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Nr. 6 · September 2014 www.salz-pfeffer.ch · CHF 9.50 DAS MAGAZIN DER GASTRONOMIE Offizielles Organ des Schweizer Verbandes für Spital-, Heim- und Gemeinschaftsgastronomie Wild Weidmannsheil Ausbildung Ab in die Zukunft Fest & flüssig Käse kreativ Bernadette Lisibach Mut zur Bescheidenheit

ISSN 1420 - 00580 Bescheidenheit Mut zur Offizielles Organ des ... dauern bis 1. November. Die erste Sep-temberwoche war Beat, der Jäger seit Buben auf Hochwildjagd, in der Mutt-la-Hütte

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Nr. 6 · September 2014 www.salz-pfeffer.ch · CHF 9.50DAS MAGAZIN DER GASTRONOMIE

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Wild Weidmannsheil

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Ohne Jagd hätte die Menschheit nicht überlebt. Gewiss, im Paradies soll es Granatäpfel gegeben haben, selbstver-ständlich bio. In prähistorischen Zeiten jedoch steckten in Gross- und Kleinwild, vom Mammut bis zum Hasen, vom Elch bis zur Wildsau, vom Hirsch bis zur Trap-pe jene Kalorien, die der Mensch zum Überleben erbeuten musste. Dass diese Jäger auch schon raffinierte Wild-Köche waren, darf man aufgrund von Knochen-funden bezweifeln. Die robusten Unter-kiefer der Urmenschen deuten vielmehr darauf hin, dass sie mit zähem Fleisch fertig werden mussten, etwa mit den Keulen von Höhlenbären.

Erst die nomadisierenden Haustierhalter und später die Bauern erweiterten den Speiseplan. Die Jagd wurde zum Privileg der höheren Klasse. Im mittelalterlichen Europa waren es die Landesherren. Um

das Jahr 1000 war praktisch nur der geist-liche und weltliche Adel jagdberechtigt. Erst seit der Revolution von 1848 ist Ja-gen – theoretisch – für jedermann und jedefrau möglich.

In der Schweiz ist Jagen, wie so manches, Sache der Kantone. Sogenannte Patent-kantone sind Bern, die Innerschweiz, Glarus, Zug, Freiburg, beide Appenzell, das Tessin, die Westschweiz (mit Ausnah-me von Genf, da ist die Jagd seit 1972 verboten) und Graubünden. Revier-kantone sind Luzern, Solothurn, beide Basel, Schaffhausen, St. Gallen, Aargau, Thurgau und Zürich. Jagen ist wie Au-tofahren. In beiden Systemen darf es nur, wer eine Prüfung abgelegt hat. Um die 30 000 Personen sind in der Schweiz jagdberechtigt, davon sind höchstens zehn Prozent Frauen.

Weid- manns- heil Das Horn ertönt. Es wird Zeit für die Jagd. In Wäldern, Tälern und in den Bergen machen sich die Jäger auf die Pirsch – und die Köche hinter den Herd. Wir haben vier Wild-Köche und einige Jäger besucht. Text: Esther Scheidegger | Fotos: Marcel Studer / z. V. g.

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auf der Wildkarte «nach Verfügbarkeit» Reh, Hirsch, Gams und Murmeltier-Ra-gout angeboten, alles aus einheimischer Unterengadiner Jagd.

Wildschweine, eine PassionUnter den Jägern gibt es nicht wenige Köche, die mit ihrer Passion sozusagen einen luxuriösen Rest von urtümlicher Selbstversorgung in die Jetztzeit hinü-bergerettet haben. Einer von diesen ist Rosvaldo Postizzi-Eleganti, leidenschaft-licher Jäger, leidenschaftlicher Küchen-chef und leidenschaftlicher Gastgeber. Das seit 1875 beliebte Ausflugsrestau-rant «Nollen» (es gilt als die «thurgaui-sche Rigi») auf dem Hosenruck, unweit der Äbtestadt Wil, hat er zusammen mit seiner Frau Gabriella vor zehn Jahren gekauft, und sie halten es im Schuss. Die Wildsau im Eingang ist zwar auch tot wie jene auf dem Grill in Sent, aber professionell ausgestopft und noch voll in der Schwarte. Sie bewacht das üppi-ge, weitherum bekannte Wildbuffet, das die Familie Postizzi und ihr motiviertes Team wie schon manches Jahr an meh-reren Wochenenden im Oktober und November ausrichten – dieses Jahr ab dem 3. Oktober.

Der Chef, er wirtete damals noch in der «Krone» in Elgg ZH, legte die Jägerprü-fung 1994 ab. Die Mehrfachbelastung als Hotelier, Küchenchef, Jäger, mit Hund

Der berühmteste Schweizer Nimrod (hebräisch für grosser Jäger) aller Zeiten war der Engadiner Gian Marchet Cola-ni (1772-1837). Zwei Wölfe, zwei Bä-ren und 2700 Gämsen soll er geschossen haben. Der Winterthurer Heimatdichter Jakob Christoph Heer verewigte ihn 1900 in seinem naturtrunkenen Best-seller «Der König der Bernina». Colani ist auch eine Ikone für den 83-jährigen Wildmaler Marcel Moser. Seine wand-füllenden Bildnisse sind eine der Attrak-tionen des Hotels, der Institution «Roseg Gletscher». Und sie beweisen auch, wie ansteckend Jagdfieber sein kann: Der Gastgeber Wolfgang Pollak-Thom, der das traditionsreiche «Roseg Gletscher» seit neun Jahren führt, ist seither ein passionierter Jäger, «was im Val Roseg, dem schönsten Jagdgebiet des Enga - dins, auch gar nicht anders möglich wäre».

Im Vergleich zum «Roseg Gletscher» ist die «Pensiun Aldier» in Sent – mit integ-riertem Giacometti-Museum – ein kul-tiger Newcomer. Die Gastgeber Susanne und Carlos Gross luden zur Eröffnung der Wildsaison zu einem ganz speziellen Event. Weil die Wirtsleute (noch) nicht selber jagen, legte der Senter Metzger-meister und leidenschaftliche Jäger Reto Zanetti aber keine Gämse (chamuotsch) auf den grossen Grill im Garten, sondern eine ganze Wildsau! Einmalig, toll, die Gäste waren begeistert. Im «Aldier» wird

Des Jägers Ursprung liegt entfernt dem Paradiese nah. Da war kein Bauer, kein Soldat, kein Arzt, kein Pfaff, kein Advokat, doch Jäger waren da!

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Die Treiberwehr ist unterwegs.

Doppelbüchsdrilling

Das Horn ertönt – die Jagd ist vorbei.

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Rosvaldo Postizzi-Eleganti, Restaurant Nollen, Hosenruck

Rehrückenmedaillons und Wildbeilagen im Restaurant Nollen

Räuberleben Lustig ist das Zigeunerleben? Fesselnd und mit unsentimentaler Empathie für «die da unten» erzählt der Schwei-zer Autor nicht nur das Leben und das traurige Ende des Räuberhauptmanns Hannikel. Lukas Hartmann schildert auch eine klassische höfische Prunk-jagd, wie sie im 18./19. Jahrhundert von und für den Herzog Karl Eugen im Schwarzwald und im Elsass insze-niert wurde.

Autor: Lukas HartmannVerlag: Diogenes 2012ISBN: 978-3- 257-06806-1Preis: CHF 38.90

CavreinLeo Tuor (1959) ist Jäger, Schrift-steller und studierter Philosoph. Vierzehn Sommer verbrachte er als Schafhirt auf der Greina und den Herbst als Jäger auf Carpet. Sein bis-heriges Hauptwerk ist die Surselver Trilogie «Giacumbert Nau» (1988), «Onna Maria Tumera» (2002) und «Settembrini» (2006). Er arbeitet auch als Übersetzer und Heraus-

geber. Und er ist Jäger. Den «Cavrein»-Epilog hat er dem «Klosterbock Tutanchamun» gewidmet, der über die Kantons-grenze flüchtete und darum in einer Urner Pfanne endete, statt im Naturalienkabinett des Abts von Disentis. Magisches Jägerlatein!

Autor: Leo Tuor, aus dem Surselvischen übersetzt von Claudio SpeschaVerlag: Limmat Verlag 2014ISBN: ISBN 978-3-857-91732-5Preis: CHF 24.80

Buchtipp

natürlich, und Familienoberhaupt, mitt-lerweile auch mit Enkel, kann er offen-bar sportlich wegstecken. Er steht auch nicht rund um die Uhr in der Küche. Als ich ihn zum ersten Mal kontaktie - ren wollte, war er gerade unterwegs zur Sauenjagd.

Die Jagdhornbläsergruppe «Waldkäuze» Winterthur, gern gesehene Gäste auch im «Nollen», blasen feierlich das Signal «Reh tot».

Der Schmaus kann beginnen, und er dauerte Stunden. Unglaublich, wozu man Reh und Hirsch verarbeiten kann (wenn man weiss, wie): Terrinen. Paste-ten. Rücken, Schnitzel, Pfeffer, Ragoût. Auch Wildschweinspeck, Wildschwein-coppa, Wildschweinrohschinken und geräucherter Wildschweinschüblig. De-likat ist Postizzis selbstkreiertes karamel-lisiertes Wildschwein-Geschnetzeltes mit

Nocino. Auch Ravioli kann man mit Wildschwein füllen. Eine seltene Deli-katesse ist die Rehleber – «es hät so langs hät». Wir bestellten noch einen toskani-schen «Insoglio del Cinghiale», Campo di Sasso 2011; der passte wunderbar. Und wir prosteten linkshändig, nach Jägerart.

Mit 207 TrophäenDie legendären Wildwochen in «Caduff ’s Wine Loft» haben gerade begonnen. Sie dauern bis 1. November. Die erste Sep-temberwoche war Beat, der Jäger seit Buben auf Hochwildjagd, in der Mutt-la-Hütte auf 2300 Metern ob Arosa. Er werde, mutmasste er – «wenn ich Glück habe - maximal drei Tiere schiessen - vielleicht auch nur eines, das macht un-gefähr fünf Prozent aus von dem, was wir in der ‹Wine Loft› während der Wildwo-chen im Oktober brauchen.» Die Gäste können es vor Ort überprüfen. Falls sie denn noch einen Platz finden.

Die Küche des europäischen HaarwildesEin gewichtiger, anspruchsvoller, prächtig illustrierter Prachtsband! Benoît Violier, der Gault&Millau-Koch des Jahres 2013, Nachfolger von Frédy Girardet und Philippe Rochat im Hôtel de Ville in Cris-sier, widmet sein Chef-d’oeuvre in einem Atemzug der Jagd und

der Küche. 16 Tiere porträtiert er, praktisch die Gesamtheit der jagdbaren europäischen Fauna, mit Rezepten von eini-germassen einfach (Würstchen vom Sikahirsch, Seite 90) bis anspruchsvoll (Gefüllter Kopf eines alten Keilers, Seite 240). Der Alpensteinbock wird gewürdigt und das Murmeltier, die Gämse, der Elch, der Mufflon, das Wildschwein, der Feld- und der Schneehase… Für blutige Anfänger eher schwierig.

Autor: Benoît ViolierFotograf: Pierre-Michel DelessertVerlag: Weber Verlag Thun 2013 ISBN: 978-2-940418-53-4 Preis: CHF 98.–

Beat Caduff. Kerl.Küche.Keller.Der Kerl (*1959) ist Zürichs bekanntester Bündner, seine 1998 eröffnete «Wine Loft» eine Zürcher Institution im Kreis 4. Nur das Beste ist ihm gut genug, für sich, für seine Frau Natascha, für sei-ne Freunde und Gäste. Er hat immer die richtigen Messer zur Hand, auf der Jagd und in

der Küche. Im «Caduff», seinem kultigen Kochbuch, verrät er seine 99 Lieblingsrezepte.

Koch und Herausgeber: Beat CaduffTexte: Wolfram MeisterFotografie: Roth und Schmid, ZürichISBN: 978-3-7272-1252-9Preis: CHF 91.–

Buchtipp

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«Caduff ’s Wine Loft» gibt es seit dem Sommer 1998 – der Zürcher Kreis 4 war damals noch nicht ganz so «tren-dy» wie heute. Die «Wine Loft» ist aber längst kein Geheimtipp mehr, das war sie eigentlich nie, Bündner haben in Zürich bekanntlich spätestens seit Zarli Carigiet einen unlimitierten Sympa-thiebonus. Allein schon diese «Bündner Gerstensuppe» mit kleingeschnittenem Hirschtrockenfleisch. 207 Jagdtrophäen befinden sich in dem Lokal, dessen Seele Beat Caduffs Schatz und Ehefrau Nata-scha ist. Wild wird in allen möglichen Spielarten aufgetischt und immer wie-der neu kreiert: Amuse-Cadufferli, Wild-schwein-Bolognese, Reh-Geschnetzeltes oder Gamspfeffer.

Wild auf Wild am RheinDas Reh haben möglicherweise der Chef oder die Chefin persönlich geschossen. Die Inhaber des ehrwürdig idyllischen, stilvoll restaurierten Gasthauses «Schup-fen» direkt am Rheinufer, der Architekt

Joachim Marx und die Schloss-Mam-mern-Chefärztin Annemarie Fleisch Marx, sind nämlich beide Jäger. Nicht vollamtlich allerdings. Aber gelegentlich, verrät Philipp Diener, der seit dem vor-letzten Frühjahr «Schupfen»-Gastgeber ist, kann der Berliner Küchenchef And-ré Döbert «hauseigenes» Reh verarbei-ten. Ein zuverlässiger Wild-Lieferant ist auch Urs Schüpbach mit seiner Metz-gerei Niedermann in 8248 Uhwiesen. Die Wachteln allerdings besorgen ihm die Schaffhauser Oceanis Comestibles. Sie sind mehr oder weniger ganzjährig im Angebot, wie Zander und Saibling bis zum Bodensee-Felchen mit Apfel-Kefen-Gemüse mit Limettenrisotto – perfekt. Die saisonale Wildkarte wird im Oktober aktuell. Und Döbert würde es begrüssen, wenn seine beiden Lehr-linge gelegentlich etwas Jagderfahrung sammeln könnten. Weil die für einen Spitzenkoch eine perfekte Voraussetzung sind.

Beim Wildschweinbuffet im Restaurant Nollen wird edel aufgetragen: zarter Wildschweinrücken

Rezepte

Die Rezepte für Rosvaldo Postiz-zis karamellisiertes Wildschwein-Geschnetzeltes mit Nocino, Beat Caduffs Gamspfeffer und André Döberts Wachtelbrüstchen mit Keule und Pfifferlingsalat sind im Internet: www.salz-pfeffer.ch

Wildspezialitäten

Hotel RestaurantRoseg GletscherRoseggletscher 350 A7504 Pontresina081 842 64 45www.roseg-gletscher.ch

Pensiun AldierPlaz 154, 7554 Sent081 860 30 00www.aldier.ch

Caduff’s Wine LoftKanzleistrasse 126, 8004 Zürich044 240 22 55www.wineloft.ch

Gasthaus SchupfenSteinerstrasse 5018253 Diessenhofen052 657 10 42www.schupfen.ch

Hotel Restaurant NollenFamilie Postizzi-Eleganti9515 Hosenruck-Thurgau071 944 15 15www.hotel-nollen.ch

Die Wildbuffets finden jeweils am Samstag statt, vom 11. Oktober bis 22. November