtierende Regierung Malan ein „weißes Südafrika“ vor?

Warum werden die ab 1913 eingerichteten Reservate als homelands („Heimatländer“) bezeichnet?

Warum macht man die Schwarzen durch das Homeland-System zu Fremden im eigenen Land?

Welche Rolle spielt der African National Congress (ANC) im schwarzen Widerstand?

Die Massaker von Sharpeville (1960) und die Soweto-Unruhen (1976) gelten als Wendepunkte in der Auseinandersetzung zwischen dem schwarzen Widerstand und der Regierung. Warum?

Welche Reformen leitet Staatspräsident Frederik Willem de Klerk ab 1990 in Südafrika ein?

Warum gestaltet sich der politische Umbruch in Südafrika in den 1990er Jahren nicht allzu dramatisch?

Literatur- und Internettipps

Hagemann, Albrecht. Kleine Geschichte Südafrikas. München: Verlag C.H. Beck, 2007.

Links

http://www.planet-schule.de/wissenspool/geschichte-suedafrikas/inhalt.htmlEin ausführlicher Beitrag von Planet Schule zur Sendereihe; mit Arbeitsblättern und Linkliste

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Suedafrika_node.htmlLänderinformation Südafrika des Auswärtigen Amtes

http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/country_profiles/1071886.stmBBC-Informationen zu Südafrika

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sf.htmlCIA Fact Book: Südafrika

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