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Ingenieurgeologie Grundlagen und Anwendung Bearbeitet von Dieter D. Genske 2., neu bearbeitete Auflage 2014. Buch. XXi, 613 S. Hardcover ISBN 978 3 642 55386 8 Format (B x L): 15,5 x 23,5 cm Gewicht: 1208 g Weitere Fachgebiete > Geologie, Geographie, Klima, Umwelt > Geologie > Geologie: Allgemeines Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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Ingenieurgeologie

Grundlagen und Anwendung

Bearbeitet vonDieter D. Genske

2., neu bearbeitete Auflage 2014. Buch. XXi, 613 S. HardcoverISBN 978 3 642 55386 8

Format (B x L): 15,5 x 23,5 cmGewicht: 1208 g

Weitere Fachgebiete > Geologie, Geographie, Klima, Umwelt > Geologie > Geologie:Allgemeines

Zu Inhaltsverzeichnis

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

als 8 Millionen Produkte.

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2 Geologische Prinzipien

In diesem Kapitel werden die wichtigsten geologischen Prinzipien vorgestellt. Zunächst wird die historische Entwicklung geologischer Perspektiven erläu-

tert. Darauf aufbauend werden Themen der allgemeinen, regionalen und histori-schen Geologie angeschnitten. Für die Ingenieurgeologie von besonderer Bedeu-tung ist das tektonische Inventar, das im Rahmen der Gebirgsbildung (Orogenese) entsteht und zu dem Falten, Verwerfungen und Klüfte zählen. Die Gesteine verwit-tern im Laufe der Zeit: Wasser, Wind und Eis transportieren die Verwitterungspro-dukte und bilden typische Landformen. In tektonischen Senken nehmen Druck und Temperatur zu und es kommt zunächst zur diagenetischen Verfestigung, dann zur Veränderung des Gesteins (Metamorphose) und letztendlich zu seiner Auf-schmelzung (Anatexis). Der Kreislauf der Gesteine kann von Neuem beginnen. Die folgenden Ausführungen sind für den Ingenieur sicher interessanter als für den Erdwissenschaftler, der die geologischen Prinzipien bereits kennt. Sie geben nur eine kurze Einführung in die Thematik. Eine umfassende und ausführliche Be-schreibung geologischer Prinzipien findet sich in den Lehrbüchern zur allgemei-nen Geologie (der exogenen und endogenen Dynamik), zur historischen Geologie und zur regionalen Geologie.

2.1 Das aktualistische Leitmotiv nach Hutton und Lyell

Was den Betrachter von Naturlandschaften sicher am meisten erstaunt, ist die Tat-sache, dass die naturräumliche Ordnung, so unverrückbar, statisch und erhaben sie erscheint, Ergebnis dynamischer Prozesse ist, die die Erdoberfläche ständig formen und modellieren. In der Regel erstrecken sich diese Prozesse jedoch über große Zeit-räume, für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar, für den geologisch geschulten Blick jedoch erahnbar.

Die grundsätzliche Dynamik der Erdoberflächen erkannte bereits im 5. Jahrhun-dert v. Chr. der griechische Geschichtsschreiber Herodot anhand der allmählichen Veränderung des Nildeltas. Zweitausend Jahre später schrieb Giordano Bruno (1548-1600), dass

D. D. Genske, Ingenieurgeologie, DOI 10.1007/978-3-642-55387-5_2,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

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8 Kapitel 2 Geologische Prinzipien

... da bald ein Meer ist, wo vorher ein Fluss war, bald sich Berge erheben, wo vor-her Täler sich vertieft hatten ... Aber in dem allem möchte ich nichts Gewaltsames zugeben, sondern einen ganz und gar nur natürlichen Verlauf erkennen. Denn ich nenne nur dasjenige gewaltsam, was außerhalb der Schranken der Natur oder gar gegen sie geschieht (nach Blei 1981).

Für Giordano Bruno führte diese Erkenntnis neben anderen, uns heute selbstver-ständlich erscheinenden Einsichten am 17. Februar des Jahres 1600 zum Scheiterhau-fen der römischen Inquisitoren, die an der biblischen Schöpfungsgeschichte Wort für Wort und coûte que coûte festzuhalten ihre traurige Pflicht vermeinten.

Dessen ungeachtet beschrieb noch im 17. Jahrhundert der dänische Arzt, Theo-loge und Naturforscher Niels Stensen (1638-1686, Abb. 2.1) in seiner Arbeit De soli-do intra solidum naturaliter contento dissertationis prodromus (Steno 1669), erst 1923 ins Deutsch übersetzt (Stensen 1967), die geologische Methodik, vom gegenwärtigen Zustand eines Gegenstandes auf seinen früheren Zustand zu schließen, indem „[...] quomodo praesens alicuius rei status statum praeteritum rei detergit“ (Steno 1669: 7). Dieses aliquid stat pro aliquo zu entschlüsseln, den Code zu knacken, der das Vergan-gene im Gegenwärtigen birgt, ist die Aufgabe des Geologen und des Paläontologen (Genske & Hess-Lüttich 1998: 133-134).

Rund hundert Jahre später schrieb Abraham Gottlob Werner (1749-1817, Abb. 2.1), Inspektor und Lehrer der Mineralogie an der neu gegründeten Freiberger Bergakade-mie:

Soweit uns der feste Erdkörper von seiner Oberfläche her bekannt ist, zeigt er sich uns als Kind der Zeit, als Resultat natürlicher Wirkungen ... Welchem Naturkun-digen, welchem Geognosten wäre unbekannt, – wie die Fluten tagtäglich Gebirgs-massen zu Sand und Geschiebe zermalmen und dadurch neuen Gebirgsaufbau bewirken, – welche Menge Erd- und andere Teile die Ströme stündlich ins Meer führen, – wie in den Meeren von Zeit zu Zeit mächtige Korallen und Muschelscha-lenbänke entstehen, – wie feuerspeiende Berge Asche und Gesteinsstücke auswer-fen und anhäufen, und Laven ausströmen. ... Diese tagtägliche Wirkung der Natur ... muß der nach Wahrheit begierige Geognost studieren (n. Hölder 2008: 40).

Abb. 2.1 Niels Stensen, auch Nicolaus Steno (1638-1686), Abraham Gottlob Werner (1749-1817), Charles Lyell (1797-1875).

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92.1 Das aktualistische Leitmotiv nach Hutton und Lyell

Dies sah so auch Georg Christian Füchsel (1722-1773), nämlich die Geologie als Ver-such der kausalen Ableitung des Gesuchten aus dem bereits Verstandenen (Füchsel 1773). Für den britischen Geologen James Hutton (1726-1797) lag hierin der Aus-gangspunkt seiner Methodik der geognostischen Rekonstruktion erdgeschichtlicher Phänomene (Hutton 1788), die Charles Lyell (1797-1875, Abb. 2.1) als Aktualismus bekannt machte. Er wandte das neue Denkmodell in seinem dreibändigen Werk Prin-ciples of Geology (1830-33) an, um zum Beispiel aus dem Vergleich der Morphologie eines Vulkans mit dem Grundriss der Insel Santorin den Schluss zu ziehen, dass auch diese vulkanischen Ursprungs und nun vom Meer umspült sei (Abb. 2.2). Ebenfalls aktualistisch folgerte ein paar Jahrzehnte später der schwedische Naturwissenschaftler Otto Martin Torell (1828-1900) aufgrund der Beobachtung merkwürdiger, paralleler Schrammen in den Rüdersdorfer Kalkbergen bei Berlin, „daß sich die Vergletsche-rung Skandinaviens und Finnlands bis über das norddeutsche Flachland erstreckt habe“ (n. Hölder 2008: 121). Der Chef des schwedischen Reichsamtes für Geologie und Professor für Zoologie und Geologie an der Universität Lund bestätigte somit die bereits 1807 vom deutschen Mineralogen Johann Friedrich Ludwig Hausmann (1782-1859) aufgestellte Theorie, dass die als „erratische Blöcke“ angesprochenen Findlinge ursprünglich mit den eiszeitlichen Gletschern aus Skandinavien kamen und wider-legte damit die – auch von Lyell – vertretene Lehrmeinung, wonach die jungen San-de und Gerölle Norddeutschlands von treibenden Eisbergen abgelagert wurden. Der Aktualismus erlaubte, damals wie heute, die Deutung der Natur als Buch, der Erde als Text, die es per analogiam zu analysieren gilt. Ein Wettstreit von Ideen entfachte sich und gewagte Hypothesen wurden aufgestellt, belegt, bewiesen oder wieder verworfen.

Abb. 2.2 Ein Vulkan bei Neapel im Vergleich mit der grundrisslichen Darstellung der Insel Santorin (aus Lyell 1830-33).

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10 Kapitel 2 Geologische Prinzipien

Und immer sind es Fragmente, Spuren und Bruchstücke, deren sich der Geolo-ge bedient, um das Mosaik der Erdgeschichte zu rekonstruieren. „Bruchstellen sind Fundstellen“ schrieb Ernst Jünger in seinem geschichtsphilosophischen Essay An der Zeitmauer (1959). Dies gilt auch und gerade für geologische Bruchstellen als Fundstel-len versteinerter Urkunden. Um diese zu ordnen, bedarf es eines Codes. Ein Subsys-tem dieses Codes sind die Fazies, die „Gesichter“ von zeitgleich gebildeten Gesteinen in verschiedenen Ausbildungen. Sie beschreiben im Sinne des von Constant Prévost (1787-1856) und Amanz Gressy (1814-1865) in die geologische Fachterminologie ein-geführten Begriffs den Habitus eines Sediments hinsichtlich seiner petrographischen Struktur oder seines Fossilinhalts. John Kay karikiert die Metapher (Abb. 2.3), indem er James Hutton bei dem Versuch abbildet, die „Gesichter der Erde“ zu lesen: mente et malleo (Genske & Hess-Lüttich 1998: 142-143).

Der Aktualismus markiert einen geo-historischen Wendepunkt, die Emanzipation der Geologie von theologischen Vorgaben. Vorbei die Zeiten, in denen der englische Erzbischof James Usher (1581-1656) nach intensivem Bibelstudium die Entstehung der Erde auf die Nacht vom 22. zum 23. Oktober des Jahres 4004 ante Christum da-tierte. Sein schwäbischer Kollege Johann Albrecht Bengel (1687-1752) widersprach ihm übrigens, denn aufgrund seiner strikt exegetischen Datierung kam er auf den 10. Oktober 3943 v. Chr. Selbst heute noch werden die Grundlagen der historischen Geologie von Fundamentaltheologen in Frage gestellt: In den 1990er Jahren protes-tierte der orthodoxe Rabbiner Swi Gafner (Frankfurter Rundschau vom 13.8.1993: 24) gegen die Darstellung, die Dinosaurier seien seit Jahrmillionen ausgestorbene Kreatu-

Abb. 2.3 James Hutton liest die Fazies – die „Gesichter“ – eines

Gebirgsaufschlusses (Litho-graphie in John Kays Portraits,

Edinburgh 1837, Bd 1, Nr 24).

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112.1 Das aktualistische Leitmotiv nach Hutton und Lyell

ren, sei es doch eine „allgemein bekannte Tatsache, dass die Welt erst vor 5753 Jahren geschaffen worden“ sei. Diesen theologischen Bedenken gibt selbst im 21. Jahrhun-dert noch so manche Schulleitung im Bible-Belt des mittleren Westens der Vereinigten Staaten nach und lässt die Schöpfungsgeschichte gleichberechtigt neben der naturwis-senschaftlich begründeten Erdgeschichte und der Evolutionstheorie Darwins unter-richten. Tatsächlich ist unsere Erde etwa 4.6 Milliarden Jahre alt. Die Zeitabschnitte, in die wir heute die Erdgeschichte unterteilen (Äon, Ära, Periode, Epoche) zeigt Tabelle

Äon Ära Periode Orogenese1 Eiszeiten Alter mya2

Phan

eroz

oiku

m

Känozoikum (Erdneuzeit)

Quartär

alpi

disc

heNord- und Südhalbkugel (seit 34 mya)

2.6-0

Neogen3 23-2.6

Paläogen3 66-23

Mesozoikum (Erdmittelalter)

Kreide 145-66

Jura 201-145

Trias

varis

zisc

he 252-201

Paläozoikum(Erdaltertum)

PermSüdhalbkugel (360-260)

299-252

Karbon 359-299

Devon 419-359

Silur

kale

do-

nisc

he

Südhalbkugel (450-420)443-419

Ordovizium 485-443

Kambrium

Cado

-m

isch

e5 541-485

Prot

eroz

oiku

m4

Neo- Unbekannt (582-580)Global? (735-660) 1.000-541

Meso-

unbe

kann

t

1.600-1.000

Paläo- Global? (2.400-2.100) 2.500-1.600

Arch

aiku

m4

Neo- 2.800-2.500

Meso- 3.200-2.800

Paläo- 3.600-3.200

Eo- 4.000-3.600

Had

aiku

m4

4.600-4.000

1Gebirgsbildungsphasen; 2mya Millionen Jahre; 3Neogen und Paläogen wurden früher als Tertiär be-zeichnet; 4Proterozoikum, Archaikum und Hadaikum werden auch als Präkambrium bezeichnet; 5ab ca. 640 mya.

Tabelle 2.1 Erdzeitalter, Orogenesen und Eiszeiten (nach Bahlburg & Breitkreuz 2012).

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12 Kapitel 2 Geologische Prinzipien

2.1. Der Mensch kam ziemlich spät: Entspräche die gesamte Erdgeschichte 24 Stunden, dann beträte er unseren Planeten nur wenig Sekunden vor Mitternacht.

Der Aktualismus hat die Geologie nachhaltig geprägt und bestimmt auch heute noch die tägliche Arbeit des Geologen. Seit Alfred Wegener (1880-1930) und seiner Kontinentaldrift-Theorie ist bekannt, dass endogene (innere) Kräfte die Platten der Erdoberfläche gegeneinander verschieben. Ihre Reibung aneinander führt zu Erdbe-ben, an ihren Kollisionszonen falten sich geologische Schichten zu Gebirgen auf (Oro-genese). Im Gegensatz zu diesem als endogene Dynamik bezeichneten Mechanismus tragen auf der Erdoberfläche exogene (äußere) Kräfte die Gebirge allmählich wieder ab. Wasser, Wind und Eis transportieren das abgetragene Material der Schwerkraft folgend in die Täler, in die Ebenen und schließlich ins Meer. Die exogene Dynamik erzeugt so eine Vielzahl von Landformen, die geomorphologisch analysiert und klas-sifiziert werden können.

Erst wenn man sich über den Ursprung und die Dynamik der Landformen im Kla-ren ist, kann man die geologischen Aufschlüsse richtig deuten und ein zuverlässiges Bild von der Entstehung der Landschaft skizzieren. Erst dann ist man sich der Beson-derheiten des Untergrundes bewusst, erst dann kann man die richtige Strategie zu seiner Erkundung wählen und erst dann erkennt man die Risiken, die Eingriffe in ihn bergen.

2.2 Faltung, Verwerfung und Klüftung

An den Rändern der kollidierenden Kontinentalplatten werden geologische Schichten aufgefaltet, überschoben, verworfen und zerteilt. Das sich schließlich dem Geologen entfaltende Bild ist verwirrend, in vielen Fällen irreführend und kaum zu dechiffrie-ren.

Der Schweizer Naturforscher und Zeichner Hans Conrad Escher von der Lindt (1767-1823) fertigte bereits Anfang des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl beeindrucken-der Aquarelle von alpinen Landschaften an und versuchte dabei, den inneren Aufbau der Gebirge zu verstehen. Sein Sohn Arnold teilte diese Begeisterung und zeichnete ebenfalls zahlreiche geologische Panoramen und Profile. Schließlich wurde für ihn die erste Professur für Geologie an der Eidgenössisch Technischen Hochschule in Zürich eingerichtet. Arnold Escher von der Lindt erkannte, dass es im Glarner Land einige Aufschlüsse gab, wo älteres Gebirge über jüngerem lag, ein Phänomen, das er sich mit einer gewaltigen Überschiebung zu erklären versuchte (Abb. 2.4). Doch schon bald zweifelte er an seiner Hypothese und konstatierte 1841, dass die Annahme ei-ner „colossalen Überschiebung“ doch „auf sehr große Schwierigkeiten“ stoße. Selbst sein berühmter britischer Kollegen Sir Roderick Impey Murchison, den er 1848 über den Sengespass führte und der sogleich die Existenz einer enormen Überschiebung erkannte, konnte ihn nicht überzeugen. Vielmehr konstruierte er ein Profil mit zwei liegenden Doppelfalten, eine von Süden, die andere von Norden kommend, die den im zentralen Bereich anstehenden Flysch einem Tabakbeutel gleich einschlösse (Abb. 2.4). Auslöser dieser Doppelfaltung sei die Kontraktion des Erdkerns, aufgrund derer sich die Erdkruste wellte und verwarf und dabei Gebirge bildete – so die damalige Lehrmeinung. Nach dieser Deutung hätten sich die Scheitel beider Falten am Foopass und am Richetlipass gegenüber gestanden.

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132.2 Faltung, Verwerfung und Klüftung

Unkritisch übernahm sein Schüler und Nachfolger Albert Heim (1849-1937) die Doppelfaltentheorie und verteidigte sie mit verve gegen alle Kritiker. Mit der Veröf-fentlichung seines Werkes „Geologie der Hochalpen zwischen Reuss und Rhein“ im Jahre 1891 wurde die „Glarner Doppelfalte“ für dreißig Jahre anerkannte Lehrmei-nung. Doch der in Basel geborene und in München lehrende Geologe August Roth-pletz begann, an der Doppelfalten-Theorie zu zweifeln und vertrat die Ansicht, dass eine Überschiebung die geologische Situation plausibler erkläre. Unabhängig davon entwarf der an der Ecole des Mines in Paris lehrende Franzose Marcel Bertrand bereits 1884 ein Profil, in dem die Glarner Tektonik mit einer großen, von Süden kommenden Überschiebung erklärt wird und das, obwohl er selbst nie in den Glarner Alpen kar-tiert hatte. Die ursprüngliche Hypothese von Arnold Escher von der Linth blieb somit präsent, wurde aber vehement von Albert Heim bestritten, selbst als sich der Wiener Alpengeologe Eduard Suess 1892 am Foopass und auf der Baumgartenalp der Mei-nung von Bertrand anschloss. Als jedoch ein Jahr später Hans Schardt aus Neuchâ-tel in einem Artikel nachwies, dass die Préalpes der Westschweiz aus dem Inneren der Alpen aufgeschoben wurden und auch der waadtländische Geologe Maurice Lu-geon ihm zustimmte, musste Albert Heim die Existenz der Glarner Überschiebung einräumen: Die Deckentheorie wurde allgemein anerkannt und Grundlage für die Erklärung tektonischer Fragen auf der ganzen Welt (Trümpy 1991). Ein Besuch der Glarner Hauptüberschiebung macht jedem Betrachter die enormen Dimensionen der Deckentektonik deutlich (Abb. 2.5).

Abb. 2.4 Die Glarner Doppelfalte nach der Vorstellung von Arnold Escher und Albert Heim 1870-1902 (oben) und die Glarner Deckfalten nach der Vorstellung von Marcel Bertrand 1883 und Eduard Suess 1892 (nach Heim 1921).

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14 Kapitel 2 Geologische Prinzipien

Abb. 2.5 Die Glarner Hauptüberschiebung mit dem Martinsloch, von Elm gesehen. Bei Sool/Schwan-den (Kanton Glarus) ist sie aufgeschlossen und leicht zugänglich. Der (ältere) Verrucano überlagert den (jüngeren) Flysch: 1 Eozäner Flysch, 2 Lochseitenkalk (Mylonit), 3 späte Überschiebungsfläche,

4 grüner grobkörniger Verrucano mit stark deformierten Komponenten, 5 roter Verrucano mit schwach deformierten Komponenten (Skizze aus Trümpy 1980, die Münze markiert die späte

Überschiebungsfläche).

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152.2 Faltung, Verwerfung und Klüftung

Dieses Beispiel zeigt zum einen, wie anspruchsvoll die Rekonstruktion der geologi-schen Entwicklung eines Gebietes ist, zum anderen stellt es bereits eine Reihe tektoni-scher Elemente vor (Reuther 2012), die im Folgenden kurz erläutert werden.

Falten (folds) entstehen zum Beispiel bei der Kollision tektonischer Platten. Geo-logische Schichten verbiegen sich, falten sich auf und bilden Gebirge. Bei der nach oben gewölbten Antiklinale befinden sich die ältesten Schichten im Faltenkern (Abb.

Abb. 2.6 Antiklinale, Synklinale, vergente Falte, liegende Falte und Tauchfalte.

Abb. 2.7 Eine nach WNW abtau-chende, SSW-vergente Synklinale in Plan und Blockbild (nach Eisbacher 1996).

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16 Kapitel 2 Geologische Prinzipien

Abb. 2.8 In Spanien (David Price gibt den Maßstab), im Rheinischen Schiefergebirge (im etwa gleichen Maßstab) und im Allgäu.

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