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Hirte MuHa CS3.indd 1 23.01.2009 12:48:53 · 2013. 11. 6. · Michael Hirte Der Mann mit der Mundharmonika Mein Leben WiLHeLM Heyne VerLag MüncHen Hirte_MuHa_CS3.indd 3 23.01.2009

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  • Michael Hirte

    Der Mann mit der Mundharmonika

    Mein Leben

    WiLHeLM Heyne VerLagMüncHen

    Hirte_MuHa_CS3.indd 3 23.01.2009 12:48:54

  • Ver lags grup pe ran dom House FSc-DeU-0100Das für die ses Buch ver wen de te

    FSc-zer tifi zier te Pa pier Su per Snow brightlie fert Hel le foss aS, Ho kk sund, nor we gen.

    Ori gi nal aus ga be 03/2009co py right © 2009 by Mi cha el Hir te

    Management: n6limitedco py right © 2009 by Wil helm Hey ne Ver lag, Mün chen

    in der Ver lags grup pe ran dom House gmbHPrin ted in germ any 2009

    Text und Kon zep ti on: Ti mur Ver mesUm schlag ge stal tung: nele Schütz De sign, Mün chen

    Um schlag bild: © 2008. co lum bia Deutsch land. Foto: www.ge or giew.de

    Satz: Buch-Werk statt gmbH, Bad aib lingDruck und Bin dung: ggP Me dia gmbH, Pöß neck

    iSBn: 978-3-453-64045-0

    www.hey ne.de

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  • 5

    Inhalt

    in tro 7

    1. Kind heit 14

    2. Mei ne Mundi 28

    3. ar mee 35

    4. Halb fi na le 46

    5. Der Wes ten 49

    6. Der Un fall 56

    7. reha 59

    8. Jobs 66

    9. au to gram me 78

    10. Tau fe 87

    11. come back 97

    12. Lie be 100

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  • 13. Stra ßen mu sik 108

    14. all tag 120

    15. ab schied 125

    16. Fi na le 133

    17. Fan post 138

    18. Pro be 147

    19. Pre mi e re 153

    20. auf Sen dung 158

    21. Die Puh dys 164

    22. Su per ta lent 169

    23. Kri tik 177

    24. Fern se hen 183

    25. Zu kunft 190

    Mei ne re geln 198

    Bild nach weis 206

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  • 7

    In tro

    Mei ne Lun ge tut weh.

    Seit dem Vor ca sting geht das jetzt so.Viel leicht hät te ich ges tern doch nicht noch mal auf der Stra ße spie len sol len. War doch schon ziem lich kalt.

    Seit halb neun Uhr früh bin ich jetzt hier. Das sind mehr als zwölf Stun den. Seit her war ten, war ten, war ten.ein paar in ter views. Dann wie der war ten. ein biss chen auf der Mundi spie len.War ten, war ten.Für ei nen auf tritt von zwei, viel leicht drei Mi nu ten.

    ich hät te nie ge dacht, wie zeit auf wen dig das beim Fern-se hen ist.

    auf der Stra ße hät te ich mir in der sel ben Zeit et was geld da zu ver die nen kön nen. es geht auf Weih nach ten. auch kei ne leich te Zeit für Stra ßen mu si ker. aber wir ha ben uns un ter ei nan der ganz gut ar ran giert.

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  • 8

    Hier geht’s auch um geld.

    nein, denk jetzt nicht ans geld! Kon zen trier dich!

    Schön wär’s schon.nicht we gen der Koh le. Wenn viel leicht je mand Ver wen-dung für ei nen Mund har mo ni ka spie ler hät te – das wäre doch auch schon was.ein paar en ga ge ments könn te ich schon ge brau chen. Je-der cent zählt. ge ra de zur Weih nachts zeit.

    ich will eine rau chen.

    nee, ich hab ja ge ra de erst eine ge raucht. Jetzt geht’s nicht, di rekt vorm Stu dio.

    Was um Him mels wil len ma chen die so lan ge da drin-nen?

    es hat nicht mal ’ne Pro be ge ge ben.Hof fent lich klappt das mit mei nem Hin ter grund-Play-back. Und mit dem Mik ro fon.

    Doch, es sticht im mer noch in der Lun ge. nicht mehr so schlimm wie neu lich. gott sei Dank.Kers tin sei Dank.eine klei ne Schwes ter, die ge lern te Kran ken schwes ter ist. glück muss man ha ben.

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  • 9

    ich hab sie so fort an ge ru fen, als ich die Schmer zen das ers te Mal hat te. Die kennt sich mit so was aus.

    Mensch, wenn ich we nigs tens ein biss chen was auf der Mund har mo ni ka spie len könn te.Das be ru higt mich oft.Das hat mich auch in den letz ten zwölf Stun den ge ret tet. Zi ga ret ten und da zwi schen zur auf mun te rung ein biss-chen was für die an de ren auf der Mundi spie len. Sonst wäre ich schon längst wahn sin nig ge wor den hier.aber wenn ich jetzt was spie le, hört man’s im Saal.nicht spie len, nicht rau chen.ich hab ganz feuch te Fin ger.Das kann doch nicht im mer so lan ge dau ern. ich war doch schon mal im Fern se hen, 2002. aber das war Früh-stücks fern se hen, die ha ben ver mut lich we ni ger Zeit.

    Blö de Lun ge. Die tut wie der mehr weh, oder? Mal tief durch at men. Bes ser oder schlech ter?Bes ser. Deut lich.nicht mehr so schlimm wie am ers ten Tag.Wahn sinn, wie mir da die Luft weg ge blie ben ist. Wie kurz vorm Herz an fall. Wie die ers ten Töne der Ti tel me lo die von Pip pi Lang-strumpf hän gen ge blie ben sind. Das darf jetzt nicht pas sie ren.»ave Ma ria« ist auch nicht viel leich ter.Das DarF jetzt nicht pas sie ren.

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  • 10

    ich gäbe was für eine Zi ga ret te.

    Die klat schen da drin nen. ist das ein gu tes Zei chen?

    Doch, ich glau be, die Lun ge hält. ganz ru hig at men. ist bes ser ge wor den.Hät te ich an fangs nicht ge dacht. Das hat sich an ge fühlt, als bräuch te ich eine not o pe ra ti on. Da bei braucht’s bloß Lein öl. Viel Lein öl.Quark mit Lein öl. Oder He ring in Lein öl. Oder Bröt-chen in Lein öl ge tunkt, eine Pri se Zu cker drü ber, und dann run ter da mit.Die Lun ge macht mit, ich bin si cher.

    Hab ich die rich ti ge Mund har mo ni ka ein ge steckt?Ja, klar. Wie oft soll ich das noch prü fen?Viel leicht soll te ich noch ei nen Schluck Was ser – nein. es geht los.

    Sie füh ren mich zur Büh ne.Sie klat schen.es ist hell.So vie le Schein wer fer.So vie le ge sich ter.So vie le Ka me ras.

    ein Bar ho cker. Sie hö ren auf zu klat schen.

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  • 11

    Mei ne Stim me klingt selt sam über die Laut spre cher.Wie gar nicht von mir.

    »gu ten Tag, mein name ist Mi cha el Hir te.ich bin … »

    gibt’s doch nicht.Wie alt bin ich jetzt?ner ven.

    »… 44 und woll te was mit der Mund har mo ni ka vor-spie len.«

    Wie so fragt mich der Die ter Boh len jetzt was?Was ich in den letz ten Jah ren so ge macht habe?Was heißt »in den letz ten Jah ren«? Sieht der nicht, wie ner vös ich bin?Wo fang ich da an? Muss ich jetzt al len Leu ten sa gen, dass ich ar beits los bin?Hartz iV – mir ist das pein lich.

    »ich hab’n Un fall ge habt … mit’m Last zug bin ich ge-gen’n Baum ge fah ren … und seit dem mach ich so Mu-sik und …«

    War das jetzt rich tig?nee, das war wirr.Oh Mann, da wird er jetzt wie der nach ha ken.Jetzt will er wis sen, wie’s pas siert ist.

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  • 12

    alle wol len im mer wis sen, wie’s pas siert ist.

    »Weiß ich nicht … über nacht …«

    ei ni ge la chen. Mann, das wird ja im mer blöd sin ni ger.Kein Mensch hat was von ei ner Fra ge stun de ge sagt.Hof fent lich ist der bald fer tig mit sei ner Fra ge rei, und ich kann spie len.

    Jetzt bohrt er in mei nem Koma rum. Him mel, ihr sucht doch kei nen ge schich ten er zäh ler!

    Mir kommt’s vor, als stün de ich hier schon eine ewig-keit he rum.Hof fent lich geht’s jetzt los. Bit te!Dan ke.

    auf den Ho cker und los.Kunst le der. So rut schig!nee, so geht das nicht.Un be quem.Die Leu te la chen wie der.Sieht doch ein fach däm lich aus, wie ich da rauf …

    … na, so geht’s viel leicht …

    … hof fent lich macht die Lun ge mit …

    … das Play back kommt, mein Play back …

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  • 13

    … zu laut …

    … ich sitz nicht gut …

    … noch nicht, noch nicht …

    … ver patz es nicht …

    … nicht zu früh an fan gen, nicht zu früh …

    … so heiß hier …

    … guck nicht ins Pub li kum …

    … nicht zur Jury …

    … nicht zu früh …

    … so heiß …

    … der nächs te Takt …

    … not falls bleibt dir noch im mer die Stra ße …

    … Luft ho len …

    … Lun ge okay …

    … Spiel!

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  • 14

    1. Kind heit

    ge bo ren bin ich in Sprem berg, ei nem klei nen Städt-chen in Bran den burg, als zwei tes Kind von mei nen el-tern Han ne lo re und Karl Hil gen dorf, zwei Jah re nach mei nem äl te ren Bru der ren aldo. Mei ne el tern ar bei te-ten in der DDr als gast stät ten lei ter. Und da mit ha ben sie mich wohl auch ein we nig auf mei nen jet zi gen Be-ruf als Mu si ker vor be rei tet, denn auch gast stät ten lei-ter ka men da mals ganz schön he rum. Wir ha ben schon nach zwei Jah ren die gast stät te und da mit den Wohn-ort das ers te Mal ge wech selt. Bis da hin hat ten wir in Lüb be nau ge lebt, nicht weit weg von mei nem ge burts-ort. Dann zo gen wir für zwei Jah re we ni ge Ki lo me ter süd west lich nach Kitt litz. Und da nach für vier Jah re rich tig weit weg, nach gera, in den Stadt teil Lusan, wo ich das ers te Mal zur Schu le ging und wo auch mei ne klei ne Schwes ter Kers tin zur Welt kam. Weil mei ne el-tern zu zweit eine Kan ti ne im Ta ge bau be treu ten, war ich die Wo che über in ei ner Krip pe und kam nur zum Wo chen en de heim. in gera hab ich auch das ers te Mal ge kocht. ich war sechs Jah re alt, mei ne Mut ter hat te

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  • 15

    an dem Tag kei ne Zeit, um was für uns zu zu be rei ten, und dann habe ich für Kers tin und mich Sen fei er ge-kocht. also eier mit Senf sau ce und Kar tof feln, rich tig klas sisch. Das hat echt gut ge schmeckt. ich könn te das not falls so gar heu te noch ko chen. al ler dings ist seit den Sen fei ern kein zwei tes re zept da zu ge kom men. au ßer viel leicht grill würst chen.

    ge stört hat mich die se frü he Selbst stän dig keit nicht. ich fand auch das He rum zie hen gar nicht so läs tig. Wenn ich das an de ren er zäh le, wun dern die sich manch mal und sa gen: »Das muss doch schlimm ge we sen sein, stän-dig die al ten Freun de ver lie ren und von vor ne an fan-gen.« aber ich fand’s nicht schlimm. ich hab das schon da mals po si tiv ge se hen. Denn im mer wie der neu an zu-fan gen be deu tet schließ lich auch, im mer wie der neue Leu te ken nenzuler nen. Mein Bru der ren aldo hat das nicht ganz so ge se hen. Viel leicht auch, weil er et was äl-ter war als ich und des halb schon en ge re Freund schaf-ten ge schlos sen hat te. als ich acht Jah re alt war und un se re el tern nach Thü rin gen zie hen woll ten, blieb er da rum bei Oma char lot te und Opa au gust in Lüb be-nau. Und ich zog mit Kers tin und mei nen el tern nach Herms dorf.

    Das war eine wirk lich pri ma Zeit dort. Mei ne el tern be-wirt schaf te ten dort die HO-gast stät te »Holz land per le«. ich glau be so gar, sie wa ren die ers ten Wirts leu te dort über haupt, das Lo kal wur de im Früh ling 1972 er öff net,

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  • 16

    das kommt so ziem lich hin. Die »Holz land per le« gibt es heu te noch, die kön nen Sie noch im mer be su chen. ich weiß nicht, ob sie noch be wirt schaf tet wird, aber 2007 war eine Piz ze ria drin. in nen ist sie in der Zwi schen zeit auch mal kom plett sa niert wor den, das heißt, sie sieht jetzt auf je den Fall ganz an ders aus als da mals, in nen we-nigs tens. ist ja auch klar, das war eine ty pi sche 70er-Jah-re-gast stät te mit Kunst le der ses seln. ich er in ne re mich noch an die ganz ei gen ar ti ge Holz de ko ra ti on, aber die muss te ja ver mut lich sein, vom Saa le-Holz land-Kreis hat te die gast stät te schließ lich ih ren na men. Wenn not am Mann war, hab ich manch mal aus ge hol fen. ich hab mir dann mit Spü len mein Ta schen geld auf ge bes sert. Und dort habe ich auch die ers ten rich ti gen Stars er-lebt, denn die »Holz land per le« ge hör te zu ei nem Ver-an stal tungs zent rum. Die Schla ger grö ßen Mo ni ka Hauff und Klaus-Die ter Henk ler ka men nach ih ren auf trit ten dann schon mal in die gast stät te an die Bar, oder auch chris Do erk, die war ein ech ter Hin gu cker. Di rekt an der »Holz land per le« lag ein gro ßer Frei land platz, da wur den dann im Som mer für alle Brat würs te ge grillt. Und im Win ter, wenn’s dick ge schneit hat, hab ich mit mei nem Kum pel Thors ten und noch ei nem an de ren Freund auf dem Park platz Schnee lö wen ge baut. Sah gut aus, wir ha-ben die rich tig mo del liert, Kopf, Schwanz, al les dran – wer weiß, viel leicht hät te ich’s an der Ost see auch zum Sand künst ler brin gen kön nen. Da gibt’s ja heu te vie le, die an den Pro me na den so Dra chen bau en und Skulp-tu ren. aber da mals ge hör te mein Herz schon längst der

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    Mund har mo ni ka. Und viel leicht noch dem Zeitz grund.

    Der Zeitz grund war für uns das Pa ra dies, ein traum haf-tes Tal mit vie len Müh len. Das heißt, Müh len wa ren das frü her mal, heu te sind das al les gast stät ten, für Wan-de rer. Die Janis müh le war ei nes un se rer Lieb lings zie le. Dort ha ben Thors ten und ich im Som mer oder an Wo-chen en den ge ar bei tet. Die hat te als eine der letz ten den Müh len be trieb ein ge stellt und war ge ra de zu ei ner gast-stät te mit Strei chel zoo um ge baut wor den. Sie hat ten esel, Zie gen und Po nys. Wir ha ben die Stäl le aus ge mis tet und die Pfer de ge strie gelt und uns um die Tie re ge küm mert. Und wenn Fa mi li en mit klei nen Kin dern ka men, konn-ten die dort die Kin der rei ten las sen. Thors ten und ich ha ben die Kin der dann rauf ge setzt, ge guckt, dass die gut sit zen, und dann ha ben wir sie he rum ge führt. ein biss-chen wie auf der Kir mes, aber im Zeitz grund war das na tür lich viel schö ner. geld gab’s da für keins, aber eine Brat wurst. Das war für uns das größ te.

    Durch die Wäl der rund um den Zeitz grund bin ich mit Thors ten aber auch ge zo gen, wenn wir nicht ge ra de in den Müh len ge ar bei tet ha ben. ich hab da bei dann im mer auf der Mundi ge spielt, und Thors ten hat dazu ge sun-gen. »Lus tig ist das Zi geu ner le ben« oder das »Änn chen von Tharau«. Thors ten und ich wa ren un zer trenn lich, so gar nachts: Wir hat ten uns ein ganz ein fa ches Te le fon ge bas telt, aus ei nem al ten Ben zin schlauch. Der ging bei mir aus dem Fens ter, au ßen an un se rem Miets haus ent-

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  • 18

    lang und dann bei ihm wie der ins Fens ter rein. Und weil un se re Woh nun gen und da mit auch un se re Kin der zim-mer ne ben ei nan der la gen, konn ten wir uns im mer mit Klopf zei chen ver stän di gen. So zu sa gen als Te le fon klin-geln, da mit man weiß, dass der an de re an ruft. Und ohne die ses stän di ge Bei sam men sein wäre Thors ten mit mir be stimmt auch nicht auf den Trä ger bo gen der al ten Teu-fels tal brü cke ge klet tert.

    Sech sund fünf zig Me ter hoch ist die Brü cke über dem Tal, und ich bin mit Thors ten ein fach den Brü cken-bo gen hochmar schiert. Und ganz oben ha ben wir uns dann auf den Bauch ge legt und sind zum rand von dem Bo gen ge kro chen, da mit wir hi nunt er se hen konn ten. Thors ten hat te ganz schön Muf fen sau sen, und wenn ich nicht drauf be stan den hät te – ich glau be, der wäre auch ganz aus ge zeich net ohne un se re Klet ter tour aus ge kom-men. aber mich reizt eben manch mal der ner ven kit zel. Und das mit der Brü cke war na tür lich ge fähr lich, auch wenn der Bo gen, der die Brü cke trägt, wirk lich ziem lich breit ist. aber da hät te bloß mal eine be son ders kräf ti ge Wind böe kom men müs sen, so was kann ei nem ja auch in den Ber gen pas sie ren – schwupps, hät ten Sie jetzt kein Buch in der Hand. Wirk lich wahr, Sie kön nen sich’s ger ne sel ber an se hen. Heu te ist die Brü cke zwar ab ge-ris sen, aber sie ha ben für die au to bahn zwei neue ge-baut, in je der rich tung eine. Und ab ge se hen da von, dass sie der al ten Brü cke so gar ziem lich ähn lich se hen: Die Höhe ist prak tisch ge nau die sel be wie die Höhe da mals.

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    Wenn Sie also mal auf der au to bahn a4 in der ge gend un ter wegs sind und ein we nig Zeit ha ben, dann kön nen Sie west lich vom Herms dor fer Kreuz mal an der rast-stät te »Teu fel stal« an hal ten und run ter gu cken.

    Wa rum ich da un be dingt hoch klet tern muss te, kann ich nur schwer er klä ren. aber es gibt Mo men te, da su che ich ein fach die He raus for de rung. Da will ich’s dann wis sen. Oder woll te es wis sen, heu te ist das längst nicht mehr so. aber da mals wa ren das im mer ähn li che Si tu a ti o nen: es wa ren nie schlim me Sa chen, bei de nen Leu te zu Scha-den kom men konn ten, nichts, wo man mit an de ren um die Wet te fährt oder so was, nein, mehr so Sa chen, bei de nen man sich denkt, das pro bier ich jetzt, ob ich das kann. Oder: Mal se hen, ob ich mich das traue. eben so was wie auf der Teu fels tal brü cke, wo man sich sel ber et-was mehr in ge fahr be gibt als nö tig wäre. Oder bei der ar mee, als ich mal ei nen Ka me ra den ge se hen habe, der ei nen Su per sal to vom Drei me ter brett hin ge legt hat. Das muss te ich dann so fort auch ma chen. erst bin ich auf ’m rü cken ge lan det, vol le Kan ne, ich kann ih nen sa gen, das tut weh. Und beim nächs ten Ver such auf ’m Bauch. Und dann ste hen Sie da mit ten im Frei bad und se hen aus wie ein Lachs bröt chen von in nen. na ja, und wo an de re dann sa gen, zwei mal auf die Schnau ze flie gen, das reicht ei gent lich für ei nen Vor mit tag, da reicht’s mir eben noch lan ge nicht. Da will ich’s dann ge ra de so rich tig wis sen. also bin ich ein drit tes Mal aufs Brett ge klet tert, und dann hat’s hin ge hau en. aber selbst wenn’s noch zehn

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  • 20

    Ver su che ge braucht hät te, hät te ich die auch noch ab sol-viert. Und das war’s dann auch schon wie der mit mei ner Turm sprin ger kar ri e re. ich hab dann nicht noch ewig wei ter ge übt, um noch mehr Dre hun gen von noch wei-ter oben hin zu krie gen, nein, ich woll te das nach ma chen und fer tig. er klä ren kann ich ih nen das nicht, da soll te man viel leicht mal ’nen Wis sen schaft ler fra gen, die wis-sen ja sonst auch im mer al les.

    Mei ne Mut ter kann da in je dem Fall ein Lied von sin-gen. Die er in nert sich noch am bes ten an den Tag, ich war viel leicht neun oder zehn, an dem sie von un se ren nach barn bei der ar beit an ge ru fen wor den ist. »Du lie-ber Him mel, kom men Se mal schnell nach Hau se, ihr Jun ge, der Mi cha el, der turnt da auf dem ge län der von ih rem Bal kon rum.« Was auch ge stimmt hat, konn te ja je der se hen, weil un ser Bal kon da mals im fünf ten Stock lag. Mei ne Mut ter ist kä se weiß ge wor den und heim ge-rauscht wie nichts gu tes. Und hat sich in ei nem fort über legt, wie sie am un auf fäl ligs ten und lei ses ten in die Woh nung rein kommt. Weil das ja irre ge fähr lich ist, wenn der ei ge ne Jun ge ge ra de im fünf ten Stock auf dem Bal kon ge län der he rum ba lan ciert, und denkt, er wäre ge ra de zu Hause so rich tig schön un ge stört, und dann kommt plötz lich Mut ti aus der Bal kon tür wie so ein Spring teu fel aus der Papp schach tel und sagt »über ra-schung! rat mal, wer heu te et was frü her heim kommt!« Oder: »Bist du wahn sin nig?!? Komm so fort da run ter!« Da ge nügt ja eine klei ne ab len kung, und der Jun ge liegt im nächs ten au gen blick par ter re im Tul pen beet vom

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  • 21

    Haus meis ter. Mei ne Mut ter hat also to tal ner vös den Schlüs sel raus ge holt und ganz, ganz lang sam ins Schloss ge scho ben und dann die Tür mit der ei nen Hand fest-ge hal ten und ein biss chen an ge ho ben, um das Schloss zu ent las ten, wäh rend sie mit der an de ren Hand den Schlüs sel ge dreht hat, da mit die Tür be son ders lei se auf-klackt. Hand ta sche au ßen ab ge stellt, die Schu he aus ge-zo gen und dann ganz lei se rein ge schli chen, und da saß ich aber schon wie der im Wohn zim mer und hab was ge-le sen. Die war so er leich tert, es gab nicht mal Är ger we-gen die ser Dumm heit.

    an de rer seits hat mich das aber auch schon früh zur Selbst stän dig keit er zo gen. Das war ja auch wich-tig: Wenn bei de el tern ar bei ten und man als Kind al-lei ne zu Hause ist, da kann man nicht im mer war ten, bis Mut ti heimkommt, wenn’s ein Pro blem gibt. Und das kam im mer wie der mal vor, weil ich viel und ger ne he rum ge tobt bin. nicht nur auf dem Bal kon ge län-der, son dern bei schlech tem Wet ter auch ger ne in der Woh nung. ei ner mei ner liebs ten Sprung tür me war un-ser Kin der stock bett, in dem mein Bru der ren aldo und ich ge schla fen ha ben. Die gro ße He raus for de rung war der per fek te Sprung auf den Bo den. ich hab das lei den-schaft lich ge übt. im mer rauf ge klet tert. Und dann vol le Kan ne run ter. Mit an lauf. Oder aus dem Stand. Wenn ich heu te drü ber nach den ke, müs sen die nach barn un-ter uns wohl tags ü ber beim ar bei ten ge we sen sein. Das war eben ein Vor teil in der DDr: Wo’s kei ne ar beits lo-

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  • 22

    sig keit gibt, da sind auch die nach barn öf ter mal aus dem Haus. Und dann schimpft kei ner, wenn die Kin-der in der Woh nung spie len. aber viel leicht täu sche ich mich auch, und die wa ren ein fach nur ext rem nach sich-tig. Oder taub. eins da von muss auf je den Fall stim men, denn von un ten kann sich das im mer nur so an ge hört ha ben: Trapp, trapp, trapp. Und dann Pau se. Und dann DOTZ! Und dann wie der trapp, trapp, trapp. Pau se. DOTZ. nur ein mal hat das an ders ge klun gen: erst trapp, trapp, trapp. Dann Pau se. Und dann KLOngg! Da bin ich näm lich mit dem Kopf vo ran in un se ren Heiz kör-per ge taucht.

    ein schö ner alt mo di scher Heiz kör per war das, die sieht man heu te gar nicht mehr so oft. Das sind ja heu te meis tens so Käs ten. Oder die ha ben run de röh ren, im Bad, da mit man die Hand tü cher drü ber hän gen kann. aber der Heiz kör per in un se rem Zim mer war das ganz nor ma le Stan dard mo dell von da mals, mit rip pen. Für Woh nun gen. Denn es gab zwei Sor ten: Die in den Äm-tern und Schu len, die wa ren dick mit run den rip pen. auf de nen konn te man schon auch mal sit zen. Und dann gab’s noch die für den Haus ge brauch, so schma le mit dün nen, kan ti gen rip pen. also, aus die sen gan zen Un ter schie den ma che ich mir sonst auch nicht viel. aber wenn Sie mit dem Kopf vo ran mal ge gen ei nen knal len wol len, ehr lich – da ren nen Sie bit te lie ber zwei mal ge-gen ei nen von den run den, be vor Sie den kan ti gen für den Haus ge brauch neh men.

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    Se hen Sie, und des we gen ist es wich tig, wenn man als Kind selbst stän dig ist. ich war näm lich in zwi schen schon so oft ir gend wo hin ge knallt oder ir gend wo ge-genge rannt, dass ich schon von selbst zum arzt ge gan-gen bin. Mei ne Mut ti er zählt heu te noch, wie sie von der ar beit nach Hau se kam und mich mit ei nem Ver band am Kopf ge se hen hat. Und wie ich ihr ge sagt habe: »ich bin in die Hei zung ge knallt, Mama, aber ist al les klar. ich war schon beim arzt.« Das war ein biss chen kurz ge fasst, hat aber im We sent li chen ge stimmt. ich war zu mei nem Opa ge gan gen, und der hat te mich im Bei wa-gen sei nes Mo tor rads zum arzt ge fah ren. aber das ma-chen auch nicht alle Kin der. Vie le ha ben zu viel angst vor Sprit zen oder so.

    aber ich fand zum arzt ge hen nie schlimm. Mit den Ärz ten hat te ich schon da mals reich lich Be kannt schaft ge schlos sen, das wa ren die, die ei nen im mer wie der zu-sam men flick ten, wenn man mal wie der Un sinn an ge-stellt hat te. Wenn man in der Schu le mit dem Kopf ge-gen die Tür klin ke ge rannt war. Oder wenn man sich zum Bei spiel beim Blockh aus bau en im Wald eine axt an den Kopf ge knallt hat te. Wie ich. ich war wie der mit Thors-ten un ter wegs ge we sen. es soll te ein rich ti ges Block haus wer den, und dazu muss man eben auch ein paar nä-gel ein schla gen. aber wir hat ten kei nen Ham mer ein ge-packt. also habe ich eben un se re axt ein fach um ge dreht, um die nä gel mit der rück sei te ins Holz zu häm mern. Und da bei hab ich wohl zu weit aus ge holt, je den falls hab ich mir die schar fe Sei te der axt prompt in die Stirn ge-

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  • UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

    Michael Hirte

    Der Mann mit der MundharmonikaMein Leben

    Taschenbuch, Klappenbroschur, 208 Seiten, 12,5 x 18,7 cm14 farbige Abbildungen, 9 s/w AbbildungenISBN: 978-3-453-64045-0

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    Von der Fußgängerzone auf die große Bühne: Das Schicksal von Michael Hirte rührt dieMenschen zu Tränen. Mit seiner Mundharmonika gewann der ehemalige Hartz-IV-Empfängerdas Finale von „Das Supertalent“ und die Herzen von Millionen Fernsehzuschauern. Jetztgewährt der 44-Jährige erstmals Einblick in sein schicksalsschweres Leben, das mit demFinalsieg einen so bewegenden Höhepunkt gefunden hat.

    http://www.randomhouse.de/book/edition.jsp?edi=311187