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1 INHALTSVERZEICHNIS POLYKONTEXTURALE LOGIK. Zur Konzeption, Formalisierung und Validierung. PROÖMIK UND DISSEMINATORIK Abbreviaturen transklassischen Denkens. DISKONTEXTURALITÄTEN: WOZU NEUE FORMEN DES DENKENS? Zur Kritik der logischen Voraussetzungen der Second Order Cybernetics und der Systemtheorie DISSEMINATORIK: ZUR LOGIK DER 'SECOND ORDER CYBERNETICS' Von den 'Laws of Form' zur Logik der Reflexionsform VOM 'SELBST' IN DER SELBSTORGANISATION Reflexionen zu den Problemen der Konzeptionalisierung und Formalisie- rung selbstbezüglicher Strukturbildungen SUFI´S DRAI: WOZU DISKONTEXTURALITÄTEN IN DER AI ? KALKÜLE FÜR SELBSTREFERENTIALITÄT ODER SELBSTREFERENTIELLE KALKÜLE? SKIZZE EINER GRAPHEMATISCHEN SYSTEMTHEORIE Zur Problematik der Heterarchie verteilter Systeme im Kontext der New „second-order“ Cybernetics EINÜBUNG IN EINE ANDERE LEKTÜRE. Diagramm einer Rekonstruktion der Güntherschen Theorie der Negativ- sprachen NEUE TENDENZEN IN DER KI–FORSCHUNG Metakritische Untersuchungen über den Stellenwert der Logik in der neue- ren Künstlichen–Intelligenz Forschung DAS MEßPROBLEM IN DER MENSCH–MASCHINE–KOMMUNIKATION EINSCHREIBEN IN ZUKUNFT Bemerkungen zur Dekonstruktion des Gegensatzes von Formal– und Umgangssprache in der Güntherschen Theorie der Negativsprachen und der Kenogrammatik als Bedingung der Möglichkeit extra–terrestrischer Kommunikation SPALTUNGEN IN DER WIEDERHOLUNG NACHWEISE VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR POLYKONTEXTURALITÄTSTHEORIE

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INHALTSVERZEICHNIS

POLYKONTEXTURALE LOGIK.Zur Konzeption, Formalisierung und Validierung.

PROÖMIK UND DISSEMINATORIK Abbreviaturen transklassischen Denkens.

DISKONTEXTURALITÄTEN: WOZU NEUE FORMEN DES DENKENS? Zur Kritik der logischen Voraussetzungen der Second Order Cybernetics und der Systemtheorie

DISSEMINATORIK: ZUR LOGIK DER 'SECOND ORDER CYBERNETICS' Von den 'Laws of Form' zur Logik der Reflexionsform

VOM 'SELBST' IN DER SELBSTORGANISATION Reflexionen zu den Problemen der Konzeptionalisierung und Formalisie-rung selbstbezüglicher Strukturbildungen

SUFI´S DRAI: WOZU DISKONTEXTURALITÄTEN IN DER AI ?

KALKÜLE FÜR SELBSTREFERENTIALITÄT ODER SELBSTREFERENTIELLE KALKÜLE?

SKIZZE EINER GRAPHEMATISCHEN SYSTEMTHEORIE Zur Problematik der Heterarchie verteilter Systeme im Kontext der New „second-order“ Cybernetics

EINÜBUNG IN EINE ANDERE LEKTÜRE. Diagramm einer Rekonstruktion der Güntherschen Theorie der Negativ-sprachen

NEUE TENDENZEN IN DER KI–FORSCHUNG Metakritische Untersuchungen über den Stellenwert der Logik in der neue-ren Künstlichen–Intelligenz Forschung

DAS MEßPROBLEM IN DER MENSCH–MASCHINE–KOMMUNIKATION

EINSCHREIBEN IN ZUKUNFT Bemerkungen zur Dekonstruktion des Gegensatzes von Formal– und Umgangssprache in der Güntherschen Theorie der Negativsprachen und der Kenogrammatik als Bedingung der Möglichkeit extra–terrestrischer Kommunikation

SPALTUNGEN IN DER WIEDERHOLUNG

NACHWEISE

VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR POLYKONTEXTURALITÄTSTHEORIE

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Rudolf Kaehr

ZUR DEKONSTRUKTIONDERTECHNO-LOGIKHINFÜHRUNGENZURGRAPHEMATIK

Draft Version1995

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Abbreviaturen transklassischen Denkens.

Proömik und Disseminatorik.

1Grenzsituationen klassischer Rationalität 1

1.1 Selbstreflexion vs. Selbstbezüglichkeit 11.2 Die Grenze des Denkens und das Denken der Grenze 11.3 Die Ressourcen des Denkens 11.4 Die Ver-Endlichung des Unendlichen 2

2 Realitäten/Rationalitäten: Das Spiel der Spiele 2

3 Proömik vs. Hierarchie 3

3.1 Chiasmus und Zirkularität: Nicht jeder Kreis geht rund 33.2 Die als-Funktion in der Proemialrelation 43.3 Die Sprung-Funktion in der Proemialrelation 5

4 Disseminatorik vs. Monokontexturalität 5

5 Kenomik vs. Semiotik 6

5.1 Abstraktion im Operandensystems 65.2 Abstraktion im Operatorensystem 75.3 Isomorphie und Konkretion 7

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Selbstreflexion vs. Selbstbezüglichkeit

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Proömik und Disseminatorik.

Abbreviaturen transklassischen

Denkens.

1 Grenzsituationen klassischer Rationalität

1.1 Selbstreflexion vs. Selbstbezüglichkeit

Die Rückbezüglichkeit des Denkens, die bei derInfragestellung des Denkens angsichts seinerGrenzen entsteht, stellt es vor zwei Möglichkei-ten:a) das Denken bezieht sich auf sich selbst undvollzieht einen Selbstbezug im Modus der durchdas Denken selbst bereitgestellten Form desDenkens, der Identität. Dieser Modus der Identi-tät garantiert dem Selbstbezug des Denkens sei-ne Rationalität, opfert diese jedoch im Vollzugder Selbstbeziehung dem Abgrund der Antino-mien jeglichen regelgeleiteten selbstbezügli-chen Argumentierens und Kalkulierens.b) das Denken bezieht sich auf sich selbst, nichtim Modus der Identität, d.h. der Selbigkeit, son-dern im Modus der Gleichheit als Andere ihrerselbst. Damit vermeidet die Selbstreflexion anti-nomische Situationen, verliert jedoch die Ga-rantie, d.h. jegliche Form egologisch fundierterEvidenz, daß sie sich in ihrem Selbstbezug nichtselbst verfehlt und nicht im Labyrinth ihrer Auf-gabe, den Bezug auf sich selbst zu vollziehen,an sich selbst als Andere ihrer selbst irre wird.Im ersten Fall ist der Ausgangspunkt des Den-kens das Ich, „Ich denke (mich).“ bzw. „Ich den-

ke etwas und dieses etwas bin ich.“, in derzweiten Form ist das Denken selbst der Aus-gang und das Ich ein Produkt, eine Kristallisati-on des Denkprozesses selbst. Die Selbstbezüglichkeit des Denkens geht vom Ich aus und er-kennt anderes Denken nur in Ich-Form als Ana-logie seiner selbst, ihm bürdet die Last derDeduktion des Anderen. Die Antinomien in diees sich verstrickt werden entweder verdrängt;durch Verbote, die den Grad des Selbstbezugseinschränken, eliminiert oder aber emphatischdomestiziert. Die Selbstreflexion des Denkens geht aus vomDenken und räumt so die Anerkennung anderenDenkens ein als Du-Subjektivität; verläßt da-durch jedoch das sichere Terrain der klassi-schen Ontologie und ihre Operativität.1

1.2 Die Grenze des Denkens und das Denken der Grenze

Die Grenze des Denkens ist der identitätsgelei-teten Vernunft als Grenze verborgen. Die Ver-nunft kennt die Grenze nur von innen als Ab-und Angrenzung. Außerhalb der Vernunft gibtes keine Vernunft.Die Grenze als Grenze der Vernunft läßt sich je-doch nur denken als ein Zugleich von Innen undAußen der Vernunft. Dies ist jedoch im Modusder Identitätslogik nicht möglich, denn ihreOperatoren gelten einzig innerhalb der einenund einheitlichen Logik. Eine immanente Gren-ze kennt die Logik einzig als metasprachlich for-mulierter Dualitätssatz, als Eingrenzungenfungieren die Limitationstheoreme. Das Äußereder klassischen Logik zeigt sich in der Morpho-grammatik als ihre operationale Unvollständig-keit.

1. Kurt Klagenfurt: „Technologische Zivilisationund transklassische Logik. Zur Technikphilo-sophie Gotthard Günthers.“, SuhrkampFrankfurt/M., stw 1166, 1994, R. Kaehr:„Kompass. Expositionen und Programmati-sche Hinweise zur weiteren Lektüre derSchriften Gotthard Günthers.“,in: „Gott-hard Günther - Technik, Logik, Technolo-gie.", Ernst Kotzmann (Hg.), S. 81-125,Profil-Verlag, München Wien 1994

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Realitäten/Rationalitäten: Das Spiel der Spiele

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1.3 Die Ressourcen des Denkens

Das Denken vollzieht sich im Medium des Zeichen-gebrauchs. Die Semiotik als formalisierte Theorie desrationalen Zeichengebrauchs kennt nur die abstrakteVerknüpfung (Konkatenation/Substitution) von vorge-gebenenZeicheneines(beliebigen,endlichenoderunendlichen)Zeichenrepertoires,dasallerdingsfor-malaufzweiElemente(AtomzeichenundLeerzei-chen) reduziert werden kann. Das Zeichen alsZeichengestalt trägt sich im Denken aufgrund der Trä-gerfunktionderMaterialitätdesZeichenereignisses.Die Differenz von Zeichengestalt und Zeichenvor-kommniskommtinderSemiotikselbstnichtzurDar-stellung; sie ist ihre verdeckte Voraussetzung.Die Zeichengestalt verbraucht sich nicht im Ge-brauch ihres Ereignisses. Der Modus der Wie-derholung des Zeichens ist abstrakt und gründetsich auf der Abwesenheit des Subjekts und derAnnahme der Unendlichkeit der Ressourcen(Raum, Zeit, Materie).

1.4 Die Ver-Endlichung des Unendlichen

Der Prototyp jeglicher Operativität ist die Arith-metik der natürlichen Zahlen. Die Struktur derArithmetik kennt Nachfolger und Vorgänger; je-doch keinen Nachbarn. Dies ist ihre Linearität.Zur Bestimmung der natürlichen Zahlen ist dieUnendlichkeit des Operierens Voraussetzung.Ihre Einführung verdankt sie den Diensten einerSchrittzahl, die im Vollzug selbst nicht der Arith-metik angehört; sie bedient sich der Zirkularität.Desweiteren verbleibt sie im Abstrakten: ihreUnizität läßt sich nur bis auf Isomorphie undnicht auf Konkretion hin bestimmen. Auch istdas Endliche enthalten im Unendlichen.Entfällt das Ideal der Linearität und Unizität dernatürlichen Zahlen, und kommen gleichur-sprüngliche Zahlensysteme als Nachbarsystemeins Spiel, proömialisiert sich die Hierarchie vonKardinalität und Ordinalität, von Endlichkeitund Unendlichkeit wie von Abstraktheit undKonkretheit. So ist die Kardinalität einer natürlichen Zahlnicht mehr allein bestimmt durch ihre Nachfol-geroperation, sondern mit durch ihren Ort inder Tabularität.2

2 Realitäten/Rationalitäten: Das Spiel der Spiele

Ein Hauptproblem einer transklassischen Welt-auffassung liegt in der philosophischen Neube-stimmung des Verhältnisses von Einheit undVielheit. Zwischen Welt und Logik-Kalkül oder zwischenSemantik bzw. Meontik und Architektonik einerformalen Sprache gibt es in der Graphematikprinzipiell nur vier Stellungen: 1. eine Welt/eine Logik (Tarski, Scholz),2. eine Welt/viele Logiken (Grosseteste, Wil-son), 3. viele Welten/eine Logik (Leibniz, Kripke) und 4. viele Welten/viele Logiken (Günther, Derri-da).3

Nach dieser Schematik regelt sich auch dasVerhältnis von Realität(en) und Rationalität(en).Bei der 1. Stellung wird das Problem der Viel-heit in die Metasprache und ihre Typenhierar-chie verlagert. Auf der Ebene der Objektsprache gibt es einen und nur einen allgemei-nen Individuenbereich über den Attribuierungenund Sorten gebildet werden können, die letzt-lich auf eine 2-wertige Wahrheitswertesemantikabgebildet werden. Für die Typentheorie geltendabei die bekannten Typen-Reduktionssätze.Ausgeschlossen bleibt die Option der Heterar-chie, d.h. der selbstbezüglichen und simultanüber mehrere Sprachschichten verteilten Be-griffsbildungen. Es gibt also eine Realität undeine Rationalität, d.h. es gibt ein Original undein Spiegelbild davon wie auch Spiegelbildervon Spiegelbildern ohne Abschluß.

Zur 2. und 3. Stellung. In der Autopoiesetheorie wirdzwischen Realität und Wirklichkeiten und ihren Theo-rienunterschieden,dieResultatderunerkennbarenRealität sind. Die Unterscheidung von de dicto und dere eines Observers fängt die Vielheit in mehreren Logi-ken als mehrwertige Produktlogik auf.Komplementär dazu ist die Situation in der

2. R. Kaehr: „Spaltungen in der Wiederho-lung.“, in: Spuren, Heft Nr. 40, S. 44-47,Hamburg 1992

3. R. Kaehr: „Disseminatorik: Zur Logik der 'Se-cond Order Cybernetics'. Von den 'Laws ofForm' zur Logik der Reflexionsform.“, in:„Kalkül der Form.“, Dirk Baecker (Hg.), stw1068, Suhrkamp, Frankfurt/M. 1993

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Chiasmus und Zirkularität: Nicht jeder Kreis geht rund

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Endo-/Exophysik, wenn die Grundstruktur„zweiäugig“ als Modell von (Modellen und Fak-ten), als Meta-Modell charakterisiert wird. Inder Kripke-Semantik gibt es jedoch keine Simul-taneität und Synchronizität von Semantiken,denn diese sind fundiert in einer mono-kontextu-ralen Logik. Soll die Grenze simultan von innenwie von außen bestimmt werden, und nur so istsie als Grenze und nicht als Limes begriffen, isteine Logik des Zugleichbestehens von gegen-sätzlichen Situationen unabdingbar.Dies erinnert an die reflexionstheoretische Situa-tion der Reflexion der (Reflexion in-sich und an-deres). Auch hier gibt es nur die Flucht in dieAbstraktheit (des letzten Modells) oder die Ver-strickung in Zirkularitäten, wenn nicht die letzthinnige Einheitlichkeit des Denkens und Han-delns geopfert wird. Die 4. Stellung sprengt den Rahmen der klassi-schen Logikkonzeptionen und kann nur trans-klassisch paradox gekennzeichnet werden als’ein Weltspiel von vielen Welten und vielen Lo-giken’ oder als ’Zusammenspiel vieler Weltenund vieler Logiken in einem Spiel’. Solche Spie-le sind ohne Grund. Dies ist die Situation derdiskontexturalen Option. Ohne diese Kenn-zeichnung fällt sie in die erste Stellung zurück.Dieses Geviert von Welt und Logik expliziert dieDekonstruktion der Begrifflichkeit von Identitätund Diversität im Hinblick auf die jeweils vorläu-fige Einführung der doppelten und gegenläufi-gen Unterscheidung von Selbigkeit(en),Gleichheit(en) und Verschiedenheit(en).

3 Proömik vs. Hierarchie

3.1 Chiasmus und Zirkularität: Nicht jeder Kreis geht rund

Was Grund und was Begründetes ist, wird geregeltdurchdenStandortderBegründung.DerWechseldesStandortesregeltdenUmtauschvonGrundundBegründetem. Es gibt keinen ausgezeichneten Ort derBegründung. Jeder Ort der Begründung ist Grund undBegründetes zugleich. Orte sind untereinander wedergleich noch verschieden; sie sind in ihrer Vielheit von-einander geschieden. Für die Begründung eines OrtesisteineVierheitvonOrtenimSpiel.Warumjedocheine Vierheit von Orten? Diese läßt sich ins Spiel brin-

gen, wenn wir die Möglichkeiten der Operativität ei-ner Operation uneingeschränkt gelten lassen.

BeieinerOperationunterscheidenwirOperatorundOperand.ZwischenbeidenbestehteineRang-ordnung, der Operator bezieht sich auf den Operan-den und nicht umgekehrt. Diese Hierarchie istbestimmend für alle formalen Systeme und erfüllt dieBedingungenlogozentrischenDenkens.Wollenwiraber selbst bezügliche Strukturen erfassen, so habenwir vorerst zwei zirkuläre Möglichkeiten: 1. was Ope-ratorwarwirdOperandund2.wasOperandwarwird Operator. Unter den logischen Bedingungen derIdentitäterhaltenwirdadurchzweikomplementäreantinomische Situationen. Obwohl zwischen Opera-tor und Operand eine Dichotomie besteht, ist danacheinOperatorgenaudannOperator,wennerOpe-rand ist und ein Operand genau dann Operand wenner Operator ist.Diese doppelte, links- und rechtsläufige Wider-sprüchlichkeit, die wegen ihrer Isomorphie sel-ten unterschieden wird, läßt sich vermeiden,wenn wir die Umtauschverhältnisse zwischenOperator und Operand über verschiedene Orteverteilen. Diesen Möglichkeitsspielraum eröffnetuns die Unterscheidung von Gleichheit(en) undSelbigkeit(en).

Was Operator an einem Ort, ist Operand an einemandern Ort und umgekehrt. Damit wird die Umtausch-relationzwischenOperatorundOperandnichtaufsichselbst,amselbenOrtunddamitzirkulärange-setzt, sondern über verschiedene Orte distribuiert. Amjeweiligen Ort bleibt die Ordnungsrelation zwischenOperatorundOperandunberührt.DerchiastischeMechanismus läßt sich bzgl. Umtausch-/Ordnungsre-lation und Operator/Operand zusammenfassen: DieOrdnungsrelationzwischenOperatorundOperandeiner Operation wird fundiert durch die Umtauschre-lation, die der Ordnungsrelation ihren jeweiligen Orteinräumt;dieUmtauschrelationzwischenOperatorund Operand wird fundiert durch die Ordnungsrelati-on, die verhindert, daß sich der Umtausch zirkulär aufsich selbst bezieht.Wie leicht einsichtig, werden in diesem Chias-mus vier Orte eingenommen bzw. ge-/ver-braucht. Damit sind alle strukturellen Möglichkeiten zwischen Operator und Operand im Mo-dus von Gleichheit und Selbigkeit durchge-spielt. Deshalb, und weil mit der Unterscheidung Operator/Operand eine Elementar-Kontextur bestimmt ist, beginnt die Polykontextu-ralität nicht mit Eins, sondern mit Vier; daher

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Proömik vs. Hierarchie

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hier die Vierheit.Für die polykontexturale Logik bedeutet diesersukzessive Aufbau der Bescheibung einer Zwei-Seiten-Form (Operator/Operand), daß insge-samt sechs Logiksysteme involviert sind.Im Durchgang durch alle strukturell möglichen'subjektiven' Beschreibungen des Observerswird das Objekt der Beschreibung 'objektiv',d.h. observer-invariant 'als solches' bestimmt.Das Objekt ist also nicht bloß eine Konstruktionder Observation, sondern bestimmt selbst wie-derum die Struktur der Subjektivität der Obser-vation durch seine Objektivität bzw. Objektionalität. Der auf diesem Weg gewonnene Begriffder Sache entspricht dem Mechanismus des Be-griffs der Sache und wird als solcher in der sub-jek t - unabhängigen Morphogrammat ikinskribiert. Damit entzieht er sich der logozentri-schen Dualität von dekonstruktivistischer Lich-tung 'letzter Worte' und dem ironisch-pragmatizistischen Spiel mit ihren Familienähnlichkeiten.

3.2 Die als-Funktion in der Proemialrelation

In der bisherigen Argumentation wurden identi-tätstheoretische Implikationen insofern mitgetra-gen, als die Sprechweise von Operator undOperand diese mit sich selbst als „der Opera-tor“ bzw. „der Operand“ identifiziert haben.Dies war notwendig, weil wir ausgehend vonklassischen Vorgaben ein transklassisches Kon-strukt eingeführt haben. Ist dieses einmal einge-führt, läßt sich die Komplexion invers neubeschreiben, wobei strukturelle Asymmetriender Konstruktion entstehen. 1. Als erstes stellen wir fest, es gibt keine isolier-ten Objekte (Operator bzw. Operanden) zwi-schen denen nachträglich eine Beziehung(Ordnungs- bzw. Umtauschrelation) hergestelltwird. Erst durch das Beziehungsgefüge wirddas Objekt als das bestimmt als das es im Kon-nex fungiert. (Es gibt also nicht erst die Brücken-pfeiler über die dann die Brücke gespanntwird.)2. Die identifizierende Sprechweise erweist sichals verdinglichende Reduktion der als-Struktur.Danach lautet die Sprechweise nicht mehr etwa„der Operator steht in einer Ordnungs- und si-multan in einer Umtauschrelation“, sondern

„der Operator als Operator steht in einer Ord-nungsrelation zu einem Operanden als Operan-den und der Operator als Operand steht ineiner Umtauschrelation zu einem Operandenals Operator“. D.h. der Operator steht als Ope-rator in einer Ordnungsrelation und als Ope-rand in einer Umtauschrelation. Es gibt in einerKomplexion keinen Operator an sich, isoliertvom Ganzen, sondern nur in seiner Autologieals der Operator als Operator.Es ist also bloß eine Abbreviation, allerdingseine irreführende, wenn das Wechselspiel zwi-schen Operator und Operand klassisch chia-stisch formuliert wird als „was Operator warwird Operand und was Operand war wirdOperator“. Erst durch die Bestimmung des Ope-rators als Operator und als Operand kann er 'si-multan und synchron' als beides zugleichfungieren ohne sich dabei in logische Zirkulari-täten zu verstricken. Das Zugleich von Operatorund Operand ist nicht in Raum und Zeit undnicht im Subjekt und Sein, sondern 'generiert'diese allererst.4

Als ist nicht als ob

„Du und Ich stellen ein reines Umtauschverhält-nis dar. Sie können nicht ineinander übergehenund sich miteinander vermischen.“ (Günther)Die als-ob-Sprechweise nivelliert die Entschie-denheit des Wechsels wie er in der als-Funktionauftritt durch eine Fiktionalisierung des Objektsim Modus seiner, nun virtuellen Identität. „Versetze dich in seine Situation!“: wie soll dasfunktionieren, wenn ich mir bloß imaginierenkann, wie es ist, wenn ich du wäre. Dann habeich bloß eine Vorstellung und durch diese indu-zierte Erlebnisse von deiner Situation, jedochnicht von dir selbst, noch bin ich bei dir. KeineEinfühlung (Husserl) führt letzten Endes von mirzu dir und von dir zu mir; hierbei verbleibst dumir virtuell.5

4. R. Kaehr: „Vom 'Selbst' in der Selbstorgani-sation. Reflexionen zu den Problemen derKonzeptionalisierung und Formalisierungselbstbezüglicher Strukturbildungen.“ in:„Aspekte der Selbstorganisation.“, Informa-tik-Fachberichte 304 , W. Niegel, P. Molz-berger (Hg.), Springer, Berlin New York1992

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Die Sprung-Funktion in der Proemialrelation

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Anders ist es, wenn Ich als Du, und Du als Ich,im Wechselspiel ihre Funktionalität vertau-schen. Dann kann Ich als Du und Du als Ich han-deln, ohne sich dabei aufgeben zu müßen, wasohnehin nicht möglich ist, noch muß ich dir unddu mir unerreichbar bleiben. Durch die als-Funk-tion bleibt die Instanz, von der aus ich du binund von der aus du ich bist, erhalten. Was ichverdecke, ent-deckst du und was du ver-deckst,entdecke ich; in diesem Zusammenspiel ent-gründen wir unsere Welt und ihr Spiel. Ohnedieses Zugleich der gegenseitigen und gegen-läufigen Anerkennung bist weder Du noch Ich.Die logozentrische Form der Rationalitätschließt uns beide aus; in ihr gibt es weder Dunoch Ich. Du und Ich sind ihr einzig grammati-kalische Unterscheidungen ohne letztliche Rele-vanz für ihr Wirklichkeitsverständnis.Als Ich bin Ich Du und versetze mich modal indeine Situation ohne mich meiner Existenz alsIch entheben zu müßen. Wer garantiert mirsonst meinen Weg zurück zu mir, wenn ichmich voll und ganz mit dir vermische? Auchwenn ich ganz bei dir bin, verliere ich michnicht in dir. Die Orte bleiben geschieden, ihreVerschiedenheit ermöglicht überhaupt erst unserWechselspiel. Zu verstehen gibt es hier nichts.

3.3 Die Sprung-Funktion in der Proemialrelation

„Der Satz des Grundes ist der Grund des Sat-zes.“ (Heidegger)Die Proömik regelt den Absprung vom Identitäts-denken indem es den Mechanismus des Satzesinszeniert. Das Wechselspiel zwischen Opera-tor und Operand erweist sich als Tanz über demAbgrund; im Gegensatz zu diesem Satz selbst,ist dieser Tanz weder ein Bacchantismus, nocheine Narretei, noch steht er unter dem Zwangeines Regelsatzes. Gewiß ist dabei weder derGrund noch der Abgrund des Seins in Anwe-senheit zu bringen. Er entsteht und vergeht da-selbst in diesem kenomischen Spiel ohnejegliche Verbuchung.

Die intrakontexturalen Bestimmungen, die dieklassische Rationalität binden, werden hinter-gründig und eröffnen die Freiheiten des Sprin-gens. Die Proömik gibt die Regeln an, wie voneiner Kontextur zur andern gesprungen wird,sie zeigt den Mechanismus des Satzes auf. Zwischen den Kontexturen einer polykontexturalen Konstellation besteht ein diskontexturalerAbbruch. Keine genuin intra kontexturale Regelist in der Lage einen Kontexturwechsel zu voll-ziehen. Mit keiner logischen Folgerung, keinerarithmetischen Operation, keiner Regel einerGrammatik ist diese letztmöglich zu verlassen.In ihr herrscht strenge Monotonie. Transkontexturale Übergänge involvieren immer auch Unent-scheidbarkeiten und verletzen den Regelsatz.Die Proömik weist die Wegung und begleitetdie Erschlossenheit in der Dissemination derKontexturen der Polykontexturalität.

4 Disseminatorik vs. Monokontexturalität

Die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits wie-derholt sich vielfälltigst in jenem Diesseits ohneJenseits noch Diesseits. Diese Grenze ereignetsich an jedem der Orte. Jeder Ort ist wederdiesseits noch jenseits; bar jeglicher angebba-rer Örtlichkeit noch beschreib- und beherrsch-barer Ortschaft ist er immer schon sowohldieseits wie jenseits.Komplementär zur Polykontexturalität6, d.h. zurVielheit ist die Diskontexturalität, die Grenze,der Abbruch und Abgrund zwischen den Kon-texturen. Dieses Zwischen der Diskontexturali-tät, die Dissemination der Kontexturen, istontologisch weder substanz-, funktions-, system-, noch struktur-ontologisch faßbar. Hinweise auf

5. H. Leinhos: „Zur Polykontexturalität des thera-peutischen Gesprächs.“ in: „Realitäten undRationalitäten.“

6. J. Pfalzgraf: „Logical Fiberings and Polycon-textural Systems.“ in: „Fundamentals of Ar-tificial Intelligence Research.“, Ph. Jorrand,J. Klemen (Eds.), S. 170-184, Springer,Berlin 1991, R. Kaehr: „Das graphemati-sche Problem einer Formalisierung dertransklassischen Logik Gotthard Günthers.“in: „Die Logik des Wissens und das Pro-blem der Erziehung.“ W.R. Beyer (Hg.),S.254-274, Felix Meiner Verlag, Hamburg1981

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Kenomik vs. Semiotik

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Inter- und Trans-Ontologien mögen helfen.Etwas anderes als bei einer vorschnellen Entpa-radoxierungen in Raum und Zeit ist es in mediasres, wenn bei der formalen Modellierung undderen Implementierung in einer (klassischen)Programmiersprache (ML) bewußt und explizit,als Modellierungsbedingung mit allen ihren Ein-schränkungen der Adäquatheit des Modells unddes Implements, die paradoxe Entscheidungvollzogen wird, etwas darzustellen, was sich ei-ner solchen Darstellbarkeit grundsätzlich ent-zieht. Eine weitere Konkretion der Modellierungder Proemialrelation ist erreicht, wenn diesenicht mehr innerhalb der kombinatorischen Lo-gik auf der Basis der Unterscheidung von 'nichtstrikten' und 'strikten' Kombinatoren, sonderndirekt zwischen disseminierten kombinatori-schen Logiken selbst auf der Basis der Keno-grammatik als nicht-strikter polykontexturalerKombinator zu verorten ist.

5 Kenomik vs. Semiotik

Die Kenogrammatik läßt sich einführen, direktund ohne den historischen Umweg über diesog. Wertabstraktion der semantisch fundiertenLogik, in Analogie und in Dekonstruktion derformalen Semiotik bzw. der rekursiven Wort-arithmetik. Dieser Zugang ist als ein externer zucharakterisieren, da er kenogrammatische Ge-bilde von außen durch Nachfolgeroperationengeneriert auch wenn diese nicht mehr abstrakt,sondern retrograd und selbstbezüglich definiertsind. Im Gegensatz dazu läßt sich die Keno-grammatik auch in Analogie und Dekonstrukti-on organismischer bzw. genuin systemischerKonstrukte als Selbsterzeugung, intrinsischerevolutiver und emanativer Ausdifferenzierungeinführen und ist daher als interne Ausführungzu verstehen. Kenogrammatische Komplexionen entstehenbei der externen Darstellung als Iterationen undAkkretionen eines (vorgegebenen zu dekonstru-ierenden) Zeichenrepertoires; bei der internenDarstellung jedoch als die Wiederholungsstruk-tur einer (zu entmystifizierenden) Selbstabbil-dung und Autopoiese der kenogrammatischenKomplexionen7. Beide Zugangsweisen sindkomplementär und haben sich bei der Einfüh-

rung der Kenogrammatik, d.h. beim Übergangvom klassischen zum transklassischen Denkenbewährt, jedoch auch belastet mit einer komple-mentären Dekonstruktion des Anfangs (Demi-urg-, deus absconditus-Struktur), d.h. mit demAnfang als Urgrund und als Abgrund.Semiotische Voraussetzung von Zeichenreihenist die Unterscheidung von Zeichenvorkommnisbzw. Zeichenereignis (token) und Zeichenge-stalt (type). Dabei ist die Zeichengestalt definier-bar als Äquivalenzklasse aller ihrer Zeichenvorkommnisse. Selbstverständlich ist die Kon-zeption der Äquivalenzklassenbildung bis insletzte nur innerhalb einer Semiotik formulierbar,ihre Bestimmung somit semiotisch zirkulär. Fürdie semiotische Gleichheit ist unabdingbareVoraussetzung, daß die zu vergleichenden Zei-chenketten von gleicher Länge sind. Unter derVoraussetzung der Längengleichheit, die durcheine Schrittzahl gemessen wird, die selbst nichtzur Objektsprache der Zeichentheorie, sondernzu ihrer Metasprache gehört, dort selbst jedochauch wieder als Zeichen zu thematisieren ist,usw., wird die Identität bzw. Diversität derAtomzeichen je Position bzgl. der zu verglei-chenden Zeichenreihen geprüft. Zwei Zeichen-reihen sind genau dann gleich, wenn jederVergleich der Atomzeichen jeweils Identität er-gibt. Die Bestimmung der Gleichheit von Zei-chenreihen ist also in dieser Sprechweise dieBildung einer Äquivalenzklasse.

5.1 Abstraktion im Operandensystems

Es liegt nun nahe, innerhalb dieses Mechanis-mus der Äquivalenzklassenbildung weitere Ab-straktionen vorzunehmen.Das vollständige System der Klassisfikation allerÄquivalenzklassen bezüglich Zeichenreihenläßt sich in zwei Typen unterteilen:a) Klassifikation über der Quotientenmenge,b) Klassifikation über der Bildmenge bzw. Bele-gungsmenge undc) Mischformen von a) und b).

7. R. Kaehr, S. Khaled, „Kenogrammatische Sy-steme.“, in: „Information Philosophie“, 21.Jahrgang, Heft 5, Dez. 1993, S. 40-50,Lörrach 1993

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Abstraktion im Operatorensystem

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Nur drei Klassen abstrahieren von der Bildmen-ge, diese sind, da sie von der Identität der Zei-chen abstrahieren, von Günther als transklasssch relevant anerkannt und mit Proto-, Deu-tero- und Tritostruktur der Kenogrammatik klassi-fiziert und bezeichnet worden.8

Die Semiotik des Calculus of Indication vonSpencer Brown ist als „kommutative Semiotik“9

charakterisiert worden. Diese abstrahiert alsonicht von der Identität der Zeichen, d.h. von derBelegungsmenge, sondern von der topographi-schen Anordnung der identischen Zeichen. IhreKommutativität ist jedoch topographisch nichtfrei, sondern, induziert durch die Identität derZeichen, auf Linearität der Zeichenreihengestal-ten reduziert, daher soll sie auf 'identitive kom-mutative Semiotik' hin präzisiert werden. D.h.daß die Kommutativität schon auf der Ebene derDefinition der Zeichen selbst eingeführt ist undnicht im nachhinein als Axiom in einem Kalkülerscheint. Damit ist eine weitere Sprachschichtder allgemeinen Graphematik charakterisiert.Die verbleibenden und bis dahin nur bzgl. ihrerKombinatorik erforschten Möglichkeiten gra-phematischer Schriftsysteme lassen sich als par-titiv-identitive, trito-partitive, trito-kommutativeund deutero-partitive bestimmen. Es sind somitzur identitiven Semiotik und ihrer Kardinalität(Zahl) acht neue Notations- bzw. Schriftsystemezu unterscheiden; zu guter Letzt ein Anfang: dieTetraktys.

5.2 Abstraktion im Operatorensystem

Eine weitere Dekonstruktion des Identitätsprin-zips ist in der Kenomik formulierbar, wenn nichtbloß die Basisstruktur analysiert wird, sondernauch Abstraktionen im Bereich der Operatorenzugelassen werden. In der Semiotik ist dieserSchritt nicht sinnvoll, da sie nur einen grundle-genden Operator kennt, die Konkatenation

bzw. dual dazu die Substitution. Die Dualitätvon Konkatenation und Substitution, heißt nicht,daß zwei basale Operatoren existieren, son-dern nur, daß die Semiotik entweder mit derKonkatenation eingeführt wird und die Substitu-tionsoperation in ihr definierbar ist oder aberdaß dual dazu die Semiotik mit dem basalenOperator der Substitution eingeführt wird unddie Konkatenation in ihr definierbar ist. Die Kenomik kennt eine Vielheit von basalenOperatoren, daher ist es möglich über dieserMenge von Operatoren Abstraktionen vorzu-nehmen. So gilt als notwendige Voraussetzungder jeweiligen Gleichheit von Objekten, dieGleichheit ihrer Länge bzw. ihrer Kardinalität.Als Basisoperator wird die jeweilige Verket-tungsgsoperation (Konkatenation) untersucht.In der Kenogrammatik, sind u.a. die Operato-ren der Verknüpfung und der Verschmelzungbasal. Wird nun über der Menge der Operato-ren abstrahiert, entstehen völlig neue Situatio-nen. Zwei kenomische Komplexionen könnenauch dann äquivalent sein, wenn sie sich in ih-rer Kardinalität unterscheiden. So sind zwei ke-nomische Komplexionen genau dann kenogrammatisch äquivalent, wenn sie in gleicheTeile (Monomorphien) zerlegbar sind, wenn siesich zu gleichen Teilen verteilen. Da zwei Kom-plexion durch verschiedene Operatoren in glei-che Monomorphien zerlegbar sind, müßen sienicht von gleicher Kardinalität sein; aus Mono-morphien lassen sich Komplexionen verschiede-ner Kardinalität bilden. Kenomische Objekte haben die Möglichkeitsich zu verschmelzen, zu verknüpfen oder zuverketten und ihre Verbindungen jeweils wiederauf ihre je eigene Weise aufzulösen.

5.3 Isomorphie und Konkretion

Eine wesentliche Konkretion erfährt ein formalesSystem dadurch, daß es nicht bloß bis auf Iso-morphie eindeutig, sondern direkt auf Äquiva-lenz charakterisierbar ist; dies ist identivenSemiotiken verwehrt. Anders in der Kenogram-matik: die Abstraktion von der Identität der Zei-chen setzt jede mögliche Realisierung der Kenogrammatik als formales System kenogramma-tisch äquivalent. Es gibt keinen Unterschied zwi-schen verschiedenen notationellen Realisa

8. R. Kaehr, Th. Mahler: „Morphogrammatik.Eine Einführung in die Theorie der Form.“,KBT, Heft 65, Klagenfurt 1994

9. R. Matzka: „Semiotische Abstraktionen beiGotthard Günther und Georg Spencer-Brown.“ in: Acta Analytica 10, S. 121-128, Slowenien 1993

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Kenomik vs. Semiotik

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tionen der Kenogrammatik, sie sind nicht bloßbis auf Isomorphie bestimmt, die Verschieden-heit der Zeichen als Unterscheidungskriteriumentfällt, sondern direkt kenogrammatisch iden-tisch. Die Semiotik läßt sich damit verorten inder Graphematik, ihre Idealität dekonstruierenund auf eine innerweltlich realisierbare Konkre-tion und Dissemination bringen.10 Der Alphabetismus findet in seiner letztlichen Di-gitalität und Linearität multimedial zu sich selbstund zu seinem Abschluß in der Objektivationseiner vermeintlichen Vernetzung. Die Graphe-matik be-wegt den Übergang der Inskription zurErmöglichung einer nach-schriftlichen und trans-terrestrischen Epoche des Welt-Spiels.11

10. R. Kaehr, E. von Goldammer: „Again, theComputer and the Brain.“, in: Journal ofMolecular Electronics 4, S. 31-37, NewYork 1988

11. R. Kaehr: „Einschreiben in Zukunft.“ in: „ZETA 01 –Zukunft als Gegenwart.“, D. Hombach (Hg.), Rotation, S.191-238, Berlin 1982

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Isomorphie und Konkretion

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Kenomik vs. Semiotik

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Khaled: Deine Arbeiten zur Kenogrammatik und Polykontexturalitätstheorie knüpfen an Gotthard Günther an,der als deren Begründer gilt. Du unterscheidest Dich von ihm in dem Punkt, daß Du die Kenogrammatik in Zusam-menhang gebracht hast mit sprachtheoretischen Ansätzen. Kannst Du zunächst das Verhältnis von Kenogrammatikund Semiotik genauer explizieren?

Kaehr: Die Kenogrammatik muß in einem Bereich situiert werden, der unabhängig vom Semiotischen ist, da sieeine Differenz generiert, die überhaupt erst Zeichen ermöglicht. Und will man diese Differenz -jetzt etwas paradoxgesagt notieren, kann dies selbst nicht wieder mit Zeichen geschehen. Denn wenn sie selbst ein Zeichen wäre, würdeman diesen Prozeß einfach nur iterieren und allerlei Metabereiche generieren. Das heißt, es muß ein Bereich sein,der unabhängig vom Semiotischen ist. Die. erste Idee, was es sein könnte, weil es ja selbst notiert und eingeschriebenwerden muß, wäre die Kenogrammatik, wobei "kenos" griechisch "leer" heißt. Leer ist, was den Unterschied zwi-schen Seiendem und Nichtseiendem, on und me on erst ermöglicht. Semiotisch gesagt, die Ermöglichung von Zei-chenundLeerzeichen.DieseDifferenzwirddurchdasKenogrammerzeugtundnotiert,indiesemSinnistdasKenogramm nicht einfach nur ein Leerzeichen. Das Wort "leer" muß sehr viel tiefer gefaßt werden, als es im Griechi-schen überhaupt möglich ist. Dort gibt es das me on in dem Sinne, daß man darüber nichts sagen kann. Die Idee desLeeren taucht in der griechischen Philosophie nicht auf. Man müßte schon in der frühen buddhistischen Philosophiesuchen, dort würde man eher solche Strukturen finden.

Khaled: Könnte man nun sagen, daß die Kenogrammatik den Ort angibt, an dem Zeichen eingeschrieben sind,in dem Sinne, daß sie die Topographie der Semiotik darstellt? Bei Gotthard Günther sieht ja die Konzeption der Ke-nogramme so aus, daß sie mit Werten belegt sein können aber nicht müssen, und eher Positionen bezeichnen, sozu-sagen vor der Generierung von Bedeutung.

Kaehr: Es stimmt in gewisser Weise, daß die Kenogramme den Ort angeben, an dem eine Semiotik sich reali-siert. Das Problem, auf das ich aber hinweisen möchte, ist, daß es in der Kenogrammatik eine Vielheit von in sichverschiedenen Orten gibt. Wir haben aber nur eine Semiotik, wenn man es abstrakt faßt. Der Begriff des Ortes istvon der Semiotik her gedacht, als das, was ein Etwas einnimmt und jedes Etwas nimmt einen Ort ein, also auch Zei-chen. Das wäre die Topographie der Zeichen. In der Semiotik sind die Orte aber als Orte gleich, es gibt keinen Un-terschied im Begriff des Ortes.

Das Schwierige ist nun, zu verstehen, was diese Verschiedenheit zwischen den Orten, im Sinne von Kenogram-men, bedeutet, denn sie bezieht sich nicht auf etwas, das über Zeichen definierbar wäre oder ontologisch den Un-terschiedzwischenverschiedenenDingenausmachenwürde,sondernaufdieOrthaftigkeitderZeichen.DieDifferenz zwischen den Orten ist also selber wieder differenziert.

Wenn nun die Kenogramme die Ermöglichung von Semiosis sind und im Rahmen der Semiotik überhaupt erstso etwas wie Gleichheit und Verschiedenheit formuliert werden kann, worauf auch die Gesetze der Logik basieren,

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dann habe ich auf der kenogrammatischen Ebene diesen Apparat noch nicht zur Verfügung. Ich kann also vonGleichheit und Verschiedenheit von Kenogrammen nicht sprechen, obwohl ich eben sagte, daß es eine Vielheit vonverschiedenen Orten gibt. Das ist eine Paradoxie, in die wir uns jetzt verwickeln.

Khaled: Es geht darum, etwas, was außerhalb unseres Sprachrahmens liegt, nämlich dessen Ermöglichungsbe-dingungen zu notieren. Derrida hat eine Figur herausgearbeitet, die mit der Kenogrammatik in Einklang gebrachtwerden kann, die différance. Bei der Bestimmung dessen, was différance ist, treten ähnliche Schwierigkeiten auf. Esgibt auch die Weigerung der Grammatologen dies zu tun, weil somit die Gefahr der Verdinglichung und Positivie-rung besteht.

Kaehr: Im Gegensatz, dazu stellt die Kenogrammatik eine absolut brutale Verdinglichung dar, weil sie behaup-tet, daß diese Differenzen tatsächlich notierbar sind und daß man sogar mit ihnen rechnen kann. Die Abwehr desVerdinglichenden, die ich ja für völlig richtig halte, bewegt sich aber im Bereich der natürlichen Sprachen und wirdals Motor für immer neue hochkomplexe Texte benutzt, was auch die mehr philosophischen und subversiven Tätig-keiten immer mehr ins Poetische und Literarische hin transferiert mit der Einsicht, daß dort die größtmögliche Freiheitder begrifflichen oder überhaupt natürlichen Sprache gegeben sei und somit die beste Möglichkeit, die différancezur Wirksamkeit zu bringen oder sich ihr auszuliefern. Hier muß man die Differenz zwischen natürlichen und künst-lichen Sprachen ins Spiel bringen, wobei noch völlig offen ist, was eine künstliche Sprache ist. Natürlich denkt mansofort an die charakteristica universalis von Leibniz bis hin zu der heutigen mathematischen Logik und den Program-miersprachen. Das Postulat ist dann natürlich, daß die künstlichen Sprachen erst recht verdinglichend sind und dasist erst einmal gar nicht falsch, weil sie ja aus solchen normierenden Vorstellungen entstanden sind.

Man könnte die Frage aber auch umgekehrt stellen. Wie müßte dann dort die Strategie der Nicht-Verdingli-chung eingesetzt werden, also wie könnte bei künstlichen Sprachen die différance zur Wirkung kommen?

Die Kenogrammatik führt sich ein als Inskription der operativen Tätigkeit von Operatoren in künstlichen Spra-chen, d.h. in Sprachen, die in ihrem Rahmen relativ stabil sind. Aber in diesem sehr engen definitorischen Rahmengibt es natürlich Prozesse, die nicht zur Darstellung kommen. Wenn ich einen Operator auf einen Operanden an-wende, dann erzeuge ich ein Produkt, die Operation, die die Operanden verändert. Der Operator in seiner Prozes-sualität aber kommt nicht zur Darstellung.

Die künstlichen Sprachen haben den Vorteil einer gewissen Operativität. Wenn ich mich jetzt in einem algorith-mischen System befinde, dann ist es klar, daß es dort um Zeichenmanipulierbarkeit und solche Dinge geht und daßeine Dekonstruktion des Begriffs des Algorithmus Hinweise geben könnte, in welche Richtung die Verdinglichung,von der wir gesprochen haben, aufgelöst werden könnte, ohne daß ich jetzt auf poetische Figuren ausweichen muß.Natürlich ist das nicht so zu verstehen, daß damit das Schriftkonzept überhaupt vom Logozentrismus befreit ist, aberzumindest wäre im Rahmen dieser Begrifflichkeit schon eine kleine Transformation gegeben.

Ich möchte nun auf die Idealität von Zeichensystemen, insbesondere von formalen Zeichensystemen hinweisen,in denen gerade die Niederschrift oder Realisation des Zeichensystems als sekundär betrachtet wird und nur im Ab-strakten der Unterschied von Gleichheit und Verschiedenheit überhaupt gilt. Zwei Realisationen des Buchstabens "a"sind bezogen auf ihre graphemische Realisation immer verschieden, es gibt überhaupt keine Gleichheit. Um vonGleichheit und Verschiedenheit trotzdem sprechen zu können, nehmen wir eben immer wieder eine Abstraktion vorund unterschlagen diese physische Realisation des abstrakten Gedankens "Buchstabe a".

Zu dieser These gehört auch, daß die Notationsform nicht den Wahrheitsgehalt einer Aussage bestimmt. DieKenogrammatik behauptet nun, daß "Wahrheit sehr wohl von der Notationsform abhängig ist. Natürlich nicht indem Sinn, daß ich etwas in grün oder in rot schreibe, oder in kyrillisch oder arabisch. Dieser Unterschied ist tatsäch-

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lich irrelevant für die Thesen eines Systems. Was aber noch viel entschiedener die Konkretion eines Zeichensystemsbestimmt, abgesehen von seiner Färbung, ist der Ort, den ein System einnimmt. Idealität eines Zeichensystems heißt,daß sein Ort irrelevant ist, das wäre also die letzte Konsequenz.

Ja, und wenn man sich nun an diesem Schema stößt und man diese ideelle Form von Semiotik innerweltlich rea-lisieren möchte, etwa in Form artifizieller lebender Systeme, dann muß man von der Unterscheidung von Gleichheitund Verschiedenheit abgehen, weil sie ja nur für diesen völlig abstrakten Zusammenhang gilt.

In der Kenogrammatik verwendet man für die abstrakte semiotische Ebene die Terminologie von Identität undDiversität von Zeichengestalten. Jetzt können wir den Versuch machen zu sagen, daß eine Realisation sich nicht imModus von Identität und Diversität unterscheidet, sondern im Modus von Gleichheit, Selbigkeit und Verschiedenheit.Wir haben ja gesehen, daß es in der Kenogrammatik eine Vielheit von verschiedenen Orten gibt. Diese Verschie-denheit ließ sich im Rahmen der Semiotik nicht bestimmen, weil wir sie ja noch nicht haben. Aber wenn wir die Be-grifflichkeit von Gleichheit, Selbigkeit und Verschiedenheit nehmen, können wir sagen: Jeder Ort ist als Ort von einemanderen Ort verschieden, aber es ist der gleiche Ort, d.h. es ist eine Gleichheit bezogen auf das Örtliche, aber dieOrte sind untereinander nicht dieselben. Sie können selbig oder verschieden sein, aber sie sind immer auch die glei-chen. Vom Standpunkt der Semiotik aus ist das Gleiche identisch wie auch divers. Es ist beides zugleich, ohne dabeials Zwischenwert zu fungieren.

Dadurch, daß die Örtlichkeit eines formalen Systems relevant wird, ist es nicht mehr nur ein ideelles, abstraktesoder nur vorgestelltes System, sondern es ist identisch mit seiner eigenen Realisation. Es ist eben genau dieses System,das an diesem Ort ist. Es nimmt seinen jeweiligen Ort ein, verdeckt ihn damit jedoch nicht.

Khaled: Wenn die Kenogrammatik diesen Anspruch realisieren kann, ist nicht nur eine kleine Transformationgegeben. Wir können nun über die Zahlenkonzeption der Kenogrammatik sprechen. Wie kommt dort dieser vorse-miotische Bereich zum Tragen und was bedeuten die Vielheit der Orte und die Orthaftigkeit der formalen Systemefür die Zahlen? Gotthard Günther hat ja auch eine Kritik der natürlichen Zahlen formuliert und das Konzept der trans-klassischen Zahl eingeführt,

Kaehr: Die natürlichen Zahlen werden auch in einem Formalismus dargestellt, d.h. es gibt ein Regelsystem oderein Axiomensystem, das die natürlichen Zahlen einführt. Das ist genau die gleiche Situation der Abstraktheit. Wennman sagt "die natürlichen Zahlen", dann hat man von ihnen bestimmte Vorstellungen und die sollen jetzt axiomatisiertwerden. Das Axiomensystem ist aber nicht in der Lage, die natürlichen Zahlen, so wie wir sie uns vorstellen, als Zah-len zu charakterisieren, sondern nur die abstrakten Verhältnisse zwischen Objekten, die unter anderem auch Zahlensein können. Es kann eine Konkretion dessen, was Zahlen sind, nicht leisten. Die Zahlen bleiben sozusagen in unse-rem Kopf als Zahlgedanken, und was wir auf dem Papier haben, sind abstrakte Strukturen, die für alle Objekte gelten,die eine Nachfolgeoperation erlauben. Man führt zunächst ein Objekt ein, und wenn man dieses erste Objekt hat,kann man zum nächsten gehen, z.B. in Form von Strichen. Man kann also von einem Strich zum anderen gehen unddiesen Strichfolgen die natürlichen Zahlen zuordnen. Ihre Konkretheit kann aber nicht durch ein formales System wiePeano Axiome erfaßt werden, sondern nur ihre abstrakte Struktur. Die gilt aber auch für die Vater/Sohn-Beziehung:daß man einfach mit etwas startet, daß dieses Objekt einen Nachfolger hat und dieser Prozeß beliebig iterierbar ist.

Das wäre die eine Abstraktheit. Die andere ist die, daß sowohl bei einem Regelsystem als auch bei einem Axio-mensystem noch dazu kommt, daß ich diese Regeln beliebig oft anwenden können muß. "Beliebig oft" heißt arith-metisch gesprochen, daß ich dabei schon alle möglichen Zahlen voraussetzen muß. Es entsteht also eine Zirkularität,denn ich setze zur Generierung der Zahlen oder dieser Zahlenrepräsentationen die Gesamtheit der natürlichen Zah-len schon voraus.

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Wenn man nun versucht, die natürlichen Zahlen konkreter zu fassen, führt dies zu der Einsicht, daß wir ebennicht nur eine Idee von ihnen haben, sondern eine Vielheit von Notationssystemen für natürliche Zahlen. Dadurchwird es möglich, daß ich das, was in dem System, in dem es nur einen Begriff von natürlichen Zahlen gibt - eben diesepotentielle oder aktuale Unendlichkeit oder Nicht-Charakterisierbarkeit -, nun verteilen kann auf verschiedene Zah-lensysteme. Es entsteht also keine Zirkularität, wenn ich diese Nachfolgeoperationen jetzt selber zählen muß, weilich den Schrittzähler aus einem anderen System nehmen kann. Es entstehen komplexe Zahlensysteme, in denen par-allel verschiedene arithmetische Prozesse ablaufen und von einem System ins andere gewechselt werden kann, damiteher ein Netz von arithmetischen Prozessen entsteht, das nicht auf eine Linie reduzierbar ist und sich nicht von einemZentrum aus konstituiert.

Khaled: Damit wäre jetzt das, was Du als Idealität, Abstraktheit oder Nicht-Konkretheit bezeichnet hast, auf denBereich der Zahlen übertragen. Wie kommen nun hier die Begriffe von Gleichheit, Selbigkeit und Verschiedenheitzur Wirksamkeit?

Kaehr: Im Modus von Identität und Diversität würde man sagen, daß eine 5 mit sich selbst identisch ist. Sie istweder eine 6 noch eine 4. Im kenogrammatischen Zusammenhang könnte man sagen, daß sie in ganz verschiede-nen Systemen auftaucht und in dem Sinn zwar die gleiche 5 ist, aber nicht dieselbe, weil sie an verschiedenen Ortenauftaucht. Insofern hätte ich eine Vielheit von 5en.

Khaled: Wenn wir nun diese sehr theoretische Ebene verlassen und wieder zurückkommen auf den transklassi-schen Anspruch der Machbarkeit: Wie könnte dieser erweiterte Formbegriff, der nicht mehr an Identität und Diversitätgebunden ist und einen Übergang darstellt von der Monokontexturalität zur Polykontexturalität, für ein Maschinen-konzept fruchtbar gemacht werden? Du hast gesagt, daß die Kenogrammatik die Bedingung der Möglichkeit vonZeichengebrauch überhaupt notieren will und der Anspruch an eine Maschinenkonzeption dahin geht, daß ein Com-puter bzw. ein artifizielles Lebewesen kognitive Leistungen vollziehen können soll. Ist dann der Anspruch der Keno-grammatik der, die Bedingung der Möglichkeit von Reflexion zu notieren?

Kaehr: In der Kenogrammatik geht es gerade nicht darum, menschliches Bewußtsein zu simulieren oder ma-schinal zu erzeugen. Um es vielleicht härter zu sagen: Über das, was man mit der Kenogrammatik maschinal machenkann, wird überhaupt erst der Begriff des menschlichen Bewußtseins zugänglich, und das, was in der Maschine rea-lisiert wird, ist etwas ganz anderes. Das Andere des Lebens ist gewiß der Tod. Wir haben ihn bisher immer negativals Mangel an Leben. verstanden. Insofern der Kenogrammatik jegliche Fülle und Präsenz an Bedeutung fern ist undsich in ihr ein Reichtum an sinnfreier proemieller Relationalität und Operativität entfaltet, läßt sie sich positiv als To-desstruktur verstehen. Mythologisch gesprochen entspricht sie hier dem im Jenseits bar jeglicher Leidenschaftlichkeitgespielten Brettspiel der Pharaonen. M.a.W., die Todesstruktur der Kenogrammatik ist der Ermöglichungsgrund vonLeben und Tod. Hier hat die Intellektik und die "Artificial Life"-Forschung ihr adäquates Interface.

Khaled: Gegenwärtig gibt es ja die Tendenz, Similaritäten festzustellen zwischen dem Computer und dem psy-chischen Apparat im Sinne Freuds. Dagegen steht einmal eine These von Dir, die besagt, daß wir bisher nur das andie Maschine abgegeben haben, was an uns selber maschinal ist - es liegen also hier schon Limitationen vor - undzweitens, daß die Maschine über den idealistischen Zeichenbegriff generiert und daher eine Simulation dessen ist,was wir uns unter Kognition vorstellen, und nicht eine Verkörperung von Kognition.

Kaehr: Der Unterschied zwischen Simulation und Realisation von kognitiven und volitiven Leistungen geht letz-ten Endes auf eine Unterscheidung hinaus, die eng mit der Frage zusammenhängt, ob die Materie denkt oder nicht.Ist es der Geist, der denkt, oder ist es die Materie? Ist er ein Resultat der Selbstorganisation oder Selbstbezüglichkeitder Materie, oder ist die Materie nur der Träger oder der Stoff der geistigen Funktion. Was in der ganzen orthodoxenKI-Forschungsdiskussion vergessen wird aber auch komplementär dazu in der vermeintlich andersartigen Konzepti-

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on des Neokonnektionismus, also der neuronalen Netzwerke - ist, obwohl Computer irgendwelche kognitiven Lei-stungen vollbringen, - also irgendwas rechnen oder analysieren können, daß diese immer noch nach demGehirnmodell konzipiert sind. Sie sind also letzten Endes logifizierte Systeme oder symbolische Maschinen, in denender Computer nur der beliebige Stoff oder Träger ist, der diese Operationen ausführt. Der Maschinenbegriff, der beidieser Art von vermeintlicher Realisation von kognitiven Leistungen benutzt wird, ist invariant bezüglich seiner jewei-ligen Realisation. D.h. ob ich jetzt den Computer in Form von Relais oder Transistoren oder Mikro-Chips oder in op-toelektronischen oder molekularelektronischen Strukturen modelliere, ist für die Funktion des Rechners irrelevant. DieRealisation eines Computers, sowohl in Hardware als auch in Software, hängt letzten Endes vom Binarismus einesformalen Systems ab, sei es jetzt logischer, arithmetischer oder semiotischer Art. Das heißt auch, daß in dem Rechnernur eine logikähnliche, dem Phonologismus entsprechende idealistische Konzeption von Kognition realisiert ist, undsomit keine Ablösung von menschlichen Strukturen.

Khaled: Wie sieht die Intervention der Kenogrammatik auf diesem Gebiet aus? Ist sie in der Lage, mit Hilfe ihrerFormalismen die komplexen strukturellen Eigenschaften der Materie zu realisieren?

Kaehr: Mit der Kenogrammatik hätte man ein Instrumentarium, in dem man logikunabhängige Strukturen notie-ren kann, womit ein entsprechender Operativitätsbegriff entsteht, der unabhängig ist vom semiotisch-arithmetischenKonzept von Rekursion und Berechenbarkeit.

Khaled: Um das Problem, wie sich Kognition oder subjektive Leistungen formal realisieren lassen, geht es auchdenen, die mit dem Modell der Autopoiesis arbeiten, wie z.B. Varela. Wie unterscheidet sich der kenogrammatischeKalkül von dem Varelaschen Calculus for Self-Reference?

Kaehr: Im Konzept der Autopoiese versammeln sich alle Probleme, Grenzen und Limitationen der Logik, die nureine Simulation von Leben ermöglicht. Denn ein Selbermachen im Sinne der Autopoiese ist so definiert, daß sich dieKomponenten zirkulär selbst erzeugen. Sie haben somit eine antinomische Struktur und sind damit nicht logifizierbar.

Varela versucht eine Formalisierung dessen mit Hilfe des Calculus of Indication von Spencer-Brown, ein Kalkül,der nicht rein logischer Art ist, weil er den Akt des Unterscheidens zum Leitfaden nimmt und eben nicht den Akt desUrteilens, der also nicht von der Aussage ausgeht - wobei diese wahr oder falsch sein kann -, sondern von der Indi-kation, was semiotisch betrachtet ein gewaltiger Unterschied ist.

Ein aussagenlogisches System geht aus vom Zeichenbegriff im Sinne des Zeichens für etwas. Deshalb benötigtdie Logik ja auch eine Semantik. Der CI bezieht sich auf den Begriff des Zeichens als eines Anzeichens oder Indika-tors. Eine Indikation ist nicht wahr oder falsch, sondern wird vollzogen oder nicht vollzogen. Die Hoffnung war die,daß so ein CI auf einer Formebene lokalisiert ist, die nicht mit den semantischen Konzepten von Wahrheit und Falsch-heit verbunden ist, weil zirkuläre Strukturen, wenn sie so formalisiert sind, automatisch Antinomien erzeugen. Alsodaß eine Aussage genau dann wahr ist, wenn sie falsch ist, usw.

Was aber übersehen wurde ist, daß der CI isomorph zur Booleschen Algebra ist und rein strukturell die Wahr-heitslogik im Bereich des Indikativischen wiederholt. Insofern ist er auch wieder ein Binärsystem: Es wird eine Unter-scheidung getroffen oder nicht getroffen. Das ist zwar nicht falsch, aber es können nicht simultan z.B. dreiUnterscheidungen getroffen werden; es gibt nur einen Begriff der Unterscheidung. Die Vielheit der Unterscheidun-gen, die eine Komplexion ausmachen würde, kann im CI nur sukzessive durch Wiederholung vollzogen werden,aber nicht simultan. Damit ist ausgeschlossen, daß eine Formalisierung der Autopoiese gelingen kann.

VarelaversuchtdieSelbstbezüglichkeitnunzuformalisieren,indemereinewidersprüchlicheindikativischeForm zum Ausgangspunkt für seinen Extended Calculus of Indication nimmt und als dritten Zustand des Systems de-

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finiert, so daß unterschieden werden kann zwischen "markieren", "nicht markieren" und einem Zustand, in dem ge-nau dann markiert wird, wenn nicht markiert wird. Jetzt ist es aber so, daß dieser antinomische Zustand in sich keineweiteren Differenzierungen erlaubt, d.h. die Unterscheidung dieses zirkulären Objekts ist identisch mit diesem Ob-jekt. Es gibt also keinen weiteren Formenreichtum innerhalb der Selbstbezüglichkeit. Logisch gesehen handelt es sichbeim ECI um ein dreiwertiges System.

Solche Ansätze leben davon, daß sie innerhalb eines Binarismus oder linearen Zeichensystems formuliert sindund die strukturelle Paradoxie realisieren wollen, indem sie mit Hilfe des Modells der Linie die Zirkularität darstellen.Das geht natürlich nur durch die Einführung von Unendlichkeitsbegriffen, die sich faktisch nicht realisieren lassen.

Der Unterschied zur Kenogrammatik liegt nun darin, daß sie die Möglichkeit bietet, eine Vielheit von formalenSystemen simultan gelten zu lassen. Damit wird eine gewisse Netzstruktur zwischen Logiken und Arithmetiken dar-gestellt und die Zirkularität ist nun nicht gezwungen, sich auf sich selbst zu beziehen im Modus des Identischen. Aufder Basis der Simultanität von verschiedenen Systemen, die also nicht mehr nach Identität und Diversität unterschie-den sind, sondern nach Gleichheit, Selbigkeit und Verschiedenheit, läßt sich Zirkularität als ein Weg durch dieseverschiedenen Systeme darstellen. Hier kann man eher die Metapher des Labyrinths nehmen, so daß Zirkularität nuneinem Rundgang entspricht, der umgekehrt die Komplexität des Labyrinths erzeugt. Und jeder Wechsel von einemSystem ins andere ist mit einem totalen Kontexturabbruch verbunden. Es ist jedes Mal eine völlig andere Welt. DieVerteilung der Zirkularität zwischen diesen Welten garantiert, daß keine Antinomie entsteht, und daß -Selbstbezugnicht verstanden werden muß als Beziehung auf sich selbst im Sinne von Identität. Wenn dieser Kontexturabbruchbzw. diese Diskontexturalität nicht bestünde, könnte man ja diese Nachbarsysteme immer wieder eingliedern undals Subsysteme betrachten.

Klialed: Was wiederum eine Hierarchisierung bedeuten würde.

Kaehr: Genau. Im Gegensatz zu einer solchen Hierarchisicrung oder Typisierung wäre eben die Disseminationvon Logiksystemen als Heterarchie zu verstehen. Heterarchie wäre jetzt nicht mehr nur ein zirkulärer Prozeß in einemNetz, sondern ein zirkulärer Prozeß, der von einer Kontextur zur anderen vollzogen wird.

Klialed: In diesem Zusammenhang fällt mir die Figur des Chiasmus ein, dessen Vierwertigkeit auch ein Hin- undHerspringenzwischenseinenElementenermöglicht,alsonichteinbruchloserÜbergang,sonderneinabrupterWechsel von einem System ins andere.

Kaehr: Ja, das finde ich sehr gut, weil der Chiasmus auch verstanden werden kann - jedenfalls ist es im Griechi-schen so - als Angabe von Verhältnissen: A verhält sich zu B wie C zu D. Und das heißt genau, was Du gesagt hast:Es findet nicht ein kontinuierlicher Übergang von einer Qualität in die andere statt, sondern jede Qualität behält ihreGeltung und ihre Unterschiedenheit zur anderen, aber die Verhältnisse zwischen ihnen lassen sich angeben. So kannman eben sagen, daß das Grundverhältnis zwischen diesen hierarchisch verteilten, disseminativen formalen Syste-men nach dem Modell des Chiasmus verstanden werden kann.

Khaled: Ich möchte noch ein wenig bei der Figur des Chiasmus stehenbleiben. Sie ist ja insofern eine proble-matische Figur, weil sie schon sehr früh ins Außerlogische, Poetische, also in die Randzonen des Formalen abgescho-benwurde.ImtransklassischenFormalismusallerdingserhältsiedenStatuseinesOperationsmodus,wasdenChiasmus somit unterscheidet von seiner Verwendung in anderen Texten, in denen er lediglich als Metapher fungiert,z. B. für Reversibilität.

Kaehr: Natürlich ist der Gebrauch des Chiasmus hier nicht einfach nur emphatisch gemeint in dem Sinne, daßer die Figur ist, die alles erklärt, die aus der Geschichte herauspräpariert werden muß. Er ist nur ein Anknüpfungs-

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punkt, um die Entwicklung von kenogrammatischen Systemen zugänglich zu machen, weil ja im Bereich des reinLogischen keine Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Die Kenogrammatik will die Verteilung von Logiken überhaupt re-geln und kann deshalb nicht innerlogische Gesetze benutzen.

Khaled: Ausgehend von der Quaternität des Chiasmus werden in der Kenogrammatik noch andere Modelleentwickelt, etwa die Proemialrelation. Die 4 scheint in dieser Konzeption eine große Rolle zu spielen. Kannst Du dasVerhältnis von Vierheit und Vielheit genauer beschreiben?

Kaehr: Damit wäre das Problem des Anfangs angesprochen. Wenn man jetzt von einer Vielheit von formalenSystemen spricht, stellt sich die Frage, wie diese dargestellt und produziert werden kann. Die Formel wäre hier: dieGenerierung der Vielheit aus der Vierheit im Gegensatz zur rekursiven Generierung der Vielheit aus der Einheit. Esmuß nämlich auf jeder Systemebene gezeigt werden, auch im Bereich der Arithmetik, daß die Zahlen nicht mit der1 anfangen, sondern paradox gesagt mit der 4. Wenn wir nämlich die Möglichkeiten der Operativität einer Opera-tionuneingeschränktgeltenlassenwollen,müssenwirvonderHierarchie,diezwischendemOperatorunddemOperanden besteht, abgehen, weil wir ja selbstbezügliche Strukturen erfassen wollen. Dabei haben wir vorerst zweizirkuläre Möglichkeiten: was Operator war, wird Operand und was Operand war, wird Operator. Unter den logi-schen Bedingungen der Identität erhalten wir dadurch zwei komplementäre antinomische Situationen, die vermiedenwerden können, wenn wir die Umtauschverhältnisse zwischen Operator und Operand über verschiedene Orte ver-teilen. Was Operator an einem Ort ist, ist Operand an einem anderen Ort und umgekehrt. Dabei werden, wie manleicht sieht, vier Orte generiert. Damit sind also alle strukturellen Möglichkeiten zwischen Operator und Operanddurchgespielt.

Khaled: Ich möchte den Chiasmus noch in einen anderen Zusammenhang stellen. Was Du jetzt ausgeführt hast,also diese Operativität der Operation und die Elementarkontextur von Operator und Operand, ist ja sehr formal ge-faßt. Ich habe kürzlich noch einmal das Kapitel über den Chiasmus in Merleau-Pontys "Das Sichtbare und das Un-sichtbare" gelesen. Dort formuliert er die Beziehung von Leiblichkeit, Welt, den Dingen und den Ideen als chiastische.Das Werk ist ja leider fragmentarisch geblieben. Ich hatte das Gefühl - vor allem nach der Lektüre der Arbeitsnotizen-, daß er nach etwas suchte, das auch das kenogrammatische Denken beschäftigt. Siehst Du hier Parallelen?

Kaehr: Den Zusammenhang sehe ich darin, daß bei Merleau-Ponty die Leiblichkeit nicht nur Voraussetzung fürkognitive Leistungen ist, also, daß es nur die Reflexion gibt ohne den Leib bzw., daß der Leib als bloßer Träger vonReflexionen fungiert, sondern daß auch eine qualitative Differenz, eine Autonomie der beiden Bereiche herausgear-beitet wird. Der Zusammenhang zwischen ihnen ist nicht ein hierarchischer, sondem ein heterarchischer, insofernsie sich gegenseitig bedingen. Das ist übrigens auch eine Entwicklung, die in der Theorie lebender Systeme, KI undKognitionswissenschaft aufgenommen wurde und insbesondere von Varela propagiert wird.

In der allgemeinen Diskussion wird gesagt, daß das Gehim denkt. Wenn man durch Merleau-Ponty hindurch-gegangen ist, wie Varela, sagt man zumindest: "Der Körper denkt", oder auch: "Das Lebewesen als ganzes schläftoder ist wach, nicht nur die retikulären Neuronen". Es wird also nicht auf die Metapher des Gehirns gesetzt und dar-unter das Paradigma des digital/analog funktionierenden Computers verstanden. Insofern sind natürlich solche An-sätze,diedenComputerunddenpsychischenApparatimSinneFreudshomologisierenwollen,totalaufdemHolzweg. Mittlerweile entwickelt ja selbst die Neurobiologie ein anderes Verständnis, nämlich daß das Lebewesen,indem es lebt, denkt, und denkt, indem es lebt, und nicht ein Organ des Lebewesens.

Anders gesagt: der Chiasmus, der hier ins Spiel kommt und der in der klassischen Kognitionswissenschaft fehlt,ist der zwischen Kognition und Handlung. Ich kann nur etwas erkennen oder wahrnehmen, indem ich mich bewegeund ich kann mich nur bewegen, wenn ich mich in meiner Umwelt wahrnehme und reflektiere. Dieser Chiasmus istnur realisierbar über den Begriff des Leibes. Insofern kann man auch sagen, daß die ganze orthodoxe KI-Forschung,

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sei es die symbolverarbeitende oder neokonnektionistische im Sinne von neuromorphen Netzwerken, nur mit einerKontextur arbeitet und die Leiblichkeit der Kognition nicht kennt.

Khaled: Es gibt in der Polykontexturalitätstheorie noch eine logische Figur, die mich sehr fasziniert: die Trans-junktion. Das wäre die Verwerfung der Wertalternative von wahr und falsch, also der Eckpfeiler der binaristischenWahrheitslogik, während die Disjunktion zwar auch den Duktus des Verneinens hat, aber innerhalb des logozentri-schen Sprachrahmens bleibt, weil sie zwei Werte miteinander verknüpft und somit das Wertangebot akzeptiert.

Die Transjunktion als das Hineinziehen des Akts der Verwerfung in einen Kalkül, bringt jetzt die ganze Problem-atik des Unbewußten ins Spiel, weil das Verwerfen etwas ist, das auf das Außerhalb des Logisch-Syntaktischen 'ver-weist. Nimmt man jetzt das Fort/Da-Modell von Freud, so zeigt sich, daß das Verwerfen im Vorsprachlichen situiertwerden muß als Bewegung der Trennung und Spaltung. Ich möchte jetzt nicht den Aspekt von An- und Abwesenheitbinär lesen, sondern auf das verweisen, was dort der Akt des Verwerfens bewirkt, nämlich die Konstituierung einerZeichenbeziehung: ein Draußen, ein abwesendes Objekt wird als Zeichen fixiert durch die Bewegung der Trennung.Aber es ist auch die Verwerfung, die immer wieder gegen Setzungen ankämpft. So wäre m.E. auch die Transjunktionzu lesen, zudem hat sie auch den Zug des Subversiven, des Revoltierenden, was mir sehr gut gefällt.

Kaehr: Ich denke, daß Verwerfen das Subversivste ist, was man machen kann. Mehr kann man doch nicht tun,oder? Es ist auch das, was uns zu diesem Gespräch zusammengeführt hat.

Der stumme Buchstabe in unseren Namen, der die Fremdheit durchkreuzt. Wir sollten nun ihm folgend die Rollentauschen.

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Diskontexturalitäten: Wozu neue

Formen des Denkens?

Zur Kritik der logischen

Voraussetzungen der

Second Order

Cybernetics und der

Systemtheorie.

Rede und Schrift

Das Denken denken

Komplexität vs. Eindeutigkeit mathemati-scher Schriftsysteme

Kompliziertheit vs. Komplexität

Kontextur vs. Kontext

Polykontexturalitätstheorie und Paradig-menwechsel

Beispielhafte Gegenüberstellung klassi-scher und transklassischer Begriffe

Ein Katalog zeitgenössischer Richtungen zum Paradigmenwechsel

Second Order Cybernetics und Polykontex-turalitätstheorie

Konstruktivismus und die Theorie autopoie-tischer Systeme

Zur Logik der Vexierbilder

Chiasmus vs. Zirkularität: Nicht jeder Kreis geht rund

Lektüre zur Thematik

Diskontexturalitäten: Wozu neue Formen des

Denkens?

Zur Kritik der logischen Voraussetzungen der Second Order Cybernetics und der Systemtheorie.

Es braucht nicht bloß einer gelangweilten Launeoder einem postmodernen Habitus eines Denkers zuentsprechen, wenn in bewußter Zitation unverdächti-gerZunftgenossenhierexperimentelldavonausge-gangen wird, daß alles was gesagt werden kannschon gesagt wurde, daß alles Sagbare in der einenoder anderen Weise, in dem einen oder anderen Me-dium zur Verfügung steht, daß es über das eine oderandere Netz abrufbar ist, daß also nichts Neues mehrgesagt werden kann, und daß es auch nicht nötig istund vorallem nicht nottut etwas Neues zu sagen.

Es bleibt jedoch, so könnte behauptet werden, fürdenjenigen,dersichnichtarchivistischoderpropa-gandistischmitdemBestehendenbeschäftigenundunterhalten will, immer noch die Möglichkeit, sich da-fürzuverwenden,sichdarinzuverausgabenoderauch zu verschwenden, zu zeigen wie etwas Neuesgetanwerdenkönnte.GewißwäreeinsolchesTunnicht frei von Naivität angesichts dessen, was bisherin der Geschichte schon getan wurde.

Ein Weg etwas zu tun, scheint der zu sein, sich di-rekt mit sich selbst zu beschäftigen mit dem Ziel sich zuGunsteneinesneuenWeltbildeszuverändern.Diesscheint es zu sein, was die verschiedenen Aktivitätenim Bereich der Mentaltrainings motiviert. Es wirddurchverschiedeneTrainingsmethodenundMedita-tionen versucht sich zu sich zu führen, in der Hoffnung,sich für sich selbst und für andere zu ändern. Die dazupassendenTheorienbzw.TheoriefragmentespielendabeieinesekundäreRolleunddieneneinzigprag-matischen und orientierenden Bedürfnissen.

Rede und Schrift

Ein anderer Weg etwas zu tun scheint die philoso-phisch-poetisierendeSprech-undSchreibweisezubieten. Es kann gesprochen und geschrieben werden,ohnedaßdabeietwasFaßbares,Informatives,Ob-jektivierbares ausgesagt werden muß. Im Gegenteil,es scheint hier möglich zu sein, weit über den Bereichdes Objektiven und Rationalen aber auch des Fiktiven

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Das Denken denken

26 Copyright Dr. Rudolf Kaehr

und Phantastischen hinaus Welten zu eröffnen, dienur durch einen wilden, nicht mehr von Grammatik,Logik und Rhetorik geregelten Gebrauch der phoneti-schen Schreibsysteme eröffnet werden. Hier wird we-nigeretwasgesagtalsgezeigt,wieetwasgesagtwerdenkann,wasnichtmehrgesagtwerdenkann.Das Sagen geht über in das Schreiben und das SpielzwischenphonetischerSchreibweiseundbegriffli-cher Semantik wird zu Ende geführt.

NebendemSprechenundseinerNiederschriftgibtesdasRechnen,dieManipulationvonsyntakti-schenZeichenundSymbolen.Bekanntlichläßtsichüber das Rechnen nichts erzählen. Rechnen ist Schrei-benundunterliegtstärkerdenGesetzenderSchriftdennderRedeundihrerNiederschrift.Mathematikund Rechenkunst erzählen keine Geschichten – auchwennsieselbstinGeschichtenverstricktsind.DurchihreOperationalitätundÖkonomiemachensieje-doch Geschichte.

Mathematische Strukturen und deren Institutionenbzw.ImplementierungensindmitdererzählbarenGeschichte – d.h. der Menschheitsgeschichte – nichtverwoben, sie scheinen über ihr zu schweben. Sie ha-ben zwar durchaus ihre Geschichte, etwa die Entwick-lungsgeschichtederZahlentheorie,dochläßtsichüber die Arithmetik der Zahlen nichts erzählen. Daherlassen sich in ihr selbst auch keine Fragen stellen, etwanachdemWoherundderLegitimationmathemati-scher Grundformen. Gewiß kann, wie etwa in der Phi-losophie der Mathematik oder in der Metamathematiküber die Mathematik gesprochen werden.

Etwas Neues wäre es, wenn das Rechnen selbst er-zählbarunddasErzählenselbstrechenbarwürde.Dies könnte gelingen, wenn beispielsweise eine Viel-zahlvonqualitativverschiedenenZahlensystemeneingeführtwürden.DasRechnenimjeweiligenZah-lensystem würde weiterhin stumm vollzogen werden,derÜbergangjedochvoneinemZahlensystemzumandern müßte kommentiert, erzählend motiviert wer-denundkönnte,dadasRechnennurinnerhalbderZahlensysteme geregelt ist, nicht selbst wieder berech-net werden. Es kann also, werden nicht Schriftsystemeeingeführt, die jenseits der Dichotomie von Rede undSchrift lokalisiert sind, wie etwa die Kenogrammatik,nur erzählt und nicht mehr berechnet werden wie Zah-lenihreSystemewechseln,wohersiekommenundwelche Geschichte sie mit sich bringen.

Wäre diese Verbindung von Zahl und Begriff mög-lich,wäredieDichotomievonAnalytikundHerme-neutik so vemittelt, daß sie sich gegenseitig befruchtenkönnten und die Paralyse der gegenseitigen Abgren-zung und Tabuisierung überwunden wäre. Erst dannhätten die anspruchsvollen Visionen der KI-Forschung,Robotik und Artificial Life Projekte eine Realisierungs-

chance.

Das Denken denken

Das Tun muß sich nicht notwendigerweise auf et-was Gegenständliches und Körperliches beziehen, eskannsichauchaufdasDenkenselbstbeziehen,in-dem es seine eigenen Voraussetzungen, seine Art desZeichengebrauchsbzw.seineUnterscheidungvonRede und Schrift, von Begriff und Zahl reflektiert undtransformiert. Dies führt allerdings sehr schnell zu äus-serstnegativenErfahrungen.DasDenkendesDen-kens führt zu einem infiniten Regreß oder auchProgreß, jedoch zu keinem Abschluß. Es ist unverfäng-licher einfach zu denken oder das Denken im kyberne-tischenArtefaktwenigstenspartiellzusimulierenalsdas Denken als Denken selbst in den Griff zu bekom-men. Der so erlangte Begriff des Denkens wäre selbstwiederumnurTeildesDenkensunddasDenkenalsGanzeswärenichterfaßt.DasGödelscheTheoremsorgthierfürdieAutonomiedeskreativenmenschli-chen Denkens der Erfassung des Denkens in Symbol-systemenundsymbolischenMaschinengegenüber.Die Grenzen der menschlichen Formalisierungsfähig-keitwerdenhierzugunsteneinerextra-mundanfun-dierten Intuition akzeptiert.

Statt die Welt oder sich selbst zu verändern, wärehierdieNotwendigkeitgegeben,dasDenkenselbstzu verändern. Ein verändertes Denken jedoch würdein ungeahnterweise den Denkenden selbst und seineWelt verändern.

Komplexität vs. Eindeutigkeit mathemati-scher Schriftsysteme

Mathematische Schriftsysteme sind notwendiger-weise der Forderung an Eindeutigkeit und Identität ih-rer Zeichen unterworfen. Berechenbarkeit undStrukturbestimmungen realisieren sich einzig im Medi-um der Eindeutigkeit. Jeder Versuch auf einer basalenEbeneirreduzibleVielheit,Mehrdeutigkeit,Paralleli-tätundKooperationeinzuführen,scheitertaufgrunddieserprinzipiellenEindeutigkeitderFormalismen.Multiple Strukturen und Prozesse sind nur als abgelei-tetetheoretischeKonstruktejedochnichtalsGrund-strukturen der Formalismen definierbar.

DagegensindbegrifflicheBeschreibungenvonkomplexen Systemen, insbesondere das Denken desDenkens, das Denken selbst grundsätzlich vieldeutig,zirkulär, paradoxal.

DarausentstehtderKonfliktzwischenBegrifflich-keit und Berechenbarkeit. Solange die Kluft zwischenBegriffundZahlnichtvemitteltist,bleibendieVisio-nenkünstlicherIntelligenzundartifiziellerlebenderSysteme wie sie von der KI und der Artificial Life-For-

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Copyright Dr. Rudolf Kaehr 27

schung intendiert werden prinzipiell unrealisierbar.Von mathematischer Seite sind hier die Angebote

der Fuzzylogik, der verschiedenen Theorien selbstor-ganisierender und chaotischer Systeme usw. zu nen-nen, die von Seiten begrif f l ich arbeitenderSystemtheoretiker in ihrer Metaphorik aufgenommen,ge- und verbraucht wurden.

Die Grundsituation, daß die komplexen begrifflichfundiertenEinsichtenindasVerhaltenvonSystemenim Prozeß der Operationalisierung nivelliert werden,bleibt dabei unverändert bestehen.

Kompliziertheit vs. Komplexität

Es wird gesagt, ein System sei komplex, seine Kom-plexität sei reduzierbar, erzeuge Paradoxien; ein Sy-stemseikomplex,wenneseinegrosseAnzahlvonElementen aufweise, die in einer grossen Zahl von Be-ziehungenzueinanderstehenkönntenusw.VonderKomplexitäteinesSystemswirdsogesprochen,alswäresieeineEigenschaftdesSystems,dieerhöhtoder reduziert werden kann. Durch diese PrädikationwirdzwangsläufigeinedichotomisierendeLogikin-duziert.DasPrädikat„komplex“trifftdabeiaufdasSystem zu oder nicht – tertium non datur. Von welchemStandpunkt aus diese Prädikation vollzogen wird, istim Sprachrahmen dieser Logik selbst nicht mehr formu-lierbar. Der Standpunkt von dem aus eine Prädikationvollzogen wird, muß nicht berücksichtigt werden,denn nicht er, sondern das System ist Thema der Prä-dikationundesgilt,daßeskomplexistodernicht.DieshatGültigkeitfürjedenmöglichenStandpunktderBeschreibungdesSystems.Wäredemnichtso,wäre ja die Prädikation „komplex“ rein subjektiv undder Willkür unterworfen. D.h. ein System könnte dannfür den einen komplex und für den anderen nicht kom-plex sein. Die Logik, die die Prädikation regelt ist eineLogik ohne ein Subjekt, das denkt oder spricht. Sie giltfür einen und nur einen allgemeinen formalen Zusam-menhang (Kontextur); sie wird daher als mono-kontextural bestimmt.

NunentsprichtesgeradederalltäglichenErfahr-ung,daßkeinallgemeinerundverbindlicherStand-punkt gefunden werden kann, und daß für den einenein System als komplex und für den anderen das glei-che System als nicht komplex erscheint. Beide wollenmiteinanderkooperieren,sindaberausgutenGrün-dennichtbereitihrenStandpunktaufzugeben.Stattsich nun mit Wiedersprüchen, Paradoxien und ande-ren Unvertäglichkeiten zufriedenzugeben, scheint essinnvollzusein,nacheinerLogikzufragen,diemitverschiedenen, gegensätzlichen und miteinander ko-operierenden Standpunkten bzw. Kontexturen zu ar-beiteten in der Lage ist.

Vom Standort der polykontexturalen Logik – einerLogik, die mit einer Vielheit von Kontexturen arbeitet –ist das Wort „komplex“ nicht einfach ein Adjektiv wie„rot“ oder „bitter“, sondern ein Reflexionsbegriff, d.h.einvoneinemStandpunktabhängigerBegriffwie„oben – unten“, „links – recht“, „qualitativ – quantita-tiv“,„offen–geschlossen“.EsgibtwenigSinnetwaprädikativ zu sagen 'die Kirche steht links' ohne dabeidenStandortmitanzugeben,vonwoausdieKirchelinks und nicht rechts steht. Das Komplementärwort zu„Komplexität“ ist danach nicht „Einfachheit“, sondern„Kompliziertheit“, bzw. „Komplikation“. KomplexitätisteinqualitativerundKompliziertheiteinquantitati-ver systemtheoretischer Begriff.

Komplexität gibt an wie viele irreduzible Qualitä-ten bzw. Kontexturen im Spiel sind. Jede dieser Kon-texturen besitzt ihre eigene Logik und Arithmetik undihre Regeln des Zusammenspiels mit ihren benachbar-ten Kontexturen. Da diese zugleich gelten ist die Ord-nungzwischendenKontexturennichthierarchisch(untergeordnet), sondern heterarchisch (nebengeord-net).

DieKompliziertheitisteinMaß,dasangibt,wie-vieleVariableninnerhalbeinerjeweiligenKontexturzurBeschreibungderquantitativenVerhältnissedesSystemsbenötigtwerden.DieKomplexitätgibtan,wieviele unabhängige Standpunkte bzw. Kontexturenim Spiel sind.

Kontextur vs. Kontext

Unter logischer Kontextur [Kontextur (veraltet) Ver-bindung,Zusammenhang]„istfolgendeszuverste-hen: Die klassische Logik als geschlossene Kontexturist ein zweiwertiges System, das durch die Prinzipiender irreflexiven Identität, des verbotenen Wider-spruchsunddesausgeschlossenenDrittenbestimmtist. Was dieses System nun zur Kontextur in dem vonuns intendierten Sinne macht, ist ein zusätzliches Po-stulat, das dem 'tertium non datur' attachiert werdenmuß. Wir stipulieren nämlich, daß die Alternative vonAffirmation und Negation so universal sein muß, daßsiedurchkeinenhöherenBestimmungsgesichtspunktvon Positivität und Negativität in der denkenden Refle-xion Überboten werden kann.

Das bedeutet, daß der Regreß der Formalität, wasseinen Inhalt betrifft, unendlich ist; als logisches Struk-turgebilde ist aber ein solches System formal endlich.EshateineStrukturschranke,dienichtübersteigbarist,denndieHierarchiedermöglichenFormulierun-gen des 'tertium non datur' verändert und erweitert janicht die Struktureigenschaften des Systems.

Unter Kontextur verstehen wir also einen zweiwer-tigen Strukturbereich, dem zwar durch seine Zweiwer-

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Polykontexturalitätstheorie und Paradigmenwechsel

28 Copyright Dr. Rudolf Kaehr

tigkeit eine strukturelle Schranke gesetzt ist, dessenInhaltskapazität und Aufnahmefähigkeit jedoch unbe-grenzt ist.“

„Und da Einheit sich auf zweierlei Weise behan-deln läßt, je nachdem, ob sie im Bereich der Qualitätoder im Bereich des Quantums auftritt, war es notwen-dig, einen operativen Begriff einzuführen, der die Dif-ferenzvonQualitätundQuantitätzuüberbrückenfähigist.DarinbestehtdieFunktionderKontextur-idee. Universalkontexturen repräsentieren erstensqualitative Unterschiede und zweitens sind sie als sol-che Einheiten.“ (Gotthard Günther, Bd.2, 277)

• Zur Polykontexturalität - Es wird also nicht eine Differenz, eine Unterschei-

dung eingeführt wie im Calculus of Indication von G.Spencer Brown, sondern simultan eine Vielheit von zu-gleich geltenden Differenzen.

-DieDifferenzzwischenOperatorundOperandist nicht konstitutiv, denn eine Operation ist immer ein-zigbestimmtalsOrdnungsverhältniszwischenOpe-rator und Operand, es gibt im logozentrischenKonzept von Operation und Operativität keinenWechsel zwischen Operator und Operand.

- Ebenso kommt die Operativität eines Operatorsnie zur Inskription; die Operativität erlischt im Produktder Operation.

- Kontexturen sind Sammelbecken für Kontexte be-liebiger Komplexität und Kompliziertheit.

Polykontexturalitätstheorie und Paradig-menwechsel

In der Spannung zwischen Enttäuschungen überdie Leistungsfähigkeit bestimmter quantitativer undformaler Methoden einerseits und Erwartungen ge-genüber holistischen Ansätzen andererseits, entstan-den in den letzten Jahrzehnten verschiedeneLeitbegriffe wie Ganzheitlichkeit, Rekursivität, Kom-plexität, Selbstreferentialität. Die neuen Begriffe wek-ken durchaus berechtigte Hoffnung, lassen es bisheroffen, wie sie einer akzeptablen Explikation und einernicht-reduktionistischen Operationalisierung zugäng-lich zu machen sind.

Diese Situation ist nicht neu: Strukturelle Probleme,diesichbereitsinderQuantenmechanik,(Meta)ma-thematik, Philosophie und den Sozialwissen schaftenzeigten,warendortjedochnurfürSpezialistenvonBedeutung. Neu dagegen ist, daß sich seit etwa densiebzigerJahreneinbreiterbegrifflicherKataloganKonzepten, Argumentationen und Formalisierungsan-sätzen ausdifferenziert hat, der es vereinfacht, diesetendenziell transklassischen Begrifflichkeiten zu ana-lysieren,gegeneinanderabzugrenzen,miteinanderzu verbinden ohne dabei die grundsätzliche Intention

einerÜberwindungmechanistischerImplikationenaus den Augen zu verlieren.

Beispielhafte Gegenüberstellung klassi-scher und transklassischer Begriffe

Soll der paradigmatische Umbruch anhand derterminologischen Neubesetzung skizziert werden, soergibt sich folgendes Bild:

Monotonie vs. Selbstreferentialität Hierarchie vs.Heterarchie,Komplexität

Heterologie vs. Autologie, Zirkularität vs. ChiasmusEindeutigkeit vs.Ambiguität,Amphibolie,

irreduzible PolysemieBeweisbarkeit vs. Antinomie Vorhersagbarkeit vs. Emergenz Selbstorganisation vs. AutopoieseExo-- vs. Endo-DeskriptionMono- vs. PolykontexturalitätMechanismus vs. HolismusLinearität vs. Tabularität

Ein Katalog zeitgenössischer Richtungen zum Paradigmenwechsel

Zur Erinnerung an die Fülle der seit den siebzigerJahrenentstandenenverschiedenenAnsätze,diezueiner Überwindung der oben aufgelisteten Gegensät-ze ansetzen, sollen hier erinnert werden:

1.TheorieautopoietischerSysteme(Maturana, Varela)

2. Synergetik (H. Haken), Theorie dissipativer Systeme (Prigogine)

3. Theorie der Selbstorganisation und Emergenz4.Second Order Cybernetics: Konversationstheorie (G. Pask), Theorie des Beobachters (H. v. Foerster), Autologie und Komplementarität (L. Löfgren))5. Radikaler Konstruktivismus (von Glasersfeld)6. Polykontexturalitätstheorie transklassische

Logik (G. Günther)7.TheoriederBeschreibunginEndophysikund

Quantenlogik (Primas)8. komplexe Systemtheorie (R. Rosen)9. Hierarchie-Theorie (Pattee)10. Theorie des Unterscheidens (Bateson,

Spencer Brown, Luhmann)11. Holismus (v. Bertalanffy, Spann)12. Dekonstruktivismus (Derrida, Culler)

Leider bleiben diese Ansätze weitgehend partiellund lokal und scheitern spätestens am Anspruch einerOperationalisierungundFormalisierungihrerbasa-len Begrifflichkeiten. Ebenso sind sie nicht in der Lage

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Copyright Dr. Rudolf Kaehr 29

ein umfassendes und integratives konzeptionelles Mo-dell zu entwerfen, das einer inter- und transdisziplinä-ren Forschung als Leitfaden, Orientierungs- undVerständigungsmodell bzw. als neues Paradigma die-nen könnte.

D.h.sieerfüllennurpartiellelementareKriterientransklassischer, d.h. anti-reduktionistischer und kom-plexerBegriffsbildungwiedieder„Erzählbarkeit“,Formalisierbarkeit, Implementierbarkeit und der Rea-lisierbarkeit.

Ein Kriterium für die Relevanz eines neuen Form-konzepts ist die Frage nach seiner Einbettbarkeit imSprachrahmen des Logozentrismus.

IchunterscheidedabeizweiStrategiena)dieSi-mulation b) die Subversion bzw. die Dekonstruktion.Zur Simulation gehören die Konzepte ‚Katastrophe‘,‚re-entry‘,‚Synergetik‘,zurDekonstruktionzähleich‚différance‘ und ‚proemial relationship‘, ‚Keno-gramm‘, ‚Kontextur‘.

Second Order Cybernetics und Polykontex-turalitätstheorie

Ist im deutschsprachigen Raum Kybernetik einetechnische Wissenschaft der informationellen Steue-rung und Regelung von Systemen in Absehung der Ak-tivität des Designers, so unterscheidet sich dieamerikanische Second Order Cybernetics – aberauch die ehem. sowjetische – radikal von dieser da-durch, daß sie eine Reflexion auf die logisch-strukturel-len Grundlagen einer Einbeziehung des Designers indie Beschreibung von lebenden Systemen in Gang ge-setzt hat.

Diese Arbeiten wurden in den sechziger und sieb-zigerJahrenam„BiologicalComputerLaboratory“(BCL) der Universität von Illinois in Urbana, USA,1956-1974geleistetundhabeneinenParadigma-WechselinderallgemeinenkybernetischenSystem-undStrukturtheorieeingeleitet,dererstheuteseineAuswirkungen zeitigt.

Gemeinsam am BCL sind entstanden: die SecondorderCybernetics (HeinzvonFoerster,LarsLöfgren,GordonPask),die TheorieautopoietischerSysteme(H. Maturana, F. Varela) und auch die Theorie poly-kontexturalerSysteme (GotthardGünther).Dazuge-hören auch die Pionierarbeiten zur Kybernetik,Systemtheorie,Selbstorganisationstheorie(Ashby)und der „Neuroinformatik“ (damals: Bionik).

Konstruktivismus und die Theorie auto-poietischer Systeme

Beide haben viel zur Klärung der Standpunktab-hängigkeit unseres Wissens geleistet indem sie die Sy-stemtheorie um eine Theorie des Beobachters ergänzt

haben. Es ist nicht grundsätzlich gelungen, den durchdie Einführung des Beobachters induzierten Solipsis-mus- und Relativismusverdacht zu entkräften. DerHauptgrund für diesen Mangel besteht darin, daß esdem Konstruktivismus und verwandten Theorien nichtgelungenist,denBeobachterselbstzurelativieren.Die Beobachtertheorie geht formal von einem und nureinem Beobachter aus. Dieser eine und einzige Beob-achter läßt sich zwar in seinen Beobachtungsfunktio-nen iterieren indem er Beobachtungen von Beo-bachtungen usw. generiert. Doch die Beobachterzweiter, dritter usw. Stufe folgen einander sukzessiv,sie sind nicht zugleich als Beobachter gleicher Stufe inAktion. Nur wenn mindestens zwei Beobachtergleichwertigbzw.gleichursprünglichsimultanundparallel agieren, haben sie die Möglichkeit die Relati-vitätihrerjeweiligenStandpunktegegenseitigzure-flektieren.

Die Möglichkeit der Ent–deckung des blindenFlecksistinderPolykontexturalitätstheoriedadurchgegeben,daßzurBestimmungeinesObjektseineVierheit von Positionen im Spiel ist, die sich gegensei-tigundgegenläufigdieMöglichkeitenderEnt–dek-kung der jeweiligen Ver–deckung zuspielen.

In den neueren Arbeiten Luhmanns ist diese Prob-lematik aufgenommen worden und es wird eineVerteilungderBeobachtervorgeschlagen,einerseitsinderZeitdimensionundandererseitsimsozialenRaum.DamitverlagertsichdieProblematikvonderTheoriederBeobachtungindieTheoriederVoraus-setzungen der Beobachtung; nämlich in die Problem-atikvonRaumundZeit.Diesekönnenjedochnichtproblemlosvorausgesetztwerden,sondernsindsel-berwiederabhängigvonderOperationderBeob-achtung.

In der KI-Forschung wird etwa die Mehrsorten-Lo-gik zur Einführung von Kontexten untersucht. Sie bieteteinen gewissen Spielraum für verschiedene BereicheundParallelismen,verbleibtjedochimRahmendermonokontexturalenLogik.D.h.dieMehrsorten-Logikhat keine höhere logische Ausdruckskraft als eine ein-sortige, sie ist durch diese modellierbar.

Es ist das allgemeine Dilemma monokontexturalerFormalismen, Kalküle und Programmiersprachen,daß ihre konzeptionelle Vielheit immer formal auf Ein-heit reduzierbar ist.

DiepolykontexturaleLogikbietetdenSprachrah-men zur Formulierung, Formalisierung und Implemen-tierungsolcherkomplexerparadoxalerundselbst-bezüglicherBegriffsbildungen.Sowirdsieinavan-cierteren europäischen Arbeiten im Bereich der Robo-tik, zur Modellierung von Multi-Agenten eingesetzt.

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Zur Logik der Vexierbilder

30 Copyright Dr. Rudolf Kaehr

Zur Logik der Vexierbilder

Kippbilder werden immer wieder als Beispiele an-gegeben,umOszillationen,SelbstorganisationundAmbivalenzenjeglicherArtzuillustrieren.Hiersollnichtderinformationstheoretischeodergestaltpsy-chologische Effekt beschrieben werden, sondern bei-spielhaft der Mechanismus der Einbeziehung desBeobachtersindieBeobachtunggezeigtwerden.Welche Standpunkte müssen eingenommen werden,damitderProzeßdesKippensvollständigbeschrie-benist?EssollalsonichteineexterneBeschreibungdes Kippverhaltens, sondern die immanenten Mecha-nismen unter Einbeziehung des Beobachtungsprozes-ses skizziert werden. Vexierbilder fungieren dabei alsIllustrationeinfachster,nämlichzweiseitigerReflexi-onsbegriffe.

Es soll hier dafür argumentiert werden, daß derMechanismus des Oszillierens bzw. der Symmetrie-brechung einer Zwei-Seiten-Form zur vollständigenStrukturbeschreibung insgesamt sechs Standpunktebzw. Thematisierungen involviert.

Beispiel: die Vase/Gesicht-Figur1. Thematisierung der ersten Hälfte (= Vase)2. Thematisierung der zweiten Hälfte (= Gesicht)3. Kippverhältnis von 1. und 2. (Vase/Gesicht)4. Thematisierung der Inversion von 1. und 2.

(Gesicht, Vase)5. Kippverhältnis von 4.1 und 4.2 (Gesicht/

Vase)6. Verhältnis der Kippverhältnisse 3. und 5.

((Vase/Gesicht)/(Gesicht/Vase))

1.Zur Beschreibung der Wahrnehmung der FigurbeginnenwirwillkürlichmitderThematisierungdesBildes als Vase. Die Vase läßt sich prädikativ beschrei-ben, sie hat eine gewisse Kompliziertheit. Das Gesichtbleibt latent, es ist der bewußten Wahrnehmung ver-borgen.DerEinfachheitwegenseidieVaseaufderrechten Seite.

2. Wegen der Instabilität der Zwei-Seiten-Form istdie Wahrnehmung gekippt: es wird jetzt das Gesichtwahrgenommen und beschrieben.

3.BeideBeschreibungensindgleichwertig.Dieswirdvom3.Standpunktauserkannt.ErliefertdasScharnier des Kippverhaltens. Von ihm aus wird wahr-genommen, daß sich die Focussierung wieder wech-selt, nun von links nach recht, vom Gesicht wieder zurVase.DieserWechselistsukzessivundmachtdie(rechtsläufige) Oszillation der Wahrnehmung aus.

4. Für die Figur selbst ist es irrelevant, ob erst dierechte und dann die linke Seite thematisiert wird. DerKreis in 3. kann genau so gut auch entgegengesetzt

ablaufen.SimultanzurWahrnehmungdesGesichtskanndieVasewahrgenommenwerdenundumge-kehrt, jedoch nicht vom 3. Standpunkt aus.

5. Die Situation des 3. Standpunkts wird hier inversdargestellt. Das Spiel beginnt von links, vom Gesichtaus.

6. Die Standpunktinvarianz des Kippverhaltenswird von der 6. Position aus registriert, d.h. hier wirddie Gleichwertigkeit und Simultaneität der 3. und 5.Position abgebildet. Hier wird die Differen der Diffe-renzen von Vase und Gesicht dargestellt. Die Zirkula-rität wird unabhängig von der durch den Beobachterbestimmten Rechts- bzw. Linsksläufigkeit notiert. Somitist die Figur wie auch die Tätigkeit des Observers, d.h.die Observation strukturell vollständig beschrieben.

Durch den Durchgang durch alle strukturell mögli-chen 'subjektiven' Beschreibungen durch den Obser-ver wird das Objekt der Beschreibung 'objektiv', d.h.observer-invariant 'als solches' bestimmt. Das Objektist also nicht bloß eine Konstruktion der Observation,sondernbestimmtselbstwiederumdieStrukturderSubjektivität der Observation durch seine Objektivitätbzw. Objektionalität. Der auf diesem Weg gewonne-ne Begriff der Sache entspricht dem Mechanismus desBegriffs der Sache und wird als solcher in der subjekt-unabhängigen Morphogrammatik inskribiert.

Chiasmus vs. Zirkularität: Nicht jeder Kreis geht rund

Am Beispiel der Kippfigur ist einsichtig geworden,wiesichSelbstbezüglichkeitbzw.dieEinbeziehungdes Beobachters in den Prozeß der Beobachtung, dasHauptanliegenderSecondOrderCybernetics,ein-führenläßt,ohnedaßdabeiaufZirkularitätgesetztwerden muß. In einer allgemeineren philosophischenTerminologie, läßt sich der Mechanismus des Selbst-bezugsanhandderBegriffe„Operator,Operand,Ort“ darlegen.

PrädikativeArgumentationen–kodifiziertinderPrädikatenlogik und den logischen Programmierspra-chen – , und diese bestimmen die abendländische Ra-tionalität, haben den Vorteil, daß sie das Objekt, dassieprädizierenletztlichimmerschonvoraussetzenkönnen;kulturgeschichtlichmachtdiesihreErd-undMenschengebundenheit aus. Anders ist die Situationim'freienRaum',hiermußallesgesetztundnichtskann vorausgesetzt werden. D.h. was Grund und wasBegründetes ist, muß chiastisch vermittelt werden. DieMetapher des freien Raumes ist gewiß nicht bloß aufextra-terrestrische Situationen bezogen, sondern trifftzuaufjedeeinfacheVorausgesetztheitirdischenUr-sprungs. Dies kann sein der Markt, die Produktbezo-genheit,dieMenschheit,Zeichensysteme,Zukunft

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oder Komplexität und Sinn.

•Grund, Begründetes, Ort, Operation und Vier-heit

Was Grund und was Begründetes ist, wird gere-gelt durch den Standort der Begründung. Der Wech-seldesStandortesregeltdenUmtauschvonGrundundBegründetem.EsgibtkeinenausgezeichnetenOrtderBegründung.JederOrtderBegründungistGrund und Begründetes zugleich. Orte sind unterein-ander weder gleich noch verschieden; sie sind in ihrerVielheit voneinander geschieden. Für die Begründungeines Ortes ist eine Vierheit von Orten im Spiel. War-um jedoch eine Vierheit von Orten? Diese läßt sich insSpiel bringen, wenn wir die Möglichkeiten der Ope-rativitäteinerOperationuneingeschränktgeltenlas-sen.

Bei einer Operation unterscheiden wir OperatorundOperand.ZwischenbeidenbestehteineRang-ordnung, der Operator bezieht sich auf den Operan-den und nicht umgekehrt. Diese Hierarchie istbestimmend für alle formalen Systeme und erfüllt dieBedingungenlogozentrischenDenkens.WollenwiraberselbstbezüglicheStrukturenerfassen,sohabenwir vorerst zwei zirkuläre Möglichkeiten: 1. was Ope-ratorwarwirdOperandund2.wasOperandwarwird Operator. Unter den logischen Bedingungen derIdentitäterhaltenwirdadurchzweikomplementäreantinomische Situationen. Obwohl zwischen Opera-tor und Operand eine Dichotomie besteht, ist danacheinOperatorgenaudannOperator,wennerOpe-rand ist und ein Operand genau dann Operand wenner Operator ist.

DiesedoppelteWidersprüchlichkeit,diewegenihrerIsomorphiemeistensnichtunterschiedenwird,läßtsichvermeiden,wennwirdieUmtauschverhält-nisse zwischen Operator und Operand über verschie-dene logisch-strukturelle Orte verteilen. DiesenMöglichkeitsspielraumeröffnetunsdieErweiterungderUnterscheidungvonIdentitätundDiversitätzurkomplexen Unterscheidung von Selbigkeit, Gleichheitund Verschiedenheit.

WasOperatoraneinemOrt,istOperandanei-nem andern Ort und umgekehrt. Damit wird die Um-tauschrelation zwischen Operator und Operand nichtauf sich selbst, am selben Ort und damit zirkulär ange-setzt, sondern über verschiedene Orte distribuiert. Amjeweiligen Ort bleibt die Ordnungsrelation zwischenOperatorundOperandunberührt.DerchiastischeMechanismus läßt sich bzgl. Umtausch-/Ordnungsre-lation und Operator/Operand zusammenfassen: DieOrdnungsrelationzwischenOperatorundOperandeiner Operation wird fundiert durch die Umtauschre-lation, die der Ordnungsrelation ihren jeweiligen Ort

einräumt;dieUmtauschrelationzwischenOperatorund Operand wird fundiert durch die Ordnungsrelati-on, die verhindert, daß sich der Umtausch zirkulär aufsich selbst bezieht.

Wie leicht einsichtig, werden in diesem Chiasmusvier Orte eingenommen bzw. ge-/verbraucht. Damitsind alle strukturellen Möglichkeiten zwischen Opera-tor und Operand im Modus von Gleichheit und Selbig-keit durchgespielt. Deshalb, und weil mit derUnterscheidungOperator/OperandeineElementar-Kontextur bestimmt ist, beginnt die PolykontexturalitätnichtmitEins,sondernmitVier;daherhierdieVier-heit.

ANHANG (aus SNF-Antrag)

Zur Problematik der logisch-strukturellen KOMPLEXITÄT und ANTIZIPATION

Die Erforschung komplexer Systeme im Sinne vonROSEN (1985, 1986), d.h. nicht zu verwechseln mitder Theorie komplexer Systeme und Selbstorganisa-tion im Sinne von SERRA, ZANARINI (1987), istnicht nur in einer ersten Konzeptionalisierungsphase,sondern grundsätzlich mit nahezu unlösbaren Pro-blemen konfrontiert. Geht es doch darum ein nicht-physikalistischen Zeitbegriff als Grundlage neuerFormalismen zu etablieren, der es ermöglicht, dieEinwirkung der „Zukunft in die Gegenwart“ , alsoAntizipation, zu denken. Damit ist ein genuin human-ökologisches Problem anvisiert, denn die bestehen-den systemtheoretischen Modelle (Forrester)behandeln Zukunft nur als abgeleitete Extrapolation.Umweltbewußtsein heißt aber, die Zukunft in der Ge-genwart, als Gegenwärtigkeit der Zukunft, denkenzu können.

Es stellt sich die Frage, wie eine Logik beschaffensein muß, um für die formale Modellierung komple-xer Systeme und den darin auftretenden Intransitivi-täten, Komplementaritäten und Heterarchien einadäquates Organon abzugeben zu können.M.a.W., wie muß eine Logik konzipiert sein um etwaden Problemen der formalen Intransitivität praxeolo-gischer Entscheidungen – z. B. Präferenzhandlungen(ARROW 1956) – genügen zu können?

Es ist eine der wichtigsten Leistungen der BCL-Au-toren (v. Foerster, Löfgren, Günther), daß sie gese-hen haben, daß die Problematik der Komplexität undAntizipation nicht mit klassischen Mitteln angegan-gen werden kann, sondern eine Transformation imBereich des Logischen und der Ontologie verlangt.

Daß es sich dabei um Probleme der Logik han-delt, zeigt sich auch an dem Beispiel von BRAND

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Die Option der Polykontexturalitätstheorie

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(1980). Die Analyse komplexer Systeme - in seinemFall das internationale politische System (Weltmo-dell) - führt bei einer konsequenten Durchführung aufGrundlagenfragen der Logik.

Ein Kontext eines komplexen Systems wird nachihm durch ein Boolesches Modell beschrieben. Daein komplexes System nicht durch einen einzigenKontext vollständig beschrieben werden kann, reichtein Boolesches Modell für seine logische Deskriptionnicht aus. Daher werden mehrere Boolesche Modellehöherer Ordnung eingeführt. Brand betont, daß „dieInkompatibilität zwischen den ursprünglichen Kon-texten nicht aus der Welt geschafft werden können,aber die Kontexte werden in dem neuen, reicherenKontext bequemer handhabbar, ...“ (Brand, p. 13).Was sich abspiegelt, ist eine sukzessive Aufhebungvon Komplexität in Booleschen Modellen höhererOrdnung im Sinne etwa der Russell/Whitehead-schen Typentheorie, d.h. durch Hierarchisierung.„Auf einer hierarchisch höheren Ebene erhält mandabei eine klassisch logische Beschreibung, die aufder niedrigeren Ebene allein nicht möglich ist“.(Brand, p. 13)

Obwohl Brand ausdrücklich Komplexität nichtvernichten, sondern trotz ihrer Inkompatibilität Kon-texte nur „aufheben“ möchte, läßt sich leicht zeigen,daß dies mit Hilfe der Typentheorie , wegen denTheorem der Typenreduktion, nicht zum Ziel führt.

Obwohl bei der Typenreduktion die Ausdrucks-fähigkeit der reduzierten Sprache erhalten bleibt,geht die Hierarchisierung in Typen verloren. Die Ty-penreduktion besagt gerade, daß alles, was in ei-nem komplexen System zur Darstellung kommt, auchin einem homogenen System untergebracht werdenkann.

Selbst wenn man auf die Typenreduktion verzich-tet und von der vollen Typentheorie und ihrer Spra-chenhierarchie ausgeht, läßt sich das Subjekt desBetrachters nicht in das System einbeziehen, da dieHierarchie nicht abschließbar ist und jede n.-Stufebezüglich der n+1. -Stufe zum Objektbereich des Be-obachters wird. Das Subjekt wird also sozusagen insUnendliche abgeschoben. Dies steht klar im Wider-spruch zur Behauptung, daß ein System nicht ansich, sondern für einen Beobachter komplex ist.

Brand sieht zwar, daß die Einbeziehung des Be-obachters in die Beobachtung gegen das Prinzip derObjektivität verstößt übersieht jedoch, daß die Boo-lesche Logik und die Typentheorie gerade die Logikder Objektivität sind. Die Einbeziehung des Beob-achters in die Beobachtung entspricht einem Para-digmawechsel, denn das klassische Paradigma wirdgerade durch Ausschluß von Subjektivität zugunstender Objektivität definiert.

Das Problem der Hierarchisierung hätte statt mitder Typentheorie und ihrer Hierarchisierung der Prä-dikationsfunktion auch mit einer mehr-sortigen Logik,mit einer Kontxtlogik oder sonst einer Logik, die eineTypisierung zuläßt angegangen werden können.

Von einem rein praktischen Standpunkt aus ist dieEntscheidung für eine der genannten Logiken legitim,denn es gibt heute noch kein allgemein anerkanntesLogiksystem, das in der Lage ist, komplexe Denk- undHandlungsbegriffe, d.h. kognitive und volitive Kon-zepte gleichrangig nebengeordnet und nicht sub-sumtiv, sondern heterarchisch zu konzeptualisieren.Als Kandidat einer solchen komplexen Logik gilt wei-terhin die poly-kontexturale Logik (GÜNTHER 1976,1978, 1979, 1980).

Die Option der Polykontexturalitätstheorie

Hauptthese der Polykontexturalitätstheorie im Zu-sammenhang mit den konzeptionellen Problemender Humanökologie:

Selbstbezüglichkeit und irreduzible Polysemie(DERRIDA 1967), also Komplexität, sollen nicht zir-kulär und rekursiv im Modus der Identität (VON FO-ERSTER 1977) hierarchisch, sondern chiastisch(OLSSON 1991) und polykontextural (GÜNTHER1970, KAEHR 1976, 1981, 1992) , d.h. verteiltüber mehrere Kontexturen einer Verbundkontextur,modelliert werden. Damit werden die logischen An-tinomien der Zirkularität vermieden, ohne daß dabeidie genuine Selbstrückbezüglichkeit der Begriffsbil-dung geopfert werden muß.

Die Theorie der Polykontexturalität (Polykontextu-rale Logik, Morphogrammatik, Kenogrammatik, Dis-seminatorik, u.a.) hat sich nach Erfahrung desAntragstellers vielseitig bewährt, die oben erwähn-ten Ansätze zu einer komplexen Systemtheorie zu in-tegrieren, aufeinander zu beziehen und konzeptuellund operational abzudecken (DITTERICH 1990,KAEHR 1992).

Eine Formalisierung polykontexturaler Zusam-menhänge kann nicht durch intra-systemische Erwei-terungen einer monokontexturalen Logik realisiertwerden. Formale Systeme müssen sich als Ganze ineine Erweiterung einbeziehen lassen, d.h. es mußeine Vielheit von Logiken zugelassen werden. DieseVielheit der distribuierten Logik-Systeme muß zu ei-ner komplexen Ganzheit, einer Verbund-Kontextur(Polykontexturalität) vermittelt werden.

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Skizze der Konstruktion

Disjunkte Logik-Systeme sollen über eine Index-menge distribuiert werden, ein ausgezeichnetes Sy-stem übernimmt die Rolle des Basissystems. Was nunlokal als Wiederholung des Basissystems über ver-schiedenen Indizes eines logisch-strukturellen Rau-mes erscheint, zeigt global Struktureigenschaften,die dem einzelnen Logik-System lokal fremd sind.

Dabei fungiert die Ausgangslogik als typischesSystem der Distribution. D.h. zum Beispiel, daß dieklassische Logik mit ihrer Zweiwertigkeit über ver-schiedene logische Orte distribuiert wird. Dabei er-halten die verteilten Logiken je Ort eine Indizierungihrer von der Ausgangslogik vererbten Wahrheits-werte. Bei diesem Mechanismus der Distribution (Fa-serung) wird die Ausgangslogik gebraucht, um dieVerteilung zu konstruieren. Sie wird dabei selbstnicht thematisiert und fungiert bloß als Ausgangssy-stem der Distribution. Ihre Selbst-Thematisierung, dieaus Gründen der Vollständigkeit der Konstruktionvollzogen werden muß, kommt in einer außerlogi-schen Ebene (Morphogrammatik) zur Darstellung.Denn die Ausgangslogik hat als solche den IndexNull. Nur so kann sie typisch für die distribuierten Lo-giken sein. Die Abstraktion von den Werten, d.h.jetzt von den indizierten Werten - allg. von der Satz-bzw. Regelstruktur der Ausgangslogik -, erzeugt dieMorphogrammatik der Ausgangslogik. Die Morpho-grammatik erfüllt die formalen Bedingungen der Ver-mit t lung, d.h. in ihr ist die Wahrheitswert -Widersprüchlichkeit der Vermittlung, wie sie bei ei-ner direkten Vermittlung der über die verschiedenenOrte verteilten Logiken entsteht, widerspruchsfreidarstellbar, da in der Morphogrammatik von jegli-cher logischen Wertigkeit abstrahiert ist.

Sind einmal Komplexionen von formalen Syste-men komponiert, so lassen sich neue Gesetzmäßig-keiten der Reflexionsform zwischen ihnen und ihrenKomponenten, den Elementar-Kontexturen, feststel-len.

Die Distribution und Vermittlung klassischer Logi-ken, ihre Dissemination bedeutet vorerst, daß dieeine klassische Logik als typisches System über eineVielzahl von logischen Orten verteilt ist. An jedemdieser Orte gilt die klassische Logik lokal. D.h. dieklassischen logischen Gesetze bleiben bei der Distri-bution intakt. Sie wiederholen sich an jedem Ort undüben dort ihre Gültigkeit aus. Es wird also nicht nurkein Gesetz der klassischen Logik amputiert, sondernverschiedene Verflechtungen dieser nun distribuier-ten Gesetze bereichern den Formalismus. Zu denklassischen Gesetzen, die je auf einen Ort bezogenihre lokale Gültigkeit haben, kommen die neuen

transklassischen logischen Gesetze hinzu, die simul-tan zwischen den Orten gelten, also die Gesetze derTransjunktionen und des non-monotonen Schließens.

Chiasmus von Kontext und Kontextur

Zwischen verschiedenen Kontexturen und zwi-schen Kontexturen und Kontexten besteht kein hierar-chisches Grundverhältnis. Vielmehr besteht einheterarchisches Wechselspiel von Kontexturen undihren jeweiligen Kontexten, so daß ihre Funktionali-tät als Kontextur bzw. Kontext wechselseitig ineinan-der übergehen kann. Damit werden die Kontexte zuKontexturen erhoben und erhalten ihre eigene Logik.Diese kann selber wiederum eine Basis für Kontexteabgeben. Der inverse Vorgang, daß Kontexturen alsKontexte fungieren, ist auf Grund des Wechselspielszwischen Kontexten und Kontexturen Teil des Forma-lismus und ermöglicht so auch das systemische Zu-gleichbestehen von Kontext und Kontextur. (KAEHR1989,1993, KAEHR / V. GOLDAMMER 1988,1989)

Lektüre zur Thematik

G. Günther „Beiträge zur Grundlegung einer ope-rationsfähigenDialektik.“,Bd.I,II,III,FelixMeinerVerlag, Hamburg 1976, 1979,1980

G. Günther „Das Bewusstsein der Maschinen. EineMetaphysik der Kybernetik.“, Agis Verlag, Baden-Ba-den 1963

Kaehr, R.: „Disseminatorik: Zur Logik der 'SecondOrder Cybernetics'. Von den 'Laws of Form' zur Logikder Reflexionsform.“, in: Dirk Baecker (Hrsg.), Kalkülder Form, stw 1068 Suhrkamp 1993

Kaehr, R. Interview in: „Freistil oder Die Seinsma-schine.“ Mitteilung aus der Wirklichkeit von ThomasSchmidt, Sendung 1991, WDR 3, TAG/TRAUM Film-u. Videoproduktion, Weyerstr. 88, Köln

Kaehr,R.,Khaled,S.„KenogrammatischeSyste-me. Über Todesstruktur, Maschine und Kenogramma-tik.“, in: Information Philosophie, 21. Jahrgang, Heft5, Dez. 1993, Lörrach.

Kaehr,R.,Th.Mahler„Morphogrammatik.EineEinführung in die Theorie der Form.“, Klagenfurter Bei-träge zur Technikdiskussion, Heft 65, 251 S., Klagen-furt 1994

KurtKlagenfurt„TechnologischeZivilisationundtransklassische Logik. Eine Einführung in die Technik-philosophie Gotthard Günthers.“, Suhrkamp 1994

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Lektüre zur Thematik

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DISSEMINATORIK: ZUR LOGIK DER ’SECOND ORDER CYBERNETICS’

Von den ’Laws of Form’ zur Logik der Reflexionsform

1 Der Schied des Unterschieds 1

2 Die Gesetze der Form. Apophansis und Indikation 2

3 Unterscheidung und Kontextur 6

4 Die Notwendigkeit der Einbeziehung des Beobachters in den Prozeß der Beoachtung

5 Simulations do not become Realizations 8

6 Genealogie, De-Sedimentierung und die Vier 9

7 Die Orte Ludwig Wittgensteins 11

8 Orte und Polykontexturalität 12

9 Das Spiel der Spiele 12

10 Allgemeingültigkeit vs. Individualität 13

11 Semiotik und Kenogrammatik 13

12 Vom Kopf an die Tafel 14

13 Zur Proemialität des blinden Flecks 15

14 Doppelte Unterscheidung und Polykontexturalität 17

15 Einführung der Polykontexturalitätstheorie 18

16 Stellenwertlogik, Kontextwertlogik und Vermittlungstheorie 18

17 Disseminatorik und Polykontexturale Logik 20

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DISSEMINATORIK:

ZUR LOGIK DER 'SECOND ORDER

CYBERNETICS'

Von den 'Laws of Form' zur Logik der

Reflexionsform

Die Ros ist ohn warum; sie blühet weil sieblühet,

Sie acht nicht ihrer selbst, fragt nicht, obman sie siehet.

Angelus Silesius

a rose is a rose is a rose is a rose.

Gertrude Stein

1 Der Schied des Unterschieds

Die Lebendigkeit eines lebenden Systems be-stimmt sich dadurch, daß es simultan komplexe Unter-scheidungen trifft und sich zugleich zu diesen verhält.An jedem Ort der Unterscheidung ist zumindest einedoppelte Unterscheidung im Vollzug: die Unterschei-dung zwischen sich selbst als Unterscheidendem zwi-schen sich und der Umwelt und sich selbst als

Unterscheidendem zwischen anderen Unterscheiden-den, die zwischen sich selbst und ihrer Umwelt und an-derenUnterscheidendenunterscheidenunddabeisich selbst als Unterscheidende kreieren.

Dieser doppelte Unterschied ermöglicht es demLebewesenzwischenverschiedenenUnterscheidun-genzuunterscheidenundUnterscheidungenanver-schiedenen Orten in der durch seine Unterschei–dungen konstituierten Welt zu beobachten. Da diesesBeobachten selbst wieder Unterscheiden ist, verknüpftes seine Unterscheidungen mit den Unterscheidungenanderer, die für sich selbst Unterscheidungen treffen,dieihnalsUnterschiedenerundUnterscheidungentreffender betreffen.

Die jeder Unterscheidung zugrundeliegendeScheidungistderdifferenteunddifferierendeUnter-schied zwischen Hierarchie und Heterarchie des Un-terscheidens, d.h. des in sich verwobenenNacheinanders und Nebeneinanders des Unterschei-dens. Dieser Unterschied des Unterscheidens ist jederUnterscheidungvorgängigohnedabeijeihrGrundund Motiv sein zu können und ist daher selbst kein Un-terschied. „InderMittederZwei,imZwischenvonWelt und Ding, in ihrem inter, in diesem Unter– waltetder Schied.“1 Der Schied des Unterschieds ent–grün-det das Unter– der Scheidung. Unterscheidungen sindinihrerGrundformunter–undnebeneinander.Siewiederholen sich in und bei sich als ein Zugleich vonNachfolger und Nachbarn. Unter–scheidungen unter-scheiden sich in ihrer Vollzugsform somit in sukzessiveund in simultane. Diese Zweiteilung ist in sich autolo-gisch und antinomisch, denn die Unterscheidung vonSukzessivität und Simultaneität ist genau dann simul-tan,wennsiesukzessivundsukzessivgenaudannwenn sie simultan ist. Beide Vollzugsformen be–grün-denundent–gründengegenseitigundgegenläufigdas Vollziehen einer Unterscheidung und generierendabeidieZeitigung(temporisation)undRaumung(spacement) ihrer je eigenen Raum–Zeit–Struktur2.

EsgibtmithinkeinSelbst3,dashinundwieder

1. Martin Heidegger, Unterwegs zur Sprache, Pfullingen31965, S. 24, s.a. Ch. L. Lutz, Zwischen Sein und Nichts.Der Begriff des „Zwischen“ im Werk von Martin Heideg-ger. Eine Studie zur Hermeneutik des Metaxy. Diss.Bonn 1984

2. J. Derrida, La différance, in: Théorie d`ensemble, coll.Tel Quel, du Seuil, Paris 1968

3. C. Baldus, Partitives und distriktives Setzen. Eine sym-bolische Konstruktion der apriorischen Synthetik desBewußtseins in Fichtes Wissenschaftslehre 1794/95. Paradeigmata 2, Felix Meiner Verlag, Hamburg1982

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Die Gesetze der Form. Apophansis und Indikation

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Unterscheidungen trifft und sich ab und zu zu ihnenverhalten kann, wenn es nur will. Es ist eine existenti-elleNotwendigkeitfüreinlebendesSystem,daßesdieMöglichkeithat,diekomplexenUnterscheidun-gen simultan zu vollziehen. Dieser Vollzug geschiehtnichtalseinSystemprozeßinvorgegebenenRaum–und Zeitkoordinaten, sondern konstituiert selbst Raumund Zeit des Lebewesens. Insofern ist hier der begriff-liche Rahmen der allgemeinen Systemtheorie und Ky-bernetik, die beide Systemverhal ten nur invorgefaßtenRaum–undZeitkategorienzuformulie-renvermögen,verworfen.EinLebewesenwirdalsokonstituiertbzw.kreiert,d.h.realisiertsichselbst,nichtalseinEtwas,dasdieMöglichkeithat,sichzusich selbst zu verhalten, sondern als in sich notwendi-ge Möglichkeit zu sein.

4

2 Die Gesetze der Form. Apophansis und Indikation

Unter der Voraussetzung, daß in einem basalenRaum eine und nur eine primäre Unterscheidung voll-zogen wird und alle weiteren Unterscheidungen Wie-derholungen im Modus des Nacheinanders derersterensind,istdieseFähigkeit,Unterscheidungenzutreffen,formalisierbarundineinemmathemati-schen Formalismus darstellbar. Was sich jedochgrundsätzlicheinersolchenFormalisierungentzieht,ist das simultane Nebeneinander von verschiedenenbasalen Unterscheidungen.

Der Calculus of Indication (CI) von GeorgeSpencer–Brown

5stellt einen solchen Formalismus

dar.InihmwirdderVollzugeinerprimärenUnter-scheidung und ihrer Benennung in einem homogenenRaum formalisiert. D.h., die Gesetze des Unterschei-dens werden formal angegeben und zwar so, daß sieeinen konsistenten und vollständigen Kalkül charakte-risieren. Die Aufforderung Spencer Browns an den indasSpieleintretendenObserverlautet„Drawadi-stinction“. Damit eröffnet er den Calculus of Indicati-on, nicht ohne vorher die Bedingungen seiner

Möglichkeit anzugeben. Nämlich, „We take as giventhe idea of distinction and the idea of indication, andthat we cannot make any indication without drawinga distinction. We take therefore, the form of distinctionfor the form.“.

6

DerVollzugeinerUnterscheidungteiltdenvor-ausgesetzten Raum bzw. Bereich der Unterscheidungin zwei und nur zwei Teile bzw. Seiten. Da ein Lebe-wesen ohne Unterscheidung nicht existent ist, ist ihmder vorausgesetzte basale Raum als solcher, d.h.ohnejeglicheUnterscheidungverborgen.Erstdurchden Akt der Unterscheidung wird ihm der Raum seinerUnterscheidungen zugänglich; nämlich als unter-schiedener Raum. In ihm hat sich eine UnterscheidungvollzogenundanihrzeigtsichdieBasisderUnter-scheidung,ihrRaum.DerAktderUnterscheidung,bzw.dieUnterscheidungalsAktivitätzuunterschei-den,erzeugtalsodenRaumihrerUnterscheidung.Eine Unterscheidung teilt den Raum ihrer Unterschei-dung in zwei Seiten, sie macht einen Unterschied, die-serverlangtfürseinFunktionierenmindestenszweiTeile.DiezweiTeile,diederUnterschiedinseinemdurchdieUnterscheidungkonstituiertenRaumunter-scheidet,sindvoneinanderdurcheineUnterschei-dung geschieden, sie sind voneinander verschieden.DieUnterscheidunggeneriertVerschiedenheit.Dahier nur eine einzige basale Unterscheidung zugelas-sen wird, gilt auch nur eine einzige Bestimmung vonVerschiedenheit.Nämlichdie,diedurchdieUnter-scheidung in ihrem Raum vollzogen wird. Die Unter-scheidungerzeugtdurchdasUnterscheidennureinUnterschiedenes und dieses ist in einer und nur einerWeisevonNicht–unterschiedenemverschieden.Un-terscheidungerzeugtdurchdenSchieddesUnter-schieds eine Zweiheit von Unterschiedenem undNicht–Unterschiedenem.

Die Unterscheidung erzeugt den Unterschiedvon Unterschiedenem und Nicht–Unterschiedenem.Der Vollzug der Unterscheidung, die Unterscheidungselbst, verdeckt sich im Akt des Unterscheidens, in derScheidungvonUnterschiedenemundNicht–Unter-schiedenem. Die Unterscheidung teilt auf in das zu Un-terscheidende und das dadurch Unterschiedene. DerOrtderUnterscheidungvonUnterscheidendemundUnterschiedenemtrittnichtindasSpieldesUnter-scheidens. Die Wahrheit des CI ist somit unabhängigvomOrtseinerRealisationundinvariantbezüglichseiner Notationsmittel. Damit erfüllt er die Minimalbe-

4. O. Becker, Zur Logik der Modalitäten, in: Jahrbuch f.Philos. u. Phänomenolgie. XI, 1930, S. 497—548,F.–K. Blust, Selbstheit und Zeitlichkeit. Heideggersneuer Denkansatz, Würzburg 1987, E. Tugendhat,Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Sprach-analytische Interpretationen, Frankfurt/M 1979, B.Kienzle, H. Pape (Hrsg), Dimensionen des Selbst, stw942, Frankfurt/M 1991

5. George Spencer Brown, Laws of Form, Bantam Books1972 6. Spencer Brown, S. 1

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dingung semiotischer Rationalität wie sie von logi-schen Formalismen und proprammier–technischenSchreibsystemen gefordert wird: „truth is invariant un-der change of notation.“

7

Nun ist aber ein Lebewesen für sich nicht andersbestimmbaralsdurchseineUnterscheidungen.Vorseinem Akt der Unterscheidung existiert es nicht. Da-mitgibtesaberauchkeinvorgängigesSubjektdesUnterscheidens.ImAktdesUnterscheidens,alsoinder Unterscheidung, erzeugt sich der Aktor des Unter-scheidens. Der Unterscheidung geht kein Subjekt undauch kein Objekt, kein Raum und kein Zeichen, vor.DieUnterscheidungbesitztkeineVorgängigkeit,ihrliegt nichts zu Grunde. Sie ist ohne Grund. So unter-schiedenes Unterschiedenes und Nicht–Unterschiede-nes ist untereinander von gleicher Unterschiedenheit.DieseUnunterschiedenheitderUnterschiedenheitistbzgl.ihrerTeilesymmetrisch.Einesolchesymmetri-schegleich–verschiedeneVerschiedenheitheißtimAnschlußanLuhmanneineZwei–Seiten–Form(inei-nem Raum der Unterscheidung).

EinesolcheZweiteilungeinesRaumesläßtsichals notwendiger kognitiver Vollzug eines Lebewesensverstehen.

8 Dieser erzeugt jedoch keine Ordnung im

Raum und gibt keine Präferenz für einen volitiven Voll-zug an. Ihm fehlt die Entscheidung für eine Unterschei-dung. Dies wird erst dadurch möglich, daß eine derbeiden Seiten der Form ausgezeichnet wird. Die aus-gezeichnete Seite der Zwei–Seiten–Form wird der an-derenSeitederFormaufGrundeinerEntscheidungvorgezogen.AlssolchevorgezogeneSeitewirdsiemit einer einzigen Marke designiert. Als vorgezogenemarkiert sie einen entschiedenen Unterschied zurnicht–designierten Seite der Form. Die Markierung er-zeugt durch die Marke eine Asymmetrie in der Zwei–Seiten–Form. Die durch eine Marke designierte bzw.markierteSeitedominiertdienicht–markierteSeiteder Form. Damit wird eine Ordnung in die Unentschie-denheit der Unterscheidung eingeführt.

DerCalculusofIndicationistnunderFormalis-musdermarkiertenZwei–Seiten–FormaufderBasisdersymmetrischenUnterscheidungsoperationinei-

nem und nur einem Raum der Unterscheidung. D.h.,der kognitive und der volitive Vollzug des Unterschei-dens, 'distinction' und 'indication', werden im Kalkülineinsgesetzt und verdecken damit ihre gegenseitigeVorausgesetztheit.FürdieseVerdeckungsstrukturistes irrelevant, ob nun der volitive Akt oder der kognitiveAktalssymmetrischeroderalsasymmetrischerinter-pretiert wird, denn sowohl die Unterscheidung wie dieMarkierung sind als duale gesetzt.

In der Aufforderung „Draw a distinction“ ist eineweitere Unterscheidung im Spiel, die UnterscheidungzwischenEntscheidungundUnterscheidung.EinerUnterscheidung geht also die Entscheidung zu unter-scheiden vor. Der Calculus of Indication beginnt nichtmiteinerUnterscheidung,sondernmitderEntschei-dung für eine Unterscheidung. D.h., er beginnt mit derEntscheidungfüreineundnureineUnterscheidung.Zwischen Entscheidung und Unterscheidung ist im CIeinzig das Nacheinander der Bestimmung, nicht aberdasZugleichmöglich.DieSpekulationenüberdenblindenFleckderBeobachtunghabenhierihrenUr-sprung.

AusdiesensichgegenseitigverdeckendenBe-stimmungen nimmt der CI seine kalkültechnische Kon-kretion: 1. die Gesetze des Anfangs, 'calling' und 'crossing',2. die Abstraktion von der Symmetrie und Assoziativi

tät der Verknüpfungsoperation, 3.aus der Einzigkeit des Raumes und des Observers

die Reflexivität, Kommutativität und Transitivität derGleichheitsbeziehung zwischen den Ausdrücken,

4. die Konvention, vom Leerzeichen zu abstrahieren,es nicht zu notieren.

In der Metasprache und in den entsprechendenmetasprachlichenInterpretationen,dieinFormderKonstruktionssprache, den Kommentaren und denVorworten erscheinen, werden die auf der Objektebe-neverdecktenUnterscheidungen(Entscheidung,Un-terscheidung,Benennung,Raum,Beobachter,usw.)wiederum bemüht, die Relevanz des Kalküls zu beteu-ern und auf die Differenz zu anderen Kalkülen, etwadem klassischen Aussagenkalkül und der BooleschenAlgebra zu insistieren. Bekanntlich ist der CI isomorphzur Aussagenlogik. Der Unterschied zwischen dem CIund der Aussagenlogik wird in Laws of Form angege-ben als Unterschied zwischen Kalkulation und Reprä-sentation von logischen Formen. Spencer Brownmotiviert die Einführung seines CI durch seine Kritik ander wahrheitswert–semantischen Begründung derRussell/WhiteheadschenLogik,dieaufFregeundWittgensteinundauchaufPeircezurückgeht.Derganze Apparat von Werten und Variablen verdecke

7. Joseph A. Goguen, R.M. Burstall, A Study in the Foun-dations of Programming Methodology: Specificati-ons, Institutions, Charters and Parchments, in:Category Theory and Computer Programming (Ed.D. Pitt et al.), LNCS 240, Springer 1986, S. 316

8. A. Ziemke, K. Stöber, System und Subjekt, in: Kogniti-on und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Kon-stuktivismus 2, S. J. Schmidt (Hrsg.), Frankfurt/M1992, S. 42–72

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Die Gesetze der Form. Apophansis und Indikation

40

weitgehend die Form der Logik und damit den Zugangzur Logik der Form.

DerCIunterscheidetsichvonderklassischenAussagenlogikmitihrervorausgesetztenWahrheits-werte–Semantik dadurch, daß er diese nicht in die Er-kenntnistheorieabschiebt,sonderninihreneigenenFormbegriff mit aufnimmt und damit die 'primary arith-metic' begründet. Dazu ist jedoch hinzuzufügen, daßsichdiesemantischenWahrheitswerteauflogischeAussagenbeziehen,währenddieseimCInichtthe-matischsind,sonderneinzigUnterscheidungen.Se-miotischbetrachtetbeziehtsichdieAussagenlogikaufdenBereichderExpressionenundihreFormen,d.h.aufdenBereichdesApophantischen,währendsich der CI auf den vor–prädikativen Bereich (Husserl)des Indikativischen bezieht. Nichtsdestotrotz wird imCI die Struktur des Indikativischen auf die Binarität derZwei–Seiten–FormbeschränktundderstrukturelleReichtum des vor–prädikativen Bereichs durch die Bi-narität, die der Apophansis geborgt ist, verdeckt.

Das Verhältnis von Ontologie und Logik ist aller-dingsfürdiephilosophischeLogikschonvonFichteklarbestimmtworden „...daßinjedemDenkeneinObjektseinmüsse,ist...keineswegseinlogischerSatz, sondern ein solcher, der in der Logik vorausge-setzt und durch welchen sie selbst erst möglich wird.Denken und Objekte bestimmen ... ist ganz dasselbe;beide Begriffe sind identisch“.

9

DenEindruck,daßdieSemantikdemKalkülnicht äußerlich bleiben sollte, hatten vor SpencerBrown auch andere Logiker gehabt, so 1. MosesSchönfinkel

10, der 1920 in seinem Göttinger Vortag

diekombinatorischeLogikeinführte,diedannvonHaskellCurry

11als„Urlogik“ausgebautwurde,2.

Karl Menger (1930) mit seiner Algebra der Konstan-ten

12, 3. Paul Lorenzen (ab 1958), der die Dialoglo-

gik13

einführteund4.GotthardGünthermitseinerMorphogrammatik, die die „Leerformen von logi-

schen Operationen“ 14

dem Kalkül zugrunde legt. Re-levantistu.a.auchdiephilosophischeKritikandenAnsprüchen der Logistik, wie sie von Freytag Lörighoff(ab 1955)

15 vorgetragen wurde und sein 'geometri-

sierender' Kalkül von Identität und Diversität, der jeg-liches Meinbare überhaupt und nicht nur das derApophansis zum Thema hat.

Zu fragen bliebe nach dem Unterschied zwi-schen der Unterscheidung als Distinction und als demMeinbaren.InwieweitdiebeidenAnsätzezurstren-gen Logik dual zueinander stehen, ist noch offen.

DieselbeAbstraktheitindenGrundbestimmun-gen ist auch in vertrauteren formalen Systemen zu fin-den,etwainderAussagenlogik.Hierwerdeneinerentsprechend abstrakten Aussageform die Wahrheits-werteWahrbzw.Falschzugeordnet.Oderabereswird umgekehrt definiert, eine Aussage sei ein sprach-lichesGebildeodergareinesprachlicheForm,diewahr oder falsch sein könne. Danach wird die symme-trischeDichotomievonwahr/falschdadurchgeord-net bzw. entschieden, daß der Wahrheitswert „wahr“als designierender Wert markiert wird und der Wahr-heitswert „falsch“ als der nicht–designierende Wert –oderauchumgekehrt.InderTraditionhatdieseEnt-scheidungsmöglichkeit zur Unter–scheidung zwi-schen der Logik des Denkens und der Logik des Seinsgeführt. Dieses Verfahren der Auszeichnung vonWahrheitswertemengengiltfürbeliebigeklassischemehrwertige Logiken und auch für die neueren Ausfor-mungen wie die auf die Bi–Lattices basierenden Logi-ken

16 und die Fuzzy–Logik.

DerCInotiertdieFormjeglicherZwei–Seiten–FormoderebendieFormderZweiwertigkeit.Diezweiwertige Aussagenlogik (AL) ist die Logik derZweiwertigkeit, der CI deren Form. Beide sind zuein-ander im mathematischen bzw. strukturalen Sinne iso-

9. J. G. Fichte, WW (Ed. J. H. Fichte) I, S. 498 10. M. Schönfinkel, Über die Bausteine der mathemati-

schen Logik, in: Mathematische Annalen 92, 1924,S. 305–316, Nachdruck in: K. Berka, L. Kreiser, Lo-gik–Texte, Kommentierte Auswahl zur Geschichteder modernen Logik, Akademie–Verlag Berlin 1971,S. 262–273

11. H. B. Curry, R. Feys, Combinatory Logic, Studies inLogic, North Holland Publ., Amsterdam 1968, s.a. R.Smullyan, Spottdrosseln und Metavögel, S. FischerVerlag, Frankfurt/M 1986, ders., Logik–Ritter undandere Schurken, Fischer Logo, 1989

12. K. Menger, Are variables necessary in calculus?,Amer. Math. Monthly 56, 1949, S. 609–620

13. P. Lorenzen, K. Lorenz, Dialogische Logik, Darmstadt1978

14. G. Günther, Cybernetic Ontology and TransjunctionalOperations, BCL Technical Report No. 4, 1. April1962, 113 S., ders., Das Problem einer Formalisie-rung der transzendental–dialektischen Logik unter be-sonderer Berücksichtigung der Logik Hegels, in:Heidelberger Hegeltage 1962, Hegel–Studien Bei-heft 1, 65–123, beide in: ders., Beiträge zur Grund-legung einer operationsfähigen Dialektik. Bd. I, FelixMeiner Verlag, Hamburg 1976

15. Bruno Baron v. Freytag Löringhoff, Neues System derLogik, Paradeigmata 5, Felix Meiner Verlag, Ham-burg 1985

16. M. C. Fitting, Bilattice and the theory of truth, Journalof Philosophical Logic, vol. 18, (1989), S. 225–256

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41

morph, also von gleicher Gestalt bzw. vom gleichenFormtypus. Eine ausführliche modelltheoretische Ana-lyse des CI und des ECI inbezug zur Semantik der 2–und3–wertigenLogikenfindetsichinVarela

17,Ko-

hout/Pinkava18

, eine entsprechende beweistheoreti-sche Untersuchung liefert Schwartz

19. In „Neue

Tendenzen...“20

werden die vier isomorphen Model-leaufgezeigtundalsKonsequenzdarausdieTheseder strukturellen Wahrheitsunabhängigkeit des CI wi-derlegt.

Ein Isomorphismus zwischen CI und AL

space universe of discourse distinction Aussageformindication Wahrheitwertbelegungstates Wahrheitswertemark Wahrheitswert'wahr'bzw.designie-

render Wertunmarked 'AetnonA',bzw.non–designativer

Wertcross Negator bzw. Wahrheitswert

'falsch'p, q Aussagenvariablen AB Disjunktion bzw. dual KonjunktionA=B A äq B, logische Äquivalenzre–entry Quantifikation über Aussagen und Dia-

gonalisierung, d.h Selbstbezug

InderklassischenAussagenlogikwirdvonderTatsache des Aussageaktes, des Ortes eines Aussage-aktesunddemSubjektoderderInstanzdesAussa-gensabstrahiert.EswerdennurdieAussageformenohnejeglichenpragmatischenZeichenbezugzuge-lassen.

21DurchQuantifikationüberAussagen,läßt

sich ein aussagenlogischer Kalkül aufbauen, in dem inähnlicher Weise die ’Instanz des Aussagens’ iterativ

bzw. rekursiv in den Kalkül einbezogen werden kannundderFigurdesre–entryentsprichtundbeiunbe-schränkter Selbstbezüglichkeit Antinomien produziertund damit das formale System trivialisiert.

InnerhalbdesformalenApparatesdesCI,alsoim Kalkül und seiner Kalkulation, gilt eine strenge Hier-archie der Konstruktion, die jegliche Irregularität(Spontaneität) ausschließt „what can be reduced to asimpleexpressioncan,...,beconstructedfromit.“

22

Damit wird das sog. Inversionsprinzip (Lorenzen, Her-mes) beansprucht. D.h., der CI erweist sich, wie jederandere klassische Kalkül auch, als hierarchisch im ur-sprünglichstenSinne: „DerWegHin,Her;Einerlei.“(Diels)

Die Form der „Laws of Form“ ist somit – in der Ter-minologieEggers–vomstabilen,regelgesicherteneinheitenlogischen Typ. „Die Grundidee der Logik inder stabilen Gestaltung des Denkens ist die, vollstän-dige Sicherheit im Denken – d.h. im einzelnen Denk-vollzug, in der Wiederholung der Denkvollzüge undin den Denkergebnissen – zu gewährleisten.“

23 Diese

Sicherheit wird durch die Hierarchie und die prinzipi-elle Linearität des Kalküls garantiert. Entspechen-desgilt für jeden anderen klassischen Logikkalkül, insbe-sondere auch für den Apparat der Güntherschen Stel-lenwertlogik, wie Egger

24 anmerkt.

Wird andererseits Logik als Argumentation bzw.als Dialog verstanden, wie in der Dialog–Logik (Beth,Lorenzen,Barth

25)undaufdenVollzugdesAussa-

gens, der unterscheidet, gesetzt und nicht auf die Aus-sage als abstrakten Gedanken (Frege) mit seinervorausgesetzten und unreflektierten Wahrheitswerte–Semantik,somußdocheinentsprechendabstraktesDialogmodell postuliert werden. Die Zwei–Seiten derDialogformwerdendabeialsOpponentundPropo-

17. F. Varela, The Extended Calculus of Indications inter-preted as a three–valued Logic, Notre Dame J. For-mal Logic, 20:141, 1979

18. L. J. Kohout, V. Pinkava, The Algebraic Structure of theSpencer Brown and Varela Calculi, in: Int. J. General Sy-stems, 1980, Vol. 6, S. 155—171

19. D. Schwartz, Isomorphisms of Spencer—Brown'sLaws of Form and Varela`s Calculus for Self—Refe-rence, Int. J. General Systems, 1981, Vol. 6, S.239—255

20. R. Kaehr, Neue Tendenzen in der KI—Forschung. Me-takritische Untersuchungen über den Stellenwert derLogik in der neueren Künstlichen—Intelligenz—For-schung, Stiftung Warentest Berlin 1980, 64 S., s.a.Nachdruck in: Gotthard Günther und die Folgen,Klagenfurter Beiträge Heft 22, 1988

21. „Die aristotelische Logik, soweit sie Theorie des Den-kens (manifestiert in der menschlichen Sprache) ist,ist also eine Logik ohne ein Subjekt, das denkt oderspricht.“ (G. Günther, Logik, Zeit,..., in: Bd. III, S. 96). Die-ses nach Günther auf Warren St. McCulloch zurückge-hende statement behält seine Gültigkeit auch nach derEinführung der Dialoglogik, denn dieser geht es nichtum die Dialogizität der Subjekte, sondern um eine dialo-gische Begründung formal–logischer und d.h. subjekt-unabhängiger Wahrheit.

22. Spencer Brown, S. 1223. P. Egger, Studien zur Grundlegung der Logik und der

logischen Interpretationsmittel, Felix Meiner Verlag,Hamburg 1973, S. 10

24. Egger, S. 2925. Else M. Barth, E.C.W. Krabbe, From Axiom to Dia-

logue. A philosophical study of logics and argumen-tation, de Gruyter, Berlin New York 1982

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Unterscheidung und Kontextur

42

nent im Zusammenhang des Dialogspiels und seinerRahmenbedingungen eingeführt und die Gewinnstra-tegie des Dialogs sorgt für die Markierung der Dialog-form. Auch hier geht dem Kalkül die unbegründbareEntscheidung für die Zweiheit und die EinschränkungdesPolylogsaufdenDialogvoraus

26.Desweiteren

steht der Handlungsbegriff unter dem Primat des Den-kens über das Wollen und wird letztlich auf das Mo-dell der Sprechhandlungen reduziert (in dieserMono–Kontexturalität treffen sich 'Radikaler Konstruk-tivismus' und 'Erlanger Schule').

3 Unterscheidung und Kontextur

Die simultane doppelte Bestimmung der Unter-scheidung als symmetrische Zwei–Seiten–Form undals asymmetrische Markierung in einem homogenenRaum der Unterscheidung generiert eine Paradoxie inder Architektur des CI. Diese Paradoxie innerhalb derArchitektonik des CI wird im Verlauf der Entwicklungdes Kalküls zum Generator der Form des re–entry ge-nutzt.DieindieMetaspracheabgeschobenenVer-deckungen werden zum Anlaß für eine Meditation aufdenKalkülbenutztunddabeiindieObjektsprachedes Kalküls zurückgebunden. Die dazu benötigte Sub-stitutionsregelistimCIjedochnichtdefiniertundinihm auch nicht definierbar. Dies macht den spekulati-ven Charakter der Konstruktion der Figur des re–entryaus.

Unterscheidungen im Sinne des CI lassen sich a)wiederholen und b) zurücknehmen – tertium non daturbzw. that’s it! Oder aber, da das Erreichte doch nichtgefälltc)re–entry:WiedereintrittderFormin–sich–selbstnacheinerMeditationaufdieVerdeckungs-struktur der Unterscheidungsoperation als spekulativeErweiterungdesKalküls,diesichjedochkalkültech-nisch als konservative Erweiterung erweist.

EinsolchesparadoxesGebildealsEinheitvonSymmetriederUnterscheidungundAsymmetriederBenennung definiert einen operationalen Zusammen-hang, eine Einheit des Unterscheidens und soll hier mitGüntherals'Elementar–Kontextur'bezeichnetwer-den. „DerUnterschiedzwischeneinerElementar–KontexturalsSelbstzyklusundeinerElementar–Kon-

textur, die über zwei Werte distribuiert ist, besteht dar-in, daß im ersten Fall besagte Kontextur als'reflexionsloses Sein' (Hegel) und das andere Mal alszweiwertigesReflexionsbildverstandenwird.D.h.,wir besitzen zwar jetzt ein zweiwertiges System, aberdasThemaderReflexioniststrikteEinwertigkeit,dieallein thematisch ist. Der jeweilig zweite Wert kommtals ontologisches Thema, d.h. kontexturell, nicht zumZug.Eristnichtdesignierend.Diesekalkültheoreti-scheDoppelsinnigkeitdesBegriffsderElementar–Kontextur ist genau das, was wir benötigen, wenn wirbeabsichtigenDialektikzuformalisieren.Einwertig-keit und Zweiwertigkeit referieren beide auf Elemen-tar–Kontexturen.“

27

In einem homogenen Raum der Unterscheidung,gibt es einen und nur einen Akt der Unterscheidung.Vielheit der Unterscheidung gibt es nur als Sukzessiondes einen und einzigen Aktes der Unterscheidung. DieStruktur der Sukzession kann dabei iterativ oder rekur-siv sein. Von einem externen Beobachter aus gibt eskeinen Unterschied in der Gesetzmässigkeit der Unter-scheidungsoperationen an den verschiedenen OrtenihresVollzugs.DerCIistort–unabhängig.Wasfürden einen gilt, gilt für den andern nicht minder. Im CIgibt es keine Möglichkeit den Ort der Unterscheidungzumarkieren.DieeinzigeMöglichkeit,diebliebewirddurchdenAufbaudesCIverschenktbzw.ver-deckt: der Observer, der unterscheidet und markiert,ist ja der Ort von dem aus markiert wird, doch diesenOrt als solchen gibt es im CI nicht, da der Observer sel-ber in den Markierungsbereich einbezogen wird,selbstalsMarkeerscheintunddamitseinenOrtver-deckendihndemKalkülentzieht.DerHaupttextvon’LawsofForm’endetkonsequenterweisemitderIn-einssetzung der ersten Unterscheidung mit dem Beob-achter. „We see now that the first distinction, the mark,and the observer are not only interchangeable, but, inthe form, identical.“

28

DieserWiedereintritt, „re–entryintotheform“,betrifftbeiSpencerBrowndieArchitektonikdesGe-samtsystems: der Observer des Anfangs, der den Kal-külinGangsetzt,wirdamEndeselbstzumObjektseines Kalküls.

29

Ohne die Figur des re–entry, die sich als episte-mologisches Grundmotiv der 'Laws of Form' erweist,wärederCIwohlkaumvonInteresse.Dochgerade

26. R. Kaehr, Das graphematische Problem einer Forma-lisierung der transklassischen Logik GotthardGünthers, in: Die Logik des Wissens und das Problemder Erziehung, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1981,S. 254—274

27. Gotthard Günther, Beiträge zur Grundlegung eineroperationsfähigen Dialektik. Bd. III, Felix Meiner Ver-lag, Hamburg 1980, S. 205

28. Spencer Brown, S. 76

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43

dieser Wiedereintritt ist im Kalkül selbst nicht wider-spruchsfrei darstellbar. Schon nur wegen der Vollstän-digkeit des CI, ist eine Erweiterung nicht ohneWiderspruchmöglich.SpencerBrownweistdarauf-hin,daßGleichungenhöherenGradesdenKontaktmit der primary arithmetic verlieren. Varela zeigt, daßdies auch für die primary algebra gilt. M.a.W. dieseGleichungen höheren Grades stehen im WiderspruchzumganzenCI,bzw.verlassendenSprachrahmendes CI. Eine weitere Motivation für den CI ist der An-spruch,eineEbeneunterhalbderWahrheitswerte–Semantik,d.h.desApophantischenetabliertzuha-ben.DieIndicationgeht „deeperthantruth“.Damitberührt er das Projekt der Kenogrammatik, das zur sel-ben Zeit an der Geburtsstätte der 'second order cyber-netics', dem Biological Computer Laboratory (BCL)

30,

Urbana, USA, betrieben wurde. Der Vorteil des CI ge-genüber der Kenogrammatik war dessen Einfachheit,daherwurdeeramBCLsofortrezipiertundintensivweiterentwickelt.SoentwickelteRichardH.Howe

31

einekomplexeVerbindungzwischenderGünther-schenProemialrelationunddemCIimAnschlußanMaturanaszirkuläreDefinitionenderGrundbegriffeaus'BiologyofCognition'.DiesesMotivundseineVerbindungzurKenogrammatikistinderdeutschenRezeptionnichtaufgenommenworden.Einereflexi-ons– und systemtheoretische Analyse liefert E. Esposi-to

32.DenEntwurfeiner'SemiotikdesWeiblichen'

beschreibt E. Meyer33

und die Skizze eines polykon-

texturalen Calculus of Indication, beschränkt aufnicht–transjunktive Formen, postuliert Kaehr

34.

ErstVarelaversuchtdenMechanismusdesre–entry selbst als objektsprachliche Form, als die sich–selbst–markierendeMarke,als „self–cross“ indenKalkülhineinzunehmen.Damitwirdnichtnurunter-schlagen, daß der Ausgangskalkül, der CI, ge-schwächtwird,indemerwesentlicheGesetzederUnterscheidung amputiert, den Kalkül also bezüglichseinerTrennschärfe „immunisiert“ (PaulFeyerabendbzgl. Quantenlogiken), sondern auch, daß er selberwiederumseinenerstenObserver,derdasganzeSpiel, mitsamt seiner Selbstmarkierung, den Uroborosin seiner entleertesten Form, beginnt, am Schluß wie-derindenKalküleingliedernmußunddamiteineneueRundeimre–entry–Spieleinleitet,ohnedaßerdiesemetatheoretischeIterationinseinemExtendedCalculus of Indication (ECI)

35 abbilden könnte.

Zudem führt er anfänglich den Wiedereintritt einals eine einzige selbständige objektsprachliche FormderSelbstbezüglichkeit.Alssolcheistsieinvariantbzgl. weiterer Unterscheidungen, d.h. die Unterschei-dung der Selbst–Unterscheidung ist identisch mit dereinen und einzigen Form der Selbst–Unterscheidung,dem „self–cross“.Spätersiehter,daßderSelbstbe-zug selber viele Formen hat und eine Potenzierung sei-nes ECI bewirkt. Dieser neue Formenreichtum ist dannvon der „Santa Cruz Triune“

36 untersucht und klassifi-

ziertworden.DasanfänglicheZiel,dieAutonomiederSelbstbezüglichkeitzuformalisieren,wirdausdemAugeverlorenundeslöstsichsukzessivedieIdentität des Calculus of Indication auf und spätestenshierfindetderUmschlagder’LawsofForm’indie’Flaws of Form’

37 statt. Ganz einfach deswegen, weil

ausderZwei–Seiten–FormdesCIeinnun’schlecht’unendlich–wertigerKalkülentstandenist,derwederals (mehrwertige) Logik, noch als Kalkül der Form(en)Interesse erwecken kann.

Es wiederholt sich hier die gleiche Figur der for-malistischen Spekulation wie bei den transfiniten Re-

29. Einen Kalkül, der nicht mit einer, sondern mit zwei ba-salen Unterscheidungen (primary distinctions) an-fängt, hat G. Spencer Brown (alias Maxwell Aintree)in „Cast and Formation Properties of Maps.“, 1979,Ms. entwickelt. Dieser wird von Louis H. Kauffman(lou kauffman), map reformulation, princelet editions,London, Zürich 1986, vorgestellt und weiterentwik-kelt. „The calculus of indications is a language offorms. While it is simpler than the calculus of idempo-sitions it is also implied by it.... The map lives at thelevel of two primary distinctions, deriving intricacyfrom that interaction and simplicity from the plane.“l. kauffman, S. 241

30. BCL Publications, The Collected Works of the Biologi-cal Computer Laboratory, K. L. Wilson (Ed.), Blue-print Corp., 821 Bond, Peoria, Ill., USA, 1976

31. R. H. Howe, Linguistic Composition of an Arithmeticof Cognition, in: BCL Publications, 1976

32. Elena Esposito, Die Operation der Beobachtung,Diss., Bielefeld 1990

33. Eva Meyer, Zählen und Erzählen. Für eine Semiotikdes Weiblichen, Stroemfeld/Roter Stern 1983, dies.,Der Unterschied, der eine Umgebung schafft. Kyber-netik—Psychoanalyse—Feminismus, Turia & Kant,Wien — Berlin 1990

34. R. Kaehr, Neue Tendenzen..., 198035. F. Varela, The Ground for a Closed Logic, Denver

Col. 1975, in: BCL Publications, Rep. No. 3.536. C. G. Berkowitz et al., An Approach to a Mathema-

tics of Phenomena: Canonical Aspects of ReentrantForm Eigenbehavior in the Extended Calculus of Indi-cation, in: Cybernetics and Systems: An InternationalJournal, 19, S. 123—167, 1988 (mit ausführlicherBibliographie)

37. P. Cull, W. Frank, Flaws of Form, in: Int. J. GeneralSystems, 1979, Vol. 5, S. 201–211

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Die Notwendigkeit der Einbeziehung des Beobachters in den Prozeß der Beobachtung.

44

kursionen Heinz von Foersters. Allerdings mit demwesentlichen Unterschied, daß diese dort explizitnach einer Meditation bzw. einer Kontemplation aufdieFormdermathematischenRekursionsformeinge-führt werden und von dort ihre lokale Gültigkeit bezie-hen. Diese anfängliche Reflektiertheit und Einsicht indie experimentelle Metaphorik der Begriffsbildung istallerdings bei der Propaganda und der Rezeption ver-lorengegangen.

38

4 Die Notwendigkeit der Einbeziehung des Beobachters in den Prozeß der

Beobachtung.

Bei der ’first order cybernetics’ tritt der Aktant alsObserver nicht in den Bereich seiner Observation, da-mit garantiert er die Objektivität seiner Beobachtung.Die Einbeziehung des Beobachters in seine Observa-tion ist dann eine Notwendigkeit, wenn lebende Syste-me in ihrer Lebendigkeit von lebenden Systemen selbstbeschrieben werden können sollen. Die ’second ordercybernetics’, die sich diese(r) Aufgabe stellt, verlangtnicht nur einen, sondern zwei Standorte der Observa-tion: a) den Observer als externen Beobachter und b)dengleichen Observer als einbezogenen, als internenBeobachter. D.h., als einbezogener in seine Beobach-tungistderObserverimmernochBeobachterundnichtBeobachtetes.SonstwärediefürdiegesamteObservationkonstitutiveDifferenznivelliert.SeineIdentitätmußsichalsospalteninexternenundinter-nen Beobachter. Als interner Beobachter ist er selbstBeobachtetesseinesexternenBeobachtens,erwirdaberalsBeobachterbeobachtetundnichtalsBeob-achtetes im ursprünglichen Sinne. Beide Reflexionsbe-s t immungen des Beobachters sind gleich–ursprünglichgegebenundfungierensimultanundnicht etwa oszillierend (Braten, Luhmann) in der refle-xivenBeobachtung.EswirdalsokeineHierarchiezwischenObjektderBeobachtungundinternerundexternerBeobachtungpostuliert.Ebensowenigver-brauchtderBeobachterZeitalswärediesealsGutvorgeben.Beobachtunger–möglichtZeit,d.h.Zeitwird in der Beobachtung zugleich gebraucht (er-

zeugt) und verbraucht, konstituiert und restituiert. Diesistnurmöglich,wennunterschiedenwerdenkann,zwischendenGleichheitenunddenSelbigkeitenei-nes Observers.

WasheißtderUnterschiedvonSelbigkeitundGleichheiteinesAktantsalsBeobachter?DieUnter-scheidung zwischen dem Aktant als Faktum und demAktantalsExistenz,alsdieSelbstheitseinesUmwil-lens,wirdhiermitdenzweiModiderIdentität,derGleichheit und der Selbigkeit, kontexturtheoretisch inZusammenhanggebracht.

39DieseUnterscheidung

ist von Günther in die philosophische Logik eingeführtworden und läßt sich noch direkter als die Unterschei-dung zwischen Reflexions– und Seinsidentität bestim-men: „Subjectivityisaphenomenondistributetoverthe dialectic antithesis of the Ego as the subjective sub-ject and the Thou as the objective subject, both of themhaving a common mediating environment.“

40

5 Simulations do not become Realizations

41

Es gibt nur einen CI und der gilt für jeden undjede gleichermaßen. Es wäre nun gewiß wenig sinn-voll, für jedes Lebewesen bzw. für jeden Observer ei-nen eigenen di f fe ren ten und mit andereninkompatiblen Kalkül zu postulieren. Statt Identität derKalküle gälte Verschiedenheit der Kalküle und ein Kal-kül von Identität und Diversität ist durch den CI schongegeben. Insofern, als der für den CI konstitutive Be-obachter selbstreferentiell in den Kalkül zurückgebun-den wird, verdeckt er nicht nur die Genese desKalküls,sondernverhindertjedeMöglichkeiteinerAbnabelungdesKalkülsvonseinemKonstrukteur.

42

Nur wenn die Bedingungen der Möglichkeit der Kon-struktion des Kalküls im Kalkül selbst explizit zur Dar-

38. G. Pask, The Originality of Cybernetics and the Cy-bernetics of Originality, in: Cybernetics and SystemResearch, R. Trappl (Ed), 1982, S. 367–370, J. Dit-terich, Selbstreferentielle Modellierungen. Kategori-entheoretische Untersuchungen zur Second OrderCybernetics, Klagenfurter Beiträge zur Technikdiskus-sion, Heft 36, 1990, 180 S.

39. R. Kaehr, Vom ’Selbst’ in der Selbstorganisation. Re-flexionen zu den Problemen der Konzeptionalisie-rung und Formalisierung selbstbezüglicherStrukturbildungen, in: Selbstorganisation (W. Nie-gel, P. Molzberger Eds.), Informatik–Fachbericht,Springer 1992

40. G. Günther, Cognition and Volition. A Contributionto a Theory of Subjectivity, in: Cybernetics Tech-niques in Brain Research and the Educational Pro-cess, 1971, Fall Conference of the American Societyfor Cybernetics, Washington D. C., s.a. ders., Beiträ-ge..., Bd. II, S. 209

41. H. Pattee, Simulations, Realisations, and Theories ofLife, in: Artificial Life (Ed. C. Langton et al.), SFI Stu-dies in the Science of Complexity, Vol. VI, RedwoodCity, CA: Addison–Wesley, 1989

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45

stellung gebracht werden können, ist eine Differenzzwischen dem Operator der Genesis des Kalküls unddem Operandensystem des Kalküls im Kalkül selbst sozuunterscheiden,daßbeideauseinandergefaltetwerden können und daß ein die Hierarchien der Kon-struktion auflösender Funktionswechsel zwischen denKategorienOperatorundOperandvollzogenwer-den kann.

Für Realisationen gilt das graphematischen Prin-zip der faktischen Machbarkeit, das sich entschiedenvon der konstruktivistischen Potentialität, die in der Evi-denz für die Uni–Linearität der natürlichen Zahlen fun-diertist,unterscheidet.FaktischeMachbarkeitsolltenicht mit empirischer Realisierbarkeit im Sinne der fi-niten Mathematik verwechselt werden. Mit einer 'Me-taphysik der Machbarkeit' hat dieses Prinzip derfaktischen Machbarkeit allerdings nichts zu tun.

Das Prinzip der Abstraktion der faktischen Reali-sierbarkeit wurde von der russischen Logikerin SofiaA.Janovskaja

43alsKritikanderUni–Linearitätder

Reihe der natürlichen Zahlen eingeführt und ist als Er-weiterung zusätzlich zu den klassischen Prinzipien indieSystematikderAbstraktioneingeführtworden.DemUltra–Intuitionismus

44giltesalsLeitideeseines

Anti–Traditionalistischen Programms der Begründungder Mathematik in dem eine Vielheit von natürlichenZahlensystemen eingeführt werden, die intra–system-ischSukzessionundinter–bzw.trans–systemischSi-multaneität und Tabularität der Wiederholungzulassen.

ErsteinproemiellerFunktionswechselzwischenOperatorundOperandermöglichteineInskriptiondes Kalküls, die, dadurch daß sie die Tatsache ihrerInskription nicht verdeckt, sondern in den Kalkül hin-einnimmt,observer–invariantist.DieBeobachterun-

abhängigkeitbesagtnunnicht,daßderKalkülsichselbst schreibt, sondern daß er unabhängig ist von ei-nemausgezeichnetenStandpunktderBeobachtung,derseineFunktionalitätdadurchbeschränkt,daßersich mit dem Kalkül verwechselt.

DiekonstitutionelleUnfähigkeiteinesBeobach-ters bzw. eines Konstrukteurs, sich von seinem mono–kontexturalen Kalkül abzunabeln bzw. sich der Mate-rialgebundenheitseinesStandorteszuentledigen,verhindert die Möglichkeit der faktischen Realisationdes Kalküls. Er bleibt seiner Genealogie verhaftet undist immer nur eine Simulation seiner selbst. Simulatio-nenvonSimulationenjedwelcherArtmögensichzuselbstorganisierenden Emergenzen

45 steigern, sprin-

gen damit jedoch keineswegs aus ihrer kategorialenBestimmung als Virtualitäten heraus.

6 Genealogie, De-Sedimentierung und die Vier

Das Hauptproblem einer transklassischen undpolykontexturalen Logik bzw. Kalkültheorie ist nicht sosehrdieEinführungvonneuenWertenoderneuarti-genFunktionen,sonderndieentschiedeneEntledi-gungjeglicherGenealogie.GenealogieistimmerHerrschaft des Grundes über das Begründete, Verdek-kung von Kalkül und Ermöglichungsgrund des Kalküls.Diese Sedimentierung ist es, die ent–deckt und entkop-pelt werden muß.

Ohne diese Dekonstruktion des Grundes erklingterneut das Lied von der nie versiegenden Quelle, dies-mal von der 'Santa Cruz Triune': „The void is the 'allo-wingness' prior to distinction; it can be viewed as thesource from which forms arise, as well as the founda-tion within forms abide. To the extend that indicationalspace may be represented by a topological space, thevoid may be represented by an undifferentiated (ho-mogeneus,isotropicanduniform)spacethatpreva-des all forms.“

46Eine Desedimentierung und

Hineinnahme der begründendenden begrifflichen In-strumentarienindenFormalismusdesKalkülsselbst,würdedemCIjeneOperativitätermöglichen,dieerfüreineKalkülisierungvondoppelterForm,d.h.derFormation der Form, bzw. der Reflexionsform, benö-tigte.DieswürdeaberdieSimplizitätsowohlseinerGrundannahmenwieauchseinerArchitekturspren-

42. B. Smith, Varieties of Self—Reference, in: J. Y.Hal-pern, (Ed), Theoretical Aspects of Reasoning AboutKnowledge, Proc. of the 1986 Conference. Mon-terey 19.— 22.03.1986, Los Altos 1986, S. 19—43

43. J. A. Petrov, Logische Probleme der Realisierbarkeits–und Unendlichkeitsbegriffe, Akademie–Verlag–Berlin1971, s. a. R. Kaehr, 1980, Neue Tendenzen...,ders., Spaltungen in der Wiederholung, in: Spuren,Nr. 40, Hamburg 1992, ders., SUFI’s DRAI: WozuDiskontexturalitäten in der AI?“, ÕGAI Journal,Vol.8/1, 1989, S. 31—38

44. A. S. Yessenin–Volpin, The ultra–intuitionistic criticismand the anti–traditional program for foundations of ma-thematics, in: Intuitionism and proof theory, North Hol-land, 1970, S. 3–45, ders., About Infinity, Finiteness andFinitization, in: Constructive Mathematics, LNM 873,Springer 1981, S. 274–313

45. P. Cariani, Emergence and Artificial Life, in: ArtificialLife II,...,1992, S. 775–797

46. C. G. Berkowitz, 1988, An Approach..., S. 126

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Genealogie, De-Sedimentierung und die Vier

46

gen. Erst wenn Grund und Begründetes als gleichur-sprüngliche Elemente eines komplexen Wechselspielsverstandenwerdenkönnen,istdieHerrschaftdesGrundes,dieGenealogie,gebrochenundeinevomGrundlosgelösteunddamitautonomeRealisationmöglich. Eine solche Loslösung ist keine Negation desGrundes, sondern zieht den Prozeß des Negierens mitin die Loslösung ein.

In einem von der Herrschaft der Genealogie be-freiten Kalkül wie der Kenogrammatik gibt es jedochkeinenausgezeichnetenOrtderBegründung.WasGrund und was Begründetes ist, wird geregelt durchden Standort der Begründung. Der Wechsel desStandortesregeltdenUmtauschvonGrundundBe-gründetem.JederOrtderBegründungistindiesemFundierungsspielGrundundBegründeteszugleich.Orte sind untereinander weder gleich noch verschie-den;siesindinihrerVielheitvoneinandergeschie-den. Die Ortschaft der Orte ist bar jeglicherBestimmbarkeit.OrteeröffnenalseineVierheitvonOrten das Spiel der Begründung der Orte.

WarumjedocheineVierheitvonOrten?DieseläßtsichinsSpielbringen,wenndieMöglichkeitender Operativität einer Operation uneingeschränkt zurGeltung gebracht werden. Bei einer Operation wirdunterscheiden zwischen Operator und Operand. Zwi-schen beiden besteht eine Rangordnung, der Opera-tor bezieht sich auf den Operanden und nichtumgekehrt.DieseHierarchieistbestimmendfüralleformalen Logiken, Kaküle und Programmiersprachenund erfüllt die Bedingungen logozentrischen Den-kens. Sollen aber selbstbezügliche Strukturen model-liert und konstruiert werden, so sind vorerst zweizirkuläre Möglichkeiten, die der Rechts– und Linksläu-figkeit eines Kreises entsprechen zu unterscheiden: 1.was Operator war, wird Operand und 2. was Ope-rand war, wird Operator. Unter den mono–kontextu-ralen Bedingungen der Identität entstehen durch dieseModellierungzweikomplementäreantinomischeSi-tuationen. Obwohl zwischen Operator und OperandprinzipielleineDichotomiebesteht,istdanacheinOperator genau dann Operator, wenn er Operand istund ein Operand genau dann Operand, wenn erOperatorist.InderFigurdesUroboros,interpretiertals'self–indication',wirdvomRichtungssinnderZir-kularität abstrahiert.

DiedoppelteundgegenläufigeWidersprüch-lichkeitderZirkularität,diewegenihrerIsomorphieselten unterschieden wird, läßt sich vermeiden, wenndie Umtauschverhältnisse zwischen Operator undOperand über verschiedene Orte verteilt werden. Die-ser Möglichkeits–spielraum wird durch die Unter-

scheidung von Gleichheit und Selbigkeit eröffnet.Was Operator an einem Ort, ist Operand an einemandern Ort und umgekehrt. Damit wird die ZirkularitätderSelbstbezüglichkeitvonOperatorundOperandnachderFigurdesChiasmusübervierOrteverteilt.Die Zirkularität löst sich auf in einen chiastischen Me-chanismus von Ordnungs– und Umtauschrelationen indem die zwei fundamentalen Zirkularitäten zwischenOperator und Operand im Spiel sind, ohne dabei diefundamentale Hierarchie zwischen Operator undOperand zu verletzen. Umtausch– und Ordnungsrela-tionen,HierarchieundHeterarchiederOperativitätund Relationalität, fundieren und generieren sich ge-genseitig.SobasiertjeweilseineUmtauschrelationzwischenOperatorundOperand,bzw.zwischenOperandundOperator,aufzweiOrdnungsrelatio-nen, die die Hierarchie zwischen Operator und Ope-randanverschiedenenOrtenregeln.DieUmtausch-relation wiederum wird entsprechend durch zwei imModusderGleichheitverteilteOrdnungsrelationenfundiert bzw. generiert.

Dieser chiastische Mechanismus47

enthält somitzweigegenläufigeZirkularitäten,dieimklassischenFormalismusAntinomienproduzieren,undistübervier Orte verteilt, die durch Ordnungs– und Umtausch-relationen im Modus der Gleichheit voneinander ge-schieden sind. Dieser Mechanismus ist jederRelationalität,Funktionalität,Operationalitätundje-dem Unterscheidungsprozeß vorgängig, er zeigt sichin ihnen, ist selbst jedoch material nicht einschreibbar.Wegen seiner prinzipiellen Vorgängigkeit, die nur indervonjedersemiotischenMaterialitätbarenKeno-grammatik inskribiert werden kann, heißt er bei Gott-hard Günther 'proemial relationship' (griech.prooimium=Vorspiel)

48.DieserMechanismusgeht

jederOperationundjederUnterscheidungvoraus,wirdklassischvonihnenverdecktunderöffnettrans-klassisch Operativitätsbereiche jeglicher Komplexitätund Komplizität.

Insofern als die Proemialrelation Ordnungs– undUmtauschrelationen über verschiedene Orte distribu-iert und vermittelt, generiert sie einen Zusammenhangzwischen Hierarchie und Heterarchie. Diese wieder-

47. J. Castella, Konstruktion oder Modell des Geistes, in:Spuren, Nr. 39, Hamburg, Febr. 1992, S. 31–33,ders., Kontextur–Diffrance–Kenogramm, Dekonstruk-tive Bemerkungen zur Symbol–Subsymbol–Debatte,IKS–Berichte, Institut für Kybernetik und Systemtheo-rie an der TU Dresden, 1992

48. G. Günther, Cognition and Volition, Beiträge...,Bd.II, S. 226

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47

um fundieren die proemielle Dissemination von Ord-nungundUmtausch,daheristdieProemialrelationselbst proemiell. Die Selbstbezüglichkeit bzw. antino-mienfreie Autologie

49 der Proemialität, d.h. die Auto–

Proemialität,machtihreGrundstrukturausundläßtsicheinziginderKenogrammatikeinschreiben,da-her wurde zwischen der 'offenen', Komplexität gene-rierenden und der 'geschlossenen' Proemialitätunterschieden

50. Dieser Fundierungs– und Gene-rie-

rungszusammenhang wird bei Günther bezogen aufdie Dreiheit von Ich–Du–Es als 'founding relation'

51,

bezogenaufdieVierheitvonUmtausch,Ordnung,Kognition und Volition als 'proemial' relationship ein-geführt.

Wieersichtlich,werdendurchdenMechanis-mus der Proömik

52 selbst genau vier Orte und nur vier

Orteeingenommen,generiertundge–/verbraucht.Damit sind aber alle strukturellen Möglichkeiten zwi-schen Operator und Operand im Modus von Gleich-heit,SelbigkeitundVerschiedenheitdurchgespielt.Deshalb, und weil mit der Unterscheidung Operator/Operand eine Elementar–Kontextur bestimmt ist, wirddie Polykontexturalität immer schon begonnen habennicht mit (der) Eins, sondern mit (der) Vier; daher dieVierheit. Positivsprachlich ist der Begriff des Ortes nurparadox bestimmbar. Der Ort der Orte ist als Ab–Ortin diesem Spiel der Orte an jedem der Orte je schonverspielt. „Die Topik der Krypta folgt einer Bruchlinie,die von diesem Freispruch: Nicht–Ort oder Außer–OrtbiszudemanderenOrtreicht:demjenigen,woder'Tod der Lust' im stillen noch die einzige Lust markiert:sicher, ausgenommen –....Der kryptische Ort ist alsoauch eine Grabstätte. Die Topik hat uns gelehrt, mit ei-nem gewissen Nicht–Ort zu rechnen.“

53

7 Die Orte Ludwig Wittgensteins

Der Ort, bzw. der logische Ort, hat von jeher inder Logik eine Bedeutung gehabt und für eine gewisseUnruhe des Denkens gesorgt. Beim Aufbau der klassi-schen Logik, die wir zu verlassen versuchen, heißt es– chronologisch geordnet –:

„1.11.1914DerSatzmußeinenlogischenOrtbestimmen.

7.11.1914 Der räumliche und der logische Ortstimmen darin überein, daß beide die Möglichkeit ei-ner Existenz sind.

18.11.1914 Es handelt sich da immer nur um dieExistenzdeslogischenOrts.Was– zumTeufelistaber dieser ’logische Ort’!?“.

54

Die logischen Orte Wittgensteins sind durch dieKoordinaten der logischen Variablen und die Wahr-heitswertverteilungbestimmt.DerlogischeOrteinesSatzeskanneinenPunkt,einenTeilraumoderauchden ganzen logische Raum einnehmen. Die logischenOrte bilden die Möglichkeit für die Existenz von Wel-ten. Die Orte sind nur bzgl. ihrer Indizes voneinanderverschieden, sie sind die Orte eines und nur eines lo-gischenZusammenhanges.IhreLogikbegründendeExtensionalität und Monokontexturalität unterscheidetsie entschieden von den qualitativen Orten der anti-ken Gedächtniskunst, der Mnemotechnik. AusserhalbdeslogischenRaumesgiltkeineRationalität;einzigdasSchweigenalslautlosesVerstummen.DieOrteWittgensteins, heute noch Leitidee der KI–Forschung,insb.derlogischenProgrammierung,pflegenkeineVerwandtschaft mit einer „Architektur, die weder ein-schließt, noch aussperrt, weder abdichtet noch unter-sagt.“

55

8 Orte und Polykontexturalität

Die Orte der Polykontexturaltät sind von denenWittgensteins prinzipiell verschieden. Um das Bilddes Koordinatensystems zu benutzen, in das nachWittgenstein alle Elementarsätze der Welt und alle lo-gischenZusammenhängezwischenihnen,alsodieganzeWelt,abgebildetwerdenkann,wäreeinOrteiner Elementar–Kontextur der Nullpunkt des Koordi-natensystemsunddiePolykontexturalitätwäreüber

49. R. Kaehr, J. Ditterich, Self—Referentiality, Trans-junctional Operations, Polycontexturality, in: Sup-port, Society and Culture. Mutual uses of Cyberneticsand Science, (G. de Zeeuw, R. Glanville Eds.), Am-sterdam 1991, S. 127–136

50. R. Kaehr, Materialien zur Formalisierung der dialek-tischen Logik und der Morphogrammatik 1973—75,in: G. Günther, Idee und Grundriß einer nicht—Ari-stotelischen Logik, Felix Meiner Verlag, Hamburg21978, 117 S.

51. G. Günther, Formal Logic, Totality and the Super–Ad-ditive Principle, BCL Rep. No. 3.3, 1966, s.a. ders.,Beiträge, Bd. I, 1976

52. G. Günther, Der Tod des Idealismus, Ms., S. 19353. J. Derrida, FORS, in: N. Abraham/M. Torok, Krypt-

onymie. Das Verbarium des Wolfsmanns, UllsteinMaterialien, Berlin 1979, S. 19

54. L. Wittgenstein, Tagebücher 1914-1916,Frankfurt/M55. Eva Meyer, Autobiographie der Schrift, Stroemfeld/

Roter Stern 1989, S. 39, dies., Architexturen,Stroemfeld/Roter Stern 1986

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Das Spiel der Spiele

48

eine Vielheit solcher Nullpunkte und damit über einerVielheit von Koordinatensystemen verteilt. Wenn alsodie ganze (Leibniz–Wittgensteinsche) Welt in einemund nur einem Koordinatensystem abbildbar ist, so istin ihrem Nullpunkt nichts abbildbar. Denn sowohl dieVariablen für Elementarsätze, die Wahrheitswertver-teilung,wiedieWahrheitswertfunktiondesZusam-menhangs der Elementarsätze, fehlen an einemsolchen Nullpunkt. Dieser Nullpunkt ist die Metapherfüreinenlogisch–strukturellenOrtimSinnederKon-texturalitätstheorieundderKenogrammatik.DieserOrt ist gewiss ohne Eigenschaften, ja er steht ausser-halbderMöglichkeitEigenschaftenzuhabenunddennochisterderErmöglichungsgrundallermögli-cher logischer Sätze. In der Kenogrammatik wird eineVielheit von verschiedenen Orten dieser Eigenschafts-losigkeit unterscheiden. Aber hier endet der intra–me-taphorische Gebrauch des Nul lpunkts; einKenogrammmarkiertgewißkeinenNullpunkteinesSystems von Koordinaten jedweder Art, sondern eherden Ort, den ein solcher Nullpunkt einnehmen könnteundverweistaufEmilLaskunddas'logischNack-te'.

56

Die Polykontexturalitätstheorie wäre hier in Zu-sammenhang zu bringen mit der Vielheit der Wittgen-steinschenSprachspiele.Nurdaßsieversucht,dieOperativität des Kalküls in die Verstricktheit derSprachspieleherüberzuretten.Wasallerdingsnurunter Hintergehung des common sense der Umgangs-sprache gelingen kann. Nicht die Unterscheidung Kal-kül/Sprachspiel sollte hier leiten, sondern dieDekonstruktion der Hierarchien zwischen den beidenKonzeptionen bzw. Spielen und auch zwischen künst-lichen und natürlichen Sprachen und Notationssyste-men.

9 Das Spiel der Spiele

Zwischen Welt und Logik–Kalkül oder zwischenSemantikbzw.MeontikundArchitektonikeinerfor-malen Sprache gibt es in der Logikforschung bzw. inder Graphematik prinzipiell nur vier Stellungen:

1. eine Welt/eine Logik (Tarski, Scholz),2. eine Welt/viele Logiken (Grosseteste, Wilson

57)

3. viele Welten/eine Logik (Leibniz, Kripke) und 4. viele Welten/viele Logiken (Günther, Axelos).

Die vierte Stellung sprengt den Rahmen der klas-sischenLogikkonzeptionenundkannnurtransklas-sisch paradox gekennzeichnet werden als ’einWeltspiel von vielen Welten und vielen Logiken’ oderals ’Zusammenspiel vieler Welten und vieler Logikenin einem Spiel’. Solche Spiele sind ohne Grund. DiesistdieSituationderpolykontexturalenLogik.Ohnediese Kennzeichnung fällt sie in die erste Stellung zu-rück. Dieses Geviert von Welt und Logik expliziert dieDekonstruktion der Begrifflichkeit von Identität und Di-versität im Hinblick auf die Einführung der doppeltenund gegenläufigen Unterscheidung von Selbig-keit(en), Gleichheit(en) und Verschiedenheit(en).

10 Allgemeingültigkeit vs. Individualität

Eine allgemeine Theorie lebender Systeme stehtvor dem Paradox, daß sie sowohl für alle Lebewesengleichermaßen gelten soll, wie auch, daß jedes Lebe-wesen in seiner Lebendigkeit vom anderen vollständigverschieden ist und es also nicht mit anderen Lebewe-senuntereineallgemeineTheorielebenderSystemeversammelt werden kann. Wie kann eine allgemeineTheorielebenderSystemeentwickeltwerden,wenndiese für denjenigen, der sie entwickelt, mitgelten soll,wenn also die Tatsache, daß sie produziert wird, mitin die Produktion der Theorie aufgenommen werdenmuß.DieserTatsachewirdwederdieKybernetik2.OrdnungnochdieTheorieautopoietischerSystemegerecht, wenn etwa Varela fragt „What is common toal l l ivingsystemsthatal lowsustoquali fythemasliving?“.

58

Dieses Verhältnis des Einbezugs erzeugt eineForm der Form, eine Reflexionsform im Sinne einerFormation der Form. Die Theorie der Form ist bei Gün-ther eine Theorie der Reflexionsform. „Wir haben esmit der von uns geübten Betrachtungsweise aber aus-schliesslichmitStrukturtheorie

59zutun,alsomitder

56. R. Gasché, The Tain and the Mirror, Derrida and thePhilosophy of Reflection, Harvard University Press,Cambridge, Massachusetts 1986

57. R. L. Wilson, Prenex normal form in the modal predi-cate logic PS*S and the Grosseteste algebra of setsGS*S, Zeitschr. f. math. Logik und Grundlagen d.Math., Bd. 29, S. 271–280 (1974)

58. F. Varela, Principles of Biological Autonomy, ElsevierNorth Holland, 1979, S. 4

59. Eine völlig andere Auffassung von Strukturtheorie istin einer auf L. B. Puntel zurückgehenden Dissertationzu finden, G. Siegwart, Semiotik und Logik, Untersu-chungen zur Idee einer Strukturtheorie, Diss. Univ.München, 1982, s.a. L. B. Puntel, Transzendentalitätund Logik, in: Neue Hefte für Philosophie, Heft 14,1978, S. 76–114.

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49

Lehre von dem, was Hegel in seinem Brief an Schellingvom2.Nov.1800als’Reflexionsform’bezeichnethat.“

60 Und als Abgrenzung zur klassischen Formkon-

zeption: „DassdieklassischezweiwertigeLogikzurEntwicklung der Theorie sich in ihrer Komplexität stän-digsteigerndenReflexionsformenunbrauchbarist,daran dürfte heute nur wenig Zweifel bestehen. Durchihre Zweiwertigkeit ist ihr äusserste Strukturarmut auf-erlegt.“ (ibd.)D.h.,dertranszendental–logischeUn-terschied von Kategorialform und Reflexionsform(Lask)wirdhierrelevant.DieTheoriemußinihrerStruktur, bzw. in ihrer Architektonik, das Paradox vonAllgemeingültigkeit und simultaner Individualität undAutonomieerfüllen.SoistdiePolykontexturalitäts-theorie als reine Strukturtheorie eine Theorie der Refle-xionsform, während der CI der Kategorialformzuzuordnen ist. Es reicht also nicht aus, die Architek-tonik identitätslogisch konzipiert zu lassen und nach-träglichverschiedenstenSelbstbezüglichkeiteneineHeimstattanzubieten.

61DieSelbstbezüglichkeitist

fundamental,betrifftdasFundament,diegesamteArchtitektur des Systems und läßt sich nicht nachträg-lich als Domestikon unterbringen. Dem wiedersprichtnicht, daß sich diese Selbstbezüglichkeit in einem an-derenZusammenhang,nämlichdemderArchitekto-nikpolykontexturalerSysteme,alsabgeleiteteoderzumindest als komplementäre Struktur erweist. Die Ar-chitektonikderreflexionalenStrukturtheorieistsomitnichthierarchischnachMaßgabeeinesklassischenBauwerks, sondern heterarchisch, d.h. durchdrungenvon ineinander verwobenen hierarchischen Ordnun-gen und ihren strange loops, konzipiert und bildhaftmit den virtuellen Bauwerken Eschers zu vergleichen.

DieProduktionderBeschreibungunddasWis-senumdieEinbezogenheitdesWissendenindasWissen lassen sich nicht als Einheit verstehen und las-sensichdahernichtdurcheinenAktderUnterschei-dung, das Vollziehen einer Distinction alleincharakterisieren. Auch nicht durch Iterationen und Re-kursionenvonUnterscheidungen,sondernnurdurcheine Simultaneität, ein zeitneutrales Zugleich von dif-ferenten und differierenden Differenzen. Die Gleichur-sprünglichkeit von System und Umgebung, vonUnterscheidendem und Unterschiedenem allein ist zu

schwach, da sie wegen der Notwendigkeit der Benen-nung,derIndikationbzw.derDesignation,wiedereine Asymmetrie einführt und das Wechselspiel zwi-schen den Gleichursprünglichkeiten stoppt. Es ist alsonichtnureineVielheitvonGleichursprünglichkeiten,sondern auch ein proemieller Mechanismus ihres Zu-sammenspiels vonnöten.

11 Semiotik und Kenogrammatik

Eine Einführung der Kenogrammatik läßt sich amLeitfadendesVerhältnissesvonKenogrammatikundSemiotik durchführen. Die Kenogrammatik muß in ei-nem Bereich situiert werden, der unabhängig vom Se-miotischen ist, da diese eine Differenz generiert, dieüberhaupt erst Zeichen ermöglicht. Kenogramme ge-ben den Ort an, an dem eine Semiotik sich realisiert.DasProblemist,daßesinderKenogrammatikeineVielheit von in sich verschiedenen Orten gibt, anderer-seitsjedochnureineallgemeineKonzeptionderSe-miotik existiert. Der Begriff des Ortes ist von derSemiotikhergedachtdas,waseinEtwaseinnimmt,und jedes Etwas nimmt seinen je eigenen Ort ein, alsoauch Zeichen. Andererseits sind die Orte, die die Zei-chen(systeme) besetzen, als Orte untereinander unun-terscheidbar, im Begriff des Ortes gilt keinePrädikation und keine indikativische Unterschei-dungsmöglichkeit.

Eine Dekonstruktion der logozentrischen Voraus-setzungen der Symbolisierungsweisen und Notations-mittel kann sich daher nicht nur auf die natürlich-sprachlichenTextebeschränken.Siemußsichnichtnur auch mit den künstlichen Sprachen, z.B. der sym-bolischenLogikunddenProgrammiersprachen,be-schäftigen,sondernmußdieUnterscheidungselbstvonnatürlichenundkünstlichenSprachenhinterfra-gen. So gibt es etwa im formalen Sprachrahmen derAussagenlogik Prozesse, die in diesem nicht zur Dar-stellungkommenkönnen.Wenneinaussagenlogi-scher Operator auf einen Operanden angewandtwird,dannentstehteinProdukt,dieOperation,alsAusdruck der Veränderung des Operanden; der Ope-ratorselbstinseinerProzessualitätundOperativitätkommtjedochnichtzurDarstellung.Konsequenter-weise wird bei Gotthard Günther die KenogrammatiküberdieMorphogrammatikeingeführtundzwaralsInskription der operativen Tätigkeit von Operatoren inkünstlichen Sprachen, d.h. als Leerstellen aussagenlo-gischer Operationen.

WiederholungenimMediumdesSemiotischensind immer Iterationen eines Repertoires von vorgege-

60. G. Günther, Strukturelle Minimalbedingungen einerTheorie des objektiven Geistes, in: G. Günther, Beiträge...,Bd. III, 1980, S. 137

61. R. Kaehr, Kalküle für Selbstreferentialität oder selbst-referentielle Kalküle?, in: Forschungsberichte 228,FB Informatik, Uni Dortmund, 1990, S. 16–36

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Vom Kopf an die Tafel

50

ben Zeichen. Das heißt auch, daß jede Iteration einenund nur einen jeweiligen Anfang hat; die Anzahl derNachfolger ist dabei vorerst beliebig. Rein formal istallerdingseinMehr–Nachfolger–System,etwaeineWortarithmetik,immeraufeineüblicheuni–lineareArithmetik ohne formalen Verlust zurückführbar.Ebenso ist zu beachten, daß eine Iteration unabhän-gig von ihrem Vorgänger vollzogen wird, sie ist ato-mar, entsprechend ihrem Zeichenrepertoire. DieIterationhatkeineGeschichte,sieistnichtdurchihrVorher bestimmt. Sie ist abstrakt; die Zeichen werdenim Gebrauch weder verbraucht noch erzeugt. Rekurs-ionen basieren auf Iterationen und Variablen eines Re-kursionsschemas. Das Rekursionsschema definiertden Ablauf und den Typ der Rekursion. Die Objekteder Rekursion sind selber nicht rekursiv. Kenogrammebzw.MorphogrammesindinihrerWiederholungs-struktur Selbstabbildungen und keine Iterationen einesursprünglichen Zeichenrepertoires. KenogrammewerdensomitimVollzugihrerSelbstabbildunger-zeugt und eröffnen damit nicht nur die Möglichkeit derPKL, sondern auch die der transklassischen tabularenArithmetik.

62

12 Vom Kopf an die Tafel

Das Novum der Kenogrammatik gegenüber derSemiotik besteht darin, daß die transzendentalen Vor-aussetzungenderSemiotik,d.h.diekognitivenPro-zessederAbstraktionenderIdentifizierbarkeitundder Iterierbarkeit

63, also die Bedingungen ihrer Mög-

lichkeit in einen inner–weltlichen, d.h. konkret–opera-tiven Zusammenhang gebracht werden.

64Der

Prozeß der Abstraktion soll vom Mentalen, wo er alsVoraussetzung der Semiotik fungiert, ins Reale des In-ner–weltlichen konkretisiert werden, ohne dabei zumFaktum brutum zu gerinnen. Dies ist der operative Sinndes „Einschreibens des Prozesses der Semiosis“. Wo-durchwirdeinMediumbestimmt?DasMediumdesSemiotischen wird durch die Autoreproduktivität des

Zeichen–repertoires65

als Anfang einer Semiotik be-stimmt. In diesem Sinne gibt es kein Medium der Keno-grammatik; Medium und Kalkül sind ununter-scheidbar. Die Möglichkeit ihrer Unterscheidungscheidet aus; sie unterscheiden sich selbst gegenseitigund gegenläufig in ihrer unentscheidbaren Unter-schiedenheit.

Sind bei einer linearen Anordung bzw. einerSukzession von Zeichen immer nur Vorgänger undNachfolger eines Zeichens als unmittelbare Nach-barn bestimmbar, so ist bei einer kenogrammatischenKomplexion jedes Kenogramm mit jedem anderen imVerhältnis der unmittelbaren Nachbarschaft. DieNachfolgerrelationeinesZeichensistunabhängigvon der Länge der ihm vorangehenden Zeichenreihe.Dagegen ist die unmittelbare Nachbarschaft eines Ke-nogramms in einer Komplexion durch deren Komple-xitätbestimmt.ZeichenreihenkönnenwegenihrerAbstraktheit durch potentielle oder aktuale Unendlich-keit bestimmt sein, kenogrammatische Komplexionensind dagegen immer finit bzw. ultra–finit. Ein Nachfol-gereinerkenogrammatischenKomplexionbestimmtsichretrograd–rekursivdurchdieMaterialitätseinerGenesis. Diese definiert den Grad der simultanen Par-allelität ihrer Nachfolger. Damit löst sich die Sprech-weise der Dichotomie von Operator und Operand derNachfolgeroperation und ihrer Linearstruktur auf.DualzurdichotomisierendenkanndieTerminologieder Selbsterzeugung, der Autopoiese, von kenogram-matischenKomplexionen,etwavonMorphogram-men, eingebracht werden.

Im CI wird die Linearität des Unterscheidensdurch die zwei Axiome der Arithmetik garantiert: Axi-om2:werdenzweiUnterscheidungenzugleichvoll-zogen,sogiltkeineUnterscheidung.DieZugleich–bzw.Parallelstrukturistnichtmöglich,sieentsprichtdem leeren Bestimmungsraum, also dem Raum ohneBestimmung. D.h., der Wert der Nebenordnung vonUnterscheidungen ist der Wert der Enthaltung von Un-terscheidungen.DieNebenordnungistzwardurchdas'canceln'zugelassen,erzeugtjedochkeinenei-genenWertderNebenordnung,sondernentsprichtdemWertderEnthaltungderUnterscheidung,wasdurchdas'compensate'notiertwird.Axiom1:DasNacheinandervonUnterscheidungenhatdenWerteiner Unterscheidung ('condense'). Ist eine Unter-scheidungvollziehbar,soläßtsiesichwiederholen('confirm'). Unterscheidungen lassen sich nacheinan-

62. G. Günther, Number and Logos. Unforgettable Hourswith Warren St. McCulloch, Ms. 1975, s.a. R.Kaehr, Spaltungen..., 1992

63. A. Markow, Teoriya algorifmov, Akad. Nauk. SSSR,Moskau–Leningrad 1954, ders., The Theory of Algo-rithms, Transl. Office of Technical Services, Wa-shington D.C. 1962, 375 S., s.a. Petrov, LogischeProbleme..., 1971

64. R. Kaehr /S. Khaled, Über Todesstruktur, Maschineund Kenogrammatik, Interview, in: Spuren, Nr. 38,Okt. ’91, Hamburg, S. 47—53

65. M. Bense, Axiomatik und Semiotik, Agis–Verlag, Ba-den–Baden 1981

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51

der ausführen. Axiom 1 gibt die Reihenstruktur der Un-terscheidungenan.M.a.W.durchdiezweiAxiomeder 'primary arithmetic' wird die Homogenität und Li-nearität des Unterscheidens gegen die Heterogeneitätder zwei grundsätzlichen Unterscheidungsmodi gesi-chert. Damit ist das Axiomensystem isomorph zu denMarkovschenPrinzipienderIdentifizierbarkeitundderIterierbarkeitvonZeichengestalten,diedieab-strakte auf die Linearität bezogene Algorithmentheo-rie fundieren

13 Zur Proemialität des blinden Flecks

Gemäß der Vierheit der Orte, die zur Einführungeines Ortes je schon im Spiele sind, gibt es in polykon-texturalen Argumentationen keinen 'blinden Fleck' ei-nes Beobachters. Die Teilnahme an der Beobachtungerzeugt nicht einen, sondern eine Vielheit, mindestensjedoch vier, Verdeckungen des Beobachtens. Beziehtsich der Beobachter ein in den Prozeß der Beobach-tung und wird er so zum Anteil der Beobachtung, er-hält er den Spielraum durch jeweiligen Wechselseiner Position, die von ihm geschaffenen Verdeckun-gen zu ent–decken. Dem Wechselspiel von Entdeckenund Verdecken ist nicht zu entgehen. Die offeneProemialitätvonEntdeckenundVerdeckengründetsich in der Leere ihrer Orte. Vom Standort der Keno-grammatik ist die unabschließbare Offenheit desWechselspielsvonEntdeckenundVerdeckeneine(v)erschließende Regel.

DieanfänglicheVierheitdesWechselspielser-weist sich als unbeliebt und erweckt den Eindruck derBeliebigkeit.ZweiÄngsteleitendieseAbwehr:dieAngst vor der Zahl und die Angst vor der Leere. Im all-gemeinen wird diese Abwehr ohne jegliche Argumen-tation angenommen. Die Evidenz, daß die Vier einenatürliche Zahl und daß diese nur eine unter beliebigvielen Zahlen sei, also keinen ausgezeichneten Statusgeniesse,unddaßjedeAuszeichnungeinerbeliebi-gen natürlichen Zahl, sei es der drei, der vier oder derzehnodersonsteiner,sichderWillkürschuldigma-che, scheint keiner Argumentation würdig zu sein.

DieserEvidenzliegtderGlaubezugrunde,dieEins sei, da das Maß jeglicher Zahl, selbst keine Zahl.Damit ist die Eins, und von da her die Einheit, jeglicherarithmetischer Beliebigkeit enthoben. Denn das Maßder Zahl, die Einheit der Eins, die Unizität ist einzig,auch hat sie keine Entstehung. Damit wird das Eins–seinderEinszumPrinzip.InsofernallesErkennbareeins ist, ist die Eins das Prinzip alles Erkennbaren. DasErkennbare ist vielfältig, die Eins ist in sich ohne Unter-

schied. Also kann sie nicht Teil und Maß der Zahl(en)sein. Die Vielheit ist eine abgeleitete Bestimmung derEins, sie ist der Exponent der Wiederholung der Ein-heit.DieZahlistWiederholung(Aristoteles),später:der Index einer Operation (Wittgenstein).

Mit dieser Argumentation ist nicht nur jede Aus-zeichnung einer Zahl der Lächerlichkeit anheimgege-ben, sondern auch, und dies ist der eigentliche TriebderArgumentation,erfolgreicheinTabugegendieNull,dieLeereunddasNichtserrichtet.Dennwennalle Zahlen der Einheit der Eins entspringen, dann istfür die Leere kein Raum. Der Null, die später zugelas-senwird,kommteinzigeinenotationelleBedeutungzu.Philosophiegeschichtlichbetrachtet,wiederholtsich hier, wenn auch kaum bemerkt, die Positionsver-teidigung Aristoteles' gegen die Pythagoräisch–Plato-nischeZahlentheorie.AristoteleskritisiertunterderVoraussetzung der Uni–Linearität der natürlichen Zah-len den dimensionalen Aufbau der Welt, d.h. die po-lykon tex tu ra le St ruk tur der P la ton ischenZahlentheorie,ihreMehrlinigkeitundihreUnabge-schlossenheit.

66 In der Zwischenzeit hat sich die Õko-

nomie dieser Abwehr leergelaufen und macht Platz fürdie Zulassung der Null, die Annahme des Leeren unddie Ahnung komplexeren Denkens und Schreibens.

Motor dieser Entwicklung ist die Paradoxie vonEvidenzundKalkül,vonIdeologieundOperativitätdes Formalismus. In ihm ist stringent her– und ableit-bar,wasgegenjedeEvidenzverstößt.Überabzähl-bareZahlen,AntinomienundUnentscheidbarkeitenführenzurUnbegründbarkeitdesDenkensderEin-heit.DamitistdieseFigurdesDenkensabgeschlos-sen. Die Figur dieses Denkens eröffnet einzigSpekulationenüberdieNegativitätderLimitations-theoreme und steht damit in dualem Zusammenhangmit den vorangegangen Spekulationen der Beherrsch-barkeitvonKalkülenunterdemPrimateineregolo-gischfundiertenEvidenz(Husserl,Hilbert).DiesesDenkenistderInbegriffdesDenkensunterderHerr-schaft der Selbstverdeckung, also des 'blindenFlecks'. Von der Ohnmacht des Denkens dem 'blindenFleck' gegenüber zeugt das Trilemma jeglicher logo-zentristischen Begründung von Rationalität.

KlassischläßtsicheineEinheitalsEinheitnicht

66. R. Kaehr, Einschreiben in Zukunft. Bemerkungen zurDekonstruktion des Gegensatzes von Formal— undUmgangssprache in der Güntherschen Theorie derNegativsprachen und der Kenogrammatik als Bedin-gung der Möglichkeit extra—terrestrischer Kommuni-kation, in: ZETA 01, „Zukunft als Gegenwart.“ RotationWestberlin 1982, S. 191—237.

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Doppelte Unterscheidung und Polykontexturalität

52

wiederholen. Eine Einheit hat keinen Bezug zur Zahl.EinewiederholteEinheitistkeineEinheitmehr,son-derneinbeliebigesElementeinesRepertoiresausdem es zur Wiederholung geholt wird. Die Einheit istnur dann Einheit, wenn sie Repertoire und Wiederho-lung,IterationundMediumzugleichist.AusdieserWidersprüchlichkeitdesBegriffsderEinheitherausläßt sich über die Einheit auch nichts (aus) sagen. SiekenntkeinenUnterschied,anihrundinihrläßtsichkeine Unterscheidung treffen; sie ist das Ununter-scheidbare und das Ununterschiedene schlechthin.

Die Verbindung des Begriffs mit der Zahl erzeugtdem klassischen Denken nicht nur die Kälte der Äus-serlichkeit,sondernerstrechtdasSchwindelgefühlderUnendlichkeitunddieBodenlosigkeitderLeere.Das Verhältnis von Einheit und Vielheit ist daher neuzu bedenken. Eine bloße Umkehrung der Hierarchievon Einheit und Vielheit stünde jedoch weiterhin unterdemPrimateinermono–kontexturalenArgumentati-on,alsoderLogikderEinheit.DieMöglichkeitjegli-cherArbitraritätistderVierheitdesWechselspielsgeschuldet.

Was ich verdecke, ent–deckst du und was duver–deckst, entdecke ich; in unserem Zusammenspielent–gründenwirdasSpielderWelt.SubjektivitätistüberdenGegensatzvonIch–undDu–Subjektivitätverteilt und dieser ist in keiner terrestrischen Anthropo-logie von Ich und Du verankert.

67

DieMöglichkeitderEnt–deckungdesblindenFlecks ist in der Graphematik dadurch gegeben, daßzur Bestimmung eines Objekts eine Vierheit von Posi-tionen im Spiel ist, die sich gegenseitig und gegenläu-fig die Möglichkeiten der Ent–deckung der jeweiligenVer–deckungzuspielen.DasGeviertderFormationder Form entfaltet sich bei Gotthard Günther von derIdee des Denkens und der Idee des Willens zum Wil-len der Idee des Denkens und des Willens im Spiel derWelt

68.

Graphematisch läßt sich das Gewebe des 'blin-den Flecks', sein Mythos und sein Mechanismus, ein-betten in die Differenz von Kontexturalität und Keno-grammatik.

Der blinde Fleck des Anfangs eines Systems der

Unterscheidungen, die Dezision, d.h. die blinde Ent-scheidung, den Anfang eines Systems so und nicht an-ders zu setzen, die Entscheidung für eine Unter-scheidung, ist in der Graphematik, die den Spielraumfür die Notation der Simultaneität von kognitiven undvolitivenEntscheidungenundUnterscheidungenein-räumt,immerschoninseineVor/Nachträglichkeitverwickelt. Die Verwirklichung des blinden Flecks ge-nießt keine Unschuld, er ist immer schon befleckt.

14 Doppelte Unterscheidung und Polykontexturalität

Die Polykontexturalitätstheorie bzw. die Graphe-matik läßt sich generell verstehen als Theorie der Dis-semination von formalen Sprachen überhaupt und alsDekonstruktionsmethodologiefürdieTransformationvonphilosophischenundwissenschaftlichenTexten,wie dem Zusammenspiel dieser dekonstruierten natür-licher und künstlicher Kon–Texturalitäten überhaupt.

DieUnterscheidungeinerUnterscheidungkannunterderVoraussetzungderPolykontexturalitätent-weder auf sich selbst bezogen werden oder aber aufAnderes, sie ist also autologisch oder heterologisch.Jeder Bezug auf Anderes kreiert einen neuen kontex-turellenZusammenhang,derrückwirkenddieKom-plexitätderbestehendenKontexturenverändertunddie neue Kontextur in die Komplexion der Kontextureneingliedert. Die dadurch entstehende Vielfalt von Kon-texturen,diePolykontexturalität,läßtsichnichtaufeine lineare Sukzession von Reflexionsstufen im Sinneetwa einer Iteration und Rekursion von Logik undMeta–Logikenabbilden.DiePolykontexturalitätvonVerbund–Kontexturen gehört zum Strukturtyp derKomplexionenundnichtzumTypderReihengestal-ten. Sie charakterisiert autonome Gebilde, also Indivi-dualitäten, die in sich eine Vielheit von Reihen-gestalten enthalten. Damit unterscheidet sich ihre Kon-zeption von Ganzheit entschieden vom neo–mechani-stischen Ansatz

69der Theorie autopoietischer

Systeme, die sich ungebrochen der Herrschaft der Li-nearität der Zeit anheimgeben.

Die Unterscheidung von Unterscheidendem undUnterschiedenem,dieUnterscheidungeinerUnter-scheidungkannalsoindoppelterWeiseverstanden

67. R. Kaehr, Vom ’Selbst’..., 1992. Zur Anthropologieder Ich–Du–Beziehung, s. insb. L. Binswanger,Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins,Zürich 21953, F. Jaques, l'éspace logique de l' inter-locution, dialogiques II, puf Paris 1985, u.a. G. Gün-ther, Idee und Grundriß, 1978

68. G. Günther, Märchen, Begriff und System, Vortrag18.10. 1980, FU Berlin, Ms. 20 S.

69. P. M. Heijl, Die zwei Seiten der Eigengesetzlichkeit.Zur Konstruktion natürlicher Sozialsysteme und zumProblem der Regelung, in: Kognition und Gesell-schaft, S.173 ff.

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werden a) als Iteration und b) als Simultaneität. Die Ite-rationentsprichtderReihengestaltungdesDenkenswiesiedurchdieLinearitätdesPhonologismusbe-stimmt wird und auf der Sukzession von Einheiten ba-siert. Dabei gilt die Einheitenlogik als die Logikstabilernicht–lebenderObjekte,dieIndividuenlogikdagegen als die Logik des Lebendigen (Egger). Die Si-multaneität entspricht der Parallelgestaltung des Den-kens und Handelns und gründet sich auf Kom-plexionen.Einheitensindjedochidentitätstheoreti-scheObjekte,siekönnenuntereinanderbzw.nach-einander nur identisch oder divers sein, sie sind alsoentwedergegebenodernichtgegeben.SiesindimMediumdesSemiotischendefiniert.Komplexionensind dagegen differenztheoretische Objekte, in ihnenundzwischenihnengeltenUnterscheidungen,Diffe-renzen. Diese sind nicht gegeben, sie sind keine Ein-heiten, haben keinen ontischen Status, sondernmüssenvollzogenwerden.Differenzenbasierenso-mit auf Handlungsvollzügen. Differenzen lassen sichnicht positivsprachlich kennzeichnen, sie sind alsskripturale Handlungen nur negativ, nicht semantisch,sondern meontisch und kenogrammatisch einzu-schreiben.IndiesemSinneistdieGüntherscheKon-zeption einer Negativsprache, die das nicht–verdinglichendeEinschreibenvonDifferenzen,d.h.alsovonKenogrammen,faktischzurealisierenver-sucht,ein „allgemeinerCodexfürHandlungsvollzü-ge“

70.

Der Unterschied zwischen klassischer Einheiten-logikundtransklassischerDifferenzenlogikbestehtalsonichtinderverschiedenenGegebenheitsweisevonObjektendesDenkens,sondernimgraphemati-schen Status der Objekte; im einen sind es prädizier-bareObjektesemantischerArt,imanderensindesoperationale Differenzen im Sinne der Kenogramma-tik.

In jedem einzelnen kontexturalen Zusammen-hang gelten lokal die Gesetze der Form. Jede Kontex-tur hat ihre Unterscheidung und ihre Markierung derUnterscheidung, ihre zwei Zustände der Markierung.Das Unmarkierte innerhalb einer Kontextur ist jedochirreduzibel vieldeutig, es markiert in ihr das Fehlen ei-ner Markierung und das Bestehen einer Markierung ineiner anderen Kontextur. Diese minimale Doppeldeu-tigkeit ist nicht aufhebbar, wäre sie dies, dann wäredas Andere das Selbe und nicht das Gleiche des Erste-ren. M.a.W. eine Komplexion von Kontexturen, eine

Polykontexturalität,istetwasZusammenhängendes,ein Verbund. Was also innerhalb der einen Kontexturmarkiertwird,istausserhalbderanderen.Undwasausserhalbdereinengilt,giltinnerhalbeinerande-ren. Dieser Zusammenhang ist im Sinne der Meontik,die es erlaubt, negative Sachverhalte zu designierenohnesieaffirmierenzumüßen,multi–negationalbe-schreibbar.

Kontexturen sind über verschiedene Orte verteiltundmiteinandervermittelt.Diesgeschiehtnunnichtso, daß an jedem einzelnen Ort eine einzige Kontex-tur,eineElementarkontextur,lokalisiertist.Diesgiltnur als spezielle Situation wie sie etwa von der Stellen-wertlogik vorausgesetzt wird, wesentlich ist, daß sichdie über die Orte verteilten und miteinander vermittel-ten Kontexturen gegenseitig durchdringen, so daß jeKomplexitäteinesOrtesbzw.derKomplexitätderkontexturalen Gesamtsituation sich mehrere Kontextu-ren je Ort versammeln können. Je Ort gelten dann zu-gleichmehrerekontexturaleZusammenhänge.Übersolche polykontexturale Komplexionen, Verbundkon-texturen, lassen sich Aussagen machen und Gesetzeder Form, d.h. der Reflexionsform, formulieren. Dabeiwerden neue kontexturale Zusammenhänge eröffnet,dieselberwiederumthematisiertbzw.kontexturali-siert werden können. Dadurch entsteht jedoch kein in-finiter Progreß der Kontexturation, da ihr Mecha-nismus selbst in einer Kontextur zur Darstellung kom-menkann.M.a.W,eslassensichdienicht–themati-sierten Konzeptionen und Instrumentarien, die jeweilszum Aufbau benötigt werden, in einer anderen Kon-textur, selbst wiederum thematisieren. Damit wird derals Anfang der Konstruktion gesetzte AusgangspunktvonjeglichergenealogischenFundierungsauflageentbunden.

15 Einführung der Polykontexturalitätstheorie

Die kalkültechnische Einführung der Polykontex-turalenLogik(PKL)istnunimwesentlichenunabhän-gigvonderalsAusgangspunktderDekonstruktiongewähltenLogik.EinmalsindalledieseSystemeimwesentlichenuntereinanderisomorph,andererseitsläßt sich die Einführung der PKL mit jeder bekanntenLogikkonzeptionundjedemdazupassendenmathe-matischen Apparat vornehmen.

Jeder gewählte Beginn der Konstruktion oder Re-konstruktion der polykontexturalen Logik betont einenbestimmtenkalkültheoretischenAspekt,derbeidenanderen Ausgangspunkten latent oder sekundär

70. G. Günther, Identität, Gegenidentität und Negativ-sprache, in: Hegel—Jahrbuch 1979, S. 22—88

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Stellenwertlogik, Kontextwertlogik und Vermittlungstheorie

54

bleibt. So betont ein semantischer Aufbau primär denBezug zur Bedeutungstheorie seiner Zeichen und zurOntologie, die dem Kalkül zu Grunde liegt und indu-ziert in der PKL den Übergang von der Semantik zurMeontik und die Desedimentierung der symmetri-schenUnterscheidungenvonPositivität/Negativitätund Designation/Nondesignation zu einer Asymme-trieundgeneriertdamitdieEinführungderpolykon-texturalen Strukturtypentheorie

71.

Dissemination72

vonformalenSystemen,etwavonlogischenFrameworks

73,heißtimAnschlußan

Günther vorerst deren Distribution und Vermittlung74

.EinausgezeichnetesFrameworkwirdzumLeitfadenderVerteilungderFrameworksüberverschiedenenOrtengesetztunddiesoverteiltenSystemewerdenmiteinander verknüpft bzw. vermittelt. Die Verteilungvon formalen Systemen über verschiedene Orte wirderst dann verständlich, wenn sie nicht mehr unter demPrimat der Identität gedacht werden muß. Da nur vondemausgegangenwerdenkann,wasgegebenist,muß das eine und einzige formale Systeme an den ver-schiedenen Orten im Modus der Gleichheit im Gegen-satz zur Selbigkeit plaziert werden. Ebenso können,wie oben schon erläutert, an einem Ort mehrere Syste-me lokalisiert werden, dies natürlich in Abhängigkeitvon den strukturellen Möglichkeiten des Systems, diedurch seine Komplexität und Kompliziertheit bestimmtwird.DadurchentstehenKomplexionenvonFrame-works, bzw. von formalen Systemen, etwa von CI’s, je-dochkeinformalesSystemundkeineformaleLogikvonKomplexionen,alsokeineLogikdesKomplexenundauchkeine „komplexeLogik“

75,sondernKom-

plexionen von logischen Frameworks überhaupt. Unter der Bedingung, daß je Ort ein und nur ein

formalesSystemgesetztundmitdenNachbarsyste-men vermittelt ist, wird im Bereich des Logischen dieKonzeption der Stellenwertlogik eingeführt.

16 Stellenwertlogik, Kontextwertlogik und Vermittlungstheorie

Es treten in der Stellenwertlogik für homogeneOperationen, etwa logische Junktionen und Negatio-nen, soweit sie die Vermittlungsbedingungen der Stel-lenwertlogikerfüllen,keinekalkültechnischenoderinterpretatorischenKomplikationenimHinblickaufdie Ausgangslogik, etwa die Semantik der Aussagen-logik, auf. Dieser homogene Parallelismus wird aller-dings gestört, sobald Transjunktionen ins Spielkommen. Denn diese spiegeln die gegenseitigen logi-schen’Störungen’derSysteme,dasEindringenvon’Fremdwerten’ im Sinne von Rejektionswerten wider.Innerhalb der Vermittlungskonzeption der Stellenwert-logik, sind die ’Störungen’ der Transjunktionen aller-dingsnurfunktionalvonBedeutungundtangierennochnichtdieArchitekturderKomplexionvonLogi-ken. D.h., die Transjunktionen erscheinen nicht als fun-damentalerundirreduziblerBestandderLogik,wieetwa die verschiedenen Elementar–Negationen, son-dern lassen sich mithilfe von Junktionen und Negatio-nen, bzw. mit entsprechenden Junktionen allein,definieren.DamitwirddierejektionaleDisturbationder junktionalen Homogeneität mit den Mitteln dersel-ben definiert.

SomitreduziertsichdieseDisturbationaufdieOrdnungderhomogenenjunktionalenFunktionen,also auf die Akzeptionsfunktionalität. Umgekehrt, läßtsich die rejektive Disturbation mit junktionalen Mittelnerzeugen; die Rejektion ist durch die Akzeption defi-nierbar.DieTransjunktionenwerdenin'CyberneticOntology' als Operatoren des ’order from (order anddisorder)’ motiviert und sollen den kybernetischen In-dex für Subjektivität bestimmen. Der umgekehrteWeg, mithilfe der Transjunktionen und Negationen al-lein die Junktionen zu definieren, gelingt wegen derenSelbst–Dualität auch in der Stellenwertlogik nicht. Um-formungderMorphogrammevontransjunktivenzujunktivengelingtinderreflektionalenMorphogram-matik. In ihr hat Günther (1960) die „morphogramma-tische Unvol ls tändigkei t“ der zweiwert igenAussagenlogikunddie „quindezimaleFundierung“seiner Stellenwerttheorie (1962) aufgewiesen.

76

DieDefinierbarkeitderTransjunktionendurchJunktionen ist auch ein Kriterium für den Unterschiedzwischen der Stellenwert– und der polykontexturalenLogik. Die Stellenwertlogik kennt je Ort eine und nureineKontextur.D.h.genauer,siekenntdenUnter-schiedvonOrtundKontexturnicht.Insofernistsienicht poly–kontextural, sondern reflexional zu charak-terisieren. Sie ist als Stellenwertlogik eine Reflexions-

71. G. Günther, Strukturelle Minimalbedingungen...,1968

72. J. Derrida, La Dissmination, Paris, Seuil, 197273. R. M. Smullyan, Abstract Quantification Theory, in:

Intuitionism and Proof Theory, London 197074. G. Günther, Idee und Grundriß..., Vorwort zur 2.

Aufl., S. XXVIII., R. Kaehr, Materialien..., S. 25 ff.75. A. A. Sinowjew, Komplexe Logik, Grundlagen einer

logischen Theorie des Wissens, VEB Deutscher Ver-lag der Wissenschaften, Berlin 1970

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logik und als solche eine reflexionslogische Deutungvon mehrwertigen Logiken als Logiken der Reflexions-form. Das Stellenwertprinzip, die Positionalität einesLogik–Systems, ist zwar eingeführt und dient der Inter-pretationderlogischenunärenundbinärenFunktio-nen, bezieht sich damit jedoch nur auf interneKonstrukte des Formalismus und nicht auf die Architek-tonik der Formalismen selbst. Ebenso ist die Deutungder Transjunktion als einer stellenwertlogischen Rejek-tionsfunktionnurunterderBedingungderlogischenWertfunktionalität,d.h.derVoraussetzungtotalerFunktionen,sinnvoll.Zudemistdasstellenwertlogi-sche Dekompositionsprinzip auf den Fall der unärenund binären Funktionen beschränkt.

77 Die Unterschei-

dung von multinegationalen Zyklensystemen und derAkzeptions– und Rejektionsfunktionalität der binärenOperationenundderenmorphogrammatischeFun-diertheit realisiert noch nicht den Unterschied von Ortund Kontexturalität, der für die Realisation einer simul-tanen Verwebung von verschiedenen Kontexturenund ihren Logiken an einem logisch–strukturellen Ortvorausgesetzt werden muß.

DieStellenwerttheorieläßtsichnachGüntherauch als die Logik der Komplexität, d.h. der akkretivenKomplexität verstehen, deren komplementärer Logik-typ die Kontextwertlogik als Logik der Kompliziertheit,d.h. der iterativen Komplexität fungiert. Beide Logikty-pendefiniereninihremintegrativenZusammenspieldielogisch–strukturelleVermittlungstheorie.DieStel-lenwertlogikgiltalsmeontischeWahrheitslogikunddieKontextwertlogikalsfunktionaleStrukturlogik

78,

fürdienichtsemantischeKonzeptewieErfüllbarkeitund Allgemeingültigkeit, sondern funktionale BegriffewieKontext–undStandpunktinvarianzvonFormelnrelevant sind.

EsgiltauchfürdieVermittlungstheorie,d.h.fürdieLogikderReflexionsform,daßjelogischemOrteine und nur eine Logik distribuiert ist, und daß jederlogischer Ort mit nur einer Logik besetzt wird. Eine Lo-

giknimmtihreStellungeinundbesetztdamitihrenOrt. Die Stellenwertlogik ist die Logik dieses Stellung-nehmens von Logiken, sie gibt die Gesetze der jewei-ligenStellungenderLogikenunter–undmiteinanderan, als solches Stellenwertsystem ist sie selbst jedochblind für ihre eigene Stellung und somit für die Unter-scheidungvonLogik–SystemunddemOrtdesSy-stems.

17 Disseminatorik und Polykontexturale Logik

Die Stellenwertlogik wird bei Günther nach demVorbilddesPositionalitätsprinzipsdernatürlichenZahlen eingeführt. Die Mehrwertigkeit wird linear ge-ordnet und zwischen je zwei Werten gilt eine klassi-scheLogik.EswirdalsodieLinearitätderReihedernatürlichen Zahlen auf die Anordung, d.h. die Stellun-gen der einzelnen zweiwertigen Logiken der Stellen-wertlogik,angesetzt.DiePositionalitätderStellen-wertlogikistnochaufdieLinearitätdesLogozentris-mus beschränkt und läßt keine tabulare Disseminationüber nicht linear geordnete Orte zu. Die stellenwertlo-gischenLogikenbzw.Subsystemefolgeneinandersukzessive nach den Regeln der arithmetischen Nach-folgeroperation. Dies hat der Konzeption der Stellen-wertlogik den Vorwurf der Beliebigkeit und dermonotonen Leerheit der Iteration eingebracht.

M.a.W.,eskonnteargumentiertwerden,daßdieLogikzwarmehrwertig,bzw.stellenwertlogischdistribuiert sei, jedoch nach Maßgabe der klassi-schen,inderZweiwertigkeitfundiertennatürlichenZahlen. Daher sei es ein Leichtes, die DistribuiertheitderStellenwertlogikdurchArithmetisierung(Gödeli-sierung)wiederrückgängigzumachen.

79Aufdie

Idee und den Vorschlag, auch die Logik und nicht nurdieArithmetik,mitdemPrinzipderPositionalitätzuverbinden, brauchte daher nicht eingegangen zu wer-den. Dies wohl auch deswegen nicht, weil etwas spä-terdieDistributionsbedürfnisseeinerintensionalenSemantik durch die auf Leibniz zurückgehende Mög-liche–Welten–Semantik

80befriedigtwurden,ohne

daß dabei die klassische Ontologie geopfert werdenmußte.

Im Gegensatz zur Stellenwertlogik, läßt sich die

76. G. Günther, Cybernetic Ontology and Transjunctio-nal Operations, BCL Technical Report No. 4, 1. April1962, 113 S., ders., Das Problem einer Formalisie-rung der transzendental–dialektischen Logik unter be-sonderer Berücksichtigung der Logik Hegels, in:Heidelberger Hegeltage 1962, Hegel–Studien Bei-heft 1, 65–123, beide in: ders., Beiträge..., Bd. I,1976

77. H. S. Na, On structural analysis of many—valued lo-gic, BCL—Rep. 106,1964, in: BCL Publications., s.a.Th. Mahler, Morphogrammatik, KombinatorischeAnalyse der Polysemie, in: IKS Berichte..., 1992

78. R. Kaehr, Materialien..., 1976

79. G. Frey, Sind bewußtseinsanaloge Maschinen mög-lich? Studium Generale, Jahrgang 19, Heft 3 (1966)

80. S. A. Kripke, Semantical Analysis of Modal Logic I,ZML 9 (1963), S. 67–96

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Disseminatorik und Polykontexturale Logik

56

PKL verstehen als die nicht mehr auf die Linearität be-schränkte, nicht–restringierte Õkonomie der Dissemi-nation von Logiken nach Maßgabe der Tabularität derKenogrammatik und der in ihr fundierten Arithmetik.Das Prinzip der Positionalität, das bis dahin einzig in-tra–arithmetische Gültigkeit zur Konstruktion von Zahl-zeichen hat te, wird vermi t te l t über dieKenogrammatiknunaufdieArithmetikselbstange-wandt, die dadurch disseminiert wird und sich damitjeglicher Gödelisierung entzieht.

EineFormalisierungpolykontexturalerZusam-menhänge kann nicht durch intra–systemische Erwei-terungen einer monokontexturalen Logik realisiertwerden.FormaleSystememüssensichalsGanzeineine Erweiterung einbeziehen lassen. Dies kann vor-erst auf verschiedene Arten versucht werden. So las-sensichneueformaleSystemekonstruierendurchdirekte Produkt– oder direkte Summenbildung im Sin-nederSystemtheorie.Bzgl.derLogikentstehenda-durchdieinderLiteraturbekanntenProdukt–undSummenlogiken,wiesieu.a.zurBildungmehrwerti-gerLogikeneingeführtwurden.EineVoraussetzungdieser Verkopplung von formalen Systemen ist im all-gemeineneingemeinsamesAlphabetundeinege-meinsameSyntax.Istdiesnichtgegeben,läßtsicheineweitereVerknüpfungdefinierenundzwarüberIndexmengen bzw. Faserungen. Die disjunkten Syste-me werden dabei über eine Indexmenge distribuiert,einausgezeichnetesSystemübernimmtdannübli-cherweise die Rolle des Basissystems. Was nun lokalals Wiederholung des Basissystems über verschiede-nen Indizes eines Raumes erscheint, zeigt globalStruktureigenschaften,diedemeinzelnenLogik–Sy-stem lokal fremd sind.

DabeifungiertdieAusgangslogikalstypischesSystemderDistribution.D.h.zumBeispiel,daßdieklassischeLogikmitihrerZweiwertigkeitüberver-schiedeneOrtedistribuiertwird.Dabeierhaltendieverteilten Logiken je Ort eine Indizierung ihrer von derAusgangslogikvererbtenWahrheitswerte.Beidie-semMechanismusderDistribution(Faserung)wirddieAusgangslogikgebrauchtumdieVerteilungzukonstruieren.SiewirddabeiselbstnichtthematisiertundfungiertbloßalsAusgangssystemderDistributi-on. Ihre Selbst–Thematisierung, die aus Gründen derProemialität der Konstruktion vollzogen werden muß,kommt erst in der Morphogrammatik zur Darstellung.DenndieAusgangslogikhatalssolchedenIndexNull. Nur so kann sie typisch für die distribuierten Lo-giken sein. Die Abstraktion von den Werten, d.h. jetztvon den indizierten Werten – allg. von der Satz– bzw.RegelstrukturderAusgangslogik–,erzeugtdieMor-

phogrammatik der Ausgangslogik. Die Morphogram-matik erfül l t die formalen Bedingungen derVermittlung, d.h. in ihr ist die Wahrheitswert–Wider-sprüchlichkeit der Vermittlung, wie sie bei einer direk-ten Vermittlung der über die verschiedenen OrteverteiltenLogikenentsteht,widerspruchsfreidarstell-bar,dainderMorphogrammatikvonjeglicherlogi-schen Wertigkeit abstrahiert ist. Die distribuierte undvermittelteBasis–Morphogrammatik,bzw.ihreBa-sis–Morphogramme,fundierennundieDistributionund Vermittlung der typischen Ausgangslogik. Damitist der Übergang von der klassischen mono–kontextu-ralen zur poly–kontexturalen Logik – über den UmwegderMorphogrammatik–fundiertundrealisiert.D.h.dasKonstruktions–DiagrammderpolykontexturalenLogik ist kommutativ geschlossen.

SindeinmalKomplexionenvonformalenSyste-men komponiert, so lassen sich neue Gesetzmäßigkei-ten der Reflexionsform zwischen ihnen und ihrenKomponenten,denElementar–Kontexturen,feststel-len. Für Formalismen innerhalb von polykontexturalenKomplexionen gilt nun folgende Konstellation der Ab-bildungsmöglichkeiten:

1. die jeweilige Selbstabbildung eines einzelnenFormalismus,

2. die parallele Selbstabbildung von verschiede-nen Formalismen, bzw. die Selbstabbildung der Kom-plexion in sich selbst (Identität),

3. die reduktive Abbildung von Formalismen aufsich selbst und andere (Reduktion),

4. die permutative Abbildung der Komplexion insich selbst (Permutation) und

5. die bifurkative Selbstabbildung, d.h. die Ab-bildungaufsichselbstundzugleichauf/inandereKontexturen (Bifurkation, bzw. Multi–Furkation).

81

Die ersten zwei Abbildungstypen sind Abbildun-gen im Modus der Selbigkeit. Es ist die selbe Kontex-tur, auf die sich die Abbildung bezieht. Die reduktiveAbbildung vollzieht sich im Modus der Gleichheit. Die

81. R. Kaehr, E. von Goldammer, Poly–contextural Mo-delling of Heterachies in Brain Functions, in: Modelsof Brain Functions, (R.M.J. Cotterill ed.) CambridgeUniversty Press 1989, S. 483–497, J. Pfalzgraf, ZurFormalisierung polykontexturaler Logiksysteme, ESG,Elektronik–Systeme GmbH, München 1988, G. Hou-ben, F. Nitsch, Entwicklung einer Programmierumge-bung zur Behandlung polykontexturaler Systeme Bd.I–II, Dipl. Arbeit, UniBw München, FB Informatik,1988, R. Kaehr, Disseminatorik und Morphogram-matik, in prep.

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gleiche Kontextur wird auf andere Kontexturen an an-derenOrtenabgebildet.Damitwiederholtsichdiegleiche Kontextur an verschiedenen Orten innerhalbder Komplexion, d. h. der Verbund–Kontextur. Die ab-strakte Theorie polykontexturaler Umformungen stütztsich hiermit auf die vier Grundoperatoren der Identi-tät, Permutation, Reduktion und Bi– bzw. Multifurkati-on.

Erst beim Typus der bifurkativen Abbildung giltdas Zugleichbestehen von verschiedenen Kontexturenan einem logischen Ort. Diese Abbildungsart begrün-det die verschiedenen Transjunktionen. Aufgrund dessukzessiven und historisch bedingten Aufbaus der PKLauf der Basis der monokontexturalen Ausgangslogikerscheinen die n–furkativen Abbildungen erst amEnde der Konstruktion. Auf Grund der Systematik derPKL, und auch bzgl. ihrer quantitativen Bedeutung derTransjunktionen,müssenumgekehrtdiejunktionalenAbbildungenalsReduktionendertransjunktivenAb-bildungstypenverstandenwerden.D.h.,JunktionensindlokaleFunktionenderenNachbarsystemeleersind; daß diese leer sind, muß jedoch aus systemati-schenGründennotiertwerden.OhnedieBifurkatio-nen wäre die Rede von der komplexen poly–kontexturalenVerwebungeineslogischenOrtesmitverschiedenenKontexturensinnlos.DennKontextur,Logik und Ort würden wie in der klassischen Logik undin der Stellenwertlogik koinzidieren.

Die Distribution und Vermittlung klassischer Logi-ken, ihre Dissemination bedeutet vorerst, daß die eineklassischeLogikalstypischesSystemübereineViel-zahl von logischen Orten verteilt ist. An jedem dieserOrtegiltdieklassischeLogiklokal.D.h.,dieklassi-schen logischen Gesetze bleiben bei der Distributionintakt.SiewiederholensichanjedemOrtundübendort ihre Gültigkeit aus. Damit aber auch eine simulta-neGültigkeitdieserGesetzeübermehrerenOrtenmöglich ist, damit also simultan die Gesetze nicht nurje lokal, sondern auch jeweils am benachbarten Ortgeltenkönnen,müssenwegenderBedingungenderVermittlung, die die Logiken zusammenhalten, einigezusätzlicheKonditionenerfülltwerden.Damitetwadas tertium non datur (TND) zugleich an mehreren Or-tengeltenundsomitineinerFormelzurDarstellungkommen kann, muß zwischen den Logiken genügendstrukturellerSpielraumbestehen.ZwischendenNe-gationen der verschiedenen Logiken muß die Kommu-tativität gelten um das Zugleichbestehen derverschiedenen TNDs darstellen zu können. Gesetze,dieohneNegationdarstellbarsind,lassensich,so-weitdiejeweiligenVermittlungsbedingungenerfülltsind,unmittelbarfüralleSystemezugleichnotieren.

Zudem lassen sich die diversen Gesetze miteinandersoverschränken,daßsiesimultanindenjeweiligenLogiken gelten. Es wird also nicht nur kein Gesetz derklassischenLogikamputiert,sondernverschiedeneVerflechtungendieserdistribuiertenGesetzeberei-chern den Formalismus. Zu den klassischen Gesetzen,die je auf einen Ort bezogen ihre lokale Gültigkeit ha-ben,kommendieneuentransklassischenlogischenGesetze hinzu, die simultan zwischen den Orten gel-ten, also die Gesetze der Transjunktionen.

EinFormalismusistbzgl.seinerFormelmengeabgeschlossen.D.h.allgemein,daßdieProduktionvon Formeln im Formalismus nicht aus diesem hinaus-führt. Alle Formeln sind Formeln des Formalismus. DieRegelneinesSystemsbleibenimSprachrahmendie-sesSystems,siedefinierenihnjaschließlich.Alsokann etwa ein Programm nie aus seinem eigenen Re-gelsatzherausspringenundsichgegendieseneige-nen Regelsa tz verhal ten. Doch dies gi l tselbstverständlich nur unter den Bedingungen derIdentität des formalen Systems. Insbesondere gilt diesvonderlogischenFolgerungsoperation:dieMengeder Folgerungen sprengt nicht die Grenzen des logi-schen Formalismus. Dies ist die Hülleneigenschaft derFolgerungsoperation. M.a.W., es wird auf die Mono-toniederFolgerungsrelationgesetzt.ProblemederNon–Monotonie tauchen in rein extensionalen Syste-men nicht auf.

Obwohl aussagenlogisch fundierte Theorien fun-damental sind, werden im allgemeinen ausdrucksstär-kereSystemealsetwadieAussagenlogikundderCalculus of Indication zu Formalisierung von komple-xen Zusammenhängen benötigt. Solche Logiken, diePrädikation und Typisierung zulassen, sind etwamehrsortige Prädikatenlogiken

82. Zwischen den Sor-

ten lassen sich Ordnungen, meistens Hierarchien, de-finieren. Diesen Sorten entsprechen in andererTerminologieKontexteinnerhalbeinesuniversellenGrundbereichs.ÜberdemgesamtenGrundbereichgilt eine Wahrheitswertzuordnung, etwa die BivalenzderWahrheitswerte„wahr/falsch“oderaucheineMehrwertigkeitimklassischenSinne.DieKontextewerdenalsodensemantischenKontexturbedingun-gen des Grundbereichs unterstellt. Es ist nun eine PKL–Erweiterung

83 konstruierbar, die einzelnen oder allen

82. A. Oberschelp, Elementare Logik und MengenlehreI, BI Hochschultaschenbücher Bd. 407, 1974, H.–J.Kreowski, Logische Grundlagen der Informatik,Handbuch der Informatik Bd. 1.1, Oldenbourg Ver-lag München Wien 1991

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Disseminatorik und Polykontexturale Logik

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Kontexten eigene Wahrheitswerte zuordnet und dieseunter sich und mit den ursprünglichen Wahrheitswer-tendesGrundbereichsvermittelt.DamitwerdendieKontexte zu Kontexturen erhoben und erhalten ihre ei-gene Logik. Diese kann selber wiederum eine Basis fürKontexte abgeben. Der inverse Vorgang, daß Kontex-turen als Kontexte fungieren, ist auf Grund des proemi-ellen Wechselspiels zwischen Kontexten undKontexturenTeildesFormalismusundermöglichtsoderen Zugleichbestehen.

83. R. Kaehr, Darstellung komplexen Wissens, Handbuchder Informatik, Bd. 6.5, Oldenbourg Verlag Mün-chen Wien, in prep.

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Disseminatorik und Polykontexturale Logik

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Vom Selbst in der Selbstorganisation

Reflexionen zu den Problemen der Konzeptionalisierung und Formalisierung selbstbezüglicher Strukturbildungen

Rudolf Kaehr

in: . “Vom ̀ Selbst' in der Selbstorganisation. Reflexionen zu den Proble-men der Konzeptionalisierung und Formalisierung selbstbezüglicherStrukturbildungen.” in: “Aspekte der Selbstorganisation.” Informatik-Fachberichte 304 (W. Niegel, P. Molzberger Eds.), Springer 1992, S.170 -183

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1 Ich bin (Ich). Bin Ich (Ich)?

2 „Theorem II: A ist substantiell/kompakt/relationslos“

3 Was heißt der Unterschied von Selbigkeit und Gleichheit eines Aktors?

4 Inversion der Modalitäten. – Semiotische Anmerkung

Der Unterschied. – Klassifikatorisches zur Selbstorganisations–Debatte

5 Das Selbst eines autonomen Systems

6 Die Selbstbezüglichkeit autonomer Systeme ist total

Phasen der Explikation der Selbstorganisation

Die globale Einordnung oder der Unterschied UdSSR und USA

Autonome Systeme sind operational geschlossen

7 Paradoxie der Weltoffenheit geschlossener Systeme

8 Ein Weg zur Lösung des Smith'schen Puzzels. – Kognition und Volition

Transjunktive Deduktionsnetze. – Zirkularität: Nicht jeder Kreis geht rund

Das Operatum. Warum wir es nicht brauchen. – Selbsterzeugung

Heterarchie und Komplexität der Gründe

Nach der Auszeichnung des Einen

Die Vierheit der Proemialität des Grundes entgründet das Schreiben vom(n) Selbst

9 LIteratur

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VOM SELBST IN DER SELBSTORGANISATION

Reflexionen zu den Problemen der

Konzeptionalisierung und Formalisierung selbstbezüglicher Strukturbildungen

Stichworte:

Antinomie, Autologie, Computational Reflection, Kogni-tion, Selbstreferentialität, Selbstheit, Polykontexturalität,proemial relationship, Volition.

Zusammenfassung:

Es wird unterschieden zwischen der westlichen kognitiven(Selbstreferentialität, Autopoiese, Autologie) und der östli-chen volitiven (Selbst–Reflexion, self–control, decision–making) Konzeption der ´second order cybernetics´ alsavanciertesten Formen der Konzeptionalisierung und For-malisierung der Selbstorganisations–Problematik. Es wirdgezeigt, daß beide Formen mono–kontextural gebundenbleiben. Im Gegensatz dazu, wird die Konzeption desSelbstbezugs und der Selbstbestimmung von autonomenSystemen im Rahmen der Polykontexturalitätstheorie (Gün-ther) eingeführt. Grundlegend sind dabei die Proemialre-lation und die Unterscheidung von Selbigkeit undGleichheit eines Objekts, die eine Strukturation im Bereichdes Logischen ermöglichen. Die Paradoxie der Welt-erschlossenheit operational geschlossener Systeme wirdeingeführt und expliziert. Mitreflektiert wird der AnsatzLockers zu einer Selbstorganisationstheorie und auf Kon-sequenzen aus polykontexturaler Sicht für die Computatio-nal Reflection wird hingewiesen.

1 Ich bin (Ich). Bin Ich (Ich)?

DieSimultaneitätvonvolitivenundkognitivenAkten läßt sich als das Selbst eines selbstorganisieren-den Systems im Sinne eines lebenden Systems verste-hen.

Das Selbst ist nicht positiv bestimmbar, weil esweder dem volitiven noch dem kognitiven System zuzuordnen ist. Das Selbst ist der Mechanismus des Zu-sammenspiels von Kognition und Volition selbst. Die-ser Mechanismus ist selbst nicht wieder ein kognitiverodervolitiverOperatorunddaselbstauchnichtderTräger von beiden. Daher gibt es keinen Referenten,der als das „Selbst“ designierbar wäre. Damit gibt esaber auch keine Wahrheit des Selbst, wenn WahrheitUnverborgenheit,aletheia,heißt(Kaehr1989,36–37).

Dadurch erhält das Selbst jedoch keine extra–mundane Dignität. Etwa in dem Sinne, daß der Aktorimmer außerhalb seiner Aktivität in einem unzugäng-lichen Jenseits angesiedelt wäre (deus absconditus).

2 „Theorem II: A ist substantiell/kompakt/relationslos“

Die Unmöglichkeit das Selbst positiv bzw. affir-mativ zu bestimmen heißt nicht, daß es nicht negativcharakterisierbarwäre.EinenegativeBestimmungdes Selbst erzeugt jedoch unter der Voraussetzung ei-ner mono–kontexturalen Semantik und Logik ein enan-tiomorphes Satzsystem, das zum Satzsystem derpositiven Charakterisierung dual ist. Solche Satzsyste-me sind aus der negativen Theologie und der negati-ven Dialektik wohl bekannt.

„I am (I)“. use/mention in Einem (Satz). Gleichesund Selbiges; nicht Einerlei.

Um eine trans–klassische Explikation des Selbstzu geben, genügt es also nicht zu sagen, das Selbstsei non–substantiell, non–kompakt und nicht relations-los.

Das Selbst eines selbst–organiserenden Systemsist nicht der Aktor (Operator, Relator, usw.) eines Pro-gramms,seieseinvolitivesoderkognitives,motori-sches oder sensorisches usw., der innerhalb oderaußerhalb seiner Aktanten steht, der von der AktivitätseinerAktionunberührtbleibtunddamiteineklareRang–OrdnungzwischenihmalsAktorundseinenAktanten konstituiert, sondern die Differenz, die denUnterschied zwischen Aktor und Aktandensystemüberhaupt erst ermöglicht. Diesen Ermöglichungs-grund,dernichtsmitlogischen,ontologischenund

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Was heißt der Unterschied von Selbigkeit und Gleichheit eines Aktors?

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epistemologischen Modalitäten zu tun hat, der alsVorspiel und Vorhof jeglicher Thematisierung undKonstruktion von Operativität fungiert, nennt Güntherproemial relationship (Günther, Bd.III, 1980). Die Pro-emialrelationregeltdasZusammenspielzwischenOperator und Operand als solchen. Die Umkehrungder Hierarchie zwischen Operator und Operand dy-namisiertdieKonzeptionderOperationvoneinerdyadischen (Operation = Operator + Operand) zu ei-ner chiastischen Figur mit vier Grund–Elementen. Da-mit ist die Möglichkeit für einen Operator bzw. einenOperanden eröffnet, ineinander überzugehen und si-multan sowohl als Operand wie als Operator zu fun-gieren. Auf diese Weise ist ein Operator immersowohlinnerhalbwieaußerhalbseinerOperativität(Kaehr 1989).

Wenn dagegen ein Aktor nur die Möglichkeit hatentweder innerhalb oder außerhalb seiner Aktivität zustehen,dannunterstehterdemlogisch–strukturellenPrinzip der Identität. Als mit sich selbst identischer imSinne der Logik, hat er nur die Wahl innerhalb oderaußerhalbseinesWirkungsbereicheszusein(deusabsconditus oder Demiurg). Ein Drittes ist ausge-schlossen. Er kann also auch nicht zugleich sowohl in-nerhalb wie auch außerhalb seines Bereichsfungieren. Dies würde seine Identität zerstören. Eben-so würde die Rangordnung, die zwischen ihm und sei-nen Aktanden besteht durch eine zusätzlicheUmtauschbeziehungdurchkreuzt.DerAktorstündenun simultan sowohl in einer Rang– wie in einer Um-tauschrelation zu seinem Wirkungsbereich. Diese Si-multaneitätistihmaberausidentitätstheoretischenGründen versagt.

Unter diesen mono–kontexturalen Voraussetzun-gen bleibt für die Charakterisierung der Relationalitäteines Aktors zu seinem Aktandensystem nur die Mög-lichkeit der Exteriorität. Denn eine Einbeziehung desAktorsindasSystemderAktandenhättezurFolge,daß er „in diese aufginge und sich von ihnen nicht di-stanzieren könnte“ (Locker, in diesem Band)

Jedoch: „First order cybernetics: the cyberneticsofobservedsystems.Secondordercybernetics:thecybernetics of observing systems.“ (von Foerster1982, p.xvi).

BeiderfirstordercyberneticstrittderAktoralsObserver nicht in den Bereich seiner Observation, da-mit wird die Objektivität seiner Beschreibung gewähr-leistet.

Die Einbeziehung des Observers in seine Obser-vation im Sinne der second order cybernetics verlangtnicht einen, sondern zwei Standorte der Observation:a) den Observer als externer Beobachter und b) der-

selbeObserveralseinbezogener,alsinternerBeob-achter. D.h. als einbezogener in seine Beobachtungist der Observer immer noch Beobachter und nicht Be-obachtetes. Sonst wäre die für die gesamte Observa-tionkonstitutiveDifferenznivelliert.SeineIdentitätmuß sich also spalten in externen und internen Beob-achter. Als interner Beobachter ist er selbst Beobach-tetesseinesexternenBeobachters,erwirdaberalsBeobachter beobachtet und nicht als Beobachtetes imursprünglichen Sinne. Beide ReflexionsbestimmungendesBeobachterssindgleichursprünglichgegebenund fungieren simultan in der reflexiven Beobachtung.Es wird also keine Hierarchie zwischen Objekt der Be-obachtungundinternerundexternerBeobachtungpostuliert.Diesistnurmöglich,wennunterschiedenwerdenkann,zwischenderGleichheitundderSel-bigkeit eines Observers. Ohne diese diskontexturaleUnterscheidungmüßteeineHierarchievonMeta–le-vels mitsamt ihrer Problematik eingeführt werden(Maes 1987).

3 Was heißt der Unterschied von Selbigkeit und Gleichheit eines Aktors?

„Damit zeichnet sich eine Antwort ab auf die Fra-ge,...,inwiefernjemandsichinseinenpraktischenJa/Nein–Stellungnahmen – in seinem 'ich kann –' – zusich verhält. Die Antwort lautet: nicht indem das Sub-jektsichselbstzumObjektwird,sondernindemessichzuseinerExistenzverhält.“ (Tugendhat1979,38)

„Daß ich mich voluntativ–affektiv zu meiner Exi-stenz verhalten kann, gründet darin, daß die Proposi-tion, zu der ich mich dabei verhalte, nicht das Faktumist, daß ich existiere, sondern die bevorstehende Exi-stenzunddasheißtdie(praktische)Notwendigkeit,daß ich zu sein habe, und in eins die (praktische) Mög-lichkeit, zu sein oder nicht zu sein bzw. so und so zusein oder nicht zu sein.“ (Tugendhat 1979,189)

Die Unterscheidung zwischen dem Aktor als Fak-tum und dem Aktor als Existenz wird hier mit den zweiModi der Identität, der Gleichheit und der Selbigkeit,kontexturtheoretisch in Zusammenhang gebracht.Diese Unterscheidung ist von Günther in die philoso-phische Logik eingeführt worden und läßt sich noch di-rekteralsdieUnterscheidungzwischenReflexions–und Seinsidentität bestimmen:

„Subjektivität ist ein Phänomen, das über den lo-gischenGegensatzdes'IchalssubjektivemSubjekt'und des 'Du als objektivem Subjekt' verteilt ist, wobeibeide eine gemeinsame vermittelnde Umwelt haben.“

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(Günther, Bd.II, 1979, 209).DieseUnterscheidungzwischenGleichheitund

Selbigkeit scheint harmlos zu sein, wenn man sie alspartielleNegationaufderunangefochtenenontolo-gisch–logischen Basis von Identität und Diversität be-trachtet. Wird sie aber auf die Identität der Logik selbstangewandt, dann spaltet sich die Einheit der Logik aufund die Notwendigkeit einer Distribution und Vermit-tlung von Logiken überhaupt entsteht. Nach dem Kon-zept der partiellen Negationen wäre wieder dieklassische relationslogische Grundlage für die Antino-mie der Selbstbezüglichkeit eingeführt.

4 Inversion der Modalitäten.

Wenn sich ein lebendes System notwendiger-weise zu seiner Möglichkeit zu sein verhalten muß,dann wird die Hierarchie der logischen Modalitäteninvertiert. (Becker 1930) Nicht mehr die Notwendig-keit, gefolgt von der Wirklichkeit und der Möglichkeithat die größte Seinsmächtigkeit, sondern die Möglich-keit steht an erster Stelle. Eine solche Umkehrung un-tergräbt aber die Möglichkeiten einer formal–logischenUntersuchungderModalstrukturenleben-der Systeme. Aus strukturellen Gründen ist jedoch einesolcheUmkehrungderModalstrukturenvomStand-punktderPolykontexturalitätstheorienochunzurei-chend,dennsieerzeugtwegenihrerSymmetrienureinzurklassischenSystematikdualesSystem.AuchdasDual–SystemderModalitätenbleibteinmono–kontexturales auf bloße Kognitionen reduziertes Satz-system,indemjeglicherBezugzuvolitivenHand-lungsvollzügenausgeklammertist.Diesgiltgewißauch für Modallogiken in denen z.B. deontische oderimperative Satzsysteme untersucht werden.

HandlungslogikengehenvomPrimatdesDen-kensüberdasWollenausundsubsummierendaherHandlungenunterspezielleHandlungsformen,näm-lichAussagen.DamitgehtdieMöglichkeitverloren,das komplexe Zusammenspiel von Kognition und Vo-lition, die in der Polykontexturalitätstheorie als gleich-ursprünglich (Heidegger), d.h. heterarchisch(McCulloch)gelten,zuerfassen.ZusätzlichzurUm-kehrung der Ordnung der Modalitäten muß eine Ver-schiebung der Systematik stattfinden, damit eineHeterarchisierungderModalitätenerwirktwird,dieerstdenÜbergangvonderkognitivenMöglichkeit,zur volitiven Ermöglichung eröffnet.

Daraus wird ersichtlich, daß die modallogischenModellierungenreflexiverStrukturenwiesieinderComputational Reflection üblich sind, zu kurz greifen

(Halpern 1986).

Semiotische Anmerkung.

Die irreduzible Differenz zwischen System undUmgebung, ihre Gleichursprünglichkeit m.a.W. ihreDis–Kontexturalität, die gegeben sein muß bzw. reali-siert werden muß, wenn ein System eine Grenze ha-benkönnensoll,mußsichnotwendigerweiseindergrundlegendenStrukturderNotationsmittelwieder-holen. Diese Dis–Kontexturalität muß sich in der Struk-turderSymbolisierungsweisebzw.inderLogikundArithmetik der Deskription und Inskription realisieren.

DasNotations–bzw.Schriftsystemmußinsichdiskontextural strukturiert sein, sonst würde in der Mo-dellierungdiefürdasselbstorganisierendeSystemkonstitutive Differenzen zwischen System und Umge-bung nivelliert. Diskontexturalität ist formal und opera-tiv nur in einem Schriftsystem realisiert, in dem Begriffund Zahl, d.h. Innerlichkeit und Äußerlichkeit, gleich-ursprünglichzusammenwirken,alsoinderGraphe-matik von Polykontexturalität und Kenogrammatik(Kaehr 1982).

Der Unterschied.

Zwischen der Selbstorganisations–KonzeptionLockers und derjenigen Günthers liegt der Unter-schied darin, daß für Locker der Aktor irreduzibel istund damit auch seine Überordnung seinen Aktandengegenüber, während für Günther die Differenz selbstzwischenAktorundAktandendieunhintergehbareThematik liefert. Damit sind die Möglichkeiten des Zu-sammenspielsundIneinanderübergehensvonAktorund Aktand eröffnet.

Der Lockersche Ansatz ist trotz seiner meta–kriti-schenGrundhaltungeinSubstantialismus.IndiesemSinne führt er die Intentionen von Bertalanffys genuinfort.

Klassifikatorisches zur Selbstorganisati-ons–Debatte.

Im folgenden wird hier, ohne eine KlassifikationvonSystemenzubeanspruchen,dazusiehe(Locke1984), bzgl. der Selbstorganistion von Systemen zwi-schen zwei fundamental verschiedenen Systemtypenbzw. Klassifikaten unterschieden: a) die Selbstorgani-sationvonDaten(Elementen,Komponenten,Objek-ten, Prozessen) in Systemen und b) die Selbst-organisationvonSystemenselbst,d.h.dasSichzu-sichverhalten von Systemen.

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Das Selbst eines autonomen Systems.

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a) Selbstorganisation von Daten in Syste-men.

Diese weisen einen Rand nur für einen Beobach-ter auf, sie haben einen Rand bzgl. ihrer Umgebung„an sich“, jedoch nicht „für sich“. D.h. das System be-sitzteineGrenzezwischensichundseinerUmge-bung, womit es sich überhaupt erst als Systemkonstituiert, wiederholt jedoch diese Differenz nicht imSystem selbst. Im System wird die Unterscheidung vonSystemundUmgebung,diedasSystemüberhauptkonstituiert, nicht selbst vollzogen. Damit hat das Sy-stem keine Repräsentation seiner Grenze in ihmselbst. Die Grenze ist nur für einen externen Beobach-ter gegeben. Beide Bereiche der Unterscheidung sindstrukturell homogen. Was zum System gehört, gehörtzumSystem,waszurUmgebunggehört,gehörtzurUmgebung. Beide Tautologien sind zueinander dual.Was nicht zum System gehört, gehört zur Umgebungund was nicht zur Umgebung gehört, gehört zum Sy-stem.

Durch die Eindeutigkeit der Differenz von Systemund Umgebung, wie sie von einem externen Beobach-ter gezogen wird, werden die Gesetze der mono–kon-texturalen Logik nicht tangiert. Im Gegenteil, dieEindeutigkeitderDifferenzbestätigtdasIdentitäts-prinzip der Logik. Die Differenzen, die vom externenBeobachter thematisiert werden, sind Differenzen derInhaltlichkeitdesSystemsbzgl.verschiedenerPara-meter. Die Unterscheidungen in der Parameter–Struk-tur lassen sich im Rahmen der Systemtheorieklassifizieren (Klir 1985, Locke 1984).

Eine solche Bestimmung der Organisation einesSystems,kanndiestrukturelleDifferenzzwischenei-ner Mehrheit von Beobachtern nicht angeben. Die Re-lativitätundPerspektivitätvonDeskriptionenlassensichnurbezüglichderInhaltlichkeitdesThematisier-ten,nichtaberbzgl.seinerStrukturangeben.Insbe-sondereistetwaeinekomplementäreBeschreibungausgeschlossen,denndiesemüßtesimultanminde-stenszweistrukturellverschiedeneundsichlogischausschließende Beobachtungstandpunkte zulassen.

Es soll darauf hingewiesen werden, daß die ur-sprünglicheIntentionderallgemeinenSystemtheoriebiowissenschaftlichmotiviertwarundsichzumZielsetzte, Ganzheiten, oder gar organismische Ganzhei-ten nicht–reduktionistisch zu szientifizieren. Bekannt-lich werden Ganzheiten durch komplementäreModellierungen charakterisiert. Es ist also nicht falschzusagen,daßdiemathematisierendenMethoden,seien sie mengen–, relations–, kategorientheoretisch,usw.,denintendiertenSystembegriffnichtadäquat,

sondernnurreduktionistischerfassen.Derdabeige-wonneneVorteilderOperativitätgegenübernicht–mathematischen Methoden steht außer Frage.

Zum Typ a) gehören die Selbstorganisationskon-zepte der allgemeinen komplexen Theorie non–linea-rer dynamischer Systeme (Synergetik, Chaostheorie,dissipative Strukturen, Katastrophentheorie).

b) Die Selbstorganisation als Sichzusichver-halten eines Systems.

Selbstorganisation im Sinne von Autonomie trifftzu für Systeme, die sich selbst durch Entscheidungsak-te (Volitionen) und Kenntnisakte (Kognitionen) in ihrerUmgebung realisieren und damit ihren eigenen Wegin der Umgebung und damit ihre Umgebungen für sichbestimmen.

5 Das Selbst eines autonomen Systems.

Das Selbst eines autonomen Systems ist dieProemialität von Kognition und Volition. Damit ist dar-auf hingewiesen, daß Selbstheit eines autonomen Sy-stems gleichursprünglich mit Welterschlossenheit undGeschichtlichkeit des Systems ist.

DieWelterschlossenheitderSelbstheiteinesle-benden Systems läßt sich nicht in den Kategorien derInformationsverarbeitung,dermateriellen,energeti-schenundinformationellenInput–Output–Operatio-nen,explizieren.Selbstheit,AutonomieundWelt-erschlossenheitsindnichtontische,sondernonto–lo-gische bzw. Reflexionsbestimmungen eines Systems.

6 Die Selbstbezüglichkeit autonomer Systeme ist total.

Ein autonomes System bezieht sich nicht bloßkontingent und partiell auf sich selbst, sondern not-wendigerweise in seiner Ganzheit. Ein autonomes Sy-stemistinseinerGanzheiteinlebendesSystemundnichtbloßpartiellbzgl.gewisserTeileseinerselbst.EineSelbst–ExplikationlebenderSystemeistalsoimSprachrahmenformalerWissenschaftennichtmög-lich. Antinomienfrei sind etwa in der mathematischenLogikundAlgorithmentheorienurpartielleSelbstbe-züglichkeiten darstellbar. Dieselbe Einschränkung giltebensofürdieProgrammiersprachen.SowirddasProjekt der 'computational reflection' (Smith 1986) inderPraxissoforteingeschränktaufpartielleReflekti-on. „A reflective system is a system which incorporatesstructures representing aspects of itself.“ (Maes 1988,

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2)

Phasen der Explikation der Selbstorgani-sation.

Locker unterscheidet drei Phasen in der Behand-lung des Problems der Selbstorganisation: 1. eine nai-ve, 2. eine kritische und 3. eine metakritische, die dasProblem in seiner Gesamtheit zu erfassen und ihm eintheoretisches Fundament im Rahmen der allgemeinenSystemtheorie zu geben sucht. Diese wiederum wirdals Metawissenschaft, die sich auf die Logik und Ma-thematik stützt, bestimmt.

Die hier versuchten Argumentationen, würde ichsowohl einer 0. wie einer 4. Phase zurechnen. Die 0.Phase zeichnet sich aus durch die Einsicht in die Zirku-larität des Begriffs der Selbstorganisation und die Ver-wefung seiner Mathematisierung. Dies wird einerseitsphilosophisch begrifflich fundiert (Transzendentalphi-losophie), oder aber formal–logisch, indem unter Ver-teidigung der klassischen Logik auf den anti-nomischen Charakter der Selbstorganisationskon-zeption verwiesen wird.

Der 4. Phase zuzuordnen, sind die Ansätze, dieim Übergang von der mono–kontexturalen zur poly–kontexturalenLogik–undMathematik–Konzeptioneine Formalisierung der 0. Phase zu realisieren versu-chen.

Die globale Einordnung oder der Unter-schied UdSSR und USA: Selbst–Referenz und Selbst–Reflexion.

„Thus, the appearance of second order cyberne-tics is the appearance of a new dimension – reflexion.However, this dimension was developed differently inthe Soviet Union and the West. In the Soviet Union, theidea of reflexion was combined with the idea of struc-ture;asaresult,reflexiveanalysisappeared.IntheWest,theideaofreflexionwascombinedwiththeidea of computation; as a result, calculations with self–reference appeared.“ (Lefebvre 1986, 128)

Die reflexiven Decision–making systems sind ge-prägtdurch(reflexive)Strukturation.DasProblemistnicht der Selbstbezug in der Kognition, sondern die In-adäquatheitderReflexion,alsodieDifferenzzwi-schen „the image of the original and the original“ undnichtdas „adaquate'imageofitself'insidethesy-stem.“ (Levebvre 1986, 125) Das Problem der Inad-äquatheitderReflexionistnichtprimäreinProblemderErkenntnis,sonderneinProblemderHandlung.Reflexive decision–making und reflexive control, etwain einer Konfliktanalyse, heißt demnach, die kognitive

Basis der möglichen Handlungsvollzüge eines ande-ren Agenten zu erkennen und zu beeinflussen und daseventuelle Scheitern der Beeinflussung zu reflektierenunddaraufhindieeigenekognitiveRepräsentationdes anderen Agenten zu transformieren.

IndiesemSinneistSelbst–ReflexionnurimVer-bund mit anderen selbst–reflexiven Agenten und ihrenkomplexen Umgebungen zu denken.

Dieswürdeabernurdanngelingen,wennderkognitiveProzeßauchdeskooperierendenAgentensimultan mitgedacht werden könnte. In der von Lefebv-re(1982)vorgestelltenReflexionstheoriebzw.Alge-bra of Conscience ist dies nicht möglich, da er dieseauf eine Boolesche Algebra reduziert und damit inner-halb der Mono–kontexturalität verhaftet bleibt.

Selbst–Reflexion bzw. Subjektivität ist in der Ter-minologieGüntherseinProblemderadäquateWie-derholung(mapping)vonKognitionundVolitionineiner polykontextural strukturierten Welt. Der Struktu-ration entspricht die Struktur der Distribution und Ver-mittlung der Logik–Systeme in der Verbund–KontexturderpolykontexturalenLogik.Mögliche–Welten–Se-mantikenverlagerndieStrukturierungderlogischenBasisvonderOntologieindieTopologie–undver-bleibendadurchinderZweiwertigkeitbzw.Mono–Kontexturalität.

Im Gegensatz zu Selbst–Reflexion ist das Verlan-genderSelbst–referenz,autologischjeglicheStruk-tur–Differenz,etwazwischenAktorundAktand,ineiner stabilen zirkulären und typenfreien Form von Ei-genwerten aufzuheben.

Autonome Systeme sind operational geschlossen.

In diesem Sinne läßt sich auch die Strategie derAmalgamierungvonObjekt–undMetatheorieinter-pretieren. Die Differenz von Objekt– und MetasystemsollineinemeinheitlichenSystem,indemdieUnter-scheidungvonSystemundUmgebungaufgehobenist, nivelliert werden. Die Selbstreferentialität, die da-bei entsteht soll auch hier durch Eigenwerte, d.h.durcheineFixpunkt–Semantikaufgefangenwerden.Für eine Deskription selbstbezüglicher Figuren mögendieBegriffsbildungenderFixpunkt–Semantikerfolg-reich sein, vom Standpunkt einer faktischen Realisier-barkeitsindsieinadäquat. „Theyarehighlyintrac-table: the set of theorems is not even recursively enu-merable.“ (Konolige 1988, 69).

Eine ähnliche Situation ist mit der mengentheore-tischenKonstruktionLöfgrensgegeben.AlsAntwortaufdenNachweisderlogischenUnmöglichkeitvon

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Paradoxie der Weltoffenheit geschlossener Systeme.

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Selbstorganisation (Rosen 1959) zeigt (Löfgren1968) unter Einführung der Negation des Aussonde-rungsaxioms der von Neumann–Bernays–GödelMengenlehre (NBG), die Möglichkeit der wider-spruchsfreienAxiomatisierbarkeitvonSelbst–Repro-duktion und Selbst–Explikation. Von der axioma-tischenMöglichkeitzurfaktischenmathematischenKonstruktion eines selbst–referentiellen Objekts bleibtallerdings noch ein weiter Weg (Peterson 1974).

BeiHeinzvonFoerstersrekursivenSelbstbezü-genwirdohneRücksichtaufImplementierbarkeitdi-rekt mit intuitiven Kontemplationen auf indefiniteRekursionsverfahren gearbeitet (von Foerster 1982).

Beide Tendenzen, die amerikanische wie die so-wjetische second order cybernetics, sind sich einig indem was sie hinter sich lassen möchten: die Einschrän-kung von Operativität und Logik auf die Konzepte undResultate von Turing, von Neumann und Gödel.

In den neueren Arbeiten zur Theorie autonomerSysteme (Varela, Flores, Winograd) und der Compu-tationalReflection(Smith)wirdwiederstärkerdieProblematik der Umgebung eines reflexiven Systemsbzw. sein In–der–Welt–sein thematisiert. Die Problem-atik der Explikation und der Implementierung des In–der–Welt–seins artifizieller lebender Systeme verbin-det die als komplementäre Tendenzen erkannten For-schungsrichtungen: die künstliche Intelligenz–ForschungunddenNeokonnektionismusderNeuro-computing–Forschung.

7 Paradoxie der Weltoffenheit geschlossener Systeme.

Hierbei entsteht die Paradoxie der operationalgeschlossenen Systeme bzgl. ihrer Umgebungen: jekomplexer die Geschlossenheit des Systems, destokomplexer die Weltoffenheit des autonomen Systems.DerGradderKomplexitätderGeschlossenheitdesSystemswirdangegebendurchdenGradderVer-schränktheitderSelbstbezüglichkeitendesSystems.Je komplexer diese sind, desto größer sind die Mög-lichkeitenderDistanzierungvonseinerUmgebung.Distanzierung ist aber der Grund der Freiheit derWahl von Umgebungen. Distanzierung und Weltver-wobenheitsindkomplementäreEigenschafteneinesautonomen Systems. Unter der Voraussetzung der not-wen-digen Welterschlossenheit eines autonomen Sy-stemswirdverständlich,warumdieSelbstheiteinesautonomen Systems unabhängig vom Solipsismus ist.Dieser ist eine sekundäre Möglichkeit der Welt-erschlossenheit eines autonomen Systems.

„... there seems to be a contradiction lurking be-hind all this interest in self–reference. The real goal ofAI, after all, is to design or understand systems that canreason about the World , not about themselves. Intro-spection,reflection,andself–referencemaybeintri-guing puzzels, butAI is a pragmatic enterprise.Somehowe – in ways no one has adequately explai-ned – self–reference must have some connection withfull participation.“ (Smith 1986, 21)

Hier ist also ein Interface zwischen KI und Philo-sophie zu finden und die Konnektionen herzustellen,denn: „Selbst und Welt gehören in dem einen Seien-den,demDasein,zusammen.SelbstundWeltsindnichtzweiSeiende,wieSubjektundObjekt,auchnicht wie Ich und Du, sondern Selbst und Welt sind inderEinheitderStrukturdesIn–der–Welt–seinsdieGrundbestimmungdesDaseinsselbst.“ (Heidegger,nach Blust 1987, 46)

Oder als Formel: „Worumwillen aber Dasein exi-stiert, ist es selbst. Zur Selbstheit gehört Welt; diese istwesenhaft daseinsbezogen.“ (Heidegger 1955, 37)

8 Ein Weg zur Lösung des Smith'schen Puzzels.

Die Günthersche Polykontexturalitätstheorie er-laubt es, ontisch nicht existierende, also negativeSachverhalte als ontologische bzw. Reflexionsbestim-mungen zu designieren, ohne sie zu vergegenständli-chen.

Kognition und Volition

„We linked many–valuedness with self–refe-rence. No self–reference is possible unless a systemacquires a certain degree of freedom. But any systemis only free insofar as it is capable of interpreting its en-vironment and choose for regulation of its own beha-vior between different interpretations. The richness ofchoice depends on the magnitude of the value–excessoffered by the logic which follows.“ (Günther 1968,44)

„On the other hand, a machine, capable of ge-nuin decision–making, would be a system gifted withthe power of self–generation of choices, and then ac-ting in a decisional manner upon self–generated alter-natives.“ (Günther 1970, 6)

Transjunktive Deduktionsnetze.

Das logische Kriterium dafür, daß ein Systemzwischen sich und seiner Umgebung unterscheiden

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kann, ist, daß in einer solchen Logik simultan in zweiverschiedenenlogischenSystemeneineDeduktions-folge ablaufen kann. Der Rand eines Systems ist alsoerst dann „an sich“ und „für sich“ bestimmt, wenn erzugleich von innen wie von außen logisch charakteri-sierbar ist. Solche Systeme sind qua ihrer Konstitutionin der Welt und ihre Welt ist durch sie. Die verschiede-nen Typen der Transjunktivität geben die Komplexitätder System/Umgebungsstruktur bzw. des In–der–Welt–seins eines Systems in operativer Weise an.

Zirkularität: Nicht jeder Kreis geht rund.

„Weil demnach eine Selbstreferenz vorliegt, läßtsich Selbstorganisation (und alles, was mit ihr zusam-menhängt), grob schematisch, durch eine Kreisrelati-on,welchediehierbestehendeZirkularitätdarstellt,veranschaulichen. Damit ist aber das Problem erst er-öffnet, nicht geklärt.“ (Locker, 1992)

VomStandpunktderPolykontexturalitätstheorieaus, die das Phänomen der Selbstorganisation nachdem Modell der Selbst–Reflexion thematisiert, ist da-mit das Problem jedoch eher verdeckt, denn eröffnet.Selbstorganisation als bloße Selbstreferentialitätbzw.ZirkularitäterweistsichalseineReduktionderSelbst–Reflexion auf die Reflexion–in–sich der Reflexi-on und generiert eine nicht abschließbare unendlicheHierarchievonReflexionsstufen.DieseInterpretationder Selbst–Reflexion steht in der mono–kontexturalenTradition der amerikanischen Version der second or-der cybernetics.

Die Monokontexturalität der Metapher der Zirku-larität(Uroboros)zeigtsichschondarin,daßsieinsich eindeutig definiert ist und zu voller Präsenz gelan-genkann,derErkenntnisinEvidenzgegebenundohne logische Probleme darstellbar ist.

Selbst–Reflexion dagegen ist als Modell genuinnichtdarstellbar;jedenfallsnichtinEin–oderMehr-deutigkeit.

Das Operatum. Warum wir es nicht brau-chen.

Locker umgeht das Problem der Selbstbezüglich-keit zwischen Operator und Operand bzgl. einerOperation indem er zwischen Operator und Operantdas Resultat der Operation, das Operatum, fügt. Da-mit wird die anvisierte Zirkularität der Wiederholungvon Operator und Operand in eine Iteration der Ope-rationverschoben.DieOperation,konstituiertdurchOperatorundOperand,wirdaufihrResultat,dasOperatum, angesetzt. Die Wiederholung, die hier imSpiel ist, ist die Wiederholung als Iteration (der Ope-

ration)undbeiweitererElaborationderBegrifflich-keit, die Wiederholung als Rekursion. Beides hatnichts zu tun mit einem Selbstbezug. Denn beide set-zen auf das Produkt des Operators, des Operaius (derSchreiber), d.h. auf das Operatum und nicht auf dieDialektikderProzessualitätdesOperatorsundderGegenständlichkeit seines Operanden.

Im Operatum erlischt die Prozessualität des Ope-ratorsundgerinntzumProdukt.DasOperatumwirderneut zum Operanden eines Operators in einer Ope-ration. Für den Operator einer Operation gibt es nurOperanden und kein Operatum. Die Figur dieserOperation läßt sich beliebig wiederholen.

Selbsterzeugung.

Die Probleme des Anfangs, die Anfangsproble-me, werden in der Theorie selbstorganisierender Sy-stemeimallgemeinenleichtweggelöst.Lockerweistauf die Platonischen Ideen hin. „Ein System kann nichtaus dem 'Nichts' entstehen. Jedem System liegt immereine 'Idee' zu Grunde.“ (Locker 1989, 202)

Die komplementäre empiristische Aussage lautetnach Roth folgendermaßen: „Jedes neuronale Wahr-nehmungssystem kommt mit einem Satz primärer Kri-terien auf die Welt.“ (Roth 1990)

Ob nun eine metaphysische Idee oder das Lebenselbst vorausgesetzt wird, es bleibt eine einzelne Ein-heit die als Anfang gesetzt wird. Die Einheit des An-fangs ist die Einheit des Grundes alles Seienden undNicht–Seienden. Ob der Grund als Grund des Grun-des, als Ur–Grund oder Ab–Grund bezeichnet wird,ändert nichts daran, daß hier eine mono–kontexturaleMetaphysik am Werke ist.

Heterarchie und Komplexität der Gründe.

Einen Versuch zur Dekonstruktion des Anfangs-problems und der 'Konstruktion' seiner Komplexitätfindet sich in meiner Arbeit „Einschreiben in Zukunft“(Kaehr 1982).

Nach der Auszeichnung des Einen.

„Wird jedoch unter 4 die 'Gattungszahl' der vierSchrifttypenderGraphematikverstanden,alsodasGeviert der geschlossenen Proemialität, dann entstehtkein Widerspruch zwischen Auszeichnung einer Zahlund der Zahlenreihe selbst. Die 4 eröffnet die VielfaltderZahlensystemederPolykontexturalität,liegtje-doch als solche nicht in der Reihe der natürlichen Zah-leneinerbeliebigenKontextur.AristoteleslehntdieAuszeichnungder4(undmitihrdieder10)ab,ist

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Ein Weg zur Lösung des Smith'schen Puzzels.

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aber selbst gezwungen, die 1 auszuzeichnen. Denndie Uni–Linearität der Reihe der natürlichen Zahlensetzt die 1 als Maß der Zahlen und als unum der Uni-zität der Reihe voraus.“ (Kaehr 1982, 226)

„Die Proemialrelation regelt den Zusammen-hangzwischendemdisseminativenunddemkeno-grammatischenSystem.DieoffeneProemialrelationerzeugt rekursiv und retrograd polykontexturale Struk-turenwachsenderKomplexitätundKompliziertheitdurch die Verkettung von Umtausch– und Ordnungsre-lationenlogischerundarithmetischerArt.Dadurchwerden komplexe formale Systeme kreiert, diezwanglos Spielraum für jede Form von Selbst-bezüglichkeit bereitstellen, ohne damit antinomischeSituationen erzeugen zu müssen.“ (Kaehr 1982, 227)

„Welche Formen des Selbstbezugs einem forma-len System erlaubt sind, ohne es zu zerstören, hat Do-rothyL.Groverin'PropositionalQuantificationandQuotation Contexts' untersucht: 'Therefore our resultsshow that – although unrestricted self–reference leadsto inconsistency – partial self–reference need not.' An-dererseits ist die Angst vor Paradoxien und Antinomi-ensichtlicheinergewißenNeugierdeundDomesti-zierung gewichen. Und J.F.A.K. van Benthem schreibtgegen die Furcht vor Paradoxien in seiner Arbeit mitdem doppelsinnigen Titel 'Four Paradoxes': 'But why?WhatmathematicalresultwouldbemoreexcitingthanthediscoveryofacontradictioninsayPeanoarithmetic? Who believes that the mathematics wouldcome to an end because of such an event? I say that,within a century, it would count as the greatest advan-ce ever in the mathematics, having led to an incompa-rably better understandig of the concept of 'number'.

EsistalsonichtsosehrKroneckersAusspruch:'Die ganze Zahl schuf der liebe Gott; alles übrige istMenschenwerk', der naiv ist, als vielmehr der Glaube,daß der Tod Gottes für die Arithmetik ohne Folgen ge-blieben sei.“ (Kaehr 1982, 222)

Gotthard Günther (1900 – 1984) weist auf dieBedeutungderSchellingschenNaturphilosophiefürdieKomplexitätundHeterarchiedes'Un–Grundes'hin.

„Daher blieb auch seine Klage: 'Die ganze neu–europäische Philosophie seit ihrem Beginn (durch Des-cartes)hatdiesengemeinschaftlichenMangel,daßdie Natur für sie nicht vorhanden ist, und daß es ihr amlebendigen Grunde fehlt.' Unter dem lebendigenGrunde ist das Wollen als 'Ursein' gemeint.“ (Günther1979, 57)

NichtsistohneGrund.AlleshatkeinenGrund.Einerlei.

Was Grund und was Begründetes ist, wird gere-gelt durch den Standort der Begründung. Der Wech-seldesStandortesregeltdenUmtauschvonGrundundBegründetem.EsgibtkeinenausgezeichnetenOrtderBegründung.JederOrtderBegründungistGrund und Begründetes zugleich. Orte sind unterein-ander weder gleich noch verschieden; sie sind in ihrerVielheit voneinander geschieden. Für die BegründungeinesOrtesisteineVierheitvonOrtenimSpiel.DerOrt der Orte ist als Ab–Ort in diesem Spiel der Orte anjedem der Orte je schon verspielt.

Die Vierheit der Proömik des Grundes ent-gründet das Schreiben vom(n) Selbst.

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LITERATUR

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SUFI´S DRAI:

Wozu Diskontexturalitäten in der AI ?

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SUFI´S DRAI :

WOZU DISKONTEXTURALITÄTEN IN DER AI ?

Die Polykontexturale Logik geht von der Hypotheseaus, daß sich die Welt des Wissens nicht unter ein einzigesPrinzip subsumieren läßt. Es wird angenommen, daß keinMechanismusderVereinheitlichungdesWissensauf-findbarsei,daßsichdieMethodendesWissens-erwerbsnicht homogenisieren lassen. Kurz, die Polykontexturali-tätstheorie optiert, daß unsere Welt als Pluri-versum undnicht als Universum verstanden werden muß. Diese Poly-kontexturalisierungderWeltgiltinsbesonderefürdasWissen (der Welt) selbst, soll es als innerweltliches Ereig-nis gelten können.

Wissen ist danach immer schon als ein Vieles gedeu-tet:mehrdeutig,komplementär,komplex,polysemisch,disseminativ,unentscheidbar,antinomisch,spekulativusw.

InwelcheZirkularitätenderKonzeptionalisierungwir uns verstricken, wenn wir auf das Postulat der Eindeu-tigkeitundLinearitätdesWissenssetzen,hatHubertDreyfus in seinem Wien-Vortrag „Cybernetics as the lastStateofMetaphysics“1968fürdieAI-ForschunginRückgriffaufdieHermeneutikHeideggersdeutlichge-macht. „Dreyfus' philosophische Kritik an Minskys State-ment´Thereisnoreasontosupposemachineshaveanylimitations not shared by men´ besteht darin, daß er auf ei-nen´infiniteregress´bzw.circulusvitiosusaufmerksammacht. Wird nämlich vorausgesetzt, daß die Welt aus einerindefinitenMannigfaltigkeitvonInformationseinheiten(bits) besteht, dann muß eine Entscheidung, bzw. ein Kon-text anerkannt werden, der angibt, welche InformationenfüreineBerechnungrelevantsind.Wirddieszugegeben,dann besteht die Welt nicht mehr homogen nur aus Infor-mationen,sondernauchausKontextenvonInformatio-nen,imWiderspruchzurAnnahme.WirdjedochderKontextzurInformationerklärt,soentstehtderZirkel,daß das, was die Information bestimmen soll, selbst Infor-mationist.WirstoßenhieraufdasProblemdesVerhält-nisses von Information und Bedeutung. Nach demklassischenParadigmawirdBedeutungaufInformationreduziert.DastransklassischeParadigmainsistiertauf

der Irreduzibilität von Information und Bedeutung.“ [2, S.2].

Dreyfus hat bekanntlich daraus den Schluß gezogen,daßdieseZirkularität(deshermeneutischenZirkels)dieprinzipiellenGrenzenderAI-Forschungmarkiere,undsomitdasMinsky-ProjektunweigerlichzumScheiternverurteiltsei.DieVoraussetzunginderArgumentation,die Dreyfus mit Minsky teilt, ist die Anerkennung der Al-leinherrschaft der Formkonzeption der klassischen Logikund ihrer semiotisch begründeten Operativität. Beide ak-zeptieren, wenn auch mit entgegengesetzten Konsequen-zen,dieUnhintergehbarkeitderklassischenLogikalsOrganon (der AI-Forschung und -Entwicklung). Der po-lykontexturaleAnsatzteiltvorerstmitDreyfusdenPhä-nomenbestand des hermeneutischen Zirkels undakzeptiertdamitdieErgebnisseausderTraditionder'transzendental-phäno-menologischen-hermeneuti-schen-grammatologischen'Logik,ziehtdarausjedochden Schluß, daß nicht die Struktur des PhänomenbestandssicheinerFormalisierungprinzipiellentziehe,sonderndaß der Mangel an Reichweite und Komplexität des For-malen bei der klassischen Logik zu suchen sei.

Entweder ist die Struktur des Wissens, der Wissens-repräsentation und der Wissensproduktion, komplex undzirkulär und läßt sich daher nicht formalisieren, dann giltdieFeststellungHerbertStoyans „WissensbasiertePro-grammevonheutewissenalsonichts;aufsieistderBe-griffnichtanwendbar“ nichtnurtemporär,sondernprinzipielloderaberdiephilosophischeundkognitions-wissenschaftliche Tradition hat sich geirrt und Wissen istlogifizierbar,danngibteskeinenGrund,warumnichtdemnächstStoyansFeststellungkorrigiertwerdenmuß.[3, S. 258]

Der polykontexturale Ansatz geht davon aus, daß dieKomplexitätundirreduzibleMehrdeutigkeitschondeselementarstenkognitivenAktesderWissensproduktioneine die Strukturgrenzen der Logik erweiternde transklas-sische Logik als Organon ver-langt.

Die Dreyfus'sche Kritik bleibt dem Logozentrismusder Hermeneutik verhaftet: die Dichotomie 'Formalisier-barkeit des Binarismus vs. Nichtformalisier-barkeit ganz-hei t l icher Komplexionen ' ist Ausdruck einereinheitlichenaufPräsenzbezogenenVorstellungsmeta-physik.

In „CognitionandVolition:AContributiontoaTheory of Subjectivity“, in Innsbrucker Beiträge zur Kul-turwissenschaft1976,skizziertGotthardGünthereinenformalenundweitereFormalisierungsarbeitenleitendenMechanismusdessimultanenZusammenspielsvonko-gnitiven und volitiven Prozessen zur Erzeugung von Wis-sen, der sich nicht mehr in einer Präsenz versammeln läßt.[4]

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WOZU DISKONTEXTURALITÄTEN IN DER AI ?

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WissenistsomitdefiniertdurcheineSimultaneitätvon zwei 'parallel' sich vollziehenden Prozessen:

a) einem volitiven Prozeß, der aus der Mannigfaltig-keit einer unstrukturierten Umgebung durch Relevanzbil-dungeinenBereichbzw.eineKontexturauswähltundcharakterisiert,

b)einemkognitivenProzeß,derausderdurchdenWillensaktbestimmtenKontexturdurchModellierungs-funktionen Informationen gewinnt und repräsentiert.

BeideProzessekonstituierenundrestituierensichgegenseitig, d.h. was für den einen Operator ist, ist für denanderenOperandundumgekehrt.WegenihrerSimulta-neität,dienichtinderZeitabläuft,sondernZeitermög-licht, ist eine Entkopplung des Zusammenspiels mithilfeeinerTypentheorienichtmöglich.DiepolykontexturaleLogikbietetsodenSprachrahmenfürdasWechselspielvon Programm und Datenstruktur als Operator und Ope-rand. Wegen seiner Verortung in der PolykontexturalitätfungierteinProgrammimmerzugleichauchalsDaten-struktur in einer anderen Lokalität und eine Datenstrukturfungiert zugleich auch als Operator in einer anderen Kon-textur.GeregeltwirddiesesSpieldurcheineAuflösungdes Identitätsprinzips in eine Dynamik von Selbigkeit undGleichheit eines Objekts.

Die Polykontexturalitätstheorie gibt den Sprachrah-menzur'Darstellung'komplexerlinguistischerStruk-turenundhatweitreichendeKonsequenzenfürdieKonzeption der Operativität formaler Systeme.

AnalogeZirkularitätenentstehenauchbeiderBe-gründung der natürlichen Zahlen, wenn als Folge der Mo-nokontexturalität der klassischen Arithmetik, dieuneingeschränkte Gültigkeit des Prinzips der potentiellenRealisierbar-keit angenommen werden muss.[8]

„DieunkritischeÜbernahmedesPrinzipsderpo-tentiellen Realisierbarkeit aus der Mathematik in die KI-ForschungbringtdieseinWiderspruchzuihremPrinzipderMachbarkeit.Machbaristdanachnurdas,wasfinitund eindeutig formulierbar ist (McCulloch-Pitts (1943)“.[2, S. 43-44]

Es ist eine natürliche Folge der Polykontexturalitäts-these,daßsichdasIdentitäts-undLinearitätsprinzipdernatürlichen Zahlen auflöst: „Any classic system of logic ormathematics refers to a given ontological locus; it will de-scribethecontexturalstructureofsuchalocusmoreorless adequately. But its statements - valid for the locus inquestion - will be invalid for a different locus. ... A philo-sophic theory of cybernetics would imply that the total dis-contexturality between dead matter and soulful life whichthe classic tradition assumes may be resolved in a hierar-chyofrelativediscontexturalities.Werepeatwhatwestated at the beginning: our system of natural numbers isvalid within the context of a given ontological locus, but it

isnotvalidacrossthediscontexturalitywhichseparatesoneontologicallocusfromthenext.However,thereisawaytoconnectaPeanosequenceofnaturalnumbersinone ontological locus with the Peano sequence in a diffe-rent one.“ [5, S. 62]

Damit ist die Beweiskraft der Gödelschen Theoremeund ihre Relevanz für die AI-Forschung entschieden rela-tiviert auf die Annahme identitiver formaler symbolverar-beitenderSystemeunddieFrageGerhardFrey's „SindbewußtseinsanalogeMaschinenmöglich?“ istwohler-neut zu stellen.[9][10]

„One final remark. When in the past philosophy hasasked itself whether the very core of the soul is cognitionand volition only its subordinate attribute, or whether sub-jectivity is basically volition with some secondary cogni-tive capacities, our own analysis suggests that the wholecontroversy of the primacy of reason or will has its origininanillegitimatemataphysicalassumption.Ourclassictradition believed that not only bona fide objects but sub-jects also are positively identifiable. (A significant expres-sionofitisKant'sterm`Ichansich`.)Thetrans-classiclogicdeniesthevalidityofthisassumption.Itstipulatesthat subjects are only negatively identifiable. We shall ex-plain what we mean by seeking an analogy in modern mu-sic.TheEnglishcomposerEdwardElgaroncewroteapiece which he called ̀ Enigma Variations`. In this compo-sition the variations of a theme are given but the theme its-elfisnotstated.Inourterminology:Thethemeisnotpositivelyidentifiableonlynegatively.Likewise,ourthe-me "subjectivity" is not stated if we speak of the I, the Thou,of cognition or volition. All these terms are only variationsof a hidden theme which can never be directly identified.

TheGreekclassictermfortruthisAletheiawhichmeans`thatwhichisnotconcealed`.Toseekoutthatwhichisnotconcealedistheself-confessedaimofourclassicscientifictradition.Cybernetics,however,willonly attain its true stature if it recognizes itself as the sci-encewhichreachesoutforthatwhichishidden.“ [4,S.242]

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[9]Frey,G.:SindbewußtseinsanalogeMaschinenmög-lich? Studium Generale, Jahrgang 19, Heft 3 (1966)

[10]Leidlmair,K:NaturundGeist-einnichtbaresVer-hältnis?HeideggeroderkünstlicheIntelligenz?,KlagenfurterBeiträge zur Technikdiskussion, Heft 22 (1988)

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WOZU DISKONTEXTURALITÄTEN IN DER AI ?

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Kalküle für Selbstreferentialität oder selbstreferentielle Kalküle?

1 Sitzordungsmöglichkeiten: Von der Linearität zur Zirkularität

2 Autopoiesis und andere Selbstbezüglichkeiten

3 Zyklen und Dualitäten

4 Heideggers Ding und die Grenzen des Phonologo-zentrimus

5 Antinomien, Monster und Hexenverbrennung und Domestikation

6 Parakonsistente Logiken zur Domestikation von Antinomien

7 Chiastische Verteilung von Selbstbezügen

8 Komplementarität von Heterarchie und Selbstreferentialität

9 Literaturverzeichnis

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9 Literaturverzeichnis

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KALKÜLE FÜR SELBSTREFERENTIALITÄT

ODER SELBSTREFERENTIELLE

KALKÜLE?

Rudolf Kaehrin:Forschungsberichte288,S.16-36,FBInfor-

matik, Universität Dortmund 1990

Einleitung

Heinz von Foerster hat immer wieder daraufhingewiesen, daß die neuen Bewegungen des Den-kens, der Übergang etwa von der Selbsbtorganisa-tionstheorie zur Autopoiese, der Paradigmawechsel,den der Radikale Konstruktivismus beansprucht, einesoperativen Organons bedarf, wenn sie sich nichtwieder in der Inflation des Geredes auflösen sollen.

In'ACalculusforSelf-Reference'hatFranciscoVarelaeinenausdieserSichterstenVersuchunter-nommen, im Zug einer Erweiterung des Calculus of In-dications von Georg Spencer Brown einen Kalküleigens für selbstreferentielle Strukturen zu entwickeln.Das Ziel ist, Selbstreferentialität in den Kalkül zu inte-grieren, die Monstruosität der Selbstreferentialität zudomestizieren, ihr ins Auge zu schauen.

Reichtesaus,etwafürdieExplikationderHy-pothesederoperationalenGeschlossenheitvonleb-enden Systemen, der Selbstreferentialität ins Auge zuschauen? Ist es nicht vielmehr so, daß das In-der-Welt-sein lebender Systeme in sich selbst-referentiell struktu-riert ist, daß nicht Teile des Systems, sondern das Sys-temselbst,daslebendeSystem,Selbstreferentialitätkonstituiert?NichteinKalkülfürSelbstreferentialität,sondern ein in sich selbstreferentieller Kalkül wird imZusammenhang der Günther'schen Theorie polykon-texturaler Systeme als Antwort auf das von Foer-ster'sche Desiderat vorgeschlagen.

(Der folgende Text ist Teil einer leicht überarbe-iten Abschrift des entsprechenden freien Vortrags vom7.6.1989)

1 Sitzordungsmöglichkeiten: Von der Linearität zur Zirkularität

Es ist mir lieber, wenn nicht alle in einer Reihesitzen.

Das Problem der Sitzordnung wäre so zu lösen,daß jeder dem anderen auf den Knien sitzt und demoder der vorderen auf den Rücken schreibt.

DamitwürdensichvielleichtallerleiProblemeder Sitzordnung lösen, vor allem dann, wennzirkuläre Strukturen und deren Kalküle diskutiert wer-den sollen.

Womit sich ein erstes Problem ergibt und sich dieEinstiegsproblematik eröffnet:

Es ist nicht ganz klar, wo der Redner oder Beo-bachter nun seine Position einnehmen soll. Soll er sel-ber ein Teil dieser Kette sein? Soll er innerhalb dieserKetteseinoderaußerhalbodersolleralledreiPosi-tionenzugleich,ichsagenichtgleichzeitig,einneh-men?

Bezogen auf das nur Strukturelle habe ich damiteigentlich schon fast alles was die Problematik der Ein-führungvonSelbstreferentialitätindenKalkülanbe-langt, gesagt, was ich sagen möchte.

Der ganze Rest meines Vortrags ist jetzt also Ex-plikation von Sitzordnungen.

Also Explikation von Verteilung von Stellen, vonOrten,dieLogikderVerteilungvonOrten,wobeidiese Orte nicht notwendigerweise im Raum sein müs-sen, weil wir den Raum in diesem Sinn noch garnichtvoraussetzen können, sondern ihn als Konstruktivistenerst generieren müssen.

Das Thema dieser Ringvorlesung ist sehr eng ver-bundenmitdemKonstruktivismus.IchselberwerdeversuchenaufdasProblemderSelbstreferentialitäthinzuweisen.

Einmal Kalküle für Selbstreferentialität im Unter-schied vielleicht zu selbstreferentiellen Kalkülen. Alsovon Kalkülen, die in sich selbst selbstreferentiell struk-

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Einleitung

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turiert sind, deren Architektur oder Tektonik nicht hier-archisch, sondern selbstbezüglich bzw. heterarchischorganisiert sind.

2 Autopoiesis und andere Selbstbezüglichkeiten

Ich möchte noch weiteres Anschauungsmaterialvorlegen,umdasProblemderSelbstrückbezüglich-keit oder der Selbstbezüglichkeit oder des Bezugs vonetwas auf sich selbst zu illustrieren. Die Frage muß viel-leicht noch beantwortet werden:

„Warum ist dieser Bezug auf die Selbstbezügli-chkeit im Rahmen des Konstruktivismus, so wichtig?“

Antwort: EinHauptbegriffoderIdeologemdesKonstruk-

tivismus ist das Kunstwort Autopoiesis. Bestimmt haben Viele schon herumgerätselt, was

das Wort bedeuten könnte.EswirdvonHumbertoMaturanaalsKunstwort

eingeführt, das zusammengesetzt ist aus (griech. au-tos=selbst und poiein=machen).

Es wäre das Selbstmachen, das wäre aber einekrude Übersetzung, insofern als das Wort autos selberzumindest zwei Bedeutungen hat. Nämlich die selbe(Sache) und die (Sache) selbst.

Es gibt auch die Zusammensetzung von autopoiein mit der Bedeutung „Unkraut“. Und warum be-deutet es Unkraut? Ganz einfach deswegen, weil esdas ist, was „von selbst“ wächst.

Ich bitte die Definition von Autopoiesis vorzules-en und da den selbstreferentiellen Bezug etwas deutli-cher hervorzuheben, weil Autopoiesis expliziert wirdals eine in sich operational geschlossene Struktur, d.h.das Problem der Geschlossenheit einer textuellen Fig-ur taucht hier auf, was so etwas wie einen Bezug aufsich selbst andeutet und dieser Selbstbezug in der Def-inition des Wortes Autopoiesis ist sozusagen der Kern-punktdessenwasichversuchevorzutragenoderinder Diskussion zu beantworten und nicht die inhaltli-chen Bezüge zur Neurobiologie, Biologie oder Sozi-ologie oder sonst irgendwelchen Objektbereichen.

Mich interessieren die strukturellen Fragen, mankann auch sagen, die logischen Fragen oder dieerkenntnistheoretischenFragen,dieindieserTheo-riekonstruktion im Spiele sind. D.h. es geht mir nicht sosehrumeinekonstruktivistischeTheorievonObjekt-

bereichen,alsodenendesNervensystems,desIm-munsystems oder des Monetärsystems oder was es daallesfürSystemegibt,dieautopoietischseinsollen,sondernprimärumdieDarlegungderKonstruktion-sprinzipien einer solchen konstruktivistischen TheoriederObjektbereiche.D.h.esgehtumeineReflexionauf die dem Konstruktivismus zugrundeliegendenLogiken.

„Die autopoietische Organisation wird als eineEinheitdefiniertdurcheinNetzwerkderProduktionvon Bestandteilen, die 1. rekursiv an dem- selbenNetzwerk der Produktion von Bestandteilen mit-wirken,dasauchdieseBestandteileproduziert,unddie 2. das Netzwerk der Produktion als eine Einheit indem Raum verwirklichen, in dem die Bestandteile sichbefinden.“ HumbertoMaturana,Erkennen:DieOr-ganisation und Verkörperung von Wirklichkeit,Vieweg 1985, S.158

3 Zyklen und Dualitäten

So hört man es immer wieder, daß eine Schlangesich selbst in den Schwanz beißt. Diese Aktion geht im-mer nur in eine Richtung, der Schwanz bleibt passiv.

DerSatzwirddualausgesagtunddasisteinganzwichtigerGesichtspunktaufdenichversucheweiter einzugehen.

Nämlich folgendes:

Malcolm Flowers Hammer, der sich selber nageltbzw. dual dazu das Holzstück, das sich selber häm-mert.

Also Nagel und Hammer wird Objekt und Sub-jekt.SiesinddiebeidenPoleundhieristesdualsodargestellt, daß es - wie man sagt - gehupft wie ges-prungenist,obichvomSubjektausgeheodervomObjekt.ErstdadurchentstehtdievolleZirkularität,daßichvomAnfangzueinemEndegeheundvomEnde wieder zum Anfang und nicht bloß in einer Rich-tung die Zirkularität abschließe.

Wichtig ist – um diese Struktur noch etwas deutli-cher zu machen – daß ja unsere Sprache auf der dieAussagenlogikunddiePrädikatenlogikzumindestteilweise basieren eine Subjekt-Prädikatstruktur hat.

Wir haben ein Individuenbereich und Prädikate

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dazu. D.h. wenn ich Heinz von Foerster zitierendsage, ein Pferd galoppiert, dann habe ich einen Satzmit einem ganz klaren Subjekt und den Eigenschaftendieses Subjekts, eben daß dieses Pferd galoppiert.

Der duale Satz ist dann zwangsläufig: Der Ga-lopp pferded.

Relevant ist, daß es eine Möglichkeit ist, ein Sub-jekt/ObjektsystemalsDualsystemzuverstehenunddie Gleichwertigkeit oder die Äquivalenz der beidenAussagetypen zu sehen.

4 Heideggers Ding und die Grenzen des Phonologo-zentrimus

Der nächste Punkt wird in die Richtung gehen,daß ich versuche, die Grundlagen dessen, womit icharbeite,zureflektieren,d.h.ichwerdeesallerdingsnur verbal tun, aber wenn wir über Formalismen, alsoFormalismen für Selbstreferentalität oder gar selbstref-erentielle Formalismen sprechen wollen, dann setzenwir die Voraussetzungen mit denen wir arbeiten, im-mer wieder voraus.

D.h. es soll hier kein Begründungssystem en-twickelt werden, daß erst das eine und dann das an-dereist,sondernwirmüssenwohldavonausgehen,daßbeidesimultanexistierenineinemreflektiertenSinn,alsobeideszugleichProduziertesundVoraus-setzung der Produktion ist.

„Das Spiegel-Spiel der weltenden Welt entringtals das Gering des Ringes die einigenden Vier in daseigeneFügsame,dasRingeihresWesens.AusdemSpiegel-SpieldesGeringsdesRingenereignetsichdas Dingen des Dings.“ (Martin Heidegger, Das Dingin: Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1959)

Dieser Satz ist aus dem Ding-Vortrag von MartinHeidegger. Heidegger ist für die KI-Forschung in letz-ter Zeit zwar eine Schlüsselfigur geworden, er istzugleich auch ein Stein des Anstoßes in der gesamtenFaschismusdiskussion. Er ist aber auch ganz unzweif-elhaftderbedeutendstedeutschePhilosophundSiekönnen den Satz noch hundertmal lesen, Sie werdensehen,esisteinezirkuläresprachlichbisinsLetzteausgedichtete Version und wenn ein Konstruktivist ver-suchensollte,das,waseruntereinemDingverstehtmit Hilfe der Deutschen Sprache zu entwickeln, würdeer-wennerbesondersweitgedachthätte-wasersonst wahrscheinlich nicht tun wird, zu einem solchen

Satz kommen.

Es ist ganz aussichtslos ist zu glauben, daß maninnerhalbeinessprachlichenSystems,dassichnurderphonetischenBegriffsbildungbedient,dasalso,wiemansagt,innnerhalbdesPhonologozentrismussich realisiert, eine Chance hat, so etwas wie eine Ex-plikation des Konzepts der Autopoiese realisieren zukönnen. Ich meine der Satz von Maturana mit den Ko-mponenten,diesichselbsterzeugen,klingtjaganzharmlos, ist aber genauso zirkulär und unsinnig.

Denn dieser Satz ist logisch gesehen reinzirkulär.NachdemwaswirgelernthabenistdieserSatznichtnurzirkulärundtrivialsiertdenlogischenSprachrahmenindemerformuliertist,sondernermüßte seiner zirkulären Struktur wegen auch dual ge-lesenwerdenkönnen.D.h.dasnarrativeNetzwerkdieserDefinitionmüßtesichsprachlichvollständigund in jede Richtung lesen lassen.

SelbstverständlichistdasunterderVorausset-zungeinernatürlichenSprachenichtmöglich,dadiese immer hierarchisch strukturiert sind. Dies gilt fürdie indogermanischen Sprachen mit ihrer klaren Sub-jekt-Objekt-Relation ganz besonders.

Wir müssen natürlich davon ausgehen, unddarauf möchte ich etwas insistieren, daß MartinHeidegger auch gewußt hat, daß er an die Grenzender begrifflichen Sprache gestoßen ist.

Umgekehrt weiß Maturana, daß sich seine nar-rative Form nicht formalisieren läßt. Insofern sindVarelasVersuche,sowichtigsiesind,daraufhinzurelativieren.

Weiteres Beispiel einer zirkulären bzw. chiastis-chen begrifflichen Struktur:

Das Grundprinzip der abendländischen Wissen-schaften und Philosophie ist: „Alles hat einen Grund“oder „Nichts ist ohne Grund“. Das ist die Dualität desSatzes innerhalb der Prädikatenlogik.

DieserSatzheißtauchder „SatzvomGrund“und es stellt sich die Frage, was der Satz vom Grundbedeutet.DieAntwort:EristderGrunddesSatzes.Der Satz vom Grund ist der Grund des Satzes.

Diese Argumentationsfigur ist nun wiederzirkulär in dem Sinne, daß Subjekt und Objekt vertaus-cht werden.

(Nebenbei: Der Satz ist natürlich ein Sprung undder Sprung ist ein Riß.)

IchmöchtejetztvielleichteinenkleinenSprung

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Einleitung

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machen und wenn ich jetzt versucht habe so mit Bil-dern und Begriffen irgendwie hinzuweisen, in welch-es Di lemma man kommt, wenn man dieseSelbstbezüglichkeitenernstnimmt,dannkannmannatürlichversuchenmathematisierendoderformaloder symbolisch oder wie auch immer vorzugehen.

[Antwort auf eine Zwischenfrage:] EineAntwortkönntesein:Wennmeinemathe-

matischen Instrumente selber Gesetzen der Logik un-terworfen sind, die auf einer Subjekt/Objekt-unterscheidung basieren.

AlsowennichjetztdiePrädikatenlogikvoraus-setzenmußunddaraufirgendwelchemathematis-chenSystemeaufbaue-Synergetikz.B.-unddiesenApparatbenutze,umjetztzumessenwasineinemlebenden System als selbstrückbezügliche und auch indiesemSinnoperationalgeschlosseneStruktursichzeigt,dannhabeicheinenWiderspruchzwischenderBehauptung,daßicheinselbstrückbezüglichesSystembeschreibenwillundderprinzipiellenLin-earität, der Nicht- Zirkularität meines mathematischenApparates.

Es handelt sich dabei wohl um einen methodolo-gischen Widerspruch.

Dieser ist zur Zeit sehr aktuell: Das naturwissen-schaftliche Paradigma hat die Umweltzerstörung wis-senschaftlichermöglicht,alsomußesauchfürdasGegenteil das richtige Paradigma sein.

[Ende des Exkurses]

Um es etwas deutlich zu machen: Wenn ich dieganze Sprache jetzt einteile in lange Wörter undkurze Wörter - man kann ja das Lexikon nehmen unddiese Wörter auch einteilen und ich nehme jetzt dasWort „Kurz“, dann kann man von dem Wort sagen:Ja,dasWortKurzistselberkurz.Alsodiesesyntak-tische Struktur, das Wort kurz sagt etwas, was auf esselbst zutrifft.

Solche Selbstbezüge sind in diesem Sinn un-gefährlich, also führen nicht zu Antinomien. Das kannich also sprachlich problemlos darstellen. Selbst-bezüge etwa wie die berühmte Lügnerantinomieführen, egal in welcher Formalisierung, zu Anti-nomien.

Es ist übrigens nicht nötig, daß z.B. bei einersolchen selbstbezüglichen Begriffsbildung der Begriffder Negation auftaucht.

EsgibtalsoeineKlassevonselbstbezüglichenBegriffsbildungen,diejenachWahldesformalenSystems, in dem sie gebildet sind, dieses System zer-stören, trivialisieren, insofern als ich aus diesem Sys-tem jeden beliebigen Satz und sein Gegenteilherleiten kann. D.h. das ist die Situation die wohl be-kannt ist, aus der Situation der mathematischenGrundlagenforschung.

Die Strategie, die man zu Beginn unseres Jahr-hunderts eingeschlagen hat, war diese Selbstbezügeimmerauszuklammern.BekanntestesBeispielistdieRussellscheTypentheorie,diebesagt,daßeinSatzauf sich selbst keinen Bezug nehmen darf, sondern ermuß eben in eine Hierarchie eingebettet werden.

Oder etwa die Mengenlehre, die natürlich auchdieseAntinomienproduziert,wennsiedasKompre-hensionsaxiom unrestringiert anwendet.

AntinomiensindWidersprüche,diedurchkor-rekteAnwendungvonkorrektenRegelninformalenSystemen entstehen. Das sind keine Fehler oder Eigen-schaften eines eh schon defekten Systems, sondern esist ein korrektes System, das durch korrekte Anwend-ung von korrekten Regeln zu genauso korrekten Wid-ersprüchen führt.

DieMengenlehrehatdanneinfachdurchihreentsprechenden Axiomatisierungen diese Begriffsbil-dungeingeschränktodermöglichstweithinausge-schoben,sodaßmannochMathematikbetreibenkann, ohne daß man mit diesen Monstern zu tun hat.

DiekombinatorischeLogikdagegenläßtreinsyntaktisch zirkuläre Figuren zu, ursprünglich jedochum den Preis der semantischen Deutbarkeit.

5 Antinomien, Monster und Hexenverbrennung und Domestikation

Ich hätte gern etwas gesagt über die ganze Met-aphorikmitderüberAntinomienindieserZeitge-sprochen wurde.

Es sind also pathologische Fälle, pathologischeSituationen, das sind Monstruosititäten, das sind Mon-ster, das sind Sachen denen man am besten nicht indie Augen sieht, sonst wird es einem schwindlig, selb-stverständlich sind sie doppelzüngig usw.

Sie sind so richtig exorziert, ausgemerzt worden,alsomankanneinenganzenHexenprozeßderVer-meidung von Antinomien beobachten, wenn man

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oder frau diese mathematischen und logischen TextebezüglichihrerMetaphorikliestundnichtbloßein-fach nach ihren Formeln, sondern schaut, wie dagekämpft wird.

DieganzeMetaphorikhängtganzengmitderMetaphorikderHexenverbrennungundentsprech-enden Tendenzen zusammen.

Kurz,ichwürdejedenundjedebitten,einfachmal die Klassiker der mathematischen Grundlagenfor-schung auf sowas hin zu lesen.

Es sind also wirklich Wesen, die da auftauchen,die liquidiert werden müssen.

DasistdieSituationgewesenbiszumzweitenWeltkrieg, danach wurde es etwas ruhiger und späterwurde es im Zusammenhang mit der Restaurationwiederholt und wieder so seit den frühen 70er JahrensinddieseWesenwiedererlaubtbzw.zugelassenund genau dieselbe Terminologie findet man wieder.Nur diesmal positiv gewendet.

Man kann also finden, daß man der Antinomienin die Augen schauen soll, daß man sie ruhig domes-tizieren soll.

Witzigerweise ist es etwa dieselbe Zeit wo auchder Film „Die Monster“ verboten bzw. dann wieder er-laubt war.

InderZeitwodieseAntinomienhoffähigwur-den, kann man auch auf verschiedensten gesell-schaftlichen Bereichen die Domestikation der Monsterfeststellen.

Ich meine es nicht als Scherz. Wenn man dieTexte auf die kulturellen Zusammenhänge hin liestoder wahrnimmt, sieht man diese Zusammenhänge.Es sind nicht kausale Zusammenhänge. Wie daszusammenhängt, ist eine ganz andere Frage, aber estauchtaufundauchdieMetaphernebenvonMon-stern und so weiter tauchen auf.

Beim Text zur Einführung in den Calculus for Self-Reference, den Heinz von Foerster und Richard Howegeschriebenhaben,kannmandieseganzeMeta-phorik im positiven Sinn lesen.

„Etymologically speaking, correct opinion is or-thodox; paradox, however, lies beyond opinion. Un-fortunatly, orthodox attempts to establish theorthodoxyoftheorthodoxresultsinparadox,and,conversely, the appearence of paradox within the or-thodox puts an end to the orthodoxy of the orthodox.In other words, paradox is the apostle of sedition in thekingdom of the orthodox.“

„As long as was possible, logical orthodoxy at-tempted to treat such seditious intrusions just as wouldany other orthodoxy, that is, to dismiss them as cranks,as (syntactic) pathologies, (semantic) freaks, in short,as aberrations (of thought).“ R. H. Howe, H. von Foe-rster,IntroductoryCommentstoFranciscoVarela'sCalculusforSelf-Reference,Int.J.GeneralSystems,1975, Vol. 2, p. 1.

Ich versuche zu zeigen, welche Problem es gibt,selbstreferentielle,selbstbezügliche,zirkuläreStruk-turenindenFormalismusaufzunehmen.EineStrate-gie war das Excorzieren die andere Strategie ist dasDomestizieren, also das hoffähig machen.

Der Ausgangpunkt war immer noch der, daß so-zusagen im Zusammenhang des Konstruktivismus undder Theorie autopoietischer Systeme, solchezirkulärenStrukturenüberhaupteineNotwendigkeitdarstellen.

Die Schwierigkeit hier besteht, ist, diese

zirkulärenStrukturenzudomestizieren.Mankönntesie auch darstellen, in dem man jetzt eine ganze Füllevon Formalismen vorführte, das glaube ich gäbe jetztwenig Sinn, weil sozusagen die Altväter der Formal-isierung natürlich absolut recht gehabt haben, in demsie festgestellt haben, daß eine echte Selbstrück-bezüglichkeit – und nicht irgendwelche softe strangeloops – zu Antinomien führt. Das zu leugnen ist natür-lich kindisch. Da kann man noch so viel Hokus Pokusmachen, diese Situation bleibt bestehen. Das scheintnicht Allgemeinbildung zu sein.

6 Parakonsistente Logiken zur Domestikation von Antinomien

Man kann jetzt aber sozusagen Pluralismen en-twickeln wie man diesen Antinomien ein bißchenPlatzgibt.D.h.also,manhatdannimmernocheinganz klassisches System und ordnet nun gewisse Be-reiche, Nischen oder Randbereiche zu, wo diesestrange loops ihr Leben fristen können.

MankannesaufganzverschiedenenEbenenmachen. Man kann es so machen, daß man sagt, wirunterscheiden zwischen der Konsistenz eines Systemsund seiner Widersprüchlichkeit bzw. der Trivial-isierungdesformalenSystems.D.h.klassischisteinSystem,dasinsichwidersprüchlichist,auchtrivial.JetztkannichaberdasganzeDingsopräparieren,

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Einleitung

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daß ich durchaus eine bestimmte und sehr weiterKlasse von Widersprüchen herleiten kann, ohne daßdas System - obwohl es jetzt schon widersprüchlich ist- trivial wird. D.h. ich habe eine ganz kleine Typ-isierunganeinemOrteingeführt,dieabernichtszutun hat mit der Typentheorie von Russell.

Das wäre also die Möglichkeit, diese zirkulärenStrukturen, die sich als Antinomien darstellen, in For-malismen reinzunehmen, in dem man die Architekton-ik des formalen Systems ein bißchen differenziert. Esgibt dazu eine ganze Schule, die von einer Frau gele-itet wird. Diese Logiken heißen parakonsistente Logik-en,siesindnichtwidersprüchlichundnichteinfachkonsistent, sondern parakonsististent. Sie werdenhauptsächlich in Brasilien von Frau Aida Arruda gep-flegt.

Dann gibt es auch noch andere Strategien.

[Antwort auf eine Zwischenfrage:] Das ist eine Typisierung, eine Hierarchisierung,

die nie zu einem Ende kommt, denn unser Ausgang-spunkt war der, wir wollen ja gerade selbstrück-bezügliche Strukturen darstellen, d.h. wir wollentatsächlich, daß die „allerletzte“ Metastufe wieder mitder ersten Objektsprache zusammenkommt. UndwennderKalküldasnichtleistet,sindwirineinemganz anderen Sprachbereich. Den gibt es, und es istganzeinfachdieklassischeMathematik,esistdieMathematiküberhaupt,dienatürlichweiterhinihreGültigkeit hat und mit solcher Typisierung arbeitet.

Die parakonsistenten Systeme sind ja auch Sys-teme, die auf einer anderen Ebene eine ganz kleineHierarchisierungeinführen.DashatzurFolge,daßdasAntinomischeunterteiltwirdindiedomestizier-baren und in die weiterhin nicht domestizierbaren An-tinomien. Es entsteht so eine gewissermaßenhorizontale Typisierung.

Aber das Ziel ist es eben einen Formalismus zuentwickeln,indemselbstrückbezüglicheStrukturenantinomienfreidarstellbarsind.AlsoalsAntwortaufdieFrage,daßjadieseDefinitionderAutopoieseauch impliziert, daß ich da messen kann und daß ichda konkret vorgehen kann. Also ich kann gucken wieeineZelleinWirklichkeitfunktioniertundichsehedann vielleicht, daß es - je nach dem welche Brille ichaufhabe -, daß das Input-Output-Systeme sind oder ichsehe, daß es in sich zirkuläre Strukturen sind.

Das Problem ist, daß wenn ich sehe, daß es in

sich formal zirkuläre Strukturen sind, dann kann ich sieformalmathematischnichtdarstellen,weilichkeineLogikhabe,keineMathematikhabe,inderinsichgenuin zirkuläre Strukturen darstellbar sind.

Daß man natürlich sekundär irgendwelche

Zyklen, die sich in Wahrheit nie, wie es da heißt „inden Schwanz beissen“ formulieren lassen, können wiruns schenken. Jeder Feed-back-loop, jeder ir-gendwelcheRückbezugetwainderRekursionstheo-rie gehört hier her.

Man glaubt allerdings der sog. Selbstaufruf ein-er Funktion sei ein typisches Beispiel für Selbstreferen-tialität. So steht es auch in den Lehrbüchern, ja sogar,daß es sich bei der Rekursion um eine zirkuläre Figurhandle.

Der Selbstaufruf einer Funktion, das müßte mangenaudurchexerzieren,umzuzeigen,daßesebenkeineselbstrückbezüglicheFormulierungist,weileseinen Rekursionsanfang gibt, eine Rekusionsvor-schrift, und ein Ende. D.h. wir haben eine hier-archischeStrukturundwassichändertistimmernurder Bezug auf den neuen Wert. Ich führe z.B. immerdieselbeAdditionoderSubtraktiondurch,aberderSelbstbezug der Addition auf sich selbst heißt ja nicht,daß ich die Addition auf sich selbst anwende, sondernes ist, eine rekurrente Iteration der Operation Additionauf die Resultate,die Operanden, der Addition.

[Ende des Exkurses]

DieFrageist,washeißtSelbstbezugbeieinerFunktion oder einer Operation?

Bei einer Operation unterscheide ich zwischendem Operator und seinen Operanden. Und das ges-amtePaketistdieOperation.EinSelbstbezugeinerOperation, formal gesehen und nicht sekundär in ein-er Applikation, wäre eben dann gegeben, wenn derOperator auf den Operanden und der Operand sichauf den Operator der Operation sich bezieht.

Dann haben wir formal einen Selbstbezug im Be-griff der Operation. Nämlich, daß der Operator derauf den Operanden einwirkt nun selber Operandeines Operators wird der da vor selber Operand desOperators war der jetzt als Operand fungiert.

Aber jetzt nicht mit Hilfe eines Ablaufens von Zeitoder von Quantität, Schrittzahlen und anderes,sondernalsformaleStrukturdesBegriffsderOpera-tion.

Die Geschlossenheit von der ich spreche ist be-

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zogen auf den Begriff der Operation und nicht auf dieObjekte seiner Applikation.

WennsichderOperatoraufdenOperandenund der Operand auf den Operator bezieht, dann er-scheint hier eine Figur, die keine Familien–Ver-wandtschaft mit den klassischen Begriffen derWieder-holung, nämlich Iteration und Rekursion hat.

Die Figur ist in der abendländischen Rhetorik be-kannt als Chiasmus, oder in der heraklitischen Natur-philosophiealsDialektik(IneinanderübergehenderGegensätze).

Aktuell erscheint diese translogische Figur in derGrammatologie Jacques Derridas als Differance (mita geschrieben!) und als „proemial relationship“ in derPolykontexturalitätstheorie des Philosophen undGrundlagenforschers der Kybernetik GotthardGünther.

Man kann Selbstreferentialität auch mithilfe derModallogik modellieren. Das ist zur Zeit sehr beliebtund auch für die Informatik wichtig.

Es wird dabei der Zusammenhang von Beweis-barkeit und Modalität und die dort entstehendenMöglichkeitendesSelbstbezugsabgebildet.DasistdermomentanwohletabliertesteZweigdesklassis-chen Umgangs mit den Problemen der Selbstreferenz.

Die Voraussetzung ist Mögliche-Welten-Seman-tik, in der die Modallogik interpretiert ist und innerh-albdieserModallogiklassensichselbstbezüglicheStrukturen untersuchen.

GewißgibtesnochweitereRichtungeninderDomestizierungselbstrückbezüglicherlogischerFig-uren.

Domestizierung heißt, einen Kalkül, eine Heim-statt, für diese Figuren anzubieten, dies ist gewiß vonWichtigkeit,jedochfürdieFormalisierungautopoi-etischerSystemenichtausreichend,weildiesenichtsekundär, also unter anderem auch, sondern genuin -an und für sich - selbstreferentiell strukturiert sind.

D.h. die Autonomie eines lebenden Systems istprimär und kein Derivat einer Input-output- Maschine.

7 Chiastische Verteilung von Selbstbezügen

Wenn ich sage etwas bezieht sich auf etwas an-deres, das es selbst ist. Dann wird es etwas kompliz-ierter. Etwas bezieht sich auf etwas anderes unddieses andere ist es selbst. Etwas bezieht sich auf wen

oder was? Auf sich selbst. Es gibt genügend Literaturdarüber.

Der gesamte deutsche Idealismus hat sich damitbeschäftigt.

Nämlich das Denken des Denkens, was sind dieGrundgesetzedesDenkens,wennichdasDenkennicht als Resultat, was die Logik tut, sondern als Prozeßbetrachte.Dasheißt,wennichdasDenkendenke,dann ist das erste Denken sozusagen ein Organon mitdem ich das andere Denken was jetzt im Vollzug ist,thematisiere und dieses zweite Denken denkt.

WennichdasDenkendesDenkensvonetwasdenke, dann stellt sich die Frage, ob das erste Denken,was den Denkvollzug denkt, derselben logischenStrukturgehorchtwiedaszweiteDenkendesDen-kens.

Wenn es nicht dasselbe ist, wie soll es sich dennauf sich selbst beziehen?

Wenn es aber dasselbe Denken ist, das sich aufsich selbst bezieht, dann führt es zu Antinomien. DennesmüßtezugleichOperatorundOperanddesDen-kens sein. Dies ist logisch ausgeschlossen.

DieLösungwäredie,daßwiretwasmachenmüssen,nämlichdasinderBeziehungdesDenkensaufsichselbstunterschiedenwerdenmußzwischendem Selben und dem Gleichen des Denkens. Es ist daseine Denken des Denkens und das andere Denken desDenken, aber es ist zumindest an zwei verschiedenenOrten,wobeidasjetztnichtsgeometrischesoderto-pologischesist,essindimmerhinzweiverschiedeneDenkorte, die sich aufeinander beziehen. Es ist beidesmaldasgleicheDenken,esistabernichtdasselbe.UnderstwennichdieseUnterscheidungzwischendem Selben und dem Gleichen des Denkens aufhebe,daß sich eben das Denken auf sich selbst bezieht unddieserSelbstbezugheißt,daßAgleichAist,dannkriegeichdieAntinomie.WennichdieseUntersc-heidung mache zwischen dem Selben und dem Gle-ichen, dann kriege ich eine Ver-Teilung, eine'räumliche' Anordnung von Denkbezügen die ich hierwiederum logifiziere.

Diese Unterscheidung kann hier nur heuristischeingeführt werden, es soll zumindest gesagt sein, daßessichumeineDekonstruktiondesonto-logischenSatzesderIdentitäthandeltundnatürlichnichtumeine Differenzierung im Herrschaftsbereich des Iden-

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Einleitung

88

tischen, etwa nach „ideell/reell“ oder „type/token“usw.

Wenn der Denkprozeß sich auf etwas bezieht,dann bezieht sich also der Prozeß auf etwas. Wennjetzt dieses etwas wiederum der Denkprozeß sein soll,der sich auf etwas bezieht, dann habe ich quasi einViereck,woeinmalderDenkprozeßsichaufetwasbezieht. Das etwas ist jetzt der Denkprozeß und derbezieht sich wieder auf das etwas das vorher der Den-kprozeß war.

WennichjetztineinemSystemdieUntersc-heidung zwischen Operator und Operand habe, wasetwa derselben Figur entspricht, dann habe ich eineHierarchieodereineOrdnungzwischenOperatorundOperandundzwardeswegen,weilichkeinenOperator haben kann ohne einen Operanden, aberdurchaus einen Operanden quasi als Objekt ohne ein-en Operator.

UndwennichdenOperandenwiederzurück-beziehe auf den Operator, dann nehme ich diesen alsneuenAusgangspunktfüreinesolcheReflexionunddas was auf der einen Ebene Operand war, wird jetztzum Operator eines neuen Operanden auf einer neu-enEbene.Dieseistdervoran-gehendennichtüber-oderuntergeordnet,sondernneben-geordnet.DennallemöglichenhierarchischenBeziehungenwerdenvon der ursprünglichen Hierarchie von Operator undOperand geregelt. Zwischen diesen Hierarchien be-steht nicht wieder eine Hierarchie wie etwa in Prädika-tions-Typentheorie,sonderneineHeterarchie(indersog. Strukturtypentheorie).

8 Komplementarität von Heterarchie und Selbstreferentialität

Diese heterarchische Struktur läßt sich nun logi-fizieren. Ein logisches System ist in seiner Grundstruk-tur eine Hierarchie zwischen einen Ersten und einemLetzten,zwischendemWahrenunddemFalschen,zwischen Opponent und Propponent, zwischen Frageund Antwort, zwischen Axiomen und Regeln usw.

Wir können so nach diesem Schema der Vertei-lung von Operator-Operanden- Verhältnissen Logikenverteilen.WirhabendannjeOrt,jeStelleindieserVerteilungeineinsichautonome,d.h.vollständigeklassische Logik. Diese distribuierten Logiken sind un-tereinander gleich, aber es sind nicht dieselben. DerMechanismusderDistributionfunktioniertnurunter

derBedingungderDekonstruktiondeslogisch-semi-otischen Identitätsprinzips in Richtung auf das Gleicheund das Selbe. D.h. wir haben Identität und Diversitätund andererseits Gleiches und Selbiges.

Diese distribuierten Logiken stehen zu einandernicht in der Ordnung der Hierarchie, sondern der Het-erarchie.DurchdieseHeterarchisierunglassensichnicht nur Logiken, sondern auch andere formale Sys-temedistribuieren.DieDistributionvonklassischenLogiken führt zur polykontexturalen Logik wie sie vonGotthard Günther eingeführt wurde.

Wir erinnern daran, daß, kurz gesagt, vom BCLinUrbana,dreiTendenzendesParadigmawechselsausgegangen sind: a) Theorie autopoietischer Syste-me (Maturana, Varela), b) radikaler Konstruktivismus(vonFoerster,Löfgren),c)Polykontexturalitätstheorie(Günther).

DiepolykontexturalenLogikensindnunnichtmehrLogikenfürSelbstrückbezüglichkeit,wieetwaVarelasExtendedCalculusforIndications,diedieSelbstrückbezüglichkeit und ihre Antinomien domesti-zieren, denn die Struktur, die Architektur dieserpolykontexturalerLogikenistselbstrückbezüglich,genauer: chiastisch.

DiepolykontexturaleLogikistgenuin,fürsichselbst, an und für sich, selbstreferentiell strukturiert.

Damit hätten wir unser Thema erreicht: Kalkülefür Selbstreferentialität oder selbstreferentielleKalküle.

Eine komplementäre Aussage zu all dem Vor-angegangen läßt sich machen: Was uns bis dahin alsSelbstreferentialität erschien und Kopfschmerzenproduzierte, das ist im Grunde genommen etwassekundäres.PrimäristdieVerteilungvonLogiken.Fragen Sie mich nicht wo. Und in welchem Raum, wowir bisdahin weder Raum noch Zeit haben.

DasisteinneuesGebietüberLeerstellen,alsoüberStellen,dienichtnurnichtsbedeuten,sonderndieleersindvonBedeutungundNicht-Bedeutung.D.h.dieüberhauptnichtsmehrmitBedeutungshaft-igkeitzutunhaben.DieseStellensindleerimSinnevon kenos (griech. kenos=leer) im Gegensatz zu meon(nichtSeinedes).DieseLeerstellenwerdeninderKonzeption, die ich vertrete, als Kenogramme marki-ert. Und dieser Bereich über den diese Logiken verteiltsind, das wäre die Kenogrammatik.

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Heterarchische Verteilung von Logiken bedeutet,daß diese in einem Netz aufgespannt sind. ZwischendiesenfürsichautonomenLogikenlassensichko-mplexe zyklische Strukturen bilden, die geregelt durchNegationszyklen, Selbstbezüglichkeiten jeglicher Ko-mplexität im Logischen realisieren ohne dabei antino-mische Si tua t ionen erzeugen zu müssen.Selbstverständlich lassen sich intra-logisch je Logiksys-tem die klassischen Antinomien wiederholen und Bez-iehungen zwischen di f ferenten simul tanenAntinomien untersuchen.

Zirkuläre Strukturen sind damit nicht mehrgezwungen sich auf sich selbst im Modus der Lin-earität und der Spekulation aktualer Unendlichkeitenzu beziehen, sondern eröffnen die Wege sich selbstgenerierender Labyrinthe. Durch diesen SelbstbezugwirddieKomplementaritätvonkenogrammatischemNetzundlogischerZirkularitätangezeigt.DieKo-mplexionvondistribuiertenLogikenerzeugttrans-junktionale logische Eigenschaften, die in den klassis-chen Logiken nicht existieren.

Die Kenogrammatik regelt also die Stellen, Orteund Plätze, die von formalen Systemen eingenommenwerdenmüssen.Müssen:jedesSystemnimmteinenbzw. seinen Ort ein.

Im klassischen Fall koinzidieren Ort und System.Das System ist blind für seinen Ort.

Damit hat sich der Kreis des Vortrags geschlos-senundwirsindwiederbeiderSitzordnungange-langt, die damit aufgehoben sei.

Ich hoffe, Sie finden den Weg aus demGestrüpp!

Anmerkung:

Die Ausführungenzu den Axiomen des Calculus of Indications und desExtended Calculus of Indications sind nicht transkribiertworden.

Der Vortrag wurde u.a. durch eine piktorale Ebenebegleitet. Die Bilder können hier nicht reproduziert wer-den.

9 Literaturverzeichnis

(Das Verzeichnis soll u.a. auch die Arbeiten zurPolykontexturalitätstheorie zugänglich machen)

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Einleitung

90

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SKIZZE EINER GRAPHEMATISCHEN

SYSTEMTHEORIE

Zur Problematik der Heterarchie verteilter

Systeme im Kontext der New „second-order“

Cybernetics

1 Cybernetic Ontology: Hierarchie und Heterarchie komplexer Systeme

1.1 Zur Architektur heterarchischer Systeme 52

1.2 Zur Organisation komplexer Systeme 53

1.2.1 Strukturtypenbildung

1.2.2 Komplexionstypen

1.3 Zur Prozessualität komplexer Systeme 54

1.4 Zur Objektionalität komplexer Systeme 55

2. Konkretisierungen

2.1 Zum Substanz-Fetisch 57

2.2 Die Dinge und ihre Ränder 58

2.3 Glossar der

Polykontexturalitätstheorie 60

Zur Explikation von GANZHEIT

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SKIZZE EINER GRAPHEMATISCHEN

SYSTEMTHEORIE

Zur Problematik der Heterarchie verteilter

Systeme im Kontext der New 'second–order'

Cybernetics

In den 70–er Jahren ist offensichtlich die strengeHierarchisierung und Optimierung kybernetischerProzesse in Wirtschaft und Wissenschaften als Para-digma der 60–er Jahre zu einem gewissen Abschlußgekommen und durch eine gegenläufige Tendenz derFuzzifikation(Parametrisierung,Modalisierung,In-tensionalisierungusw.)allerbasalenKategoriener-setztworden.DieseAuflösungderKategorienderallgemeinenSystemtheorieundKybernetikhatrück-wirkendzueinerRevisionundTieferlegungderent-sprechendenKategorienundBegriffsbildungdurchdie Second Order Cybernetics bzw. die New Cyber-netics der 80–er Jahre geführt.

DieFuzzy–StrategiensolltendasalteKonzeptder Stabilität und des Wachstums an die neuen Bedin-gungen einer durch Diskontinuitäten, Instabilität, Un-durchschaubarke i t und Wachs tumskr i sengekennzeichneten Realität anpassen.

Die New Cybernetics versucht direkt die Ansprü-che der alten allgemeinen Systemtheorie mit den neu-en Bedingungen der Diskon t inu i tä t undInkompatibilität durch sukzessive Transformation derbasalenBegrifflichkeitinEinklangzubringen.WardiealteKybernetikmitderRegelung(Optimierungusw.)vonSystemenbeschäftigt,soistdieThematikder New Cybernetics die „Regelung der Regler“ derSysteme in turbulenten Umgebungen. Die New Cyber-

netics ist also eine Kybernetik der Kybernetik und da-her von „second order“. Wie beim „Denken desDenkens“ handelt es sich hier nicht um eine Iteration,die beliebig zu vollziehen wäre, denn die Second–Or-derCyberneticsentwickeltGesetzlichkeiten,dieum-fassender sind als die ihrer Thematik, und die gewisseAbschlußeigenschaften besitzen.

Es ist anzunehmen, daß die Transformation dersystemtheoretischenundkybernetischenBegrifflich-keiten nicht im luftleeren Raum aus rein inner–theoreti-schenGründenerfolgtist,sondernalsReaktionaufverschiedene reale Erfahrungen, die teils aus den em-pirischen Wissenschaften (so etwa der Gehirnphysio-logie),teilsausgesellschaftlichen,wirtschaftlichenu.a. Zusammenhängen stammen.

Es muß also angenommen werden, daß die Pro-duktivkräfteeineKomplexitätangenommenhaben,die es nicht mehr erlaubt, sie mit den Mitteln der altenSystems Research zu erfassen und zu steuern.

Eine Managementtheorie, die weiterhin sich vondenKonzeptendesaltenParadigmasleitenläßt,istwohl weitgehend dem Mißerfolg ausgeliefert undkann sich nur auf ad–hoc–Methoden und zufällige Er-folge, deren Zustandekommen nicht mehr verstandenwerden, ver lassen.

Andererseitsistesnungewißnichtso,daßeindisponiblesSecond–Order–Cybernetics–Instrumen-tarium schon zur Verfügung stände und es nur darumginge, es aufzunehmen und zu applizieren. Dies wirdleicht von verschiedener Seite suggeriert. Eine solcheHaltung wird unweigerlich zum Mißerfolg führen, dadie neuen Instrumente weit weniger ausformuliert undoperativ zugänglich gemacht sind.

DieArbeit,diezuleistenist,läßtsichwiefolgtcharakterisieren:

1. Die Gründe für das Versagen der klassischenMethoden müssen aufgedeckt werden, d.h. die klassi-schenMethodenmüssenbezüglichihrerEffektivitätklarer ab– und eingegrenzt werden,

2. müssen die neuen Tendenzen gesammelt, ver-sammelt, aufgenommen und reflektiert, auf ihreBrauchbarkeit hin analysiert werden,

3. müssen die Konsequenzen aus den neuenKonzeptenfürdieoperativenMethodenundInstru-mentarien gezogen werden.

Es besteht die Gefahr, daß die New Cyberneticssich der klassischen Kybernetik gegenüber als bloßeKritik, als Kritizismus erweist, der in den harten Metho-dologienallesvonderkritisierten„positivistischen“usw. Kybernetik bezieht und selber im begriffsdialek-tischenJargonderSelbstbezüglichkeitverharrt.DerCirculus Creativus regelt keinen einzigen realen Pro-

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zeß, außer den der phonetischen Zirkulation, und die-se ist bekanntlich seit längerem inflationär.

Es sollen daher hier einige Konsequenzen für dieBegriffsbildungunddieformalenMethodenausderTendenz der New Cybernetics gezogen und semifor-mal expliziert werden. Die klassische Kybernetik läßtsich eingrenzen etwa durch die Bestimmung, daß siesich mit der Regelung von System unter den Aspektender Stabilität, des Wachstums, der Selbstorganisation(Selbstkorrektur usw.), der Adaption, des Lernensusw. unter den Bedingungen der H i e r a r c h i e be-schäftigt, während die New Cybernetics sich den Be-dingungen der H e t er a r c h i e, der DiskontexturalitätkomplexerSystemebzw.Systemganzheitenöffnet,ohnedabeijedochdieerreichteKonzeptualisierungder hierarchischen Systemtheorie zu verdrängen.Vielmehr wird sich zeigen, daß zwischen HierarchieundHeterarchieselbsteinkomplexesWechselspielbesteht, das durch die Proemialrelation geregelt wird.

Die Auswirkungen der Heterarchie sollen unter-sucht werden in Bezug auf:

1. Die Architektur komplexer Systeme 2. Die Organisation komplexer Systeme 3. Die Prozessualität komplexer Systeme 4. Die Objektionalität komplexer Systeme EinehierarchischeArchitekturderSystemebe-

stimmtdieGrundkonzeption,dieBegrifflichkeitderSystemtheorie, d.h. Systeme sind im Rahmen der all-gemeinenSystemtheorieletztenEndesimmerhierar-chischstrukturiertoderlassensichhierarchisieren.

HeterarchiebestimmtdieBeziehungzwischen(hierarchischen)SystemenunterderMaßgabe,daßdiese sich nicht hierarchisieren lassen. Heterarchie istalso negativ bestimmt als eine Architektur komplexerSysteme, die sich nicht hierarchisieren läßt. Ein heter-archisches System läßt sich nicht ohne Verlust wesent-licherBestimmungenaufeinhierarchischesSystemabbilden.

PositivbedeutetHeterarchie,daßverschiedenezueinander disjunkte hierarchische Systeme miteinan-der verkoppelt werden können und so zu kooperativerEinheit gelangen, ohne die Autonomie der Teile einemübergeordnetenMeta–Systemabgebenzumüssen.ZwischendenKonstruktenHierarchieundHeterar-chie herrscht jedoch nicht wieder eine Hierarchie, sodaß etwa die Heterarchie die Hierarchie umfaßt. Viel-mehr besteht zwischen beiden ein komplexes Wech-selspiel, dessen Regeln selbst nicht wiederhierarchisch oder heterarchisch strukturiert sind, son-derndieBedingungenderMöglichkeitderbeidenGrundbestimmungenallerSystemeüberhauptange-ben, ihnen vorgeordnet sind, sie in ihrer Möglichkeit

eröffnen.DieEröffnungderSystemtheorie,ihrVor-spiel, d.h. ihr Proömion, ist kodifiziert und inskribiertin der „proemial relationship“, der Proemialrelation.

Wie Teilsysteme zu hierarchischen Systemen ver-knüpft werden ist bekannt. Es stellt sich die Aufgabe,die Mechanismen der Verknüpfung hierarchischer Sy-stemezuheterarchischenSystemenanzugeben.Da-beiisteswichtigdierichtigesystematischeEbene,bzw. den richtigen logisch–strukturellen Ort der The-matisierung zu finden.

EinerderrelevantestenGründe,warumhierbeian die Arbeiten des BCL (Biological Computer Labora-tory, Urbana, Illinois, USA) angeknüpft wird, liegt dar-in, daß das BCL in einzigartiger Weise dieVerknüpfungsmechanismen von der Ebene der Theo-rie auf die Ebene der der Theorie zugrunde liegendenLOGIK und SEMIOTIK bzw.Ontologie,undspäterder der Arithmetik zugrunde liegenden Zahlkonzepti-on, zurückgeführt hat.

Das BCL ist hervorgetreten durch Arbeiten zu ei-ner Theorie lebender Systeme allgemeinster Art (bio-logische, soziale, künstl iche, usw.). An derEntwicklung dieser Arbeiten waren so nahmhafteWissenschaftler wie W. S. McCulloch, H. v. Foerster,R. W. Ashby, G. Günther, L. Löfgren, H. Maturana, F.Varela, G. Pask, St. Beer u.a. beteiligt. InternationalbekanntwurdendieKongressezurBegründungderTheorieselbstorganisierenderSystemeAnfangder60er und die Theorie polykontexturale (Günther) undautopoietischerSysteme(Maturana,Varela)inden70er Jahren.

Zwei Strategien zur Entwicklung einer allgemei-nen Systemtheorie lebender Systeme wurden entwik-kelt und haben zu den zwei wichtigsten Theorie–Entwicklungen geführt:

1) Die Theorie polykontexturaler Systeme von G.Günther

2) Die Theorie autopoietischer Systeme von Ma-turana und Varela.

–Die Theorie polykontexturaler Systeme zeichnetsich durch eine radikale Tieferlegung der Fundamenteder wissenschaftlichen Begriffsbildung aus und leistetdamiteinenwesentlichenBeitragzurÜberwindungderDichotomievonNaturundGeisteswissenschaftbei Aufrechterhaltung der mathematischen Operativi-tät und der hermeneutischen Komplexität.

–DieTheorieautopoietischerSystemeistzwarweniger komplex, hat sich aber durch die Wahl desCalculus for Indication als Logical Framework und derklassischenRekursionstheoriealsMethodologiederFormalisierung einer breiteren Öffentlichkeit zugäng-lich erwiesen.

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InderZwischenzeitisteineRückbeziehungaufdie erste Strategie der Tieferlegung des Ansatzes zuverzeichnen, etwa in dem Hinweis von Gordon Pask,daß die „New Cybernetics“ ihre philosophischen undlogisch–strukturellenFundamenteundDirektiveninder Polykontexturalitäts–theorie („Cybernetic Ontolo-gy“) Günthers fände.

BeideTendenzen,sowohldiePolykontexturali-tätstheorieGünthers,alsauchderCalculusforSelf–Reference von Varela, setzen direkt auf der logischenEbene an und hintergehen damit die ganze Problem-atik theoretischer wie informationeller Art, die zu kom-plizierten, den harten Kern der Problematikverdeckenden Theoriebildungen und mathemati-schen Apparaten führen.

Damitistschonangedeutet,daßalleTheoriender Vernetzung wie auch alle Applikationen von Theo-remenausdenEinzelwissenschaftenwieesimFallederdissipativenSysteme,derKatastrophentheorie,der biologischen Evolutionstheorie usw. geschieht, füreinedirekteAnalysederProblematiknichtinFragekommen. Der Begriff der Heterarchie muß also so fun-damental wie möglich angesetzt werden. Da es hiernichtumeinePhilosophieheterarchischerSystemegeht, ist eine Lokalisierung der Thematik auf der Ebenevon logischen Systemen und ihrer Semiotik bzw. Arith-metik ausreichend und verspricht eine Darstellung, dieanausreichendBekanntesundFundamentalesan-knüpft.

10 Cybernetic Ontology: Hierarchie und Heterarchie komplexer Systeme

Ein System ist dann hierarchisch, wenn alle seineTeilsysteme auf einen ihnen gemeinsamen Grund, aufein und nur ein ihnen zugrunde liegendes System zu-rückgeführtwerdenkönnen.EinhierarchischesSy-stem hat demnach einen und nur einen Grund (griech.Grund=arche)unddieserist,daerdereinzigeistauchderhöchste(=hieros).EinheterarchischesSy-stemverknüpft,vermittelteineVielheitvonirreduzi-b len, nicht ine inander zurück führbarenhierarchischen Systemen. Als Ganzes hat es nicht ei-nen Grund, sondern auch einen anderen (griech. an-deren= heteros). Prinzipientheoretisch läßt sich somitsagen,einheterarchischesSystemhatnebendemhöchsten Grund eines Systems andere höchste Grün-de. Jeder der Gründe ist der höchste (hieros) und hatnebengeordnet andere höchste Gründe, daher ist je-derhierarchischeGrundaucheinNicht–Grund,einabgeleiteter.DerGrundundseinanderer/anderes

sind in einem heterarchischen System zu einem kom-plexenGanzenverbunden.JederGrundistnunderORT einesBasis–Systems,vondemausderlogisch–strukturelleundarithmetisch–semiotisch–algorithmi-scheApparatdefiniert,begründet,fundiertist,bzw.von wo aus er seinen Ausgangspunkt nimmt. Ein sol-ches Basis–System ist charakterisiert als KONTEXTURim Gegensatz zum Begriff des KONTEXTes der in ihmenthalten ist. Eine Vielheit von Kontexturen wird durchden Mechanismus der Proemialrelation zu einer VER-BUND–KONTEXTUR bzw.einerPolykontexturalitätverbunden.

Damit wird postuliert, daß die Beschreibung ei-neskomplexenSystems(bekanntlichdadurchdefi-niert ist, daß es zu seiner Beschreibung eine VielzahlvonBeschreibungsstandpunktenverlangt)nichtda-durch geleistet wird, daß die eine und einzige Logik–Arithmetikbzw.MethodikentsprechenddemGradder Komplexität verschieden oft angewandt wird undsodenKomplexdurcheinenBeschreibungswegre-konstruiert bzw. modelliert, und als theoretisches Re-sultat, als Resultat einer Applikation festhält.

Eine solche Applikationsweise übersieht zweier-lei: einmal, daß das komplexe System als Ganzes sostrukturiert ist, daß seine kooperierenden Teilsystemequa hierarchische Systeme je zugleich bestehen, daßzwischen ihnen eine nicht reduzierbare Koordinationund Kooperation besteht. Die Applikation linearisiertdie Komplexität in ein Nacheinander von Systemen.M.a.W., der Komplex wird hierarchisiert, einmaldurchdieAbfolgederBeschreibungsschritteund2.durchdiemetatheoretischeEinvernahmedurchdieHierarchie von Logik usw. und Applikation der Logikusw.

Andererseits wird stillschweigend vorausge-setzt, daß die Orte, die jedes einzelne Teilsystem ein-nimmt, mit den anderen kommensurabel sind, daß dieOrte untereinander homogen sind, und daß daher ei-nerApplikationderLogik,dieselbereinenOrtein-nimmt, nichts im Weg steht, weil zwischen derStruktur,derQualitätdesOrtesderLogikundderQualitätdesOrtesderApplikationkeineDifferenz,kein Hindernis, keine KONTEXTURSCHRANKE liegt.Es wird also die Homogenität der Orte angenommen.

Die POLYKONTEXTURALITÄTSTHEORIE, dieeineTheorieheterarchischerSystemedarstellt,gehtnun davon aus, daß zur Beschreibung komplexer Sy-steme nicht nur eine Vielzahl von irreduziblen Stand–orten eingenommen werden muß, sondern daß jedemBeschreibungs–standpunkt auch ein Ort im Beschrie-benenentspricht.EinheterarchischesSystemstelltalso in sich selbst eine Vielheit dar.

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Cybernetic Ontology: Hierarchie und Heterarchie komplexer Systeme

96

Diese verschiedenen Orte, die als Platzhalter vonLogiksystemenfungieren,unddamitvor–logischenGesetzen entsprechen, für die also der Satz der Iden-tität im logischen Sinne nicht gilt, lassen sich dennochnachGleichheitundVerschiedenheitunterscheiden.Diese Orte sind als Platzhalter inhaltlich leer, markie-rennurdenOrt,deneinlogisch–arithmetischesSy-stem einnehmen kann. Die Architektur und GrammatikdieserOrtewirdvonderKenogrammatik(kenos=leer) erfaßt und geregelt. Heterarchische Systeme sindalso verteilte, d.h. distribuierte und in ihrer Distributionkooperativ verknüpfte Systeme, die nicht im Logi-schen,sonderninder KENOGRAMMATIK alsallge-meiner Architektur und Grammatik (genauer:Graphemat ik ) fundier t s ind.

DieIdeeeineslogischenbzw.kenogrammati-schenOrtesmagbefremden.BekanntistjedochdieKonzeption des logischen Ortes einer Aussage in derformalen Logik etwa bei Wittgenstein: „3.4. Der Satzbestimmt einen Ort im logischen Raum...“. Die klassi-sche Logik behandelt also logische Orte in einem undnur einem logischen Raum. Die transklassische Logik,die die Logik heterarchischer Systeme darstellt, unter-sucht die Vielheit der logischen Räume, d.h. die Viel-heit der Aussagen eines logischen Systems wirdtransformiertzurVielheitderRäumeundsomitzurVielheit der Logiken.

Das Gitter oder Netz bzw. Netzwerk der Orte,das die Logiken distribuiert, gehört selbst nicht wiedereiner Logik an, d.h. die Bedingungen der Möglichkeitder Distribution von Logiksystemen überhaupt, die Er-möglichung derselben, kann nicht selber eines dieserLogiksysteme sein.

DieErmöglichungderDistributionundVermit-tlung von Systemen leistet die Kenogrammatik. Dies isteinesderwichtigstenAbgrenzungskriteriengegen-überKonzeptionenwiedemCalculusforSelf–Refe-rence,denPolyautomaten,Zellular–Automatenusw.DiesesinddurcheinedirekteSelbst–Rückbezüglich-keit und ohne einen Umweg (über die Kenogramma-tik) definiert. Der Circulus Vitiosus der dabei entsteht,wird zwar erkannt, aber überschwenglich zum Circu-lus Creativus oder Circulus Fructuosus erhoben.

10.1 Zur Architektur heterarchischer Systeme

Die Architektur komplexer heterarchischer Syste-me wird bestimmt durch die Anzahl der logischen Or-te, d.h. durch die Anzahl der Kenogramme und durchdieVerhältnissevonGleichheitundVerschiedenheit

derKenogrammeimKontextihrerVerknüpfung.An-genommen,esseieinKomplexvonKenogrammen,gleicher und verschiedener, gegeben, dann sind prin-zipiell zwei Operationen möglich:

a) EVOLUTIVEOPERATION:zudembestehen-denKomplexmitderKomplexionszahlmkanneinKomplex mit der Komplexionszahl m+1 erzeugt wer-den.Dieskanndadurchgeschehen,daßeinKeno-gramm des Komplexes wiederholt wird oder daß einneues nicht in der Komplexion enthaltenes Keno-gramm assimiliert, hinzugenommen wird. Außerhalbder Komplexion unterscheiden sich die einzelnen Ke-nogrammenicht,siesindfürsichgenommenMona-den und als solche untereinander isomorph, d.h.kenogrammatischäquivalent.DieevolutiveOperati-on verändert die Komplexität des Systems, indem sieimRahmenbestehenderQualitätenneueBeziehun-genermöglichtoderindemsieneueQualitätenauf-nimmt und damit die Qualität der ganzen Komplexionverändert.

b) EMANATIVE OPERATION: unter Konstanthal-tungderKomplexionszahlwirdeineAusdifferenzie-rung zu voller Komplikation oder zu einer Reduktionauf minimale Komplikation vollzogen. Emanative undevolutiveOperationenbedingensichgegenseitig.Ohne eine gewisse emanative Komplikation ist keineevolutive Operation und ohne diese keine emanativemöglich.EmanationundEvolutionsindKomplemen-täraspektederArchitekturheterarchischerSysteme.Gemäß der Architektur heterarchischer Systeme trans-formiert sich das Begriffspaar System/Umgebung ent-scheidend.InderklassischenSystemtheoriebestehtzwischen System und Umgebung eine Dualität, die lo-gischeinemNegativprozessuntersteht.DerNegati-onsoperatorerhälthierdurchfürdieSystemtheorieeine fundamentale Funktion. Heterarchische Systemesind dem Grad ihrer Komplexität entsprechend nichtbloß mit einem NEGATIONSOPERATOR ausgerüstet,sondernmitmehreren.Dahersindsiemulti–negatio-nale Systeme, die in der Lage sind, a) eine vielseitigeSystem–Umgebungs–Relationalitätzukonstituierenundb)UmgebungnichtnuraußerhalbdesSystems,sondernauchinnerhalbdesSystemszubilden.Dasheißt, die Koinzidenz von System/Umgebung und in-tern/externgiltfürmultinegationaleSystemenicht.

Dadurch daß heterarchische Systeme interneUmgebungenoperativkonstituierenkönnen,liefernsiedieBedingungenderMöglichkeit,d.h.denlo-gisch–strukturellenSpielraumfürdieSimulationundModellierung externer Systeme. Heterachische Syste-me sind strukturell in der Lage sich „ein Bild von sichselbst“ zu machen.

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Ein strukturell ernst genommenes Simulationskon-zept verlangt „architektonisch“ wie auch „objekttheo-retisch“ eine neue Ver–Ortung außerhalb derklassischen Dualität von System/Umgebung und onto-logischvonSein/Nichtsbzw.Information/Bedeu-tung.

Die MULTINEGATIONALITÄT heterarchischerSystemeistnichtwiedieNegationskonzeptionderklassischenSystemtheoriereflexiv,sondernimallge-meinen Sinne zyklisch und generiert eine umfassendeTheorie von NEGATIONSZYKLEN und zyklischen Per-mutographen.

VomStandpunktheterarchischerSystemeexi-stiertfürdieklassischeSystemtheorienichtnureineKoinzidenz von Affirmation/Negation und intern/ex-tern,sondernaucheineAbbildungdergenanntenPaare auf den Begriff der AKZEPTION. D.h. daß einklassisch definiertes System die Dualität von System/Umgebung annehmen, akzeptieren muß und sie nichtals Ganze negieren bzw. verwerfen kann. Denn dieNegationbeziehtsichviaDualisierungaufdasBe-griffspaar und hat selber keine Umgebung.

Wegen der Dynamisierung der Differenz Sy-stem/UmgebungentstehtinheterarchischenSyste-menzusätzlichzurNegationnochdieMöglichkeitder Verwerfung, REJEKTION, von System/Umge-bungs–DualitätenalsGanzenunddamiteineneuefunktionaleBestimmungderDualitätSystem/Umge-bung:DieDifferenzderkomplexenSystem/Umge-bungs–Relation wird nun nicht mehr durch dieNegation sondern durch die Rejektion bestimmt.

Logisch lassen sich in der hierarchisch fundierenSystemtheorienurintra–systemischeInformationendurchJunktorenzusammenfassen;dasZugleich–Be-stehenvonInformationeninheterogenenSystemenwirdinderheterarchischenSystemtheoriedurchdieOperation der TRANSJUNKTION geleis tet .

Das Konzept der Transjunktion ist der korrelativeAspekt der Rejektion. Die Transjunktion betont das Zu-gleich–Bestehen eines Systems mit der Umgebung die-sesSystems.Dasistjedochnichtsanderesalsdiestrukturelle Definition der Grenze eines Systems, nichtalslimit,beschriebenvomStandpunktdesbetreffen-den Systems, sondern als Simultaneität von Innen undAußen,beschriebenvomStandpunkteinesanderenmit ihm vermittelten Systems einer System–Ganzheit.Dagegen betont die Rejektion den Aspekt der Verwer-fung, der stärker ist als die Negation, da sie den syste-mischenRahmenderNegationundAffirmationalsGanzes zu negieren, d.h. zu verwerfen vermag. Da-mitentstehenStufungenimBegriffderUmgebung.Negation und Rejektion bilden ein neues Begriffspaar

alsErgebnisderExplikationderOperationderAb–Grenzung.

DieNegationderRejektionerzeugtkeineAk-zeption,sondernverbleibtimBereichderRejektion.Diese ist also als solche negations–invariant. Auf dieGesetze des Zusammenspiels der Negation in multi–negationalen Systemen mit ihren Negations–zyklen–systemen und die verschiedenen Gerade der Rejekti-vität in transjunktionalen Systemen kann hier nur hin-gewiesen werden.

Heterarchische Systeme sind somit bezüglich derSystem/Umgebungs–Dichotomie multinegational,transjunktional, und bilden eine Ordnung von Struktur-typen gemäß der Kriterien Designation und Non–De-signation und von Komplexionstypen gemäß denStrukturen der Verkettung, Verknüpfung und Ver-schmelzungzwischenElementar–Kontexturen,diedurchdieFundierungsrelationimGanzenderKom-plexiongeortetsindunddiedurchdieObjektionendes polykontexturalen Objekts spezifiziert sind bzw.durch ihre Komplexität die Objektion des Objekts de-finieren.

10.2 Zur Organisation komplexer Systeme

AufderBasiseinerarchitektonischenKomplex-ität eines Systems lassen sich verschiedene Organisa-tionsformendefinieren.DamitwirddieVielheitderarchitektonischen Möglichkeiten, die Komplexität undKompliziertheit der Architektur basaler Systeme struk-turiert.KomplexeSystemesindbezüglichderUnter-scheidung von Subjekt und Objekt der Thematisierungneutral, jedoch nicht in dem Sinne daß sie wie in derklassischenhierarchischenSystemtheorieSubjektivi-tät objektiviert und verdinglicht einem hierarchischenSystemkonzept unterworfen wird. Komplexe Systemeimplizieren Subjektivität und Objektivität ab ovo. D.h.ihre Begriffsbildungen sind epistemologisch angeord-net noch vor der Unterscheidung von Subjektivität undObjektivität.

Strukturtypenbildung

Da komplexe Systeme Subjektivität implizierenund das Subjekt der Thematisierung in ihre Systematikaufnehmen, also eine Einheit von Thematisierung undThematisiertem,SystemundSystembildungsprozessdarstellen, lassen sich über dem allgemeinen System-begriffStrukturdifferenzenbezüglichSubjektivitäts–undOjektivitätskomponentenfeststellen.DieseDiffe-renzen, die die Organisiertheit einer Architektur defi-nieren, geben eine Typologie der Strukturen ab, und

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Cybernetic Ontology: Hierarchie und Heterarchie komplexer Systeme

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werden zu STRUKTURTYPEN zusammengefaßt.Das Kriterium der Unterscheidung der Strukturty-

pen in einen objektiven und einen subjektiven, d.h. ineinen thematischen und einen thematisierendenAspekt,istdieDifferenzvonDesignationundNon–Designation der Elementarkontexturen. Dabei ist die-se Differenzierung von Verbundkontexturen durch dasKriterium von Designation und Non–Designationnicht statisch, sondern läßt je nach KomplexitätsgradPartitionen im Deutungsprozess zu. Die Partitionen ge-bendenSpiel raumanalswassicheinSystemimSelbstthematisierungsprozessdeutet.ZwischenDesi-gnationundnon–DesignationbestehteineAsymme-tr ie zuguns ten der Des ignat ion. DieStrukturtypenbildung liefert das logisch–strukturelle In-strumentarium für eine Theorie der Modellierung undSimulation von Systemen unter den Bedingungen derKomplexität, d.h. der Einbeziehung des Subjekts derModellierung, Thematisierung und Simulation in denBereich der Abbildung. Durch die Selbstreferenz die-ses Abbildungskonzepts verändern sich für die Simu-lationdieGrundbestimmungenvonZeit,RaumundModalität.

Soisteinpost–industriellesProduktnichtmehrcharakterisiertdurchdashierarchischeGefällevonMöglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit im Rah-men einer linearen Zeitstruktur, sondern ein Komplexvon Modalitäten, der selbst inverse Zeitverläufe impli-ziert und weitgehend bestimmt wird durch den Einsatzvon Simulationsprozessen für die sich das Verhältnisder Modalitäten von Möglichkeit und Wirklichkeit um-kehrt.

Komplexionstypen

Die Architektur komplexer Systeme wird be-stimmt durch den Grad an iterativer und akkretiverKomplexität und Komplikation. Dieser gibt als solcherkeine Auskunft über die möglichen Verknüpfungsstruk-turendereinzelneniterativundakkretivbestimmtenVerbundkontextureneinerjeweiligenKomplexions-stufe. Die interne Strukturation bzw. Organisation derVerbundkontexturen wird durch die Arten der Verket-tung, Verknüpfung und Verschmelzung der einzelnenElementarkontexturenuntereinanderdefiniert.Inso-fern als die Kenogrammatik der Iteration und Akkreti-on von Kontexturen negations–invariant ist, d.h. nichtnachdenRegelnderidentitätstheoretischenGleich-heit funktioniert, gelten für die KOMPLEXIONSTYPENdieentsprechendenAbstraktionsregeln.Diemögli-chen Komplexionstypen reduzieren sich damit auf diegraphentheoretischformuliertenFigurenderBaum-

strukturen, die figurativ zwischen Linie und Stern dieSkelettstrukturderPolykontexturalitätkomplexerSy-steme bestimmen.

10.3 Zur Prozessualität komplexer Systeme

Da komplexe Systeme aus relativ autonomenTeilsystemen bestehen, kann ein Prozeß in einem Teil-system anfangen und a) in ihm verweilen, ITERATIONoder b) in ein anderes Teilsystemübergehen AKKRETI-ON. Prozesse können relativ frei von einem Teilsystemzueinemanderenundzurückwechseln.EinProzeßkannalsein–kontexturalerineinerKontexturstartenund in mehr als einer weiteren Kontextur als polykon-tex tura ler Prozeß sich for t se tzen.

Damit ist die Grundlage für eine irreduziblePOLY–PROZESSUALITÄT angeben.DiekomplexenPhänomenederMehrzeitigkeit,derGegenzeitigkeitundderPolyrhythmiewieauchdieDynamisierungvonEntscheidbarkeitundUnentscheidbarkeitinfor-malen Systemen lassen sich hierdurch explizieren. Dieallgemeine Konzeption der Prozessualität in komple-xen bzw. heterarchischen Systemen transformiertgrundlegend Apparat und Konzeption der Operativi-tät und der Entscheidung.

DasheuteaktuelleProgrammderParallelisie-rung von Prozessen (in Hard– und Software), die Ent-f lech tung und Dezen t ra l i s ie rung vonEntscheidungsbefugnissen usw. steht trotz aller Dyna-misierung unter dem Diktat des unilinearen Konzeptsder Operativität. Wenn versucht wird, möglichst vieleProzesse von der Sukzession zur Simultaneität (Paral-lelität)überzuführen,darfnichtvergessenwerden,daß dies auf der Basis der klassischen Kalkül–, Auto-maten–,usw.undderString–Theoriegeschieht,fürdiegeradedasPrinzipderLinearisierbarkeitalleroperativerProzessecharakteristischist.Alleoperati-ven, dem Satz der Identität bzw. der Finitheit und Ein-deutigkeit unterstellten Prozesse, lassen sichlinearisieren. Die Mehrlinigkeit erzeugt keine Erweite-rungderOperativität,einzigeineMinderungderOperationszeit(s.KomplexitätstheoriederAlgorith-men). Diese Ökonomisierung der Operativität in klas-sischen Systemen mit parallelen Prozessen, derenAbgrenzungdurchdiebekanntenLimitationstheore-me (Gödel, Church, Markov) markiert ist, läßt sich ra-dikal steigern, wenn die Parallelität und Simultaneitätvom intra– zum trans–systemischen logisch–strukturel-len Ort verschoben wird. Parallelität nicht bloß inner-halb des einen universellen Systems, sondern„Parallelität“einerVielheitvon„universellenSyste-

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men“,dieintrasystemischdieklassischeKonzeptionder Parallelität aufbewahren, kennzeichnet denSchritt von der Prozessualität und Operativität hierar-chischerzurPoly–ProzessualitätheterarchischerSy-steme.

Eine Konsequenz aus der algorithmischen Poly-prozessualität ist nun, daß der Begriff der Unent-scheidbarkeit, der den Rahmen der intrasystemischenOperativität regelt, selbst dynamisiert wird. Was in ei-nem algorithmischen System unentscheidbar ist, kannsich in einem anderen komplexen System durchaus alsentscheidbarerweisen.DarausergebensichneueMöglichkeiten der Konzipierung und Realisierung vonSystemen mit Selbstorganisation, Selbstreproduktion,Selbstkorrektur usw. Wegen der prinzipiellen Lineari-sierbarkeitvonalgorithmischenProzesseninhierar-chischenSystemenistderEntscheidungswegdurcheinLabyrintheindeutigundnicht–zirkulär.DerWeghin ist gleich dem Weg her, m.a.W., von einem An-fangspunkt zu einem Endpunkt und zurück gibt es prin-zipiel l einen und nur einen Weg. Für eineEntscheidungstheoriebedeutetdas,daßinihrkeinetranskontexturalenÜbergängevoneinerKontexturzuranderenmöglichsind.DerEntscheidungsspiel-raum ist also eingeschränkt auf die intra–kontexturaleAlternative, ohne die Möglichkeit ihrer Verwerfung.

PolyprozessualeSystemelassenRaumfürdasZusammenspielvonkognitivenundvolitivenProzes-sen, ohne daß deren Heterarchie gestört werden muß.Ein Kennzeichen der Heterarchie von Polyprozessenist, daß deren Intransitivitäten etwa bei Entschei-dungsprozessenzwanglosimRahmenderpolykon-texturalen Logik mit Hilfe der Operation destranskontexturalen Übergangs dargestellt werdenkann. Kommunikationsprozesse im Zusammen–hangmittranskontexturalenÜbergängenimplizierendieMöglichkeit einer neuen Theorie von Kodifikation undDekodifikation,insofernalsinkomplexenSystemenneben dem Binarismus von Affirmation und Negationauch der Rejekt ionsfunkt ion, die den trans-kontexturalenÜbergangregelt,miteinerpolyadi-schen Informationstheorie entsprochen werden muß.EsentstehtdieNotwendigkeitderEntwicklungeinersogenanntentrans–medialenKodifikationstheorie,diedieklassischemonokontexturaleInformations–und Kommunikationstheorie ablöst.

10.4 Zur Objektionalität komplexer Systeme

Das Objekt (Element) der klassischen System-theorie wird ontologisch durch das Substanz–Attri-

but–Schema bzw. logisch durch das Individuum–Prädikat–Schema definiert und untersteht dem Identi-tätsprinzip,dasinsbesonderefürdenSubstanzbe-griff, aber auch für die einzelnen Attribute, auch trotzeiniger Dynamisierungen, etwa durch die Fuzzifikati-on oder die Konzeption einer parakonsistenten Logikund Mengenlehre, seine Gültigkeit realisiert.

Die Gültigkeit des Identitätsprinzips für den Ob-jektbegriff besagt, daß für die klassische Systemtheo-rie das Objekt prinzipiell kontextunabhängig definiertist.M.a.W.,dieSubstituierbarkeitdesObjektsunddual dazu seine beliebige Verknüpfbarkeit (Konkaten-ation)mitanderenObjektenistAusdruckderHerr-schaftdesIdentitätsprinzips.DasklassischeObjektkennt nur die Differenz von Substanz und Attribut in-nerhalb einer Kontextur, es ist also monokontextural.In der Logik wird das Individuum eingeführtüber eineReflektion auf die Subjekt/Prädikat–Relation von Sät-zen,derenLogikdurchdieAussagenlogikbestimmtwird.DieAussagenlogikmitihrenzweiWahrheits-werten ist das logische Modell einer Mono–kontextur.Da der Begriff des logischen Objekts (Individuum) erstin der durch die Aussagenlogik fundierten Prädikaten-logik erscheint, ist es sekundär und im Allgemeinen ex-tensional eingeführt und wird nicht durch diekontexturale Begrifflichkeit definiert.

ImGegensatzdazuwirdderpolykontexturaleOberbegriffdirektalseine SPEZIFIKATION derEle-mentarkontexturen einer Verbundkontextur einge-führt. Die Objektivität des polykontexturalen Objektswird also kategorial durch die Spezifikation der Ele-mentarkontexturen und nicht über eine Reflektion aufintra–kontexturaleBestimmungenundauchnichtinBezugaufKontekturverhälnissebestimmt.KorrelativzurEinführungdespolykontexturalenObjektswirdeine Elementarkontextur objektional durch ihre Relati-on zu den anderen Elementarkontexturen spezifiziert,charakterisiertundkonkretisiert.EineElementarkon-texturalsSelbst–ZyklusistdurchihreobjektionaleCharakterisierungeingebettetindenGesamtzusam-menhang der Verbundkontexturalität, ist also fundier-ter Teil des Ganzen, spiegelt die Verbund–Kontexturalität in sich und ist nicht eine isolierte Mono-kontextur ohne Umgebung. Ein polykontexturales Ob-jektgiban,alswasdieeinzelnenKontexturenimVerbund fungieren. So gibt eine Veränderung des Ob-jektseineFunktionsveränderungderVerbund–Struk-tur an.

Die polykontexturale FUNDIERUNGSRELATIONfundiert nicht Objekte, sondern Relationen und Funk-tionenzwischenKontexturenvomStandpunkteinerodermehrererandererKontexturendesVerbundes,

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Konkretisierungen

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die als Elementarkontexturen fungieren. Die Fundie-rungsfunktion fundiert den relationalen Zusammen-hang der Gesamtstruktur auf der Basis vorgegebenerKontexturen. Der Standpunkt, von dem aus eine Kon-texturthematisiertwird,istzwarfunktionalalskon-stante,kontexturalalsElementarkontextur,jedochnicht als Objekt definiert. Eine Konstante läßt sich re-lationalalsReflexivität,SelbstzyklusbestimmenundkanndaheralsElementarkontexturinterpretiertwer-den. Ein Objekt ist definitorisch nicht selbst–zyklisch,sonderninRelationzuallenanderenElementarkon-texturen eingeführt, also polyrelational. Das polykon-texturale Objekt nimmt auf Grund seiner internenKomplexität nicht einen, sondern mehrere Orte simul-tanein,esistalsopolylokal.Dasreinepoly–lokaleObjekt in Absehung jeder kontextur–logischer Thema-tisierung,bezogennuraufseineArchitekturbzw.KomplexitätseinerSubstanz,alsreinesDies–da,istbestimmtalleindurchdieStrukturseinerÖrtlichkeit,und diese wird notiert in der Kenogrammatik als MOR-PHOGRAMM.

DerklassischeObjektbegriffmitseinerDualitätvon Substitution und Konkatenation fundiert das Prin-zip der Modularität.

Für den ganzheitlich bzw. heterarchisch definier-ten Objektbegriff verändert sich die Dualität von Sub-stitution und Konkatenation dahingehend, daß diesenichtmehrunterdemDiktatderIdentitätsteht.Dasheißt, daß bei der Konkatenation von Objekten zu Sy-stemsichdieseinihrerBestimmungverändern.DieIdentitäteinespolykontexturalenObjektsvollziehtsich im Gebrauch, in der Funktion des Objekts im Ge-samtkontextundverändertsichimÜbergangzuei-nem anderen Kontext. Die Identität des Objektsbewahrtsichnurinintra–kontexturalenProzessen.Vom Standpunkt der Polykontexturalität ist das klassi-sche Identitäts–prinzip also ein abgeleitetes, ein Spe-zialfall der ganzheitlichen kontexturalen Dynamik desheterarchischen Objekts.

DieGültigkeitdesPrinzipsderModularitätistalso auf sehr spezielle Systeme eingeschränkt. Wirdes nicht in seiner Beschränktheit eingesetzt, ergebensich Kollisionen, die dadurch entstehen, daß die Über-determinationderBestimmungenderObjektenichtzurHarmoniegebrachtwerdenkann.AndererseitsbestehtnichtdieNotwendigkeit,daßeinheterarchi-sches Objekt vollständig in einem Konnex eingebettetsein muß, um den Bedingungen einer Gesamtfunktionzu genügen. Die Komplexität des Objekts läßt es auchzu, daß es zugleich in mehreren parallelen oder ge-genläufigen, konkurrenten Konnexen oder ProzessenseineFunktionerfüllt.DieseBestimmungensindrele-

vant für die sogenannte Schnittstellenproblematik, wiesie in verschiedenen konkreten Systemen auftritt.

11 Konkretisierungen

Kritik der Verschiebung von heiligen Kühen wie„Komplexität“,„Flexibilität“,„Kontextsensitivität“,usw., und insbesondere „Selbst (Rück)bezüglichkeit“von der „industriellen“, ökonomischen Syntax und Se-miotikindieSemantik,PragmatikundinsonsteineKommunikations–theologie.

Der Bedeutungswandel eines Objekts beimWechsel seines Kontextes bzw. Konnexes, der Funkti-onswandeleinesindustriellenProduktsbeimÜber-gang von einer Bearbeitungsweise zur anderenbetrifft nicht nur seine Bedeutung oder seine Relevanzfür die weitere Verarbeitung, sondern auch seine „syn-taktische“ Struktur. Das was das Objekt in seinerSeinsweise bestimmt ist sein Gebrauch. Der Ge-brauch bestimmt jedoch nicht bloß die Bedeutung desObjekts,sodaßseinmateriellesSubstratinvariantbliebeundbloßerTrägervonBedeutung,RevelanzundandererInterpretamentezuseinhätte.DieIdeedes materiellen Trägers von Bedeutungen bzw. Attri-butenhatzurVoraussetzungeinhomogenesRaum–Zeit–Kontinuum in dem sich der Träger d.h. die Sub-stanz als Identität konstituiert. Ein noch so komplexerMechanismusvonStandpunktundRelevanzwechseländertanderprinzipiellenMonokontexturalitätdesSubstanzbegriffesnichts.M.a.W.dieSubstanzalsTräger von Bedeutungsdifferenzen verhindert die Ent-flechtung der Standpunkte, Relevanzen usw. Die Sub-stanzalsletzteInstanzsubordiniertdieDifferenzender Bedeutungswechsel unter das Prinzip der Identitätund der Monokontexturalität.

D.h. also, daß auf der materiellen Ebene der in-dustriellen,odersollmansagen,derpost–industriel-lenProduktionallesbeimaltenbleibt,undsichdieKomplexität und die Probleme ihrer Verarbeitung erstaufderEbenederinformationellenProduktion,d.h.der Organisation, Planung, Steuerung und Interpreta-tion aufdrängen.

Im Modell der Tektonik formaler Systeme bedeu-tet das eben Angedeutete, daß zwar in der Semantikund eventuell in der Pragmatik eine Pluralität und Dif-ferenziertheit eingeführt wird, jedoch auf der Basis ei-nerMonoformitätderSyntaktikundihrerzugrunde–liegenden Semiotik. Da sich formale Systeme arithme-tisieren,d.h.eindeutigaufdieReihedernatürlichenZahlenabbildenlassen(Gödelisierung),reduziertsichdiePolyformitätderSemantikaufdiedurchdie

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SyntaktikdiktierteMonoformität.Einfacherläßtsichsagen, daß die Vielheit der semantischen Sorten, Ty-pen usw. auf die Einzigkeit des syntaktischen Alpha-bets zurück zu binden sind.

Ist man einmal im Bereich der formalen Systeme,derRekursions–undAlgorithmentheorieangelangt,lassen sich leicht die Theoreme der Entscheidbarkeit/Unentscheidbarkeit, Kreativität (von Funktionen), Pro-bleme der Selbst–Bezüglichkeit (–Organisation, –Pro-duktion, –Reparatur, usw.) ins Spiel bringen und zwareinmal von der Grundlagenforschung aber auch vomapplikativen Standpunkt (von Neumann, Löfgren,Zuse u.a.).

Nur von diesem monokontexturalen Standpunktaus ist es richtig von einer „strukturellen UnmöglichkeitdervollautomatischenProduktionelektronischerOb-jekte“ zu sprechen. Richtig ist, daß für Prozesse mit ei-ner Strukturzahl größer 3 derzeit Menschen dieTräger von Kreativität usw. sind. Da in der sog. NaturLebensprozesse entstehen und vergehen ohnemenschliches Dazu–Tun; also Selbstproduktion, Auto-poiesen, usw. unabhängig vom Menschen existierenund es gerade das erklärte Ziel der biologischen Ky-bernetik ist, diese Prozesse im technischen Artefakt zuwiederholenimBewußtsein,daßderMenschauchein biologisches Wesen ist –, stellt sich die Frage nachder Machbarkeit einer „voll–automatischen Produkti-on elektronischer Produkte“.

Werden die heiligen Kühe von der Semantik indie Syntax und weiter getrieben, dann muß die Selbst-referentialität auch auf dem Felde der materiellen Pro-duktion, d.h. auf der Ebene der materiellen Bauteile,Baugruppen,Apparate,Automatenusw.zufindensein.

11.1 Zum Substanz–Fetisch

Einmal muß der Mythos der materiellen Gege-benheit von Produkten, der Substanz–Fetisch, gebro-chen werden und die Strukturen der SelbstproduktionvonProduktenaußerhalbmonokontexturalerBedin-gungen analysiert und als technisch wiederholbar po-stuliert werden.

EsbrauchenkeinetiefgehendenontologischenUntersuchungenangestelltzuwerden;obwohldasGanzehiertatsächlichnurimRahmeneinerfunda-mentalen Kritik der klassischen Ontologie darstellbarist, dies sollte im Hintergrund immer mitbedacht wer-den. Mit einfachen Ad hoc–Lösungen ist hier nichts ge-tan um klar zu machen, daß ein Objekt nichtselbstgegebenist,sondernnurdurchseineThemati-sierung, durch seinen Gebrauch zu dem wird was es

„ist“. So ist etwa ein Kondensator eben nicht einfachein Kondensator, sondern je nach dem, ob er im Ein-kauf,inderFertigung,imEinbau,beiderMessungund Prüfung, vom Techniker, Einkäufer, Arbeiter, Phy-siker, Chemiker, usw. usf. bestimmt wird. Für sich al-lein,ohneGebrauch,istderKondensatorgarnichtexistent. Seine abstrakte Benennung als Kondensatorist für sich auch nur ein Gebrauch. Daraus folgt nicht,daßeseineabstrakteEigenschaftgibt,dienunzumTräger aller anderen Eigenschaften dienen könnte. Esist also nichts Mysteriöses im Spiel, wenn gesagt wird,daß ein Produkt seine Identität wechselt, wenn es voneinemfunktionalenZusammenhangzueinemande-renübergeht.DieserIdentitätswechselbeziehtsichalso nicht nur (sekundär) auf organisationelle und an-dere funktionelle Aspekte, die sich im Modell seman-tisch interpretieren lassen, sondern auch auf denontologischen, d.h. auf den objekttheoretischenAspekt.Dieseristjedochprimärnichtsemantischerund pragmatischer, sondern wohl eher syntaktischerNatur.Stattvoneinersyntaktischenmüßtemange-nauer wohl von einer kategorialen „Natur“ sprechen.Betont werden soll nur der primäre Charakter der Un-tersuchung und die Abweisung von falschen Verschie-bungen.

InderTerminologiederKontexturalitästheorieläßtsichsagen,daßeinObjektnichtwesentlichbe-steht aus einer Substanz und ihren Attributen, dies istbekanntlichdieontologischeBasisderPrädikatenlo-gik–,sondernausdem„proemiellen“Wechselspielvon Substanz und Attribut. Was Substanz ist in einemZusammenhang kann Attribut sein in einem anderenund umgekehrt. Da es eine Vielheit von Attributen jeSubstanz gibt, ist bei einem solchen Wechsel automa-tischdieEinheitderSubstanzaufgelöst.WenndieSubstanz in sich eine Vielheit darstellen kann, dann istdamit das Identitätsprinzip, das ja die Basis der Logikhergibt, aufgelöst. Der klassische Substanzbegriff istmonokontextural und zwischen Substanz und Attributbesteht eine strenge Hierarchie. Ein Wechsel des Ver-hältnissesistnichtmöglich;dadiessichdochauf-drängt, wird der ganze Umtauschmechanismus in denBereich der Attribute verschoben, wo er eine Stufen–undTypentheoriegeneriert,diedieGrundlagefürvielfältigeModellierungsmöglichkeitenliefert.DieseVielfalt bleibt jedoch hierarchisch fundiert in der Prä-dikatenlogik.DiepolykontexturaleKonzeptiondes-sen was ein Objekt ist, besagt also, daß die klassische„Substanz“ von der Einheit und Identität zu einem Ver-bund von Kontexturen und das strenge hierarchischeVerhältnisvonSubstanz/AttributineinkomplexesUmtauschverhältnisvonKontextundKontexturnach

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Konkretisierungen

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Maßgabe der Komplexität der Polykontexturalität undder Kompliziertheit der Kontexte überführt wird. Die-ser Übergang ist immer wieder am konkreten Beispiel,Tatbestand zu wiederholen, vorzuführen, sowohl aufder begrifflichen Ebene (Dekonstruktion) wie auf derEbene der Formal i smen.

DiePolykontexturalsAuffassungderObjektivi-tät, Wirklichkeit usw. erscheint nun in Kollision zu ge-raten mit der These, daß etwa zwischen elektro–mechanischenundmikroelektronischenundgarbio-technischenObjekteneinestrukturelleZäsurbestehtund zwar solcher Art, daß nur für die letzteren Katego-rienwieStandpunktrelevanz,Kontext,Komplexität,usw.füreinadäquateBeschreibungdesObjektbe-reichs von Nutzen sind, die ersteren jedoch leicht un-ter das klassische Substanz–Attribut–Schemasubsumierbar seien und sich damit der Einsatz einerpolykontexturalenObjekttheorie,diekeinenUnter-schied zwischen den beiden Objektypen macht, erüb-rigt.

Hierwirdvergessen,daßdiepolykontexturaleObjekttheorie eine rein strukturelle Theorie ist und daßdie Frage nach der Komplexität eines Objekts nicht al-leindurchdasObjekt,alswäreesvonjedemGe-brauch, Kontext, Relevanzzusammenhang isolierbar,bestimmt wird. Welcher Grad von Komplexität einemObjekt zugeschrieben werden muß, ist abhängig vomGradderVerknüpftheitmitanderenObjekten,alsovom Konnex.

Die ganze Mechanik des Kontextwechsels kannsich bei klassischen Objektzusammenhängen als völ-ligüberflüssigunddieklassischeBeschreibungalsausreichend erweisen. Erst wenn Widersprüche, pa-radoxaleSituationenusw.auftauchen,stelltsichdieAlternative,obmitderklassischenKonzeptionnochzufahrenist,oderobeinegrundlegendeKursände-rungvorzunehmenist.MitderEinführungdespoly-kontexturalenAnsatzeswirdautomatischeinsichtig,daß die klassische Konzeption eine echte Teiltheorieder neuen ist, und daß es daher von der alten Konzep-tion aus keinen natürlichen, einfachen Übergang zurPolykontexturalität gibt. Daher ist auch schon ein Ob-jekt,dasbisdahinmiteinerSubstanz–Attributbzw.Subjekt–Prädikat–Terminologie ausreichend be-schriebenwurde,alspolykontexturalbestimmbarjenach dem in welchem strukturellen Zusammenhang esverwobenistbzw.inwelcheKonnexitätesgesetztwird.

11.2 Die Dinge und ihre Ränder.

Der klassische auf dem Identitätsprinzip basie-

rende Dingbegriff hat für die Randzonen der Dingekeinen Sinn. Der Dingbegriff der klassischen Ontolo-giegipfeltinderextensionalenAuffassungdesDin-ges. Die Extension bestimmt den Umfang des Begriffesund insofern als die Extension des Begriffes durch sei-neMerkmalebzw.Prädikatebestimmtwird,istderRandeinesBegriffesklarunddeutlichbestimmt.Be-griffesinddistinkteEinheiten.EinziginderAnwen-dung taucht die Frage nach der Unschärfe desBegriffsumfanges auf. Auf der begrifflichen Ebene istder Umfang eindeutig bestimmt durch seine Merkma-le, ein Element wird von einem Begriff abgedeckt odernicht abgedeckt tertium non datur. Auch die intensio-nale Auffassung hält am Satz vom ausgeschlossenenDritten fest.

DaBegriffedurchAbstraktiongewonnenwer-den, egal wie die Abstraktionsleistung selbst bestimmtwird, ist für sie eine weitere Möglichkeit einen Begriffzu entschärfen wäre die Komplexität eines Begriffs indem er irgendwo fungiert, dies wird jedoch in der klas-sischen Theorie dadurch abgewiesen, daß die Thesevon der (prinzipiellen) Erreichbarkeit, Zugänglichkeitpostuliertwird.GeradeamBeispielderQuanten-mechanikläßtsichdieseProblematikgutstudieren,Komplexität ist kein Grund für Unschärfe. UnschärfenlassensicheherschondurchStandpunktwechseler-zeugen.DieFrageistbloßwasStandpunktwechselbedeutetundwelchen„Stellenwert“erinnerhalbei-nesBegriffsystemsbzw.einesBegriffserzeugungssy-stems einnimmt.

Eine Aufnahme von Unschärfe in den Begriff be-deutetjagenaugenommennichtsanderesalseineVermittlung von Quantität und Qualität, d.h. Zahl undBegriff. Man hat nun innerhalb der klassischen Logikzwei Möglichkeiten, einmal kann der Begriff unter dieQuantitätsubsumiertwerden,derBegriffwirdderZahlangeglichen,diesistetwabeiderFuzzy–Kon-zeption der Fall, oder die Zahl kann dem Begriff ange-glichen werden, hier ist es schon schwierigerBeispiele zu finden. Zu erwähnen wären die Forschun-gen der Jungschen Tiefenpsychologie und die Synthe-senderneo–pythagoreischenHarmonienlehreder„Harmonik“ (Haase, Kayser), aber auch die Forschun-genzurvorplatonischenPhilosophie(Lohmann)undzur ungeschriebenen Lehre Platons (Gaiser, Krämer).Es zeigt sich, daß die Fuzzy–Konzeption komplemen-täristzudenneopythagoreischenZahlenspekulatio-nen. Fuzzy–Sets und Zahlenmystik bestimmen dieerste Etappe der Ablösung von der klassischen Dicho-tomie von Begriff und Zahl. Beide Konzeptionen brin-gen jedoch die Komplementarität von Zahl und Begriffnicht zur Geltung.

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12 Glossar der Polykontexturalitätstheorie

Eine KONTEXTUR ist ein universaler Leerbereich,in dem das bereichspezifische tertium non datur unre-stringierteGültigkeithat,einebasaleQualität,eineQuelleimmetaphorischenundkategorientheoreti-schen Sinne. Kontextur ist dasjenige, das dem abend-ländischen Denken, der Logik, der Theorie der formalSysteme (Curry), der Husserlschen Theorie der defini-tenMannigfaltigkeiten,derTopoiundKategorien-theorie usw. verborgen bleiben mußte, da sie sich inderen Inhaltlichkeit verloren hat. Eine Kontextur ist inihrerEinzigkeitabsolutuniversalundzugleichdochnur eine Einzelne unter Vielen. Das Konzept der Kon-textur ist nur sinnvoll im Zusammenspiel mit qualitati-ver Vielheit, also nur als Polykontexturalität. Kontexturist nicht Kontext; die unbegrenzte Vielfalt der Kontex-te, Sorten, Schichten, Bereiche, Regionen usw. sind in-tra–kontexturaleKonzepte.LogozentrischesDenkenerweist sich, trotz der Vielfalt der Kontexte, als mono-kontextural.

Zur POLYKONTEXTURALITÄT gehört:

1) der Inbegriff des „formalen Systems“, einer „defi-niten Mannigfaltigkeit“, also die E l e m e n t a r –K o n t e x t u r;

2) der Begriff der „Grenze“, des „Obstakels“, des „Abgrunds“ zwischen den Elementarkontexturen, die D i s k o n t e x t u r a l i t ä t;

3) die Verknüpfung, Verschmelzung, Vermittlungder Elementar–Kontexturen, die Tr a n s k o n t e x t ur a l i t ä t;

4) die K o n t e x t u r d i r e m p t i o n der IterationundAkkretion,dierekursivundretrograddieKom-plexität der Verbundkontexturen evolutiv generieren;

5) der t r a n s k o n t e x t u r a l e Ü b e r g a n g,der in Kombination mit mindestens einer Iteration undeinerAkkretiondenKontexturwechseleinerSymbol-folge regelt;

6) die e m a n a t i v e A u s d i f f e r e n z i e r u ng der evolutiv kreierten Komplexität der Verbundkon-textureninminimalebzw.maximaleDifferentiation;und

7) die P r o e m i a l r e l a t i o n, die das Fundie-rungsverhältnis zwischen den Kontexturen bezüglichKomplexität und Kompliziertheit regelt, sie ist fundie-rend und kreierend zugleich.

Die Kontexturen der Kontexturalitätstheorie, derGAPHEMATIK,lassensichlogisch,semiotisch,arith-metisch und auch ontologisch d e u t e n, insofern, alssie je Kontextur als ORT, Platzhalter, Leerstelle für eineLogik, Semiotik, Arithmetik und Ontologie, d.h. als Be-dingung der Möglichkeit, als Ermöglichung derselbenfungieren. Werden in der PolykontexturalitätstheorieKontexturen vermittelt, so kommt der Operator dieserVermittlung in seiner Prozessualität selbst nicht in die-ser,sondernerstinder KENO–GRAMMATIK zurIn-skription. Die VERMITTLUNGSMODI für Kontexturensind, graphentheoretisch formuliert, alle Baumstruktu-ren, d.h. alle Figuren zwischen Linie und Stern. DiesebildendieSkelettstrukturenderPolykontexturalität,d.h. die K o m p l e x i o n s t y p e n im Gegensatz dazuwerden die S t r u ktu r t y p e n durch die Differenz vonD e s i g n a t i o n und non–Designation von Verbund–Kontexturenbestimmt.Verbundkontexturenwerdenholistisch in ihre Elementarkontexturen dekomponiert.Diese sind jedoch nicht isolierte, sondern im Ganzenfundierte Teile. Die Fundierung der Elementarkontex-turen wird durch die F u n d i e r u n g s r e l a t i o ngewährleistet. Sie gibt den Ort, Standpunkt bzw. Kon-text an, von dem aus die Elementarkontextur aus demGanzen der Verbundkontextur isoliert wird. Teile sindalso nicht isolierte, sondern im Ganzen fundierte Ele-mente und werden als solche durch ihren Kontext, d.h.durch ihre Kontextuierung bestimmt.

O b j e k t e werden in der Polykontexturalitäts-theorie durch die Spezifikation der Elementar–Kontex-tureneinesVerbundesgeneriert.SiefungierenimSchnittpunktpolykontexturalerSysteme,werdenda-durchcharakterisiertundspezifizierenkorrelativdieKontexturen. Erkenntnislogisch handelt es sich dabeiumeineEinbeziehungdesbeschreibendenSubjektsindieBeschreibung.DieKontextuierungimplizierteineDekonstruktiondesexternenDesigners,Beob-achtersusw.zuGunsteneinerimmanentenDeskrip-tion der komplexen Verbundkontexturalität.

Zur Explikation von GANZHEIT (System–Ganzheiten)

Eine formale Explikation des Begriffs „Ganzheit“führtdannautomatischzuzirkulärenBegriffsbildun-gen, die den Rahmen des Logischen sprengen, wenneingesehen wird, daß eine Charakterisierung der Tei-lenichtohneeinVorwissendesGanzen,undeineCharakterisierung des Ganzen nicht ohne ein Wissenum die Teile vollzogen werden kann.

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Glossar der Polykontexturalitätstheorie

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Die Teil–Ganzes–Relation ist: komplementär,komplex,geschlossen,struktu-

riert,organisiert,multinegational,superadditiv,fun-diert, thematisiert, autorekursiv.

Die Bestimmungsstücke der Teil–Ganzes–Relati-on:

• Komplementär: mindestens zwei sich ausschlie-ßende Standpunkte werden zur Deskription benötigt (Kontextlogik). Jeder Standpunkt the-matisiert eine Kontextur.

• Komplex: Vermittlung von logisch–struktureller Komplexität und Kompliziertheit, d.h. Polykon-texturalität.

•Geschlossen: (zirkulär, stabil, autonom, antino-misch): Ein Netz von Negationszyklen, Dualisie-rungssystemen.

• Strukturiert: Baumstrukturen als Aufbauskelette.

•Organisiert: System von Akzeptions– und Rejek-tions–Interaktionen.

• Fundiert: Die Teile der Ganzheit sind durch den Kontext fundiert.

• Superadditiv: Asymmetrie zwischen Aufbau und Abbau, Komposition und Dekomposition.

• Auto–rekursiv: Synthetische retrograde Ausglie-derung, „Wirklichkeitsnähe“.

• Thematisiert: Ganzheiten sind nicht zur vollen Evidenz zu bringen. Es ist für sie wesentlich, daß sie sukzessive beschrieben (konstruiert–restituiert) werden. Der Standpunkt, von dem aus thematisiert wird, bleibt dabei verdeckt (latent). Er ist das jeweilige Hintergrundsthema (Strukturtypentheorie).

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Die Dinge und ihre Ränder.

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Glossar der Polykontexturalitätstheorie

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Die Dinge und ihre Ränder.

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Glossar der Polykontexturalitätstheorie

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Die Dinge und ihre Ränder.

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Glossar der Polykontexturalitätstheorie

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Einübung in eine andere Lektüre.

Diagramm einer Rekonstruktion der Güntherschen Theorie der

Negativsprachen.

1 Die Negativsprachen als konstruktive Aufhebung des von der Kybernetik abge-lehnten Methodendualismus

2 Die vierkategoriale Logik als Überwindung des triadischen Idealismus

3 Distribution und asymmetrische Verschiebung als Strategien gegen die symmetri-sche Dichotomisierung des Logozentrismus

4 Die Günthersche Polykontexturalitätstheorie als Ultra–Platonismus

5 Die Umgangssprach ist nicht mehr unhintergehbar – zur Dialektik von Formal- sprache und Umgangssprache

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Einübung in eine andere Lektüre.

Diagramm einer Rekonstruktion der

Güntherschen Theorie der Negativsprachen

„Man ist bisher gewohnt gewesen, daß die Phi-losophie voranging und Mathematik und Technik folg-ten. D.h. die Philosophie stellte das Thema, undmathematisches und technisches Denken folgten ihmgelehrig...InszwischenistaberdurchdieTechnik,und zwar in der Gestalt der Kybernetik, eine der Tra-ditionganzzuwiderlaufendeBewußtseins–undEr-kenntniss i tuat ion geschaffen worden. Manphilosophiertnichtzuerst,...sondernmantreibtdieAnwendungbinärerStrukturenundOperationeninimmer neuen Varianten vorwärts, ... Dabei entwickelnsichzwangsläufigneuephilosophischeKonzeptio-nen."

Diese von Günther 1976 auf dem Lissaboner He-gel–Kongreß vorgetragene Umkehrung im Verhältnisvon Philosophie und Mathematik/Technik bezeichnetauch den Standpunkt, von dem aus die im Folgendenrekonstruierte Günther–Lektüre erfolgt. Da dieser Um-kehrunggemäßeinerdialektischenMechanikeineVerschiebung in der Bedeutung von Philosophie undMathematik/Technikbeigeordnetist,habenwirda-mit eine Strategie für unsere Lektüre gewonnen.

Die Umkehrungsthese rückt vorerst die Verschie-bung im Bereich Mathematik/Technik oder allgemei-ner im Bereich der Sprachsysteme in den Mittelpunkt.Wir wollen zu diesem Problem auf die ausführlichenAnalysen J. Derridas hinweisen. Dessen These von derUmkehrung(WechselvomPrimatderRedezumPri-mat der Schrift bei gleichzeitiger Transformation derKonzeption der Schrift) gibt uns einen Zugang zu denArbeitenGünthers,derinseinenreflexionstheoreti-schen Untersuchungen sehr lange am Primat der Redefesthielt, obwohl er faktisch in seinen logischen Forma-lisierungsschritteneinenPrimatderSchrifteinleitete.

Dies zeigte sich z.B. darin, daß er nur die kombinato-rischen Möglichkeiten im Formalismus zuließ, die sichreflexionslogisch, begrifflich deuten ließen. Ungeach-tet dieser bin in die sechziger Jahre anhaltenden Am-bivalenz in Günthers Position bezüglich Rede/Schriftsehen wir die Hauptleistung Günthers darin, erstmalsdas allgemeine und polykontexturale System derSchrift, die Textur entdeckt zu haben, an/in der sichdie klassische Philosophie de–konstruieren muß. Dienotwendige Privilegierung der Rede ergibt sich nachDerridaausdemzentralenmetaphysischenBegriffdesSeinsalsPräsenz „alsBeschränkungdesSinnsdesSeinsaufdenBereichderPräsenzereignetsichdie abendländische Metaphysik als die Herrschaft ei-ner sprachlichen Form“, einer Form, in der die Konsti-tution von Sinn durch Bezug auf ein (äußerliches)Signifikatgedachtwird,wobeidieWiederholungdurch den Signifikanten nichts mehr hinzufügt.

DieseKonzeptiondesLogo–undPhonozentris-mus versuchte, „die Schrift auf eine zweitrangige undinstrumentaleFunktioneinzuengen:Übersetzungei-neserfülltenundinseinerganzenFüllepräsentenWortes.“ „Das Ereignis eines Bruches, der Riß, ... hatsich vielleicht in dem Augenblick vollzogen, als mandamitbeginnenmüßte,dieStrukturalitätzudenken,d.h. zu wiederholen. Daher habe ich gesagt, daß die-serRißWiederholungseiinallenBedeutungendiediesem Wort zukommen.“ Vom Standpunkt der Wie-derholung dagegen zeigt sich, daß sich das Signifikat„immer schon in der Position des Signifikanten befin-det – das ist der scheinbar unschuldige Satz, in demdieMetaphysikdesLogos,derPräsenzunddesBe-wußtseins die Schrift als ihren Tod und ihre Quelle re-flektierenmuß.“ DieseZurücknahmederKonstanteneinestranszendentalenSignifikatsineineKettevon„Signifikanten“ führt notwendig zu einer neuen Öko-nomie der Sinnproduktion. „Die Bedeutung bildet sichalso nur in der Einbuchtung der différance: der Diskon-tinuität und der Diskretion, der Aufschiebung und derZurück(be)haltungdessen,wasnichtinErscheinungtritt.“

Die Ökonomie der différance oder Urschrift führtals Ermöglichung des Sinns hinter oder unter die Ebe-ne des Sinns, sie ist „auf eine gewisse und äußerst son-derbareWeise’älter’alsdieontologischeDifferenzoder als die Wahrheit des Seins. Nun erst kann mansie Spiel der Spur nennen. Einer Spur, die nicht mehrzum Horizont des Seins gehört, sondern deren Spielden Sinn des Seins trägt und säumt.“ Skizze des vier-schichtigen Systems der transklassischen Symbolisie-rungsweisen. Wir werden nun nach diesenVorbereitungenversuchen,dieGesamtkonzeption

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des Güntherschen kenogrammatischen und logisch–arithmetischen Schriftsystems zu skizzieren. Wir be-schränken uns dabei weitgehend auf die formalen Sy-steme und ihr Verhältnis zu den Negativsprachen.

Schema 1 zeigt die Erweiterung der Formalsyste-me ausgehend von der klassischen Logik und Arithme-tik. Das ihnen Gemeinsame ist ihre verkürztesemiotische Basis (Hermes, Schröter) mit dem eindeu-tigen Zeichenbegriff. Der entscheidende SchrittGünthers für die operative Erschließung des BereichesdesüberdeterminiertenZeichengebrauchsalsoderpolykontexturalen Logik und Arithmetik, war nun dieEntdeckungderKenogrammatik.EinerSchrift,dieohne Verdinglichung die verdrängte Genese der Se-miotikeinzuschreibenvermag;dieSemiosisinihrerProzessualität positiv gefaßt.

DieKenogrammatik(différance,Spur,Urschriftbei Derrida) „ist“ eine transsemiotische „präsignifika-tive, vor–sprachliche, non– expressive Ökonomie derInzisionen, der Ultra–Indikatoren". Diese Unterlaufender Semiotik mit ihrem Prinzip der Identität der Atom-zeichendurchdieKenogrammatikdurchihrPrinzipder Invarianz differentieller Symbolfolgen ist der ent-scheidende und schwer nachvollziehbare Schritt zumVerständnisderGüntherschenTexte,weshalbwirauch auf die analogen und z.T. komplementären Tex-teDerridashinweisen.SowiebeiDerridavollziehtsichihreEinführungnichtohneGewalt. „Sincetheclassic theory of rationality is indissolubly linked withthe concept of value, first of all one has to show thatthe whole ’value issue’ covers the body of logic like athin coat of paint. Scrape the paint off and you will dis-coveranunsuspectedsystemofstructuralformsandrelationssuggestingmethodsofthinkingwhichsur-

pass immeasurably all classic theories.“ In einem Zu-gang durch Abstraktion von den Werten bezeichnetGüntherdieKenogrammealsLeerstellen–Symbole.DaßdieKenogrammatikeine „reineStrukturtheorie,die noch nicht durch die Differenz von Form und Ma-terie belastet ist“, ist. Daß also die Kenogramme keine(Re)präsentanten für ein intendiertes Objekt sind,zeigt sich am Konstruktionsprinzip einer Kenogramm-sequenz.

Der Aufbau geht nach dem Prinzip der Wieder-holung eines gleichen oder eines verschiedenen Sym-bols im jeweiligen Rückbezug auf die bereitsangeschriebenenSymboleeinerSequenz,d.h.dieKenogrammfolgen konstituieren sich in einem selbst–referentiellen und rekursiven Verfahren. Dabei ist dieDoppelbedeutungderWiederholungalsWiederho-lung des Neuen (Kierkegaard) und Wiederholung desAlten (Erinnerung) zu beachten. Notiert werden dabeinur die Differenzen zwischen den Symbolen, dieStruktur,nichtabereineIndividualitätderSymboleselbst. Damit ändern sich wesentlich die Gesetze desdualen Paares Substitution und Verknüpfung, wie wirsie aus der Semiotik kennen.

JenachderDifferenzierungderPrinzipienderWiederholung und der Position (Ort und Zeit) in einerSequenz ergibt sich eine Dreistufigkeit der Kenogram-matik als Trito–, Deutero– und Protostruktur. Der entge-gengesetzte Vorgang zur Abstraktion von/in derMaterialitätistdieWertbelegungbzw.derlogisch–hermeneutische Deutungsprozeß, genauer die Logifi-zierung.

Das insgesamt vierstufige System der „orders ofstructure“ oder der allgemeinen „Ökonomie der Sym-bolisierungsprozesse“ bildet einen geschlossenenselbstreferentiellenZusammenhang. „DieProemiali-tät der vier Ebenen zeigt sich auch darin, daß von je-dereinzelnenEbeneausdiedreianderenfundiertwerden können. Insofern als die ’Abstraktion von derMaterialität’dievierEbenenhierarchisiertunddieFundierungsrelationsieheterarchisiert,vermitteltdieProemialrelationzwischendisseminativerundkeno-grammatischer Ebene.“

DasEigentümlichedervierSchriftebenenliegtdarin,daßsieeinerseitseingeschlossenesSystemdarstellen und andererseits eine bis dahin unbekannteOffenheit besitzen. Den vier Ebenen entsprechen vierfundamentaleKategorien„Konstante“,„Variable“,„Relation“ und „Proemialität“. Die Offenheit wirddurchdieProemialitätgarantiert,indemsiediedreiersten, Peirceschen Kategorien, disseminiert und dieGeschlossenheit, indem sie den Umtausch von Opera-torundOperand(derDisseminationsoperation)voll-

TABLE 1

Wertebene eindeutigüberdeterminiert oder disseminativ

Semiotik

Logik

linerare Arithmetik

Stellenwertlogik

Kontextwertlogik

tabulare Arithmetik

Doppel-

Kenoebene Trito–

Deutero–

Protostruktur

Kalkül Morphogrammatik Tritozahlen

Kenogrammatik

Deuterozahlen

Protozahlen

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zieht. Die Proemialität leistet also die Vermittlung vonOffenheit und Geschlossenheit.

DasNeuederGüntherschenFormalismenläßtsich auch so zusammenfassen, indem man sagt, daßsie im Gegensatz zu den bekannten heteroreferentiel-lenFormalismendenBereichderselbstreferentiellenFormalismendarstellenunddamittendenziellpost–Gödelsch sind.

Günther hat nun ein logisches und arithmetischesDeutungsverfahrenentwickelt,wiedurchAbbildun-genvonlogischenWertenundZahlenindieKeno-grammatik überdeterminierte, dialektische Strukturengewonnenwerdenkönnen.DiepolykontexturaleLo-gik,genauer:dielogischeVermittlungstheorie,ent-wickelt sich als eine komplementäre Stellenwert– undKontextlogik.

Nach dem Stellenwertprinzip ist die Vielheit derWerte als ein Vermittlungszusammenhang von zwei-wertigenSubsystemenzubetrachten.Damitistso-wohldasklassischeSystemalslogischerPrototypaufgehoben, als auch der Begriff der Vermittlung for-mal geklärt, bzw. durch die Distribution der homoge-nenzweiwertigenLogikeinelogischeStrukturderHeterogenität erzeugt.

Das Kontextwertprinzip regelt dagegen die Kom-positionbeliebigervielstelligerFunktionenausbinä-ren und letztlich unären, jedoch kontextuiertenFunktionen.DieKontextlogik,diesystematischderFunktion der Variablen zugeordnet ist, regelt den Be-griffderKontingenzbzw.Kompliziertheitdeslogi-schen Systems.

DiearithmetischeAbbildungführtanalogzurVermittlung der zweiwertigen Logiken zur Vermittlungeiner Vielzahl von Peano–Systemen zu einem Systempolykontexturaler, tabularer Arithmetik.

Ein zweiter Abbildungsmodus führt zur Konzep-tion der kenogrammatischen Zahlen, die sich in Trito–,Deutero–undProtozahlendifferenzieren.DieKe-noarithmetikistdasKomplementärsystemzurKeno-grammatik,gehörtalsonichtzudendisseminativenSystemen. Die Priorität der Kenogrammatik ist geneti-scher,nichtsystematischerArt. „BeimProblemderdialektischenZahlgehtesumdielogisch–arithmeti-sche Verbindung von Qualität und Quantität.“. Zähltdie tabulare Arithmetik Quantitäten in verschiedenenlogisch–qualitativen Bereiche bzw. Qualitäten selbst.Ein wesentliches strukturelles Kriterium zur Unterschei-dungderbeidenZahlentypenbestehtbezüglichdesVerhältnisses von Unendlichkeit und Endlichkeit. „Eso-teric numbers are completely dominated by the prin-ciple of finitude ... natural numbers ... form anunending sequence ... esoteric numbers starting from

systemswithminimalcomplexitytoeverincreasingstructures of higher order. This produces a scale thatproceeds from finitude to finitude.“

Die beiden Typen von Arithmetiken können auchzu einem qualitativ–quantitativen Zählprozeß verbun-den werden „Unter einem transkontexturalen Zahlen-ablauf verstehen wir eine lineare Folge, dieintrakontextural in einer gegebenen Universalkontex-tur beginnt, und nach einer mehr oder weniger großenAkkumulation von Einheiten in eine andere Kontexturüberschreitet, dort sich entweder unbeschränkt weiterakkumuliert oder aber in gewissen arithmetischen Ab-ständen weitere trans–kontexturale Überschreitungenvornimmt.“

DieMorphogrammatikisteinekenogrammati-sche Theorie, die von der Logik her strukturiert ist, wäh-rend die Kenogrammatik ihre eigene Ordnungentwickelt.ZurMorphogrammatik,Günthershisto-risch erstem Zugang zur kenogrammatischen Ebene,gelangtmandurchAbstraktionvondenlogischenWerten. Angeschrieben bleiben so von den funktiona-lenWertverläufennurnochdie „LeerstrukturenderOperationen“, die Morphogramme. Ein Morpho-gramm „notiertbzw.inskripiertdie’subjektiveTätig-keit’ des Operators.“

DerDoppelcharakterderKenogrammatikbe-stehtalsoindiesenbeidenDeutungennegativalsNicht–Logik,Nicht–Sinnundpositivals „allgemeineMöglichkeit“, „absolute Armut“, „reine subjektive Exi-stenz der Arbeit“.

In der Unterscheidung von Wertebene und Keno-ebeneeröffnetsicheineDifferenzierungderbisherrein logisch gefaßten Reflexionstheorie.

„Amany–valuedsystem,interpretedasamor-phogrammatic logic, is basically not a negational or-der but a system of reflection.“

In der Stellenwertlogik war zwar zum erstenmalSubjektivitätindieLogikhineingenommen,aber „inthis form ist demonstrates structural relations of objec-tive existence“. Trotz des Übergangs von einer „Onto-logy of the Object“ zu einer „Ontology of the Subject“bleibtimmernocheineBeschreibungdesSubjektsqua Subjekt zu leisten. „It is not sufficient that we areable to describe something in formal terms: it is equal-lyimportanthowwedescribeit.“ DieMorphogram-matik ist die formale Theorie der Subjektivität, in der„auchderletzteObjektivitätscharakterdesBewußt-seins, resp. der Reflexion aufgehoben ist“, sie ist dieeigentliche „General Theory of Reflexion“.

InandererTerminologie: „InderMorphogram-matikwirddieProzessualitätderdialektisch–logi-schenStrukturderdisseminativenEbenedargestellt.

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Die Negativsprachen als konstruktive Aufhebung des von der Kybernetik abgelehnten Methodendualismus

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Diese Darstellung ist keine Stellung, keine Verdingli-chung der Prozessualität, weil in der Kenogrammatikdie Herrschaft des Identitätsprinzips ausradiert ist. DieÜber–determination bzw. Polykontexturalität des dia-lektischenProzessesthematisiertsichimdisseminati-ven Schriftsystem als logisch–dialektische Struktur.“ ImDoppelkalkül sind Logik und Mophogrammatik opera-tiv vermittelt. Soweit eine grobe Skizzierung der ver-schiedenen formalen Theorien und ihres Zusammen–hangs. Da die eingangs angeführte Umkehrungsthesenichtnurhistorische,sondernwesentlichsystemati-sche Bedeutung hat, ist die formale Ausarbeitung nichtnur als nachträgliche Formalisierung von philosophi-schen Begriffen, sondern als Voraussetzung und Erar-beitungphilosophischerBegriffezuverstehen.DieweitgehenderstnochzuleistendeBearbeitungdesdurchGünthersResultateröffnetenForschungsfeldeseiner transklassischen Wissenschaftskonzeptionhängt also vom Entwicklungsstand der formalen Theo-rien ab.

1 Die Negativsprachen als konstruktive Aufhebung des von

der Kybernetik abgelehnten Methodendualismus

Auf dem eben skizzierten Hintergrund wollen wirnun versuchen, daß theoretische Verhältnis des keno-grammatisch/disseminativenSchriftsystemszurKy-bernetikanzugeben.DieaktuelleBedeutungfürdieKybernetik ergibt sich nicht aus einer äußerlichen, in-terpretatorischen Beziehung, wie sie oft in der Rezep-tionals„PhilosophiederKybernetik“mißverstandenwurde, sondern drückt sich eher in Begriffen wie „ky-bernetische Philosophie/ philosophische Kybernetik“aus.DergemeinsamethematischeAusgangspunktvonIdealismusundKybernetikerfährtdurchdenky-bernetischen Pragmatismus eine entscheidende Wen-dung. „Die geistesgeschichtliche Bedeutung derKybernetikliegtnundarin,daßsiedieidealistischeFragestellung hinsichtlich des Problems der Subjektivi-tätvollaufnimmt,allerdingsmitderbezeichnendenVariante,daßsieeinewenigstenspartielleWieder-holbarkeit,resp.AbbildbarkeitderSubjektivitätdesIchs im empirischen Bereich postuliert.“

Diese pragmatische Maxime der Wiederholbar-keit, der Objektivation von Subjektivität, führt über diegleichfallskybernetischeReduktiondesBegriffsMa-schineaufeinelogisch–strukturelleKonzeptionzumProblem einer formalisierten Theorie der Subjektivität.Für die Kybernetik ergibt sich dadurch folgende Pro-

blemsituation. Einerseits besagt das Gödelsche Theo-rem, daß aus den bekannten Formal ismenSelbstreferentialitätausgeschlossenist,andererseitsist gerade die Selbstreferentialität das spezifischNeue der Kybernetik gegenüber der klassischen Ma-schinentheorie.FührendeamerikanischeKyberneti-kerakzeptierennichtmehrdieTrennungzwischeneiner Logik und Mathematik, die auf einem vorkanti-schen Formbegriff basiert, und einer philosophischenverbalen Theorie der Selbstreflexion. Sie fordern des-halb,trotzundwegenGödel,dieEntwicklungeinerheterarchischen Logik und unternehmen eigene Versu-che zur Ausarbeitung selbstreferentieller Kalküle.

Genau an diesem Punkt setzt Günther an, wennervonHegelausgehendversucht,ineinerAnalyseder formalen Logik deren Formbegriff so zu erweitern,daß das Gödelsche Theorem nur noch für einen Spe-zialfall von Kalkülen und nicht mehr für den Gesamt-bereichdesFormalenselbstgilt.InderErweiterungzumkenogrammatisch/polykontexturalenSchriftsy-stem ist jetzt das Medium für eine aktuelle produktiveKooperationvonPhilosophieundKybernetikgege-ben, denn „in der Schrift und der Mechanik ihrer Buch-staben–undSymbolkombinatorikistdieabstrakteGrundkonzeption der Maschine bereits angelegt“.

Die philosophische Deutung des polykontextura-len Systems zeigt nochmals den unmittelbaren Bezugzur kybernetischen Problemstellung. In der Konzepti-on der Negativsprachen, im Gegensatz zu den Posi-tivsprachen, gibt Günther eine Re– Interpretation derlogisch–arithmetischenSystemeausderErkenntnis,daß diese nicht mehr allein als Denktheorien, sondernnurnochalskomplementäreDenk–undHandlungs-theorien zu verstehen sind. „Negativsprache ...: Die-selbe ist keine Sprache, die in dem uns vertrauten SinnErkenntnisse vermittelt, die sich auf ein vorgegebenesSein beziehen. (Die Negativsprache) ist vielmehr einallgemeiner Codex für Handlungsvollzüge...Insofernaber,alsdieNegativspracheunseinenCodexfürHandlungsvollzüge anbietet, haben wir uns mit ihr indas Gebiet der Technik begeben. Die Umsetzung ei-nesGedankensineineMaschinesetztWillensaktevoraus.WasTechnikist,kannnurineinerNegativ-sprache annähernd adäquat begriffen werden.“

Im Gegensatz zu der am Sein ausgerichteten Phi-losophie,dieeinenSubjektivitätsbegriffentwickelte,derprimäramProblemdesErkennensundDenkensausgerichtet war, ist eine negativsprachliche Philoso-phie wesentlich pragmatisch. Erst durch ihren kogni-tiv/volitiven Subjektivitätsbegriff ist eine vollständigeEinbeziehung von Subjektivität in das polykontextura-le Schriftsystem bzw. der vollständige Existenzmodus

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des Subjekts in der Welt gegeben. Unter einem anderen Aspekt zeigt sich das

Handlungsproblemauchdarin,daßimBereichderNegativsprachen ein rein begriffliches Arbeiten ohnedie komplementäre Kraft der Zahlen nicht mehr mög-lichist.DasAbwendenvonderUnmittelbarkeitdesSeinsunddieErweiterungderzugehörigenPositiv-sprachegelingtnuraufdem„Umweg“überSchriftundZahl,darinliegtderenphilosophischeBedeu-tung. „DerWortschatzeinerNegativsprachekannnur aus der Koinzidenz von Zahl und Begriff entwik-keltwerden!EsgibtkeinenanderenWegalseineneueBegriffsweltausStrukturgebildenvonNegati-onsrelationenabzulesen.Dasistdieneue’Material-welt’, an der sich die Ideen künftiger Weltgeschichtebilden.“

In Schema 2 geben wir einen Überblick über diezeitliche Entwicklung und die wachsende Komplexitätder Theorien, ausgehend von den ersten rein reflexi-onstheoretischen Ansätzen Günthers.

Wenn der Verdacht geäußert wird, „daßGünthersPhilosophiereneinnaiverRealitätsbegriffzugrunde liege“, so wird Günthers Fragestellung miß-verstanden.DerAusgangspunktderGüntherschenAnalysenwardieFragenachdemRealitätsbegriff,d.h.derimpliziertenOntologiekonzeption,diederklassischenzweiwertigenLogikzugrundeliegt.DasResultatdieserAnalysewar,daßdieseLogikmitei-nem naiven irreflexiven Realitätsbegriff arbeitet, undzwar qua Formprinzip der Identität.

GenaudurchdiesenWechselinderFragestel-lung, daß sich die Frage nach dem Realitätsbegriff andas formalisierte Rationalitätssystem richtet und nichtmehr n eine Erfahrung eines vorgegebenen Außen, istderWegzurKonstruktioneineskomplexerenReali-tätsbegriffs und damit auch zur beschleunigten Auflö-sungderaltenMetaphysikfrei.DurchdieAusarbei-tung einer formalen Ontologie, einer Hierarchie vonOntologien(1968)bzw.vonVerbundkontexturen(1970),wurdendiebeidenidealistischenVarianteneinersichüberdemirre–flexivenSeinsbereicherhe-benden komplexen Reflexionssphäre, sowie einer ab-soluten Identität von Sein und Reflexion (Hegel)überwunden.DasfürNicht–Dialektikerparadoxan-mutende Resultat dieser Umkehrung der FragestellungisteinegrößereMächtigkeitderOntologiengegen-überderlogischenReflexion.Siebildetdenjeweili-gen Realitätsbereich nur noch partiell ab.

Wie sehr diese der philosophischen Tradition wi-dersprechende Einstellung mit einer durch die Kyber-netik eröffneten neuen Denkweise übereinstimmt,wollen wir mit folgendem Zitat der beiden amerikani-

schen Kybernetiker Howe und v. Foerster zeigen. Siesehen das restriktive Verhalten der traditionellen Logi-kerbeimAuftauchenvonParadoxienganzklaralseine Verteidigung eines bestimmten Realitätsbegriffs.„The keystone of its paradigm are the Claim to Objec-tivity and the Theory of Types, which exclude in prin-cipletheautonomyofparadoxandtheindividual...One manifestation of this shift (from a preoccupati-on with the properties of the observed to the study ofthe properties of the observer) is our rapid recovery ofthe significance of both paradox and self–refe-rence...’the paradoxical combinator’ may be used toconstructlogico–mathematicalobjectsofamoreorless paradoxical nature.“

Wasabernichtmehrparadoxienfreibeschrie-ben werden kann, kann auch nicht mehr unmittelbarbeobachtetwerden.DerParadigma–Wechsel,dersichhiervollzieht,istgleichzeitigeineKritikdesBe-griffs der Evidenz und des Begriffs der Utopie.

„The Greek classic term of truth is Aletheia whichmeans ’that which is not concealed’. To seek out thatwhich is not concealed is the self–confessed aim of ourclassic scientific tradition. Cybernetics, however, willonly attain its true stature if it recognizes itself as thescience which reaches out for that which is hidden.“

2 Die vierkategoriale Logik als Überwindung des triadischen

Idealismus

Nachdem wir bisher den Güntherschen For-schungsprozeß in seinem formalen Resultat darge-stell t haben, wollen wir jetzt den Prozeß derEntwicklung der polykontexturalen Logik aus den er-sten reflexionstheoretischen Untersuchungen der„Grundzüge“ (60) skizzieren und dabei die Verände-rungeninderphilosophischenTheoriejederEtapperekonstruieren.LeitmotivistdabeidieEinbeziehungvon Subjektivität in der Logik auf dem Hintergrund desProblems der „Einheit“ der Logik.

In Anknüpfung an Hegels Logik und andere TextedesDeutschenIdealismusentwickeltGüntherinAb-grenzung gegen das durch eingehende SinnanalysederklassischenLogikrekonstruierteThema „Denkendes Seins“ als zweites Thema das „Denken des Den-kens“. „War...inder’erstenStellung’Thema,daßdasGedachtefürdasDenken’eigentlich’transzen-dent sei, so thematisierte sich hier das Denken dahin,daß das Gedachte es selbst sei.“ Diese zweifache In-tentiondesDenkensführtezuzweiProblemen,dieengzusammenhängen,nämlichderFragenachei-

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Die vierkategoriale Logik als Überwindung des triadischen Idealismus

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nem „neuen logischen Formbegriff“ und nach derStruktur der Vermittlung. „Der Begriff der Vermittlungentspringt aus folgender Problemsituation. Die beidenGrundthemata des Denkens stehen sich zwar als reineThemata absolut invers gegenüber und schließen sichthematisch aus, zugleich aber sind sie beide einanderAusschließende in der Einheit des Denkens.“

Die mehrfach durchgeführte Darstellung der bei-den inversen Reflexionssysteme als aristotelische undkontra–aristotelische Reflexion (ohne das Problem derVermittlungzuberücksichtigen)führtezudemResul-tat, daß zwei Reflexionssysteme nur als zwei Deutun-gen einer Logik existieren, nicht aber als logischstrukturellesDoppelsystemdargestelltwerdenkön-nen. Der Schlüssel zur Vermittlung der beiden inversenSysteme liegt darin, daß der Gegensatz der Systemein einem allgemeineren System durch eine eigene Ne-gation verneint wird. „Die Existenz von zwei Negati-onsoperatoren erzwingt dann den Übergang zurdreiwertigen Theorie des Denkens.“ „Die EinführungdesdrittenWertesabererlaubteine’Verschiebung’derbeidenSystemegegeneinander.“ DasEntschei-dende war die Multinegationalität und die Zyklizitätdes Negationssystems, da dadurch die unendliche Ite-rativität des Mechanismus der Reflexion der Reflexiongestoppt werden konnte.

InderKonzeptiondermehrwertigenLogikalseine Stellenwerttheorie gelang 1958 eine die reflexi-onstheoretische Ausgangsproblematik erfüllende For-malisierung. Das Verhältnis der verschiedenenThematiken und ihre Vermittlung ist nun logisch so ge-regelt, „daßwireinunddieselbezweiwertigeLogikaufverschiedeneBewußtseinstufenanwendenkön-nen ... eine mehrwertige Logik beschreibt ein solchesAbhängigkeitssystem der möglichen Stellenwerte, diedie klassische Logik in dem Reflexionssystem unseresBewußtseins einnehmen kann.“

DerkurzeAbrißderEntwicklungsetappenderStellenwerttheorie gibt uns das Ausgangsmaterial fürdie weitere Diskussion der Güntherschen philosophi-schenTheoriederLogik,derenEntwicklungsichsocharakterisieren läßt: Von der „Logik als Theorie desDenkens“ zur „Logik als Theorie der Wirklichkeit“. InderklassischenLogikmitihremsymmetrischenVer-hältnis von Positivität und Negativität oder anders ge-sagt dem Prinzip der Identität von Denken und Sein,hat diese Verschiebung in der Deutung keine Auswir-kungen auf die Komplexität der Logik selbst. Aber be-ginnendmitdemdreistufigenReflexionssystemvonDoppelthematik und Vermittlung gibt es einen gegen-seitigen konstitutiven Zusammenhang von philosophi-scherTheorieundformallogischerKomplexität.Die

reflexionstheoretischeUntersuchungdientezurEnt-wicklung einer internen Differenzierung des Denkensin der „transzendentalen Einheit des theoretischen Be-wußtseins“ nachdemphilosophischenModelldesSelbstbewußtseins. Sobald aber die Entlastung des in-dividuellentheoretischenDenkensdurchdenForma-lismus gegeben war, war es möglich, eine neuephilosophischeInterpretationdesdreiwertigenSy-stemseinzuführen.DerfürdiephilosophischeLogikneueBegriffdesDuentstehtineinerexistentiellenReinterpretationdesreflexionstheoretischenPhäno-mens des Einbezugs des denkenden Subjekts in seineeigene Logik.

„Es ist aber unmöglich, in einer höheren Reflexi-on jenes Denken der Welt so zu denken, daß der Be-griff des logischen Subjekts aus der Logik ausge-schlossen bleibt. Die ’Reflexionskategorien’, d.h. dasDenken des Denkens (anstatt der Welt), müssen stetseinen noch einmal reflektierten Bezug auf das sie re-flektierendeSubjektenthalten.D.h.,dasdenkendeSubjekt muß para–subjektiv stets in seine eigene Logikhineindefiniert werden.“

„ImSubjektselbstwiederholtsichderUnter-schied von Denken und Existenz. Das existierend ge-dachte Subjekt kann nur als Du interpretiert werden.“

In der neuen logisch–philosophischen Triade vonIch–Du–EsisteineersteDistributionderSubjektivitätgeleistet,dieeineVoraussetzungfürweitereStufender Einbettung er vollen Komplexität von Subjektivitätin der Logik ist bzw. für eine Subjektivitätstheorie aufdem Hintergrund der vorbehaltlosen „Immanenz derSubjektivität in der Welt“. Trotz dieser ersten Interpre-tation der Stellenwertlogik als „Theorie der Wirklich-keit“ kann auf die Funktion der Gegenthese (Theoriedes Denkens) noch nicht verzichtet werden. Die distri-buierten und eingebetteten Subjekte selbst habennicht die Komplexität des Selbstbewußtseins, dieFunktion des Selbstbewußtseins war weiterhin für die„EinheitderLogik“ gebunden,dabishernochkeinephilosophischen und formalen Mittel für eine „objek-tiv“oder„material“vermittelteEinheitgefundenwa-ren. Der Rückgriff auf das Sein hätte alle bereitserreichte Komplexität wieder eliminiert. RückwirkendkritisiertGüntherdieTriadealsimmernochideali-stisch, da in ihr die Reetablierung eines transzenden-talen Subjekts möglich ist bzw. die Distribution von Ichund Du wieder reduziert werden kann. „Die Irreduzi-bilität von Ich und Du ist eine Einsicht, zu der man erstdanngelangt,wennmanbegreift,daßIchundDueine Umtauschrelation innerhalb der Subjektivität dar-stellen“,unddaßdasIchnichtüberdenGegensatzübergreift und ihn versöhnt.

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Die letzte Stufe in der rein triadischen Interpreta-tion und das erste Auftauchen der philosophischen Be-deutungderViersindinderVerallgemeinerungderInterpretation der Stellenwerttheorie für beliebig vieleWerte gegeben. Dabei stellen die drei höchst vermit-telten Negationsrelationen „jeweils das formale Refle-xionssystem des theoretischen Bewußtseins dar“.

Die These: „Eine Logik ist die metaphyischeSelbstdefinition eines Subjekts“, wurde bisher nur so-weit modifiziert, daß der Begriff des Bewußtseins ana-log auf alle Grade der mehrwertigen Reflexionübertragen wurde.

DiesystematischeundinnovativeFunktionderVier als der minimalen Komplexität, in der Subjektivi-tät auch als triadisches Selbstbewußtsein eingebettetwerdenkannineinumfassenderesSystem,dasesnicht mehr beherrscht, kündigt sich in der triadischenInterpretationals „bewußtseinstranszendentesOb-jekt“ an.Eszeigtsich,daßerstim „vierwertigenSy-stemdasinderReflexionaufdieReflexionverloren-gegangeneObjektwiederentdecktwird.Dennhierbesitzt die Reflexion Stellenwerte, die nicht mehr be-wußtseinsimmanent gedeutet werden können.“ Trotz-dem„umspannt“dastheoretischeBewußtseinnochimmer das Objekt, das sich jetzt in eine Vielzahl von„Realitätsschichten“aufgliedert.Esscheintunswich-tig darauf hinzuweisen, daß der entscheidendeDurchbruch zu einer materialistisch–dialektischenSubjektivitätstheoriemiteinerwichtigenEtappedereingangs zitierten Umkehrung im Verhältnis von Philo-sophie und Sprachsystem im Güntherschen For-schungsprozeßzusammenfällt.EswarnämlichdieEntdeckung, daß der größte Teil der kombinatorischmöglichen Funktionen der mehrwertigen Systeme mitder bisherigen philosophischen Theorie nicht mehr in-terpretiertwerdenkonnte,dieGüntherzwang,eineallenkombinatorischmöglichenFunktionenentspre-chendephilosophischeTheoriezuentwickeln.ZweiJahre vorher fand Günther diese Situation noch nichtzwingend, sondern selektierte Funktionen nach klassi-schen Sinnkriterien.

Die jetzt zugelassenen logischen Funktionenstanden in Widerspruch zur bisherigen Theorie, weilsieimRahmeneinesalszweiwertigdefiniertenlogi-schen Subsystem das Auftreten von maximal zwei zu-sätzlichen Werten aus anderen Subsystemenerlaubten.DiesealsTransjunktionenbezeichnetenFunktionen mit ihren maximal zwei Fremd– bzw. Re-jektionswertensprengtendiereflexionstheoretischeEinheitdesSubsystems,dabisherderReflexionsvor-gang mit einem Negationsprozeß gleichgesetzt wur-de,dieKomplexitätvonvierWertenimSubsystem

aber nicht mehr mit der subsystemeigenen Negationoperiertwerdenkonnte.BisherwarGüntherinderStellenwertlogikdavonausgegangen: „DerWider-spruch,dersichimaktuellenDenkenunvermeidlichkonstituiert,bestehtnichtinderLogik,sondernzwi-schen den ... logischen Systemen.“

Die Auflösung der Widersprüchlichkeit, die jetztinnerhalb des logischen Subsystems auftritt, ist in fol-genden Zusammenhängen zu sehen. Die Interpretati-on der Transjunktion als neues „formal logicalcriterionforselfconsciousnessorsubjectivity“ ver-schob die Struktur des Selbstbewußtseins aus dem Ge-samtsystemandenOrteineslogischenSubsystemsoder Subjekts. Dieser Schritt der Einbettung in die Lo-gikalsGanzeindiediezweiteSprachebene,dieMorphogrammatik.DasVerhältnisderbeidenEbe-nen bezüglich der Formalisierung der Reflexionstheo-rie stellt sich jetzt so dar, daß in der Stellenwertlogiknur die Struktur, die Resultate von Reflexionsprozesseals solche notiert wurden. Die formale Einheit des Mor-phogrammsmitdemReflektorals „generallogicaloperator for reflection“ als neuem Ausdruck für einenReflexionsprozeß, anstatt der Negation, ermöglichtedieRekonstruktionderTransjunktionalsinternelogi-scheStruktureinesselbstreflexivenSubjektsystems.DieübergegensätzlicheMorphogrammatikistdieEbene, „inderdieDifferenzzwischenSubjektivitätundObjektivitäterstetabliertwirdunddeshalbdortnochnichtvorausgesetztwerdenkann“.NichtmehrdieWertealsAusdruckderWidersprüchesindderGegenstand der Morphogrammatik, sondern die logi-schenOperatoren,d.h.dieFunktionenalsGanze,nachdem sie durch die Wertabstraktion zu „Funktions-schemata“ auf der morphogrammatischen Ebene wur-den.

DieneuephilosophischeSituationeinereinge-bettetenStrukturderSelbstreflexiondrücktsichbeiGüntherauchineinerdoppeltenInterpretationaus.Einmal in klassisch–reflexionstheoretischer Terminolo-gieundeinzweitesMalinkybernetischenBegriffenals „systemwhichreflectsitsenvironmentbyorgani-zingitselfandproducingadditionalstructure“.DasselbstorganisierendeSystemistdasdurchseinebei-den Werte ausgedrückte Subsystem, das sich mit je ei-nemRejektionswertvonseinerinnerenundäußerenUmgebung absetzt und sich damit seiner Eingebettet-heit bewußt wird. „It leads to the surprising conclusionthat parts of the Universe have a higher reflective po-wer than the whole of it as has been recognized for along time.“ Das Ganze der Logik ist also nicht mehr alsAusdruckeinesBewußtseinszuinterpretieren,son-dern als Strukturzusammenhang des Universums.

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Die vierkategoriale Logik als Überwindung des triadischen Idealismus

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Nach dem Übergang von der Morphogramma-tik zur Kenogrammatik mit ihren drei Sprachschichtenbezeichnet Günther die Kenogrammatik im Bezug aufdie Einbettung der Logiksysteme als „ontologicalgrid“. Inder „TheoriederontologischenOrte“ wirddas Problem der Einbettung mit den begrifflichen Mit-teln der Polykontexturalitätstheorie entwickelt.

ObwohlsichdieTransjunktionen,zumindestinihrer vollen Differenzierung nur durch vier Werte dar-stellen lassen, also nur in einem mindesten vierwerti-genSystemauftretenkönnenundandererseitsauchdieMorphogrammatikihrevolleAusdifferenzierungerstbeivierWertenerreichthat,wardiereflexions-theoretische und kybernetische Interpretation derTransjunktion immer noch triadisch. Durch die drei ke-nogrammatischen Ebenen war mit der Wertebene zu-sammen auch die vierstufige Systematik derSprachschichtenabgeschlossen.Wasaberimmernoch fehlte, war der logische Mechanismus des Um-tausches von Ich und Du bzw. die Operation der Ein-bettung selbst.

Als eine bezeichnende Zwischenphase der wei-terenEntwicklungdarfeinekommunikationstheoreti-sche Analyse der Subjetivitätstheorie gelten. DieÜberlegungen führten dazu, daß erst in einer vielwer-tigenModellierungallekommunikationstheoretischrelevanten Konstellationen auftreten können. In einerdreiwertigenModellierungvonIch–Du–EsfehltedieRelationvonDu–Du,d.h.dieSituationderBeschrei-bung eines Kommunikationsprozesses zweier Subjek-te durch ein drittes.

Der Übergang von diesen semantischen Überle-gungen zur Bedeutung der Vier in der Subjektivitäts-theorie zu einer relationstheoretischen Lösung gelangerst 1971 in der Konzeption der Proemialrelation. DieviergliedrigeProemialrelationstelltdenZusammen-hang zwischen Subjekt und Objekt so dar, daß einer-seitsdasOrdnungsverhältniszwischenSubjektundObjekt bzw. Operator und Operand innerhalb jedeslogischenSystemsaufrechterhaltenbleibt,daßaberbeim Wechsel des Systems, was vorher Subjekt war,jetzt Objekt wird oder was Ich war jetzt Du wird undumgekehrt. Dem Umtausch zwischen Subjekt und Ob-jekt oder System und Umgebung ist eine Verschiebungin ein anderes System beigeordnet. „We shall call theconnection between relator and relatum the proemialrelationship, because it ’prefaces’ the symmetrical ex-change relation and the ordered relation andforms,...,theircommonbasis.“ DaßessichbeiderProemialrelation nicht um eine unter die klassische Re-lationstheorie subsumierbare Relation handelt, da sienichteinenabstraktivenForm–Inhalt–Wechseldar-

stellensoll(Typentheorie,Metasprachenhierarchie),sondern eine selbstreflexive, die Unterscheidung vonForm und Inhalt erzeugende Relation, zeigt sich auchan ihrer zweiten, kenogrammatischen Version. Wäh-renddieProemialrelationalsChiasmusimpolykon-texturalen System als viergliedriger Vermittlungs–mechanismusvonOrdnungs–undUmtauschrelationexplizit angegeben werden kann, zeigt sich in der Ke-nogrammatikdasProblemihrerNicht–Darstellbar-keit. In der zweistelligen kenogrammatischenProemialrelation (eine kenogrammatische Relationen-theorie existiert noch nicht), die sowohl als Ordnungs–als auch als Umtauschrelation gedeutet werden kann,zeigt sich die Einheit und Differenz der beiden Relatio-nen, ist aber nicht explizit angegeben. „The proemialrelationbelongstothelevelofthekenogrammaticstructure because it is a mere potential which will be-come an actual relation only as either symmetrical ex-change relation or non–symmetrical orderedrelation.“

Wiesichspätergezeigthat,wardiealsallge-meine Begriffsmechanik entwickelte Proemialrelationbereits durch die Einführung der Kontextlogik als Kom-plementzurStellenwertlogikinihrerelementarstenformallogischen Gestalt gegeben. Durch die Kontext-logik wird der durch die Stellenwertlogik nicht erfaßteAspekt der Subjektivitätstheorie, nämlich der Prozeßdes Standortwechsels innerhalb der distribuiertenSubjektivitätbeschrieben. „DieKontextlogikleistetdeshalb eine Einbeziehung des beschreibenden Sub-jekts in die Beschreibung, weil die Beschreibung vonjedem möglichen Standort innerhalb des Systems auserfolgt.“ Die Stellenwertlogik modelliert „die Subjekti-vität als beschriebene“ und die Kontextlogik „die Sub-jektivität des Beschreibungsprozesses“.

DurchdieKomplementierungwarjetztdiereinlogische Struktur voll entwickelt. In der Konzeption ei-nerallgemeinen „formalenTheoriederVermittlung“versuchteGüntherdielogischeTheoriesystematischzuinterpretieren.DerBegriffderVermittlunghattesich im Laufe des Forschungsprozesses in Abhängig-keit vom Begriff der Subjektivität und dessen Transfor-mation prinzipiell geändert. Es ist „nicht die AufgabederVermittlung,deneinfachenWertgegensatzvonPositivität und Negativität überhaupt in progressivenStufen zu versöhnen, sondern den Relationsgehalt unddie Deutungskapazität der Wirklichkeit zu erwei-tern“.

JedemderzweiLogiktypenentsprichteineige-nesVermittlungsprinzip,dasStellenwertprinzipwarüber die Vielheit der Werte und ihre Distribution undVermittlungdurchdiemultinegationalenUmtausch-

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verhältnisse aufgebaut. Der Vermittlungstyp des Kon-textprinzip beruht „auf einer Relation zwischen einerKonstanten und einem Umtauschverhältnis“. Die Kon-stante vermittelt das Verhältnis der Unmittelbarkeit derRelationsglieder des Umtauschverhältnisses. Die Kon-stanteselbstistaberinBezugaufeineandereKon-stant Relationsglied in einem Umtauschverhältnis undwird durch diese vermittelt. Was Konstante war in ei-ner Hinsicht, wird Variable in einer anderen Hinsichtundumgekehrt.Soentstehteingeschlossener„sichgegenseitigtragenderVermittlungskontext“,dessenKompliziertheitsichnachderAnzahlderVariablenbestimmt.

GüntherunterscheidetnundreiKomplexitätsty-pen, iterative, akkretive und integrative Komplexität,jenachdem,obbeieinemzweiwertigenSystemnurdieAnzahlderVariablenerhöhtwird,oderobbeizwei Variablen nur die Anzahl der Werte erhöht wird,oder ob beide erhöht werden. Ohne die Kontextlogikals Komplement war die Stellenwertlogik nur mit zweiVariablen operabel, also von rein akkretiver Komplex-ität, wie sich aus den Güntherschen Texten vor 1968sehen läßt, wo er nie mehr als zwei Variablen benutz-te. Dies hatte, wie wir oben sahen, Folgen für eine ein-seitige Entwicklung der Subjektivitätstheorie, die eineridealistischen Position in der Philosophie entsprach.

Die integrative Komplexität wird selbst nochmalindieKomplexitätstypenunterteilt.InderBalancie-rungstheorie wird das konkrete Verhältnis der Anzahlder Werte und Variablen betrachtet. Günther bestehtausdrücklichaufderEinheitderMethodeallerWis-senschaftenundgibtfolgendemethodologischeEin-ordnung. „DielogischeDifferenzzwischenNatur–undGeisteswissenschaftenist,...,aufdieDifferenzzwischenstrukturellerKomplikation(iterativeKom-plexität) und struktureller Komplexität reduziert... Zwi-schen denselben gibt es aber ein Zwischengebiet, wostrukturtheoretischbetrachtet,eineprekäreBalancedersichwidersprechendenSystemeigenschaftener-reicht wird. Das ist das Gebiet der Sozialwissenschaf-ten.“

GüntherhatdieseformaleTheoriederVermit-tlung nicht mehr weiter verfolgt, weil er zu dieser Zeit(1968/1969)aufdasneueProblemeinerdialekti-schen Theorie der Zahlen und das Problem des Zusam-menhangs von Zahl und Begriff stieß. Der AnsatzwurdevonR.Kaehraufgenommenundzueinerfor-malisiertenTheoriederpolykontexturalenLogikaus-gebaut.DieFortführungbestehtsowohlauseinemallgemeinen Kalkül der „Dissemination logischerFrameworks“, als auch aus metalogischen und philo-sophischen Ausführungen, die die Komplementarität

auchinderInterpretationherstellen.Komplementärzur Metatheorie der Stellenwertlogik als „meontischeWahrheitslogik“ wird die Kontexturlogik als „funktio-nale Strukturlogik“ bestimmt. „Die Theorie der Stand-punktinvarianz ist das struktur–funktionale Analogonzur(essentialistischen,atomistischen)Theoriederlo-gischen Allgemeingüligkeit.“ In der Konzeption der lo-gischen Frameworks wird eine Emanzipation von derhistorischbedingtenerstenFormalisierungalsmehr-wertiger Logik vollzogen. „Die Bedeutung der Frame-works besteht darin, daß sie den allgemeinenlogischenRahmenindendieverschiedenenklassi-schen Logiken (2– und mehrwertige, intuitionisti-schen,konstruktivitstische,modale,temporaleusw.Logiken und ihre axiomatische, Regeldialogische u.a.Kodifikation) eingebettet werden können, darstellen.“DieseFormalisierungistalsoeinerseitsvomgewähl-tensemantischenZugangsowievonderjeweiligenGrundlagenposition in der Mathematik unabhängig,andererseits lassen sich diese verschiedenen Katego-rien bzw. Positionen auch polykontextural vermitteln,d.h. die einzelnen Teillogiken können in unterschied-lichen Kategorien bzw. Positionen definiert sein. Eineweitere Etappe in der Formalisierung der Polykontex-turalitätstelltdieKonzeptionderpolykontexturalenkombinatorischen Logik dar.

Durch den sukzessiven Prozeß der Einbeziehungvon Subjektivität in die Logik ist eine Kritik und Liqui-dierungdesanthropozentrischenSubjektivitätsbe-griffs geleistet worden, der als Erbe der idealistischenPhilosophieamAusgangspunktstand. „Einetrans-klassische Logik ist eine Logik des geschichtlichen Pro-zesses, in dem das Subjekt der Geschichte LebenüberhauptistundnichtdieephemereundzufälligeGestalt,diedasselbeimMenschenangemommenhat.“„Inotherwords:subjectivityisaphenomenonthat appears in distributed as well as in non– distribu-ted form. In its non–distributed form we call it an indi-vidual subject. If it is in distribution we refer to it as theintersubjective medium of general subjectivity.“ Befrei-te die Reflexionstheorie des Deutschen Idealismus denSubjektbegriff von seiner Orientierung am irreflexivenSein, so befreite jetzt die Kenogrammatik die Philoso-phie von ihrer anthropozentrischen Wirklichkeitskon-zeption.

AufdiesemHintergrundwollenwirnochkurzdaraufverweisen,daßdurchdieGüntherscheKon-zeptioneinervollständigen,teilweisenoderfehlen-den Logifizierung eines kenogrammatischen Systemsdie Möglichkeit gegeben ist, daß die resul-tierende Lo-gikkeingeschlossenes,insichvermitteltesSystemmehrdarstellt.FragmentarischeVermittlungssysteme

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Distribution und asymmetrische Verschiebung als Strategien gegen die symmetrische Dichotomisierung des

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oder auch logisch unvermittelte Systeme, die aber indie Kenogrammatik eingeschrieben sind, treiben so inderÛkonomieeinesvor–sinnigenKalkülsundsindvon der relativen Sicherheit eines Verhältnisses der ge-genseitigen Begründung abgeschnitten. In dieser feh-lenden Geschlossenheit ist die Logik unmittelbarausgesetztjenem „TeilanirreduziblenSchweigen,derdieSpracheträgtundheimsuchtundaußerhalbdessenalleinundgegendenalleinsieauftauchenkann“.

3 Distribution und asymmetrische Verschiebung als Strategien gegen die symmetrische Dichotomisierung

des Logozentrismus

Die Wiedereinführung einer ontologischen Be-trachtungsweise der Stellenwertlogik führt nach Mei-nung Ludwigs zum Widersp ruch mi t de rreflexionstheoretischen These, daß das Nichts mäch-tiger sei als das Sein und letztlich dichotomisiere siedie Logik so, daß doch nur die bekannte Zweiwertig-keit übrig bleibe. Damit wiederholt Ludwig gegenüberGünther genau den Vorwurf, den Günther gegenüberder klassischen mehrwertigen Logik vorbringt und vondemersichjageradeabsetzenwill.DiebekanntenmehrwertigenLogikendichotomisierendieMengeder Werte in ausgezeichnete und nicht ausgezeichne-teWerteundstellendieoperativeVerbindungübereineeinzigeNegationher.DieseDichotomisierungund ihr Zusammenfallen mit der einen Negation ist fürGüntherderAusdruckderÜbertragungderklassi-schen ontologischen Dichotomie auf einen rein formalerweitertenKalkül.DieStellenwertlogikdichotomi-siert nicht eine Wertmenge, sondern dekomponiert siein eine Vielzahl einzelner Dichotomien (Wertpaare),zwischendenensieeinenmultinegationalenZusam-menhang herstellt. Damit ist eine logische Struktur ent-wickelt, die als ganze nicht mehr dichotom, sonderndurchdieDistributionvonDichotomienkomplexge-gliedert ist. Das Verhältnis der beiden Typen vonMehrwertigkeitstelltsichdaherwiefolgtdar: „Inamany–valuedsystemdesignedaccordingtotheau-thor’s concept of many–valuedness being an order ofontological places of two–valuedness any two–valuedcouldadditionallycontainLukasiewiczvaluesbet-ween True and False.“

DerEindruck,daßdieDichotomisierungzwi-schenOntologieundLogikkomplexitätsreduzierendsei, kann allerdings nur entstehen, wenn man das Pro-blem klassisch betrachtet. „In two– valued logic the di-

stinction between affirmation and negtion happens tocoincidewiththedichotomybetweendesignationand non–designation.“ Die Symmetriestruktur derklassischen Logik verhinderte eine Verschiebung derbeidenmetatheoretischenDichotomiengegeneinan-der. Der Übergang von der symmetrischen zur asym-metrischen Dichotomie von Posititvität und Negativitätdurch die Multinegationalität der Stellenwertlogik er-möglichtnundieseVerschiebung.DieDichotomisie-rung nach der designativen/nondesignativenFunktion der Werte erzeugt eine zur reflexionstheore-tischenAsymmetriegegenläufigontologischeAsym-metrie. Die neue Asymmetrie baut sich aus folgendenzweiPrinzipienauf: „Ontologicaldifferencesmean,informallogicalterms,differentdegreesofrichness(complexity) of structure. But such structural differencecan only be generated by a difference in the numberof values employed" und „the concept of the non–de-signative value as ’repeater–value’".

Der non–designative Wert kann also immer nurwiederholen,d.h.abbilden,wasalsontologischesThema bereits designiert ist. Eine Ontologie ist ein Ver-bund von durch unterschiedliche Wertzahl geglieder-ten Themen, eine Logik hat zusätzlich Wieder-holungswerte. Die Anzahl der designativen Werte istimmer größer als die der non–designativen, die Onto-logiekomplexeralsdasabbildendeDenken.DieseAsymmetriezwischenOntologieundLogikentstehtdurch das Phänomen der Hintergrundsthematik, d.h.bezüglicheinerlogischenAbbildungbleibenimmerBereichederRealitätskonzeptionlogischunbewußt.AusdieserSystematikfolgtdieallgemeinesemanti-scheTheoriederVermittlungssysteme,dieStrukturty-pentheorie, als eine „hierarchy of first orderontologies“ mit dem jeweils zugehörigen Intervall vonLogiken, die die innerontologische thematische Diffe-renzierung sukzessive abbilden.

DieVerschiebungundUnterscheidungderbei-denDichotomienistdiemetatheoretischeFolgederEinbeziehung von Subjektivität in die Logik. Die Onto-logien umfassen sowohl irreflexives Sein, als auch re-flexives Sein oder Subjektivität und umgekehrt ist dieSubjektivitätbzw.dieReflexivitätsowohlüberdemBereich der Ontologie als auch den der Logik distribu-iert. Die ontologische Dichotomisierung reduziert alsonicht die reflexionstheoretische Komplexität, sondernordnet sie zusätzlich nach ihrer eigenen semantischenGesetzlichkeit. Die Überdetermination auf der Ebeneder Multinegationalität kehrt in der Metatheorie durchdiedoppelteBestimmungderWertfunktionendurchreflexionstheoretischeundontologischeDichotomiewieder.

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Trotzdem ist damit das Problem der Dichotomienoch nicht erledigt, es taucht in einer weiteren Varian-te wieder auf. „Der Übergang in der Logik von der Di-chotomie zur Trichotomie und allgemein zurPolychotomie muß gegenläufig die inverse und vertie-fendeDichotomievonLogikundKenogrammatiker-öffnen. Ohne diese doppelte Schreibweise bleibt dieDestruktiondesIdentitätsprinzipsunvollständig,esetabliertsicherneutinderForschungs–undDarstel-lungsweise.“

4 Die Günthersche Polykontexturalitätstheorie als

Ultra–Platonismus

Wie aus der Darstellung des formalen Gesamtsy-stems schon zu erwarten, stellen die bisher angegebe-nen phi losophischen In te rpre ta t ionen derVermittlungslogik noch keine vollständige Konzeptionder neuen Philosophie dar, da die arithmetischen Sy-steme noch nicht entwickelt sind. Die Entstehung desBegriffsderUniversalkontextur,vonderdieTheorieder Polykontexturalität als allgemeine philosophischeTheoriederWirklichkeitausging,stehtdirektimZu-sammenhang mit der Konzipierung einer dialekti-schen Zahlentheorie.

„Up to this point the author had always believedthat only one value at a time could occupy a single ke-nogram. Now it occured to him that a kenogram mightbehave differently in the case of numbers, and that itmight be the ontological locus not just for a single num-berbutforatotalPeanosequenceofnaturalnum-bers.“

EineUniversalkontexturwirdzwarauchdurcheinzweiwertigesLogiksystembeschrieben,wiesichdannausderAnwendungdesKontexturbegriffsaufdieLogikergab,aberdiearithmetischeFunktionalsAusdruck einer ganzen Reihe von natürlichen Zahlenbrachte eine begriffliche Eigenschaft zutage, die diemetaphysischeTraditionineinemihrerGrundprinzi-pienverkehrte.FolgedesAbbildungsprozessesderZahlen war „the observation that the finite, metaphy-sically speaking, is not embedded into an infinite Ab-solute but that wherever we meet concepts oftranscendence the latter will be finite and the infinitewill be its subordinated content“. „A universal contex-ture is a finitude insofar as it is only a piece in a patch–work of an unbounded multitude of contextures.“ Daßdiese Vielheit nicht mehr selbst die Funktion einer me-taphischen Unendlichkeit annimmt, läßt sich im forma-len System so begründen, daß einmal durch die

EinbettungderpolykontexturalenLogikindieKeno-grammatik die unendliche Vielheit möglicher Kontex-turen darin eine „Umgebung“, also eine Grenze hat.Eine zweite Möglichkeit ergibt sich durch die Anwen-dung der kenogrammatischen Arithmetik auf die Stel-lenwertlogik, wodurch sich eine Pluralität vonStellenvermittlungenjeweilsgleicherWertigkeiter-gibt,diesichgegenseitigreflexiveinbettenkönnen.Die Tatsache, daß das gesamte Sprachsystem selbstpolykontexturalbetrachtetwerdenkannundendlichgeschlossenist,verhindertalso,daßsichdieMeta-physik, der Phono– und Logozentrismus, reetabliert.

Die Bedeutung des Kontexturbegriffs liegt in derVermittlung von Zahl und Begriff. „Das logische Binde-glied zwischen Qualität und Quantität liegt im Begriffder Einheit ... Qualitäten sind letzten Endes nach He-geluniversaleLeerbereiche,diewirinunsererBe-trachtungalsKontexturenbezeichnetunddefinierthaben.“ Durch die Charakterisierung als Leerbereichoder als „domain which is characterised by an abso-lute uniform background“ ist gekennzeichnet, daß inderPolykontexturalitätstheoriedasVerhältniszwi-schen den Qualitäten, die Qualitätsabbrüche und Un-terschiede zum Ausdruck kommen. Die GrenzenzwischendenKontexturenhabendabeidiegleichestrukturelleFunktionwiediemetaphysischeGrenzezum Absoluten, sie ist in der Polykontexturalitätstheo-riesäkularisiertundvervielfältigt.Damitermöglichtsicheinelogisch–arithmetischeUnterscheidungvonintrakontextrualenunddis–ordertranskontexturalenPhänomenen. Als Theorie der Wirklichkeit bezeichnetGünther die Polykontexturalitätstheorie auch als Inter–Ontologie. „Sincetheclassictraditionknowsonlyasingle ontology it has no theoretical means at its dis-posal to describe phenomena which fall, so to speak,between different ontologies.“

AnderunterschiedlichenBestimmungderpoly-kontexturalenStrukturdurchlogischeundarithmeti-scheMittelläßtsichdieVerschiebungablesen,diedurch den Übergang vom logisch– semantischen Be-griff des Themas als Ausdruck für einen kontexturalenBereichzumBegriffderKontexturselbsteingetretenist.DielogischeSichtweisederThematikenthältim-mer noch ein Moment der reflexiven Distanz zur Weltoder anders ausgedrückt, die rein logische Beschrei-bung erfaßt noch nicht die volle Struktur der Wirklich-keit, weil sie zwar die Diskontexturalität einerbeliebigen Vielheit von Kontexturen modellierenkann, ihr aber die Mittel fehlen die Qualitätsdifferen-zenzuspezifizieren,alsoeineUnterscheidungzwi-schengleichenundverschiedenenQualitätenbzw.Kontexturenauszudrücken.Dieskannnurdurchdie

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Die Umgangssprach ist nicht mehr unhintergehbar – zur Dialektik von Formalsprache und Umgangssprache

124

kenogrammatische Arithmetik geleistet werden, diedie Kontexturen nach Gleichheit und Verschiedenheitzählt. Der Begriff der Qualität oder Kontextur läßt alsoerst das Kontingente der Struktur der Wirklichkeit her-vortreten.

Um das nochmals zu verdeutlichen, werden wirdas gegenseitige Verhältnis von Logik und ArithmetikimVerlaufedesGüntherschenForschungsprozessesdarstellen.DurchdieAnwendungderklassischenli-nearenArithmetikaufdiezweiwertigeLogik,wurdeüberdiearithmetischeingeführteVielheitderWerteeine neue logische Komplexität erzeugt. Die arithme-tische Ordnung der Vielheit ermöglichte eine Distribu-tion der einen zweiwertigen Logik durch dasStellenwertprinzip, d.h. sie ermöglichte eine logischeModellierung des einen und des Vielen. „The assump-tionthattheuniversaldominatestheparticularandthattherelationbetweenthetwoistotallynonambi-guous has governed all ontological reflections as wellas specific mathematical and logical endeavours formore than two millennia.“ Im Gegensatz zu dieser tra-ditionellenSubsumtionderVielheitunterdieEinheit,wird in der Stellenwerttheorie das Generelle im Begriffdes zweiwertigen Logiksystems vervielfältigt und ver-mittelt.AlsneuelogischeStruktureigenschafttrittda-beidieHeterarchiealsKomplementzurHierarchieauf.

Durch die Anwendung der Stellenwertlogik undder bei der logischen Forschungsarbeit entdeckten Ke-nogrammatikaufdieklassischeTheoriederNatürli-chenZahlenwirddieKomplexitätderArithmetikinGestaltdertabularenundderkenogrammatischenArithmetik auf den Stand der logischen Theorie geho-ben.InderkenogrammatischenArithmetikgehtesnicht einfach „from a given number to its Peano–suc-cessor but from a predecessor number with the speci-fic logical property X to a successor number with – letus say – the property Y“. Jede endliche Zahl ist ein Sy-stem von Zahlen, die in ihrer Mächtigkeit gleich sind,inihrerinnerenStrukturjedochvariieren.IterativesZählen des Gleichen und akkretives Zählen des Ver-schiedenen führen zu verschiedenen Resultaten.

Wenn nun in einer weiteren Anwendung die ke-nogrammatischeArithmetikaufdieStellenwertlogikangesetzt wird, erzeugt sie dort eine Vielheit von Stel-lenwertlogiken. Jede m–wertige Logik und die zu ihrgehörigetabulareArithmetikbestehtnunauseinerendlichenVielheitgleichwertigerStellenwertlogikenbzw. tabularen Arithmetiken, die sich alle hinsichtlichihrerDifferenzierungnachgleichenundverschiede-nen Kontexturen unterscheiden. Diese so in einer stu-fenweisengegenseitigenErweiterungvonLogikund

Arithmetik erzeugte Polykontexturale Logik regeltnicht mehr nur das Verhältnis des Einen und des Vie-len,sondernauchdasVerhältnisdesGleichenunddes Verschiedenen.

In der allgemeinen Begrifflichkeit der Polykontex-turalitätstheorie wird von der Universal– oder Element-arkontexturdieVerbundkontexturalskontexturalerZusammenhang unterschieden. „It cannot be toostrongly emphasized that the distinction between ele-mentary contexture and compound contexture is rela-tive.“ Die Begriffe bleiben trotz ihrer Abstraktheitdialektisch, ihre Anwendung hängt also vom jeweili-gen Standpunkt ab. Ontologisch gewendet bedeutetda: „Die objektive Wirklichkeit ist infolgedessen nichtetwas, was als an sich existierend festgestellt werdenkann, sondern was als Resultat eines Deutungsprozes-ses erscheint.“

Bezüglich des Verhältnisses zwischen Kontextu-ren werden zwei fundamentale Relationen unterschie-den. „ErstensdieUmtauschrelationzwischenzweisichgegenseitigauschließendenElementarkontextu-ren und zweitens die Relation zwischen Kontextur undTranskontexturalität.“ DiesesasymmetrischeVerhält-nis von Kontextur und Transkontexturalität, das uns dieMöglichkeitgibt,logischrechtsundlinksunddamitontologisch vorher und nachher zu unterscheiden(Zeitproblem), definiert den logisch strukturellen Kon-text.

Als relationstheoretische Komplementierung zurPolykontexturalitätstheorie und ihren zwei Diskontex-turalitätsvarianten (Symmetrie/Asymmetrie) kann dieProemialitätstheorieangesehenwerden.InderPro-emialrelationistderGrundmechanismusjedenkon-texturalenÜbergangsdargestellt.Beschreibensym-metrische und asymmetrische Relation die Diskontex-turalität im gewissen Sinne von außen, so ist die Pro-emialrelation eine interne Beschreibung desFunktionwechselsvonOperatorundOperandbeimÜbergang in eine andere Kontextur.

5 Die Umgangssprach ist nicht mehr unhintergehbar – zur

Dialektik von Formalsprache und Umgangssprache

Zum Schluß kommen wir nochmals auf die Kon-zeption der Negativsprachen zurück. Im neuesten vonGüntherdargelegtenVerständnissindNegativspra-chen nicht nur als Erweiterungen der Formalsprachenzu verstehen, sondern stellen ein neues Zusammenwir-

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ken von Formalsprachen und Umgangssprachen dar.Negativsprachen „sind als Erweiterungen der Natur-sprachengedacht“. „AllenatürlichenSprachenten-dieren auf Direktheit und Unmittelbarkeit hin. Sielassen sich nur schwer dazu bringen Vermitteltes aus-zudrückenundinsofernmansiedazuzwingt,raubtman ihnen progressiv ihren Mitteilungswert.“ Der Chi-asmus von Umgangssprache und Formalsprache aufdemHintergrunddesGegensatzesvonPositiv–undNegativsprache hat folgende Gestalt. Die klassischepositive Umgangssprache wird um der größeren Prä-zision willen auf die eindeutige Formalsprache redu-ziert, sie bleibt aber aufgrund ihrer größerenBeweglichkeit,sowiederfehlendenSelbstreferenzder formalen Positivsprache, deren Metasprache. BeiBeibehaltungdesKriteriumsderPräzisionwirdnundiebegrifflicheÜberdetermination,diedenSpiel-raumderUmgangsspracheermöglichte,indieFor-malsprache eingeführ t , die durch ihrepolykontexturaleStrukturzurNegativsprachewird.Damit ist der Vorteil der Umgangssprache in der For-malsprache aufgehoben. Da die Komplexität der Um-gangsspracheaberdurchdasPrinzipderEvidenz,d.h.ihrepositiveIntentioninengenGrenzenbleibt,wirdsiemitHilfederprinzipiellinihrerKomplexitätunbeschränktenformalenNegativsprachezueinernegativsprachlichen Umgangssprache erweitert. Da-mit ist der Gegensatz von Umgangssprache und For-malsprache auf die Ebene der Negativsprachewiederhergestellt,allerdingsinumgekehrterRang-ordnung.DienegativsprachlicheUmgangsspracheist nicht mehr oberste Metasprache. Im Zutrauen zurMaschine liegt der Zugang zu einer Kultur, in der dieUmgangssprachebewußtdurchUnterstützungderMaschineerweitertwirdundumgekehrtdassoge-wonnenenneuekulturelleSelbstverständnisweitereAspekte und Konzeptionen des Technischen eröffnet.

AufgrundderGüntherschenArbeitenundihrerWeiterführung durch R. Kaehr ist in der Frage der For-malisierbarkeit der Dialektik bzw. der Erweiterbarkeitder exakten Methoden des Denkens folgende Zuspit-zungerreichtworden.EineAblehnungderGünther-schen Konzeption steht vor der Aufgabe,

1) zu beweisen, daß die transklassischen Forma-lismen auf die klassische reduzierbar, einbettbar usw.sind bzw. daß die transklassischen Logik und Arithme-tikbloßkonservativeErweiterungenderklassischensind,

2) ist zu beweisen, daß der klassischen Form undRationalitätsbegriff, der klassische Begriff der Opera-tivitätusw.,dereinzigmöglicheist.Angesichtsder

Nicht–Begründbarkeit und Nicht–Verzichtbarkeit derklassischen Logik (H. Lenk) und der progressiven Logi-fizierungundMathematisierungvonWissenschaftundGesellschaftentstehtderPhilosophiedieunab-wendbare Pflicht, die Günthersche Konzeption gewis-senhaft auf ihre Fruchtbarkeit hin zu prüfen.

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Die Umgangssprach ist nicht mehr unhintergehbar – zur Dialektik von Formalsprache und Umgangssprache

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Neue Tendenzen in der KI–Forschung.

Metakritische Untersuchungen über den Stellenwert der Logik in der neueren Künstlichen–Intelligenz Forschung

1 Dreyfus’ Kritik

2 Fuzzy–Logic 763 Kritik der mehrwertigen Logik

3.1 Allgemeine Kritik

3.2 Kritik der Mehrwertigkeit als Basislogik der fuzzy logic

4 Context Logic

5 Extended Calculus of Indications

5.1 Das Problem der Selbstreferentialität

5.2 Der Calculus of Indications

5.3 Kritik des Calculus of Indications

5.4 Selbstreferentialität als Re–Entry

5.5 Der Extended Calculus of Indications mit seinen Axiomen

5.6 Kritik des ECI

6 Frage–Antwort–Systeme

6.1 Minimalbedingungen und Metakritik

6.2 Die Interrogativ–Logik

6.3 Die dialogische Logik

7 Linearität/Solipsismus/Polykontexturalität

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NEUE TENDENZEN IN DER KI–FORSCHUNG

Metakritische Untersuchungen über den Stellenwert der Logik in der neueren

Künstlichen–Intelligenz–Forschung

1 Dreyfus’ Kritik

Zu einem Zeitpunkt, da Minsky und mit ihm diemeistenamerikanischenAI–Forscher(AI:ArificialIn-telligence)derMeinungwaren,daßzwischendemmenschlichen Denken und einer Turing–Maschine imPrinzipkeinUnterschiedbestehe,alsoDenkenalsRechnen(mitZahlenundBuchstaben)interpretiertwurde, und daß in der nächsten Generation „the pro-blemofcreating’A.I.’willbesubstantiallysolved“,stelltederPhilosophDreyfusdieFragenachden „aprioriargumentsaboutwhatmachinescaninPrin-ciple do“. Damit stellte er die Frage nach den formal-logischenMöglichkeitenderBehauptungMinskys.(Dreyfus, 1968.)

Eine solche Frage mag zu einer Zeit rapider Ent-wicklung der AI als verfrüht erscheinen, heute, nach-dem selbst aus dem AI–Lager pessimistische Stimmenlaut werden (Weizenbaum, Bar–Hillel), scheint es not-wendig zu sein, sie neu zu stellen. Ebenso notwendigist es, den Weg der amerikanischen AI seit dieser Fra-gestellung(1968)nachzuzeichnen.Esseinebenbei

bemerkt,daßdieAI–ForschungderBundesrepublikDeutschland,diegerademitihrenEtablierungspro-blemen beschäftigt ist, auf diese metatheoretische Fra-gestellung, als sie von Cherniawski (TU Berlin) 1976(wieder)gestelltwurde,höchstirrationalreagierte(KI–Rundbrief 9. Mai 1977). Daher möchte ich mit al-lemNachdruckbetonen,daßselbstverständlichdieAufgaben, die innerhalb des klassischen Paradigmaszulösensind,vorrangigbehandeltwerdenmüssen,wenn nicht eine metakritische Reflexion deren Unmög-lichkeitnachweisenkann.EinemetakritischeMetho-denreflexion ist also sowohl als Korrektiv, (gegenfalsche Erwartungen) wie als Ort der systemtranszen-dierendenInnovation(gegenfalscheEinschränkun-gen)füreinekritischeWissenschaftlichkeitderKI–Forschung absolut notwendig.

Dreyfus’ philosophische Kritik an Minskys State-ment „There is no reason to suppose machines haveany limitations not shared by men“ besteht darin, daßeraufeinen „infiniteregress“ bzw.circulusvitiosusaufmerksam macht. Wird nämlich vorausgesetzt, daßdie Welt aus einer indefiniten Mannigfaltigkeit von In-formationseinheiten (bits) besteht, dann muß eine Ent-scheidung,bzw.einKontextanerkanntwerden,derangibt, welche Informationen für eine Berechnung re-levant sind. Wird dies zugegeben, dann besteht dieWelt nicht mehr homogen nur aus Informationen, son-dernauchausKontextenvonInformationen,imWi-derspruch zur Annahme. Wird jedoch der Kontext zurInformationerklärt,soentstehtderZirkel,daßdas,was die Information bestimmen soll, selbst Informationist. Wir stoßen hier auf das Problem des VerhältnissesvonInformationundBedeutung.Nachdemklassi-schen Paradigma wird Bedeutung auf Information re-duziert.DastransklassischeParadigmainsistiertaufder Irreduzibilität von Information und Bedeutung.

Die drei neuen Tendenzen in der Logikforschungder AI, die wir hier untersuchen, lassen sich als Versu-chedeuten,dervonDreyfusaufgedecktenantinomi-schen Situation (infinite regress) gerecht zu werden.

a)DieFuzzy–LogicversuchtdieAntinomienbil-dung dadurch zu verhindern, daß sie die eindeutigenRegeln aufweicht, zugunsten einer Logik der Vagheit,in der die strenge Dualität von Logischem und Antino-mischen aufgehoben ist.

b)DieKontext–LogicversuchtdirektdurchEin-führungeinesKontextbegriffes,derdenUnterschiedzwischenAussageundKontextderAussageermög-licht, den Regreß zu stoppen.

c) Der Extended Calculus of Indication (ECI) ak-

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Fuzzy–Logic

130

zeptiert die Antinomie als solche und gewährt ihr alsForm der Selbstreferentialität einen Platz im Formalis-mus. Den drei neuen Methodologien der KI–For-schung ist gemeinsam, daß sie nur konservativeErweiterungendesklassischenParadigmasleisten.Ihre praktische Bedeutung liegt in einer Optimierungökonomischer Probleme.

d) Ein qualitativ neuer Schritt wird in der Polykon-texturalitätstheorieGotthardGünthersvollzogen,in-sofern, als sie Subjektivität in den Kalkül hineindefiniert,erfülltsiealseinzigeKonzeptiondieDrey-fus’sche Kritik.

Damit wird der von den um H. v. Foerster versam-melten AI–Forschern geforderte Paradigma–Wechseleingeleitet,ercharakterisiertdieParadigmenwiefolgt: „ThelogicofourWesternindustrialcorporatesociety (with limited liability) is unidirectional, deduc-tive, competitive, and hierarchical, and the keystonesofitsparadigmaretheClaimtoObjectivityandtheTheory of Types, which exclude in principle the auto-nomy of paradox and of the individual. In the scientificrevolution that we now create and experience, howe-ver, we perceive a shift from causal unidirectional tomutualisticsystemicthinking,fromapreoccupationwith the properties of the observed to the study of theproperties of the observer.“ (v. Foerster/Howe, p.2)

2 Fuzzy–Logic

2.1 Die Konzeption der Fuzzy–Logic

Die Logik mußte sich schon immer der empiristi-schenKritikaussetzen,daßihrestrengeZweiteilung(Dichotomisierung, Dualisierung) der Begriffe und de-ren Hierarchisierung nicht der alltäglichen Erfahrungentspreche.ZwischenzweidisjunktenBegriffenlas-sensichimmerÜbergängefeststellen.DieGrenzenseinenfließend,Begriffsumfängevageundinexaktdefiniert...

DieserSituationauchimBereichdesFormalengerecht zu werden ist das erklärte Ziel der Fuzzy–Lo-gik. Zadehs Arbeit „fuzzy sets“ mit der 1965 die „Fuz-zyDecade“eingeleitetwurde,hateineLawinevonArbeiten zur Fuzzyfikation von formalen Konzepten in fast allen Bereichen geführt. (Zadeh, 1965, Gaines1977)

Es gehört wohl zum Wesen der fuzzy–logic, daßsiealsLogikderVagheitselbernichteindeutigdefi-niert wird. So existieren in der Literatur eine Fülle vonverschiedenen Definitionen der fuzzy–logic.

Im Unterschied zur klassischen Mengenlehre, wodie Element–Beziehung streng binär geregelt ist: „x istein Element der Menge M oder x ist nicht ein Elementder Menge M“ ... in Zeichen: „x ∈M oder (x ∉M)“, istdie Elementrelation in der fuzzy–sets theory quantifi-ziert, es gibt Grade im Intervall [0,1] der Elementrela-tion.

Also: A: S –––> [0,1], A∈S, Ax = i, wenn x ∈A, A S,

0≤i≤1x∈S, Ax = 1x∈ S, Ax = 1 Ax = 0,9 ........... Ax = 0

In Worten: Für jedes Element x aus der Menge Sist der Grad der Elementbeziehung von x zur MengeA gleich i. Für Ax = 1, also i = 1, ist x ein Element vonA, für i = 0 ist x nicht ein Element von A.

Für fuzzy sets gelten die Beziehungen: Vereinigung: A ∪ Bx = max (Ax, Bx)Durchschnitt: A ∪ Bx = min (Ax, Bx) Komplement: A’ = 1–Ax Teilmenge: A ⊆ B genau dann, wenn Ax ⊆ Bx, für

alle x aus S.

Auf der Basis der fuzzy sets wird die fuzzy logiceingeführt.

P und Q seien Variablen mit Werten im Intervall[0,1].

Die Funktoren seien ∨, ∧ ¬, →.

Die Semantik ist dann:

•Negation: /¬ P/ = 1 – /P/

•Konjunktion: /P ∧ Q/ = min (/P/,/Q)

•Disjunktion: /P ∨ Q/ = max (/P/,/Q/)

• Implikation: /P → Q/ = 1 gdw /P/ ⊆ /Q/.

Die Folgerelation ist definiert durch: P //–Q gdw /P/ ⊆ /Q/ für alle Bewertungen.

Der Unterschied zwischen klassischer und fuzzy Aus-sagenlogikwirddurchfolgendeGegenüberstellungverdeutlicht(Lakoff:Hedges,J.Philos.Logic,Vol.2(1973), p.466)

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Kritik der Fuzzy–Logic

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Die Formeln werden gültig in fuzzy logic für P, Q,Rgleich1oder0.GültiginFuzzylogiksinddieDe-Morganschen Gesetze, die Assoziativität, Distributivi-tät und Kmmutativität der entspr. Junktoren.

Vom Standpunkt der Logik aus wird die Mengen-lehreinderPrädikatenlogikformuliertundMengenwerden durch Prädikate bestimmt. Die „fuzzyfication“heißt nun also, daß die objektsprachlichen Prädikate„fuzzifiziert“werden,d.h.dasPrädikatPtrifftaufxnicht mehr zweiwertig, sondern mehrwertig zu. Damitist ein Übergang von der 2– zur Mehrwertigkeit voll-zogen,abernochnichtzurfuzzy–logic.Diesewirddadurcherreicht,daßzusätzlichurobjektsprachli-chen, eine metasprachliche „Fuzzyfikation“ von„wahr“ und „falsch“ vollzogen wird.

Im ersten Schritt wird eine Interpretation dermehrwertigen Logik geleistet und diese wird als Basis-logik der fuzzy–logic verstanden. Die fuzzy–logic be-zieht nun in einem zweiten Schritt ihre meta-sprachlichenWahrheitswerte,die„fuzzytruthvalu-es“ nicht als einzelne Werte, sondern als „fuzzy sub-sets“ aus dem Wertintervall [1,0] der Basislogik. Daeine„unmanageablecomplexity“entstehenwürde,wennalleUntermengenausdemIntervall[0,1]alsWahrheitswertezugelassenwürden,wähltZadeheineendlicheUntermengeaus,die„linguistictruth–values“ . „Truth“ z.B. ist dann eine linguistische Varia-ble mit der endlichen Anzahl von Werten „true“, „verytrue“,„notverytrue“usw.,wieetwaaufderobjekt-sprachlichenEbenedielinguistischeVariable„age“mitdenWerten„young“,„veryyoung“,„notveryyoung“ usw. Die fuzzy–logic hat also eine unendlich–wertige Basislogik und eine endlich–wertige Metalo-gik.

Beispiel: Eine Person a hat einen Zugehörigkeits-grad zur Menge der langen Menschen P von 0,3, d.h.Wert (Pa) = 0,3. Die Aussage „a ist lang“ besitzt in derBasislogik den Wert 0,3. Der Wahrheitswert von „aistlangmit0,3“erhältetwadenmetasprachlichenWahrheitswert „not very true“, da 0,3 ein nicht allzugroßer Wert ist.

DamitseidieKonzeptionderfuzzy–logickurzskizziert.

2.2 Kritik der Fuzzy–Logic

Die Kritik hat hier nur die Funktion zu untersu-chen, was von der fuzzy–logic prinzipiell geleistetwerden kann und was nicht. Die praktische Bedeu-tung der fuzzy–logic bleibt unangetastet. Die Kritikvollzieht sich in zwei Schritten:

1. Kritik der Metalogik und 2. Kritik der Mehrwertigkeit der Basislogik (siehe dazu §3)Die Kritik der Metalogik bzw. der „linguistic

truth–values“ zeigt, daß die linguistischen Wahrheits-wertesichlinguistischnichtbegründenlassen.IhreEinführungverstößtgegenlinguistischeRegelnundeineanderealslinguistischeEinführungderWahr-heitswerte wird von Zadeh nicht geleistet. Haack ar-gumentiert,daß„rather“,„fairly“,„somewhat“usw.alskomperativeAdverbienfürPrädikate(predicatesofdegress)zulässigsind,alsoetwain„rathertall“,„somewhattall“,jedochunzulässigfür„somewhattrue“, „fairly true“. (Haack, 1979)

Dazukommt,daß„rathertall“etwagleichbe-deutendistmit„quitetall“,währenddiesfür„quitetrue“ und „rather true“ nicht zutrifft; „quite tall“ kontra-stiert„verytall“,während„quitetrue“gleichgesetztwerden kann mit „very true“. Zudem läßt sich „quite“für komparative Prädikate wie in „quite tall“ nicht ne-gieren,also„notquitetall“istnichtzulässig,daje-doch„true“alskomparativesPrädikatfungiert,istauch „not quite true“ unzulässig.

Nach Frege, dem Begründer der mathemati-schenLogik,ist„wahr“keinkomparativesPrädikatwieetwa„schön“.Würdeesderfuzzy–logicgelin-gen,dielinguistischenWahrheitswertezubegrün-den,dannmüßtesiealsnicht–klassischeLogikaner-kannt werden. Haacks Analyse zeigt jedoch, daß diesnichtgeleistetwurde.DieKritikließesichentschei-dend radikalisieren, denn die fuzzy logic lebt davon,daß „wahr“ als Prädikat von Sätzen klassifiziert wird,diesgil tesjedocherstzubegründen.EsgibtguteGründeanzunehmen,daß„wahr“inderLogikgarkein Prädikat ist, sondern eben ein Wahrheitswert. Ar-gumente dazu finden sich bei Strawson (Truth, Analy-sis 9, 1949).

DieKonzeptionder„linguistictruth–values“istvon der fuzzy logic nicht begründet worden, diese istnichtgrundlagentheoretischinteressiert,sondernbe-mühtsichumpraktischeApplikationen,innovativeVerflüssigungvonKonzeptionenderMengenlehre,

P

Ungültiginfuzzy logic gültig in fuzzy logic P ∨ ¬P P → P P → (Q → P) (P → (Q→R)) → ((P→ Q) → (P → R)) →(P→Q (¬ P → ¬ Q) → (Q →P) ((P ∧ Q) → R) ↔ (P →(Q →R)) ¬¬ P ↔ P (P→(Q∧¬Q))→P (P ∧ ¬P) → P (P∧¬P → Q ((P → Q) ∧ ¬Q) → ¬PQ → (P ∨ ¬ P) (P → Q) → ((Q → R) → (P → R))

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Kritik der mehrwertigen Logik

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Systemtheorie, Linguistik usw. Auch von anderer Seiteist eine Begründung nicht erfolgt. Die Konzeption der„linguistctruth–values“läßtsichschonnurdeshalbnicht begründen, weil eine echte Erweiterung der Lo-gik auf der Ebene der Wahrheitswerte nicht möglichist. Der offensichtlich ideologische und praktische Er-folgderfuzzylogicbasiertwohlwesentlichaufderMehrwertigkeitnichtihrerMetasprache,sondernih-rer Objektsprache. Die klassische Theorie der Mehr-wertigkeit ist die Basislogik der fuzzy logic. Dieklassische mehrwertige Logik als solche braucht hiernicht dargestellt werden; sie ist keine neue Richtung inder Logikforschung. Ich beschränke mich auf eine zu-sammenfassende Kritik.

Wesentlich an der fuzzy logic ist wohl auch, daßsie sich nicht um Begründungsfragen kümmert, diesesetzen eine strenge Rationalität voraus und diese wirdvon ihr gerade infrage gestellt. Die fuzzy logic arbei-tet lokal und „empirisch“.

3 Kritik der mehrwertigen Logik

3.1 Allgemeine Kritik

Die Kritik an der mehrwertigen Logik läßt sichwie folgt zusammenfassen: Die Kriterien a) – –e) wer-den von den klassischen mehrwertigen Logiken nichterfüllt. Der Übergang von der 2– zur mehrwertigen Lo-gik–Konzeption muß folgende Kriterien erfüllen:

a) Die Mehrwertigkeit ist nicht auf eine beliebigeWertmengebeschränkt.JedeeinzelneWertanzahlmuß zugelassen sein.

b) Jeder einzelne Wert v, 0 ≤ v ≤ m, muß eine ei-genesemantischeInterpretationhaben,jederWertmuß generierbar sein und darf nicht bloß ad hoc ein-geführt werden.

c) Jede der mehrwertigen Funktionen muß inter-pretierbar sein. Es reicht nicht aus etwa nur die Kon-junktions–, Disjunktions– usw. Funktionen auszu-wählen.

d) Da die zweiwertige Logik ein Subsystem dermehrwertigen Logik ist, müssen die Gesetze der zwei-wertigen Logik in der n–wertigen enthalten sein. KeinGesetz darf amputiert werden, Insbesondere darfalso der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nicht ein-fach eliminiert werden.

e) Die n–wertige Logik muß zusätzlich zu d) eige-ne Gesetze und Prinzipien haben, die in der zweiwer-tigen Logik nicht formulierbar sind.

WegenderNichterfüllungdieserKriterienwur-

dendiemehrwertigenLogikenvonphilosophischerSeite zu Recht als „logoide Formalismen“ bzw. als ab-strakteKalküle,diejedochkeineeigentlichenLogik-kalkülesind,vonderklassischenLogikabgegrenzt,etwa: Günther, 1976, Haack, 1974, Scott, 1976.

Die einzelnen Kriterien und ihre Begründung fin-den sich in (Günther 1976 –1980).

Ein Kalkül ist nämlich erst dann ein Logik–Kalkül,wenn für ihn entweder eine semantisch–logische odereine dialogisch–logische Interpretation existiert.OhneeinesolcheInterpretation,dieselbstauchfor-mal bzw. formalisiert werden kann, bleibt ein Kalkülein ’leeres’ Zeichenspiel. Von der betreffenden, zumKalkülpassendenSemantikbzw.Dialogkonzeptionwird dabei angenommen, daß sie dem Vorverständ-nis von Logiken entspricht. Ein anderes Problem ist es,dieses Vorverständnis selbst zu begründen. Daß diesnicht gelungen ist, zeigt die Vielfalt der Logiksystemevon der klassischen bis zur dialektischen Logik.

Die Hauptaufgabe der Logikforschung ist dann,die Äquivalenz von abstraktem Kalkül (Syntax) und in-haltlicher Deutung (Semantik bzw. Pragmatik) zu be-weisen.

Im Gegensatz zur philosophischen Reservewächst das praktische Interesse an der mehrwertigenLogik in der KI–Forschung.

3.2 Kritik der Mehrwertigkeit als Basislogik der fuzzy logic

Der für uns wichtige Anspruch der fuzzy–logic istder, daß sie eine Analyse und Lösung der Antinomienund Paradoxien leistet. Antinomien waren immer derPrüfstein einer Logik. Für die fuzzy–logic ist eine Anti-nomie ein Prototyp der Vagheit.

Die Analyse der Antinomien durch die fuzzy–lo-gic,etwaderRussellschenvomBarbier,bzw.„derMenge aller Mengen die sich nicht selbst enthalten“,wiederholt die Einsicht der mathematischen Grundla-genforschung (Skolem, 1957), daß die Antinomie nurineinerunendlichwertigenLogikvermiedenwerdenkann.

Dadiefuzzy–logicnurinihrerBasislogiküberunendlichvieleWerteverfügt,reduziertsiesichaufdie unendlichwertige Logik. Eine unendlichwertige Lo-gik läßt sich jedoch wie längst bekannt, für den Auf-bau der Mengenlehre nicht gebrauchen, da erst in derzu begründenden Mengenlehre die unendlichen Zah-lenmengen eingeführt werden. Die unendlichwertigeLogik setzt also die Mengenlehre zu ihrer Begründungvoraus.Diesistjedocheincirculusvitiosus.DerAn-

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Die Konzeption der Context Logic

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spruch der fuzzy–logic läßt sich also nicht begründen. Unter methodologischen Gesichtspunkten

scheint sich die fuzzy–logic auf die mehrwertige Logikund diese auf die zweiwertige Logik zu reduzieren.

4 Context Logic

4.1 Die Konzeption der Context Logic

Ein wichtiger Schritt in Richtung einer Formalisie-rungderLogikdernatürlichenSprachewurdevonGoddard und Routley in dem umfassenden Werk „TheLogic of Significance and Context“ geleistet. Es wirdinallerDeutlichkeitgezeigt,daßeinewahr/falsch–Logik dem natürlichen Sprachgebrauch nicht ent-spricht.AußerhalbvonwahrenundfalschenAussa-gen gibt es immer auch nonsignifikante, d.h. sinnloseAussagen, die für das Funktionieren der Sprache not-wendig sind.

Die klassische Logik teilt die Aussagen ein in:

Aussagen

sinnvoll sinnlos

wahr falsch

und behandelt nur die wahr/falsch–Aussagen.

Der Versuch, die sinnlosen Aussagen einfach un-terdiefalschenzusubsumieren,istauseinemleichteinzusehenden Grund zum Scheitern verurteilt. Wür-de man dies tun, dann müßte, analog zu den echtenfalschen Aussagen auch für die sinnlosen gelten, daßihre Negation eine wahre Aussage darstellt. Dies istabernichtderFall.WiemansichleichtamBeispielklarmachen kann:

GegebenseidieAussagen:„Allerechtwinkli-gen Dreiecke sind gelb".

Diese Aussage ist sinnlos, da den Dreiecken alsabstraktengeometrischenEntitätenprinzipiellkeineFarbe entnommen kann. Würden wir diese Aussagenegieren, so könnten wir dies einmal so tun, indem wirdie ganze Aussage negieren: „Nicht alle rechtwinkli-gen Dreiecke sind gelb."; oder aber „Alle rechtwinkli-gen Dreiecke sind nicht gelb.". Beide Sätze sind abernicht als „wahre Aussagen" aufzufassen.

Die logic of significance ist dagegen dreiwertigmitdenWerten„wahr“,„falsch“,„sinnlos“.Siebe-

müht sich das Sinnlose auszuschließen bzw. es kurz-schlüssig unter das Falsche zu subsumieren, sondernversuchtdasSinnloseindenKalkülzuintegrieren.(Siehe auch Blau, 1978)

Die logic of significance wird zusammen mit dercontextlogicaufgebaut:Natürlich–sprachlicheAus-sagen sind nicht nur „wahr“, „falsch“ oder „sinnlos“,sondernihrWahrheitswerthängtauchvomKontextab, in dem sie realisiert werden.

In der zweiwertigen wie in der mehrwertigen Lo-gik gelten die Gesetze unabhängig vom Kontext. DieEinführungdesKontextbegriffesindieLogikisteineechte Bereicherung. Die Frage, die es zu entscheidengibt, ist die, ob der Kontextbegriff derart in die Logikeingeführtwird,daßdieKonzeptionderLogikvonGrund auf geändert wird, oder ob die Einführung nureine Logik des Kontextes, also eine Anwendung der ei-nen und einzigen Logik auf verschiedene Kontexte be-deutet. Im ersten Fall hätten wir ein Kontext–Logik alsEinheit von Logik–Theorie und –Applikation. Es gäbedann nicht eine solitäre und allgemeine Logik und ihrespeziellenAnwendungen,sonderneine„LogikderAnwendungderLogik“,alsoeinespezifischeLogikdesspezifischenGegenstandes.DieseKonzeptionsetzt allerdings einen Bereich der Kontextuierung vor-aus,derformalum-fassenderistalsderBereichderklassisch–logischen Form.

Im zweiten Fall haben wir es mit einer Logik desKontextes, also mit einer angewandten Logik zu tun,ähnlich wie etwa einer Logik der Zeit, der Frage, derPräferenz. Es soll nun gezeigt werden, daß die contextlogic eine angewandte Logik und nicht eine neue Ba-sislogik ist. Dies läßt sich leicht zeigen, wenn wir unsvergegenwärtigen,wiederGebrauchskontexteinesSatzes,derKontext,bzw.dasKontextsymboleinge-führt wird.

Gegeben seinen die Satzvariablen A, B, ..., dieJunktoren ∨, ∧, →, ¬ mit dem Metajunktor o

Die Formeln werden nun gebildet durch R1 : a) Satzvariablen A und Konstanten Ai sind

Formeln b) ist A eine Formel, dann ist auch (¬A) eine

Formel c) sind A und B Formeln, dann ist auch (AoB)

eine Formel. MitR1a)–c)sinddieFormelngleichgebildet

wie in der klassischen Aussagenlogik, mit dem einzi-genUnterschied,vondemwirjedochabsehenkön-nen,daßdieSatzvariablennichtnotwendigerweisesinnvolleAussagenzuseinbrauchen.DieLogikvon„sinnvoll/sinnlos“wirdindermehrwertigenlogicofsignificancebehandelt.ZurBildungdesKontextes

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Extended Calculus of Indications

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werden die Kontextvariablen c, d, ... und ihre Kotext-konstanten co, do , ... eingeführt

R 1: d) ist ein Kontextsymbol und A eine Formel,dannistA(O)eineFormel;vorausgesetzt,daßinAkeine Teilformel ein Kontextsymbol besitzt.

Beispiele:p(c):heißt„derSatzpinBezugaufKontext c“.

p → p (c); p ∧ q → p ∧ q (c); p (c), q (d) → p (c) ∧ q (d).

R 1 d) verbietet mehrfach kontextuierte Formelnwie: p (c)(d) und (p(c) ∧ q (c))(d)

IneinerFormelwiep(c)oq(d)istderJunktoronichtkontextuiert.DaaberdieseFormelwegenderProvisio von R 1 d) nicht kontextuiert werden darf, also(p(c)oq(c)(d)istnichterlaubt,bleibtsiealsGanzenicht kontextuiert.

Damit wäre aber die Context Logic in Frage ge-stellt. Aus dem Dilemma – entweder Mehrfachkontex-tuierung oder fragmentarische context logic (CL) – hilftdie Kontextdistributionsregel

R 1: e) ¬ (A) (h) = (¬A) (h) A(h) o B = A o B (h)

Beispiel: p(c) ∧ q(c) = p ∧ q (c)

4.2 Kritik der Context Logic

Was bezeichnen die Kontextvariablen? Die Kon-textvariablenhabenalsBereichMengenvonsignifi-kantenSätzen.KontextuierteAussagenwerdenalsodurch andere Aussagen kontextuiert. „A context is de-fined by a set of descriptions which give the time andplace of utterance, the topic of conversation, the iden-tificationsmade,andsimilardetailedinforamtion“.(Routley/Goddard,p.49).DerKontext,dasGanze,das den Sinn einer Aussage bestimmen soll, ist selbsteine Aussage. Der Sinn dieser kontextuierenden Aus-sage muß selbst durch einen neuen Kontext bestimmtwerden; dieser ist jedoch selber wieder eine Aussage,die kontextuiert werden muß, usw.

WirhabenalsoeinenunendlichenRegreß,ei-nen Zirkel, zwischen Aussage und Kontext:

Aussage Kontext

„All relevant features of the context, wether stan-dard or not, may be described by using sentences, sothat, from a logical point of view, a context may be

represented by a set of sentences, namely those whichspecify the content.“ (Goddard/Routley, p. 41)

DiesemRegreßbegegnetdiecontextlogicda-durch,daßsieihmmitderUnterstellungeinesStan-dardkontextes cs – „an agreed public Language“(p.61) – zum Stoppen bringt.

Methodologisch handelt es sich bei dieser Stra-tegie, den Regreß zu stoppen, um eine dogmatischeEntscheidung.DiesewirdjedochvonRoutley/God-dard nicht bewußt vollzogen, da sie sich der Proble-matikdesRegressesunddessenVermeidungnichtstellen.

Meine Kritik ist prinzipieller Art und kritisiert nichtdie praktische Bedeutung der context logic. Eine Kon-textlogik als angewandte klassische Logik ist von gro-ßerpraktischerBedeutungfüreineLogikdernatür-lichen Sprache und sollte daher von der KI–Forschungrezipiert werden.

Für praktische Zwecke läßt sich sinnvoll ein Stan-dard–Kontext Cs angeben und eine Kontextlogik die-ses Bereiches formulieren. Damit werden die internenSchwierigkeitennatürlichnichtgelöst,sondernnurverschoben.

5 Extended Calculus of Indications

5.1 Das Problem der Selbstreferentialität

Jeder Versuch Selbstreferentialität zu formalisie-ren steht vor dem Dilemma a) daß SelbstreferentialiätimRahmenderbestehendenLogikundMathematiknichtformalisiertwerdenkann;dieReichweitederMathematikwirdgeradedurchdenAusschlußderSelbstreferentialitätbestimmt,b)daßsichSelbstrefe-rentialität immer deutlicher als eine Grundstruktur derMaterieerweist(s.etwaEigen,Morin,Jantsch)undsich eine Formalisierung und Operationalisierung ge-radezu aufdrängt. Im Phänomen der Selbstreferentia-lität versammeln sich die Grundlagenproblemenahezu aller Wissenschaften. Die philosophische undmathematisch–logischeKonzeptionderWahrheit–und diese ist die einzige operative – basiert auf demPrinzipderObjektivation.D.h.daßzwischenIch/Nicht–Ich,Subjekt/Objekt,System/Umgebungeineklareunddeutliche,eineeindeutigeTrennungbe-steht. System und Umwelt sind unter dem Prinzip derObjektivation dichotom.

Der Wahrheitsbegriff ist also hetero–referentiell,Selbstreferentialität zerstört ihn.

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Der Calculus of Indications

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In dieser Situation kommt der Calculus of Indica-tions von George Spencer–Brown wie gerufen. Bean-spruchterdochmitseinemKonzeptdieIndikationnoch vor jeder Wahrheit und Falschheit einen Bereichdes Formalen eröffnet zu haben und dies mit sehr ein-fachen symbol–technischen Mitteln.

F.J.VarelahatineinerReihevonArbeitendenCalculus of Indications (CI) zur Formalisierung selbst-referentieller Systeme benutzt und weiterentwickelt.

Erschreibt „Ialsobelievethatnewpossibilitiesopended after the formulation of the calculus of indi-cations by G. Spencer Brown. By succeeding in goingdeepterthantruth,toindicationandthelawsofitsform, he has provided an account of the commonground in which both logic and the structure of any uni-versearecradled,thusprovidingafoundationforagenuine theory of general systems. ...he has also indi-catedawayofconstructingaunifiedformalismofself–reference“ (Varela,1975,p.6)(Unterstreichun-gen von mir, R. Kaehr)

SelbstreferentialitäterzeugtWidersprüche,Wi-dersprüche sind semantisch Wahrheitswertwider-sprüche, also muß ein Kalkül dessen Formkonzeption„deeper than truth" liegt für selbstreferentielle Prozes-se fruchtbar gemacht werden können. Es gilt also zuprüfen,wieweitdieserAnspruchrealisiertwerdenkann.

Widersprüche in einem Formalismus sind deswe-genkatastrophalundzuvermeiden,weilsieihnda-durch, daß jeder beliebige Satz aus einemWiderspruch ableitbar ist (A ∧ ¬A → B), trivialisieren.Dies gilt auch für die sog. „dialectical logic“ (Routley,Erkenntnis 14, 1979) in der spezielle Widersprüche„Pi ∧ ¬Pi“ zugelassen sind, die das System nicht trivia-lisieren, weil in ihm der allgemeine Widerspruch „A ∧¬A“, der hier einzig interessiert, nicht zugelassen ist.

5.2 Der Calculus of Indications

Da es sich beim calculus of indication um einenprinzipiell neuen und daher ungewohnten Kalkül han-delt,zitiereichinÜberstzungdeneinleitendenAb-schnitt aus dem Text „introductory comments“ von R.H. Howe und H. v. Foerster. „G. Spencer–Brown’s cal-culus of indications wird mit größter Kargheit durch ei-nen einzigen Operator (den Dist inktor) derverschiedenesgleichzeitigleistet,realisiert.Dawirkeine Indikation machen können, ohne eine Distinkti-on zu zeichnen, so wird dieses Zeichen, wenn es alsMarke benutzt wird, um den Zustand anzuzeigen, derdurch den Distinktor unterschieden wird, nämlich zumIndikator (denn der derart bezeichnete Zustand ist nun

der bezeichnete Zustand); ein Signal (Distinktionen si-gnalisierend); und ein Intentor (da der Gebrauch jeg-lichen Signals intendiert ist). Der Zustand, der nicht mitdem Zeichen makiert ist, ist der unbezeichnete (unma-kierte) Zustand. Die Regeln der Verkettung (Konkaten-ation)diesesOperatorszueinerprimaryarithmeticwerden von zwei Axiomen bestimmt (es werden keineweiteren benötigt).

Axiom 1 the law of calling (Das Gesetz des Be-zeichnens)

Der Wert einer wiederholten Bezeichnung ist derWert der Bezeichnung. Das heißt, wenn ein Name ge-nannt wird und dann noch einmal genannt wird, soentspricht der Wert, der durch die beiden Bezeichnun-gen zusammengenommen angezeigt wird dem Wert,der durch eine von ihnen angezeigt wird. Das heißt,für jeden Namen gilt: "erinnern ist nennen".

(In Zeichen: [e][ e] = [e] : A1 Die Form derVerdichtung)

Axiom2.Thelawofcrossing(DasGesetzdesÜberschreitens).

DerWerteineswiederholtenÜberschreitensistnicht der Wert des Überschreitens.

Das heißt, wenn beabsichtigt ist, eine Grenze zuüberschreiten und dann beabsichtigt ist sie noch ein-mal zu überschreiten, so entspricht der Wert, derdurchdiezweiAbsichtenzusammengenommenan-gezeigt wird dem Wert, der durch keine von ihnen an-gezeigt wird.

Das heißt, für jede Grenze gilt: wiederholtesÜberschreiten ist kein Überschreiten.

(In Zeichen: [[e]] = e : A2 Die Form der Strei-chung).“ Soweit (Howe, 1975).

Unüblicherweise wird das Leerzeichen nicht no-tiert, daher steht auf der linken Seite des Gleichheits-zeichens von A2 nicht.

(Anmerkung zur Übersetzung: „calling“ mußauch der Vieldeutigkeit des Indikators entsprechend,mit „rufen, rechnen, heißen, erachten und erwählen“inVerbindunggebrachtwerden,ebenso„crossing“mit „kreuzweise legen, durchstreichen, ausstreichen,widersprechen“.)

MitzweiAnfängenwirddie'primaryalgebra'etabliert (Spencer–Brown, 1969):

J1: Position : [[p] p] = pJ2: Transposition: [[p r] [q r]] = [[p] [q]] rTheoreme: c1: [[p]] = pc2: [pq] q = [p]qc3: [e] p = [e]c4: [[p] q] p = pc5: p p = p

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Extended Calculus of Indications

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c6: [[p] [q]] [[p] q] = pc7: [[[p] q] r] = [p r] [[q] r]

Der Calculus of Indications ist mit den AnfängenA1 und A2, der Initialen J1 und J2 und den Regeln derGleichheit vollständig und widerspruchsfrei. (statt desHakens „¬“, wird hier „[ , ]“ und als Leerzeicchen „e“notiert).

Wie der Autor der Principia Mathematica, Bert-randRussell,G.Spencer–BrownsLawofFormkom-mentiert, ist der CI „a new calculus of gret power andsimplicity“. (Orchard, p.101, 1975)

Durch seine Einfachheit und Strenge erzeugt derCI eine enorm optimierende Ökonomie im Bereich derForm. Eine Formel wie etwa ((p → q) ∧ (r → s) ∧ (q ∨s)) → (p ∨ r) reduziert sich in CI schrittweise von

[[[p] q] [[r] s] [q s]]] auf [[p] q] [[r] s] [q s ] p r auf [q s ] p r.

5.3 Kritik des Calculus of Indications

5.3.1 Der Widerspruch in der Konzeption des CI Zwischen der erkenntnistheoretischen Konzepti-

on des CI und der Konzeption der Indikation bestehteinWiderspruch.DieIndikationisthetero–referenti-ell, d.h. sie verlangt eine strenge Trennung zwischenIndikator(Observer)undIndikant(Marke).WerdieAufforderung „Drawadistinction,markit“ befolgt,produzierteinedistinction,hinterläßteinProdukt,eine Marke, die von ihm abgelöst und unterschiedenist.AndererseitsbestimmtBrowndasVerhältniszwi-schenObserverundMarkelakonischmitdemSatz„An Observer is also a mark“.

Ein Observer vollzieht eine Distinktion, ein Ober-server ist auch eine Distinktion, d.h. also eine Distink-tionvollziehteineDistinktion,eineMarkemarkierteine Marke.

Dem entspricht selbstverständlich nicht eine hete-ro–, sondern eine selbstreferentielle Form.

Zwischen Konzeption und Formalismus der Indi-kation besteht somit selbst ein Widerspruch.

5.3.2 Die Indikation ist nicht allgemeiner als der Wahrheitsbegriff

Varela versucht die Widersprüchlichkeit derSelbstreferentialität als eigene Form in seinen Kalkülzu integrieren. Diese Domestikation zerstört jedochdie Grundstruktur der Indikation, die Heteroreferentia-li tät,dennimECIgiltdasTNDnichtmehr,d.h.das

AxiomJ 1 [[p] p] ist ungültig. Die Trennung zwischenIndikatorundIndikand,diefürdenCIkonstitutivist,gilt nicht mehr. Der ECI liefert also nicht einen um eineneue Form erweiterten Kalkül, sondern schwächt, im-munisiert den Calculus of Indikation. Weiteres zu ECI,siehe $ 5.5.

Der Grund liegt darin, daß der CI, im GegensatzzuseinemAnspruch,nicht„deeperthantruth“geht.Läge er tiefer als das Wahre, dann dürfte bei seinerInterpretation als Logik keine Abhängigkeit zwischenWahrheitswert und Junktoren bestehen. Von den Inter-pretationsmöglichkeiten a) – d) sind nur a) und b) zu-lässig, d.h. nur sie erfüllen die Axiome des CI

Beispiel: [p] p = [e] p q [p] [e]a) ¬ p∧ p = F ∧ ¬ F b) ¬ p ∨ p = T ∨ ¬ T c) ¬ p ∧ p = T ∧ ¬ F d) ¬ p ∨ p = F ∨ ¬ T Des weiteren ist leicht zu zeigen, daß die Axiome

des CI sich bei den Interpretationen a) und b) als iso-morph zu den Axiomen der Boole’schen Algebra er-weisen und diese ist bekanntlich gerade die Algebrades Wahren.

Damit ist der Anspruch des Calculus of Indicati-ons, eine Domäne der Form unterhalb des Wahren er-öffnet zu haben widerlegt.

5.3.3 Kritik des Universalitätsanspruchs Indikationen vollziehen sich in einem und nur ei-

nem Indikationsbereich bzw. eröffnen einen solchen.Mit den Mitteln des Indikationskalküls läßt sich dieseBeschränkungaufeinenBereich,Kontext,Kontexturnicht legitimieren. Die Mono–Kontexturalität, die dasklassische Denken determiniert, ist die stillschweigen-de Voraussetzung der Indikationskonzeption sowohlvon Spencer Brown wie von Varela.

Die klassische Logik geht von den Aussagen, denExpressionen aus. Der CI dagegen von den Indikatio-nen. Expressionen sind Zeichen für etwas, also Reprä-sentamen; Indikationen dagegen Zeichen von etwas.Wissenschaft bestimmt sich durch den Gebrauch vonRepräsentamen.Indikationensindkontextspezifisch,determiniert durch den jeweiligen Standpunkt des De-signersbzw.Observersunddamitsubjektiv,vorwis-senschaftlich. So betrachtet sind Indikationensekundär, ihre Rationalität wird limitiert durch die Ra-tionalitätderExpressionen,durchdieRede,denLo-gos. Von einem transklassischen Standpunkt aus kehrtsich das Rangverhältnis von Expression und Indikationum. Durch die Einbeziehung des Designers in den For-

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Selbstreferentialität als Re–Entry

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malismus ist Kontext– und Standpunktabhängigkeitselbst ein formales Prinzip und muß nicht aus dem Be-reichdesFormaleneliminiertwerdenumdiesenzuetablieren.DamitreduziertsichdieAbsolutheitderklass. Standpunktunabhängigkeit (Allgemeinheit undAllgemeingültigkeit)zubloßeinerMöglichkeitdestransklass. Formalismus (siehe auch§§ 7.3 – 7.6).

Unter der Voraussetzung der Mono–Kontextura-litätbestehtallerdingszwischenIndikationundEx-pressioneinIsomorphismus:beidesinduntersichäquivalent,wennauchsemiotischentgegengesetztwie Begriff und Zahl. Das Dogma der Mono–Kontex-turalität stützt sich auf die Herrschaft der Expression.Es läßt sich daher sagen, daß der CI durch seine Fixie-rung an die Mono–Kontexturalität noch isomorph zurklass.Aussagenlogikist,daßerjedochdurchseineVerbindung mit dem Feld des Indikativischen Möglich-keiten ausgesetzt ist, die asymetrisch zur klassischenLogik stehen und die seine eigene Limitierung auf Iden-tität sprengen werden.

5.4 Selbstreferentialität als Re–Entry

Was den CI besonders interessant macht, ist dieMöglichkeiteinere–entryzubilden.D.h.eineFormkann in ihren eigenen Bereich eintreten, sich informie-ren. Diese Selbst–Information bzw. Selbst–IndikationwirdalsSelbstreferenz(SR)gedeutet.Damitwurdedurch Spencer–Brown die Hoffnung geweckt, der CIsei ein Kalkül für Selbstreferenz.

Varela hat in seiner Arbeit „A Calculus for Selfre-ference“ (1975, p.6) gezeigt, daß der CI mit re–entryzu einem Widerspruch führt.

Re–entry: Das re–entry wird folgendermaßen erzeugt: 1. Die Form [[a] b] läßt sich beliebig geradzahlig

erweitern zu [[a] b] = [[[[[[a] b] a] b] a] b] = [[[[ ... a] b] a] b].2. Es sei f = [[[[ ... a] b] a] b] , da f unendlich ist

läßt sich f = [[f a] b] bilden. Damit ist die Form f in ihren eigenen Definitions-

bereich eingetreten, sie in–formiert sich selbst. Damitist eine re–entry–Form erzeugt.

Varela zeigt (1975 p.6) durch einen einfachenGedankengang, daß der CI mit re–entry wider-spruchsvoll ist. Die einfachste Form von re–entry ist

1)f=[f] ,dieseFormseimitdem1.algebrai -schen Anfang J1 von CI in Beziehung gebracht

J1 [[p] p = [e]. Nach G. Spencer–Brown haben wir nun [f] f = [e] J1f f = [e] (1), d.h. für „[f]“ wird „f“ substituiert

f = [e] C1, C3 dabei ist C1: [[p]] = p und C3: [e] p = [e]

Diese Annahme führt jedoch zum Widerspruch.Denn wenn wir das Resultat in (1) einsetzen, erhaltenwir [e] = [[e]], im Widerspruch zu J1.

Zu f = [f] schreibt Kauffmann: „Yet f = [f] describesitself and in so doing leads to a temporal interpretati-on. If marked, it flips to the unmarked state and viceversa, so on and forever. It is a prototype for conden-sation of active and passive modes. First it names itsinterior space by reentry; then it becomes an operatorand cancels itself, but not quite. Ready to indicate, itjumpsupfromthevoidstateonlytofall,againandagain.“ (Int. J. General Systems, Vol. 4, No. 3, 1978,p. 180)

5.5 Der Extended Calculus of Indications mit seinen Axiomen

Statt nun wieder zu einer Wertlogik zurückzu-kehren, domestiziert Varela diesen Widerspruch, er-hebt ihn zu einer eigenen, autonomen Form, zumParadigma der SR. Symbolisch als „Schlange die sichin ihren eigenen Schwanz beißt“ (Uroboros): [] := f =[f].

Der um diese autonome Form erweiterte CI istnun der extended calculus of indications (ECI) mit sei-nen Axiomen:

J1: [e] w = [e] A1: [[p]q] p = pJ2: [[e]] = e A2: [[[pr][qr]] = [[p][q]] rJ3: [[]] = [] A3 : [p []] p = p []J4: [] [] = []

Der ECI wird in Varela (Varela, 1979) auch alsLogik vorgestellt. Die Logifikation von ECI hat den Vor-teil einer direkten Anknüpfung an die üblichen Metho-den der KI und läßt sich als Logik leichter einordnen.L (ECI) ist – wie nicht anders zu erwarten war – einedreiwertige Logik mit den entspr. Wahrheitstafeln undden Axiomen von ECI nun logisch gedeutet.

5.6 Kritik des ECI

1. Sowohl als dreiwertige Logik wie als extendedcalculus of indications ist der neue Kalkül schwächerals die ursprünglichen Kalküle CI und L(CI). Die neueForm „[]“ bzw. der neue Wert „3“ amputieren etwadie Formeln

a) [[p] p] = [e]b) [p q] q = [p] q undc) [[p] [q]] [[p] q] = pDie Formel [[p] p] = [e] ist dabei die Formel des

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Frage–Antwort–Systeme

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Satzes vom ausgeschlossenen Dritten (TND). Es istalso hier die Kritik an der mehrwertigen Logik zu wie-derholen (§3.3,d.)

2.WeitereKritikkönnenwirunsersparen,daVarela selber in (Goguen, Varela, 1978, p.299) ein-gesteht: „The results are not really satisfactory. It canbe done, but only through the introduction of certainad hoc rules that make the calculus awkward". In (Va-rela,1975,p.5)steht „Self–referenceisawkward".VarelasECIistsomiteinawkwardcalculusofawk-wardness.

3. Es muß aber betont werden, daß die ArbeitenVarelas die einzigen sind, die in radikaler Direktheitversuchen, das Problem der Selbstreferenz für die KI–Forschunganzugehen.NichtumsonstschreibtH.v.Foerster, „notre socrate electronique" (Morin, p.28),„with his calculus of the paradoxical, the self–referen-tial,theautonomous,Varelahasopenedforthefirsttime the possibility of a Calculus of Responsibility" (v.Foerster, p.3).

Wenn nun auf der elementaren Ebene des calcu-lusofindicationdasProblemnichtlösbarist,dannmußangenommenwerden,daßdiere–entry–Kon-zeptionvonSelbstreferenzaprioriauchmitkeinemanderen Kalkül lösbar ist. Es ist zu vermuten, daß diere–entry Konzeption selber dem alten Paradigma an-gehört und eine neue Konzeption der Selbstreferenzerstentwickeltwerdenmuß.EinenSchrittindieserRichtungdeutetVarelainop.cit.p.299selberan:„Whatmustbereexaminatedistheconnectionbet-weenre–entryandinfinityortime.Andthisismuchmoreanexaminationofthestructureofre–enteringforms, than the introduction of a value".

4. In allen Arbeiten Varelas läßt sich ein unkriti-scher Gebrauch des Unendlichen feststellen. DerÜbergang von der re–entre–Endschleife zur re–entry–Form„[]“istmitkonstruktivenMittelnnichtrealisier-bar, er bleibt daher unbegründet und ad hoc. (Weite-res dazu in$ 7.2)

6 Frage–Antwort–Systeme

6.1 Minimalbedingungen und Metakritik

Effizienz– und Disponibilitätsforderungen an dieMensch–Maschine–KommunikationhabenzurEnt-wicklung von Frage–Antwort–Systemen, zur Formali-sierungderDialogkonzeptionundderKonstruktionvon Frage–Antwort–Logiken geführt.

EineMetakritikderEpistemologiederFrage–

Antwort–Systeme,bzw.jeglicherDialogkonzeptionmuß

1) auf der Ebene der Logik dieser Systeme ange-siedelt sein und muß

2) untersuchen, welches Verhältnis zwischen Fra-ge–undAntwortsystemreinlogischbesteht.IstdasVerhältnis hierarchisch, dann handelt es sich um eineuneigentlicheFrage–Antwort–Logik,istesheterar-chisch, dann handelt es sich um eine eigentliche Fra-ge–Antwort–Logik.EineeigentlicheFrage–Antwort–LogikmußvonderGleichursprünglichkeit(Heterar-chie) von Frage– und Antwort–Sprechhandlungen be-anspruchenjeeineneigenenSpielraum,d.h.eineeigene Logik.

3) müssen diese Logiksysteme über ein drittes ver-mitteln und dürfen nicht unter das dritte System subsu-miert werden.

DieForderungen1)–3)stellenMinimalbedin-gungen für Frage–Antwort–Systeme dar.

AllebekanntenFrage–Antwort–Systeme,alsodieInterrogativ–Logik(eroteticallogic),diedialogi-sche Logik (Lorenzen), die prädikatenlogischen usw.Frage–Antwort–SystemeerfüllendieMinimalbedin-gungen 1)–3) nicht. Sie subsumieren allesamt dieForm der Frage–Sprechhandlung unter die Form derAntwort, dabei wird die Antwort als Behauptung, Aus-sage, Urteil gedeutet.

EineAntwortistjedochprimärkeineBehaup-tung, sondern das Korrelat einer Frage. Eine Behaup-tung(Aussage,Urteil)kannunabhängigvoneinerFragegemachtwerden;epistemologischentsprichtihr die Ich–Es–Relation. Behauptungen werden von ei-nem (transzendenten) Subjekt über die Beschaffenheiteines Objektes gemacht.

AntwortendagegenstehenepistemologischinderIch–Du–Relation.EinSubjektfragtoderbefragteinanderesSubjektunderhälteineAntwort.BeideSubjekte haben den Es–Bereich als gemeinsame Um-gebung. Eine Antwort kann daher, wenn sie von derIch–Du–indieDu–Es–Relationverschobenwird,alsBehauptung eines Dus erscheinen. Die Reduktion desFrage–Antwort–Modells auf das Modell der Behaup-tung(Aussage,Urteil)heißt,daßdieepistemologi-sche Differenz zwischen Ich und Du als logischirrelevanterklärtwird.DieBehauptungdesIchsunddie Behauptung des Dus werden unter eine transzen-dente Subjektivität, unter ein Über–Ich subsumiert. Ge-gendieHierarchisierungvonFrage–undAntwort-systemen im weitesten Sinne sei folgende Argumenta-tion angeführt.

Aristoteles teilt die Sätze in drei Satzformen ein: a) Begehrungssätze (Bitten und Befehle)

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Die Interrogativ–Logik

139

b) Fragen c) Aussagen (Behauptungen, Urteile)

Die Logik handelt nur von Aussagen. Eine Aussa-ge ist ein Satz, der entweder wahr oder falsch ist. DieAussagen wiederum werden unterteilt in:

a) allgemeine b) partikuläre c) bejahende d) verneinende

FürdieAristotelischeLogiksinddiefolgendenKombinationen relevant:

1. allgemein bejahende 2. partikulär bejahende 3. allgemein verneinende 4. partikulär verneinende

Damit sind alle Subsumtionsverhältnisse, die fürdie Aristotelische Logik relevant sind, angegeben. DieLogik ist gerade die Lehre dieser Subsumtionsverhält-nisse.DerBegriffderSubsumtionistalsonurimBe-reich der Aussagen definiert und gültig. Da die Sub-sumtion nur innerhalb der Aussagensysteme gültig ist,kann das Verhältnis von Fragesatz und Aussage nichtselbst wiederum subsumtiv geregelt sein.

Genau genommen kann es somit gar keine LogikderFrage–Antwort–Systemegeben.DaAristotelesdie Sätze trotzdem in drei verschiedene Bereiche auf-geteilthat,sindwirgezwungen,zusätzlichzurSub-sumtion und deren Hierarchisierung, noch ein zweitesTeilungsprinzip anzuerkennen. Da dieses kein Prinzipder Unter– und Über–ordnung (sub–sumtion, sub–or-dination) sein kann, muß es, soll es sich dabei um einenachvollziehbare Ordnung (ordination) handeln,eine Neben–ordnung, eine Ko–ordination sein. In deraristotelischenEinteilungderSätzesindsomitzweigegensätzlichePrinzipienwirksam:dasPrinzipderHierarchie und das Prinzip der Heterarchie. Das letz-tere greift rückwirkend in den Bereich der Prinzipienein und dynamisiert ihn.

DiearistotelischeTraditionunddiemitihrver-bundeneKonzeptionvonWissenschaftlichkeitüber-hauptistbekanntlichdemPrinzikpderHierarchiegefolgt und hat bis heute das Prinzip der Heterarchieund mit ihm alles Mehrdeutige, Überdeterminierte, Pa-radoxe usw. in den Orkus des Irrationalen abgescho-ben.

Fragesätze unter Aussagen subsumieren zu wol-len,heißtdasallgemeineVerhältnisvonFrageundSatz zu verkehren.

Satz Aussage

Aussage Frage Begehren Frage Begehren

Wenn Aussagen den Status von Sätzen einneh-men, können bzw. müssen Fragesatz und Begehren-satz unter sie subsumiert werden. Diese Konstellationist charakteristisch für autoritäre Systeme, da jede Fra-ge in den Bereich der schon gefällten Aussagen, Urtei-le,Behauptungengewiesenwird.DieseKonzeptionläßt sich mit Erfolg für EDV–Systeme anwenden, redu-ziertjedochdieMensch–Maschine–Kommunikationauf eine mechanische Ich–Es–Relation. Unter der Herr-schaft der Logik ist allerdings eine andere als subsum-tive bzw. hierarchische Ordnung zwischen denSatzformen nicht denkbar.

Spontaneität und Kreativität im Frage– und Ant-wortverhältnis ist nur möglich, wenn die Frage aus derSubsumtion der Aussage entlassen wird und beide Sy-steme ihre je spezifische Eigengesetzlichkeit zur Gel-tungbringenkönnen.Dialogemitbewußtseinsana-logen Maschinen müssen also davon ausgehen, daßzwischenFrage–AntwortsystemennichteineHierar-chie, sondern eine Heterarchie das Verhältnis regelt.

6.2 Die Interrogativ–Logik

führt auf der Grundlage der Aussagenlogik, alsoeinerLogikderUrteile,diverseFrage–Funktoreneinund untersucht die Gesetze dieser durch jene Funkto-ren erweiterten Logik. Wie die Context Logik ist auchdie Interrogativ–Logik eine angewandte und keine rei-neLogikunddahernurfürbeschränktepraktischeZwecke geeignet.

Wie sich das hierarchische Verhältnis zwischenAussagen und Fragen im logischen Formalismuszeigt, sei kurz dargestellt. Die Hierarchisierung zeigtsichnichtimmeroffenundoftsuggeriertdieDarstel-lung das Gegenteil.

So schreibt J.A. Petrov klar, daß Aussagen„wahr" oder „falsch" sind, Fragen jedoch wederwahr noch falsch. Fragen sind „korrekt" oder „inkor-rekt". Da Petrovs Erotetical Logic (1969) (Fragelogik)die Gültigkeit der klassischen Aussagenlogik unange-tastetläßt,enthältsiezweiverschiedeneFormelsor-ten:

a) reine aussagenlogische Formeln mit den Wer-ten "T" (True) und "F" (False), also p,q ∈{T,F}

b)FormelnmitdemOperator"?",alsoFragenmit den Werten "C" (Correct) und "I" (Incorrect), also

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Linearität/Solipsismus/Polykontexturalität

140

A,B∈ {C,I} Es scheint als ob Frage– wie Aussagesystem au-

tonom wären. Beide haben ihre je eigene Semantik.Für Aussagen gilt etwa

(A ∧ B = T) ≡ ((A = T) und (B = T)) und für Fragenetwa

(A ∨ B = C) ≡ ((A = C) oder (B = C)) und für dieMischformen

((A ∨ p) = T ) ≡ (A = C) und ((P → A) = C) ≡ ((A =C) und (p = T)).

Die Herrschaft der Aussagen (logik) über die Fra-ge (logik) verrät sich jedoch an der Definition der Ne-gation, diese gilt nämlich nur für die Aussagen:

((¬ p) = T) ≡ (p = F) ((¬ p) = F) ≡ (p = T) jedoch ((¬ A) = C) ≡ (A = C) D.h. die negierte Frage ist korrekt genau dann,

wenn die unnegierte, positive Frage korrekt ist. Mit an-deren Worten: „This rule is substantiated in that, if the-re is an answer for a negative question, then there isan answer for the positive question, and vice versa."(Petrov, 1969), 19)

Die Korrektheit der Frage wird also auf dieWahrheit der Antwort (Aussage) reduziert. Die Nega-tion kann die Wahrheit und Falschheit der Aussage re-geln, jedoch nicht die Korrektheit und Inkorrektheit derFrage. Inkorrekte Fragen werden in Abhängigkeit zufalschen Aussagen definiert:

((A ∧ p) = I) ≡ ((A = C) und (p = F)) ((p → A) = I) ≡ ((p = F) und (A = C)) Damit ist angezeigt, daß die Fragelogik Petrovs

dieFrageformunterdieLogikderAussagensubsu-miert,obwohlerdenFrageneineeigeneSemantik(Correct/Incorrect) zugesteht. Die Semantik der Fragewäre nur dann autonom, wenn sie eine eigene Nega-tion besitzen würde. Eine zweite mit der ersten gleich-rangige Negation würde jedoch gegen die logischeForderung der Eindeutigkeit verstoßen und damit denRahmen des Logischen sprengen.

6.3 Die dialogische Logik

von Lorenzen und Lorenz ist eigentlich keine Fra-ge–Antwort–Logik. Sie benutzt den Dialog zwischeneinem Proponenten, der eine Aussage behauptet undeinem Opponenten, der diese angreift, als metatheo-retischeBeweismethodefürlogischeAussagen,dieper se keine Frage–Funktoren enthalten. Diese Metho-de läßt sich für klassische, intuitionistische usw. aberauch für mehrwertige Fuzzy–Logiken mit Erfolg benut-zen. (Giles, 1976)

DerDialogzwischenOpponentundProponentgilt ausschließlich der dialogischen Wahrheit d.h. derGewinnbarkeit im Dialog und nicht dem Dialogi-schen. Die Dialog–Partner haben eine ausschließlichdienende Funktion. Es kann nie der Fall eintreten, daßbeide zugleich, jeder von seinem Standpunkt aus, zurWahrheit gelangen und damit eine dialogischeWahrheit realisieren.

Das TND, das in der dialogischen Logik bezüg-lich der Wertdefinitheit der Aussagen abgelehnt wird,erzwingtseineGültigkeitaufdermetatheoretischenEbene zwischen Opponent und Proponent: entwederder Opponent oder der Proponent gewinnt einen Dia-logumeineAussage,einDrittesistausgeschlossen.DieseBeschränkungaufnurzweiDialog–Partneristdialogisch nicht begründbar. Warum nicht eine Viel-zahl von Kommunikations–Partnern? Doch nur deswe-gen,weilesderDialoglogiknichtumeinenDialog,sondern um die (eine und einzige) Wahrheit geht. DieDialoglogik ist die Logik des sokratischen Dialogs undleugnet die Polylogik.

ImUnterschiedzuallenhieruntersuchtenLogi-ken, ist die Dialoglogik, obwohl in ihr das TND auchnicht gilt, nicht auf eine mehrwertige Logik zurückzu-führen. Lorenzens Kritik führt zu einer Ablehnung jeg-lichervorgegebenerWahrheitswert–Semantik.DieDialogdefinitheit der Aussagen erweist sich als allge-meiner als die Wertdefinitheit.

Epistemologischbetrachtet,handeltessichbeiderDialoglogiknichtumdieIch–Du–Relation,son-dern um die Ich–Es–Relation. Durch das Paar Oppo-nent–Proponent wird nicht eine Ich–Du–Differenzmarkiert,sondernnurdieDifferenzvondenkendemund gedachten Ich. Die Dialogkonzeption der Dialog-logik entspricht somit dem Monolog. Zu Recht schreibtLorenzen/Lorenz (1978, p.VII): „Die ’dialogische’ Lo-gik ist keine neue Logik –...".

7 Linearität/Solipsismus/Polykontexturalität

7.1 Zusammenfassende Kritik

Die drei Tendenzen (Fuzzy–Logic, Context–Lo-gic, Extended Calculus of Indications) lassen sich ver-stehen als erneute Versuche, das Gödelsche Theorem,das als metalogisches Theorem die immanenten Gren-zenjeglicherKI–Forschungangibt,zuum–,hinter–,übergehen, ohne dabei direkt an Ergebnisse und Stra-tegien zur Vemeidung von Antinomien in der älteren

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Kritik der Linearität

141

Logikforschung anzuknüpfen. Alle drei Tendenzen sind aufs engste mit der

mehrwertigenLogikverbunden.Diecontextlogicistzwar per se nicht mehrwertig, sie gilt für die 2–wertigewie für die m–wertige, sie erhält jedoch ihre volle Be-deutung erst im Zusammenspiel mit der logic of signi-ficance, die nicht nur eine drei–wertige Logik ist, son-derndieseaucheindrücklichzurehabilitierenver-sucht. Der ECT ist zwar als indikativer Kalkül der FormnochkeinLogikkalkül,arbeitetjedochmitdreibzw.unendlich vielen Grundformen. Die Logifizierung vonECIlieferteinenm–wertigenLogikkalkülàlaKleenemit dem Unterschied, daß die Werte nicht ad hoc ein-geführt werden, sondern in ECI generiert werden.

Bei den genannten Erweiterungsversuchen – wieauchallenanderenmirbekannten„Alternativ–Logi-ken" – handelt es sich im Prinzip darum, innerhalb desformalenSystemsParametrisierungenvonSystemva-riablen vorzunehmen und Systemkonstanten zu va-riablisieren.

Im nachhinein läßt sich sagen, daß keine wesent-lich neuen Ergebnisse erzielt wurden – außer eine Fül-le von praktischen Methoden und Applikationen. Es istdaher nich verwunderlich, daß von rein logischer Sei-te sowohl die fuzzy logic wie auch die mehrwertige Lo-gikinihrenAnsprüchenneueLogikenzusein,starkkritisiert wurden (Haack, 1974 und Scott, 1976).

7.2 Kritik der Linearität

Fragt man sich, was der eigentliche Grund fürdas tendenzielle Scheitern der verschiedenen skizzie-ren Kalküle ist, so läßt sich folgende Antwort geben.

AllenKalkülengemeinsamundvonkeinerTen-denzhinterfragtsinddieallgemeinensemiotischenundimSpeziellenarithmetischenVoraussetzungen.Jeder Kalkül ist erst einmal nichts anderes als ein for-males System mit einem Zeichenrepertoire und diver-senVerknüpfungsregelnundhatzurGrundlagedasInduktionsprinzip In: P(0) ∧ ∀n(P(n) →P(n+1)) → ∀nP(n). Worten: Wenn eine Eigenschaft P dem Aus-gangsobjekt O zukommt und wenn aus der Tatsache,daßsieeinenbeliebigenGegenstandnzukommt,folgt, daß sie auch dem Gegenstand n+1 zukommt, sokommt die Eigenschaft P allen Gegen-ständen zu.

Das Induktionsprinzip ist kein logisches, sondernein spezifisch arithmetisches Prinzip. Es setzt die prin-zipielle Linearität und Lückenlosigkeit (Konnexität) derReihedernatürlichenZahlenvoraus.MitanderenWorten, es hat zur Voraussetzung die Einzigkeit derReihedernatürlichenZahlen(KategorizitätdesPea-no–Axiomen–Systems). Es gibt nur eine Reihe der na-

türlichenZahlenundallesMathematischeundauchalle Kalküle versammeln sich letztlich auf dieser Linie.Die Linearität ist das Grundprinzip aller Formalismen.

Es ist daher kein Zufall, daß Spencer–Brown vonseinen Lesern nicht mehr an Voraussetzung verlangt,alsebengeradediesesunhinterfragteVertrauenindie Reihe der natürlichen Zahlen.

SchoneinErnstnehmenderMetaphorik„Linie“zeigt, daß der „Kreis“ (die Selbstrückbezüglichkeit) in-nerhalbdesKalkülsderLinearitäteinWunschtraumbleiben muß.

DerWunschtraumheißt:Eine„Linie“wirdim„Unendlichen“ zum „Kreis“.

Wiederholenwirv.FoerstersExplikationderBrownschenundVarelaschenre–entry(Uroboros)–Spekulation: „f(X)seidieFormeineralgebraischenFormel, dann lassen sich Formeln beliebiger Länge er-zeugen: y=f(n) (Xn).“

Fü rn–> ∞ erhaltenwireinenrekursivenAus-druckunendlicherLängeundwegenderGleichheitvon

y = lim f (n-1) (xn-1) = lim f (n) (xn) n –> ∞ n –> ∞

erhaltenwiry=f(y).alsof=[f]unddieserAus-druckwirdvonVarelamitdemSymbolfürre–entry,selfreference,autonomy„[]“bezeichnet“.(v.Foer-ster, 1975.)

Unter der Voraussetzung der Abstraktion der po-tentiellenundderabsolutenRealisierbarkeit(Petrov,1971)läßtsichdieseKonstruktionwohldenken,sieläßt sich jedoch nicht operativ und faktisch realisieren.Die Aufgabe der KI–Forschung ist jedoch die faktischeRealisationundnichtdieabstrakteSpekulation.Dieeinzige Tendenz in der mathematischen Grundlagen-forschung, die sich wagt die unbeschränkte GültigkeitderAbstraktionderpotentiellenRealisierbarkeitzuhinterfragen, ist der Ultra–Intuitionismus. Von philoso-phischer Seite ist es die auch mathematisch radikalerePolykontexturalitätstheorie Gotthard Günthers. BeideTheorien sind noch wenig erforscht und haben Anlaßzu absurden Mißverständnissen gegeben. Die unkriti-scheÜbernahmedesPrinzipsderpotentiellenReali-sierbarkeitausderMathematikindieKI–Forschungbringt diese in Widerspruch zu ihrem Prinzip derMachbarkeit. Machbar ist danach nur das, was finitundeindeutigformulierbarist(McCullochundPitts(1965)).

Der Ultra–Intuitionismus ist nun in der Lage zu zei-gen, daß nicht einmal die natürlichen Zahlen finit undeindeutigdefinierbarsind.DienatürlichenZahlenund ihre Arithmetik sind jedoch der Prototyp einer kon-struktiven,d.h.machbarenTheorie.DieEinführung

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Linearität/Solipsismus/Polykontexturalität

142

der natürlichen Zahlen unter dem Postulat der Einzig-keitderReihedernatürlichenZahlenführtzueinemZirkel: die einzuführenden Zahlen werden bei der Ein-führungalsschonexistentunddisponibelvorausge-setzt. Die klass. Logik verbietet jedoch Zirkelschlüsse.

D.h.eineZahlZnwirddefiniertalsdien-facheAnwendungderNachfolgeoperationXaufdieAn-fangszahl (Null) Y, also

Xn Y = X(X(...(XY)...)) für n>0 n-fach X (n ist Schrittzahl) und X0 Y = Y

DieZahl1012 wirddanachdefiniertdurchdie1012-fache Anwendung der Nachfolgeoperation aufdie Anfangszahl: Z10

12 = X1012 Y = X(X(...(XY)...) 1012X - fach Woher weiß man, daß 1012 eine Zahl ist? Offen-

sichtlich muß schon vor der Konstruktion der Zahl1012 bekannt sein, daß sie eine in der Reihe der na-türlichen Zahlen vorkommende Zahl ist, sonst ließe siesich ja nicht als Schrittzahl benutzen. Würde sie in derZahlenreihenichtvorkommen,würdesiedurchdieSchrittzahl gerade konstruiert und würde somit im Wi-derspruch zur Annahme doch vorkommen. Kommt siejedoch vor, so entsteht ein Zirkel, da sie, will man siekonstruieren, sich selbst als Schrittzahl voraussetzt.

Dieser Zirkularität entgeht man nur dann, wenndie traditionelle Annahme der Eindeutigkeit der ReihedernatürlichenZahlenaufgegebenwirdundeineVielzahl von Zahlenreihen und eine Vielzahl von kor-respondierenden Logiksystemen zugelassen wird.(Yessenin–Volpin, 1970 und Günther, 1979)

DieaufgewieseneprinzipielleZirkularitätmagin der Reichweite der endlichen, konkret erzeugbarenZahlen nicht ins Gewicht fallen, da die Existenz der je-weiligen Schrittzahl gesichert ist. In der KI–Forschungsind jedoch kleine Zahlen uninteressant, selbst astro-nomische Zahlen erscheinen bei der Modellierung ko-gnitiver Funktionen als recht klein.

GroßeZahlenwerdenleichtdurchdiePotenz-funktion erzeugt: e(m,n) = mn.

DiePotenzfunktionläßtZahlkonstruktionenzu,die durch Addition und Multiplikation allein nichtmöglichsind,soetwadieBernayszahl67 (257729).Jede Komponente dieser Zahl ist faktisch realisierbar.Bei dem Versuch die faktische Realisierbarkeit der Ber-nayszahlzubeweisen,entstehtderbekannteZirkel,daß diese als Schrittzahl der Induktion vorausgesetztwerden muß.

Parikh hat nun in einer wichtigen Arbeit (Parikhp.26)beweisenkönnen,daßdiePotenzfunktione

(m,n) = mn nicht faktisch realisierbar ist. D.h. daß dieZahl mn faktisch realisierbar sein kann, z.B. 102, daßjedoch aus zwei Zahlen m, n die faktisch realisierbarsind,diePotenzfunktione(m,n)nichtfaktischreali-siert werden kann: die arithmetische Formel ∀(x) ∀(y)∃(z) (xy= z) ist nicht faktisch realisierbar.

Das KI–Prinzip der faktischen Machbarkeit (Mc-Culloch–Pitts) trifft also nicht einmal für das elementar-steInstrumentariumderKI–Forschungselbstzu.DieBindung der Machbarkeit an die Eindeutigkeit ist alsonicht haltbar. Eindeutigkeit heißt logisch (Zweiwertig-keitund)Hierarchie.EsistbisheutevonderKI–For-schung übersehen worden, daß McCulloch schon1945 sich gezwungen sah, das Hierarchieprinzip zuergänzen.HeterarchienerzeugenzirkuläreRelatio-nen und verstoßen damit gegen ein Hauptgesetz derLogik, nämlich gegen die Transitivität. Statt a ⇒ b, b⇒ c. ⇒. a ⇒c entsteht a ⇒ b, b ⇒c. ⇒. c ⇒ a.NachMcCulloch entstehen Intransitivitäten aufgrund irredu-ziblerKomplexität.WeiterArgumentedazu,siehe(Kaehr, Das Meßproblem... §2, 1980).

Das Problem des potentiellen und des aktuellenUnendlichen–voneinerKritikdesAktual–Unendli-chen sehen wir ab, da es schon vom Konstruktivismus(etwa Lorenzen) kritisiert wird – taucht in allen von unsskizzierten Kalkülen auf:

a) Für die Konstruktion einer einzelnen Form fürSelbstreferentialität in ECI, nämlich „[]" ist das Aufge-bot unendlich vieler re–entry–Schritte nötig. Nämlich1)dasPotentiell–UnendlichealsSchrittzahlderre–entry und 2) das Aktual–Unendliche als finite Form indem die potentielle Unendlichkeit der Schrittzahl auf-gehoben ist.

b)FürdieVermeidungeinerantinomischenSi-tuation mit Hilfe der mehrwertigen Logik sind unend-lich viele Werte erforderlich.

c) Die Context Logic stoppt den unendlichen Re-greß durch einen Universalkontext, der selber von un-begrenzter Extension ist.

d) Die dialogische Logik vollzieht den Übergangvon den materialen zu den formalen Dialogen durcheine „Einsicht“, womit sie sich als intuitionistische Lo-gik auszeichnet. (Lorenzen, p.2, 1978)

7.3 Solipsismus–Kritik

Betrachten wir die oben skizzierten Logik– undKalkülkonzeptionen, so fällt auf, daß sie alle eine so-lipsisitische Grundlage haben.

Ein Subjekt, ein Observer usw. vollzieht – etwaim CI oder ECI – eine Distinktion in einem Distinktions-

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Polykontexturalitätstheorie

143

bereich, macht eine Aussage im Aussagenkalkül usw.DasSubjektdieserTätigkeitenbleibtjedochaußer-halbdesKalküls,derKalkülerscheintalssubjekt–bzw.standpunktunabhängig.D.h.jedoch,daßallekonkreten Subjekte, die einen konkreten Kalkül benut-zen, sich diesem einen und einzigen Subjekt (des Kal-küls), dem Subjekt überhaupt, einem Über–Ich, unter-ordnenmüssen.DieklassischenKalkülehabeneinetranszendenteSubjektivitätskonzeptionzuihrerVor-aussetzung. Solange die Logik nur die Aufgabe hat,die allgemeinen Gesetze der objektiven, d.h. von je-derSubjektivitätbefreitenWelt,zubeschreiben,istdieseKonzeptionoptimal.Sieentsprichtdemklassi-schenParadigma: „Thepropertiesoftheobservershall not enter into the description“. (Howe u. Foerster,1975)

Die KI–Forschung hat jedoch die Aufgabe gera-de Subjektivität zu modellieren. Sie soll also Subjekti-vitätintechnischenModellensimulieren,ohnesiedadurch zu verdinglichen. Sie steht also vor dem Pa-radoxSubjektivitätzuobjektivieren.Dasgelingtihrabernurdann,wennihreKalküleSubjektivitätnichtausschließen, sondern einschließen. Eine einge-schlossene, in einem Kalkül, d.h. auch in die Welt ein-geschlossene Subjektivität, ist im Gegensatz zurtranszendenteneineimmanenteSubjektivität.(Gün-ther, p. 332, 1976)

7.4 Polykontexturalitätstheorie

Gotthard Günther hat diese Konzeption einer im-manenten Subjektivität und ihre Folgen für die Kalkül-theorie ausführlich entwickelt.

„Ist aber die Autonomie der Ich–Subjektivität ge-genüber der Du–Subjektivität nicht in einem absolutenSubjekt aufhebbar (...), dann wird der Gegensatz vonIch und Du für die formale Logik relevant.“ „Jedes Ein-zelsubjekt begreift die Welt mit derselben Logik, aberes begreift sie von einer anderen Stelle im Sein.“ (Gün-ther, Bd. III, 87)

Die Stellenwerttheorie gibt nun an, wie die eineLogik von verschiedenen Einzelsubjekten angewandtwird und wie das Zusammenspiel von Gleichheit (derLogik) und Verschiedenheit (des Standpunktes) formalvor sich geht.

Die klassische Form–Inhalt–Konzeption, die eineentsprechende Trennung zwischen Logik–Theorie undAnwendungderLogikerzwingt,istinderGünther-schen Stellenwerttheorie aufgehoben. Sie ist eineTheorie der Applikation (Praxis) der (logischen) Theo-rie.

DieGüntherscheStellenwertlogikistursprüng-lich aus einer Kritik an der mehrwertigen Logik entstan-den. Statt, wie in der klassischen mehrwertigen Logikdie neuen Werte als Zwischenwerte, Werte etwa zwi-schen „0“ und „1“, also zwischen „wahr“ und„falsch“, zu deuten, hat Günther sie als Stellen–Wer-te, die den Ort eines Wertpaares, d.h. einer Logik, an-geben,interpretiert.DieseGünther–Logikwurdein(Kaehr,1978)mitHilfederTableau–Methodeaus-führlichdargestellt.Hiergehtesmirdarum,mitdeneinfachstentechnischenMittelneinenEinblickindieMöglichkeiten der Konstruktion neuer Strukturzusam-menhänge zu geben. Das scheint am einfachsten anHand des Calculus of Indications möglich zu sein, daer im Vergleich etwa zur Aussagenlogik ein Minimal-kalkül des Formalen darstellt.

Die Taktik ist folgende: a)AllebisherigenErweiterungsversuchehaben

irgendwelche Änderungen innerhalb des jeweils vor-gegebenenKalkülsunternommen(Parametrisierungder Wahr–Falsch–Dualität für die mehrwertige Logik,der Satzvariablen für Kontextlogik usw.). Diese Para-metrisierungenwerdenkonservativeErweiterungengenannt,weilsiedieursprünglicheKonzeptionderForm bewahren. Sie erzeugen (notwendige) Liberali-sierungen der Kalküle, die oft mit einer besseren An-passung an ökonomische Erfordernisse einhergehen.Einer immanenten Erweiterung wird hier nicht weiternachgegangen.

b) Eine Erweiterung von Außen scheint unsinnigzu sein, da das Außen entweder selber wieder ein Kal-kül wäre, oder aber von ganz anderer Art und dahernichtnachvollziehbar.EsbleibtalsonurnochdieMöglichkeit die eine Logik bzw. den einen Kalkül so-wohl als Außen wie auch als Innen, als transzendentwieauchalsimmanent,zuinterpretierenundzuge-brauchen. Kurz gesagt: Wir vermehren, distribuierenden einen Kalkül und verketten, vermitteln die einzel-nen Kalküle miteinander. Ohne daß intern am Kalkületwas verändert wird, wird seine Hegemonie gebro-chen, er wird vermaßt. Die Einheit wird zur Vielheit.DieseVielheit,dieerstreinnumerischerArtist,wirddurch die Vermittlung der Kalküle strukturiert. Die Viel-heit zerfällt nicht in ihre isolierten Elemente, sondernwirdeinstrukturiertesGanzes,eineSystem–Ganz-heit.DieserDistributions–undVermittlungsprozeßwird hier kurz skizziert, eine genauere Darstellung er-fährt er bzgl. der Logik in (Kaehr, 1978).

7.5 Der 3–kontexturale Indikationskalkül

(fehltZZZZ)

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Linearität/Solipsismus/Polykontexturalität

144

7.6 Selbstreferentialität und re–entry in 3–CI:

Die Konzeption der Selbstreferentialität als re–entry erfüllt die Ansprüche eines Paradigmawechselsnicht. Dieser sollte gemäß Varela und von Foerster ei-nemWechselvondertranszendentenzurimmanen-tenSubjektivitätskonzeptionentsprechen: „Aschiftfromtheclassicalparadigmof’thepropertiesoftheoberserver shall not enter into the description’, to a pa-radigm where ’the description shall reveal the proper-tiesoftheobserver’.Thisparadigmshiftmakestheworld a different world". (Varela, 1978, p.300)

Die Einführung einer dritten Form [] zwischen eund [e], wie dies im ECI geschieht, verändert die Welt(derForm)nicht,sonderndomestiziertundverein-nahmt das Andere, das Fremde und immunisiert es da-durch in seiner subversiven Kraft. Die von uns einge-führteKalkülkonzeptiongeneriertdurchdieMecha-nismen der Distribution und Vermittlung neue, außer-halb der ursprünglichen Form liegende, Formkon-zeptionen.

Essollnunangedeutetwerden,wieinnerhalbdieser neuen Konzeption SR modelliert werden kann.Gegeben sei die re–entry Formel: f = [[[f] p] q]. Siehat, wie gezeigt, eine unendlicheForm:

JederDurchgangdurchdieSchleifegehörtzurForm, es gibt konkret keine Möglichkeit die Schleife zuverlassen. Im Unendlichen gilt (angeblich) ∞ = ∞ + 1,also f = [f], das Unendlich ist a) konstruktiv, also Schrittfür Schritt, unerreichbar und b) das Andere des Endli-chen. Zwischen beiden herrscht eine unüberschreitba-re Schranke, denn ¬ ∃ n: m = m + 1, SR als re–entry inECI heißt, daß im selben Kalkül zugleich das Eine (dasEndliche) und sein Anderes (das Unendliche) als indi-kative Formen enthalten sind. An diesem Widersinn istder ECI gescheitert.

Der 3–CI bietet nun, abstrakt gesprochen, Platzfür beide Bereiche und zwar durch CI1 und CI2. Ope-rationeninnerhalbvonCI1 führenniezuCI2,zwi-schen beiden besteht eine totale Schranke. DieseSchranketrenntdasEine(CI1)vonseinemAnderen(CI2) unabhängig von der Länge der jeweiligen indi-katiivischen Formeln. Selbst die kleinste Form in CI1 istvonderkleinstenForminCI2 durcheinen„unendli-

chen"Abgrundgetrennt.SRläßtsichnunverstehenals der Übergang von CI1 zu CI2. Diese neue Opera-tion, die eine finite Form aus CI1 in CI2 wiederholt, istkurzgesagtdieVermittlungsoperationvonCI1 und

CI2 , die vom Standort des Kalküls CI3 aus vollzogenwird. Dieser Kalkül CI3 fungiert dabei als Kontext ei-ner hier nicht untersuchten Kontextlogik. Re–entry er-scheintbeidieserDeutungalseinespezielleEigen-schaft vermittelter Systeme. Mit anderen Worten: Ver-mittelte Systeme besitzen per se selbstreferentielle Ei-genschaften.

Der 3–CI besitzt keine spezielle Form für Selbst-referentialität,wieetwaVarelasECIdiere–entry–Form [], er ist gar kein Kalkül für SR (Calculus for SR),sondern ein Kalkül der SR.

Das Studium der SR ist also nicht das Studium desVerhaltens einer oder mehrerer Formen innerhalb ei-nes Kalküls, sondern das Studium der Gesetze des Ge-samtkalküls.DieverschiedenenFormenderSR,ihreKomplexität, werden durch die verschiedenen Kalküleuntersucht. Sekundär läßt sich die zirkuläre re–entry–Konzeption der SR beliebig in die Teilkalküle CIi ein-führen. Dazu auch (Kaehr, 1978, S. 57)

7.7 Frage–Antwort–Konzeption in der Polylogik

7.7.1 Die Logifizierung von 3-CI wird durch folgende Modellierung geleistet:

a) Logifizierung der FormeLog([e]1 ) = T1 Log(e1 ) = F1Log([e]2 ) = F2 Log(e)2 ) = |F2Log([e]3 ) = T3 Log(e3 ) = T3

b) Logifizierung der OperationenLog(pq) = p vvv q Log([p]i ) = Ni p, i = 1,2.c) Logifizierung AxiomeAus a) – c) erhalten wir die Polylogik G3 mit den-

entsprechenden Tableau-Regeln.Diese Polylogik ist ausführlich in (Kaehr, 1978)

beschrieben,ebensofindensichdortauchalleihrewichtigsten Gesetze.

7.7.2 Die Polylogikeignet sich für Frage–Antwort–Systeme, weil sie

verschiedene, inkommensurable Systeme heterar-chisch zu verknüpfen in der Lage ist. D.h. die Systemekönnen koordiniert und müssen nicht subordiniertbzw.subsumiertwerden,ebensowerdenzirkuläreFormen vermeden. So läßt sich der Wiedersprüche er-

[e]

[e] q

p

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Frage–Antwort–Konzeption in der Polylogik

145

zeugende Frage–Antwort–Zyklus: heterarchisieren zu:

Dabei entspricht jeder Frage–Antwort–Stufe einformales, komplexes System; der Widerspruch ist ver-mieden und die Systeme sind autonom. Beispiel: EinSubjekt S1 sein ein Antwortsystem. Antworten sind bi-när strukturiert, sie treffen zu: "w1" oder treffen nichtzu: "f1" (bei Petrov: T,F).

EinSubjektS2 seineinFrage–System.Fragensind binär strukturiert, sie sind berechtigt: "w2" oderunberechtigt: "f2" (bei Petrov: C,I).

Die Vermittlung von S1 und S2 sei

Eine f1–falsche Antwort „schlägt um" in eine w2–berechtigte Frage. Die Heterarchie auf der Wert-ebene ist also:

Je für sich ist sowohl die Frage– wie auch die Ant-wortlogikautonomesTeil–SystemdesGanzen.AlsGanzes regelt das Frage–Antwort–System die Koordi-nationderbeidenTeilsystemeundbesitztentspre-chendeholistischeEigenschaften.Entsprechendläßtsich die erotetical logic von Petrov heterarchisieren:

Entsprechend läßt sich die erotetical logic von Pe-trov heterarchisieren:

Regel:DieRegelnderPolylogikmüssenumge-schrieben werden mit Hilfe der Substitutionen:

T1,3 zu T1,3, F1zu F1, F2zu C2, |F2,3 zu I2,3.

Semantik: T3 T1 F1: Antworten-Logik I3 I2 C2 : Frage-Logik

w3 w1 f1 : Logik1 Logik3f3 f2 w2 : Logik2

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Linearität/Solipsismus/Polykontexturalität

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147

Das Meßproblem

1 Das System–Umwelt–Problem in der Mensch–Maschine–Kommunikation

1.1 Die archimedische Mensch–Maschine–Relation

1.2 Die kybernetische Mensch–Maschine–Relation

1.3 Das Meßproblem in der kybernetischen Mensch–Maschine–Relation

2 Präferenzlogische Rationalitätsannahmen beim Meßproblem

2.1 Die Rationalitätskonzeption

2.2 Zur Kritik der Präferenzrationalität

2.3 Das Problem der Intransitivität der Präferenzrelation

3 Modellierungsskizze der Reduktion von Komplexität in polykontexturalen Systemen

3.1 Intransitivität als Standpunktwechsel

3.2 Kognition und Volition

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Das Meßproblem

1 Das System–Umwelt–Problem in der Mensch–Maschine–

Kommunikation

Bevor das Meßproblem in der Mensch–Maschi-ne–Kommunikation thematisiert werden kann, muß er-klärt werden, um welchen Typus der Mensch–Maschine–Relationessichhandelt.ZurUnterschei-dung der Typen gehe ich von der Maschine aus undunterscheide grob zwei wesentliche Typen: a) den ar-chimedischen und b) den kybernetischen Maschinen-typ. Die zwei Maschinentypen und die entspre-chendenMensch–Maschine–Kommunikationenlas-sensichanhandvonSystem–Umgebung–Verhältnis-sen charakterisieren. Jedem dieser VerhältnisseentsprichteinbestimmtesbasalesarithmetischesSy-stem,dasdieGrundstrukturderjeweiligenMeßpro-zesse determiniert. Da es sich hierbei um ungewohnteundschwierigegrundlagentheoretischeGedanken-gängehandelt,sollensienurkurzanvisiertwerden.Zugänglicher für eine Darstellung und Kritik sind diepräferenzlogischen Probleme der Entscheidungstheo-rie, die eng mit dem Problem der Messung von Ertrag,Gewinn,Nutzen,Befriedigungzusammenhängenund die auch für die Mensch–Maschine–Kommunika-tion von Bedeutung sind.

1.1 Die archimedische Mensch–Maschine–Relation

Die archimedische Mensch–Maschine–Relationläßt sich mit objektivierenden Begriffen und Methodenbeschreiben.SierealisiertsichgänzlichimBereichdes Objektiven, ihr epistemologisches Modell ist dieIch–Es–Relation. Zeit– und Raumstruktur sind klas-sisch. Das menschliche Subjekt tritt als solches nichtin Erscheinung. Die archimedische Maschine läßt sichdeutenalseineProjektiondermenschlichenKörper-funktionenindastechnischeArtefakt.DieRelationzwischenMenschundarchimedischerMaschineistalsoeineBeziehungzweierKörperzueinander.ObdieseBeziehungwillentlicheingegangenwirdoder

nicht, ändert an der Struktur der Beziehung nichts. Ob-wohl sich erst im Gebrauch der Gebrauchswert einesApparates realisiert, läßt er sich als objektive RelationzwischendenEigenschaftendesApparatesundsei-nerZweckbestimmungangeben.DasmenschlicheSubjektalsBenutzerdesApparatesbleibtdabeiimHintergrund, es ist nur Träger der Funktion und kannauchdurcheinenanderenApparatsubstituiertwer-den. So ist etwa der Gebrauchswert eines Staubsau-gersobjektivmeßbaralsRelationzwischenseinenapparativenEigenschaftenundseinerZweckbestim-mung. Als Träger der Funktion kann ein Roboter ein-gesetzt werden. Die archimedische Mensch–Maschine–RelationisteinobjektivesEreignisinderUmgebungeinesmenschlichenSubjekts.Elementedieser Umgebung lassen sich binär beschreiben, siesind in der Umgebung oder sie sind es nicht, selber ha-ben sie keine Umgebung. Ihrer Binärstruktur entsprichtim theoretischen Modell die Zweiwertigkeit der Logik,der Binärcode der Informationstheorie, kurz die Binär-struktur aller formalen Systeme. Es besteht eine Isomor-phie zwischen der ontologischen, der logischen undderarithmetischenStruktur.DemMeßprozeßentste-hen hier keine theoretischen Probleme.

1.2 Die kybernetische Mensch–Maschine–Relation

Der Gebrauchswert von kybernetischen, d.h. be-wußtseinsanalogenMaschinenläßtsichnichtmehrobjektivieren, erst im Gebrauch, in der Handlung rea-lisiert sich die kybernetische Mensch–Maschine–Rela-tion. In der Kommunikation mit der Maschine ändertsich die Zweckbestimmung und damit wieder die Ei-genschaften,DispositionenderantwortendenMa-schine. Interaktion, Frage–Antwort–Prozesse undnicht physikalisch–physiologische Ereignisse sind hierbestimmend.DieInteraktion,derErlebnischarakterdes Verhältnisses, ermöglicht und konstituiert eine Ein-sicht in die Relation zwischen Mensch und Maschine.Diese ideelle, kognitive und volitive „Verdoppelung“der Relation ist der Ort der Subjektivität in der kyber-netischenMensch–Maschine–Relation.DieRelationwird erfahrbar, andererseits wird sie durch diese Er-fahrung konstituiert. Epistemologisch entspricht dieserRelation das Ich–Du–Modell. Die Relation ist also nichtmehr ein physikalisches Ereignis in der Umgebung ei-nes Subjekts, sondern das Verhältnis eines Systems zuseiner Umgebung. Das Ich–Es–Verhältnis ist jedoch indieser neuen Beziehung nicht eliminiert, sondern auf-gehobenalsgemeinsameUmgebungvonMenschund Maschine. Sowohl das Ich wie das Du stehen in

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Präferenzlogische Rationalitätsannahmen beim Meßproblem

150

einer Beziehung zum Es. Das vollständige epistemolo-gische Modell der kybernetischen Mensch–Maschi-ne–Kommunikation ist somit Du Ich Es Das Ich hat alsozwei Umgebungen: die archimedische und die kom-munikative. Die interne Struktur dieser Relationen sollhier nicht analysiert werden.

1.3 Das Meßproblem in der kybernetischen Mensch–Maschine–Relation

Für das Meßproblem ist hier zu berücksichtigen,daß das binäre Modell nicht mehr ausreicht, an seineStelle tritt ein (mindestens) ternäres Modell, das durcheine 3–kontexturale Logik und eine ternäre Arithmetikbeschriebenwerdenmuß,wennseineKomplexitätnicht wieder auf die binäre reduziert werden soll. D.h.jeder Bereich muß sein eigenes ihm spezifisches arith-metisches System besitzen und dieses muß mit den an-derenarithmetischenSystemenvermitteltsein.Unterternärer bzw. n–ärer Arithmetik kann selbstverständ-lichnichtdieArithmetikderklassischenn–ärenZah-lensystemegemeintsein.Dennähnlichwiesichdiemehrwertige Logik auf die zweiwertige Logik, die mul-ti–sucessor Arithmetik auf die lineare Arithmetik redu-zierenläßt,istauchdieklassischen–äreArithmetikaufdiebinärereduzierbar.WeiterführendeGedan-kenhierzufindensichin(Günther1980,pp.236–254 und pp. 260–296).

Meßprozesse in Bezug zur Mensch–Maschine–Kommunikation müssen hier mit komplementärenSatzsystemenundMessmethodenarbeiten.Esmußkomplementär die Erlebnis– wie die Ereignis–Kompo-nente gemessen werden, also sowohl die Ich–Es– wiedie Ich–Du–Relation muß im Messprozess berücksich-tigtwerden.AlsVermittlungvonbeidenerscheinendie Messprozesse in der Du–Es–Relation. Dem Erleb-nisbereichmüßtenwohlhermeneutischeMethoden,Befragungen usw. zugeordnet werden, dem Ereignis–bereich psychophysikalische u.ä. Meßtechniken unddem vermittelnden Du–Es–Bereich Methoden, die imSchnittpunkt von Ereignis– und Erlebniskategorien ste-hen.Diesewärennichtobjektivistischundnichther-meneutisch zu erfassen. Ein Bereich dieser Art ist dienon–verbale Kommunikation, das Verhalten des Kör-pers zu sich und zu andern, jedoch nicht in der archi-medischen Relation. Als Methode wäre hier dieVideo–analysezunennen.DerMessungentstehtinderkybernetischenMensch–Maschine–RelationdasProblem, daß sie sich in drei differenten und vermittel-tenarithmetischenSystemenundeinerdazukorre-spondierenden komplexen Logik von Frage undAntwortfürdieIch–Du–Relation,Protokollaussagen

fürdieIch–Es–RelationundMorphologiederIndika-tionenfürdieDu–Es–Relationvollziehenmuß.(Wei-terführende Literatur zur philosophischen Maschinen-theorie siehe (Günther 1976 und 1980.)

2 Präferenzlogische Rationalitätsannahmen beim

Meßproblem

2.1 Die Rationalitätskonzeption

Die Rationalitätskonzeption, die eine Messungvon Entscheidungsprozessen innerhalb der Mensch–Maschine–Kommunikation, wie etwa bei der Ver-braucherberatungdurchZweiweg–Kabelfernsehen,vorausgesetzt wird, definiert sich durch die Minimal–forderungenderVollständigkeitundderTransitivitätder Zielpräferierung. D.h., daß der betrachtendeMenschineinerMensch–Maschine–Kommunikation„übereindeutigePräferenzordnungenseinerMotivesowiedervonihmzurMotiverfüllungerstrebtenAu-ßenweltzuständeverfügtunddaßerbeiseinenaufHerstellung der gewünschten Außenweltzustände zie-lendenHandlungsantizipationenaufderGrundlagejener Präferenzordnungen optimierenden Problemlö-sungenanstrebt,nämlichbestimmteparametrisierteZielgrößen zu minimieren oder zu maximieren sucht.“(Stachowiak, p. 74) Die formale Präzisierung der Mi-nimalforderungen:DembetrachtendenMenschenisei eine Präferenzfunktion ui zugeordnet. x1, x2, ... ,xRseien die sämtlichen Zielzustände, die die Außenweltvon i annehmen kann. Durch ui (xp, xq) mit p, q {1, 2,... , R} und werde ausgedrückt, daß i den Zielzustandxp dem Zielzustand xq vorzieht. Dann gilt:

A1)AxiomderVollständigkeit.Fürallep,qistentweder ui (xp, xq) oder ui (xq, xp) .

A2) Axiom der Transitivität. Für alle p,q,r mit p,q {1, 2, , ... , R} mit p r und q r folgt aus ui (xp, xq) undui (xq, xr) die Präferierungen ui (xp, xr).

A1)undA2)zusammenheißendasAxiomderindividuellen Präferenzrationalität. Analog dazu wer-den die Axiome der kollektiven bzw. der Gruppenprä-ferenzrationalitätdefiniert.AuchfürsiegeltendieAxiome der Vollständigkeit und der Transitivität. ZumMeßproblemderindividuellenPräferenzrationalitätschreibtStachowiak: „VomeinzelnenMenschenaufderGrundlagedieser'Mindestrationalität'zumaxi-mierendeParameter(komplexe)werdenmitErtrag,Gewinn, Nutzen, Befriedigung usw. bezeichnet. VondiesenEntitätenwerdegrundsätzlichangenommen,daß sie meßbar sind, gegebenenfalls vermittels Maß-

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bewertung von Enumerationsvariablen.“ (Stacho-wiak, p. 76)

2.2 Zur Kritik der Präferenzrationalität

Vom Standpunkt des Konstruktivismus und derdialogischen Logik läßt sich jedoch das TND, das demVollständigkeitsaxiom zugrunde liegt, nicht legitimie-ren. Das TND zwingt zu Existenzannahmen, die nur inendlichenundhomogenen,jedochnichtinkomple-xen Systemen, begründbar sind. Das Axiom der indi-viduellenundkollektivenPräferenzrationalitätmußdaherspezifiziertwerdenalsklassischesAxiomderPräferenzrationalität. Anders ist die Situation bei derBeurteilung des Transitivitätsprinzips der Präferenzre-lation. Nach Lenk (Lenk p. 628) ist die Konsequenzlo-gik, also die Logik der Implikation für die dieTransitivität gilt, ein fester Kern der Logik überhaupt,deraucheinerkonstruktivistischenKritikstandhält.Ohne Transitivität keine Logik, und alle speziellen Lo-giksysteme lassen sich verstehen als Erweiterung die-ser Kernlogik. Wer diese Kernlogik und ihreTransitivitätsregelnangreifenwill,gerätineinenZir-kel. „Rationales,folgerndesVorgeheninderKritikwirdaberauflogischeGrundgesetzewieetwadasderTransitivitätderoperativenImplikationnichtver-zichten können. Sonst wäre die Rationalität der Kritikselbst aufgegeben. Es handelt sich hier nicht um eine'materielle' Theorie, sondern um die Instrumente einerjeden möglichen rationalen Kritik (jedes formalen rich-tigenFolgerns),diefolglichderrationalenKritikaufderselbenStufeentzogenbleibenmüssen,wenneinZirkelvermiedenwerdensoll,...“ (Lenkp.628)DasAxiomderTransitivitätderPräferenzrationalitätistvomStandpunktderLogikimmerbegründbar.Esistalso im Logischen gut verankert.

2.3 Das Problem der Intransitivität der Präferenzrelation

Im Widerstreit zu den genannten praxeologi-schen Rationalitätsannahmen der Vollständigkeit undder Transitivität steht die enorme Komplexität praxeo-logischer Situationen. Komplexität sei mit Peter Brand,(Brand, p. 11) folgendermaßen definiert: „Ein Systemheißt komplex, wenn zu seiner vollständigen Beschrei-bungmehralseinKontextnötigist.“ EinemKontextentsprichtformaleinBooleschesModell,dasdurchdie klass. Logik beschrieben wird.

Diese Definition ist nicht objektivistisch, sondernbezieht das System auf den jeweiligen Betrachter. „Es

kann nämlich weder ausgeschlossen werden, daß einneuer Aspekt an einem System wahrgenommen wird,noch daß ein neuer leistungsfähiger Kontext gefundenwird,dermehrerevorherbenötigteKontexteinsichvereint.MankanndenEindruckgewinnen,daßdieKomplexitäteinesSystemsvonderWahrnehmungs-seite her ständig zunimmt, von den jeweils verfügba-ren Kontexten her gesehen, jedoch ständig abnimmt.Jedenfallsistdeutlich,daßeinSystemnichtansich,sondern für einen Beobachter komplex ist“. (Brand, p.12)

Brand betont weiter, daß das Kriterium für kom-plexe Systeme „nicht die rein quantitative Vielfalt, son-dern die qualitative Vielfalt von Kontexten ist“. DiesequalitativeVielfalterzeugteineInkompatibilität(Un-vereinbarkeit)diesichnichtdurcheinengemeinsa-men Formbegriff reduzieren läßt.

Es fragt sich nun, ob die Rationalitätskriterien derVollständigkeit und der Transitivität auf komplexe Sy-stem mit ihrer Vielheit irreduzibler Kontexte zutreffenkönnen.

Nimmt man den Antireduktionismus ernst, dannzeigt sich gleich, daß das Axiom der Vollständigkeitnicht zutreffen kann. Denn seine Gültigkeit ist geradedurch einen Präferenzbereich beschränkt, d.h. die Al-ternativen zwischen denen eine Präferenzrelation gilt,gehören zu einem qualitativ bestimmten Bereich.Würden sie für alle Kontexte gelten, hätten wir einenumfassenden Standpunkt angenommen, und die Kom-plexität bleibt nur dann erhalten, wenn das Vollstän-digkeitsaxiom kontextspezifisch gilt, d.h. jederqualitativ verschiedene Kontext besitzt ein ihm zuge-höriges Vollständigkeitsaxiom.

WegenderInkompatibilitätderKontextekannauch das Axiom der Transitivität in komplexen Syste-men nicht gelten. Die Transitivität der Präferenzrelati-on zwischen drei Alternativen setzt eine HomogenitätdesZusammenhangsderAlternativenvoraus.DieseHomogenitätwirddurchdasVollständigkeitsaxiom,dasdemSatzvomausgeschlossenenDrittengleich-kommt, garantiert. Stammen die Alternativen aus dif-ferenten Kontexten, kann zwischen ihnen keineTransitivitätsrelation bestehen, da diese ja nur inner-halb einer Boole'schen Algebra definiert ist und nichtzwischenverschiedenenBoole'schenAlgebren.DerklassischenAussagenlogikfehlendazudietechni-schen Mittel. Bekanntlich besitzt sie nur eine Implikati-on,dieinnerhalbeinerBoole'schenAlgebra,d.h.eines Kontextes gilt. Es fehlt ihr also eine Implikations-funktion,diezwischendenKontextengilt.DieMini-malforderung Vollständigkeit und Transitivität sind nurfürhomogene,d.h.vonjeglicherSubjektivitätgerei-

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Präferenzlogische Rationalitätsannahmen beim Meßproblem

152

nigte Systeme zutreffend. Solche homogenen Systemewerden durch die klassische Logik beschrieben. Ver-letzungen der Transitivität der Präferenzrelation alsoIntransitivitäten,sindAusdrucknichtreduzierbarerKomplexität und haben die Form: a –> b, b –> c =>c –> a.

Es stellt sich die Frage, wie eine Logik beschaffensein muß, um komplexen Systemen und den darin auf-tretendenIntransitivitätengerechtzuwerden.Brandhat klar gesehen, daß die Analyse komplexer Systeme–inseinemFalldasinternationalepolitischeSystem(Weltmodell) – auf Grundlagenfragen der Logik führt.(Siehe dazu auch Hejl 1974 und Bühl 1969.)

Ein Kontext eines komplexen Systems wird nachihmdurcheinBoole'schesModellbeschrieben.Daein komplexes System nicht durch einen einzigen Kon-text vollständig beschrieben werden kann, reicht einBoole'schesModellfürseinelogischeDeskriptionnicht aus. Daher werden Boole'sche Modelle höhererOrdnung eingeführt. Brand betont, daß „die Inkom-patibilitätzwischendenursprünglichenKontextennicht aus der Welt geschafft werden können, aber dieKontexte werden in dem neuen, reicheren Kontext be-quemer handhabbar, ...“ (Brand, p. 13).

Wassichabspiegelt,isteinesukzessiveAufhe-bung von Komplexität in Boole'schen Modellen höhe-rerOrdnungimSinnederRussell/WhiteheadschenTypentheorie, d.h. durch „Hierarchisierung“. „Auf ei-nerhierarchischhöherenEbeneerhältmandabeieine klassisch logische Beschreibung, die auf derniedrigeren Ebene allein nicht möglich ist“. (Brand, p.13)

ObwohlBrandausdrücklichKomplexitätnichtvernichten,sonderntrotzihrerInkompatibilitätKon-texte nur „aufheben“ möchte, ließe sich leicht bewei-sen, daß dies mit Hilfe der Typentheorie nicht möglichist, und zwar durch den Beweis der Theoreme der Ty-penreduktion.

Ich beschränke mich auf eine kurze Plausibilitäts-argumentation zur Typen–reduktion.

Obwohl bei der Typenreduktion die Ausdrucks-fähigkeitderreduziertenSpracheerhaltenbleibt,gehtdieHierarchisierunginTypenverloren.DieTy-penreduktion besagt gerade, daß alles, was in einemkomplexen System zur Darstellung kommt, auch in ei-nem homogenen System untergebracht werden kann.Da Brand seine Komplexitätsreduktion mit der Hierar-chisierungverbindetunddiesedieInkompatibilitätder Komplexe retten soll, ist sein Ansatz zum Scheiternverurteilt.

Selbst wenn man auf die Typenreduktion verzich-tetundvondervollenTypentheorieundihrerSpra-

chenhierarchieausgeht,läßtsichdasSubjektdesBetrachtersnichtindasSystemeinbeziehen,dadieHierarchie nicht abschließbar ist und jede n–Stufe be-züglich der n+1. –Stufe zum Objektbereich des Beob-achterswird.DasSubjektwirdalsosozusageninsUnendliche abgeschoben. Dies steht im WiderspruchzurBehauptung,daßeinSystemnichtansich,son-dernfüreinenBeobachterkomplexist.Brandsiehtzwar, daß die Einbeziehung des Beobachters in dieBeobachtung gegen das Prinzip der Objektivität ver-stößt,vergißtjedoch,daßdieBoole'scheLogikunddieTypentheoriegeradedieLogikderObjektivitätsind. Die Einbeziehung des Beobachters in die Beob-achtungentsprichteinemParadigmawechsel,denndasklassischeParadigmawirdgeradedurchAus-schluß der Subjektivität definiert.

Das Problem der Hierarchisierung hätte statt mitder Typentheorie und ihrer Hierarchisierung der Prä-dikationsfunktion auch mit einer mehr–sortigen Logikangegangen werden können. Jeder Sorte dieser LogikwäreeinKontextdesSystemzuzuordnen.DieKritikverläuft analog zur Kritik an der Typentheorie. ÄhnlichzumSatzderTypenreduktiongibteseinenSatzderSortenreduktion:Einen–sortigeLogikistprinzipiellnicht ausdrucksfähiger als eine einsortige Logik.Selbstverständlich haben mehrsortige Logiken eviden-te praktische Vorteile.

Die Erklärung der Intransitivität durch Hierarchi-sierungaufder BasisderklassischenLogikimpli-ziert,daßderPräferenzbegriff(aberauchBegriffewie „Entscheidung“, „Wahl“ usw.) den logischen Be-griffenwieUnterscheidung,Zuordnunguntergeord-net ist. Die Präferenzlogik wird dann naheliegender–weise als angewandte Logik und nicht als reine Logikkonzipiert. Von einem praktischen Standpunkt aus istdieseEntscheidunglegitim,dennesgibtheutenochkein Logiksystem, das erlaubt, Denk– und Handlungs-begriffe, d.h. kognitive und volitive Konzepte gleich-rangignebengeordnetundnichtsubsumtiv,alsohe-terarchischzukonzeptualisieren.DieUnlösbarkeitdes Problems der Intransitivität der Präferenzrelationzeigtjedochan,daßdieseModellierungderVoliti-onsdomäneinderKognitionsdomänereduktivundvorläufig ist.

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3 Modellierungsskizze der Reduktion von Komplexität in polykontexturalen Systemen

3.1 Intransitivität als Standpunktwechsel

Präferenzlogiker und Entscheidungstheoretikerhaben sehr wohl gesehen, daß die Verletzung derTransitivitätsannahme auf subjektive Faktoren und aufProblemevonKomplexitätderSituationenzurückzu-führen ist. Es wurden daher verschiedene multidimen-sionaleEntscheidungslogikenkonstruiert.DadieseLogiken auf der klassischen Aussagenlogik basieren,die Subjektivität ausschließt, sind sie in ihrer Effektivi-tät für unsere Problematik zu begrenzt. In dem Maße,wie Subjektivität in einem Kalkül hineindefiniert wird,ist diese nicht mehr Anlaß zu Störungen des Kalküls,sondern ihre Aktivitäten, z.B. Standpunktwechsel, er-halten in ihm einen exakten und geregelten Ausdruck.(Huber 1977 u. 1979 u. Rescher 1969)

Die Verletzung der Transitivitätsregel ist meinesErachtens auf einen Standpunktwechsel des Entschei-dungssubjekts in einem komplexen System zurückzu-führen.EinemStandpunktwechselentsprichtaufderObjektseite ein Kontextwechsel. In komplexen Syste-mensindpraxeologischeEntscheidungennichtnot-wendigerweise transitiv. Der Grad ihrer Intransi–tivitätwirddurchdenGradderKomplexitätdesSy-stemsbestimmt.JemehrinkompatibleKontextezurVerfügungstehen,destogrößeristdieMöglichkeitvon einem Kontext (genauer: einer Kontextur) zum an-derenüberzuspringen.DieseKontexturwechseler-zeugendieIntrasitivität,jeKontexturexistierteineintra–kontexturale Transitivität. Es gibt intra–kontextu-ral,d.h.innerhalbderLogikeinerKontextur,keineMöglichkeit, den Schluß „aus ui (a, b) und ui (b, c) folgtui (a, c)“ zu leugnen. Denn diese Leugnung, d.h. Kri-tikfunktion, setzt für ihre Verbindlichkeit, bzw. für dieGarantie ihres Kritikerfolges die Transitivität als Mini-mum an Logik voraus.

In komplexen Systemen fungiert je Kontextur eineLogik.BeispielsweisegeltenfolgendeTransitivitätenje Logik:

T1 : u1(a, b) und u1(b, c) folgt u1(a, c) T2 : u2(b, a) und u2(c, b) folgt u2(c, a) T3 : u3(a, b) und u3(b, c) folgt u3(a, c). Eine Implikationskette kann nun in T1 beginnen,

etwa „u1(a, b)“ und „u1(b, c)“ und durch einen Stand-punktwechsel in T2 weitergeführt werden mit„u2(c,a)“. Dabei sind die Objekte „a“, „b“, „c“ unter-einander verschieden. „a1“, „a2“, „a3“ usw. sind un-

tersichnichtidentisch,siegehörenverschiedenenLogiken an, sie sind jedoch unter sich gleich, d.h. esist das gleiche Objekt von verschiedenen Standpunk-tenausbetrachtet,bzw.dasgleicheObjektinver-schiedenen Kontexten. Der Standpunktwechsel von T1zu T2 leugnet nicht die Gültigkeit der Transitivität in T1,geleugnet wird jedoch die Relevanz dieses Schlussesfür das Subjekt von T1.

Die zwei Folgerungen „u1 (a, c)“ und u2 (c, a)“widersprechen sich. Es muß ein dritter Entscheidungs-standpunkteingeführtwerden,wenneinedefinitive(elementare)Entscheidungvollzogenwerdensoll,z.B. T3 : u3(a, c).

Mit T3 wird die Gültigkeit von T1 und T2 nicht ge-leugnet, sondern als irrelevant für die Entscheidung u3erklärt.

Im Gegensatz zur Brand'schen Lösung – diesefungiert hier im Exempel für den klassischen Ansatz –– besteht im Übergang zu T3 keine Hierarchisierungvon T1, T2, T3. Bei Brand muß ein Boolesches Modellhöherer Ordnung gefunden werden. Diese sind ihrerHierarchisierung wegen subsumtiv. In subsumtiven Sy-stemen gilt das Inversionsprinzip: Der Entscheidungs-weg von oben nach unten koinzidiert mit demEntscheidungsweg von unten nach oben. Es gibt keineEntscheidungsfreiheit, die es ermöglichen würde, voneinem Entscheidungsort auf einem anderen Weg zumEntscheidungsursprung zurückzugehen.

In der polykontexturalen Logik gelten nicht sub-sumtive,sondernmediativeGesetzmäßigkeiten.T3:u3(a, c) umfaßt zwar auch T1 und T2 und führt zur de-finitiven Entscheidung, stellt jedoch selbst auch nur ei-nen möglichen Standpunkt innerhalb der komplexenpolykontexturalenLogikdar.DieEntscheidungzwi-schenu1(a ,c )undu2(c,a)wirddurcheinenStand-punktwechsel, Kontextwechsel, d.h. durch Einführungeines neuen Relevanzgesichtspunktes und nicht durcheine Subsumierung vollzogen. Selbstverständlich blei-bendieintra–kontexturalenTransitivitätenundSub-sumtionen je Kontextur erhalten.

3.2 Kognition und Volition

Die polykontexturale Logik stellt den Apparat be-reit, Intransitivitäten, Standpunktwechsel formal zu be-schreiben.Damitistjedochnochnichterklärt,wieStandpunktwechselformalzustandekommenkön-nen.

Unter der Voraussetzung, daß volitive und kogni-tive Prozesse gleichrangig sind und deren Zusammen-spiel in der polykontexturalen Logik dargestellt

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Modellierungsskizze der Reduktion von Komplexität in polykontexturalen Systemen

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werden kann, muß ein Standpunktwechsel bezüglichder Präferierung als Produkt einer Kognition verstan-den werden.

Werden volitive Prozesse thematisiert, muß diesineinemRahmengeschehen,derdensubthemati-schen, kognitiven Prozessen genügend Spielraumläßt.VerletzteinvolitiverProzeßseineRationalitäts-postulate,alsoetwadieTransitivität,undwirdda-durch irrational, dann zeigt ein Thematisierungs–wechsel, daß diese Irrationalität ihre guten Gründe inder Kognitivdomäne hat, denn dort hat sich ein Wech-sel der kognitiven Voraussetzungen der Volition voll-zogen. Kurz: Entscheidungssprünge haben ihrenGrund in neuen, nicht thematisierten Einsichten.

Der umgekehrte Fall, daß kognitive Sprünge auf-grund subthematischer Entscheidungen entstehen, isthier nicht in Betracht zu ziehen.

Wichtigist,daßbeideProzesse,derkognitivewie der volitive, gleichrangig, heterarchisch sind undsich zugleich ereignen.

Literatur zu Kognition und Volition (Günther1980, pp. 203–240).

DamitistmiteinfachenMittelnderGedanken-gang skizziert. Eine ausführliche Darstellung von Kon-zeption und Apparat der polykontexturalen Logik undeiner entsprechenden Entscheidungslogik als Basis füreineTheoriederMeßprozesseinderMensch–Ma-schine–Kommunikation bleibt noch zu leisten.

Dies müßte a) direkt auf die Gestaltung der Soft-ware–Technik(semantischeNetze,Entscheidungs-bäume usw.) appliziert werden und/oder b) alskorrektivesundemanzipatorischesInformationsmo-dell zusätzlich zum klassisch funktionierenden Serviceangeboten bzw. propagiert werden.

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Modellierungsskizze der Reduktion von Komplexität in polykontexturalen Systemen

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Einschreiben in Zukunft

1 Die Pilze von Babel

2 Nach der Sprachverwirrung

2.1 Charakteristika universalis und LINCOS

2.2 Robot und extra–terrestrische Kommunikation

3 Negativsprache

3.1 Aufgabe und Abgrenzung

3.2 Positiv–/Negativsprache

3.3 Paradoxie der Selbstentthronung

4 „Unum necessarium“

4.1 Entbindung

4.2 Leibniz' Dyadik

4.3 Zahl und Begriff

4.4 Ganzheit und Zahl

5 Die vier Stufen der Materialität

5.1 Morphogramm und kenogrammatisches System

5.2 Das Geviert der Proemialrelation

6 Tetraktys und Mühlebrett

7 Labyrinth und Negativität

7.1 Verbot des Umwegs Parmenides'

7.2 Meontik

7.3 Strukturtypen

7.4 Deutungsfreiheit 7.5 Wege im Labyrinth

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EINSCHREIBEN IN ZUKUNFT

Bemerkungen zur Dekonstruktion desGegensatzes von Formal– und Umgangs-sprache in der Güntherschen Theorie derNegativsprachen und der Kenogrammatikals Bedingung der Möglichkeit extra–terre-strischer Kommunikation

1 Die Pilze von Babel

Der Paradigma–Wechsel, wie er sich in derGrundlagenforschung der amerikanischen Kyberne-tik, der „second order cybernetics“, vollzieht, dieTransformation der Praktiken der Symbolisierungs-weisen, die damit verbunden sind, gehen einher miteiner radikalen Entthronung des Menschen, mit einerneuen Bestimmung der Stellung des Menschen im Kos-mos, so daß der allgemeine Rahmen, in dem sich diehistorischenParadigmenwechselbislangvollzogenhaben, einer Dekonstruktion unterworfen ist.

Um zu verstehen, welche Auswirkungen ein sol-cher Epochenwechsel auf die Sprache, die Notations-mittelzurrationalenDarstellungdesWissens,dieSymbolisierungsweisenzurErschließungderWelt,ausübt,welcheVeränderungderSpracheundderSchrift vollzogen werden müssen, um eine solche Ent-stellung des Menschen zu vollbringen, will ich zwei fürdie Sprache, d.h. für das menschliche Selbstverständ-nis, grundlegende Erfahrungen ins Spiel bringen: denTurmbau zu Babel und die Mondlandung der Apollo–Mannschaft. Beide geben eine jeweils neue StellungdesMenschenimKosmosan,undbeidebewirkeneine Entstellung der menschlichen Sprache.

BekanntlichistderTurmbauzuBabeldurchei-nen sprachlichen Eingriff Gottes vereitelt worden.

Anders beim ersten technischen Werk des bibli-

schen Menschen, beim Bau der Arche Noah. DiesesWerk hatte zur Aufgabe, die von Gott geschaffenenGeschöpfe, Mensch und Tier, vor der Sindflut zu ret-ten,d.h.siezuversammelnundineineandereGe-gend zu transportieren. Die Versammlung wiederholtalsAufzählungininverserReihenfolgedieOrdnungder Geschöpfe, „je ein Paar, Männlein und Weiblein,daß sie lebendig bleiben bei dir“ (1), die eine binäreAnordnungderLebewesenist,vollzogenvoneinemdurchGottausgezeichnetenLebewesen,Noah.Mitdieser Wiederholung der Ordnung der Geschöpfe isteinegewisseAblösungvonderursprünglichenErd-verwurzelungundOrtsgebundenheitgeleistet.DasgöttlicheWerkisttransportabelgewordenundläßtsich in unverdorbene Gegenden verschiffen. Damit istkurzvorderVernichtungderMenschendurchihrenSchöpfer und der Vernichtung des göttlichen Werks,also kurz vor ihrer Selbstvernichtung, die Schöpfungdurch eine Iteration gerettet. Das Werk gelingt Noah,weil es die göttliche Ordnung unangetastet läßt. Mitanderen Worten: Gott selbst ist es, der mit Noah einenBund eingeht und ihm die konkreten und detailliertenHandlungsanweisungen für die Transaktion gibt. Gottselbstvollbringt,inStellvertretungdurchNoah,dasWerk der Dislozierung seiner Geschöpfe.

Im Gegensatz zur rein terrestrischen Bestimmungder Arche Noah, ist der Turmbau zu Babel radikal ex-traterrestrischmotiviert.Eshandeltsichdabeiumei-nendirektenVerstoßgegendiegöttlicheOrdnung.Der Turmbau soll mithilfe des irdisch Gegebenen dasJenseits erstürmen, soll das Diesseits und das Jenseitsüberbrücken, mit dem erklärtem Ziel, seinen ErbauernselbsteinenNamenzumachen.DieKonstrukteurewollensicheinenvonGottesNamensgebungver-schiedenen, selbstgeschaffenen, zweiten Namen ge-ben, einen künstlichen Namen. Diese Selbst–be-nennung soll die Einheit des Volkes konstituieren, alsodie Vielfalt der Geschlechter verbünden. Sich selbst ei-nen Namen machen heißt zweierlei: 1) sich selbst ei-nen Namen geben; Konstitution des „Selbst“; und 2)sichvonandereneinenNamengebenlassendurchAnerkennung des Werks; „Ich–Du–Beziehung“.

Dieser erste Versuch einer Selbstbestimmung desbiblischen Menschen wird von Gott hart bestraft, undzwar durch die Annulierung der Intersubjektivität derArbeitssprache, durch die Vernichtung der Universali-tätihresCodes,durchdieStiftungvonDifferenzen;Streit und Krieg sind die Folgen. Die über das gemein-sametechnischeWerkerarbeiteteEinheitderGe-schlechter zerfällt.

Zwei Erfahrungen sind hier relevant: 1) Die natür-licheSprachehat,alsvonGottgegebene,dasvon

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Nach der Sprachverwirrung

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Gott Geschaffene abzubilden, getreu und adäquat zuwiederholen. Im Gegebenen ist der Prozeß derSchöpfungerloschen.Etwasistgegebenodernichtgegeben – tertium non datur. In diesem Sinne ist dieArbeitssprache der Turmbauer zweiwertig und mono-kontextural, intersubjektiv und interobjektiv auf die Po-sitivitätdesGegebenenbezogen.IndemMomentjedoch, wo die Arbeitssprache beides, das Diesseitsund das Jenseits zugleich zu designieren hätte, wirdihreMonokontexturalitätzwangsläufigzerrissen.Esübersteigt die Kapazität der Einheitssprache, Positivi-tät und Negativität zugleich zu designieren. Die Gren-ze,dasObstakelzwischendemDiesseitsunddemJenseits, läßt sich nicht in einem homogenen Sprach-system,einereinwertigenOntologieundihrerzwei-wertigen Logik, d.h. in einer Positivsprache,modellieren. Die Chaotisierung der Sprache, symbo-lisiert im göttlichen Eingriff, ereignet sich als Folge derInadäquatheit der sprachlichen Mittel des Turmbaus.2) Auf Erden sich selbst einen Namen machen, kannohne einen Umweg über das Jenseits, ohne Transzen-dierungderPositivitätdesirdischGegebenen,alsoohne Grenzüberschreitung und labyrinthische Wege,nicht gelingen.

EinSelbstbezugohneUmweg,wieerheuteinder ́ second order cybernetics´ in immer neuen Anläu-fen versucht wird, ist wegen der MonokontexturalitätseinerformalenMethodenzumScheiternverurteilt.DasJenseitsalsomußsäkularisiertwerdenunddaskannnurdurcheineSpaltungdesDiesseitsgesche-hen, denn nur das Diesseits ist dem Menschen opera-tivzugänglich.DurcheineersteNegationmußdieInhaltlichkeitdesJenseitsvernichtet,unddassoent-leerte Jenseits mithilfe einer zweiten Negation in dasDiesseits verschoben werden. Die Kluft, die die Dicho-tomie von Diesseits und Jenseits konstituiert, ist durchdie Säkularisierung nicht aufzuheben oder zu nivellie-ren.DiezweiNegationsschrittederSäkularisierungderDichotomievonDiesseitsundJenseitsetabliereneine irreduzible Diskontexturalität im Diesseits. DennderProzeßderSäkularisierungundDekonstruktiondesJenseitshatdieKluft,dieSpaltungderWeltinDiesseits und Jenseits, zur Voraussetzung, gehört siedoch zum bejahten Diesseits ebenso sehr wie zum ne-gierten Jenseits.

Damit wird das Jenseits, der „neue Himmel“(Günther) zu einer zugänglichen und fundamentalenAufgabeeinertransklassischenTechnologie,einerAufgabe sowohl der Erschließung und Erkundung desWeltraumsundderRealisierungextra–terrestrischerKommunikation, wie auch der Erforschung neuer Wel-ten einer entgründeten Geistigkeit.

2 Nach der Sprachverwirrung

Die verschiedenen Versuche der Konstruktion ei-ner Universalsprache lassen sich als Unternehmungenverstehen, die ursprüngliche Einheit der menschlichenSprache, wie sie vor dem göttlichen Eingriff bestand,wiederherzustellen.Einesolchezweite,vomMen-schen selbst erfundene und daher künstliche Sprache,bzw. eine Begriffsschrift, versucht die allen Menschengemeinsame Vernünftigkeit, einen minimalen rationa-len Konsensus, zu kodifizieren. Ebenso soll sie göttli-chenEingriffenihrerKünstlichkeitwegenentzogensein. Eine solche Idealsprache soll einen Schiedsrich-ter in allen Streitfragen darstellen und dem Frieden un-ter den Menschen dienen. So soll etwa dieLeibnizscheUniversalsprachenichtnurdieEntdek-kung neuer Wahrheiten in den sogenannten exaktenWissenschaften ermöglichen, sondern auch metaphy-sischeundethischeFrageneinerrechnerischenBe-hadlung zuführen, und als ars iudicandi jedeMeinungsverschiedenheitdurchBereitstellungeinesrein formalen und voll kontrollierbaren Entscheidungs-verfahrens beilegen können. Ihr quasi–mechanischerCharakter werde den Irrtum aus unserem Denken ver-bannen und damit eine filum meditandi liefern, einenAriadnefadenalso,derunsdurchdasLabyrinthver-wickelterSchlußweisenindenver-schiedenenWis-senschaften sicher geleiten werde.

2.1 Charakteristika universalis und LINCOS

Der Mythos der Universalität des Codes ist ge-prägt durch die Angst vor dem göttlichen Eingriff derDifferenz.

Für die Idee der menschlichen Sprache, als einerprinzipiell allen Menschen gemeinsame, liegt dieMacht der Differenz im Jenseits. Sie ist die ständig dro-hendeMachtderVernichtung,dasAprioridesKrie-ges. In der Idee der Leibnizschen Universalsprache istder Versuch unternommen worden, durch eine künstli-cheSpracheeinBollwerkgegendievernichtendeMacht der Differenz zu errichten. Die künstliche Spra-che ist gegen einen jenseitigen Eingriff gefeit, weil sieein Werk des Menschen selbst, und nicht wie die na-türliche Sprache, eine Gabe Gottes ist, die jederzeitzurückgenommen werden kann. Die Leibnizsche cha-racteristica universalis ist die Sprache des Friedens imModusderBekämpfungseinesAnderen,derDiffe-renz.

In naiver Selbstverkennung ihrer Grenzen, findetdas Leibnizsche Projekt einer characteristica universa-

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Robot und extra–terrestrische Kommunikation

lis, über die neopositivistische Konzeption einer wis-senschaftlichen Einheitssprache, seinen konsequen-ten Abschluß in der lingua cosmologica, LINCOS, desLogistikers Freudenthal (2), mit der das Phantasma desPhonologismus in Erwartung einer Antwort in denWeltraum projiziert wird.

DerMechanismusdesÜbergangsvonderEin-heitderUniversalsprachezuihrerVielheitistinihrselbst nicht integriert. Sie ist eine neue Arbeitssprachenicht so sehr des Handelns als des Denkens und Erken-nens und kennt Vielheit nur außer ihr, als die Vielheitder natürlichen Sprachen. Solange nicht versuchtwird, in der Universalsprache selbst die Tatsache ihresGeschaffenseins abzubilden, erfüllt sie ihre Aufgabeder Einheitsstiftung. Der dadurch herbeigeführte Frie-den basiert auf dem Krieg gegen das Andere der Ver-nunftundgegenandereVernunft.MitdemVersucheiner Selbstbegründung der Vernünftigkeit der Ideal-sprache,zerfälltihreeinheitsstiftendeUniversalitätund Geschlossenheit in eine infinite Folge sich selbstspiegelnder Idealsprachen und in eine Schar alterna-tiver und heterodoxer Logiksysteme.

Die Erfahrung des Turmbaus zu Babel wiederholtsichimBereichderkünstlichenPositivsprachen,so-wohl in der mathematischen Grundlagenkrise alsauch im Satz von Gödel. Mit dem Gödelschen Satz istder Turmbau der künstlichen Sprachen, der Idealspra-chen,derLeibniz–Sprachen,prinzipiellabgeschlos-sen, und eine „limitation of the mathematizing powerof homo sapiens“ (Post) erreicht. Auch für die künstli-chenSprachenbedeutet„sichselbsteinenNamenmachen“eineChaotisierung.DerGödelscheSatzstellt bekanntlich fest, daß die Widerspruchsfreiheit je-des gegebenen Identitätssystems nie mit den Hilfsmit-teln eben dieses Systems bewiesen werden kann. Das1.TheoremvonGödelineinerVerallgemeinerungvon Rosser, lautet: Unter der Voraussetzung, daß dasformale System S widerspruchsfrei ist, gibt es in ihm ei-nen formal unentscheidbaren Satz; S ist formal unvoll-ständig. Das 2. Theorem lautet dann: Vorausgesetzt,daßdasSystemSformalwiderspruchsfreiist,soistdieseWiderspruchsfreiheitvonSinSnichtbeweis-bar. M.a.W., es ist nicht möglich, ein formales Systemanzugeben, in dem alle metatheoretischen Aussagenüber dieses System in dem System selbst formulierbarsind.

Der Gödelsche Satz stellt also fest die prinzipiel-leUnvollständigkeitundUnabgeschlossenheiteinesformalenSystems,dasausdrucksreichgenugist,umTeilederArithmetikzuenthalten,unddieTranszen-denz seiner Widerspruchsfreiheit. Der GödelscheSatz ist ein metatheoretischer und beansprucht Gültig-

keit für alle formalen Systeme. Das wird immer wiederverdrängt. Daher sei Löfgrens Ermahnung zitiert: „It isimportant then to clarify Pattee's statement that 'com-pleteself–descriptionofanysystemisaphysicalim-possibi l i ty, though not a logical or formalimpossibility'. If complete self–description is meant todescribe all of the description process itself (includingboth description and interpretation), then it is logicallyimpossible. This has been shown by Tarski, and some-what later by Gödel. (...) Today, with our clearer un-derstandingofundecidabilityandnondesrcibability(due to Gödel and Tarski) we would prefer to say thatsuch a totality of languages (such a hierarchy of lan-guages, such a complementarity) cannot be complete-ly described." (3)

Der Primat des Phonologismus und seiner Logiküber die Äußerlichkeit der Arithmetik verhindert nichtnur die Selbstdefinition des logischen Subjekts, seineSelbstbestimmung,sondernauchdieAblösungderSubjektivität vom Kalkül. Die Unabschließbarkeit deslogischen Systems bindet dieses und beunruhigt es un-ausgesetztinderIterationderSelbstbespiegelung.Die Unabschließbarkeit der Metasprachenhierarchiecharakterisiert das logische Subjekt als unglückliches.Dieunabgeschlossene,undefinierteundunentschie-dene, d.h. innerweltlich nicht realisierte Subjektivitätkann nur sich selbst, immanent, in einer infiniten FolgevonSelbstbespiegelungenbegegnen,jedochnichtdem Anderen. Der Mangel an Selbstbestimmung ver-hindert die Bildung eines Selbst, das Ich für ein Du seinkönnte. Erst die Begegnung mit dem Du würde jedochden infiniten Reflexionsprozeß des unglücklichen Be-wußtseins zum Abschluß bringen, weil nur ein Du alsAnderes eine Grenze und Umgebung für die Einbet-tung der infiniten Iteration in die Endlichkeit der Reali-tät abgeben kann.

2.2 Robot und extra–terrestrische Kommunikation

Die Erkundung des Weltraums, das Verlassender Erde impliziert zwangsläufig die Möglichkeit derBegegnung mit extra–terrestrischem Bewußtsein.„DasRaumschifftötetdenSymbolismusderklassi-schenMetaphysik,unddamitzerstörtesdieklassi-sche Lebensform.“ (4) Denn in dem Moment, wo derMensch seinen natürlichen Lebensraum verläßt, kanner den neu erschlossenen Raum nicht ohne imperiali-stischeSelbsttäuschungzuseinemeigenenmachen.Der neue Lebensraum kann immer schon die Umwelteiner anderen Intelligenz oder aber der neutrale Ort

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Nach der Sprachverwirrung

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einer Begegnung mit ihr sein. „Es ist selbstverständ-lich, daß, sollte der Mensch jemals die Erde verlassenundsichinstellareRäumeausbreiten,diesnichtge-schehen kann, ohne daß der Umfang seines Bewußt-seins im entsprechenden Maße wächst. Und mehr alsdas: sein gegenwärtiges terrestrisches Seelentumwird sich in ein 'stellares' verwandeln müssen, um denAufgaben gewachsen zu sein, die ihm in einem kos-mischerweitertenLebensraumnotwendigbegegnenmüssen.“ (5)

Es handelt sich hier nicht um Überlegungen, mitwelcher empirischen Wahrscheinlichkeit eine solcheBegegnunginnächsterZeitstattfindenkönnte,son-dern darum, daß schon die bloße Einsicht in die Mög-lichkeiteinerextra–terrestrischenBegegnung,ihreexistenzielle und theoretische Verarbeitung, dieSelbstdefinitiondesMenschenradikaltransformiert.DieEinsichtundErfahrungderNotwendigkeitderMöglichkeit einer Begegnung mit extra–terrestrischerIntelligenzimplizierteinenParadigmawechseldesmenschlichen Selbstverständnisses, der einer Setlbst-entthronung des Menschen gleichkommt. Vom Stand-punkt der Kybernetik ist nicht so sehr die Existenz vonLebenaufeinemanderenPlaneteneinProblem,alsvielmehr die Nichtexistenz von Leben aufeinem Plane-ten, der analoge Systemeigenschaften besitzt, wie einvon Lebewesen bewohnter Planet. (6)

Das Rationalitäts–Paradigma der künstlichenSprachen ermöglicht zwar die technische Realisationdes Fluges zum Mond, jedoch nicht eine entsprechen-de Kommunikation. Auf dem Mond begegnet dem ir-dischen Astronauten nur die Natur in neuer Mächtig-keit. Diese Mächtigkeit überwältigt ihn, da er diese Er-fahrunginseinersolipsistischenEinsamkeitmachenmuß. Auf dem Mond begegnet der Astronaut nur sichselbstunderfährterneutalsirdischerMenschseineOhnmacht der Natur gegenüber. Schon nur der Posi-tionswechsel von der Erde zum Mond, und die Erfah-rungderErdealsMonddesMondesistvonsolcherexistentieller Mächtigkeit, daß er mit den Mitteln einesobjektivistischgeschultenDenkensnichtmehrverar-beitet werden kann. (7) Auf der Erde, dem Menschengegenüber, ist die Erfahrung des Anderen, die Begeg-nung des Du, die das unglückliche Bewußtsein des ir-dischen Menschen erlösen, die transfiniten Iterationenzum Abschluß bringen könnten, nicht mehr zu realisie-ren:DieHomogenisierungderDifferenzenhatsichplanetarisch installiert, sowohl kognitiver wie auch vo-litiver Prozesse. Eine partielle Ablösung menschlicherBewußtseinsfunktionen geschieht in der Modellierungderselben im technischen Artefakt der künstlichen In-telligenz.(8)SelbstwenneinetotaleWiederholung

dermenschlichenSubjektivitätimtechnischenArte-fakt möglich wäre, bliebe noch die Geworfenheit desmenschlichen Daseins, seine ihm nicht vermittelte Fak-tizität, technisch nichtrealisiert. M.a.W., was sich ei-ner maschinellen Inkarnation entzieht, ist dasExistentialder„Selbstheit“alsBedingungderMög-lichkeitvonIch–undDu–Subjektivität(9)derauto–poietischenGrundverfassungdesmenschlichenDa-seins. „Hier waltet ein Gefühl, in dem, vorläufig nochunausgesprochen,dieEinsichtlebendigist,daßindem intelligenten Robot dem Menschen seine eigenevergangene Geistigkeit entgegentritt; eine Geistigkeitfreilich, die er als Arbeit an die Außenwelt hat abge-ben müssen, um einen Weg für ein weiteres und tiefe-res Verständnis seiner selbst freizumachen. Was unsin der Maschine begegnet, ist gewesenes Leben, ist le-bendiges Fühlen und alte Leidenschaft, die derMenschnichtgescheuthat,demTodderObjektweltzu übergeben. Nur dieser Tod ist das Tor zur Zukunft.“(10)

WassichimtechnischenArtefaktwiederholenläßt,istjedochbestimmtdurchdieBeziehungvonSchöpfer und Geschöpf. Die SchöpfungsrelationGott/Mensch wiederholt sich in der Relation Mensch/Maschine,damitistdashierarchischePrinzipderSchöpfung säkularisiert und im Diesseits realisiert. Un-berücksichtigtbleibtderheterarchischeAspektderSchöpfung. Der biblische Mensch wiederholt die Ar-beit seiner Erschaffung in der Konstruktion und Fabri-kation seiner von ihm abgelösten Subjektivität in derkünstlichenIntelligenz.InderFabrikationseinesAb-bildes emanzipiert sich der Mensch von seinemSchöpfer und findet sich wieder in der planetarischenFaktizität seiner Geworfenheit. Der in das Dasein ge-worfeneMenschbedarfderaußerirdischenBegeg-nung für seinen Abschluß.

„Daß aber selbst ein geschichtlicher Hinter-grund, der den Menschen von seinen Uranfängen ein-bezieht, letzten Endes etwas historisch Vorläufiges ist,geht aus dem folgenden Ereignis hervor: Man hat un-terderAnnahme,daßstellareZivilisationenexistie-ren,BotschaftenindenWeltraumhinausgesandt,inder vagen Hoffnung, daß sie eines Tages von den An-gehörigen einer solchen Zivilisation aufgefangen undentziffert werden können. Sollte es möglich sein, einesTageseinKommunikationsmittelzuentwickeln,dasnicht nur die Erde, sondern auch außerirdische Kultu-ren in seinem Verständnisbereich voll überdeckt, danndürfte es notwendig sein, aus den elementaren herme-neutischen Bedingungen einer solchen inter–stellarenSprache alles das auszuschließen, was ganz individu-ellirdischistundsichauffremdenSternenvielleicht

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Aufgabe und Abgrenzung

nicht wiederholt hat. Dann könnte überhaupt nichtmehr die Rede davon sein, daß der Mensch das Sub-jekt der Weltgeschichte ist, wie unsere geisteswissen-schaftliche Tradition mit unglaublicher Naivität mehroder weniger stillschweigend voraussetzt.“ (11)

Esmüßtedannabergesagtwerden,daßderMensch, dadurch daß er sich in Abgrenzung zur ex-tra–terrestrischen Intelligenz auf das beschränkt, wasganz „individuell irdisch ist“, zu sich selbstgefundenhätte.DenngeradedieseAbstreifungderirdischenMaterialgebundenheitdesmenschlichenCodesimProzeß der Abgrenzung von der außerirdischen Sub-jektivitätistes,diedasmenschlicheBewußtseinvonseinemterrestrischenSolipsismusbefreit.GewißistdieseAbgrenzungnichtdurcheineEinschränkungdesCodes,sondernnurdurcheineradikaleVertie-fung und Erweiterung der Operativität der gegenwär-tigenSymbolisierungs–technikenzuvollziehen.IndiesemSinneistdieBegegnungmitderaußerirdi-schen Intelligenz das Apriori des Abschlusses des irdi-schen Bewußtseins und seiner Einbettung in diekosmische Entwicklungsstufe der Subjektivität.

Im Vollzug der Projektion menschlicher Subjekti-vität in die Maschine ereignet sich beim Menschen einIdentitätswechsel:DieAbgabedersubjektivenFunk-tionen an die Maschine befreit ihn von der Objektge-bundenheit seiner Subjektivität. Dieser Loslösung desMenschen und seiner Schreibweisen von der Materi-algebundenheitdesPhono–LogosentsprichtinversdieEinschreibungderzusichkommendenirdischenMaterieindenvor–schriftlichenInzisionendesalt-steinzeitlichenMenschen.VondieserErdgebunden-heit befreit und vermittelt durch diekünstlicheIntelligenz,istnundieMöglichkeiteinerBegegnungmit außerirdischen Intelligenzen erreicht. „Wir stellenfest, daß der Mensch mit Hilfe der Maschine als Denk-prothese Problembereiche sichtbar machen kann, de-renbloßeExistenzdemnatürlichenundtechnischununterstützten Denken überhaupt nicht zum Bewußt-sein kommen können. Es gehört zum Wesen des natür-l ichen Bewußtse ins , das noch nicht durchkybernetischeDenkprothesenunterstütztist,daßesbestimmtespirituelleFragenüberhauptnichtstellenkann, weil der Wirklichkeitsbereich, in dem sie auftre-ten, für es überhaupt nicht existiert.“ (12)

DasbiblischeAnalogonzumheterarchischenSchöpfungsprozeßistbekanntlichderLilith–Mythos.Liliths Heimsuchung des irdischen Menschen steht alsonoch bevor.

3 Negativsprache

Heute entsteht somit dem Kalkültheoretiker undGrammatologen, nachdem die philosophische Ideedes formalen Systems und des Kalküls formalisiert undder Prozeß der Automatisierung der Beweisverfahrenetwa von Logikkalkülen in vollem Gange ist, die Auf-gabe, Schriftsysteme zu entwickeln, mit denen die völ-ligeAndersartigkeitdesAnderenunddievorbehalt-loseKomplexitätselbstreferentiellerStrukturenoper-tionalisiert werden können. Das ist nur möglich, wenndie neuen Schreibweisen in der Lage sind, 1. ihre Ra-tionalitätvonderInnerlichkeit,demPhonologismusdesmenschlichenDenkens,abzulösen;und2.dieProzessualitätderNamensgebung,derBenennungim weitesten Sinne, der Selbstbenenung, jenseitssprachanalytischer Tabus, ohne Objektivierung, d.h.Verdinglichung, einzuschreiben.

3.1 Aufgabe und Abgrenzung

Was Subjektivität überhaupt und insbesonderemenschliche Subjektivität ist, läßt sich nur verstehen,wenn der Mensch sich nicht als einsames Zentrum derWelt,alsSubjektderGeschichtehochstilisiert,son-dern wenn er sich als eine notwendig zu–fälliges Er-eignis des Universums sieht. „Nicht der Mensch ist dasSubjekt der Geschichte, sondern das was wir – etwashilflos – als das All bezeichnen. Was dann unter Sub-jektivität zu verstehen ist, das wird zwar menschlichesBewußtseinundSelbstbewußtseinalsengen–undwahrscheinlich nicht übermäßig wichtigen – Spezial-falleinschließen.Esistaberkaumzuerwarten,daßdas menschliche Ich sich in einer solchen ins Universa-leausweitbarenSubjektivitätwiedererkennenkann.Um eine solche aber muß es bei einer äußersten Kon-frontation von Form (Logos) und Inhalt (Substanz) ge-hen“. (13) Das neue Selbstverständnis des Menschenentthront ihn, erlöst ihn von der Erdgebundenheit sei-nerFormkonzeptionundOperationalität(Phono–Lo-gos) – „Jede Materialgebundenheit muß einenFormalismusschwächen“ (14)–undbringt ihnalsselbstreferentielle, konkrete Systemganzheit zum Ab-schluß durch die Möglichkeit der Begegnung mit ex-tra–terrestrischer Realisation der Subjektivität,vermittelt durch die von ihm entworfene künstliche In-telligenz.DieTendenzeneinervehementenAbleh-nung der künstlichen Positiv–Sprachen als Vehikel desphilosophischen Denkens sollte sich nicht darüber hin-wegtäuschen,daßauchdiekünstlichenPositiv-spra-chen, trotz ihres äußerlich non–phonetischenSchrifttyps, durch und durch im Dienste des Phonolo-

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Negativsprache

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gozentrismus stehen. Der Atomismus des Zeichenre-pertoires, die prinzipielle Linearisierbarkeit allerformalen Strukturen (Markov), ihr Reduktionismus,wie auch der Glaube ihrer semantischen Einbettbar-keit in die natürliche und nicht–hintergehbare Um-gangssprache, Dominanz der Muttersprache usw.,ihre Unentscheidbarkeit und damit Bindung an dietranszendente Kreativität des Kalkülkonstrukteurs, dienegative Teleologie ihres Wahrheitsbegriffs, die Sub-sumierung des Dia– und Polylogischen unter die Herr-schaft der ontologischen Wahrheit, all das ist nur dieandere Seite des Natürlichsprachlichen, sei es nun inderPhilosophieoderDichtung,undnichtseineEnt-fremdung oder gar Entartung.

Die Hierarchie von Rede und Schrift wiederholtsich im Verhältnis von natürlicher und künstlicher Spra-che.DaßinderpositivsprachlichenKonzeptionvonOperativität, Strukturalität, Prozessualität usw. das ex-akte und operative Denken und Handeln überhaupt zuseinemkonzeptionellenAbschlußgekommensei,eskanndabeiaufdieLimitationstheoremevonGödel–Rosser–Church–Markovhingewiesenwerden,unddaß daher das einzige non–restriktive Medium einerDekonstruktion der abendländischen Metaphysik dieDichtung sei, da nur sie ohne Referenz auf eine vorge-gebene Präsenz sich vollziehe, ist ein seit Hegels At-tackengegendenFormalismusinderPhilosophiegeläufigerTopos,dernichtsdestotrotzohneBeweisgeblieben ist.

Angesichtsderphilosophischen,semiotischenwie auch allgemein ökonomischen Relevanz der Ma-thematik, ist deren Dekonstruktion von besonderer Bri-sanz. Selbstverständlich handelt es sich bei einersolchenDekonstruktiondermathematisch–logischenSymboli–sierungsweisen, die zu einer polykontextura-len,sichselbstbeschreibenden,kenogrammatischenKonzeption der Operativität führt, nicht um ein Igno-rieren des Gödelschen Satzes, sondern um eine Hin-te r f ragung der Vorausse tzung desLimitationstheorems.SoschreibtGeiser: „Thepro-blem of escaping from Gödel's arguments is not the in-solvable problem of 'formalizing the unformalizable'as some have despairingly felt, but, as explicitly statedby Essenin–Volpin, to modify and extend our traditio-nal means of formalization, means which already in-volve implizit assumptions as to the categorical natureof the natural numbers." (15)

3.2 Positiv–/Negativsprache

Im Rahmen der Güntherschen Idee einer Nega-

tivsprache(16)erweistsichdienatürlicheSprache,wie ihre zugehörige künstliche Idealsprache, als Posi-tivsprache.DiePositivsprachehatdieAufgabe,dasVor–gegebeneadäquatabzubilden,zuwiederho-len; sie ist eine Zeichensprache (Repräsentamen). Ih-ren Abbildcharakter behält sie bei, auch auf der StufedessymbolischenZeichengebrauchs,derdurchdieAblösung vom Objekt gekennzeichnet ist, da siedurchdenAtomismusihresZeichenrepertoiresunterder Herrschaft der Identität steht.

Das Verhältnis von Rede und Schrift, natürlicherund künstlicher Sprache, wird von der Konzeption derNegativsprache nach Maßgabe der Enttrohnung dermenschlichen Subjektivität neu geregelt. Die Negativ-spracheimplementiertdieErfahrungvonBabelundbereitetdieextra–terrestrischeKommunikationvor.SieistkeinekünstlicheSprache,diedernatürlichenentgegengesetzt wird. Das Geschaffensein der Spra-che und ihre Vielfalt sollen in der Negativsprache sä-kularisiert werden. Nicht ein Vorgegebenes sollformuliert und formalisiert, sondern die Bedingungender Möglichkeit von natürlicher und künstlicher Spra-che überhaupt sollen eingeschrieben werden. Daherist sie keine Sprache, die sich auf ein vorgegebenesSein bezieht und Erkenntnisse vermittelt.

GemäßihremUltra–Transzendentalismus–solldoch der Prozeß der Genesis von Umgangs– und For-malspracheundihreDissemination,ohneVerdingli-chung eingeschrieben werden – ist sie „vielmehr einCodexfürHandlungsvollzüge“ (17),Handlungsvoll-zügejedoch,derenProzessualitätsichnichtdurcheine positivsprachliche pragmatische Handlungstheo-rie,PraxeologieoderProzeßlogikobjektivierenlas-sen. Die Negativität der Negativsprache bezieht sichsowohl auf das Nichts der Meontik wie auch auf dieLeerederKenogrammatik.Damitistgarantiert,daßsich die Negativsprache vom Primat der menschlichenSubjektivität löst, und daß diese zugleich in ihr als Teil-system enthalten ist, und so die universalen Kommuni-kationsmittel, vermittelt über die künstliche Intelligenz,für extra–terrestrische Begegnungen bereithält. Überdiesen Umweg entledigt sich das planetarische Den-ken und seine Technologie des Zwangs des logozen-trischen Denkens zur Selbstdestruktion und zurAusbeutung und Vernichtung der Erde.

DerChiasmusvonUmgangs–undFormalspra-cheaufdemHintergrundvonPositiv–undNegativ-sprache läßt sich folgendermaßen zusammen–fassen:„DieklassischepositiveUmgangssprachewirdumder größeren Präzisionwillen auf die eindeutige For-malsprachereduziert,siebleibtaberaufgrundihrergrößeren Beweglichkeit, sowie der fehlenden Selbst-

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Paradoxie der Selbstentthronung

referenz der formalen Positivsprache, deren Meta-sprache. Bei Beibehaltung des Kriteriums derPräzision wird nun die begriffliche Überdeterminati-on, die den Spielraum der Umgangssprache ermög-lichte, in die Formsprache eingeführt, die durch ihrepolykontexturale Struktur zur Negativsprache wird.Damit ist der Vorteil der Umgangssprache in der For-malsprache aufgehoben. Da die Komplexität der Um-gangsspracheaberdurchdasPrinzipderEvidenz,d.h. ihre positive Intention, in engen Grenzen bleibt,wird sie mithilfe der prinzipiell in ihrer Komplexität un-beschränktenformalenNegativsprachezueinerne-gativsprachlichen Umgangssprache erweitert. Damitist der Gegensatz von Umgangssprache und Formal-spracheaufderEbenederNegativsprachewieder-hergestellt,allerdingsinumgekehrterRangordnung.Die negativsprachliche Umgangssprache ist nichtmehr die oberste Metasprache.“ (18)

Die Negativsprache entspricht dem Paradigma–WechselzwischenPhilosophieundTechnik,wieervonGüntherin„Idee,ZeitundMaterie“charakteri-siertwurde: „Damitentwickeltsicheinebishernichtdagewesene historische Situation. Hatte in der ebenvergangenen Epoche die Technik am Ende eines ge-schichtlichen Prozesses gestanden, zu dessen endgül-tiger Liquidierung sie diente, so ist ihr Platz – in ihrertransklassischen Gestalt – jetzt am Anfang einer Epo-che. (...) Wurde in der klassischen Periode zuerst überdieWeltnachgedachtunderzeugtedasderarter-reichte Resultat den Wunsch, sie zu verändern, drängtder technische Ergeiz, der sich durch Mangel an tiefe-ren theoretischen Einsichten ingenieur–technisch auf-gehalten sieht, jetzt nach einem zweiten Denken, dassich nicht mehr, wie das erste, einem fertigen Sein ge-genüber sieht, sondern das auf die ewig im Werdenbegriffene technische menschliche Schöpfung antwor-tet.“ (19)

3.3 Paradoxie der Selbstentthronung

Die Selbstentthronung des Menschen versetzt ihnin eine paradoxale Situation, der gegenüber die klas-sischen philosophischen und mathematisch–logi-schen Paradoxien und Antinomien nur die Spitze desEisbergs sind, die sich in ihr von selbst auflösen.„Schärfergefaßt,bestehtdieDethronisierungdesmenschlichenBewußtseinsdarinzubegreifen,daßdas System der menschlichen Rationalität keineswegsdas System der Rationalität des Universums ist. Es lie-fertnureineninfinitesimalenBruchteildesletzteren.DasUniversum'denkt'inaristotelischenKategorien

nur dort, wo es sich um Totes handelt. Es ist der Tod,den der Mensch in sich fühlt und dem er nicht entflie-hen kann, es sei denn, er gibt sich selbst auf. Aber die-se Selbstaufgabe, die, wissenschaftstheoretischgesprochen, den Übergang zu einer transklassischenLogik bedeutet, scheint ein zu hoher Preis zu sein, unddeshalb klammert sich die gegenwärtige Philosophienoch immer verzweifelt an die aristotelische Logik, dienichtverlangt,daßderMenschinweitenBereichensein privates Evidenzbewußtsein preisgibt und durchden Rechenprozeß ersetzt.“ (20) Wie ist es demmenschlichenBewußtseinmöglich,eineTheoriederRationalitätdesLebensüberhauptunddesUniver-sums zu entwickeln, wenn es selbst nur einen ver-schwindenden Teil derselben und nicht die 'Krönungder Schöpfung' ausmacht?

M.a.W.,wiekanneinmonokontexturalesDen-ken den Text einer polykontexturalen Welt einschrei-ben?Oder,wiesolleinprinzipiellaufdielogischeZweiwertigkeitbeschränktesBewußtseineinegene-rellmehrwertigeLogikundWirklichkeitskonzeptiondenken?DieParadoxieläßtsicherhellen,wennzu-sätzlich zum Denken das 'Gedächtnis' (die Annahmeder verdrängten Inskription) als Bewußtseinskategoriehinzugenommen wird. Die Thematisierung bzw. Kon-textuierungeinesWeltausschnittesmußimmervondemkomplementärenWissenumdiePartialitätderElementarkontextur,innerhalbderergedachtwird,begleitet werden. „Die Welt hat unendlich viele onto-logische Orte, und in jedem ist sie, wenn derselbe iso-liertbetrachtetwird,durcheinzweiwertigesSystemdarstellbar.“ (21)

DieKoexistenzdieserOrte,ihrkomplexesZu-sammenspiel, wird nun in der mehrwertigen Orts– undStellenwertlogikderPolykontexturalitätstheoriebe-schrieben, berechnet und registriert.

Das Licht der Welt, der logos spermaticos,kommt, wenn er kommt, nicht von oben, es ist die Fin-sternis selbst, die sich tastend erhellt. Innerhalb des Pa-radigmas des Logozentrismus mit seiner Licht–metaphysik ist es der Mensch, der die Gesetze der Na-tur (von ihrem Buch in seine Bücher) schreibt; die Ge-setze des Lebens hingegen schreiben sich selbst in dasLeben ein, das ist der Paradigma–Wechsel wie er invon Foersters Theorem Number Three der 'second or-dercybernetics'improvisiertwird: „TheLawsofNa-ture are written by man. The laws of biology must writethemselves.“ (22) Der Übergang von der Rede und ih-rerSchriftzueineruneingeschränktenSymbolisie-rungsweiseverlangtdasOpfereinesSprunges,derjeden Satz und seinen Gegensatz hinter sich läßt: densalto mortale. Nach dem Urteil des Königsberger Phi-

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„Unum necessarium“

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losophen ist dieser vorsätzliche Sprung allerdings„ein Absprung von Begriffen zum Undenkbaren, einVermögen der Ergreifung dessen, was kein Begriff er-reicht,eineErwartungvonGeheimnissenoderviel-mehr Hinhaltung mit solchen, eigentlich aberVerstimmung der Köpfe zur Schwärmerei und insofern'der Tod aller Philosophie'. (23)

4 „Unum necessarium“

Einen ersten Schritt in der Entbindung derSchreibweisen der künstlichen Sprache von ihrer Ge-bundenheit an die menschliche und d.h. solipsistischeKonzeptionderSubjektivitätleistetdieUmkehrungder Verhältnisse von Logik und Arithmetik, Begriff undZahl.

Damit wird dem Denken ein Vertrauen in die Äu-ßerlichkeit, den Mechanismus, den Tod eröffnet. DieZahl ist das Andere des Gedankens, des Begriffs. DerBegriff gehört als logischer zum System der Rede, desGehörsunddesGehorsams,alsoderInnerlichkeit,desGewissens;dieZahldagegenzumSystemderSchrift, des Sehens, des Spiels, der Äußerlichkeit.

4.1 Entbindung

Ein erstes Vertrauen in die Zahl, nicht als Zahlen-gedanke,sonderninihreraußer–phonetischenÄu-ßerlichkeit,alsGegenüberdesDenkens,kanndasDenken dort erfahren, wo Zahl und Begriff koinzidie-ren.

DieSymmetrie,diezwischendenkoinzidieren-denSystemenbesteht,wirddurchdieVorherrschaftdes Logischen über das Arithmetische etabliert. DieseSituation ist zwar für alle Sprachen konstitutiv, tritt je-doch besonders augenfällig in der Leibnizschen Dya-dik in Erscheinung.

In der mathematischen Grundlagenforschung isteinsolcherPositionswechselverschiedentlichvollzo-gen worden. So wird etwa im Konstruktivismus Good-steinsdieZahlnichtalseinPrädikat2.Stufe,alsologisch, sondern als formales Zahlzeichen eines rekur-siven Systems eingeführt und die Logik sekundär dar-ausgewonnen.D.h.dieLogikwirddurchdieArith-metik begründet.

Solange die Affinität zwischen Begriff und Zahlaufrechterhaltenbleibt,istmitdemPositionswechselallein noch keine Entkoppelung der Subjektivität vomKalkülgeleistet.DazubedarfeseinerzusätzlichenVerschiebung der koinzidierenden Systeme und zwarderart, daß die Vorherrschaft der Logik über die Arith-

metik gebrochen wird, und die Symmetrie zugunsteneiner Asymmetrie erweitert wird.

Eine Entkoppelung der Subjektivität, als dem frei-enundsolitärenVermögenderApplikationvonRe-geln, vom Kalkül, impliziert zugleich eine strukturelleImplementierung von Subjektivität in den Kalkül.

DerOrt,wosichBegriffundZahlimeuropäi-schen Denken treffen, und von wo aus eine enge Ver-wandtschaft des europäisch–philosophischenDenkensmitdemalttestamentarischenSchöpfungs-mythos und dem chinesischen Denkens des I Ching ge-sehen wurde, ist die von Leibniz entdeckte und heuteinderKybernetiktechnischrealisierteundinihrenMöglichkeitenerschöpftenouvellesciencedesnom-bres, die Dyadik. (25)

Die Verwandschaft der Leibnizschen Dyadik mitdem chinesischen Buch der Wandlung, den Trigram-men (Pa–kua), hat sich allerdings als missionarischerWunschtraumerwiesen,unddieDeutungderbibli-schenSchöpfungmithilfevon1und0,mitSeinundNichts, als bloße Illustration für fromme Gemüter wieetwa Herzog Rudolf August.

DieDyadikmachtjedocheinenIsomorphismuszwischenBinär–ArithmetikundSemantikderzwei-wertigenAussagenlogikaugenfällig,undgibtdamitden Ort an, von dem aus eine Erweiterung und Dekon-struktion der wissenschaftlichen und philosophischenNotationssysteme und Symbolisierungsweisen in An-griff genommen werden kann, soll eine Befreiung derskripturalenArbeitvondenProduktionsverhältnissender Aneigungs– bzw. Positivsprachen vollzogen wer-den können.

4.2 Leibniz' Dyadik

Die Bedeutung der Leibnizschen BinärarithmetikistnichtsosehrmathematischeralsmetaphysischerArt. Zahlendarstellungen mit anderer als dekadischerBasis, waren Leibniz aus der Tradition bekannt. EtwadastetradischeSystemvonErhardWeigelunddasduodezimaleSystemPascals.WeigelversuchtemitseinerTetradikandiepythagoreischeTraditionderTetraktys anzuknüpfen.

Die Idee einer Reduktion der arithmetischen Ba-sis auf nur 2 Einheiten zur Erzeugung der natürlichenZahlen, muß im Zusammenhang mit dem Reduktionis-mus der Characteristica Universalis gesehen werden.

Leibnizpräsentiertseinenouvellesciencedesnombres mit den Worten: „Wunderbarer Ursprung al-ler Zahlen aus 1 und 0, welcher einschönes Vorbild gi-betdesGeheimnissesderSchöpfung,daallesvonGott und sonst aus Nichts, entstehet: Essentae Rerum

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Zahl und Begriff

sunt sicut Numeri. Zu forderst wird erinnert, daß diese Art zu rech-

nen, gar nicht dahin gemeinet, als ob man sie im ge-meinen Gebrauch einführen sollte, sondern sie dienetzurBetrachtung,sowohlderderNaturderZahlenselbst, als auch des wunderbaren Vorbilds der Schöp-fung, so sich darin ergiebet. Gleich wie man bey dergemeinen Weise zu Rechnen, nicht mehr als zehn G ru n d – Z i p h e r n brauchet, nehmlich 0.1,2,3,4,5,6,7,8,9,undalso,wennmanimZehlenmitschreibenbis auff z e h e n kommen, wieder anfänget von 1; unddie 0 dabey füget, und also zehen bezeichnet mit 10;Und gleich wie einige gelehrte Leite anstatt der f o r t–s c h r e i t u n g mit Zehen gebraucht die forschreitungoder p r o g r e s s i o n mit Vier, dergestalt daß sie nurvier Grund–Ziphern brauchen, nehmlich 0,1,2,3, undalso bey V i e r wiederanfangen, mithin anstatt des Zei-chens 4, bey solcher rechnung 10 sezen; Also habeich vor das natürlichste, ursprünglichste und einfaltig-ste gehalten, mit der allerersten fortschreitung zu be-dienen, nehmlich mit 2, also daß man nach derVerdoppelung wieder forn anfänget, denn der gestalt(welches wunderlich scheinet) folget nothwendig, daßman alle Zahlen schreiben könne, ohne einige andereGrundziphernzubrauchenals0und1;undanstattzwey schreibt man 10." (26)

„Darausfolgtnundaßnachdieserneuenbe-zeichnung viel schöhne eigenschaften in den Zahlenordentlich herfür kommen müßen, so nach gemeinerweise nicht leicht zu bewircken; denn wo die grund-zeichen ordentlich, muß auch /sich/ eine ordnung inallen demerzeigen, so daraus fließet.

Man siehet auch bey diesem Vorbild, daß in al-len Dingen derganzen Welt eine schöne ordnung sey,wenn man nur auf deren Ursprung komt, nehmlich 0und 1. Eins und sonst Nichts.“ (27)

„...; so gibt dieses schone vorbild eine angeneh-me und hohe betrachtung über das u n um n e c e s s ar i u m, wie nehmlich aus Gott allein, als dem Vollkom-mensten und Einfälti(gsten) Eins, und sonst Nichts, alleanderen Dinge entspringen.“ (28)

Gegen eine Erweiterung der Dyadik, die nebenGott und dem Nichts die Materie designieren müßte,schreibt Leibniz in seinem Brief an Herzog Rudolf Au-gust: „wie unrecht die heidnische philosophie, die ma-terialseinenmit–ursprung,GottgleichsamandieSeite gesezet.“ (29)

4.3 Zahl und Begriff

Die besondere logisch–semantische Bedeutung

der Leibnizschen Dyadik sieht Günther in der Herstel-lungeinerAffinitätzwischenLogikundArithmetik.DasdyadischeErzeugungsschemadernatürlichenZahlenistisomorphmitdemSchemaderBegriffsdi-hairese. „Seine Dyadik entspricht der Zweiwertigkeit.AberdieseAffinitätvonbegrifflicherOrdnungundZählmethodebeziehtsichalleinaufjenesubspecieaeternitatisSituation,indersichdiebeidenisomor-phen Aussagensysteme invers gegenüber stehen undin der noch keine Rede davon ist, daß in der Geschich-tediesesVerhältnisdurchdieZeitverdrehtunddaseine das Erbe des anderen wird. Die Dyadik zählt imZeitlosen.IhrunschätzbaresVerdienstaberist,daßsieunsdiegrundsätzlicheAffinitätzwischenBegriffund Zahl deutlich vor Augen führt.“ (30)

DieserZusammenhangzwischenZahlundBe-griff bzw. Zeichen und Bedeutung gilt auch ganz all-gemein für die strukturelle Grundlagen der Texttheorieund insbesondere für die Theory of Strings (31), bzw.dielogischeSemiotik.VerstehtmanunterlogischerSemiotik ein Quadrupel S = (M, E, e, R): dabei ist Mdie Menge der Zeichenreihengestalten, kurz Zeichen,vonS,EdieMengederAtomgestaltenvonS,edieLeergestalt, das Leerzeichen von S, und R die Verket-tungsrelation,KonkatenationvonS,fürdieAxiomeeinerfreienHalbgruppemitEinheitselementgelten,dannläßtsichzeigen,daßeineSemiotikmithöch-stensabzählbarvielenAtomzeichenbereitsimRah-meneinerSemiotikmitnureinemAtomzeichenunddemLeerzeichenalleinrekursivaufgebautwerdenkann.DieabzählbarvielenverschiedenenAtomzei-chen der Menge E lassen sich mithilfe eines einzelnenAtomzeichens und dem Leerzeichen definieren.

Werden zwei Atomzeichen und ein Leerzeichenzugelassen, dann ist die Grundoperation der Semio-tik, die Konkatenation bzw. dual dazu die Substituti-on, sogar explizit definierbar und alle induktivenDefinitionen dieser Semiotik lassen sich gleichwertigdurch explizite Definitionen ersetzen.

Ein semiotischer Quadrupel mit nur einem Atom-zeichenunddemLeerzeichenistidentischmitderTheoriedernatürlichenZahlen.AllgemeinsindalsosemiotischeQuadrupelSystemeverallgemeinerterArithmetikenmitmehralsnureinerNachfolgerelati-on. Solche verallgemeinerten Arithmetiken mit mehre-ren Nachfolgeoperationen sind jedoch in ihrerLeistungsfähigkeitbezüglichRekursivität,Berechen-barkeit, Ausdrucksstärke usw. der uni–linearen Arith-metik genau sowenig überlegen wie etwa diemehrbändigeodermehrköpfigeTuring–Maschineder Einband–maschine; sie sind äquivalent. In diesemSinne bilden die semiotischen Quadrupel keine echte

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„Unum necessarium“

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Erweiterung der klassischen Arithmetik, denn sie las-sendenZahlbegriffimWesentlichen,d.h.inseinerAtomizität, Identität, Rekursivität unberührt.

SemiotischeQuadrupelsindnundiezeichen-theoretische Grundlage aller formalen Systeme bzw.Kalküle.KalküleselektierenausderMengederZei-chenreihenderlogischenSemiotik1)diesinnvollenAusdrücke, die Formeln, 2) die wahren Formeln, dieSätze bzw. Theoreme des Kalküls und 3) wird eine Ab-leitungstheorie angegeben, die jeder Teilmenge vonSätzeneindeutigeineAbleitungsmengevonSätzenzuordnet. Eine mathematische Theorie ist nun danachnicht anderes als ein durch semantische Begriffe wie'Aussage','Gedanke','Wahrheitswert'gedeuteterKalkül. (32)

Die Trichotomie der Selektionsschritte eines Kal-küls von der Produktion der Zeichenreihen bis zu sei-nem Theoremen, lassen sich als Verkettung von 3Teilkalkülen,d.h.von3Elementar–Kalkülenauffas-sen.EinallgemeinerKalkülistdahernachLorenzen(33)einüberlagerterKalkül.DermetatheoretischeHauptsatzdieserKalkültheorielautetnun,daßsichalleüberlagertenKalkülegleichwertigdurcheineneinzigen Elementar–Kalkül darstellen lassen.

Die Polykontexturalität der transklassischen Kal-kültheorie, der Graphematik, wird durch das Konzeptder Heterarchie zum Ausdruck gebracht. Transklassi-scheKalkülesindalsonebengelagerteelementareKalküle irreduzibler Komplexität.

WegendesIsomorphismus'zwischenDyadikund m–Adik bezüglich der natürlichen Zahlen, allge-mein der Reduzierbarkeit der Semiotik auf den Bina-rismus, erscheint eine Erweiterung des Zahlenbegriffs,derArithmetikdernatürlichenZahlen,einabsurdesUnterfangen zu sein.

Nach der Erweiterung der 3–dimensionalen eu-klidischen Geometrie zur m–dimensionalen nicht–eu-klidischenGeometrie,derzweiwertigenLogikzurmehrwertigenLogik,istdieErwartungeinerErweite-rungderuni–linearenArithmetikzurmulti–linearenArithmetikdernatürlichenZahlenlegitim.Nochbisvor wenigen Jahren war jedoch eine solche Erwartungtabu. Erweiterungsversuche wie die Birkhoffsche Ge-neral Arithmetics, die rekursive WortarithmetikVuckovics(34)wieauchdieinteressantenZahlbe-reichs-konstruktionen im Rahmen einer mehrwertigenMengenlehre (35) haben das Konzept der natürlichenZahlen nicht aufgelöst; die natürliche Zahl mit all ihrenidentitätstheoretischenImplikationenbleibtbeidengenannten Theorien unangetastet.

DasProblemeinerErweiterungderKonzeptiondernatürlichenZahlenliegtdarin,daßjedeErweite-

rung nur mithilfe der natürlichen Zahlenselbst erfolgenkann.Damitschleichtsicheinepetitioprincipiiein.DieneuenZahlenkonstruktionenbefindensich,da-durch daß sie in Abhängigkeit zu den natürlichen Zah-len kons t ru ier t s ind, nicht auf derse lbensystematischen Ebene wie die natürlichen Zahlen, undstellen daher für deren Alleinherrschaft keine Gefahrdar.

ObeineverallgemeinerteArithmetiknureinenodermehrereNachfolgeoperatorenhatundsomiteinebeliebigeZahleinenodermehrereNachfolgerbesitzt, und ob ihre Struktur kommutativ, zyklisch odernicht–kommutativ ist, ist solange für das Problem einerechten Erweiterung der natürlichen Zahlen irrevalent,als nicht garantiert ist, daß die Erweiterung die Zahlund die Zahlenkonzeption selbst und nicht eines ihrerDerivate betrifft. Bei allen Erörterungen zu einer Erwei-terungderKonzeptiondernatürlichenZahlenwirdvorausgesetzt, daß die Uni–Linearität der natürlichenZahlen garantiert ist. Unter Linearität bzw. KonnexitätwirdinderArithmetikdieEigenschaftverstanden,daß zwei Zahlen entweder gleich oder ungleich, alsovergleichbar bzw. zusammenhängend sind, also a >b ∨ a < b ∨ a = b.

M.a.W., für eine beliebige natürliche Zahl gibtes einen und nur einen Vorgänger und Nachfolger, je-dochkeinenNachbarn.DieUni–Linearitätbzw.dieEinzigkeit der Reihe der natürlichen Zahlen läßt sichmathematisch, nicht beweisen. D.h. das Peano–Axio-mensystem ist nicht in der Lage, die natürlichen Zahlenselbst zu charakterisieren, sondern nur deren Struktur.Diese kann jedoch von ganz verschiedenen konkretenSystemenrealisiertwerden.DienatürlichenZahlenmüssen daher als vorgegeben angenommen und kön-nen nur post festum begründet werden. Davon zeugtdiebekannteAussageKroneckers:„DieganzeZahlschuf der liebe Gott; alles andere ist Menschenwerk.“

Die einzigen Ausnahmen zur Apologie der Iden-titätinderphilosophischenundmathematisch–logi-schen Konzeption der Zahlentheorie machen dasanti–traditionalistischeProgrammdesUltra–Intuitio-nismus des seit Ende der sechziger Jahre in den USAlebenden Russen Alexander Yessenin–Volpin, und diePolykontexturalitätstheorie Gotthard Günthers wie siezurselbenZeitamBiologicalComputerLaboratory(BCL) in Urbana, Illinois (36), entwickelt wurde.

Yessenin–Volpin, auf dessen Metakritik derGrundlagenderMathematikundKonzeptioneinermehrlinigenArithmetikhiernichteingegangenwer-denkann,schriebtzumeleatischenIdentitätsprinzipder Mathematik: „Already Heraclitus pointed out thatthe notion of identity is not completly clear. But mathe-

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Ganzheit und Zahl

maticans prefer to proceed as if Heraclitus had not li-ved. I cannot continue in this way, this situation whenan infinite process can be imbedded in an finite objectis anordinary one in investigations of distinct naturalnumber series, and I shall need an apparatus for theexplicit consideration of all identifications used in suchcases.“ (37)

4.4 Ganzheit und Zahl

Günther macht in seiner Arbeit „Idee, Zeit undMaterie“ darauf aufmerksam, daß die strukturelle Dif-ferenz zwischen der Binär– und beispw. der Ternär–Arithmetikdarinliegt,daßnurdieZahlkonfiguratio-nendesBinärsystemsredundanzfreisind.Damitistgemeint, daß Konfigurationen des Ternärsystems wie11, 22 und 10, 12, 20, 21 holistisch äquiform sind.D.h.einziginderDyadikherrschteineIsomorphiezwischenderIdentitätderZahlzeichen,derZiffernund der Gestalt der Zahlkonfigurationen. In der Leib-nizschen Dyadik versammeln sich somit die zwei Ko-inzidenzen:1)dieKoinzidenzvonElementarismus(Atomismus) und Holismus (Morphogrammatik).

Es ist nun naheliegend, die Koinzidenz von Ato-mismus und Holismus, wie sie sich in der Dyadik zeigt,zum Ausgangspunkt der intendierten Erweiterung derArithmetikzumachen,d.h.dieKoinzidenzvonEle-ment und Gestalt ist zugunsten der Gestalt zu destruie-ren.

Ist bei Leibniz 1 und 0 mit Sein und Nichts, in derLogik mit Positivität und Negativität, interpretiert, so istineinerholistischenKonzeptionderArithmetikeinesolche Modellierung nicht mehr möglich, da es sich inihr nicht mehr um eine Deutung der Elemente, der Ele-mentarzeichen handeln kann (etwa 0 als Negativität),sondernsicheinemöglicheDeutungnuraufdieGe-stalt,dasMorphogramm,beziehenkann.Denndiezwei Gestalten (011) und (100) sind morphogramma-tischgleich.DieLeibnizscheDyadikhatgewißver-schiedene Realisationen je nach der Wahl derZeichen, die für die Bezeichnung von Sein und Nichtsgewähltwerden,prinzipielljedochimmernurzweiRealisationen,diezueinanderdualsind.IstdasZei-chenrepertoire Z = {0,1} so sind die Dyadiken D0 undD1 , wobei 0 als Leerzeichen für D0 und 1 als Leerzei-chen für D1 fungiert, zueinander dual:

0 1 / \ = / \ 0 1 1 0 Wenn von der Dyadik und allgemein von einem

Kalkül die Rede ist, so istgenaugenommen immer von

einem allgemeinen Äquivalent und nicht von der kon-kretenRealisation,alsoimmervoneinemabstraktenund nicht von dem jeweiligen konkreten Kalkül, die Re-de. Wenn als Repräsentant der abstrakten Dyadik dieRealisation D0 gewählt wird, wie bei Leibniz, dann istdie Inversion einer Konfiguration wie (110), also(011), keine dreistellige Zahl der Dyadik D0. Damit istnoch einmal gezeigt, daß die dyadischen Zahlen kei-neGanzheiten,Morphogrammesind,sondernato-mare Zeichenreihen im Sinne der logischen Semiotik,obwohl bei ihnen eine Koinzidenz zwischen Zahlfigurund Gestalt sichtbar wird.

5 Die vier Stufen der Materialität

Die Erweiterung der Dyadik muß von deren ver-decktem Holismus ausgehen und ihn bei der Erweite-rung bewahren. Unter dieser Voraussetzung vollziehtsich der Übergang von der Dyadik zur Triadikzwangsläufig nach folgenden Regeln:

1) Die Dyadik muß in der Triadik enthalten seinund 2) Die Triadik muß holistisch definiert sein.

5.1 Morphogramm und kenogrammatisches System

Der Erzeugungsgraph für die Dyadik: 0 / \ 0 1Ihre Regeln sind: Zeichenrepertoire: Z = {0,1} Anfangsregel: ⇒0 Nachfolger R0 : X ⇒ X0 Nachfolger R1 : X ⇒ X1 X ist Objektvariable Der Erzeugungsgraph für die Triadik ist nun nicht

0 /|\ 0 1 2 sondern 0 / \ 0 1 /|\ 0 1 2

Ebenso läßt sich die holistische Triadik nichtdurch die Hinzufügung einer zusätzlichen Nachfolge-regel R2, R2 : X ⇒ X2, zum Regelsystem der Dyadik de-finieren.DiesesVorgehenentsprächederüblichenDefinition der ternären Zahlen. Die Nachfolgeregelnder Triadik sind holistisch, d.h. sie fügen das Nachfol-

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Die vier Stufen der Materialität

170

ge–Element in Abhängigkeit nicht so sehr von derMenge der Zeichen des Repertoires, als vielmehr vonder Gestalt der Sequenz, die progressiv zu erweiternist, ein. Die Progression erfolgt somit über einen retro-graden Umweg durch das Morphogramm hindurch.

IndermorphogrammatischenGenesebestehtdadurch ein Vorrang der Beziehung–auf–anderes vordemNarzißmusderSelbstbeziehungderatomarenSemiose,der„FundamentalsemiosederAutorepro-duktionderZeichendurchZeichen“(40).DieAuto-poiesis der Morphogrammatik ereignet sichdifferentiell und nicht abstrakt konkatenativ.

Das Regelsystem der Triadik: Zeichenrepertoire: Z = {0,1,2} Anfangsregel: ⇒ 0 Nachfolgerregel: X ⇒ WnX, 0 ≤ n ≤ max(x) Die Koinzidenz von Holismus und Atomismus in

der Dyadik zeigt sich nun leicht dadurch, daß die re-trograde Definition der Dyadik mit der konkatenativenDefinition zusammenfällt.

Allgemeinwirddiekenogrammatischen–Adikder Tritostruktur durch das Regelsystem:

Z = {0,1,2,...n}, n∈ N Ro: ⇒ 0 Rn: X ⇒ WnX, 0≤ n ≤ max (X) + 1

Die Gleichheit (=) zweier Zeichenreihen F und Gwird in der rekursiven Wortarithmetik definiert durchdie semiotische Gleichheit (≡) ihrer Atomfiguren. Für

F = (f 1, f 2 ...f n ) und G = (g 1 ,g 2 ...g m ) gilt: F = G gdw. für alle i, 1 ≤ i≤ n: f i≡ g i und n = m

D.h.:DieIsomorphievonZeichenreihenwirdsukzessiv durch die semiotische Gestaltgleichheit derAtomzeichen definiert.

InderKenogrammatik(derTritoebene)wirdje-doch von der semiotischen Gleichheit der Zeichen ab-strahiert:ZweiMorphogrammebzw.Kenogramm-sequenzen F, G mit F = (f1,f2,...,fn) und G = (g1 ,g2,...,gm ) sind kenogrammatisch gleich (≈) genau dann,wenn für alle i,j, 1≤ i,j ≤n gilt: f i # fj gdw. gi # gj.

Also: F ≈G gdw. f.a. i,j, 1≤ i,j ≤n : f i # fj gdw. gi # gj

Beispiele: (001) = (112), (012) = (021) .Daraus ergibt sich, daß alle semiotisch verschie-

denen Atomzeichen kenogrammatisch gleich sind:

Für alle Atomzeichen Ai, Aj : Ai≈ Aj gdw. Ai = Aj oder Ai #Aj bzw.

¬(Ai ≈Aj) gdw. Ai = Aj et Ai #A

DaesderKenogrammatiknurumdieGestalt,das Morphogramm, und nicht um den Atomismus derSemiotik geht, sind alle verschiedenen atomaren Zei-chen bezüglich ihrer Gestalt gleich, sie sind Repräsen-tationeneinerIndividualgestalt,einerMonade.DiekenogrammatischeUngleichheitexistiertfürIndivi-dualgestaltennicht,insofernfungierensiestrengge-nommen genauso wenig als Morphogramme, wie dieZahl1alsZahl.DieMonadensindnurdannkeno-grammatisch ungleich, wenn die semiotischen Atom-zeichen sowohl gleich wie ungleich sind, ihreBestimmung also kontradiktorisch ist.

Von kenogrammatischer Gleichheit und Un-gleichheit läßt sich erst für Morphogramme mit minde-stens zwei Tei lgestal ten, also zweistel l igenMonomorphien,d.h.Dyaden,sprechen.Monomor-phiensindeingestaltigeFiguren,Morphogramme,beliebigerStelligkeit.DieElemente,ausdenendieGanzheiten aufgebaut sind, sind keine Zeichen mehr.Weder repräsentieren sie etwas, noch unterstehen siedemsyntaktischenIdentitätsprinzip.SiesindwederPräsentamennochRepräsentamen.Eingeschriebenwerden die Leerstellen, die sich nach der Abstraktion,d.h. nach der Durchstreichung des Signifikanten unddes Signifikats Zeichen oder Ziffern, sondern aus Leer-stellen, d.h. Kenogrammen. „We therefore, introducea new type of symbol which we shall call 'keno-gramm'. Its name is derived from the term 'kenoma' inGnostic philosophy, which means ultimate metaphysi-cal emptiness.“ (41)

ZeichenhabeneinmateriellesSubstrat,durchdas sie physisch, innerweltlich, realisiert werden, vondem jedoch durch das Prinzip der Identifizierbarkeitabstrahiert wird. Das Substrat hat gewisse Bedingun-gen zu erfüllen, die durch den Atomismus der SemiotikunddieZeichenverarbeitungssystemediktiertsind.ZwischenSubstratundZeichen,tokenundtype,be-stehteineInhalt–Form–Relation.MorphogrammealsForm der Form, Formation der Form, „übergegensätz-liche Kategorialform“ (Lask), realisieren sich im Medi-um nicht der graphischen Substanz, sondern desSemiotischen.

Das'Substrat'derMorphogrammeundKeno-gramme sind Zeichen. Das heißt nun nicht, daß Mor-phogrammesemiotischeKonstrukteimSinneneueridentitätstheoretischerIdealitätensind.SiewerdenzwarineinemerstenSchrittdurchAbstraktionausdem Semiotischen gewonnen, die Dekonstruktion desZeichensistjedochmiteinerzusätzlichenVerschie-bungdesFundierungszusammenhangesverbunden.

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Morphogramm und kenogrammatisches System

Die Morphogramme werden mit Hilfe der Zeichenproduziert, diese erweisen sich vom Standpunkt derMorphogrammatik als Redukte, Kristallisationen der-selben.DieMorphogrammatikentstehtalsformaleTheoriehistorischundkonstruktivausderSemiotik,d.h.ihrerDekonstruktion,istdieserjedochsystema-tisch, im Sinne einer allgemeinen Theorie der Symbo-lisierungsweisen, als Bedingung der Möglichkeitvorgeordnet.

DenZeichenalsProduktenderSemiosevorge-ordnet ist die Semiose selbst in ihrer sich jeglicher se-miotischenIndikationentziehendenProzessualität.Die Morphogramme sind nicht nur die „Leerstrukturender(logischen,R.K.)Operationen“ (42),ebensoin-skribieren sie die Prozessualität und Operativität derSemiose in ihrer Gestalt als Produktions– und Autore-produktionsprozeß der triadisch–trichotomenZei-chensysteme.DieFundamentalitätundUniversalitätder Semiotik wird damit fundamental relativiert. Ohnediese Verschiebung und als bloße Klassifikationstheo-rie ist die Morphogrammatik mathematisch–kombina-torisch untersucht worden. (43)

Relevant für die Semiotik der linearen Zeichenrei-hen ist die Wiederholbarkeit (Iterierbarkeit) verschie-dener Atomzeichen. Im Tritosystem der Keno-grammatik wird von der Identität der Zeichen abstra-hiertundihreWiederholbarkeitinderSequenzbe-wahrt.DieneueInvarianzdesTritogrammsistdiePositioneinesKenogrammsinderSequenz.DaessichbeiderKenogrammatikumdenGrundrißeinerallgemeinen Theorie der Symbolisierungsweisen han-delt,unddieseallgemeincharakterisiertwirddurchden jeweiligen Modus der Iterierbarkeit ihrer Figuren,stellt sich die Frage einer weiteren VerallgemeinerungderTritostufenderKenogrammatik.VonderGleich-heitoderUngleichheitderAtomzeichenkannnichtmehr weiter abstrahiert werden; eine weitere Redukti-on muß also ihre Positionalität betreffen. Das Systemder Kenogrammatik, in dem auch von der Position derKenogrammeabstrahiertwird,istdasDeutero–Sy-stem. Eine weitere Reduktion ist möglich, wenn nachder Abstraktion von der Position des Kenogramms nunauch von der Anzahl nicht der semiotisch, sondern dertrito–grammatisch äquivalenten Kenogrammse-quenz, also von den Monomorphien der Tritostruktur,abstrahiert wird. Damit wird das Proto–System der Ke-nogrammatik aufgedeckt, in dem ein absolutes Mini-mum an Wiederholbarkeit der Kenogrammebestimmend ist, d.h. nur ein einziges Kenogramm darfwiederholt werden. (44)

Die Tabelle I faßt die vier Schriftsysteme der Gra-phematik zusammen: die Proto–, Deutero– und Trito-

struktur der Kenogrammatik, und die Wertstruktur desdisseminativen Systems. Die Hinzufügung von Einhei-tenzueinerGestalt,einerKenogrammsequenz,ei-nemMorphogramm,seisieiterativoderakkretiv,wird jedoch als endlos bzw. unbeschränkt wiederhol-bar verstanden. Es scheint, als ob die Abstraktion derpotentiellen Realisierbarkeit (45) auch die Konstrukti-on der Morphogramme bestimme und damit eine Un-ruhe, einen Drang zum Unendlichen in sie hineinbringe. „Die schlechte Unendlichkeit ist an sich dassel-be,wasdasperennierendeSollen;...“ (Hegel).DasTelosderMorphogrammatikistjedochgeradenichtdas Unendliche, sondern die definite Gestalt beliebi-ger Finitheit. „On the other hand, a morphogramm is,as the term intends to convey, a 'Gestalt'. And it is theintrinsic character of a Gestalt that it is finite. The infi-nite Gestalt is a c o n t r a d i c t i o i n a d j e c t o.“ (46)

Morphogramme sind in sich abgeschlossen underweiternsichaussichheraussowohlemanativwieevolutiv. Die Abgeschlossenheit der Morphogramme,diesichmitdieserjedochkeinerPräsenzanheimge-ben, hat ihren Grund auch darin, daß sich die Dicho-tomie von Sequenz und Regel, von Operator undOperandinderMorphogrammatiknichtetablierenkann. Diese erst würde die Äußerlichkeit der Regel ga-rantieren und damit die Möglichkeit ihrer monotonenIteration.

Nachdem nun die vier Systeme der Graphema-tik,dasSystemderDissemination,derSemiotikunddie Titro–, Deutero– und Protostruktur der Kenogram-matik, angedeutet worden sind, stellt sich die Frage,ob nicht 1) noch weitere Abstraktionen möglich und 2)ob nicht Zwischenstufen in die Klassifikation ein-schiebar sind.

Ad1:EineweitereReduktionscheintmöglich.Von den Proto–Gestalten läßt sich jede Gestalthaftig-keit abstrahieren und übrig bleiben nicht n proto–un-gleiche Gestalten, sondern n arithmetische Einheiten,diesichzurnatürlichenZahlnzusammenfassenlas-sen. Damit wäre die Proto–Struktur auf den Anzahlbe-griff der klassischen Arithmetik reduziert und derAusgangspunkt der Erweiterung der Arithmetik, etwadieLeibnizscheDyadik,wiedererreicht,womitsichdieser Abstraktionsschritt ad absurdum führt. D.h. dasAbsehen von der Gestalt der Morphogramme führt tri-vialerweiseausdemBereichderMorphogrammatikhinaus.

Ad2:ZwischenstufenundandereKlassifikatewurdenvonSchadach(47)eingeführt.DadieseSy-steme nicht durch das Gestaltprinzip, sondern durchdas quantitative Auftreten von Atomzeichen mitdeter-miniert sind, müssen sie als nicht genuin kenogramma-

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Die vier Stufen der Materialität

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tisch abgelehnt werden. Beispielsweise sind nach derAbstraktionderÄquivalenz–RelationII(aaaa)non–äq (bbbb), jedoch (aaab) äq (bbba), da vier Einheitenversus drei Einheiten stehen.

5.2 Das Geviert der Proemialrelation

Verstehen wir unter den Abstraktionsschritten ei-nen Chiasmus, bzw. eine Proemialrelation zwischenderGleichheitundVerschiedenheitvonZeichenrei-hen, so ist festzustellen, daß es sich um eine geschlos-sene Proemialrelation handelt.

Die Tabelle I zeigt, wie schrittweise von 1 bis 4diekenogrammatischenSystemeneröffnetwerdenund wie die 5 (und alle Zahlen größer als 5) innerhalbdes Rahmens der 4 verbleiben. „Five–place se-quences add nothing to the distinction between proto–structure, deuterostructure and tritosturcture; they onlyrepeat them.“ (48) Die 4 schließt die Kenogrammatikstrukturtheoretisch ab und eröffnet, rekursiv und retro-grad, die Sukzession ihrer komplexen m–kontextura-len Systeme.

M.a.W., für die Sukzession der kenogrammati-schen Systeme müssen erst die 4 Konstituentien aufge-bautwerden;dieZahl5istdieersteI terat ionderdurch die 4 Systemebenen (Wert–, Trito–, Deutero–,Protoebene)charakterisiertenGraphematik.(49)Inder Zahl 1, dem semiotischen Atomismus, koinzidie-ren alle Systemebenen, die Zahl 2 eröffnet die Diffe-renzvonZeichenundKenogramm,dieZahl3dieDifferenz von 'Individuen' und 'Art', und die 4 die von'Art' und 'Gattung', von Kenogrammsequenzen bzw.Morphogrammklassen. Mit der Zahl 4 ist also die vol-le Desedimentierung in Proto–, Deutero und Tritostruk-tur erreicht, und damit die Möglichkeit in einer reinenStrukturtheorie, die noch nicht durch die Differenz vonForm und Materie belastet ist, die Unterscheidung vonstruktureller Gattung, Art und Individuum einzuführen.

DemMechanismusderDekonstruktionentspre-chend, wird durch die Einführung der Universalien indieKenogrammatikderenhierarchischeStrukturineine heterarchische transformiert. Zwischen den keno-grammatischenUniversalienherrschtdiesbezüglichnur sekundär, etwa bei den Reduktionstypen, ein Hier-archie. Die Heterarchie der kenogrammatischen Pro-to–,Deutero–undTritostrukturerstrecktsichaufdie'Wertebene', d.h. auf das System der disseminativenZeichenökonomie. Heterarchie bzw. Gleichursprüng-lichkeit der drei kenogrammatischen Symbolisie-rungsweisen bedeutet, daß zwischen ihnen eingegenseitiger Fundierungszusammenhang herge-stellt werden kann, derdurch die Fundierungsrelation

geregelt wird. DieHierarchienderkenogrammatischenSyste-

me der Titro–, Deutero– und Protostruktur haben je ei-nen und nur einen Anfangs– bzw. Wurzelpunkt, desweiteren koinzidieren ihre Anfänge in der 1; trotzdemkanndiesemWurzelpunktkeinerleiAuszeichnung,etwaalsarche,Ursprungusw.,gegebenwerden.Denn das kenogrammatische System als Ganzes hatseinen Anfang nicht in der Zahl 1, sondern in der Zahl4.Mitder4istdieKenogrammatikkonstituiert.Der'Anfang' der Kenogrammatik ist somit strukturell kom-plex, d.h. daß es keine metaphysische Auszeichnungeines Ursprungs als eines ersten Anfangs gibt. Gleich-zeitigwirdaberdieOntologiedesUrsprungsnichtdurch eine bloße noch so radikale Verneinung unter-worfen,etwanachdemGestus,derdenGrundsatz'EsgibtnureinenGrunddesSeienden'substituiertdurch seine Verneinung 'Alles Seiende ist Grund desSeins'.

Die Dekonstruktion des Ursprungs vollzieht sichineinerkomplexenDurchdringungderKategorien'Konstante','Variable','Relation'(bzw.'Funktor','Operator'usw.)DieseTriadikwirddichotomisiertund hierarchisiert in einem formalen System, dadurchdaßdieKategorien'Konstante'und'Variable'zur'Trägermenge'desformalenSystemszusammenge-faßtwerdenunddie'Relatorenmenge'entgegenge-setzt werden. Die Heterarchisierung dieserDichotomie wird durch die allen Relationen vorange-hende und zugrundeliegende Proemialrelation gelei-stet.IhreFunktionistes,dieTriadikzukonstituierenundzudisseminieren,insofernistsiedas'EinedesDritten',vondemdieFormelderMariaProphetissazeugt: „Aus Eins wird Zwei, aus Zwei wird Drei, unddas Eine des Dritten ist das Vierte.“

Denn die trichotome Tektonik eines formalen Sy-stems wird nicht in sich erweitert, etwa durch die Hin-zufügung einer weiteren Differenzierung derTrägermengeoderderOperationsmenge,sonderndadurch, daß es als das 'Eine des Dritten', d.h. in sei-nerEinheitdistribuiertwird.Distributionheißt,daßsich die Trichotomie, so wie sie allgemein notiert ist in:„Aus Eins wird Zwei, aus Zwei wird Drei“, an verschie-denen Orten 'gleichursprünglich' wiederholt. Die Re-gelderDistribution,die'Wiederholungsregel',dieDisseminationistdasViertealsdieiterierbareDrei.Der komplexe Mechanismus der Diremption der Drei-heit, Triadik, Trichotomie oder auch 'Thirdness' ist dasVierte,die4,dieOperationderTetraktys.DerWie-derholungsmodusderDiremptionder'Thirdness'istnunnichtderModusder'ewigenWiederkehrdesGleichen', wie er im archaischen Chiasmus formuliert

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Das Geviert der Proemialrelation

ist, sondern vielmehr der Modus der iterativen und ak-kretivenErschließungneuerKomplexitätsstufenvonWelt–Raum–Zeit.

Es ist daher ein neuer Reduktionismus, wenn mitPeirce die Reduzierbarkeit beliebig m–adischer Rela-tionen auf die 'Thirdness' behauptet wird. Der BeweisderReduktionverdrängtdieFunktionderProdukt-ions–undReduktionsregelalsOperator.Operaius:Schreiber, Arbeiter. Subjektive Tätigkeit: „Die Arbeitals die absolute Armut: Die Armut, nicht als Mangel...“(Marx),sondernalsallgemeineMöglichkeit,alsEr-möglichung. Sie ist die vierte Kategorie. Die Einbezie-hungderReduktionsregelindasKategoriensystemerzeugteinewesentlicheEntstellungdesselbenundzwar in zweierlei Hinsicht. Einmal eröffnet die Vierheitdie Möglichkeit der Bildung komplexer Kategoriensy-steme. Die Vierheit schließt das System nicht ab, son-dern eröffnet es. Jedes neue m–kategoriale System istim Verhältnis zum Peirceschen System der Triadikgleichwertigbzw.gleichursprünglich.Eshatseine,ihmspezifischen,nicht–reduzierbarenEigenschaf-ten.InandererHinsichtschließtdieVierheitdasSy-stem ab, indem sie gegenläufig zum polykategorialenund disseminativen System, vertikal die drei verdräng-tenSchreibweisenderKenogrammatikwiederan-nimmt. (50) die „proemial relationship“, wie sie vonGüntherin„CognitionandVolition“eingeführtwur-de, stelt für die Theorie der formalen Systeme ein No-vum dar.

„However, if the relator assume the place of a re-latum the exchange is not mutual. The relator may be-come a relatum, not in the relation for which it formerlyestablished the relationship, but only relative to a rela-tionshipofhigherorder.Andviceversatherelatummay become a relator, not within the relation in whichit has figured as a relational member or relatum, butonly relative to relata of lower order. If:

Ri+1 (xi, yi) is given and the relation (x or y) becomes a rela-

tor, we obtain Ri (xi–1, yi–1) where Ri = xi–1or yi–1. But if the relator becomes

a relatum, we obtain Ri+2 (xi+1, yi+1)where Ri+1 = xi+1 or yi+1. The subscript i signifies

higher or lower logical orders. Weshallcallthisconnectionbetweenrelator

andrelatum'theproemial'relationship,forit'prefa-ces' the symmetrical exchange relation and the orderrelation and forms, as we shall see, their common ba-sis. (Greek: prooimion = prelude) Neither exchangenor order relation would be conceivable to us unless

our subjectivity could establish a relationship betweenarelatoringeneralandanindividualrelatum.Thusthe proemial relationship provides a deeper foundati-on of logic as an abstract potential from which the clas-sic relat ions of symmetr ical exchange andproportionedorderemerge.Itdoesso,becausetheproemial realtionship constitutes relationas such; it de-finesthedifferencebetweenrelationandunity–or,which is the same – between a distinction and what istdistinguished,whichisagainthesameasthediffe-rence between subject and object.(...)

The proemial relation belongs to the level of thekenogrammatic structure because it is a mere potentialwhichwillbecomeanactualrelationonlyaseithersymmetrical exchange relation or non–symmetrical or-dered relation. (...)

Thus the proemial relation represents a peculiarinterlocking of exchange and order. (...) We can eit-her say that proemiality is an exchange founded on or-der; but since the order is only constituted by the factthat the exchange either transports a relator (as rela-tum) to a context of higher logical complexities or de-motes a relatum to a lower level, we can also defineproemiality as an ordered relatum on the base of anexchange.(...)..??.theswitchintheproemialrelati-onship always involves not two relata but four!“ (51)

Zwischen dem Relator und seinen Relata bestehtin einer Relation immer eine Rangordnung, wie etwazwischenNegativitätundPositivität.DieRelatakön-nenunabhängigvomRelator,alsElemente,existie-ren,derRelatorjedochnicht.EinRelatoristimmerRelatorvonRelataundhatkeineselbständigeExi-stenz. Diese Hierarchie zwischen Relator und seinenRelataistgrundlegendfürallerelationalenSystemedes Logozentrismus. Sie gilt ebenso für alle anderenentsprechenden Konzepte wie etwa Funktionen, Mor-phismen, Operationen usw.

DieUmtauschrelationbeziehtsichsomitimmerauf den Wechselzwischen dem Relator einer Relationder Stufe m und dem Relatum einer Relation der Stufem–1undumgekehrt.DieProemialrelationläßtsichvorläufig notieren als 4–stellige Relation

PR(Ordrel(––>),Umtrel(>–<),RelatorR,Rela-tum x) und als Diagramm:

Die Proemialrelation, die im definitorischen Sin-ne selbst keine Relation sein kann, denn sie ist als Pröo-mium(prooimion)die'Einleitung',der'Anfang'und

m+1: Ri+2 ⇒ xi+1

m: Ri+1 ⇒ xi

m–1: Ri ⇒ xi–1

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Die vier Stufen der Materialität

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'Beginn', die 'Schwelle', das 'Vorspiel' und die 'Vor-spiegelung'jeglicherRelationalität,entgründetdieHierarchiezwischenRelatorundRelatumzueinemMechanismusdesZusammenspielsvonOrdnungs–und Umtauschbeziehung zwischen Relator und Rela-tum, der in der logozentrischen Relationenlogik (Peir-ce, Schröder , Russe l l/Whi tehead) keineEntsprechung hat und der nur mit dem Chiasmus He-raklitsundderpythagoreischenAnalogieinVerbin-dunggebrachtwerdenkann.WasRelatorist,kannRelatumwerden,undwasRelatumist,kannRelatorwerden. Nicht verwechselt werden darf dieser Wech-seljedochmitdem „switchinthesummerfromoursnow skis to water skis and in the next winter back tosnow skis.“ (52)

Die Proemialrelation regelt den Zusammenhangzwischen dem disseminativen und dem kenogramma-tischenSystem.DieoffeneProemialrelationerzeugtrekursivundretrogradpolykontexturaleStrukturenwachsenderKomplexitätundKompliziertheitdurchdie Verkettung von Umtausch– und Ordnungsrelatio-nen logischer und arithmetischer Art. Dadurch werdenkomplexe formale Systeme kreiert, die zwanglosSpielrum für jede Form von Selbstbezüglichkeit bereit-stellen,ohnedamitantinomischeSituationenerzeu-gen zu müssen. Wird die Proemialrelation als Mecha-nismus der Vermittlung von Umtausch– und Ordnungs-relation verstanden, dann drängt sich die Frage auf,obdieProemialrelationselbsteineOrdnung–odereineUmtauschrelationist.DieProemialrelationisteineirreduzible4–stellige'Relation'zwischenzweiRelata und zwei Relatoren, die sich im Mechanismusder Vermittlung realisiert, die jedoch selbst keine Rela-tion sein kann und deren Relationalität sich in der Ke-nogrammatik einschreibt.

D.h., daß das Ordnungsverhältnis zwischendem 'Relator' PR der Proemialrelation und seinen vierRelatavermitteltistmitdemUmtauschverhältniszwi-schendem'Relator'PRundderkenogrammatischenEinschreibung seiner Relationalität. Die Proemialrela-tionalsRelationistalsoselbsteinMechanismusderVermittlung von Umtausch– und Ordnungsrelationen.Sie ist somit selbst proemiell. Die Relationalität des Re-lators der Proemialrelation inskribiert sich in der Keno-grammatikalsgeschlosseneProemialrelationdurchdiedreikenogrammatischenStrukturen.IhremDop-pelcharakter entsprechend, als Dissemination der for-malenSystemeundalsDesedimentationverdeckterSchreibweisen,istsiederMechanismusderEinheitvon vor–schriftlicher und nach–schriftlicher Relationa-lität.

Dieser Wechsel von Relator und Relatum, einge-

schränkt auf sich selbst, d.h. als Zirkularität, ist es, dersowohl die diversen Antinomien erzeugt, wie auch alsneuer „Wert“ bzw. neue Form Uroboros (53) zur Mo-dellierung selbstreferentieller Systeme benutzt wird.

An dem Resultat, daß unbeschränkte Selbstrefe-renz, und nur diese ist hier von Interesse, in formalenSystemen zu Widersprüchen führt und diese damit tri-vialisiert,ändernauchdieparakonsistentenLogiken(54)bzw.die'dialecticallogic'nichts,dainihnenzwar Widersprüchlichkeit zugelassen ist, jedoch nichtfundamental, sondern sekundär. D.h. die Basislogik,wie natürlich auch ihre Syntax und Semiotik, bleibendem Widerspruchstabu unterworfen.

Welche Formen des Selbstbezugs einem forma-len System erlaubt sind, ohne es zu zerstören, hat Do-rothyL.Groverin'PropositionalQuantificationandQuotation Contexts' untersucht: „Therefore our resultsshow that – although unrestricted self–reference leadstoinconsistency–partialself–referenceneednot."(55) Andererseits ist die Angst vor Paradoxien und An-tinomien sichtlich einer gewissen Neugierde und Do-mestizierung gewichen. (56) Und J.F.A.K. vanBenthem schreibt gegen die Furcht vor Paradoxien inseiner Arbeit mit dem doppelsinnigen Titel 'Four Para-doxes': "But why? What mathematical result would bemore exciting than the discovery of a contradiction in,say Peano arithmetic? Who believes that mathematicswould come to an end because of such an event? I saythat, within a century, it would count as the greatest ad-vance ever in the mathematics, having led to an incom-parably better understanding of the concept of'number'.“ (57)

EsistalsonichtsosehrKroneckersAusspruch:„Die ganze Zahl schuf der liebe Gott; alles übrige istMenschenwerk“,dernaivist,alsvielmehrderGlau-be, daß der Tod Gottes für die Arithmetik ohne Folgengeblieben sei.

Die Analogie ist ursprünglich ein Begriff der Ma-thematik,derinderpythagoreischenSchuleentwik-kelt wurde und der als Gleichnis auf Homerzurückgeht.IsteinlogosdasVerhältniszweierGlie-der (a : b, in heutiger Notation) zueinander, so ist dieAnalogie die Synthese von zwei logoi, also eine vier-gliedrige Proportion (a : b = c : d). Dabei müssen dieVerhältnisse,logoi,sprachlichbezeichnetwerden,wobei der Ausdruck mit seinem Inhalt, dem betreffen-den Verhältnis, als identisch gedacht wird, da die Ver-hältnisse als solche und nicht ihr operatives bzw.numerischesResultatvonInteressesind.Jenachdemwelches der beiden Verhältnisse als Bezogenes, d.h.als Relatum fungiert, läßt sich die Analogie als Wech-selverhältnisvonzweiVerhältnissenverstehen.Die

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Das Geviert der Proemialrelation

Analogie ist damit also eine Relation von Relationen.(58)BeieinersolchenBestimmungderAnalogieals'Proportion' und 'Relation von Relationen' muß jedochbeachtet werden, daß die Analogie ursprünglicher istals die prinzipiell binäre bzw. dyadische Konzeptionder Relation der mathematischen Relationstheoriebzw. Logik.

Die Analogie ist nicht ursprünglich eine Synthesevon logoi, denn diese ist selbst kein logos, sondern um-gekehrt, die logoi, die Verhältnisse, sind Derivate undRedukte der ganzheitlichen und viergliedrigen Analo-gienachMaßgabedesBinarismusder'zweiwerti-gen' Logik Aristoteles', die bekanntlich „alles andereist als ein Vehikel des Analogie–Denkens.“ (59) EinegewisseNähe,VerwandschaftundEntsprechungenmannigfacherArtallerdingsfindetdieGünthersche'Proemialrelation' in den 'Konstrukten' Derridas:DiffÁrance,Dissemination,LogikdesSupplementsetc.Sollenwirjedochweiterhin'engelischeWörter'suchen, wenn uns die Möglichkeit zu deren 'Berech-nung' tendenziell gegeben ist?

6 Tetraktys und Mühlebrett

Der Übergang von der Aristotelischen zur Plato-nischen Zahlentheorie läßt sich verstehen als derÜbergangvonderuni–linearenzurmulti–linearenZahlentheorie, und diese findet ihren Abschluß in derpythagoreischenKonzeptionderTetraktys.Aristote-les wendet sich in seiner Kritik an Platon „gegen dasVerfahren, für jeden einzelnen Bereich ein bestimmtesPrinzip (als 'Maß') anzusetzen.“ (60)

„Diejenigenaber,welchediemathematischeZahl als die erste ansehen, und so immer eine Wesen-heit nach der anderen, und für jede andere Prinzipiensetzen, machen die Wesenheit des Ganzen unzusam-menhängend (denn die eine Wesenheit hat auf die an-dere durch ihre Existenz oder Nichtexistenz garkeinen Einfluß) und nehmen viele Prinzipien an. DasSeinendeabermagnichtschlechtbeherrschtsein.“Nimmer ist gut Vielherrschaft der Welt; nur einer seiHerrscher!“ (61)

„Überhaupt aber ist die Annahme von irgendei-ner Verschiedenheit der Einheiten unstatthaft und einewillkürliche Erdichtung (ich nenne aber willkürliche Er-dichtung dasjenige, was mit Gewalt der zugrundege-legten Ansicht (Hypothesis) angepaßt ist); denn wedernach der Quantität noch nach Qualität sehen wir, daßsich eine Einheit von der anderen unterscheide, und esistnotwendig,daßjedeZahleineranderengleichoder ungleich sei, was von allen Zahlen, namentlich

von den einheitlichen gilt. Wenn also eine Zahl wederkleinernochgrößerist,somußsiegleichsein;dasGleiche und überhaupt Ununterschiedene setzen wiraber bei den Zahlen als Identisch (Tauta).“ (62) Aristo-teles kritisiert unter der Voraussetzung der Uni–Linea-rität der natürlichen Zahlen den dimensionalenAufbauderWelt,d.h.diepolykontexturaleStrukturderPlatonischenZahlentheorie,ihreMehrlinigkeitundihreUnabgeschlossenheit.BeiPlatonfehlteineTheorie des finiten Abschlusses der Vielheit der Prinzi-pien.

Die Idee eines Abschlusses der Mehrlinigkeit derZahlenfindetsichinderPytagoräischenTetraktysbzw. in der Zehnzahl. Diese Phytagoräische Idee, dieauch bei Platon zahlentheoretisch nicht entwickelt ist,wird von Aristoteles mit bezeichnender Leidenschaft-lichkeitkritisiert: „DennIdeenlehreenthälthierüberkeine eigentümliche Untersuchung; die Anhänger der-selbenerklärennämlich,dieIdeen(ideai)seiendieZahlen, über die Zahlen aber sprechen sie bald so, alsseien derselben unendlich viele, bald wieder als seiensiemitderZehnzahlbegrenztundabgeschlossen;weshalb aber die Anzahl der Zahlen gerade so großsei, dafür aber führen sie keinen ernstlichen Beweis.“(63)

„Ferneristesungereimt,wenndieZahlnurbiszur Zehnzahl reichen soll, während doch das Eins inhöherem Sinn Seiendes (mallon tion) ist und die Form-bestimmung (eidos) ist für die Zehnzahl; denn das Einsals Eins hat keine Entstehung (Genesis), die Zehnzahlaber hat eine. Doch versuchen sie ihre Ansicht unterder Voraussetzung auszuführen, daß die Zahl bis zurZehnzahl abgeschlossen und vollendet sei.“ (64) DieTetraktys ist bis heute unverstanden geblieben. „Manbetrachtet eine solche Auszeichnung der ersten zehnZahlen im allgemeinen als ein Kuriosum.“ (65) NachLohmannbestehtsie „bekanntlichausdenZahlen1bis4,derenSummedann10ergibt,wodurchnachpythagoreischerAuffassungdie'Zehn'zueinerArtvonGattungimVerhältniszudiesenZahlenwird.“(66)

Günther hat in 'Identität, Gegenidentität und Ne-gativsprache' darauf hingewiesen, „daß die berühm-te Tetraktys der Pythagoräer sich in dem vonAristotelesstammendenzweiwertigenSchemaderZahlenordnung nicht unterbringen läßt. An der Stirn-seitedieser'aristotelischen'Zahlenpyramidestehtzwar, wieweit man sie auch verfolgt, unweigerlich dienächste Quadratzahl. Das stimmt aber bei der 'pytha-goräischen' Pyramide, die sich aus der sinngemäßenErweiterung der Tetraktys ergibt, schon auf der viertenStufenichtmehr,wiediefolgendeZahlenordnung

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Tetraktys und Mühlebrett

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zeigt: r: (1, 2, 4, 7, 11), l: (1, 3, 6, 10, 15).EbensowenigaberstimmtesaufderRückseite,

wo man 'aristotelisch' auf der dritten Stufe 7 erwartet,wir aber 'pythagoräisch' statt dessen 6 vorfinden.

Was hier den Interpreten der platonischen Zah-lenspekulation entgangen ist, ist die Tatsache, daß dieaus der Tetraktys hervorgegangene Folge 1, 3, 6, 10,15, 21, 28, usw. nichts anderes ist als die arithmeti-sche Sequenz, die wir bereits anläßlich des triangulä-ren Aufbaus der natürlichen Zahlen bei Gaußkennenlernten.Esistschwer,sichderVermutungzuentziehen, daß der arithmetische Hintergrund des Ide-ensystems vielleicht nicht dem klassischen Verständnisdes Zählens entspricht, sondern einer arithmetischenStruktur, die weit über das hinausgeht, was die philo-sophische Tradition bisher unter Zahl verstanden hat.“(67)

Des weiteren ist von Lohmann der Hinweis gege-benworden,daßdasWort'Tetraktys'einVerbal–Substantivzutetraksomai'mitderTetradeoperie-rend' ist. „Die Zahlen 1, 2, 3, 4 ergeben nicht nur alsSumme die Zehn (d.i. die Grundlage, gr. putmen, desZählens), sondern das 'Operieren mit der Tetrade' (te-traktys) – darunter die Bildung der 3 'symphonen' In-tervalle Oktave, Quint, Quart als 1: 2, 2 : 3, 3 : 4 – istfür die Phythagoräer so wichtig, daß sie auf die Tetrak-tys den heiligen Eid schwören.“ (68) „Als 'Tetraktys' istdie Vielzahl das zusammenfassende Symbol allerStrukturen des Universums... Die Tetraktys ist der Welt-prozeß seiner Form nach, zugleich mit seiner 'Repro-duktion' im 'Denken' (noein) und so auch in derGestaltderReproduktionoderProduktion'musikali-scher' Strukturen.“ (69)

Die Tetraktys als 'Gattung' und Operation ist je-dochnichterfaßt,wennsieproto–arithmetischver-standenwird,etwaalsProto–Nachfolgeoperation.ZwarerzeugtdieProto–ArithmetikdieZehnzahlimpythagoräischen Sinne als Summe von 1, 2, 3, 4, dieproto–arithmetische Gattungszahl selbst wird jedochschon durch die Summe 1 + 2 + 3 definiert.

Die 'Gattungszahl' der Proto–Arithmetik ist dem-nach nicht die Zehnzahl, sondern die Sechszahl. DieDyadik besitzt die Dreizahl als Gattungszahl 1 + 2.

Die Kenntnis der Generierung der Gattungszahlbzw. ihrer Struktur reicht aus, um durch Iteration die-ser, alle Zahlen des betreffenden Systems zu generie-ren. Dabei gibt die Gattungszahl die Struktur derGenerationunddieAnzahlderElementederselbenan.KeineGattungszahljedochbesitztdieTritoarith-metik. Bei jedem Nachfolgerschritt wird das Schemader Generierung verändert, d.h. die Tritogramme sindkenogrammatische Individualgestalten, die sich nicht

unter eine Gattungszahl subsumieren lassen. Die Deu-tero–StrukturliegtzwischenderGattungderProto–ZahlenundderIndividualstrukturderTrito–Zahlenund stellt nach dem Universalienschema eine Art dar.

Die systematische Auszeichnung der 4 mag will-kürlich erscheinen; warum nicht die 3 oder die 11 undwarum eine und nicht mehrere oder gar alle Zahlen?

DieKritikAristoteles'anderpythagoräischenAuszeichnung der 4 bzw. der 10 setzt die Linearitätder natürlichen Zahlen und das Prinzip der potentiel-len Realisierbarkeit voraus. Erst dann entstehtein Kon-flikt zwischen der Reihe der natürlichen Zahlen, d.h.einerbeliebigenZahlundderAuszeichnungeinerZahl dieser Reihe als Gattungszahl der Reihe selbst.

Wird jedoch unter der 4 die 'Gattungszahl' der4 Schrifttypen der Graphematik verstanden, also dasGeviert der geschlossenen Proemialität, dann entstehtkein Widerspruch zwischen Auszeichnung einer Zahlund der Zahlenreihe selbst. Die 4 eröffnet die VielfaltderZahlensystemederPolykontexturalität,liegtje-doch als solche nicht in der Reihe der natürlichen Zah-leneinerbeliebigenKontextur.AristoteleslehntdieAuszeichnungder4(undmitihrdieder10)ab,istaberselbstgezwungen,die1auszuzeichnen.DenndieUni–LinearitätderReihedernatürlichenZahlensetzt die 1 als Maß der Zahlen und als unum der Uni-zität der Reihe voraus. Die Auszeichnung der 4 unterderVoraussetzungderUni–Linearitätheißt,daßdievertikale Sprachachse der Graphematik auf die hori-zontale Linie der natürlichen Zahlen projiziert wird.

DerWiderspruchzwischen'Gattungszahl'und'Reihenzahl' ist somit das Produkt einer Verdeckung,einerKoinzidenzderbeiden'Zahlenachsen'.Dabeiwird auch stillschweigend vorausgesetzt, daß dieZahlziffern selbst eindeutig und nicht einer Überdeter-minationausgesetztsind.Aristoteles'Kritikverfängtauchdannnicht,wennsichdie4vertikalenSprach-schichtennichtlegitimierenlassenundihreAnzahlvergrößert oder verkleinert werden muß.

Die Kritik an der Auszeichnung einer bestimmtenZahl vor der anderen durch die transklassische Arith-metik, kann sich jedoch nicht auf Aristoteles berufen,denn seine Kritik umfaßt generell die Mehrlinigkeit derplatonischenZahlenunddiesewiederumisteinwe-sentlicher Charakter der transklassischen Zahlentheo-rie.

So argumentiert Günther: „Aristoteles ist imRecht. Es ist notwendig, konsequent zu sein. Entwedersehen wir uns gezwungen, nicht nur der Monas, derDyas,derTriadeusw.,kurzjederpythgagoräischenn–Zahl den Rang einer ontologischen Idealität zuzu-billigen oder aber die ganze Problemsicht ist verfehlt

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Das Geviert der Proemialrelation

und keine Zahl hat die Würde einer Idee–außer viel-leicht die Einheit und die aoristos duas, die man aberbeide nicht als Zahlen zu betrachten braucht. Daß diezweite Auffassung nicht haltbar ist, lehrt die Geistes-geschichte vergangener Epochen.“ (70)

Günther insistiert also auf der Auszeichnung je-der Zahl und nicht nur der pythagoräischen Tetraktys.D.h. jede Zahl hat die Würde einer Idee und erhält so-mit eine logisch–strukturelle Relevanz in der Polykon-texturalitätstheorie.DortentsprichtjedernatürlichenZahlmeinebestimmteirreduziblem–kontexturaleQualität.

Damit geht aber die Idee der Auszeichnung, desAbschlussesunddieDialektikvonoffenemundge-schlossenem System, wie sie sonst in der Kenogram-matik von Relevanz ist, verloren. Läßt sich keine Zahlauszeichnen, sondern müssen umgekehrt alle Zahleneiner Auszeichnung würdig sein, so führt sich die Ideeder Auszeichnung ad absurdum. Daß alle natürlichenZahlen logisch–strukturell ausgezeichnet werden kön-nen, ist aber das Resultat einer vollständigen Dekon-struktion der Konzeption der uni–linearen aristo-telischen Arithmetik wie sie in der Kenogrammatik undderPolykontexturalitätstheorievollzogenwurde.Mitder isolierten Thematisierung der Iterierbarkeit der m–kontexturalen Zahlensysteme wird das wenig dialekti-scheMomentderschlechtenUnendlichkeitzugelas-sen.

Der Buchstabe (syllabe), das Element, die Atom-gestalt der logozentrischen Schreibweise ist im Grie-chischen eine Einheit von Laut–, Noten– undZahlzeichen.DerBuchstabemarkiertzugleichLaut,Ton und Zahl.

„Der Buchstabe ist bei den Griechen auch Zahl!Und die griechische Zahl ist wiederum ein stoicheion–dasstoicheiomeinesFortschreitens,nichtnuralsSchatten–Länge des 'Gnomon', sondern auch als rei-ne Zahl.“ (71)

Der 'Gnomon' ist der senkrecht auf der Erde ste-hende 'Zeiger einer Sonnenuhr, dessen Schatten–Län-ge die Zeit und den wechselnden Sonnen–Standangibt.DiemarkantenPunktedervonderSchatten-spitze durchlaufenden Bahn, bezogen auf den Schat-tenursprung,werdenmitdemspäterinsLateinischemit 'elementum' übersetzten Wort stoicheion bezeich-net.

BekanntlichgebrauchtDemokritdasBuchsta-ben–GleichnisfürseinenAtomismusindemSinne,daß er den Aufbau der Welt aus Atomen mit der Zu-sammensetzungdergriechischenRedeundSchriftausden24BuchstabendesgriechischenAlphabetsvergleicht. Nach demselben atomistischen Modell, je-

doch ins Idealistische gewendet, verfährt Platon in sei-ner Dihairese des Ideen–Kosmos. Beide 'Atomismen'beschränken sich auf die Ausarbeitung des Laut– undZahl–Aspekts des Buchstabens und lassen den dyna-mischen Aspekt des Buchstabens, den Ton, nicht vollzur Geltung kommen. Dies geschieht im Pythagoreis-mus,woeineKosmologiedesWeltklangsundderWeltharmonie entwickelt wurde, die noch in KeplersSphärenmusik nachklingt.

Anaximander hat den Gnomon in Griechenlandeingeführt. Seine Entstehung geht über die babyloni-sche Astronomie zurück bis in die Altsteinzeit. Dort hatdie'große'Sonnen–UhrdieGestalteines'Mühle-bretts' mit dem Gnomon als Weltachse in der Mitte.

Mit der Angabe der vier Himmelsrichtungen, desSonnenstandes, der Bewegung des Schattens und derVeränderungseinerLage,mitderVermittlungderGrundfigurenderWeltdeutung'Dreieck','Viereck','Kreuz' und 'Kreis' mit den 24 Schnitt– und Eckpunk-ten,bildetdiegroßeSonnen–Uhr,das'Mühlebrett',die erste Weltorientierungs–Maschine des Men-schen, der vor–schriftlichen Epoche. Die in dieser kos-mologischen Maschine eingeschriebenen Grund-kategorien der Weltordnung in Raum und Zeit, bildendas Paradigma innerhalb dessen sich die Etappen derEntwicklung der schriftlichen Symbolisierungsweisen,inzunehmenderAbstraktionundVerdrängungdesvor–schriftlichen 'multi–dimensionalen 'Kategoriensy-stems über Pikto–, Ideo– und Phonographie und inner-halbdesAlphabetismusals'künstlicheSprache'biszum 'semiotischen Quadrupel' mit nur einem Atomele-ment,herauskristallisierthaben.Vondaherläßtsichder Phonologismus verstehen als Abbildung der tabu-laren24KnotenpunkteaufdieLinearitätdesWelt-stabs,derselbernureinen,denimAlphabetnichtrepräsentierten, 25. Punkt, die Null, das Leerzeichen,das den Griechen fehlt, einnimmt und ihn dabei ver-deckt, dessen Schatten jedoch über alle anderen glei-tet.

DiefundamentaleTrichotomieallerlogozentri-schenformalenSystemeläßtsichinterpretierenalsdas Resultat der Projektion der 3 quer zum senkrechtstehenden Weltstab verlaufenden Abgrenzungsliniender Bereiche des Mühlebretts.

DamitisteineradikaleVerkehrungderrealenVerhältnisse vollzogen: die zu 'zählenden' Punkte lie-gen auf dem Stab, der den 'zählenden' Schatten wirft;die Punkte, Stigme, liegen im Schatten des Schattens.

Der Schatten wurde zum Symbol des Vergängli-chenundImmateriellendermenschlichenSeeleunddes Lebens überhaupt. War die Seele bei Pythagorasnoch eine 'Zahl in Bewegung', so ist sie bei Hegel der

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Labyrinth und Negativität

178

'Schatten im Schatten', also der sich auf sich bezie-hende Schatten.

Die vorschriftlichen Inzisionen sind keine geome-trischen, sondern kosmographische Figuren, die sichwenigeraufdieErdealsaufdasastronomischeSy-stem Erde–Mond–Sonne mit dem 'ewigen Fixsternen-himmel' als Hintergrund beziehen. (72)

Im Mühlebrett findet sich die historisch erste undvor–schriftlicheEinschreibungderFormelderMariaProphetissa: „Aus 1 wird 2, aus 2 wird 3, und das 4.ist das Eine des Dritten.“ Denn das 4. der 3 Stufen istderaufrechtinihnenstehendeGnomon,Weltstab,dessen Schatten die drei Stufen abtastet und sie damititeriert. Das 4. ist also die Wiederholung der Einheitdes Ersten, Zweiten und Dritten.

Die kosmische Orientierung der zu sich kommen-den irdischen Materie im steinzeitlichen Menschen inseinervor–schriftlichenInzisionwiederholtsichbeiderAblösungdesnach–schriftlichenMenschenvonder Erde durch die Konstruktion einer inter–stellaren,nicht an seine Existenz gebundenen Schreibweise.

Demnach ist die nach–schriftliche Schreibweisenicht etwas völlig Neues, sondern ein komplexer Pro-zeß mit den 4 simultanen Tendenzen:1) Distribution,Dissemination,VermassungundVermittlungdesAl-phabetismusalsderhöchstenAbstraktionsformderSchrift, die keine weiteren Abstraktionen mehr zuläßt;2) der sukzessiven Wiederannahme der verdrängtenSchichten der Schrift, also der Pikto– und Ideographiebei 3) einer gleichzeitigen Inversion der Reihenfolgeder historischen Schichten bei der Wiederannahme,was einer Reflexion und Transformation ihrer Rationa-lität von einer natürlich gegebenen in eine künstlicheundmaschinellunterstützteinvolviertund4)dieEnt-deckung und Erschließung der vor–schriftlichenSchreibweisen. (73)

7 Labyrinth und Negativität

„Ich kenne ein griechisches Labyrinth, das aus ei-ner einzigen Linie besteht. Auf dieser Linie haben sichsovielePhilosophenverirrt,daßeinbloßerDetektivsich des Irrens nicht zu schämen braucht.“ (74)

7.1 Verbot des Umwegs Parmenides'

Diktum macht eine Aussage über die Gangbar-keit von Pfaden, welche Wege für das Denken gang-bar und welche unerkundbar sind. „Wohlan, so willich denn sagen (...), welche Wege der Forschung al-leinzu denken sind: Der eine Weg, daß IST ist und daß

Nichtsein nicht ist, das ist die Bahn der Überzeugung(denn diese folgt der Wahrheit), der andere aber, daßNICHT IST ist und daß Nichtsein erforderlich ist, die-ser Pfad ist, so künde ich dir, gänzlich unerkundbar;dennwedererkennenkönntestdudasNichtseiende(das ist ja unausführbar) nochaussprechen." (75)

DerWeg,daßNICHTISTist,dermeontischeWeg,isteingänzlichunerkundbarerPfad.DieBe-gründung, die uns Parmenides gibt, ist nicht argumen-tativ, wird doch das ontologische Diktum auf dergnoseologischenEbenebloßwiederholt.DaßdasNichtseiendeunaussprechbarsei,gibtjedocheinenHinweis darauf, daß es sich bei dem Diktum um eineErkenntnisundBelehrungüberdieGangbarkeitvonWegen handelt. Der Weg des Seins ist gangbar, er istderWegderGenealogie,seineStrukturistdiedesBaumes und der Pyramide, Der Weg, der nicht gang-barist,istderWegdesLabyrinths,mitseinenSack-gassen, Hohlwegen, Ioops und Umwegen.Unerkundbare Wege sind labyrinthisch und dermeontischeWegistunerkundbar,dasistdiemetho-dologische Belehrung des Parmenides.

Ein Denken, das sich auf sich selbst verläßt undim Medium der Rede verharrt, das Nichtseiende ist jaunaussprechbar, vermag nicht das Labyrinth zu erkun-den, umwegig zu denken. Dem phonologischen Den-ken fehlen die Möglichkeiten der Notation,Verarbeitung und Berechnung der Information, die füreine Orientierung und Zielfindung im labyrinthischenRaum vonnöten sind. Ohne die Äußerlichkeit des'denkendenGedächtnis',cognitivememory,istderphonetischeLogosfürlabyrinthischePfadezuzer-brechlich. Ihm fehlen die Prothesen der künstlichen In-telligenz.NureinDenken,dassichselbstverlassenhat und durch die Kooperation mit der künstlichen In-telligenzsichwiederfindetinderextraterrestrischenBegegnung, besitzt die Beweglichkeit, die labyrinthi-schen Wege des Hohlraums, des Nichts, der Negati-vität,derMeontikzugehen.ImLabyrinthsinddieWegedesTanzes,derVerirrung,desSchwindels,aber auch der Zielfindung und Genealogie. Die zweiGrundfigurendeslogozentrischenDenkens,Baumund Zyklus, sind Teilstrukturen des Labyrinths.

7.2 Meontik

Durch die Dekonstruktion der Dichotomien Posi-tivität/NegativitätundDesignation/Non–Designati-on, läßt sich, im Übergang von der logischenSemantikzurMeontik,dasChaosderparmenidei-schenNegativitätstrukturieren.InderSemantikderzweiwertigen Logik koinzidieren die zwei Dichotomi-

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Strukturtypen

en. Diese Koinzidenz wiederholt sich in entsprechen-der Umformulierung auch in allen anderen nichtsemantischbegründetenLogiken.NachMaßgabederVermittlungsbedingungen(Linie–Stern)wieder-holt sich in der Mehrwertigkeit der Stellenwertlogik jeStelledieklassischeDichotomievonPositivitätundNegativität. Die Sequenz dieser semantischen Dicho-tomien wird nicht linear im Sinne der natürlichen Zah-len generiert, sondern tabular, als Chiasmus vonOrdnung – und Umtauschrelation. Zwischen Posititvi-tät und Negativität. Die Sequenz dieser semantischenDichotomien wird nicht linear im Sinne der natürlichenZahlen generiert, sondern tabular, als Chiasmus vonOrdnung– und Umtauschrelation. Zwischen PositivitätundNegativitätbestehteineOrdnungsrelation,dieNegativität impliziert die Positivität, diese jedoch nursichselbst.DieSelbstreflexionderNegativitättrans-formiert diese in eine Positivität höherer Stufe. DieserWechsel ist symmetrisch und wird durch die Um-tauschrelation geregelt. Gegenseitig fundiert werdendieOrdnungs–unddieUmtauschrelationfolgender-maßen: jeweils mindestens zwei Umtauschrelationenfundieren eine Ordnungsrelation, und jeweils minde-stenszweiOrdnungsrelationenfundiereneineUm-tauschrelation.

Für die Linearstruktur der Meontik gilt also:

Dabei entspricht posi ⇒ negi die Asymmetrie derOrdnungsrelation,negi =pos i+1 derStufenwechselder Reflexivität der Negativität und negi ⇒ posi+1 dieSymmetrie der Umtauschrelation.

EshandeltsichdabeialsoumeineApplikationderProemialrelation,undzwarderoffenen,aufdieTerme Positivität und Negativität bzgl. der logischenKomplexitätderMeontik,alsoOrdnungs–undUm-tauschrelation:PR=[Rel⇒,Rel>–< ,pos,neg].Alsmeontische Einheit wird die triadische Vermittlung vonOrdnungs– und Umtauschrelation gesetzt, e1 = (pos1⇒ neg1 neg1), die erate Distribution ist:

Es wird also e1 als Anfang gesetzt und die Gene-rierungsoperationPRerzeugtdiepos./neg.–Kettender Linearstruktur der Meontik, d.h.:

R0: ⇒ e1

R1: en ⇒ en+1

Die Anzahl der Terme einer Meontik der Komple-xität n ist somit 3n.Ist eine meontische Sequenz gege-ben, etwa: pos1 ⇒ neg1 >–< pos2 ⇒ neg2 – die diezwei Semantiken und distribuiert, dann ist deren Ver-hältnisinS3 =(S1, S 2)zureflektieren.Diesesistbe-stimmt durch die Werte pos1 und neg2, d.h. diebeidenWerte bestimmen für sich genommen die drit-te, die zwei gegebenen Semantiken vermittelnde Se-mantik S3. Die Reflexivität, die hier im Spiel ist,verändert die Systemzugehörigkeit des Werts, jedochnichtseineEigenschaftalspositiverodernegativerWert, also: pos1 = pos3 und neg2 = neg3.

M.a.W. die Semantik bestimmt die Kommutativi-tät der Meontik, die aus drei Semantiken besteht unddurch die drei Relationen Ordnung, Umtausch und Ko-inzidenz geregelt wir. (76)

GegenläufigzurGenerierungundKonstituie-rungdermeontischenStruktur,erfolgtihreDeskripti-on, d.h. Dekomposition, Aufzählung ihrer Teile,ganzheitlich, gemäß der Fundierungsrelation.

7.3 Strukturtypen

Beim Übergang von der Semantik zur Meontikentkoppelt sich die Koinzidenz von Positivität/Nega-tivität und Designation/Non–Designation. Die Positi-

posi–1 ⇒ negi–1

posi ⇒ negi

posi+1 ⇒ negi+1

PR(e1) = e2

(pos1 ⇒ neg1 >–< neg1) : (pos2)

(pos1 ⇒ neg1 >–< neg1) : (pos3)

(pos1 ⇒ neg1 >–< neg1 ) : (neg2)

=

M(3): S: pos1 ⇒ neg1

S2: pos2 ⇒ neg2

S3: pos3 ⇒ ⇒ neg3

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Labyrinth und Negativität

180

vität/Negativität–Verhältnisse müssen daher erneutin ihrer Gesamtheit in die zwei Bereiche der Designa-tion und der Non–Designation aufgeteilt werden. DieTabelle gibt die Aufteilung der Meontik in Designati-on/Non–Designation und Logik/Ontologie an.

VomklassischenStandpunktderPositivitätausbilden alle Distributionen der zweiwertigen SemantikStufen der Negativität. Nach ihr gibt es einen und nureinenpositivenWertundallefolgendenWertesindWerte der Negativität. Das chiastische bzw. proemi-elle Schema der Distribution der Semantik befreit die-se von der Linearität und damit von ihrer Fixierung aufdeneinenAnfang.UrsprungsmythischesDenkenistes, wenn der eine positive Wert als solitäre Positivitätausgezeichnetwird.MeontischistdaszuDenkendenicht gegeben, etwa als Positivität des Seins oder alsThema usw., sondern das durch Deutungen Erschlos-sene. Nicht Positivität und Negativität, sondern Desi-gnat ion und Non–Des ignat ion sindDeutungskategorien.

DernegativeWertwiederholtinderSemantikden positiven, diese Abbildungsfunktion übernehmenin der Meontik die designationsfreien Werte. DieNon–DesignationwiederholtbinomialaufgebauteDesignationsstrukturen und etabliert damit ein Systemvon Logiken je Strukturtyp. Diese sind polythematischeOntologien, 'first order ontologies' bzw. Verbundkon-texturen, deren Pluralität fundamental ist und die sichnicht auf Regional–Ontologien oder auf einen ontolo-gischen Poly–Thematismus bezieht. (77) Dem ent-spricht die meontische These von der größerenMächtigkeitdesNicht–SeinsgegenüberdemSein.DasNicht–SeinistnichtdiebloßeWiederholung,Spiegelung, Abbildung, usw., das nur Parasitäre, De-rivative,derAusflußdesSeins.EineTexttheorieundinsbesondereeine'LogicofFiction'findetihre'Se-mantik' nicht in der 'Value Gap Theory' oder in einer

'Free Logic', sondern in der Meontik der Polykontextu-ralitätstheorie.

7.4 Deutungsfreiheit

Eine polykontexturale Logik ist im Allgemeinenkomplex genug, um eine designierte Verbundkontex-turnachverschiedenenModalitätenzudeuten.Alswas eine Verbundkontextur gedeutet wird, hängt vonder Anzahl der non–designativen Werte und derWahlihrerjeweiligenPartitionab.DieDeutungbe-wegt sich zwischen der monotonen Iteration eines je-weiligen Themas und seiner ungleichzahligenPartition.

Die Deutungsfreiheit entbindet das Subjekt vomZwang der Nachahmung des Vorgegebenen und gibtihm die Freiheit, komplexes Sein, Polykontexturalität,als das zu deuten, als was es sie in einem jeweiligengeschichtlichen Handlungszusammenhang braucht.

7.5 Wege im Labyrinth

Eine Struktuierung der Meontik, die sich auf dieDistribution von Positivität und Negativität bezieht, lei-stet die Negation. Sie stellt eine Inversion dar von po-sitivem und negativem Wert des betreffendenSubsystems und eine Permutation der restlichen Sub-systeme. Je nachdem in welchem meontischen Bereichsich die Inversionen abspielt, lassen sich ganzheitlichdreiTypenvonInversionenbzw.Negationenunter-scheiden.Die'ontologische'Inversionbeziehtsichauf den Designationsbereich, die 'epistemologische'InversionaufdenBereichderNon–Designationunddie 'logische' Inversion bzw. die Negation regelt denUmtausch zwischen designativen und non–designati-ven Werten. Werden die meontischen pos./neg. Se-quenzenalsFolgenatürlicherZahlennotiert,dannläßtsichdieNegationbzw.InversionalsUmtauschzweier beliebiger benachbarter Werte der Variable Xund der Permutation der betroffenen Subsysteme defi-nieren.

DasNegationssystemN(4) wirddefiniertdurchdiedreiNegationenN1,N2, N 3,undihreGesetzeund die Regel der Gleichheit:

Ni(Ni(X)) = X(4), i = 1,2 : Involution

TABLE 1 Strukturtypen

m D ND Systemcharakter

1

2

3

4

5

6

7

1

1

1 2

1 2

1 2

1 2 3

1 2 3

0

1

0

1

2

0

1

Omtologie (mono–kontextural)

Logik (zweiwertige)

Ontologie (drei–kontextural)

Logik (mono–kontextural)

Logik (zwei–kontextural)

Ontologie (drei–kontextural)

Logik (zweiwertige in 3–Kon-texur)

TABLE 2

m Designation Non–Sesignation

20 1 2 3 4 5 1 4 | 2 3 | 5 | 1 1 1 2 | 1 1 1 1 1

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Wege im Labyrinth

N(N3(X(4))) = N3(N1(X(4))) : KommutativitätN1(N2(N1(X(4)))) = N2(N1(N2(X(4)))) : ZyklizitätN2(N3(N2(X(4)))) = N3(N2(N3(X(4)))) : Zyklizität

Die Anzahl der Permutationen von m ist m!, alsofürm=4,24.Diese24Elementewerdenlexikogra-phisch nach i1 < i2 < i3 < i4 , 1 ≤ i ≤ 4 angeordnet. Alle24 Permutationen der 4 logischen Werte lassen sichmit den drei Negatoren generieren und in dem Permu-tographen PG(4) des Negationssystems anordnen.

In der klassischen Logik ist das Verhältnis von Af-firmationXundNegationN(X)ein–deutigbestimmt,d.h. N(N(X)) = X. Unter Negation wird hier nur die pri-märe und basale Negation einer Logik und nicht ihremöglichen sekundären abgeleiteten Negationen ver-standen. Dagegen läßt sich die Affirmation X(4) im Ne-gationssystem N(4) durch eine Vielzahl verschiedenerNegationsfolgen charakterisieren; etwa:

X(4) = N1.2.1.2.1.2 X(4) = N1.3.2.3.2.3.1.2.1.2 X(4)

Es stellt sich die Frage nach der genauen AnzahldernegationalenÄquivalenzenunddamitnachderAnzahl der Negationszyklen durch einen Knoten (Af-firmation)desPermutographenPG(4).Weiterhinistauch die Frage nach der Anzahl der Negationszyklenüberhaupt,alsoauchderZyklen,dienichtdurchei-nen Knoten, sondern durch mindestens zwei disjunkteKnotenmengen gehen.

Die 4–kontexturale Affirmation X(4) läßt sichnach den EDV–Berechnungen durch genau 2713 ver-schiedeneNegationsfolgenderLänge4bis24dar-stellen,wobeidieletzterendieHamiltonkreisesind,die von Günther in „Das Janus–Gesicht der Dialektik“(79)erstmalsimRahmendertransklassischenLogikuntersucht werden. Die Anzahlbestimmung der Tabel-leberücksichtigtnichtdenRichtungssinnderZyklen,alsoihreRechts–bzw.Linksläufigkeit.Zusätzlichzuden Zyklen lassen sich eine Fülle weiterer Möglichkei-ten durch das Labyrinth zu gehen berechnen.

DielabyrinthischeStrukturderErkundungdesWeges des Seins ist ein Selbstzyklus und koinzidiertmit der Positivität der Wahrheit. Eine erste Vemittlungvon Positivität und Negativität ist in einem triadischenSystem des Denkens gegeben. In ihm befindet sich derersteZyklus,derinsechsSchrittenrechtsbzw.linksherum begehbar ist. Nur zwei Wege sind hier mög-lich.EinternäresSystemmitseinen24Stationener-möglichtschoninsgesamt3750zyklischeWegeimlabyrinthischen Graphen.

Dadurch, daß die Affirmation in der Meontik viel-fältig bestimmt werden kann, erhält sie eine Überbe-

stimmung, Überdetermination und Vieldeutigkeit, mitder sie die Komplexität der Negativsprache fundiert.DieÄquivalenzendermulti–negationalenSystemelassensichnichtmehralszeitloseRelationenzwi-schenAffirmationundNegationverstehen,ihreoftvielfach verschlungenen Wege durch die Negativität,durch die Meontik, implizieren eine Geschichte. Wel-cher Weg gewählt wurde, ist durch Erfahrungen moti-viert,dienichtausdemNegationssystemstammen;hier kreuzen sich kognitive und volitive Prozesse, alsoMeontik und Kenogrammatik.

Die Gegebenheitsweise eines Weges durch dasLabyrinthverändertsichinderMeontikunddamitauchderCharakterdesLabyrinthsselbst.DasLaby-rinthistnichtmehrdiedrohendeGefahr,indieeinMenschgeratenkann,derWegdurchdenHadesusw., sondern das Geflecht der Welten, in dem wir im-mer schon leben. Wenn es nur eine Welt gibt, danngibt es auch nur einen Weg (durch das Labyrinth). DieVielzahl der meontischen Wege, die kein Ariadnefa-den mehr auf eine Linie reduziert, sind nicht vorgege-ben und können daher auch nicht gefunden werden.Im Suchen werden sie erschlossen.

Die Negationsfolgen geben den einmal gewähl-tenWegdurchdasLabyrinthan.Siesindnichtnurmulti–negationale Äquivalenzen, die die Struktur derMeontikbzgl.AffirmationundNegationangeben,sondern ebenso Imperative, die die Art, Richtung undLänge des Weges bestimmen; sie stellen somit einenallgemeinen Codex für Handlungsvollzüge (Günther)fürdievonParmenidesverbotenenlabyrinthischenWege dar, die durch den 'Hohlraum des Nichts' unddurch das 'Tor der Zukunft' führen.

Traveler, there are no path.Path are made by walking.Antonio Machado (1940)

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Labyrinth und Negativität

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Spaltungen in der Wiederholung

1 Linearität und Positionalität

2 Dissemination der Reihe der natürlichen Zahlen

3 Zur Arithmetik der Arithmetik

4 Der Ultra–Intuitionismus Jessenin–Volpins

5 Dekonstruktion des Prinzips der Induktion

6 Zur Machbarkeit der Großen Zahlen

7 Literatur

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Spaltungen in der Wiederholung

Angesichts der enormen Erfolge der Computerwis-senschaften was Paralleisierung und Verteilung vonalgorithmischen Prozessen anbelangt und der nochrapideren Entwicklung der Computertechnologiebzgl. der Realisierung immer mächtigerer 'numbercrunchers' und der trotz allem wenig sichtbar werden-den echten Erfolge oder gar Durchbrüche in der Künst-lichen-Intelligenz--Forschung, stellt sich erneut dieFrage nach der Fundiertheit der Grundannahmen die-serUnternehmungen.AlsoinsbesonderedieFrage,nach der Adäquatheit der Mathematik und ihrer Theo-riedernatürlichenZahlenalsBasisderKonstruktionkünstlicher Intelligenz oder gar künstlicher Lebewesenim Sinne der Bionik oder der artificial-life-Forschung.Im Gegensatz zur Entwicklung einer Vielfalt alternati-ver Logikkalküle sind nur wenige Versuche zur Dekon-struktion der Konzeption der natür-lichen Zahlenbekannt geworden. Es sind dies einmal die Spekula-tionen Über das Endliche von Warren McCulloch, wiesievonGotthardGüntherberichtetwerden,unddieweit ins Mathematische gehenden Ansätze des Anti–TraditionalistischenProgrammsAleksanderYesse-nin–Volpins und die Konstruktionen GotthardGünthers etwa in „Natural Numbers in TransclassicalSystems“ und in „Die Metamorphose der Zahl“.

1 Linearität und Positionalität

„Einsog.Textistdemnachdannundnurdanntat-sächlich als Text geschrieben, wenn er das Prinzip derZeiligkeit,alsoderLinearität,derEindimensionalitätbewahrt.(...)ImallgemeinenentstehtjederText,ichsagte es schon, als lineare Zeichenfolge. (...) Wie derstatistischeTextfluss,soerscheintauchdielogischeTextstruktur als eindimensionale.“ (Bense, 1965, 300)

ObwohlinihnengegensätzlicheTendenzenwirk-sam sind, ist in allen phonetischen Schriftsystemen dasPrinzip der Linearität und das Prinzip der Positionalitäteng miteinander verbunden. Gerade in der Arithme-tik,inderdasPrinzipderLinearitätamreinstenver-wirklichtist,spieltdiePositionalitäteinekonstitutiveRolle für die Definition und Produktion der Zahlen. DerMotoreinergeradezuüberschwenglichenGeneri-

erungvonZahlenunterBeibehaltungderLinearitätbietetdasPositionalitätssystemmithilfederPotenz-funktion. Durch sie lassen sich Zahlen beliebiger Grös-se erzeugen, ohne daß diese konkret, etwa alsStrichfolgen, realisiert werden müssen.

„Die Verwendung mehrerer Ziffern und das (von denIndernkonsequentauchfürdieSchriftausgebildete)Positionssystem gestattet die rasche Entscheidung desGrösserundKleinerfürweithöhereZahlen,alsdieeinfachen aus lauter hintereinander gesetzten Einsenbestehenden Zahlzeichen; es ist ihm praktisch gewal-tig, doch nicht prinzipiell überlegen. Die Grund-zahldes Zahlsystems, als welche und die Zehn dient, ist inverschiedenenKulturenverschieden.Dieindische,vor allem die buddhistische Literatur schwelgt in denMöglichkeiten, durch das Positionssystem, d.h. durchVerbindungvonAddition,MultiplikationundPoten-zieren ungeheure Zahlen eindeutig zu benennen.Trotz aller wuchernden Phantastik ist doch etwaswahrhaft Grosses darin lebendig; der Geist fühlt zumersten Mal ganz seine Kraft, durch das Symbol überdieGrenzendessenhinauszufliegen,wassichan-schaulich vollziehen lässt.“ (Weyl, 30)

DiePositionalitätistdaskreativeundspekulativeMoment in der elementaren Arithmetik. Sie impliziertjedoch auch die Gefahr, einer Zerstörung des PrinzipsderpotentiellenRealisierbarkeit,durchihre,derrei-nenLinearitätentgegengesetztenTendenzzurVer-räumlichung. Insofern als sich die Arithmetik alsWissenschaft, d.h. als reine Arithmetik, wie sie im Ge-gensatzzurpraktischenägyptischenArithmetikvondenGriechenkonzipiertwurde,fürdieGesetzederZahleninteressiertunddamitunterderDichotomieTheorie/Praxis steht und sich ihre Anwendung als se-kundär erweist, entsteht zwischen Linearität und Posi-tionalität kein Konflikt. Die Positionalität steht, soweitsie überhaupt ausgebildet ist, im Dienste der Lineari-tät.AlseigentlichesHinderniseinerWeiterentwick-lung des Denkens und seiner Notationstechnikenerweist sich immer deutlicher deren eigenes Produkti-onsverhältnis, die Linearität.

„DasrätselhafteModellderLinieistalsogeradedas, was die Philosophie, als sie ihren Blick auf das In-nere ihrer eigenen Geschichte gerichtet hielt, nicht se-hen konnte. Diese Nacht hellt sich in dem Augenblickein wenig auf, wo die Linearität – die nicht der Verlustnoch die Abwesenheit, sondern die Verdrängung desmehrdimensionalensymbolischenDenkensist–ihreUnterdrückunglockert,weilsieallmählichdielangeZeit von ihr begünstigte technische und wissenschaft-licheÖkonomiezusterilisierenbeginnt.“ (Derrida,1974, 153)

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Linearität und Positionalität

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Der Kantische Kritizismus, der das Denken vor derunkontrollierbaren Spekulation abgrenzen will, läßtdas Prinzip der potentiellen Realisierbarkeit in seinem„Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen beglei-ten können“ nicht nur unangetastet, sondern gibt ihmeine transzendental–philosophische Begründung.Ebenso lassen auch die kritizistisch eingestellten Ten-denzendermathematischenGrundlagen-forschungwie der Intuitionismus, der Operativismus, der Dialo-gismus und auch der Formalismus das Prinzip der po-tentiellen Realisierbarkeit und damit die Gültigkeit desPotentiell–Unendlichen unangetastet.

„Etwas Neues aber geschieht, wenn ich die aktuellvorkommenden Zahlzeichen einbette in die Reihe al-ler möglichen Zahlen, welche durch einen Erzeu-gungsprozeß entstehen gemäß dem Prinzip, daß auseiner vorhandenen Zahl stets durch Hinzufügung derEinseineneue,dienächstfolgende,erzeugtwerdenkann. Hier wird das Seiende projiziert auf den Hinter-grunddesMöglichen,einernachfestemVerfahrenherstellbaren geordneten, wenn auch ins UnendlicheoffenenMannigfaltigkeitvonMöglichkeiten.DiesistderStandpunkt,denwir...beidermathematischenBegründung der Arithmetik durch das Prinzip der voll-ständigenInduktioneinnahmen.Hieraufstützenwiruns,wennwirvoneinerBil l ion=1012 Papiermarksprechen.DennmittelsDefinitiondurchvollständigeInduktiongewinnenwirausdemarithmetischenUr-prozeß,derinn+1verwandelt,dieOperationderMultiplikation mit 10 und dann durch ihre 12maligeAnwendung, ausgehend von 1, die gewünschte Zahl1012. Die Zahlzeichen 10 und 12 können wir dabeiinStrichenhinschreiben;für1012 geschahesnie-mals, und doch ´fingieren´ wir eine solche Zahl.“(Weyl, 30)

AbgelehntwirddurchdenKritizismusdasPrinzipder aktualen Realisierbarkeit, also das Aktual–Unend-liche der Mengenlehre, jedoch nicht das Prinzip derIdentifizierbarkeitunddasPrinzipderpotentiellenRealisierbarkeit von Zeichenreihen. Eine Kritik an die-sen Prinzipien jeder Zeichenproduktion oder gar de-ren Elimination scheint absurd und selbstdestruktiv zusein.IsteinElementüberhauptidentifizierbar,soistdiese Identifikation unbegrenzt iterierbar. Überall wodas Element, das Zeichen in einem Text auftaucht, läßtessichidentifizieren.DieUmkehrungdavonistimPrinzip der potentiellen Realisierbarkeit formuliert. Istein Element überhaupt gegeben, so läßt es sich unbe-schränkt notieren. Identifikation und Iteration sind diezweiMinimalbedingungenderSemiotik.Zeichener-eignis und Zeichengestalt, token und type, usw. sinddie basalen Dichotomie. Im Prozeß seines Gebrauchs

verändert sich ein Zeichen nicht. Es hat kein Leben, nurForm. Der Calculus of Indications in Laws of form (G.Spencer Brown, 1969) faßt nochmals seine Grundge-setze zusammen und zwar durch die zwei Axiome:

Axiom 1 „The value of a call made again is the valueof the call.“, d.h. ¬¬ = ¬

Axiom 2 „The value of a crossing made again is notthe value of the crossing.“, d.h. ¬¬ = .

Das erste Axiom faßt die zwei Prinzipien der Identi-fikationundderIterationineinerGleichungzusam-men. Ist eine Form gegeben, dann läßt sie sichwiederholen; die Iteration einer Form ist eine Form, sieläßt sich als Form identifizieren.

DaszweiteAxiomregeltdasVerhältnisvonFormundInhalt,typeundtoken,etwaso:dieFormeinerForm ist ein Inhalt und ein Inhalt ist ein Inhalt und keineForm und wird als Inhalt nicht notiert. Daß die semioti-schen Prinzipien der Identifikation und der Iterierbar-keit selbst noch in der Reflexionstheorie derMorphogrammatik eine dominante Rolle spielen, ob-wohl dort die klassische Logik schon verlassen wurde,jedoch noch nicht die klassische Arithmetik, zeigt sichauch in „Cybernetic Ontology“ (Günther, Bd.I,p.295–296). Das Unendliche als Teil des Endlichen

DieSäkularisierungdesJenseitsdesPotentiell–Un-endlichen, sein „und so fort ins Unendliche“, in Rich-tung einer ultrafiniten, konkreten innerweltlichrealisierbaren und nicht nur der Möglichkeit nach kon-kretisierbaren Arithmetik der natürlichen Zahlen mußdie Bindung an das Prinzip der Linearität auflösen unddie Symmetrie von Linearität und Positionalität in eineAsymmetriezuGunstenderPositionalitätverschie-ben.DerMechanismusderSäkularisierungdesUn-endlichen,dieArithmetikistimmereineTheoriedesUnendlichen,wirdbestimmtdurchUmkehrungundVerschiebung der Termini Linearität, Positionalität unddasEndliche,dasUnendliche.ZumeinenwirddasVerhältnis vom Endlichen zum Unendlichen bezüglichihrerMächtigkeitverkehrt:nichtdasEndlicheisteinTeildesUnendlichen,imGegenteil,dasUnendlicheisteinTeildesEndlichen.SoderamerikanischeBe-gründerderKybernetiknacheinerGesprächsauf-zeichnung des Philosophen Günther „McCullochseemed to imply that this order should be reversed andthat infinity should be robbed of its primordial rank ofawareness which is a product of the equally finite sy-stem of the physical brain.“ (Günther, 1975,15) Undweiter: „...not the finite is embedded in the Infinite but... the Infinite – be it conceived as potential or actual –is, in the metaphysical sense, only a subordinated ele-ment of Finitude ...“ (ibd. 21).

Anmerkung (Zettel)

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Daß das Unendliche im Endlichen eigebettet sei (Mc-Culloch,Günther)istzwarveryniceoderauchverysurprising, von der Denkfigur her jedoch banal, da nureineInversiondes(intuitiven,nicht-mengentheoreti-schen, contorschen) alten Satzes, der besagt, daß dasEndlicheimUnendlichen,daßdasEndlicheeinTeildesUnendlichensei,SokühndieseInversionauchsein mag, so stellt sie doch nur den ersten Schritt derProemialisierungdar,derzweite,dieVerschiebungundmitihrdiePaläonymiebzw.dieWiederholungdes Alten, fehlt.

Der Clou ist nicht, daß das Unendliche teil des End-lichenistsondern,daßdasendliche(desUnendli-chen) „unentscheidbar“ ist. Bekanntlich ist jedeendlicheMengeentscheidbar(zumindestaufzähl-bar).

Anders: daß auch für das Endliche (des Unendli-chen) das TND nicht als gültig vorausgesetzt werdenkann. Daß also auch im Endlichen die Gesetze des Un-endlichengelten,daßdieintuitionistischeKritikamUnendlichen sich für Endliche (des Unendlichen) wie-derholen. (s.a. Feasibility, Parikh)

Das Endliche des Unendlichen heißt: die DistributiondesUnendlicheninderKenogrammatikverwandeltdasUnendliche,eswirdzumultra-intuitionistischenUnendlichen: endlich und unabgeschlossen zugleich.

2 Dissemination der Reihe der natürlichen Zahlen

Diese Verkehrung beruhigt sich nun nicht in einemstrengen Finitismus für den das Unendliche jeglicherArt nichts anderes ist als eine Mythologie. Seit demGödelschen Unvollständigkeitssatz ist das Programmdes strengen Finitismus selbst als Mythologie entlarvt.Die Einzigkeit der Reihe der natürlichen Zahlen wirdaufgelöst und in eine Vielheit von Zahlenserien aufge-fächert.DieAuffächerungderLinearitätdernatürli-chen Zahlen, der Peano–Folgen, bedeutet nicht, daßdie einzelnen distribuierten Linearitäten einen ge-meinsamen Anfangspunkt haben, ihre Disseminationwird durch die polykontexturale Logik geregelt.

„Zunächst muß festgehalten werden, daß in einempolykontexturalenWeltsystemjedeUniversalkontex-turihreeigenePeano–Folgehat,dieausschließlichaufsiebezogenistunddiereinintrakontexturalab-läuft. Und da wir prinzipiell eine unbegrenzte AnzahlvonUniversalkontexturenstipulierenmüssen,soer-gibt sich daraus, daß wir auch mit einer unbeschränk-tenVielheitvonsolchenindividuellenPeano–Folgen

zurechnenhaben,diegegeneinanderdurchdieje-weiligen Kontexturgrenzen abgeschirmt sind.“ (Gün-ther, Bd. II, p.275)

Die distribuierten Peano–Folgen werden nicht in ei-nemsummumbonumversammelt,jedeeinzelnehatihreneigenenAnfang,diesesindalsonichthierar-chisch sondern heterarchisch organisiert. Die Heterar-chie nun ist die von der Fixierung auf die Linieentbundene Positionalität wie sie in der polykontextu-ralenLogikdurchdasOrts–undStellenwertprinzip,d.h. durch den Kontexturierungs– und den Kontextuie-rungsprozeß definiert wird. Die kontexturale Abgren-zung der einzelnen Peano–Folgen voneinander,bedeutet nicht, daß sie isoliert bleiben, viel-mehr ent-stehtdieMöglichkeiteinestranskontexturalenÜber-gangs:EineZahlenfolgebeginntineinerKontextur,stößt auf ein Obstakel und setzt sich in einer anderenKontextur fort. Es sind also zwei differente Zählprozes-se zu unterscheiden; der intrakontexturale, der inner-halb einer Kontex tur abläuf t und dertranskontexturale, der die Kontexturen selbst als Zähl-einheiten hat. Durch die Möglichkeit des trans-kontexturalen Übergangs wird der Überstieg vomEndlichen ins Unendliche mit endlichen Mitteln vollzo-gen. Denn intra–kontextural gibt es keine noch so gro-ße Zahl die aus ihrer Kontextur hinausführt. DemtranskontexturalenÜbergangentsprichteinSprungfür den keine lineare Iteration einspringen kann. DieEigenschaftdertranslinearenZahlistfürdielineareZahl genau so transzendent und unerreichbar wie dasUnendliche. Insofern hat die neue Zahl der alten ge-genüberwegenihrerDiskontexturalität,d.h.wegender Kontexturschranke, die zwischen ihnen liegt, dieQualität des Infiniten. Als solche und innerhalb ihrerKontexturistdieinfiniteZahljedochwiederumeineendliche Zahl und damit Ausgangspunkt für neue Iter-ationen sowohl intra– wie transkontexturaler Art. DerUltra–Intuitionismusistnichteinsog.strengerFinitis-mus, noch hat er etwas mit den Nonstandard–Model-lenderArithmetikzutun,sonderneristeinUltra–Finitismus.

Die Begriffe finit/infinit, endlich/unendlich sindkomplementäre Begriffe. Es gibt kein Endliches ohneUnendliches und umgekehrt. In einer mono-kontexturalenLogikundArithmetikläßtsichjedochderen Dialektik nicht entfalten. Das mathematische In-teresseistjeweilseinseitigaufdasUnendliche,wasihrTelosanbelangt,ausgerichtet.DieOrdnungderbeiden Begriffe ist daher starr und zeigt sich in einerhierarchischen Unterordnung des Endlichen unter dasUnendliche.DiePolykontexturalitätbietetdenSpiel-raumfürdiefreieEntfaltungdieserDialektik.Daher

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Zur Arithmetik der Arithmetik

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kann das was in einer Kontextur per se als Unendli-ches gesetzt ist, in einer anderen Kontextur als ein End-liches gegeben sein, ohne daß sich die beiden Bestim-mungengegenseitigstören.DurcheinenKontextur-wechsel kann das für sich Endliche zum Unendlichenwerden und umgekehrt. Die Dekonstruktion der kom-plementärenBegriffefinit/infinitextendiertdieseumdieneueDichotomietransfinit/ultrafinit.Dabeient-sprichtkurzgesagt,demUlltrafinitendieKonzeptiondesstrengenFinitismus,jedochohnedessenRestrik-tionen und dem Transfiniten die Cantorschen Zahlen-konstruktionen, jedoch ohne ihre anti–operativeSpekulation.

3 Zur Arithmetik der Arithmetik

Bekanntlich sind seit Aristoteles für das herrschendeDenkenallephilosophischen,semiotischenundma-thematisch–logischen Konzepte der Zahl dem Lineari-tätsprinzip treu geblieben. Damit subsumieren sie sichalle unter die aristotelische Konzeption von Zahl, ZeitundZeichen.EineleichteAbweichungvomdichoto-misch–logozentrischenZahlkonzeptfindetsichbeider auf Peirce zurückgehenden Fassung der Zahl als„triadische Zeichenzahl“ in Benses „Zeichenzahl undZahlensemiotik“.BenseentwickeltallerdingsnichteinevonderLinearitätentbundenesemiotischeZah-lentheorie, sondern eine triadisch–trichotome Begrün-dungdervorgegebenenKonzeptiondernatürlichenZahlen.GegenläufigzurDisseminationderlinearenArithmetik entsteht damit die Notwendigkeit einer zu-sätzlichenArithmetik,diedenZusammenhangderVielheitderpolykontexturalenArithmetikenregelt,also eine Arithmetik der Arithmetik. Diese Arithmetik,diesecondorderarithmetics,diedieZählbarkeitender disseminierten arithmetischen Systeme zählt, mußfrei sein von der Materialgebundenheit der gezähltenArithmetiken. Die Materialgebundenheit ist dabeinicht empirisch zu verstehen, sondern gibt die qualita-tive und kontexturale Abgrenzung der verschiedenenArithmetiken an. Diesem interkontexturalen, von jegli-chem Sinnhaften und Arithmetischen entbundenen Be-reichentsprichtdieKenogrammatik(Kaehr,1991).Der neue Zahltypus der 'second order arithmetics', die„philosophischen Zahlen“ , hat somit zum „Themanicht die Wahrheit des Seins des Seienden, sonderndieWahrheitderNegativitätdesNichts“ (Günther,Bd.III, 285).

4 Der Ultra–Intuitionismus Jessenin–Volpins

„Polysemie mathematique? Jamais. Les assemblagedesignequiconstituentenleurmaterialitelestextesmathematique sont univoque par construction.“ (Des-anti, 37)

Eine erste mathematische Dekonstruktion der Linea-rität der Reihe der natürlichen Zahlen leistet der Ultra–Intuitionismus des russischen Mathematikers Aleksan-derS.Yessenin–Volpin.DieunkritischeÜbernahmedes Prinzips der potentiellen Realisierbarkeit aus derMathematikindieKünstliche–Intelligenz–Forschungbringt diese in Widerspruch zu ihrem eigenen PrinzipderMachbarkeit.Machbaristdanachnurdas,waseindeutigundfinitformulierbarist(McCulloch–Pitts,1965).

DerUltra–IntuitionismusistinderLagezuzeigen,daß nicht einmal die natürlichen Zahlen finit und ein-deutigdefinierbarsind.DienatürlichenZahlensindjedoch der Prototyp einer konstruktiven, d.h. machba-ren Theorie. Die Einführung der natürlichen Zahlen un-terdemPostulatderEinzigkeitderReihedernatür-lichenZahlenführtzueinemZirkel:dieeinzuführen-den Zahlen werden bei der Einführung als schon exi-stent und disponibel vorausgesetzt. ZirkuläreDefinitionen sind jedoch auch für die Arithmetik kata-strophal, sie trivialisieren das System. Zirkularität darfdabei jedoch nicht mit der Rekursivität der Definitions-schemata verwechselt werden. (Kaehr, 1980, 44)

„I ask: why has such entity as 1012 to belong to anatural number series? Nobody has counted up to it(1012 secondsconstitutingmorethan20000years)and every attempt to construct the 1012 –th member ofsequence 0,0',0'',... requires just 1012 steps. But theexpression'nsteps'presupposesthatnisanaturalnumber i.e. a number of a natural number series. Sothis natural attempt to construct the number 1012 in anaturalnumberseriesinvolvesaviciouscircle.Thisvicious circle is no better than that involved in the im-predicaivedefinitionsofsettheory:andifwehaveproscribed these definitions we have to proscrive thebeliefinexistenceofanaturalnumber1012,too.“(Yessenin–Volpin, 1970, 4–5)

D.h. eine Zahl Zn wird definiert als die n–fache An-wendung der Nachfolgeoperation X auf die Anfangs-zahl (Null) Y, also

Xn Y = X(X(...(XY)...)) für n>0 n–fach X (n ist Schrittzahl) und X0 Y = Y

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Die Zahl 1012 wird danach definiert durch die1012–fache Anwendung der Nachfolgeoperation aufdie Anfangszahl:

Z1012 = X1012 Y = X(X(...(XY)...)

1012X – fach

Woherweißman,daß1012 einenatürlicheZahlist? Offensichtlich muß schon vor der Konstruktion derZahl 1012 bekannt sein, daß sie eine in der Reihe dernatürlichen Zahlen vorkommende Zahl ist, sonst ließesie sich ja nicht als Schrittzahl einsetzen. Würde sie inder Zahlen–reihe nicht vorkommen, würde sie durchdie Schrittzahl gerade konstruiert und würde somit imWiderspruch zur Annahme doch vorkommen. Kommtsie jedoch vor, so entsteht ein Zirkel, da sie, will mansie konstruieren, sich selbst als Schrittzahl voraussetzt.Dieser Zirkularität ist nur zu entgehen, wenn die tradi-tionelle Annahme der Eindeutigkeit der Reihe der na-türlichenZahlenaufgegebenwirdundeineVielzahlvonZahlenreihenundnotwendigerweiseaucheineVielzahlvonkorrespondierendenLogiksystemenzu-gelassenwerden.LogikundArithmetikmüßenalsgleichgestellt verstanden werden, als Antworten zwei-er differenter gleichurprünglicher Fragen, die heterar-chisch in der Kenogrammatik fundiert sind.

Die Dekonstruktion der Arithmetik und Semiotik mußentsprechend auf die Logik ausgedehnt werden. Dasletztere wird allerdings vom Ultra–Intuitionismus nichteingelöst. Die ultra–intuitionistische Kritik an denGrundlagen der Mathematik und wegen ihrer Radika-lität, an allen semiotischen Systemen überhaupt, wirdvon der etablierten Mathematik und Semiotik wie HaoWang (1974, 290) berichtet, als „an elaborate joke“abgetan.

NACHTRAG 1996Mitteilungen aus dem Internet„Ishouldtempermygospelfervorenthusiasmfor

PRA by observing that while I agree with Tait (Finitism,J. of Philosophy, 1981, 78, 524-546) that PRA is THENECESSARY AND SUFFICIENT logic for talkingabout logics and proofs, there exists at least someonewho refuses to believe in PRA (Yessenin-Volpin, The Ul-tra-IntuitionisticCriticism...,IntuitionismandProofTheory, North-Holland, 1970, pp. 3-45).

But this fellow also refuses to believe in 10^12,which seems to flyin the face of teraflops and terabytememories.

Bob (Robert S. Boyer <[email protected]>)Thereisnosafetyinnumbers,orinanythingelse.

Thurber.“

Wie wenig Verständnis für die im Text behandelteProblematik angesichts des „Computerzeitalters“ zuerwarten ist, zeigt das obige Zitat von Bob.

Woherwissenwirvonden teraflopsandterabytememories?

Wer hat sie gezählt und wie? Selbstverständlichsindsieberechnetwordenund

dieErgebnissebezweifeltniemand–gewißsindsieauf der Basis der nicht faktisch begründbaren Potenz-funktionenberechnetwordenundnurdiesesagenaus, wie viele flops pro Sekunde in der oder durch dieMaschine laufen.

Die Evidenz, die die Basis der Begründung abgebensollte ist in den Rechner verschoben worden.

Warum auch nicht?Doch eine rechnerfundierte Mathematik – unabhän-

gig von egologischer Fundierung – existiert heutenoch nicht.

Analog ist die Problematik der maschinellen Lösungdes Vierfarben-Problems.

Daß zumindest ein qualitativer Bruch zwischen eineregologisch und einer maschinal begründeten Mathe-matik besteht, sollte nicht ganz übersehen werden.

Noch bleibt der Beweis der Äquivalenz der beidenaus.

NACHTRAG-Ende

5 Dekonstruktion des Prinzips der Induktion

Das Prinzip der arithmetischen Linearität wird auchimPrinzipdervollständigenmathematischenInduk-tion(IP)vorausgesetzt.Eslautet:wenneineEigen-schaft P dem Anfangselement O zukommt und wennausderTatsache,daßsieeinembeliebigenGegen-stand n zukommt folgt, daß sie auch dem Gegenstandn+1 zukommt, so kommt die Eigenschaft P allen Ge-genständen zu. Symbolisch IP: P(0) ∧ ∀n(P(n)→P(n+1)) → ∀n P(n).

Der Ultra–Intuitionismus stellt das Prinzip der Lineari-tät in Frage. Sein erster Schritt einer Dekonstruktion isteineNegationderGültigkeitdesInduktions-prinzip(non–IP) ¬(P(0) ∧ ∀n(P(n) → P(n+1)) → ∀n P(n))

UnterderVoraussetzungeinerwahrheitsdefinitenklassischen Logik läßt sich non–IP umformen zu P(0) ∧∀n(P(n) → P(n+1)) ∧ ¬ ∃n P (n) In Worten: Das PrädikatP gilt für das Anfangselement und für den Nachfolge-schritt von n zu n+1 für alle n und es gibt ein Elementn, für das das Prädikat P nicht zutrifft.

Die Existenz eines Elements n, das nicht die Eigen-

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Zur Machbarkeit der Großen Zahlen

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schaft P besitzt, ist unter der Voraussetzung der Linea-rität absurd, zumal es für non IP keine kleinste, nicht–realisierbare Zahl gibt. Die Implikation P(n) → P(n+1)gilt für alle n. „Die Abstraktion der faktischen Unend-lichkeit,schreibtPetrov,läßtsichziemlichschwierigmit der Intuition in Einklang bringen, ...“ (Petrov,1971,13)

Daß sich eine Erweiterung der Arithmetik und der Se-miotikimSinneeinerEntbindungvondermenschli-chen egologischen Subjektivität nicht nach Maßgabeder Intuition, dem „Prinzip aller Prinzipien“ (Husserl),vollziehenläßt,istwiederumnaheliegend.DerTeil-satz '¬ ∃nP(n)' von non–IP verliert dann seine Absurdi-tät, wenn er als Anfangsglied eines zweitenDekonstruktionsschrittes verstanden wird. '¬ n ∃ P(n)'bedeutet,daß'P(n)'nichtimeigenenLinearitätssy-stem, sondern in einem anderen existiert. Die Ungül-tigkeit im Linearitätssystem L1 koinzidiert mit derGültigkeitimLinearitätssystemL2.DaßeseineZahlgibt, die auf der Linie L1 nicht existiert, obwohl es kei-ne kleinste Zahl in L1 gibt, für die das gilt, heißt, daßdie betreffende Zahl sich auf einer anderen Linie be-findet. Danach haben Zahlen sowohl Vorgänger undNachfolger als auch Nachbarn. Ihre Konzeption wi-derspricht jeder Intuition, da sie ihre Eindeutigkeit ver-loren haben und sich nicht mehr in einer Präsenzversammeln lassen. Ihre Einführung heißt daher auchultra–intuitionistisch. So ist etwa die Zahl Eins sowohlAnfangeinesZahlensystems,wieauchbeliebigerTeil,z.B.Ende,eineranderendieerstekreuzendenZahlengeraden.DerUltra–IntuitionismusimSinneYessenin–Volpinsistnichtidentischmiteinemstren-gen Finitismus. Sein Ziel ist die Entgründung der Ma-thematikundnichtihreReduktionaufeintechnischdisponibles klassisches Fragment.

6 Zur Machbarkeit der Großen Zahlen

GroßeZahlen,wiesiezurKonstruktionkünstlicherIntelligenznotwendigsind,werdenleichtdurchdiePotenzfunktioneingeführt.e(m,n)=mn DiePotenz-funktionläßtsichverstehen,alszweiteApplikationdes Positionalitätsprinzips. Ihre Elemente sind Zahlen,die durch die erste Applikation des Positionalitätsprin-zips mithilfe eines finiten Zeichenrepertoires, als linea-re Zeichenreihen gebildet wurden. Die Potenzierungdieser Zahlen erzeugt wiederum Zahlen, d.h. eine Po-tenzzahlwirdalsZahlverstanden.Damitwirdbe-hauptet, daß die Potenzzahl auf eine Zahl abbildbarist. Gewiss ist die Potenzzahl 102 auf die Zahl 100 ab-bildbar,d.h.102 =100.Eslassensichjedochsehr

leicht Potenzzahlen hinschreiben, die ihrer Größe we-gen,genausowenigfaktischalsZahlimPositionssy-stem ausgeschrieben werden können, wie die Zahl 1Billion als Strichfolge. Parikh hat nun in seinem Rese-archReport „ExistenceandFeasibility“ bewiesen,daß die Potenzfunktion nicht faktisch realisierbar ist.D.h., das Prädikat P(x,y,z): xy=z ist faktisch realisier-bar,jedochnichtdieAussage, ∀(x)∀(y)∃(z)(xy=z).Mögen zwei Zahlen m, n faktisch realisierbar sein, somußesdiePotenze(m,n)nichtsein.DiesesResultathat nun direkte Folgen für den metatheoretischen Limi-tationssatz von Gödel.

BekanntlichwirderüberdieArithmetisierungderSyntaxgewonnen.DiesewiederumfunktioniertnurdankderPotenzfunktion:denZeichendesLexikonsdesformalenSystemswerdenPrimzahlenzugeord-net, jeder Aussage, d.h. Zeichenreihe, entspricht da-durcheineZahlenfolge,dieserwirdnuneindeutigeine Zahl, die Gödelzahl. Der Gödelsche Satz ist alsonichtfaktischrealisierbar.ErhatzurVoraussetzungdie Abstraktion der potentiellen Realisierbarkeit. DieKetteMathematik/Ideologie(Badiou,1969)setztsichfortmitderDekonstruktionderIdeologiederLi-nearität und der Entwicklung einer trans–linearenArithmetik.

IsteinmaldasLimitationstheoremrelativiertaufei-nen bestimmten historischen Typus einer allgemeinenSymbolisierungsweise, dann verlieren auch seineapologetischen Applikationen etwa bei der Frage, obbewußtseinsanalogeMaschinenmöglichseienodernichtihreRelevanzundStringenz.DasPrinzipderkünstliche Intelligenzforschung, das Prinzip der fakti-schenMachbarkeit(McCulloch–Pitts)trifftalsonichteinmal für den Prototypen einer konstruktiven Theorie,d.h. für das elementarste Instrumentarium der KI–For-schung selbst zu. Die Bindung der Machbarkeit an dieEindeutigkeitistnichteinmalfürdieArithmetikreali-sierbar.EindeutigkeitheißtlogischZweiwertigkeitundHierarchie.EsistvonderKI–Forschungüberse-henworden,daßMcCullochsichschon1945ge-zwungensah,dasHierarchieprinzipdurcheinkom-plementäresHeterarchieprinzip,daskeinsummumbonum kennt, zu ergänzen. Heterarchien erzeugen inderLogikjedochZirkularitätenundverstoßendamitgegen das Hauptgesetz der klassischen Logik, gegendie Transitivität der Implikation und die Monotonie derFolgerungsrelation.

DadurchdaßdiePotenzfunktionüberdasfaktischRealisierbarehinausreicht,istsiedasProdukteinerspekulativenReflexion.DiegraphematischeDekon-struktion der Potenzierung tangiert nun nicht ihre spe-kulativeKraftgroßeundgarsuper–astronomische

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Zahlen zu setzen, sondern ihre logozentrischenVoraussetzungen, Atomismus und Linearität, die derRealisation ihrer Potenz Grenzen setzten, die ihr we-sensfremd sind. Die Linearität ist ein Produkt der Ver-drängung und Unterdrückung der prinzipiellen Tabu-larität skripturaler Systeme. Eine freiere Entfaltung er-hält die Positionalität der Potenzfunktion in einer tabu-laren und holistischen Arithmetik. Potenz-zahlenbeliebiger Größe lassen sich immer durch Distributionihrer Komponenten über verschiedene Kontexturen ta-bular–faktisch,d.h.ultra–finitrealisieren.M.a.W.,die Nicht–Realisierbarkeit einer Zahl in einer Arithme-tik einer bestimmten Kontextur ist ein Obstakel und er-zwingteinentranskontexturalenÜbergang.Daherdekonstruiert sich eine nicht–realisierbare Potenzzahlin1)ihrefaktisch–realisierbareKomponenten,BasisundExponentund2)indiefaktisch–realisierbarentranskontexturalenÜbergänge;alsoineinarithme-tisch–logisches Verbundsystem realisierbarer Opera-tioneneinerpolykontexturalenTheorienatürlicherZahlen.DieAngstdeslogozentrischenDenkensvordem Nichtsein, dem Nichts und der Leere, haben denGebrauchderPositionalitätandieLinearitätgebun-den. Der virtuose Gebrauch der Null und die EinsichtinihreVielfältigkeitendefinierenanstehendeAufga-ben einer grammatologischen bzw. graphematischenGrundlagenforschung in Mathematik, Logik und Com-puterwissenschaften. Einen 'nicht–überschwengli-chen Gebrauch' der Möglichkeiten der Positionalität,einenGebrauch,dernichtversucht „imTransfinitenaus der Linie einen Kreis zu erträumen“ (Meyer,1983, 159), sondern einen innerweltlich realisierba-ren, der den arithmetischen Text der lebenden Textur'living tissue' einzuschreiben vermag, kann nur durchdieBefreiungderPositionalitätvonihrerGebunden-heit an die Linearität der unmittelbaren Gegebenheitder Zeichen, durch ihre Vermassung, d.h. durch unbe-schränkte Zerstreuung und Vermittlung, geschehen.

7 Literatur

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phose der Zahl, Ms., 1984 Herken,R.(Ed.)TheUniversalTuringMachine,Oxford

1988 Ifrah,G.UnviersalgeschichtederZahl,Campus, Frank-

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Literatur

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Literaturnachweise

(Chronologisch geordnet)

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Kaehr, R. „Neue Tendenzen in der KI-Forschung. Metakritische Untersuchungen über den Stellenwert der Logik inder neueren Künstlichen-Intelligenz-Forschung.“ Stiftung Warentest Berlin- BMFT 1980, 64 S.

Kaehr,R.„DasMeßproblembeiMensch/MaschineKommunikationsprozessen.“StiftungWarentest-BMFT,Berlin1980, 21 S.

Kaehr, R. „Einschreiben in Zukunft. Bemerkungen zur Dekonstruktion des Gegensatzes von Formal- und Umgangs-sprache in der Güntherschen Theorie der Negativsprachen und der Kenogrammatik als Bedingung der Möglichkeitextra-terrestrischer Kommunikation.“ in: ZETA 01, Zukunft als Gegenwart, Rota-tion Westberlin 1982, S. 191 – 237.

Kaehr, R., Matzka, R., Ditterich, J., Helletsberger, G. „Skizze einer graphematischen Systemtheorie. Zur Prob-lematik der Heterarchie verteilter Systeme im Kontext der New 'second-order' Cybernetics“ in: „OrganisatorischeVermittlung Verteilter Systeme.“ Forschungsprojekt Siemens-AG München 1985,120 S.

Kaehr, R. „SUFI's DRAI: „Wozu Diskontexturalitäten in der AI?“ ÖGAI Journal, Vol.8/1 1989, S. 31 – 38Kaehr, R. „Kalküle für Selbstreferentialität oder selbstreferentielle Kalküle?“ in: Forschungsberichte 228, S.16-36,

FB Informatik, Universität Dortmund 1990Kaehr, R. „Vom 'Selbst' in der Selbstorganisation. Reflexionen zu den Problemen der Konzeptionalisierung und

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Kaehr, R. „Spaltungen in der Wiederholung.“ in: Spuren, Heft Nr.40, Hamburg 1992Kaehr, R.: „Disseminatorik: Zur Logik der ́ Second Order Cybernetics´, Von den ́ Laws of Form´ zur Logik der Re-

flexionsform.“, in: Dirk Baecker (Hrsg.), Kalkül der Form, Suhrkamp 1993