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Hepatitis D ist die seltenste, aber zugleich schwerste Form der chro- nischen Hepatitis. Eine am ECCMID in Wien vorgestellte Umfrage er- gab, dass in der Schweiz 1 von 6 Hepatitis-B-Patienten gleichzeitig mit Hepatitis D infiziert ist. RENATE BONIFER Der Hepatitis-D-Erreger (HDV) tritt nur als Koinfektion mit Hepatitis B (HBV) auf, da HDV als subvirale Ein- heit auf die Hüllproteine des Hepatitis- B-Virus angewiesen ist. Zum einen können HBV und HDV gleichzeitig übertragen werden (Koinfektion) oder HDV kommt zusätzlich bei einem HBV-Patienten ins Spiel (Superinfek- tion). In beiden Fällen kann es zu einer schweren akuten Hepatitis kommen. Die Koinfektion ist potenziell weniger gefährlich, hier kommt es nur bei 5 bis 10 Prozent der Infizierten zu einem chronischen Verlauf. Bei einer Super- infektion hingegen verlaufen 9 von 10 Fälle chronisch. Während Hepati- tis D früher vor allem im Mittelmeer- raum, dem Amazonasbecken und Zentralafrika endemisch war, sind seit 15 bis 20 Jahren Regionen in Osteu- ropa, der ehemaligen Sowjetunion, Japan und Indien neue Brennpunkte. Wie viele Personen in der Schweiz mit HDV infiziert sind, wusste man bis anhin nicht. Schweizer Umfrage Auskunft über die Grössenordnung der HDV-Infektionen in der Schweiz gab nun PD Dr. med. Daniel Genné, Chef- arzt am Spital La Chaux-de-Fonds am ECCMID in Wien. Eine Umfrage unter Schweizer Gastroenterologen, Hepatologen und Infektiologen ergab eine Prävalenz der HDV-Infektionen von 5,9 Prozent unter den Hepatitis-B- Patienten. Insgesamt 78 Ärzte mit insgesamt 1699 Hepatitis-B-Patienten beteiligten sich an der Umfrage: 101 Patienten waren mit Hepatitis D infiziert, drei Viertel davon Männer. Die meisten Patienten kamen aus der Schweiz (39%) und Afrika (21%). Risikofaktoren und Laborparameter Die wichtigsten Risikofaktoren waren intravenöser Drogenkonsum (62%), gefolgt von Mutter-Kind-Übertragung (15%), Sexualkontakt (13%) oder Bluttransfusion (2%). Die meisten HDV-Infizierten (74%) hatten sehr niedrige Hepatitis-B-Spiegel (Viral Load < 103 UI/ml). Bisher galt es als typisch, dass bei einer Hepatitis-D-Infektion das Hepatitis-B-Virus-Antigen HBeAg im Blut nicht nachweisbar ist. Immer- hin waren in der aktuellen Umfrage 25 Prozent der HDV-Infizierten trotz- dem HBeAg-positiv. Bei drei Viertel der HDV-Infizierten hatte man eine Leber- biopsie durchgeführt. In den meisten Fällen (76%) wurde damit eine fortge- schrittene Erkrankung nachgewiesen. HDV möglicherweise unterdiagnostiziert Obwohl die Ergebnisse der Umfrage nahelegen, dass die HDV-Prävalenz in der Schweiz relativ niedrig zu sein scheint (in Deutschland beträgt sie bei- spielsweise 6,8%, in einigen Regionen der Türkei bis zu 27%) geben Rossi und Genné zu bedenken, dass die HDV-Infektion hierzulande möglicher- weise noch unterdiagnostiziert sei. Hepatologen fordern aus diesem Grund seit Langem, bei jedem Hepatitis-B- Patienten mindestens einmal einen HDV-Antikörpertest durchzuführen. Eine akute Superinfektion mit HDV kann auch leicht mit einem Wieder- aufflackern einer Hepatitis B verwech- selt werden. Folgende Phänomene sprechen für HDV: aktive Hepatitis bei einem HBsAg- positiven Patienten mit niedriger oder negativer HBV-DNA Exzerbation einer chronischen Hepatitis B ohne anti-HBc-IgM schwere oder fulminant akute Hepatitis B. Die Therapie bei HDV ist schwierig und noch wenig erforscht. Zurzeit ist Peginterferon alfa für mindestens ein Jahr die Standardtherapie bei HDV, die aber nur bei 20 Prozent der Patien- ten erfolgreich ist. Für die Prävention gelten die gleichen Regeln wie bei He- patitis B. Renate Bonifer ECCMID Wien 2010; Poster P1119: Rossi I, Genné D: Hepa- titis in Switzerland: a silent epidemic. Clin Microbiol Infect 2010; 16(S2): 309. Bericht Hepatitis D in der Schweiz Eine stille Epidemie? 22 ARS MEDICI DOSSIER II+III 2011

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Hepatitis D ist die seltenste, aber

zugleich schwerste Form der chro-

nischen Hepatitis. Eine am ECCMID

in Wien vorgestellte Umfrage er -

gab, dass in der Schweiz 1 von

6 Hepatitis-B-Patienten gleichzeitig

mit Hepatitis D infiziert ist.

RENATE BONIFER

Der Hepatitis-D-Erreger (HDV) trittnur als Koinfektion mit Hepatitis B(HBV) auf, da HDV als subvirale Ein-heit auf die Hüllproteine des Hepatitis-B-Virus angewiesen ist. Zum einenkönnen HBV und HDV gleichzeitigübertragen werden (Koinfektion) oderHDV kommt zusätzlich bei einemHBV-Patienten ins Spiel (Superinfek-tion). In beiden Fällen kann es zu einerschweren akuten Hepatitis kommen.Die Koinfektion ist potenziell wenigergefährlich, hier kommt es nur bei 5 bis10 Prozent der Infizierten zu einemchronischen Verlauf. Bei einer Super -infektion hingegen verlaufen 9 von10 Fälle chronisch. Während Hepati-tis D früher vor allem im Mittelme er -raum, dem Amazonasbecken und Zentralafrika endemisch war, sind seit15 bis 20 Jahren Regionen in Osteu-ropa, der ehemaligen Sowjetunion,Japan und Indien neue Brennpunkte.Wie viele Personen in der Schweiz mitHDV infiziert sind, wusste man bisanhin nicht.

Schweizer UmfrageAuskunft über die Grössenordnung derHDV-Infektionen in der Schweiz gabnun PD Dr. med. Daniel Genné, Chef-arzt am Spital La Chaux-de-Fondsam ECCMID in Wien. Eine Umfrageunter Schweizer Gastroenterologen,Hepatologen und Infektiologen ergab

eine Prävalenz der HDV-Infektionenvon 5,9 Prozent unter den Hepatitis-B-Patienten. Insgesamt 78 Ärzte mit insgesamt 1699Hepatitis-B-Patienten beteiligten sichan der Umfrage: 101 Patienten warenmit Hepatitis D infiziert, drei Vierteldavon Männer. Die meisten Patientenkamen aus der Schweiz (39%) undAfrika (21%).

Risikofaktoren und LaborparameterDie wichtigsten Risikofaktoren warenintravenöser Drogenkonsum (62%),gefolgt von Mutter-Kind-Übertragung(15%), Sexualkontakt (13%) oderBlut transfusion (2%). Die meistenHDV-Infizierten (74%) hatten sehrniedrige Hepatitis-B-Spiegel (Viral Load< 103 UI/ml). Bisher galt es als typisch,dass bei einer Hepatitis-D-Infektiondas Hepatitis-B-Virus-Antigen HBeAgim Blut nicht nachweisbar ist. Immer-hin waren in der aktuellen Umfrage25 Prozent der HDV-Infizierten trotz-dem HBeAg-positiv. Bei drei Viertel derHDV-Infizierten hatte man eine Leber-biopsie durchgeführt. In den meistenFällen (76%) wurde damit eine fortge-schrittene Erkrankung nachgewiesen.

HDV möglicherweiseunterdiagnostiziertObwohl die Ergebnisse der Umfragenahelegen, dass die HDV-Prävalenz inder Schweiz relativ niedrig zu seinscheint (in Deutschland beträgt sie bei-spielsweise 6,8%, in einigen Regionender Türkei bis zu 27%) geben Rossiund Genné zu bedenken, dass dieHDV-Infektion hierzulande möglicher-weise noch unterdiagnostiziert sei. Hepatologen fordern aus diesem Grundseit Langem, bei jedem Hepatitis-B- Patienten mindestens einmal einenHDV-Antikörpertest durchzuführen.Eine akute Superinfektion mit HDV

kann auch leicht mit einem Wieder-aufflackern einer Hepatitis B verwech-selt werden. Folgende Phänomenesprechen für HDV: ❖ aktive Hepatitis bei einem HBsAg-

positiven Patienten mit niedrigeroder negativer HBV-DNA

❖ Exzerbation einer chronischenHepatitis B ohne anti-HBc-IgM

❖ schwere oder fulminant akuteHepatitis B.

Die Therapie bei HDV ist schwierigund noch wenig erforscht. Zurzeit istPeginterferon alfa für mindestens einJahr die Standardtherapie bei HDV,die aber nur bei 20 Prozent der Patien-ten erfolgreich ist. Für die Präventiongelten die gleichen Regeln wie bei He-patitis B. ❖

Renate Bonifer

ECCMID Wien 2010; Poster P1119: Rossi I, Genné D: Hepa -titis in Switzerland: a silent epidemic. Clin Microbiol Infect2010; 16(S2): 309.

Bericht

Hepatitis D in der SchweizEine stille Epidemie?

22 ARS MEDICI DOSSIER II+III ■ 2011