16
INFOS Magazin des nationalen Branchenverbands der Institutionen für Menschen mit Behinderung Nr. 45| November 2014 Psychische Beeinträchtigung Menschen mit psychischer Beeinträch- tigung treten zunehmend instabil von der Klinik in Institutionen über. Eine Herausforderung für alle. Seiten 3 - 9 Bereit für die Zukunft Im Interview spricht INSOS-Präsiden- tin Marianne Streiff über die Stärken des Verbandes und die Herausforde- rungen der Zukunft. Seite 13 Neues in die Welt bringen Wie kommt Neues in die Welt? Die Theorie U propagiert «das Lernen aus der Zukunft» – und faszinierte die Kongress-Teilnehmenden. Seite 10

INFOS INSOS 45

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Mitgliedermagazin von INSOS Schweiz, November 2014

Citation preview

Page 1: INFOS INSOS 45

INFOSMagazin des nationalen Branchenverbands der Institutionen für Menschen mit Behinderung Nr. 45 |November 2014

Psychische Beeinträchtigung

Menschen mit psychischer Beeinträch-tigung treten zunehmend instabil vonder Klinik in Institutionen über. EineHerausforderung für alle. Seiten 3 - 9

Bereit für die Zukunft

Im Interview spricht INSOS-Präsiden-tin Marianne Streiff über die Stärkendes Verbandes und die Herausforde-rungen der Zukunft. Seite 13

Neues in die Welt bringen

Wie kommt Neues in die Welt? DieTheorie U propagiert «das Lernen ausder Zukunft» – und faszinierte dieKongress-Teilnehmenden. Seite 10

Page 2: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

2

Editorial

Von selbst geschieht nichtsDas Jahr 2014 steht für zehn Jahre Behinderten-gleichstellungsgesetz (BehiG). Und es steht fürdie Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskon-vention (UN-BRK) durch die Schweiz. Das ist dochwas! Ersteres hat das Zweite wohl erst möglichgemacht. Einiges hat sich in den letzten zehn Jah-ren geändert, vieles für Menschen mit Behinde-rung verbessert. Doch machen wir uns nichts vor:Ein Wertewandel in der Gesellschaft, in der Wirt-schaft, in den Köpfen der Menschen ohne Behin-derung hat noch nicht wirklich stattgefunden.Politisch hat man sich viel vorgenommen: Inner-halb von vier Jahren sollen schweizweit 17 000IV-Bezügerinnen und -bezüger in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Nachzwei Jahren ist absehbar, dass dieses Ziel trotz attraktiver Modelle bei Weitemnicht erreicht wird.

Also: Wir müssen dran bleiben. Wir müssen das BehiG und die UN-BRK als Inst-rumente nutzen, um die Gleichstellung und Inklusion weiter voranzutreiben. Vonselbst geschieht nichts – im Gegenteil. Der wachsenden Komplexität der Problemein der Gesundheits- und Sozialpolitik – bedingt durch die Zunahme der Unterstüt-zungsbedürftigen, den Spardruck und die schwindende Solidarität in der Gesell-schaft – kann nur mit noch intensiveren Anstrengungen begegnet werden. Dennwir wollen weitere Fortschritte erzielen und nicht wieder an Terrain verlieren.

An der europäischen Konferenz der Sozialen Institutionen (EASPD) diesen Ok-tober in Oslo war Erstaunliches zu vernehmen: Beispielsweise, dass in Rumäniendie Menschen mit Behinderung schlicht ums Überleben und um den Zugang zumGesundheitswesen kämpfen müssen; das macht mich betroffen. Dass in Grossbri-tannien gewisse institutionelle Angebote wie Arbeitsplätze im geschützten Be-reich ohne adäquate Ersatzlösung abgeschafft werden, nur um Geld zu sparen.Oder dass Norwegen seinen als fortschrittlich bezeichneten Weg des «gemein-schaftsbasierten Dienstleistungsangebots» unter dem Stichwort «Re-Institutiona-lisierung» wieder verlassen will. Das alles macht hellhörig.

Nehmen wir die Herausforderung an. Nutzen wir die Chancen der vergleichswei-se hervorragenden Voraussetzungen in der Schweiz. Das heisst: Das Erreichte zuverteidigen und alles daranzusetzen, mit geeigneten Massnahmen, mit gutenDienstleistungsangeboten und mit unserem Engagement für mehr Solidarität denZielen der UN-BRK einen grossen Schritt näher zu kommen.

Freundliche Grüsse

Peter SaxenhoferGeschäftsführer INSOS Schweiz

< Stefan Bührer hatBeate Arnegger, einerBetreuerin im externenWohnen der StiftungMansio, das Jassenbeigebracht.Bild | Michel Canonica

Page 3: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

3

Psychische Beeinträchtigung | Zusammenarbeit von Kliniken und Institutionen

Wunsch nach intensiverer Vernetzung

Die psychiatrischen Kliniken in derSchweiz haben sich in den letzten zweiJahrzehnten stark gewandelt und sichneu ausgerichet. Im Zuge der Deshospi-talisierung und Akutausrichtung ist zumeinen die Zahl der Betten für Langzeit-patientinnen und -patienten in den Kli-niken stark gesunken: Während etwa imKanton Zürich 1998 noch 1262 Lang-zeitbetten zur Verfügung standen, wa-ren es im Jahr 2003 noch 768 – fast 40Prozent weniger. Zum andern hat diedurchschnittliche Aufenthaltsdauer in

psychiatrischen Kliniken deutlich abge-nommen: Allein in den letzten zehnJahren sank sie in der Schweiz gemässH+ von 38,2 Tagen (2001) auf 33,2 Tage(2011). Heute benötigen allerdingsnoch immer rund 20 Prozent der Patien-tinnen und Patienten mehrmonatigeAufenthalte auf Akutstationen.

Vom Patienten zum KlientenDiese Entwicklung hat in den letztenJahren die tägliche Arbeit der Instituti-onen stark beeinflusst – und sie tut esnoch immer. Denn die ehemaligen Lang-zeitpatientinnen und -patienten der Kli-niken leben heute vielfach voll- oderteilzeitbetreut in Institutionen für Men-schen mit psychischer Beeinträchti-gung. «Früher waren diese Männer undFrauen Kranke respektive Patienten. ImZuge der Akutausrichtung wurden sieMenschen mit Behinderung», fasst JosefHollenstein, Leiter der Stiftung Stern-

Im Zuge der Akutausrichtung derpsychiatrischen Kliniken verlassenPatientinnen und Patienten heutefrüher die Kliniken und tretentendenziell instabiler in Institutio-nen über. Dies erfordert von allenBeteiligten Flexibilität, Geduld– und angepasste Lösungen.

wies und Mitglied der INSOS-Fachkom-mission Psychische Beeinträchtigung,die Entwicklung pointiert zusammen.

Eine Herausforderung für alleDass Menschen mit psychischer Beein-trächtigung heute die Kliniken früherverlassen als einst, stellt die Institutio-nen vor neue Herausforderungen. Denndie Männer und Frauen, die bei ihnen ineine Wohngruppe oder Tagesstätte über-treten oder in einer Werkstätte zu arbei-ten beginnen, sind heute tendenziellinstabiler und weniger leistungsfähigals noch vor zehn Jahren.Im Bereich Wohnen kann insbesondereder Übertritt von Menschen mit schwe-rer psychischer Erkrankung zu einer ho-hen Arbeitsbelastung der Mitarbeiten-den führen und viel Motivationsarbeit,klare Strukturvorgaben sowie Einzelbe-treuung notwendig machen. Dies bestä-tigt eine aktuelle Untersuchung der Psy-chiatrischen Universitätsklinik Zürich(PUK) (vgl. Seite 4). Sie macht zudemdeutlich, dass die Institutionen einenTeil der Belastung auf die teilweise in-transparenten Zuweisungen durch diepsychiatrischen Kliniken, die zu frühenEntlassungen von Patientinnen und Pa-tienten sowie auf deren unzureichende

Vorbereitung auf die neue Wohnsituati-on zurückführen (vgl. Seite 5). «Die Un-tersuchung zeigt an der Schnittstellezwischen Klinik und Wohneinrichtungklar ein Verbesserungspotenzial auf»,lautet denn auch das Fazit von MatthiasJäger, Co-Autor und Oberarzt an der Psy-chiatrischen Klinik Zürich.

Mehr Instruktion erforderlichDie Akutausrichtung der psychiatrischenKliniken haben längst auch die Werk-stätten zu spüren bekommen: Weil dieneuen Mitarbeitenden heute tendenziellweniger belastbar und weniger leis-tungsfähig sind, sind sie auf eine inten-sivere Betreuung sowie auf aufwändige-re Instruktionen angewiesen.Diese Entwicklung erfordert von Werk-stätten grosse Flexibilität, Geduld sowieangepasste, kreative Lösungen. Wäh-rend die einen zu Gunsten der Betreuungadministrative Prozesse vereinfachenoder zur Einarbeitung neuer Mitarbei-tenden eine Orientierungswerkstatt ge-schaffen haben, setzen andere ganzbewusst auf niederschwellige Angebote(vgl. Seiten 8 - 9).| Barbara Lauberwww.insos.ch > Verband > Fachbereiche> Psychische Beeinträchtigung

Nach einem Klinikaufenthalt zog Stefan Bührer indie Stiftung Mansio. Heute wohnt der 31-Jährigeselbständig in einer 2er-WG. Bild | Michel Canonica

«Unsere Untersuchung zeigt an derSchnittstelle zwischen Klinik undWohneinrichtung klar einVerbesserungspotenzial auf.»Matthias Jäger, Psychiatrische Klinik Zürich

Page 4: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

4

Eine Untersuchung der Psychiatrischen Universi-tätsklinik Zürich zeigt: Eine intensivere Vernetzungmit den psychiatrischen Kliniken könnte die Instituti-onen entlasten. Bild | zvg

Psychische Beeinträchtigung | Studie zur Zusammenarbeit von Kliniken und Institutionen

Verbesserungen wären nötig und möglich

Mit der Dehospitalisierung und derAkutausrichtung psychiatrischer Klini-ken ist das Angebot an betreuten Wohn-formen für Menschen mit schweren psy-chischen Erkrankungen deutlicherweitert worden. Heute leben ehemali-ge Langzeitpatientinnen- und patientender Kliniken vielfach in Wohneinrichtun-gen, was diese vor grosse Herausforde-rungen stellt.«Diese Personen verursachen oftmals Be-treuungsprobleme. Das kann zu häufigenund langen Klinikaufenthalten sowie zuwiederholten Wechseln der Wohnformund damit zu einer stets geringerwerdenden Zahl von aufnahmebereitenEinrichtungen führen», stellen MatthiasJäger, Oberarzt an der PsychiatrischenUniversitätsklinik Zürich (PUK), und sei-ne Co-Autoren in ihrer Studie «Psychiat-rischer Versorgungsbedarf in betreutenWohneinrichtungen» fest (Neuropsychia-trie, 2014: 28:12-18).

Hohe ArbeitsbelastungDie Autoren befragten in ihrer Studieinsgesamt 56 Zürcher Wohneinrichtun-gen, welche zusammen rund 1600 Wohn-plätze anbieten. Die Einrichtungen äu-sserten sich zu den Ursachen für dieBetreuungsprobleme und schlugen mög-liche Lösungsansätze vor.Die Wohneinrichtungen berichten viel-fach über erfreuliche Verläufe bei derBetreuung von Menschen mit schwerenpsychischen Erkrankungen. Ein Grossteilkann sich nach dem Eintritt stabilisierenund allenfalls nach einigen Jahren ineine eigenständigere Wohnform wech-seln. Gleichzeitig betonen die Instituti-onen aber auch, dass die Betreuung einehohe Arbeitsbelastung bedeute und teil-

Die Betreuung von Menschen mitschweren psychischen Erkrankungenist für Institutionen anspruchsvoll.Eine Untersuchung der Psychiatri-schen Universitätsklinik Zürich zeigt:Eine flexible Zusammenarbeit mitden Kliniken, eine transparenteKommunikation und eine speziali-sierte Anlaufstelle in den Klinikenkönnten Entlastung bringen.

weise Einzelbetreuung nötig sei. Zudemkönne durch die eingeschränkte Anspra-chefähigkeit der Klienten eine «sehr fra-gile, angespannte oder angstbesetzteWohnatmosphäre» entstehen.

Wichtig: Transparenz und VernetzungAls Ursachen für das teilweise schwierigeZusammenleben werden häufig klienten-bezogene Aspekte wie fehlende Krank-heitseinsicht, schlechte Compliance oderSubstanzkonsum genannt. Daneben füh-ren die Institutionen aber auch die teil-weise unkoordinierte Zusammenarbeitmit den Kliniken ins Feld. Sie kritisierenu.a. intransparente Zuweisungen, zu frü-hen Entlassungen von noch instabilenPersonen sowie unzureichende Vorberei-tungen auf die neue Wohnsituation.Für die Institutionen ist eine transparen-te Darstellung der Situation des Patien-ten und dessen Vorgeschichte essentiellfür die Bedarfsklärung. Sie wünscheneine gute Vernetzung noch vor demÜbertritt aus der Klinik, ein individuellabgestimmtes Übertrittsprozedere sowiegemeinsame Standort- und Austrittsge-spräche für einen lückenlosen Informati-onsfluss. Zudem regen sie bei komplexen

Problematiken ein abgestuftes Über-trittsverfahren an, wünschen klare Ab-sprachen für Krisensituationen sowieeine niederschwellige Aufnahmemög-lichkeit. Auch die personelle Kontinuitätist für die Institutionen grundlegend füreine erfolgreichere Versorgung. Sie wün-schen sich deshalb in den Kliniken An-sprechpartner, die über ein vertieftesWissen über die Bedürfnisse jener Klien-ten verfügen, die in betreuten Wohnfor-men leben.

«Es gibt Verbesserungspotenzial»«Die Untersuchung zeigt an der Schnitt-stelle zwischen Klinik und Wohneinrich-tung einen klaren Wunsch nach Verbes-serung der Zusammenarbeit auf», stelltMatthias Jäger auf Anfrage fest. Die PUKwird nun konkrete Verbesserungsmass-nahmen prüfen. Matthias Jäger betont:«Wünschenswert wäre eine intensivereVernetzung von Klinik und Wohneinrich-tung respektive ein spezialisiertes Ange-bot seitens der Klinik, das als nieder-schwellige Anlauf- und Beratungsstellefür die Wohneinrichtungen fungierenkönnte.» | Barbara Lauberwww.pukzh.ch

Page 5: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

5

Psychische Beeinträchtigung | Wünsche von Kliniken und Institutionen

«Über die eigenen Türen hinausdenken»

Die Wünsche der Institutionen

«Die Zusammenarbeit mit den Psychiatrischen Kliniken hatsich in den letzten Jahren deutlich verbessert», hält PeterEttlin von der PSAG für Basel fest. Die meisten Übergängefunktionierten gut – bloss beschäftigten einen dann die Ein-zelfälle stärker, bei denen etwas nicht wunschgemäss laufe.

INFORMATION. Wichtig sei für die Institution, dass die Kliniketwa bei Austritten nicht nur den behandelnden Arzt infor-miere, sondern auch die Sozialpsychiatrischen Dienste wie dieWohnbegleitung. «Wir sind für manche Klienten die wichtigs-te Bezugsperson und müssen wissen, wenn jemand neue Medi-kamente mit anderen Nebenwirkungen bekommt oder seit ei-ner Woche wieder zu Hause ist und auf unseren Besuch wartet.»

SEITENWECHSEL. «Wir alle sind gefordert, über unsere eige-nen Türen hinauszudenken», sagt Ettlin. Hilfreich seien des-halb die Einführungstage in der PSAG, die sich an neue Sozi-alarbeitende in Kliniken richten. Solche Seitenwechsel schätztauch Fredy Mattle von der Stiftung Brändi in Luzern. Mitarbei-tende von Brändi können ein bis zwei Tage in der Klinikschnuppern; umgekehrt kamen früher Psychiatriepflegende inAusbildung zu Brändi. «Dieser Perspektivenwechsel bringtsehr viel, und den müssten wir wieder intensivieren.» ZumBeispiel, um die unterschiedlichen Messlatten besser zu ver-stehen: «Für die Psychiatrie sind Menschen wieder funktions-fähig, die für unsere Anforderungen in der Werkstatt zu insta-bil sind.» In Mattles Augen fehlt sowohl bei der Arbeit alsauch im Wohnen ein Angebot zwischen Institution und Psy-chiatrie.

FRÜHZEITIGE AUFNAHME. Insgesamt lobt Mattle die Koope-ration mit den Kliniken. Einen Wunsch hat er an die Politik:mehr Betten und Therapiezeit in den Kliniken. Das fordertauch Patrick Rossetti von Centre-Espoir in Genf. In der Rho-nestadt führe der akute Platzmangel in den Kliniken zu etli-chen Problemen zulasten der Menschen mit psychischen Er-krankungen. Wenn die Institution bei jemandem den Beginneiner psychischen Krise erkenne, so sei die Klinik nicht bereit,ihn aufzunehmen. Man habe mehrmals warten müssen, bis dieSituation eskaliere – was den Verlauf der Krise und die Rück-kehr in die Institution erschwere. Bei Austritten aus der Klinikerfahre das die Institution bisweilen erst wenige Stunden vor-her – zuwenig, um die Rückkehr gut aufzugleisen. Lobenderwähnt Rossetti die ambulanten Konsultationen bei Kli-nikärzten. Die Reaktionszeiten seien kurz und die Ärzte kämenjede Woche in der Institution vorbei.| Barbara Spycher

Ob in Basel, Bern, Lausanne, Genf oder Luzern: Sowohl Institutio-nen wie Psychiatrische Kliniken sind vielerorts recht zufriedenmit der Zusammenarbeit. Mit Seitenwechseln oder Coachingsbemühen sich beide Seiten aktiv um eine gute Beziehung. Trotz-dem gibt es Verbesserungspotenzial – und Wünsche an die Politik.

Die Wünsche der Kliniken

«Vereinfacht gesagt finden die Institutionen, dass Menschenvon der Klinik in zu instabilem Zustand entlassen werden, unddie Kliniken fragen sich, wieso die Institutionen nicht bessermit Stimmungsschwankungen der Klienten zurechtkommen»,sagt Frédéric Schmutz vom Sozialdienst der PsychiatrischenUniklinik in Lausanne. Der Sozialdienst versuche dann klini-kintern zu erklären, dass der Heimalltag andere Anforderungenstelle als das Leben in der Klinik.

INDIVIDUELLE ANGEBOTE. In den Institutionen wünscht sichFrédéric Schmutz mehr qualifiziertes Personal, um Menschenmit immer komplexeren psychischen Erkrankungen zu beglei-ten sowie mehr Angebote, wo Menschen mit einer psychischenErkrankung «einfach sein können»: «Manchen ist es zuviel,wenn sie kochen und an diversen Aktivitäten teilnehmen müs-sen.» Individuelle Angebote, je nach Ressourcen der Person,erwartet auch Martin Hug vom Sozialdienst der Psychiatri-schen Uniklinik in Basel – und stellt fest, dass die Institutio-nen heute bereits viel individuellere Lösungen anbieten alsfrüher. Überhaupt ist er zufrieden mit der Zusammenarbeit:«Es gibt aber Verbesserungspotenzial – und zuwenig Plätze inden Institutionen.»

ÜBERGANGSWOHNEN. Abhilfe verspricht sich Hug von schnel-leren Aufnahmeprozessen auf Seiten der Institutionen undvon Übergangswohnplätzen mit Wohnassessments, um dennötigen Unterstützungsbedarf besser eruieren zu können. Hugwünscht sich zudem, dass die Institutionen ihre Bewohnerrechtzeitig an die Klinik überweisen – «und nicht erst dann,wenn im Heim schon soviel Goodwill aufgebraucht ist, dasseine Rückkehr unmöglich ist.» Denn eine Einweisung in dieKlinik gefolgt von der Kündigung sei «eigentlich ein No-Go».

RÜCKKEHR. Frühzeitige ambulante oder stationäre psychiat-rische Interventionen wünscht sich auch Lisa Aeberhard vomSozialdienst der Psychiatrischen Uniklinik in Bern. Diesekämpft mit Platzierungsproblemen bei Menschen mit hohemBetreuungsbedarf und gescheiterten Wohnversuchen in diver-sen Institutionen. Sehr gute Erfahrungen macht Aeberhardmit dem Intensive Case Management, das vor einem Jahr ein-geführt wurde. Die Klinik begleitet schwer platzierbare Pati-enten hinaus, betreut aber ebenso die Institutionen im Rah-men einer Krisenprävention und -intervention. Im Gegenzugverpflichten sich die Institutionen, Bewohner nach einer Ein-weisung in die Klinik wieder aufzunehmen. «Bisher ein Er-folgsmodell», freut sich Aeberhard.| Barbara Spycher

Page 6: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

6

Einmal in der Woche kommt Stefan Bührer (r.) beiBeate Anderegger in der Anlaufstelle vorbei, umMedikamente zu richten. Bild | Michel Canonica

Psychische Beeinträchtigung | Das Wohnheim Schilfluggä der Stiftung Mansio (TG) führt eine geschlossene W

Die ganze Palette an Wohnangeboten unter einem Dach

«Ich will selbständig wohnen und einnormales Leben führen.» Dieses Ziel hat-te sich Stefan Bührer gleich zu Beginngesteckt, als er nach eineinhalb Jahrendie Psychiatrische Klinik verliess und imWohnheim Schilfluggä der Stiftung Man-sio in Münsterlingen (TG) einzog. FünfJahre später wagte er den grossenSchritt: Er zog in eine 2er-WG in einemMietshaus mitten in Kreuzlingen.Dort kocht und putzt und wäscht der31-Jährige selber – und auch wenn ihnVerfolgungsängste oder Panik befallenund er nicht mehr klar denken kann, somuss er allein damit umzugehen wissen.Allerdings nicht ganz: Stefan Bührerwohnt zwar extern, aber betreut. Er kannjederzeit, auch in der Nacht, die Notruf-nummer des externen Wohnens anrufen.Das hat er in den zwei Jahren, in denener jetzt selbständig wohnt, noch nie ge-tan – «allein die Möglichkeit hilft».Der Umgang mit ihren psychischen Kri-sen ist für alle 25 Männer und Frauen,die bei Mansio extern wohnen, diegrösste Herausforderung. Doch auch in

Sachen Haushalt oder Freizeitgestaltungbekommen sie bei Bedarf Unterstützung.Stefan Bührer beispielsweise kommteinmal die Woche in die Anlaufstellemitten im Einfamilienhausquartier, umseine Medikamente zu richten. Dannsetzt er sich so wie heute mit der Be-treuerin Beate Arnegger im Wohnzimmeran den Ecktisch; sie kontrolliert, was erbereitstellt, und es bleibt auch Zeit, umandere Anliegen zu besprechen.

In der Stiftung Mansio könnenMenschen mit einer psychischenBeeinträchtigung mitten in derStadt selbständig wohnen – genausowie in einer geschlossenen Wohn-gruppe. Entscheidend ist der indivi-duelle Bedarf jedes einzelnen.

Freizeitaktivitäten sind PflichtBeate Arnegger sieht ihre Rolle darin,die Männer und Frauen mit einer psychi-schen Beeinträchtigung darin zu unter-stützen, eine Zufriedenheit mit demWohnen und der Freizeitgestaltung zuerreichen. Sechsmal die Woche bietetdie Anlaufstelle eine Aktivität an, min-destens zweimal ist die TeilnahmePflicht. «Ziel wäre eine Freizeitgestal-tung ohne Zwang. Erste Versuche führ-ten aber dazu, dass die meisten zuhauseblieben – obwohl es ihnen, wenn siekamen, Freude machte.»Stefan Bührer geht am Montag mit einerGruppe spazieren, am Dienstagabendjassen, an jedem zweiten Wochenendebrunchen. Zudem strickt er, zurzeit gera-de ein Gilet, reitet und geht jeden Vor-mittag in einer Werkstätte arbeiten –und geniesst, dass er wieder einennormalen Alltag leben kann.Diesen normalen Alltag mit externemWohnen traut Lutz Goldbecker, Leiter derMansio-Wohnangebote für Menschen miteiner psychischen Beeinträchtigung,noch weit mehr Heimbewohnerinnenund -bewohnern zu. «Oft müssen wir dasUmfeld überzeugen und die Bewohner

fast ein wenig ‹zwingen›, den Schritt inein eigenständigeres Leben zu wagen.»Er sage jeweils: «Ihr müsst es zumindestprobieren.»

Vorteile einer Inhouse-LösungIn den fünf Jahren, in denen Mansio nunexternes Wohnen anbietet, seien erstzwei Personen wieder ins Heim zurück-gekehrt. Neu bietet die Stiftung auchbegleitetes Wohnen an. Der grosse Vor-teil für Menschen, welche diesen Schrittin eine noch grössere Selbständigkeitmachen: Die Betreuungspersonen sindihnen vertraut, da es dieselben sind wieim externen Wohnen. Diese Durchlässig-keit sieht Goldbecker als grossen Vorteileiner Institution wie Mansio, welchevom begleiteten Wohnen bis zur ge-schlossenen Wohngruppe sämtlicheWohnformen anbietet. «Wir können so-wohl dem Umfeld als auch den Betroffe-nen Ängste nehmen, wenn sie beimWechsel in eine andere Wohnform in dergleichen Institution bleiben können.»Der Leitgedanke dahinter sei immer:«Kein starres Konzept, sondern der indi-viduelle Bedarf jedes einzelnen soll un-ser Angebot bestimmen.»

«Oft müssen wir die Bewohnerfast ein wenig zum Schritt in eineigenständigeres Leben ‹zwingen›.»Lutz Goldbecker, Stiftung Mansio

Page 7: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

7

G) führt eine geschlossene Wohngruppe

ohnangeboten unter einem Dach

Fünf Jahre lang wohnte Stefan Bührer im Heim in Münsterlingen, auf einemParkgelände direkt am See (r.), heute hat er eine eigene Wohnung (l.) in der Stadt.Bilder | Michel Canonica (l.); zvg (r.)

Während das externe Wohnen mitten inKreuzlingen stattfindet, verteilt auf ver-schiedene Mietshäuser, befinden sich dieanderen Wohnangebote von Mansio aufdem gleichen Areal wie die Psychiatri-sche Klinik in Münsterlingen. Es ist ein

Wechsel wie Tag und Nacht. Vom Alltagmitten in der Stadt auf ein grosses, ru-higes Parkgelände mit Kastanienbäumenund Rosen, herrschaftlichen Gebäuden,direkt am Bodensee gelegen, mit Blickauf Schilf und Enten. Lutz Goldbeckerhat festgestellt: «Wenn unsere Bewoh-ner in der Stadt aus dem Haus gehen,erwarten alle, dass sie sich normal ver-halten – hier wird geradezu erwartet,dass sie krank sind.» Das wirke sich aufdas Verhalten der Menschen aus.

Ein Angebot für «Drehtür»-PatientenDas Wohnangebot in Münsterlingen be-inhaltet Wohngruppen mit unterschied-lichem Betreuungsgrad, inklusive einergeschlossenen Gruppe. Dass Letztereeiner INSOS-Institution angegliedertist, ist schweizweit einzigartig. Sie wur-de vor zwei Jahren eröffnet, weil aus

Sicht verschiedener Player im KantonThurgau eine Lösung fehlte für Men-schen mit einer schweren, psychischenErkrankung und selbst-, fremdgefähr-dendem oder sehr schwierigem Verhal-ten: die sogenannten «Drehtür»-Patien-ten, die zwischen Klinik und Institutionhin und her wechselten. Derzeit lebenzehn Menschen im P1, wie die geschlos-sene Wohngruppe intern genannt wird.Die meisten haben eine schizophreneErkrankung, bei den jüngeren kommenDrogen- oder Alkoholmissbrauch hinzu,bei vielen haben die Behörden eine für-sorgliche Unterbringung verfügt.Nicht zuletzt für diese Wohngruppe istes von Vorteil, dass sich die Psychiatri-

sche Klinik auf dem gleichen Geländebefindet. Nachts und an Wochenendenkann das Betreuungspersonal auf dieKlinikärzte zurückgreifen. Auch sonsterachtet Lutz Goldbecker die räumlicheNähe zur Klinik – und nicht zuletzt diegemeinsame Kantine – als wertvoll:«Wenn ich mit jemandem von der Klinikzu Mittag esse, kann man da oft mehrbewegen als in so mancher Sitzung.»

Gewalt und BeleidigungenWer ins P1 hinein oder wieder hinauswill, braucht einen Schlüssel. Hat mandie zwei Türen aufgeschlossen, geht esweiter mit zahlreichen Sicherheitsvor-kehrungen: In der Küche sind sowohlscharfe Messer wie auch der Kühlschrankabgeschlossen – was einen Bewohnerallerdings nicht daran hinderte, denKühlschrank mehrmals aufzubrechen.Doch die grösste Herausforderung, findetBetreuerin Frauke Werner, sei nicht phy-sische Gewalt, sondern der Umgang mitBeleidigungen oder mit jemandem, deralle zwei Minuten komme und ständigdas Gleiche wiederhole. Daneben gebe esaber auch die Erfolgserlebnisse: wennsich jemand stabilisiert, sich wohlfühltoder gar den Wechsel ins externe Woh-nen wagt. Für Lutz Goldbecker ist esauch ein Zeichen, auf dem richtigen Wegzu sein, wenn einer der Bewohner im P1,der vorher in keiner Institution ein Zu-hause fand, ihn fragt: «Kann ich mir hiereinen Platz für meine nächsten vier Le-ben reservieren?» | Barbara Spycher

«Kein starres Konzept,sondern der individuelleBedarf jedes einzelnen sollunser Angebot bestimmen.»Lutz Goldbecker, Stiftung Mansio

Eine Stiftung, viele Angebote

Die Stiftung Mansio befindet sich inMünsterlingen im Kanton Thurgau,auf dem gleichen Areal wie die Psych-iatrische Klinik. Mansio ist in drei Be-reiche aufgeteilt: Eine Werkstätte undWohnangebote sowohl für Menschenmit einer psychischen als auch miteiner geistigen Behinderung. Rund 80Personen mit einer psychischen Be-einträchtigung nutzen ein Wohnange-bot von Mansio Schilfluggä, das so-wohl begleitetes und externes Wohnenals auch verschiedene Wohngruppenmit unterschiedlichem Betreuungs-grad beinhaltet. | spywww.mansio.ch

Page 8: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

8

Psychische Beeinträchtigung | Herausforderung für Tages- und Werkstätten

Niederschwellig und flexibel

TagesstätteCarougeEine Tagesstätte speziell auf

die Bedürfnisse von Men-schen mit psychischerBeeinträchtigung ausgerich-tet: Eine solche haben dieEPI (Etablissements publicspour l'intégration im KantonGenf) 2001 in Carougeeröffnet. Deren Hauptziel:der Isolation dieser Men-schen entgegenwirken. Beiden Aktivitäten geht es umGemeinschaft, um Förderungund darum, die Menschendurch Ausflüge in die Stadtzur selbständigen Teilhabeam gesellschaftlichen Lebenzu ermuntern.

Abends und sonntags offenDie Tagesstätte zeichnet sichdurch angepasste Öffnungs-zeiten aus: Sie ist viermalpro Woche offen, etwa amFreitagabend bis 21.30 Uhr,oder am Sonntagnachmittag– immer dann, wenn andereAngebote zu sind und dieEinsamkeit am grössten ist.Weil bekannt ist, dassMenschen mit psychischerBeeinträchtigung oft Mühehaben, sich zu einer Aktivi-tät aufzuraffen, hat dieTagesstätte Carouge jeglicheZugangshürden vermieden.So ist der Besuch dort gratis.Einzig für ein Essen wird eineBeteiligung von fünf Frankenverlangt, und bei Ausflügenmüssen etwa Kinoeintritteselber bezahlt werden.Die Tagesstätte befindet sichim Zentrum von Genf und istsowohl mit ÖV als auch zu

Instabilität gehört zu einer psychischen Erkrankung. Weil dieKlinikaufenthalte der betroffenen Menschen immer kürzer wer-den, sind die Institutionen zunehmend mit instabileren Klientin-nen und Klienten konfrontiert. Eine Tages- und drei Werkstättenschildern, wie sie mit dieser Herausforderung umgehen.

Fuss gut erreichbar. Letzteresist wichtig, weil für mancheBenutzer/innen eine Fahrt imüberfüllten Tram eine zugrosse Hürde sein kann.

Keine MindestbesuchsdauerIm Gegensatz zu anderenTagesstätten gibt es inCarouge keine Vorgaben, wieoft man das Angebotmindestens nutzen muss. Esist möglich, auch nur einenMoment aufs Sofa zu sitzen,schweigend einen Kaffee zutrinken und wieder zu gehen.Ansonsten sind die geplan-ten Aktivitäten in ersterLinie Mittel zum Zweck, umdie Integration in dieGruppe und die dazugehöri-gen sozialen Kompetenzenzu fördern sowie den Weg zuanderen Aktivitäten, etwaeinem Kurs in der Migros-Klubschule, zu ebnen.Die Tagesstätte teilt sich dieRäume mit der EPI-Abteilungbegleitetes Wohnen. Dadurchkann ein Informationstrans-fer stattfinden, wenn einBenutzer oder eine Benutze-rin beider Angebote zumBeispiel in einer Krisesteckt. | spy

Tagesstätte Carouge (EPI), Carouge

Über 300 Menschen mitpsychischer Beeinträchti-gung arbeiten beim Drahtzugin Zürich. «Weil dieseMenschen unterschiedlichleistungsfähig sind, bietenwir bewusst Arbeitsplätzemit höheren wie auchmehrheitlich mit tieferenAnforderungen an», erklärtGeschäftsleiter Kurt Orlandi.

Immer mehr TeilzeitIn den letzten Jahren hatdie Teilzeitarbeit beimDrahtzug deutlich zugenom-men. Im Jahr 2000 etwaarbeiteten noch über 30Prozent der MitarbeitendenVollzeit, 2013 waren esgerade noch 6 Prozent. BeimDrahtzug stellt man eben-falls fest, dass Mitarbeitendeheute bei Stellenantritt oftinstabiler und wenigerbelastbar sind als früher.«Wir haben dadurch mehrAbwesenheiten und mehrPersonen, die ihre Stelle garnicht antreten oder frühzei-tig ausscheiden», so Orlandi.Dies erfordere vom Fachper-sonal sehr viel Flexibilität

und führe dazu, dass mehrZeit in die Begleitungeinzelner Personen sowie indie Einarbeitung neuerMitarbeitenden gestecktwerde.

Vereinfachen, optimierenUm diesen Mehraufwand zukompensieren, hat derDrahtzug in den letztenJahren die Personaladminist-ration laufend optimiert undvereinfacht. «Entwicklungs-und Beurteilungsgesprächesind heute zudem gezielt aufden individuellen Bedarfausgerichtet», sagt Orlandi.Denn: «Viele Mitarbeitendewollen nicht immer über sichselbst reden müssen. Siewollen vor allem eines:arbeiten.» | blb

Werkstätte Drahtzug, Zürich

Page 9: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

9

ArcàBullesWerkstätten BeWeBe

Werkstätte Drahtzug

Mit ArcàBulles, einemCoiffeur-, Kosmetik- undMassagesalon, schlägt dieGenfer Association Thaïsgleich mehrere Fliegen miteiner Klappe. Zuallererst aberbietet der Ort Menschen mitpsychischer Beeinträchtigungniederschwellige, geschützteArbeitsplätze.

Keine MindestarbeitszeitIn ArcàBulles gibt es keinewöchentliche Mindestarbeits-zeit, man kann auch nur eineStunde pro Woche arbeiten.Das dürfte mit ein Grundsein, wieso selbst Bewohner/innen der Association Thaïs,die in anderen Werkstättenwieder aufgehört oder dieEintrittsbedingungen garnicht erst erfüllt hatten, inArcàBulles dranbleiben. Siekönnen im Schönheitssalonkaufmännische Arbeitenerledigen, putzen, waschenoder den Empfang betreuen.Die Coiffeuse, die Kosmetike-rin, die Masseurin und derPodologe sind Fachpersonen.

Ruhiges ArbeitsklimaChristiane Gaud, Leiterin desMaison des Champs derAssociation Thaïs, erachtetdie ruhige Ambiance imSalon als weiteren Grund,

wieso das Arbeitsklima denMitarbeitenden zusagt. Undder direkt erfahrbare Nutzenihrer Arbeit ist sinnstiftendund motivierend.

Umgang mit AbsenzenEine grosse Herausforderungsind hingegen die unvorher-sehbaren Absenzen derMitarbeitenden. Man müsseimmer eine Stellvertretungs-lösung einplanen, so Gaud.Hilfreich sei, dass sich dieMitarbeitenden gegenseitigin die Pflicht nehmen, wenn

jemand aus ungerechtfertig-ten Gründen gefehlt und denanderen damit Mehrarbeitaufgebürdet hat.Erfreulich sei auch, dass dieMitarbeitenden stärker auf ihreKörperpflege achten, seit siein ArcàBulles arbeiten. Siekönnen zudem, wie alle IV-und AHV-Rentner/innen, vonSpezialtarifen profitieren. | spy

Was tun, wenn die Menschen,die in einer Werkstattarbeiten wollen, immerleistungsschwächer werdenund dem zunehmendenProduktionsdruck nichtgewachsen sind? DieWerkstätten BeWeBe, die zuden Universitären Psychiatri-schen Diensten Bern (UPD)gehören, sahen sich immermehr mit dieser Problematikkonfrontiert und beschlossen2009, eine Orientierungs-werkstatt mit acht Trainings-plätzen zu eröffnen – nachdem Ansatz «first train, thenplace».

OrientierungswerkstattDort können sich Betroffenebis zu drei Monaten auf eineArbeit in den konventionel-len Werkstätten vorbereiten.Während in Letzteren eine

Mindestarbeitszeit vontäglich 3,5 Stunden gilt, istdie Arbeitszeit in derOrientierungswerkstattindividuell auf die Bedürfnis-se der Männer und Frauenzugeschnitten. Zudemkönnen dort alle Arbeiten derWerkstätten geübt werden.«Wer nach drei Monaten denSchritt in die konventionelleWerkstatt schafft, vermagdort in den meisten Fällen zubestehen», stellt BeWeBe-Leiter Peter Eichholzer fest.

ErfolgsmodellFür Eichholzer ist dieOrientierungswerkstatt einErfolgsmodell: «Indem wirMitarbeitende dort individu-ell fördern, stärken und aufdie spätere Arbeit vorberei-ten, können wir vorzeitigeAbbrüche in den konventio-nellen Werkstätten nahezuvollständig vermeiden undhaben dort keine Produktivi-tätseinbussen.» Wennjemand nach der Orientie-rungsphase den Sprung indie Werkstatt nicht schafft,nehmen die BeWeBe Kontaktmit den Zuweisern auf. «Esbesteht auch die Möglich-keit», sagt Eichholzer, «ineine unserer Tagesstättenüberzutreten.» | blb

Werkstätten BeWeBe, Bern ArcàBulles (Association Thaïs), Genf

Page 10: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

10

INSOS-Kongress | Theorie U

Von der Zukunft her führen

Wie lässt sich Neues in die Welt bringen?Wie können tiefgreifende Veränderungenin Gang kommen? Und wie lässt sich einSystem grundsätzlich verändern? Diesegrossen Fragen standen im Zentrum ei-nes mitreissenden Referats, das die Teil-nehmenden des diesjährigen INSOS-Kongresses in Lausanne gleichermassenfaszinierte. Oliver König vom For-schungsbüro «queraum.kultur- und sozi-alforschung» in Wien referierte zum The-ma «Neue Wege zur InklUsion» undmachte die Anwesenden mit der Innova-tionskraft der Theorie U vertraut. An-

schliessend lud er die Anwesenden imRahmen eines Workshops zu einer «Lern-reise der Veränderung» ein. Mit welcherWirkung, können Sie den Zitaten einigerTeilnehmenden auf Seite 11 entnehmen.

Wichtig: Qualität der AufmerksamkeitDie Theorie U (dargestellt als u-förmiger,gelber Pfeil) geht auf Otto Scharmer,Professor für Wirtschaftswissenschaftenam Massachusetts Institute of Technolo-gy in Cambridge (USA), zurück. In sie-ben Schritten zeigt er auf, wie Füh-rungskräfte mit hochkomplexenHerausforderungen umgehen, Verände-rungen initiieren und neue Ideen in dieWelt bringen können. Sie fusst auf derErkenntnis, dass der Erfolg einer Inter-vention nicht allein davon abhängt, wasFührungskräfte tatsächlich tun und wiesie es tun. Vielmehr zählt, aus welcher

Lassen sich die komplexen Problemeder Zukunft wirklich mit Hilfe ver-gangener Erfahrungen lösen? Nein,meint Oliver König, Referent amINSOS-Kongress. Führung sei dannerfolgreich, wenn es gelinge, Zu-kunftsmöglichkeiten wahrzunehmenund aus ihnen heraus zu handeln.

«inneren Verfasstheit» heraus und mitwelcher Qualität von Aufmerksamkeit siees tun. Entscheidend ist also beispiels-weise, ob es Führungskräften im Dialoggelingt, offen, aktiv und vorurteilsfreizuzuhören oder sich ihrer eigenen Denk-muster bewusst zu werden und davonAbstand zu gewinnen (vgl. Seite 11).

Lernen aus der ZukunftHeutige Problemlösungsstrategien ba-sieren vielfach darauf, über die Vergan-genheit nachzudenken, aus Erfahrungenzu lernen und alte Denk- und Hand-lungsmuster anzuwenden. Die Theorie Ustellt diese Auffassung von Lernen undVerändern auf den Kopf: Sie postuliertein Lernen «aus der im Entstehen begrif-fenen Zukunft» heraus. Die Basis dafürist die Schärfung der Aufmerksamkeitund ihre Ausrichtung auf das «Hier undJetzt», auf sein Gegenüber resp. auf dieeigene oder die gemeinsame «höchsteZukunftsmöglichkeit». Scharmer nenntdies «Presencing» («presence» für Ge-genwart, «sensing» für erspüren).Konkret umfasst die Theorie U folgendesieben Prozessschritte:• Einem Thema im Dialog Raum ge-ben, innehalten und hinschauen.

• Mit dem sich öffnenden Denkenwahrnehmen ohne zu urteilen.

• Hinspüren resp. mit dem sich öffnen-den Fühlen wahrnehmen.

• Presencing resp. loslassen, anwesendwerden im Hier und Jetzt und denWillen öffnen.

• Verdichten, kristallisieren und eineVision und Absicht entstehen lassen.

• Prototypen entwickeln mittels Rein-tegration von Kopf, Herz und Hand.

• Das Neue umsetzen.

Im Kern schlägt der U-Prozess also vor,nicht von der Herausforderung direkt zurHandlung zu springen, sondern im Dia-log die eigene Aufmerksamkeit bewusstzu lenken. Erst dies ermöglicht es lautScharmer, «Zukunftsmöglichkeitenwahrzunehmen und aus ihnen heraus zuhandeln». | Barbara LauberReferat von Oliver König unter:www.insos.ch > Veranstaltungen > Do-kumentation > Referate zum INSOS-Kongress > Neue Wege zur InklUsion

In Kürze

Strukturreform: INSOS-Fachkom-missionen stehen vor dem UmbauIm Rahmen der Strukturreform vonINSOS werden die heutigen Fachkom-missionen neu organisiert. Vorgese-hen ist, dass sich künftig drei Kom-missionen den Bereichen «Teilhabean der Arbeitswelt», «Lebensgestal-tung» und «Bildung» widmen. Derentsprechende Entwurf wird derzeitin den Fachkommissionen vorgestellt.In der neuen Struktur wird die Fach-kommission Psychische Beeinträchti-gung ebenfalls nicht mehr als eigen-ständige Kommission weitergeführt.Ihre Themen werden jedoch nichteinfach verschwinden, sondern inden neuen Kommissionen noch ganz-heitlicher bearbeitet werden. An die-ser Stelle dankt INSOS allen heutigenKommissionen herzlich für ihr Enga-gement, ihr Herzblut und ihre grosseArbeit und freut sich auf die Zusam-menarbeit in der neuen Struktur.

Online-Plattform von INSOS: VomWissen anderer profitieren dürfenManchmal ist es gar nicht nötig, dasRad selber neu zu erfinden. INSOS-Mitglieder können auf der Online-Austauschplattform vom Wissen undder Arbeit anderer Institutionen pro-fitieren oder ihr eigenes Know-howanderen Mitgliedern zur Verfügungstellen. Bereits sind zahlreiche span-nende Konzepte, Vorlagen oder Be-richte zu Themen wie Politik und Fi-nanzen, PrA, Inklusion und Teilhabe,Prävention, Sexualität oder Behinde-rung und Alter online.www.insos.ch > Plattform

Psychische Gesundheit: NationaleKampagne «Wie geht’s Dir?»Mit der neuen Kampagne «Wie geht’sDir?» wollen Pro Mente Sana und derKanton Zürich zur Entstigmatisierungvon psychischen Krankheiten beitra-gen und dazu ermutigen, im Alltagüber psychische Erkrankungen zusprechen (vgl. Kolumne auf S. 15).Die Kampagne will Wissen verbreitenund negative Vorurteile abbauen. Ge-sprächstipps, Informationen zu psy-chischen Erkrankungen sowie hilfrei-che Adressen finden Sie unter:www.wie-gehts-dir.ch

«Die höchste Zukunftsmöglichkeitwahrzunehmen und aus dieserheraus zu handeln, ist die Essenzvon Leadership.»Otto Scharmer, Begründer der Theorie U

Page 11: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

11

«Nachdem ich so langeüber mich und meine

Gedanken gesprochen habe, warich überrascht, was ich alleserzählt habe. Ich habe dabeiWesentliches über mich selbst

erfahren.»

«Mir istbewusst worden,

dass wir einen Menschennicht dorthin stellen dürfen,

wo er gerade Platz hat,sondern dorthin, wo er seine

Fähigkeiten auslebenkann.»

«Bei mir ist die Frageaufgetaucht: Machen wir es

als Institution wirklich richtig?Wissen wir wirklich, wie es

laufen soll?»«Ich fand es unglaublichentspannend, einmal einfach nurzuhören zu dürfen. Ich musste

weder geistreich antworten nochkonstruktive Lösungsvorschlägevorbringen und war trotzdem

hellwach.»

«Ich habe gemerkt: Ichlerne viel über mich selbst,wenn ich aktiv zuhöre. Ich

realisiere, welche Assoziationendas Gesagte in mir weckt, welcheGefühle. Und das sagt viel über

mich als Person aus.»

«Ich bin schonlange Institutionslei-ter und dadurch wie

vorgeformt. Ich sollte michmehr zurücknehmen undandere, jüngere Leute

denken lassen.»

«Es war schön,einfach reden zu

dürfen – ohne verbaleoder non-verbaleErwartungen oderWertungen zu

spüren.»

«Mir ist bewusstgeworden, wie viel

Macht man als Zuhörendehat. Man kann jemandem

aktiv zuhören oder man kannaktiv weghören und ihm dieAufmerksamkeit vorent-

halten.»

«Als Institutionsleiterhat man stets das Gefühl,

voran gehen zu müssen. Dochvielleicht sollte man diesenProzess einmal umkehren,

andere voran gehen lassen unddamit Raum schaffen für

neue Ideen.»

«Sich Zeit nehmen,einander zuhören ohne

zu unterbrechen, Gesprächevon Mensch zu Mensch führen,über Kantonsgrenzen hinweg:

Das fehlt mir in derSchweiz.»

Stellen Sie sich vor: Sie erhalten die Aufgabe, während fünfzehnMinuten über Ihr heutiges Verständnis vom tieferen Sinn IhrerArbeit und über Ihre Gedanken zum Thema Inklusion zu sprechen.Eine andere Person hört Ihnen schweigend, aber aktiv zu (vgl.Seite 10). Was geschieht? 90 Institutionsleitende haben am INSOS-Kongress das Experiment gewagt. Und waren tief beeindruckt.

INSOS-Kongress | Inspirierender Workshop zur Theorie U mit Oliver König

«Einmal einfach nur zuhören dürfen»

Page 12: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

12

Mit kluger Führung gelingt es Vorgesetzten, Teamsfür ein gemeinsames Ziel zu begeistern.Bild | Harald Schottner / pixelio.de

INSOS-Kongress | Referent Rolf Arnold zu Führungsfragen

Regeln für ein kluges Leadership

Am diesjährigen INSOS-Kongress hatRolf Arnold ein vielbeachtetes Referatzu konstruktiven Führungskulturen ge-halten. Wir haben deshalb sechs der 29Regeln aus seinem neusten Buch «Wieman führt, ohne zu dominieren» für Sieausgewählt. Arnold ist Professor für Pä-dagogik und stützt sich auf neue Er-kenntnisse aus der Forschung, aber auchauf langjährige Praxiserfahrungen alsBerater und Supervisor.

Regel 3: «Entdecken und stärken SieTalente und Potenziale!»Laut neuerer Talentforschung ist es nichtdas Angeborene, sondern die Übungs-praxis, die ein Talent entstehen und rei-fen lässt. Arnold fordert deshalb Füh-rungskräfte dazu auf, «nicht mehr länger87 Prozent ihrer Energie in die Personal-suche und Rekrutierung zu stecken, son-dern sich vermehrt auch der internenEntwicklung der Talente und Potenzialeihrer Mitarbeitenden zu widmen».

Regel 12: «Inszenieren Sie bewusstdie Auseinandersetzung mit Neuem!»Wenn es stimmt, dass Führungskräftedie Weiterbildner ihrer Mitarbeiter sind,dann ist es laut Arnold von zentraler Be-deutung, wie aufgeschlossen sich diesegegenüber der Entwicklung und Verände-rung präsentieren. «Kluge Führung istdie wirksame Gestaltung von Unsicher-heit und Wandel», betont Arnold. Er for-dert Führungskräfte dazu auf, «die Mög-lichkeiten der Zukunft zu sich sprechenzu lassen» und ihnen mit Neugier, Offen-heit und Lernfähigkeit zu begegnen(vgl. auch Theorie U auf Seite 10).

Regel 15: «Gestalten Sie die LernendeOrganisation!»Viele Betriebe bezeichnen sich als «ler-nende» Organisation. Doch laut Arnoldhandelt es sich dabei oft bloss um «rhe-

Misstrauen Sie Regeln! Das ist dieletzte der «29 Regeln für ein klugesLeadership», welche der Kongress-Referent und Autor Rolf Arnold ineinem Buch aufstellt. Sie sind nichtals Patentrezepte gedacht, sondernals Aufforderung zur Selbstreflexion.

torische Neuverkleidungen der Fortset-zung des Bisherigen». «Wer Wert auf dasLernen seiner Organisation legt, musssystematisch alle Lernhemmnisse besei-tigen, die die Motivation, den Mut unddie Veränderungsbereitschaft der Mitar-beitenden einengen», betont er. Wichtigsei ein Klima, das die Mitarbeitendenspüren lasse, «dass das gemeinsame Ge-schehen von ihnen in Kooperation aus-gestaltet und entwickelt werden kann».

Regel 21: «Prüfen Sie Ihre Haltungund die Motive, aus denen heraus Sieführen!»Kluge Führung, betont Arnold, fragtnach den Ursprüngen und Mustern dereigenen Haltungen und Motive, welcheHandlungen und Entscheidungen beein-flussen. Kluge Führungskräfte kennendemnach ihre «inneren Stimmen» undverfügen über Strategien und Techniken,«um deren Wirkung zu minimieren oderzu kompensieren».

Regel 22: «Kommunizieren Sie elegan-ter!»Arnold plädiert für eine wirksame, ele-gante Kommunikation, da heute Verste-hen oft der Ausnahmefall und Missver-

stehen die Regel sei. In den zehnKommunikationsregeln rät er etwa:«Vermeiden Sie den Appell, sondernschlagen Sie vor und laden Sie ein!»

Regel 27: «Vermeiden Sie die Persona-lisierungsfalle!»«Kluge Führung nimmt nichts persön-lich», sagt Arnold. Kluge Führungskräfteseien in der Lage, die positive Energieund das ungebremste Engagement hinterjeder Eigenmächtigkeit zu sehen und «zurSynergie werden zu lassen». | blb/spywww.insos.ch > Veranstaltungen >Dokumentation > Kongress 2014www.carl-auer.de

INSOS-Kongress 2015

Nach dem erfolgreichen INSOS-Kon-gress 2014 laufen die Vorbreitungenfür den Kongress 2015 bereits aufHochtouren. Nach Bern und Lausannewird nächstes Jahr Flims Durchfüh-rungsort des Kongresses sein. Er fin-det vom 25. bis 27. August 2015 statt– reservieren Sie sich schon jetzt die-ses Datum. | blbwww.insos.ch > Veranstaltungen

Page 13: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

13

INSOS Schweiz | Präsidentin Marianne Streiff zur neuen Verbandsstrategie

«Nun sind wir bereit für die Zukunft»

INFOS INSOS: Marianne Streiff, wiesieht Ihre persönliche Vision vonINSOS Schweiz aus: Wo soll der Ver-band in fünf Jahren stehen?Marianne Streiff: INSOS Schweiz ist undbleibt der nationale Branchenverbandder Institutionen für Menschen mit Be-hinderung und damit der wichtigste An-sprechpartner für diese Organisationen.Als schlank organisierter, moderner Ver-band orientiert sich INSOS eng an denInteressen und Bedürfnissen seiner Mit-glieder. Er nimmt Einfluss auf politischeEntscheide und staatliches Handeln undorientiert sich bei der professionellenGestaltung und Erbringung seinerDienstleistungen für die Mitglieder anethischen Grundsätzen, qualitativenVorgaben und aktuellen Erkenntnissen.Zudem kooperiert INSOS erfolgreich mitPartnerverbänden.

Die Delegierten haben 2014 einerneuen Verbandsstruktur zugestimmtund 2013 die neue Strategie, die Visi-on und Mission genehmigt. Ist INSOSSchweiz nun bereit für die Zukunft?Ja! Unsere strategischen Vorgaben sindnach vorne ausgerichtet und werden voneiner breiten Basis mitgetragen. Wir ha-

ben nun eine schlankere, einfachere Ver-bandsstruktur und wissen, welche Zielewir prioritär verfolgen wollen. Neu wer-den die Bereiche Dienstleistungen undPolitik noch stärker gefördert. Wir sind

Mit einer neuen Strategie und einerschlankeren Struktur hat sich INSOSSchweiz fit für die Zukunft ge-macht. Präsidentin Marianne Streiffüber die Stärken des nationalenVerbandes und die grössten Heraus-forderungen der Zukunft.

somit sehr gut aufgestellt. Klar ist, dasswir nicht wissen, was die Zukunft allesbringen wird; dies hängt von nicht plan-baren Faktoren ab. Aber ich bin zuver-sichtlich, dass INSOS sich den Heraus-forderungen erfolgreich stellen wird.

Welches sind die grössten Herausfor-derungen, mit denen INSOS Schweizkonfrontiert sein wird?In erster Linie gilt es nun, die eigenenReihen zu schliessen für das gemeinsa-me Verbandsverständnis nach dem Um-setzen der NFA und nach unserer Struk-turreform. Weitere Herausforderungensehe ich in der Verfügbarkeit tauglicherZusammenarbeitsinstrumente für Bundund Kantone. Die NFA führt zu einerstärkeren Heterogenisierung der Ange-bote und Lösungen in den Kantonen.Wegen den verschiedenen Sparbemü-hungen in den nächsten Jahren drohenzudem die Standards und Qualitätsni-veaus in den Kantonen auseinander zudriften. Hier wird INSOS als nationalerVerband gefordert sein, sich für eineweiterhin hochstehende und möglichsteinheitliche Qualität der institutionel-len Angebote für Menschen mit Behin-derung zu engagieren.

Welche Punkte waren Ihnen bei derErarbeitung der neuen Strategie be-sonders wichtig?Mir war und ist wichtig, dass der Mehr-wert einer Mitgliedschaft bei INSOS fürdie Mitglieder sichtbar, spürbar und er-fahrbar wird. Zudem war und ist für michzentral, dass sich die Branche gut posi-tionieren kann und die nötigen Werkzeu-ge sowie die Kraft hat, gute Rahmenbe-dingungen zu erwirken. Ein Verbund vonüber 700 Institutionen, in einem Bran-chenverband vereinigt, hat das dazu nö-tige Gewicht.

Mit der Schaffung von Sektionen an-stelle von Regional- und Kantonalver-bänden erhält INSOS eine schlankereStruktur. Welche Vorteile hat dies fürden Verband und die Mitglieder?Die Kantonalisierung der Zuständigkei-ten der öffentlichen Hand im Rahmender NFA machte es nötig, dass sich diestaatlich unterstützten Einrichtungen

als starke Partner der Kantone organisie-ren. Sektionen sind hiefür ein erprobtesGefäss. Deren Aufbau und Führung ver-langt Zeit und Ressourcen. Weitere regi-onale und kantonale «Zwischenorgane»sind deshalb strukturell wie auch hin-sichtlich Bedarf obsolet geworden.

Künftig ist der Austausch in Regional-verbänden nicht mehr möglich. Wiewird INSOS in Zukunft die Vernetzungunter den Sektionen und Kommissio-nen sicherstellen?Wir haben die INSOS-Konferenz geschaf-fen, an der sich der Zentralvorstand, diePräsidien der Sektionen und der Kom-missionen sowie je ein weiterer Vertreteroder Vertreterin dieser Organisationentreffen. Ziel ist es, den Informations-fluss zwischen nationaler und kantona-ler Ebene zu gewährleisten sowie einenfachlichen wie persönlichen Austauschunter den Gremien zu fördern. Die ersteINSOS-Konferenz wird bereits am 25. Fe-bruar 2015 stattfinden. Zudem: Die Sek-tionen, welche sich betreffend regiona-ler Aspekte untereinander austauschenwollen, werden dies auch weiterhin tunkönnen. In welcher Form, entscheidensie. | Interview: Barbara Lauber

INSOS-Präsidentin undNationalrätin Marianne Streiffblickt zuversichtlich in dieZukunft.Bild | zvg

Neue Strategie, neue Struktur

An der Delegiertenversammlung 2013haben die Delegierten die neue Visionund Mission von INSOS verabschiedetund die strategischen Schwerpunktegutgeheissen. INSOS will sich nun in1. Priorität für ein attraktives Dienst-leistungsangebot für Mitglieder ein-setzen, sich in 2. Priorität nationalwie kantonal politisch engagieren, in3. Priorität Fachwissen bereitstellenund in 4. Priorität das nationale undinternationel Netzwerk pflegen. Zu-dem hat die Delegiertenversammlung2014 neue Statuten genehmigt undgrünes Licht für eine vereinfachteVerbandsstruktur gegeben, die nichtmehr auf Regionalverbänden und Kan-tonalgruppen basiert, sondern auf(kantonalen) Sektionen. | blbSie finden alle Dokumente als Down-loads unter: www.insos.ch > Verband

Page 14: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

14

Stellenmarkt Sozialwesen SchweizStellenanbieter haben die Möglichkeit, ihre Inserateschnell, einfach und günstig im Online-Stellenportalsozialinfo.ch zu publizieren und auch dort zu verwalten.Die Stellenangebote stossen auf starke Resonanz, da dieDienstleistung in den Fachkanälen und bei den Stellen-suchenden überaus bekannt und geschätzt ist.

Fachinformationen für Soziale InstitutionenAus einer übergeordneten Sicht referenziert die Geschäfts-stelle sozialinfo.ch Fachbücher, aktuelle Zeitschriften,Fachbeiträge und Reportagen zu verschiedensten sozialenFragen. Diese Gesamtschau erfolgt durch Fachpersonender Sozialen Arbeit (Recherche, Beschlagwortung) undberuht auf Informationen aus allgemein zugänglichenKanälen (Internet und Social Media).

Medienkompetenz und Soziale ArbeitDie Geschäftsstelle sozialinfo.ch bietet Beratung undUnterstützung im Bereich Social Media an. Der Leitfaden«Soziale Arbeit und Social Media» weist auf die Gefahrenvon Social Media innerhalb der Sozialen Arbeit hin, zeigtdie grossen Möglichkeiten dieser Tools auf und gibt Emp-fehlungen für eine sorgfältige Nutzung.

Der Verein sozialinfo.ch ist ein politisch und konfessio-nell unabhängiges Dienstleistungsunternehmen für Insti-tutionen der Sozialen Arbeit, dessen Leistungen auf dem

Grundsatz «von Fachpersonen für Fachpersonen» beruhen.Der Verein bezweckt die sozialpolitische Stärkung derSozialen Institutionen innerhalb des gesellschaftlichenSystems der Schweiz.

Die Geschäftsstelle sozialinfo.ch ist breit vernetzt undbietet ein umfassendes und professionelles Angebot fürden Sozialbereich an. Die Dienstleistungen werden in-house durch Fachpersonen der Sozialen Arbeit und derInformatik erbracht und auf allgemein zugänglichen Kanä-len publiziert.Mitglieder des Vereins erhalten Zugang zu den Fachinfor-mationen, den Expertenforen und weiteren Dienstleistun-gen. Zudem profitieren sie von Vergünstigungen bei derWerbung auf www.sozialinfo.ch und bei Publikationen imStellenmarkt.Dank einer Partnerschaft mit dem Verein sozialinfo.cherhalten auch INSOS-Mitglieder eine Vergünstigung beiStellenpublikationen.

Seit mehr als zehn Jahren stellt der Verein sozialinfo.ch aufseinem Internetportal vielfältige und umfassende Angebote für dasSozialwesen Schweiz zur Verfügung.

Eine neue Dienstleistung

Ab 2015 schliesst der Verein sozialinfo.ch eine Lücke: InKooperation mit der Personalberatung p3b ag entstehtsozialpersonal ag, die Personalberatung für den Sozial-bereich Schweiz. sozialpersonal ag unterstützt sozialeInstitutionen bei der Suche nach qualifizierten und er-fahrenen Fach- und Führungspersonen und berät diesebei der Suche nach der geeigneten Stelle.www.sozialpersonal.ch

Wegweisende Dienstleistungen

PUBLIREPORTAGE | sozialinfo.ch

Page 15: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

15

Psychische Erkrankungen sind häufig. Jederzweite Mensch in der Schweiz leidet im Laufe seinesLebens einmal an einer psychischen Erkrankung.Das sind eindrückliche Zahlen. Trotzdem gibt es zupsychischen Erkrankungen noch immer viele Vorur-teile. Zum Beispiel: Die Erkrankung sei eine persön-liche Schwäche oder man müsse sich dafür schä-men. Und: Psychische Krankheiten seien kaumbehandelbar. Solche Vorurteile haben gravierendeFolgen: Betroffene und auch ihre Angehörigen zie-hen sich zurück und verschweigen ihr Leiden. Dasmacht einsam und kann die Krankheit verstärken.Hinzu kommt: Wegen der Tabuisierung holen Be-troffene selten rechtzeitig Hilfe. Massnahmen derFrüherkennung und Behandlung setzen dadurch oft-mals zu spät ein. Dabei kann gerade eine frühe Be-handlung die Heilungschancen steigern!

Betroffene und Fachleute wissen: Nur wenn manüber psychische Erkrankungen spricht, kann ein gu-ter Umgang damit gefunden werden. Etwa am Ar-beitsplatz, wo man die geeignete Form von Entlas-tung finden muss, oder in der Familie und imFreundeskreis, wo man herausfinden möchte, wieman Betroffene unterstützen kann. Aus diesemGrund haben Pro Mente Sana, der Kanton Zürich undweitere Partner diesen Oktober die nationale Sensi-bilisierungskampagne «Wie geht’s Dir?» gestartet– und bereits zahlreiche positive Rückmeldungendazu erhalten.

Warum wir für die Kampagne diesen Titel gewählthaben? Weil wir die Frage «Wie geht’s Dir?» zwarziemlich oft anderen stellen – aber selten uns sel-ber. Und weil wir die Antwort – sei es unsere eigeneoder die eines anderen Menschen – dann häufignicht wirklich hören und Untertönen keine Beach-tung schenken. Die Kampagne will schweizweit da-für sensibilisieren, dass es wichtig und richtig ist,auch über psychische Erkrankungen zu sprechen.Sie möchte dazu beitragen, dass Betroffene wenigerausgegrenzt werden, sie will Wissen über psychi-sche Erkrankungen verbreiten und negative Vorur-

Freie Kolumne

Wie geht’s Dir?

teile abbauen. Im Fokus der Sensibiliserungskam-pagne steht auch das Thema psychische Gesund-heit: Denn wie der Körper, kann auch die Psychegepflegt werden, um psychischen Erkrankungenvorzubeugen. Auf der Webseite www.wie-gehts-dir.ch sind deshalb neben Gesprächstipps auch Infor-mationen zur psychischen Gesundheit und zu ein-zelnen Krankheiten, hilfreiche Adressen sowie In-formationen zur Kampagne zu finden.

Den Anstoss zur Kampagne gab 2012 die StiftungPro Mente Sana. Mit dem Ziel, eine Dachmarke zuentwickeln, die längerfristig erkennbar ist, wurdengemeinsam mit dem Kanton Zürich und weiterenPartnern die Botschaften und Inhalte entwickelt. Eswar uns dabei wichtig, auch Betroffene und Ange-hörige einzubeziehen und ihre Meinung zu hören.«Wie geht’s Dir?» wird zurzeit von Pro Mente Sana,den Kantonen Zürich, Schwyz, Luzern und Bern so-wie der CORAASP aus der Romandie getragen undvon mehreren Organisationen aus dem Gesund-heitsbereich unterstützt. Bereits haben weitereKantone und Organisationen aus der deutschen undfranzösischen Schweiz ihre Teilnahme angekündigt.Die Website soll daher im Frühjahr 2015 auch aufFranzösisch zur Verfügung stehen. Diese breite Un-terstützung ist ermutigend!

Die Kampagne will nachhaltig etwas in den Köpfender Schweizerinnen und Schweizer verändern undwird deshalb auch in den Jahren 2015 (Schwer-punkt: Arbeit) und 2016 (Schwerpunkt: Kinder undJugendliche) weitergehen. Mit den thematischenSchwerpunkten wollen wir sie noch breiter abstüt-zen und aufzeigen, dass das Thema nicht nur alleMenschen betrifft, sondern auch alle Lebensberei-che. Geplant ist ausserdem die Zusammenarbeit mitPartnern aus der Wirtschaft, um die Kampagne zu-sätzlich zu verstärken. In Zeiten erhöhten Leis-tungs- und Arbeitsdrucks ist es besonders wichtig,die Wirtschaft ins Boot zu holen und für psychischeErkrankungen zu sensibilisieren.www.wie-geht’s-dir.ch

Marcel Wisler ist Leiter Kommunikation undFundraising bei der Stiftung Pro Mente Sana undMitglied der Geschäftsleitung. Die Stiftung setztsich seit 30 Jahren für die Interessen psychischkranker Menschen ein. Bild | zvg

Page 16: INFOS INSOS 45

INFOS INSOS | November 2014

ImpressumHerausgeberINSOS Schweiz3000 Bern 14Erscheint 3x jährlichRedaktionBarbara Lauber (Leitung);Barbara SpycherAbopreisCHF 30.– (im Mitgliederbei-trag enthalten),Einzelnummer CHF 15.–

AdressenINSOS SchweizZieglerstrasse 53Postfach 10103000 Bern 14

Tel 031 385 33 [email protected]. 80-28082-2

INSOS SuisseAvenue de la Gare 171003 Lausanne

Tél 021 320 21 [email protected]

Gestaltungsatzart, Bern

Layout und DruckUD Medien AG, Luzern

Auflage1500 deutsch500 französisch

Abdruck mit Quellenangabe erlaubt

P.P.3007

Bern

Veranstaltungen 2014/2015INSOS Schweiz organisiert jedesJahr attraktive Fachveranstaltungenund liefert seinen Mitgliedern fürdie Fach- und Führungsarbeit wert-volle Impulse. Folgende Datenkönnen Sie bereits reservieren:

14. November 2014Erfahrungsaustausch Bildung in Olten«Attestlehre Assistent-/in G und S: ErsteBilanz und Ausblick aus Sicht der Insti-tutionen für Menschen mit Behinde-rung»

22. Januar 2015Workshop Prävention in Zürich«Prävention sexualisierte Gewalt: Wiefunktioniert eine interne Präventions-und Meldestelle?»

20. März 2015Fachtagung Berufliche Integration inOltenWie die Kompetenzen von Menschen mitUnterstützungsbedarf nachhaltig entwi-ckelt und gefördert werden können - me-thodische Trends und Praxisbeispiele

7. Mai 2015Basisworkshop Prävention in Zürich«Prävention von sexualisierter Gewalt inInstitutionen»

25. Juni 2015Delegiertenversammlung in Bern

25. - 27. August 2015INSOS-Kongress in FlimsDie Auswirkungen der UN-BRK auf dieNachfrage nach institutionellen Ange-boten

5. November 2015Fachtagung Werkstätten

Ausführliche Informationen undAnmeldung unter:www.insos.ch > Veranstaltungen