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123 4.1 Grundbegriffe und -konzepte des strategischen Marketing 4.1.1 Bedeutung und Inhalte des strategischen Marketing Das strategische Marketing beschäftigt sich mit langfristigen, grundlegenden Fra- gen und Entscheidungen im Marketing. Es nimmt planerische Festlegungen vor, an die das Unternehmen i. d. R. über einen längeren Zeitraum gebunden ist. Das strategische Marketing zeigt die grundlegende Entwicklungsrichtung für das Unter- nehmen auf und schafft damit eine Orientierung für die gesamte Organisation und ihre Mitglieder. Die Definition strategischer Ziele und strategischer Handlungspro- gramme für das Unternehmen ist damit der wichtigste Ansatzpunkt, um die notwen- dige Ausrichtung des gesamten Unternehmens an den Anforderungen von Markt und Stakeholdern herzustellen. Das strategische Marketing ist der grundlegende erste Schritt des Marketing. Dessen wichtigste planerische Aufgabe ist es, die inhaltliche Basis und den „Orien- tierungskorridor“ zur Planung einzelner konkreter Marketing-Maßnahmen herzu- stellen. Im strategischen Marketing ist z. B. die fundamentale Frage zu entscheiden, ob sich eine Automobilmarke eher über Premium-Produkte mit entsprechend ho- hem Preis am Markt etablieren möchte (wie Audi) oder ihre Kunden eher über den Preis anspricht (wie Seat). Auch die Frage, ob man mit seinem Angebot den gesam- ten Massenmarkt bearbeitet (wie Nivea) oder sich auf bestimmte Kundengruppen konzentriert (wie die Kosmetikmarke Vichy), muss im Rahmen des strategischen Marketing beantwortet werden. Erst wenn Antworten auf diese grundlegenden Fra- gen gefunden sind, können konkrete Maßnahmen im Rahmen des Marketing-Mix geplant werden (z. B. die Entwicklung einer bestimmten neuen Hautcreme-Variante von Nivea oder die Entwicklung einer Werbekampagne für ein Nivea-Produkt). In welchen Planungsschritten das strategische Marketing abläuft und welche konkre- ten Methoden und Konzepte im strategischen Marketing Anwendung finden, zeigen die folgenden Abschnitte auf. G. Walsh et al., Marketing, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 Kapitel 4 Strategisches Marketing

Kapitel 4 Strategisches Marketing...128 4 Strategisches Marketing umfasst hier z. B. Umsatz- und Renditeziele für den Gesamtkonzern, aber auch As-pekte der verfolgten Markenstrategie,

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4.1 Grundbegriffe und -konzepte des strategischen Marketing

4.1.1 Bedeutung und Inhalte des strategischen Marketing

Das strategische Marketing beschäftigt sich mit langfristigen, grundlegenden Fra-gen und Entscheidungen im Marketing. Es nimmt planerische Festlegungen vor, an die das Unternehmen i. d. R. über einen längeren Zeitraum gebunden ist. Das strategische Marketing zeigt die grundlegende Entwicklungsrichtung für das Unter-nehmen auf und schafft damit eine Orientierung für die gesamte Organisation und ihre Mitglieder. Die Definition strategischer Ziele und strategischer Handlungspro-gramme für das Unternehmen ist damit der wichtigste Ansatzpunkt, um die notwen-dige Ausrichtung des gesamten Unternehmens an den Anforderungen von Markt und Stakeholdern herzustellen.

Das strategische Marketing ist der grundlegende erste Schritt des Marketing . Dessen wichtigste planerische Aufgabe ist es, die inhaltliche Basis und den „Orien-tierungskorridor“ zur Planung einzelner konkreter Marketing-Maßnahmen herzu-stellen. Im strategischen Marketing ist z. B. die fundamentale Frage zu entscheiden, ob sich eine Automobilmarke eher über Premium-Produkte mit entsprechend ho-hem Preis am Markt etablieren möchte (wie Audi) oder ihre Kunden eher über den Preis anspricht (wie Seat). Auch die Frage, ob man mit seinem Angebot den gesam-ten Massenmarkt bearbeitet (wie Nivea) oder sich auf bestimmte Kundengruppen konzentriert (wie die Kosmetikmarke Vichy), muss im Rahmen des strategischen Marketing beantwortet werden. Erst wenn Antworten auf diese grundlegenden Fra-gen gefunden sind, können konkrete Maßnahmen im Rahmen des Marketing-Mix geplant werden (z. B. die Entwicklung einer bestimmten neuen Hautcreme-Variante von Nivea oder die Entwicklung einer Werbekampagne für ein Nivea-Produkt). In welchen Planungsschritten das strategische Marketing abläuft und welche konkre-ten Methoden und Konzepte im strategischen Marketing Anwendung finden, zeigen die folgenden Abschnitte auf.

G. Walsh et al., Marketing, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009

Kapitel 4 Strategisches Marketing

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124 4 Strategisches Marketing

4.1.2 Grundlage der Strategieplanung: Marktabgrenzung und Bildung strategischer Geschäftseinheiten

4.1.2.1 Marktabgrenzung als Grundlage des Marketing

Bevor ein strategischer Marketingplan entwickelt werden kann, ist eine fundamen-tale und sehr wichtige Frage zu beantworten, die zunächst einfach klingt, in der Praxis aber oft sehr schwer eindeutig zu beantworten ist: Auf welchem Markt ist das Unternehmen tätig? Die Frage nach der Bestimmung des relevanten Marktes ist eine sehr elementare für das Marketing: Der Begriff „Marketing“ leitet sich aus dem englischen Wort „market“ ab, zu deutsch also „Markt“. Marketing als Antwort auf die Frage, wie sich eine Organisation auf ihrem Markt (und in der Gesellschaft „um den Markt herum“) verhalten sollte, hat als erster Schritt die fundamentale Frage zu beantworten, was dieser Markt überhaupt ist und wie er sich definiert.

Aus technischer, rein produktorientierter Sicht ist die Frage nach dem relevanten Markt einfach zu beantworten. Kfz-Hersteller wie Volkswagen bearbeiten demnach bspw. den Markt für Automobile, Schoko-Riegel-Hersteller wie Mars den Markt für Schoko-Riegel und (Buch-) Verlage wie Rowohlt den Markt für Bücher. Demnach müsste man nur die Käufer und konkurrierenden Anbieter von Automobilen bzw. Schoko-Riegeln bzw. Büchern identifizieren und analysieren, um seinen Markt zu definieren und kennen zu lernen. Eine kundenorientierte Sichtweise auf das Pro-dukt zeigt jedoch, dass diese technokratische Perspektive auf den eigenen Markt viel zu kurz greift (Bauer 1989). Ein Produkt ist immer ein Mittel, das ein Käufer zur Bedürfnisbefriedigung einsetzt. Folgerichtig sind für den Kunden alle Produkte Kaufalternativen – und damit für den Hersteller auch Wettbewerber – welche (mehr oder weniger) geeignet sind, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Damit können Pro-dukte in das Blickfeld rücken, die auf den ersten Blick keineswegs zum eigenen Wettbewerberkreis gehören.

Der Käufer eines Automobils bspw. versucht primär, das Bedürfnis nach Mobilität zu befriedigen. Dieses kann jedoch nicht nur durch Pkw befriedigt werden, sondern auch durch Fahrräder, Flugzeuge oder öffentliche Verkehrsmittel. Für den Kunden stellt daher ggf. der öffentliche Nahverkehr eine Alternative zur Pkw-Nutzung – und damit für den Kfz-Hersteller einen wichtigen Wettbewerber – dar, der im Marke-ting für Kfz berücksichtigt werden muss. Für einen Marketer ist es daher nötig zu identifizieren, welche Produkte und Produktkategorien aus Kundensicht überhaupt als Alternativen und damit als substituierbar angesehen werden. Levitt (1960) hat in seinem klassischen Artikel „Marketing Myopia“ („Marketing-Kurzsichtigkeit“) am Beispiel der US-amerikanischen Eisenbahngesellschaften aufgezeigt, wie eine zu technische und daher zu enge Marktdefinition als Grundlage des Marketing zu fatalen Managementfehlern bis hin zum Unternehmensruin führen kann.

So wird der Käufer eines Schoko-Riegels je nach Situation anstreben, bspw. seinen Hunger zu stillen oder hedonistische Genussbedürfnisse zu befriedigen. Der Schoko-Riegel Mars steht damit zunächst einmal im direkten Wettbewerb zu anderen Schokoriegeln, bspw. von Milka (s. Abb. 4.1 ). Je nach Präferenz und

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Kundenbedürfnis können aber auch andere Schokoladenprodukte (z. B. Alpia-Ta-felschokolade) oder in noch weiterer Perspektive Süßwaren generell (z. B. Haribo-Weingummi) für den Käufer Alternativen darstellen. Erweitert man die Perspektive noch weiter, kann der Käufer zur Stillung des Hungergefühls außerhalb des Süß-waren-Sortiments genauso auch zu deftigen Snacks (z. B. BiFi-Mini-Salami) oder generell zu schnell zubereitbaren Lebensmitteln jeglicher Art greifen (z. B. Dr. Oet-ker-Tiefkühlpizzas). Die Frage, ob und in welchem Ausmaß Mars also nicht nur im unmittelbaren Wettbewerb zu Milka und vergleichbaren Anbietern steht, sondern auch zu Ritter Sport, Haribo, BiFi und Dr. Oetker sowie anderen Anbietern in den jeweiligen Produktsegmenten, ist keineswegs einfach zu beantworten.

Da es verschiedene Kundengruppen mit verschiedenen Bedürfnissen und auch verschiedenen Kaufsituationen gibt, in denen unterschiedliche Kaufmotive relevant werden, ist es für den Anbieter von Mars nicht objektiv und eindeutig definierbar, was genau der relevante Markt ist und wer demzufolge zum Wettbewerbsumfeld gehört. In der Regel lassen sich jedoch verschiedene Märkte mit unterschiedlicher Nähe zum eigenen Produkt definieren (wie im Schoko-Riegel-Beispiel). Es hängt dann jeweils von der konkreten Planungsfrage ab, wie eng oder wie weit der eigene Markt definiert wird.

Die wichtigste Erkenntnis bei der Definition des relevanten Marktes ist, dass eine rein technische Definition des Produktes i. d. R. viel zu kurz greift. Der be-kannte US-amerikanische Managementtheoretiker Drucker (1974) hat bereits vor über drei Jahrzehnten die These formuliert, dass die mangelnde Beschäftigung mit der fundamentalen Frage „What Business are we in?“ die wichtigste Ursache für

Abb. 4.1 Möglichkeiten zur Definition des relevanten Marktes (Bsp. Schokoriegel)

Markt für Schoko-Riegel

z.B. Mars-Riegel

Markt für Schokoladen-Snacks

z.B. Alpia-Schokolade

Markt für Süßwaren

z.B. Haribo-Wein-gummi

Markt für Snacks

z.B. BiFi-Mini-Salami

Markt für Lebensmittel

z.B. Dr. Oetker-TK-Pizza

4.1 Grundbegriffe und -konzepte des strategischen Marketing

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126 4 Strategisches Marketing

das Scheitern von Organisationen ist. Aufgabe des Marketing ist es, zur Beantwor-tung dieser Frage die Kundenperspektive als zentrale Beurteilungsinstanz einzu-bringen und so Fehler durch ein zu technisch geprägtes Verständnis des eigenen Marktes zu vermeiden.

4.1.2.2 Die Bildung strategischer Geschäftseinheiten

Viele Unternehmen sind auf mehreren unterschiedlichen Märkten tätig, so dass sich die Frage nach dem relevanten Markt mehrfach stellt. Auf organisatorischer Ebene führt dies oft zur Bildung sog. strategischer Geschäftseinheiten (SGE) innerhalb des Unternehmens, die jeweils eigene Umsatz- und Gewinnverantwortung tragen (engl. Strategic Business Units/SBU ; s. Abb. 4.2 ).

Jede dieser SGE ist eine organisatorische Teileinheit im Unternehmen mit „eigen-ständiger Marktaufgabe“ und separaten Umsatz- und Gewinnzielen, die unabhängig von anderen Geschäftseinheiten des Unternehmens definiert werden können (diese eigenständige Marktaufgabe wird dann auch als strategisches Geschäfts feld /SGF be-zeichnet). Eine SGE kann ein Unternehmensbereich des Gesamtunternehmens, eine Produktlinie innerhalb eines Unternehmensbereichs oder auch ein Einzelprodukt bzw. eine einzelne Marke sein (Kotler et al. 2007, S. 103). SGE sind die kleinsten Organisa-

Abb. 4.2 Bildung strategischer Geschäftseinheiten im BMW-Konzern

Konzern

Konzern-segmente(Umsatz)

Strateg.Geschäfts-einheiten

(SGE)

BMW-Auto-

mobile

MINI-Auto-

mobile

Rolls-Royce-Autom.

Automobile

(€42,4 Mrd.)

Motorräder

(€1,2 Mrd.)

Finanzdienst-

leistungen

(€12,1 Mrd.)

BMW-Motor-räder

Ein-lagen-

geschäft

Ver-siche-rungen

BMW Group

Leasing Flotten-geschäft

Kredit-finan-

zierung

rungen

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tionseinheiten, für die es ökonomisch sinnvoll ist, eine eigenständige Marketingstrate-gie zu formulieren.

Dass die SGE eines Unternehmens jeweils diese Eigenständigkeit in ihrer Markt-aufgabe besitzen, lässt sich typischerweise daran erkennen, dass sich Produkte, Kunden und Wettbewerber von SGE zu SGE jeweils unterscheiden (Grant u. Nippa 2006, S. 600). Der BMW -Konzern spricht bspw. mit seiner SGE „BMW-Automobi-le“ ganz andere Kunden an und steht mit anderen Unternehmen im Wettbewerb als die SGE „BMW-Motorräder“ (s. Abb. 4.2 ). Demzufolge muss auch die strategische Planung für diese beiden SGE voneinander getrennt werden. SGE besitzen i. d. R. einen bestimmten Autonomiegrad im Unternehmen. Gewinnverantwortliche SGE werden als „Profit Center “ bezeichnet und stellen eine Art „Unternehmen in Unter-nehmen“ dar.

4.1.3 Ebenen der Strategieplanung

Verknüpft mit der Frage der SGE-Bildung ist die Frage, auf welchen logischen Ebe-nen und für welche Planungseinheiten Marketingstrategien formuliert werden. Da-bei lassen sich drei klare logische Planungsebenen differenzieren (s. Abb. 4.3 ):

• Strategien auf der Ebene des Gesamtunternehmens/Konzerns • Strategien auf der Ebene einzelner Unternehmensbereiche • Strategien auf der Ebene einzelner Marketinginstrumente

Die logisch „höchste“ Ebene der Strategieplanung ist die Unternehmens - bzw. Kon-zernebene , welche alle unterschiedlichen SGE zusammenfasst. Die Strategie planung

Abb. 4.3 Planungsebenen des strategischen Marketing

Ebene 1

Unternehmens-

strategie

Unternehmen / Konzern

Strategieproblem z.B.:

Gestaltung des

Konzernimages

Ebene 2

Geschäfts-

bereichs-

strategie

Ebene 3

Instrumental-

strategie

Pro-

dukt

Strategieproblem z.B.:

Positionierung als

Qualitätsführer in

Markt 1

SGE 3

Kom-

muni-

kation

PreisVer-

trieb

Strategieproblem z.B.:

Umsetzung Abschöp-

fungsstrategie

SGE 1 SGE 2

4.1 Grundbegriffe und -konzepte des strategischen Marketing

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umfasst hier z. B. Umsatz- und Renditeziele für den Gesamtkonzern, aber auch As-pekte der verfolgten Markenstrategie, die SGE-übergreifend geplant werden. So verfolgt der BMW -Konzern für die Gesamtmarke BMW das strategische Ziel, „der führende Anbieter von Premium-Produkten und Premium-Dienstleistungen für in-dividuelle Mobilität“ (BMW Group 2007, S. 6) zu sein. Dieses Markenleitbild der „individuellen Mobilität“ gilt für alle SGE innerhalb des Konzerns in den Bereichen Automobile, Motorräder und Finanzdienstleistungen.

Darunter liegt die Ebene einzelner Unternehmensbereiche . Dass SGE als Unternehmensbereiche sinnvolle und sehr wichtige Einheiten der Strategieplanung darstellen, haben die Ausführungen im vorigen Abschnitt gezeigt (BMW plant z. B. Strategien für das Geschäftsfeld „BMW-Automobile“, die sich von den Strategien für das Geschäftsfeld „Rolls-Royce-Automobile“ unterscheiden). Daneben können auch Strategien für einzelne Funktionen innerhalb eines Unternehmens bzw. Kon-zerns geplant werden, z. B. in Gestalt von Beschaffungs-, Personal- oder Logistik-Strategien (wenn z. B. der BMW-Konzern für alle SGE speziell im Bereich Perso-nal eine bestimmte Strategie verfolgt, etwa eine bewusst international gemischte Besetzung von Führungspositionen). Die Planung von SGE-Strategien ist in der Praxis der Unternehmensführung jedoch weitaus wichtiger als die Planung von Funktionalstrategien. Auf der Ebene der SGE findet insgesamt gesehen der bedeu-tendste Teil der Strategieplanung statt.

Aber auch unterhalb der logischen Ebene der SGE sind grundlegende Marke-tingstrategien zu formulieren. Die Gestaltung des Marketing-Mix wird zwar tra-ditionell oft mehr oder weniger mit dem operativen Marketing gleichgesetzt, das dem strategischen Marketing nachgelagert ist und dieses nur konkretisiert. Für den weitaus größten Teil der Planungsfragen im Marketing-Mix ist diese Sichtweise auch zutreffend (z. B. die Frage, mit welchen Anzeigenmotiven eine Werbekampa-gne gestaltet werden soll). Versteht man Strategien wie üblich als „Grundsatzrege-lungen mittel-/längerfristiger Art“ (Becker 2006, S. 143), lassen sich jedoch auch für einzelne Marketing-Instrumente oft sinnvoll Vorgaben machen, die durchaus strategischen Charakter haben. Hier kann man dann von Instrumentalstrategien sprechen, die für einzelne Instrumente im Marketing-Mix gelten. Beispiele für Ins-trumentalstrategien im Marketing sind eine innovationsorientierte Produktpolitik mit der Ausrichtung des Unternehmens als „Pionier“ (s. Kap. 6), die Festlegung von längerfristigen Preisstrategien (z. B. eine sog. „Abschöpfungsstrategie“; s. Kap. 7) oder die systematische und langfristige Abstimmung aller Maßnahmen der Kom-munikationspolitik im Rahmen einer Strategie der „integrierten Kommunikation“ (s. Kap. 9).

4.1.4 Ablauf des strategischen Planungsprozesses

Der Ablauf des strategischen Marketing lässt sich in ein idealtypisches Phasensche-ma untergliedern, das Schritt für Schritt durchlaufen wird (s. Abb. 4.4 ).

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Folgende Aktivitäten spielen somit im strategischen Marketing eine Rolle:

• Im ersten Schritt erfolgt die Analyse der strategischen Ausgangssituation . Diese umfasst die Untersuchung des (externen) Unternehmensumfelds (z. B. die Markt- und Konkurrenzsituation) und der internen Unternehmenssituation (z. B. finanzielle Ressourcen, Produktionsauslastung). Die strategische Analyse liefert die Informationsgrundlage für die folgende Entwicklung langfristiger Ziele und Marketingstrategien. Bevor z. B. konkrete Zielmarken für die Kundenzufrieden-heit als strategisches Marketingziel definiert werden, sollten Informationen über den aktuellen Stand der Kundenzufriedenheit im eigenen Unternehmen und bei den wichtigsten Wettbewerbern beschafft werden.

• Aufbauend auf der strategischen Analyse sind strategische Ziele für das Mar-keting festzulegen, also die angestrebten Zustände, die durch das Marketing erreicht werden sollen. Diese strategischen Marketingziele können primär öko-nomischer Natur sein (z. B. Umsatz- oder Marktanteilsziele) oder primär „vor-ökonomischer“ Natur (z. B. Image- oder Kundenzufriedenheitsziele).

• Daraufhin sind konkrete strategische Maßnahmenprogramme zu definieren, oder kurz Strategien . Strategien legen in grundsätzlicher Form fest, wie sich das Unternehmen in Markt und Gesellschaft zu verhalten gedenkt. Zentrale Stra-tegiealternativen liegen z. B. in der wichtigen Frage, ob sich ein Unternehmen eher über hohe Qualität (Bsp. Audi) oder eher über niedrige Preise (Bsp. Seat) am Markt positioniert. Die Strategieplanung baut logisch auf der Zielplanung auf; sie zeigt den Weg auf, der vom Unternehmen eingeschlagen werden soll, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

Abb. 4.4 Idealtypischer Phasenablauf des strategischen Marketing ( = graue Bereiche)

Maßnahmen (Definition und Realisierung von Marketing-Maßnahmen)

Analyse(Analyse der strategischen Ausgangssituation)

Ziele (Definition strategischer Marketingziele)

Strategien(Definition von Marketingstrategien)

Kontrolle (Kontrolle der strategischen Marketing-Ergebnisse)

Impl

emen

tieru

ng (

Sch

affu

ng in

tern

er

Vor

auss

etzu

ngen

zur

Str

ateg

ieum

setz

ung)

4.1 Grundbegriffe und -konzepte des strategischen Marketing

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130 4 Strategisches Marketing

• Der nächste Schritt ist die Übersetzung der grundlegenden Strategien in kon-krete operative Maßnahmenprogramme . Dieser Schritt ist nicht mehr Auf-gabe des strategischen Marketing. Im Wesentlichen geht es hier darum, den Marketing-Mix inhaltlich auszugestalten, also Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationspolitik zu bestimmen. Auch die Realisierung der Marketing-Mix-Maßnahmen erfolgt im Rahmen des operativen Marketing.

• Nachdem die Strategien definiert und die operativen Maßnahmenprogramme realisiert wurden, sind im Rahmen der (strategischen) Kontrolle die Ergebnisse des (strategischen) Marketing zu überprüfen. Soweit es bei der Marketing-Kon-trolle um die Überwachung strategischer Zielgrößen geht (z. B. die Frage, ob der als strategisches Ziel definierte Marktanteil erreicht wurde), sind diese Kon-trollaktivitäten auch Bestandteil des strategischen Marketing (sog. strategische Kontrolle).

• Neben Analyse, Planung und Kontrolle sind im Unternehmen die notwendigen inneren Voraussetzungen zu schaffen, um die Erreichung der gesetzten Ziele durch die definierten Strategien und Maßnahmen zu unterstützen ( Marketing-Implementierung ). Wenn bspw. Kundenzufriedenheit in den strategischen Unternehmenszielen eine große Rolle spielt, müssen auch die entsprechenden Controlling-Systeme geschaffen werden, die eine systematische Überwachung der Zielgröße „Kundenzufriedenheit“ sicherstellen, bspw. durch turnusmäßige Marktforschungs-Studien.

In den folgenden Abschnitten werden die einzelnen Ablaufschritte des strategischen Marketing näher erläutert und mit konkreten Beispielen versehen.

4.2 Strategische Analyse

4.2.1 Informationsfelder in der strategischen Analyse

Der logische erste Schritt des strategischen Marketing ist die strategische Analyse. Gegenstand der strategischen Analyse ist die Sammlung, Analyse, Aufbereitung und Kommunikation von Informationen über den aktuellen Status Quo (Ist-Analyse) und die zukünftige Entwicklung (Prognose) von Faktoren, die für das Unternehmen von strategischer Bedeutung sind. Ohne eine fundierte Informationsgrundlage hin-sichtlich des eigenen Unternehmens, des bearbeiteten Marktes und der relevanten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen lassen sich nur schwer sinnvolle strategi-sche Ziele und Strategien definieren. Bevor sich bspw. ein Handelsunternehmen wie Aldi das strategische Ziel setzt, Kosten- und Preisführer im Lebensmittel-Einzel-handel zu werden, sollte eine Untersuchung dahingehend durchgeführt werden, ob relevante Wettbewerber (v. a. Lidl, Penny, Plus) nicht strategische Voraussetzungen haben, die ein noch kostengünstigeres Warenangebot ermöglichen (z. B. effektivere Einkaufsstrategien oder kostengünstigere Logistik). Im Rahmen der strategischen Analyse stellen sich zwei Kernfragen:

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1. Welche Themen und Bereiche sollen analysiert werden? 2. Welche Instrumente sollen zur Analyse konkret eingesetzt werden?

Die Eigenheiten und die strategische Ausgangslage jedes Unternehmens sind indi-viduell unterschiedlich. Die Frage nach der konkreten Ausgestaltung der strategi-schen Analyse ist daher mit Blick auf diese beiden Fragen ebenso individuell für das jeweilige Unternehmen zu beantworten und lässt sich nicht in „Standardrezepte“ fassen. Mit Blick auf die erste Frage („Welche Themen und Bereiche?“) lassen sich jedoch unabhängig von der individuell auszugestaltenden Analyse zumindest drei globale Information s felder benennen, die im Rahmen der strategischen Analyse abzudecken sind (s. Abb. 4.5 ).

• Unternehmen : Es müssen relevante interne Faktoren mit Blick auf Unterneh-men bzw. Geschäftsbereich oder Marke analysiert werden, insbesondere die eigenen strategischen Stärken und Schwächen (z. B. vorhandene Finanzmittel, Unternehmensimage, technologische Kompetenzen).

• Marktumfeld : Alle weiteren relevanten Akteure auf dem eigenen Markt müssen mit Blick auf ihre Charakteristika, Potenziale, Ressourcen, Strategien, Stärken und Schwächen analysiert werden. Dies umschließt natürlich v. a. Kunden und Wettbewerber, aber auch z. B. Händler bzw. Vertriebspartner des Unternehmens, Lieferanten oder Kapitalgeber.

• Gesellschaft und Stakeholder-Umfeld : Es müssen auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Unternehmen (z. B. demografische Entwicklungen oder Wertewandel) sowie relevante Stakeholder des Unternehmens im weiteren Umfeld untersucht werden, da auch diese sehr großen Einfluss auf das Unter-nehmen ausüben können (z. B. Gewerkschaften, Umweltschutzorganisationen oder kritische Medien).

Mit Blick auf die zweite Kernfrage der strategischen Analyse („Welche Methoden und Instrumente?“) zeigen die folgenden Abschnitte überblicksartig nach Art eines

Abb. 4.5 Grundlegende Inhaltsbereiche der strategischen Analyse

1. Unternehmen

Image, Finanzmittel,technische Kompetenzen, Ertragskennziffern usw.

2. Markt

usw.

3. Gesellschaft / Stakeholder - Politisches

…Umfeld

- Ökonomisches

- Soziokulturelles

- Technologisches

- Ökologisches

Markt- und unter-nehmensrelevante Entwicklungen und Trends

KundenBedürfnisse, Kaufkraft usw.

Wettbe-werber

Image, Kom-petenzen usw.

Handel/Vertrieb

Verhandlungs-macht usw.

- Rechtliches

4.2 Strategische Analyse

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132 4 Strategisches Marketing

„Werkzeugkastens“ verschiedene Methoden und Instrumente auf, die sich in der strategischen Analyse bewährt haben und regelmäßig eingesetzt werden.

4.2.2 Analyse von Gesellschaft und Stakeholder -Umfeld

Ein Denken in engen Marktkategorien greift im Marketing heute in aller Regel viel zu kurz. Auch kleine und mittelständische Unternehmen kommen nicht umhin, sich mit relevanten Faktoren in Gesellschaft und weiterem Unternehmensumfeld aus-einanderzusetzen (Wiedmann 1993). Dort sind zum einen wichtige Entwicklungen und Trends zu beachten, die einen Einfluss auf das Unternehmen haben können. So können bspw. technologische Entwicklungen im Onlinebereich ganze Branchen umwälzen (z. B. Video-on-demand-Dienstleistungen, welche die klassischen Vi-deotheken überflüssig machen). Ebenso können Veränderungen der gesellschaft-lichen Werte ganz neue Märkte entstehen lassen (so wandelt sich z. B. derzeit der Markt für Bio-Produkte aufgrund des allgemein veränderten Ernährungsbewusst-seins von einem kleinen Nischenmarkt hin zu einem profitablen und volumenstar-ken Massenmarkt). Zum anderen finden sich im weiteren Unternehmensumfeld regelmäßig wichtige Stakeholder (s. Kap. 1.1.3), also Personen und Institutionen , die sehr großen und teilweise überlebenskritischen Einfluss auf ein Unternehmen haben können (politische Entscheidungsträger, Bürgerinitiativen, kritische Medien, Verbraucherschutz-Organisationen usw.). Kaum ein Marketer kommt daher umhin, sich im Rahmen der strategischen Analyse systematisch mit dem weiteren Unter-nehmensumfeld zu beschäftigen.

4.2.2.1 Relevante Untersuchungsfelder in der strategischen Analyse

Als inhaltliches Raster für die Analyse von Gesellschaft und Stakeholder-Umfeld dient die sog. PESTLE-Analyse (ein dem Englischen entlehnter Begriff) (Partridge u. Sinclair-Hunt 2005, S. 77). Das Akronym PESTLE steht für die sechs zentralen Felder, die typischerweise zu untersuchen sind:

1. Politisches Umfeld („ P olitical factors“): Analyse und Prognose von Entwick-lungen und Trends im politischen Bereich (die relevanten Rahmenbedingungen für Automobilhersteller bspw. werden sich sehr unterschiedlich entwickeln, je nachdem, welche Parteien in den kommenden Legislaturperioden die Regierung in Deutschland stellen).

2. Ökonomisches Umfeld („ E conomical factors“): Analyse und Prognose von Ent-wicklungen und Trends im wirtschaftlichen Umfeld (die Entwicklung des Ölprei-ses und damit der Benzinkosten wird z. B. einen großen Einfluss darauf haben, welche Pkw gute Absatzchancen haben. Der Absatz bspw. von verbrauchsinten-siven „Sports Utility Vehicles“ wie BMW X 5 oder Porsche Cayenne ist in 2008 stark zurückgegangen).

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3. Soziokulturelles Umfeld („ S ocio-cultural factors“): Analyse und Prognose von Entwicklungen und Trends u. a. in den Bereichen Demografie und Wertewandel (der anhaltende Trend zu kinderlosen Familien führt z. B. dazu, dass im Auto-mobilsektor mehr Freizeitfahrzeuge (z. B. VW Eos) und weniger Familienfahr-zeuge (z. B. VW Touran) nachgefragt werden).

4. Technologisches Umfeld („ T echnological factors“): Analyse und Prognose von Entwicklungen und Trends im Technologiesektor (Automobilhersteller wie Mer-cedes investieren z. B. heute bereits sehr intensiv in innovative Antriebstech-nologien wie Brennstoffzellen, da diese technologischen Kompetenzen für die zukünftige Produktgestaltung sehr wichtig sein werden).

5. Rechtliches Umfeld („ L egal factors“): Analyse und Prognose von Entwicklun-gen und Trends in der Gesetzgebung auf Kommunal-, Landes-, Bundes- und internationaler Ebene (falls z. B. immer mehr Kommunen an Tagen mit hoher Feinstaubbelastung Fahrverbote für Diesel-Pkw ohne Partikelfilter verhängen, werden entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge stark an Bedeutung gewinnen).

6. Ökologisches Umfeld („ E nvironmental factors“): Analyse und Prognose von Entwicklungen und Trends in der natürlichen Umwelt (mit dem Fortschreiten des Klimawandels ist damit zu rechnen, dass vermehrt Personen auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen und damit die Pkw-Nachfrage geschwächt wird).

4.2.2.2 Ausgewählte Analyseinstrumente und -methoden

So vielfältig wie die Fragen und Themen, die bei der Analyse von Gesellschaft und Stakeholder-Umfeld von Interesse sind, gestalten sich auch die eingesetzten Instrumente und Verfahren. Die im Folgenden skizzierten Verfahren gehören zu den Instrumenten, die in diesem Zusammenhang häufig eingesetzt werden.

Strukturierte Checklisten Der methodisch einfachste Weg, sich systematisch mit wichtigen Faktoren in der weiteren Unternehmensumwelt zu befassen, sind strukturierte Checklisten, die für jedes globale Analysefeld aufzählungsartig potenziell relevante Analysepunkte auf-listen (gemäß dem Muster in Abb. 4.6 ).

Das Vorgehen lässt erkennen, dass nicht immer komplexe Methoden notwendig sind, um eine sinnvolle Umfeldanalyse durchzuführen. Gerade bei der Analyse von Gesellschaft und Stakeholder-Umfeld kommt es oftmals darauf an, zunächst einmal überhaupt ein Bewusstsein für die vielfältigen Vernetzungen des Unternehmens mit seinem gesellschaftlichen Umfeld zu entwickeln. Viele Manager sind im unterneh-merischen Alltag oft noch in einer engen Denkwelt „gefangen“, in der nur die klassi-schen Marktakteure (v. a. Kunden und Wettbewerber) eine bedeutende Rolle spielen. Derartige Checklisten können hier hilfreiche Dienste leisten, um das „neue Bewusst-sein“ für die strategisch relevanten Faktoren im weiteren Unternehmensumfeld zu entwickeln, das für eine erfolgreiche Unternehmensführung sehr wichtig ist.

Neben der Herangehensweise über allgemeinen Checklisten gibt es eine Vielzahl weiterer, meist speziellerer Verfahren, die für die Umfeldanalyse genutzt werden

4.2 Strategische Analyse

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134 4 Strategisches Marketing

können. Die meisten Verfahren sind dabei recht generell und lassen sich auch für speziellere Analyse von Märkten oder einzelnen Kunden verwenden. Einige wich-tige werden folgend kurz beschrieben.

Stakeholder-Scanning Neben Checklisten in verbaler Form können auch eher grafisch orientierte Ansätze dazu dienen, relevante Entwicklungen und Stakeholder in der Unternehmensum-welt und ihren Einfluss auf das Unternehmen aufzuzeigen (Bleis 1996). So lassen sich (u. U. recht komplexe) Netzwerkdiagramme erstellen, welche die vielfältigen Vernetzungen des Unternehmens mit seinen Stakeholdern visualisieren. Auf diese Weise lassen sich z. B. „Schlüssel-Stakeholder“ außerhalb des reinen Absatzmark-tes erfassen und charakterisieren, die in der strategischen Marketingplanung be-rücksichtigt werden müssen.

Szenario-Analysen Die Szenario-Analyse (Chermack et al. 2001) versucht, die zwangsläufige Unsi-cherheit von langfristigen Prognosen zu berücksichtigen, indem sie bewusst keine eindeutige Aussage über die Zukunft trifft. Sie entwirft vielmehr unterschiedliche

Abb. 4.6 Vorgehensweise bei einer PESTLE-Analyse mit strukturierten Checklisten

usw.

Wahl-ergebnisse

Kriege / Konflikte

NGOs

Lobby-

ismus

Sub-ventionen

Handels-politik

Konsum-

klima

Kon-

junktur

Ökonomisches Umfeld

usw.

Politisches Umfeld

Relative Bedeu-

tung

Dynamik des

Einflusses

Qualität des

Einflusses

Zeit-horizont

Stärke des Einflusses

Art des Einflusses

Beschrei-bung des Einflusses

stark/mittel/ mäßig//

nicht absehbar

kurz-/ mittel-/

langfristig

positiv/negativ//

nicht absehbar

zu-/ab-nehmend/ konstant

kritisch/wichtig/

unwichtig//

nicht absehbar

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„mögliche Zukünfte“ und zeigt so den Entwicklungskorridor auf, indem sich die für das Unternehmen wichtigen Variablen voraussichtlich bewegen werden (für einen Hersteller von Bio-Lebensmitteln z. B. das Umweltbewusstsein der Konsumenten). Oft werden dabei drei Szenarien entwickelt: Ein „Best Case-Szenario“ und ein „Worst Case-Szenario“, welche die optimistischste und die pessimistischste Grenze des Entwicklungskorridors abstecken, sowie ein dazwischen liegendes Szenario mit der wahrscheinlichsten Entwicklung („Base Case-Szenario“).

Delphi-Prognosen Delphi-Prognosen (Pepels 2007, S. 316 ff.) sind wie Szenario-Analysen zu den „Klassikern“ der strategischen Analyse-Tools zu zählen. Sie wurden ursprünglich entwickelt, um den Eintrittszeitpunkt erwarteter zukünftiger Ereignisse möglichst gut abschätzen zu können (z. B. das Jahr, in dem der Brennstoffzellenantrieb für Pkw Serienreife erreicht). Im Rahmen einer Delphi-Prognose werden Experten eines Fachgebiets zu einem Thema in mehreren Runden befragt (sie sollen z. B. das Jahr abschätzen, indem das erwartete Ereignis eintritt). Ihnen werden dabei in jeder Befragungsrunde die Antworten ihrer Kollegen sowie deren Begründungen dafür vorgelegt. Durch diese wiederholten Feedback-Schleifen unter den Teilneh-mern versucht man eine Konsensmeinung zu finden, welche auf dem Wissen aller einbezogenen Experten fußt.

Cross-Impact-Analyse Die Cross-Impact-Analyse wurde in den 1960er Jahren entwickelt und wird häufig auch als Bestandteil von Szenario-Prognosen eingesetzt. Sie geht von der Erkennt-nis aus, dass Ereignisse und Entwicklungen in der Unternehmensumwelt nicht un-abhängig voneinander sind, sondern sich gegenseitig beeinflussen (Gordon 1968). Die für einen Kfz-Hersteller interessanten Fragen, in welchem Jahr der Ölpreis den Preis von $200/Barrel überschreitet und in welchem Jahr der Brennstoffzellenan-trieb für Pkw Serienreife erreicht, sind z. B. zwei Ereignisse, die nicht unabhängig voneinander sind, da ein steigender Ölpreis zu einer forcierten Forschung im Be-reich alternativer Fahrzeugantriebe führt. Das Verfahren versucht dann die Auswir-kungen verschiedener Umweltereignisse aufeinander mittels Eintrittswahrschein-lichkeiten zu quantifizieren.

Quantitative Prognoseansätze Für bestimmte Variablen in der Unternehmensumwelt lassen sich auch streng quan-titative Prognoseansätze einsetzen. So lässt sich z. B. aus der heutigen Altersstruktur der deutschen Bevölkerung relativ präzise prognostizieren, wie hoch die Anzahl äl-terer Menschen in bestimmten Altersklassen in zehn oder zwanzig Jahren sein wird (z. B. 75 Jahre und älter). Daraus lässt sich bspw. für einen privaten Betreiber von Pflegeheimen das langfristige Marktpotenzial relativ zuverlässig prognostizieren. Für quantitative Prognosen werden zum einen „kausale“ Verfahren eingesetzt, die darauf basieren, die kausale Wirkung relevanter Faktoren auf die zu prognostizie-rende Variable mathematisch abzubilden (z. B. Einfluss des Wachstums der Welt-wirtschaft auf den globalen Ölverbrauch). Zum anderen werden für quantitative Prognosen auch statistische Verfahren der Trendextrapolation (Winkelmann 2006, S. 177 ff.) herangezogen. Hier wird die zukünftige Entwicklung einer Größe rein

4.2 Strategische Analyse

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mathematisch aus den Werten der Vergangenheit abgeleitet, ohne die kausalen Ein-flussgrößen zu berücksichtigen (wenn etwa der globale Ölverbrauch in den letzten 10 Jahren jeweils um ca. 5% p.a. gewachsen ist, geht man bspw. davon aus, dass dies auch in den kommenden Jahren der Fall sein wird). Diese rein statistischen Ver-fahren stoßen v. a. dann an ihren Grenzen, wenn „Trendbrüche“ in der langfristigen Entwicklung auftreten.

Soziologische Trendforschung Ein wichtiger Faktor für das Marketing sind die soziokulturellen Rahmenbedingun-gen der Gesellschaft (Raffée u. Wiedmann 1989). Relevante Themen sind insbeson-dere der gesellschaftliche Wertewandel und die Entwicklung der sozialen Struktu-ren der Gesellschaft und hier insbesondere die Frage, welche Gruppierungen sich in einer Gesellschaft herausbilden. So sind z. B. „Skater“ oder „Emos“ nicht nur soziologisch interessante Jugendkulturen, sondern grundsätzlich auch potenziel-le Marketing-Zielgruppen. In Deutschland sind es v. a. psychologisch orientierte Marktforschungs-Institute wie GIM, Sinus Sociovision oder Rheingold, die sich auf soziologisch und sozialpsychologisch fundierter Basis mit gesellschaftlichen Entwicklungen auch aus Marketingsicht auseinandersetzen (s. Abb. 4.7 ).

Zukunftsforschung Eine nicht klar abgegrenzte Disziplin ist die „Zukunftsforschung“ oder Futurolo-gie , deren Analysen dem Marketing ebenfalls interessante Impulse geben können. Die Zukunftsforschung weist Überschneidungen mit der soziologischen Trendfor-schung auf, ist aber stärker interdisziplinär ausgerichtet (Technologieprognosen

Abb. 4.7 Soziologische Trendforschung mit Marketingbezug (Quelle: Ullrich u. Wenger 2008)

Soziologische Studie der Gesellschaft für innovative Marktforschung (GIM)

Identifikation von fünf Grundorientie-rungen, die das zukünftige Konsum-verhalten prägen werden:

1. Managing "Dutility": Funktionieren im System

2. Living Substance: Zurück zum Wesentlichen

3. Embedding Individuality:Weniger Ich – mehr Wir

4. Creating "Lifeholder Value": Gestalten und Partizipieren

5. Engaging in a SaneSociety: Nachhaltigkeit & soziale Verantwortung

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spielen hier z. B. auch eine große Rolle) und legt den Prognosehorizont teilweise sehr weit in die Zukunft. Die anerkannten Institute dieses Bereichs arbeiten auf wissenschaftlichem Fundament und können durch das „kreative Vorausdenken der Zukunft“ wertvolle Hilfestellung zur langfristigen Ausrichtung des Marketing ge-ben. In Deutschland sind es u. a. das vom Journalisten Matthias Horx gegründete Zukunftsinstitut und das Trendbüro um Peter Wippermann, deren gesellschaftliche Studien und Prognosen weithin Beachtung finden.

Frühaufklärungssysteme Frühaufklärungssysteme (FAS) sind ein wichtiger Baustein der strategischen Um-feldanalyse (Wiedmann 1989; Nick 2008). Ein FAS ist kein konkretes Prognosever-fahren, sondern vielmehr ein grundlegender strategischer Analyseansatz, mit dem das Unternehmen versucht, wichtige Veränderungen in Gesellschaft und Umfeld rechtzeitig zu erkennen, da die strategische Ausrichtung des Unternehmens auf die zukünftigen Rahmenbedingungen oft einen größeren zeitlichen Planungsvorlauf benötigt (so müssen evtl. Forschungsaktivitäten in bestimmten Feldern angestoßen werden, neue Produkte und Technologien entwickelt werden, Unternehmensteile ver- oder gekauft werden usw.). FAS greifen typischerweise auf ein breites Spekt-rum an Methoden und Verfahren zurück. Dazu gehören insbesondere

• die systematische Beobachtung relevanter Indikatoren in der Unternehmensum-welt, die Veränderungen ankündigen (bspw. die Anzahl der Kundenanfragen zu bestimmten Themen),

• die systematische Auswertung von bedeutenden Informationsquellen (bspw. Jahresberichte und Pressemeldungen von Umweltschutzorganisationen) sowie

• die systematische Kombination der in den vorigen Abschnitten beschriebenen Methoden, um daraus managementrelevante Informationen zu gewinnen.

Moderne FAS nutzen diese Ansätze nicht nur, um Bedrohungen des Unternehmens rechtzeitig zu erfassen, sondern auch Chancen in der Unternehmensumwelt zu iden-tifizieren (z. B. neu entstehende Märkte) und konkrete Strategien zur Abwehr von Gefahren bzw. zum Nutzen von Chancen zu entwickeln.

4.2.3 Analyse von Kunden und Markt

Neben der Analyse des weiteren Umfelds spielt im Rahmen der strategischen Ana-lyse eines Unternehmens natürlich auch die Analyse des eigenen Marktes eine be-deutende Rolle. Die Inhalte der Marktanalyse bauen dabei direkt auf der Definition des relevanten Marktes auf (s. Kap. 4.1.2). In welchen Schritten eine strukturierte Marktanalyse typischerweise abläuft, beschreiben die folgenden Abschnitte.

Quantitative Markt- und Kundenanalyse Der erste Schritt der Markt- und Kundenanalyse besteht i. d. R. in einer zahlen-mäßigen Erfassung relevanter Merkmale des Marktes. Dass zunächst meist quanti-

4.2 Strategische Analyse

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138 4 Strategisches Marketing

tative Größen den Ausgangspunkt der Analyse bilden, liegt daran, dass Markt- und Kundenkennzahlen relativ einfache und leicht verständliche Informationen über den Markt liefern, die – bei Auswahl der richtigen Kennzahlen – dennoch hoch relevant für das Marketing sind (Farris et al. 2007). Sie sind zudem oft ohne großen Aufwand zu erheben, da sie aus leicht zugänglichen externen Quellen verfügbar sind. Dachverbände der Branchen, Kammern, das statistische Bundesamt bzw. sta-tistische Landesämter, die Jahresabschlüsse der Wettbewerber, Hochschulen und andere Institutionen sind in den meisten Branchen wichtige Quellen für quantitative Marktinformationen (s. Kap. 3.3.2.1).

Unabhängig von der konkreten Branche lassen sich globale Marktkennzahlen definieren, die als Ausgangspunkt der Marktanalyse dienen. Dazu gehören u. a. die folgenden klassischen Kennzahlen:

• Marktvolumen (derzeitige Marktgröße, gemessen in Geld- oder Mengengrößen) • Marktpotenzial (maximale Marktgröße incl. bisher unausgeschöpfter

Marktreserven) • Marktwachstum (z. B. jährliche Wachstumsrate in%) • Marktanteile der wichtigsten Anbieter (gemessen in Geld- oder Mengengrößen) • Konzentrationsgrad der Wettbewerber (z. B. Anteil der zehn größten Anbieter

am Branchenumsatz) • durchschnittliche Umsatz- und Kapitalrentabilität in der Branche (zu ersehen aus

den Bilanzen der Wettbewerber) • Größe der wichtigsten Kundensegmente (z. B. Privatkunden/Firmenkunden) • Strukturmerkmale der wichtigsten Kundensegmente (z. B. Alters-, Geschlechts-

und Kaufkraftstruktur)

Neben diesen globalen Marktkennzahlen, die sich universell zur Marktanalyse eig-nen, sind je nach Markt auch verschiedene branchenspezifische Kennza h len von Interesse. Welche Größen dies im Einzelnen sind, hängt stark von den Eigenheiten der jeweiligen Branche ab. Auch hier sind oftmals aussagefähige Daten ohne eige-ne Marktforschung aus externen Quellen verfügbar, insbesondere von statistischen Ämtern sowie den Kammern und Dachverbänden der jeweiligen Branche. So liefert bspw. der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA jährlich Marktkenn-zahlen aus Hotellerie und Gastronomie, die im Rahmen einer Marktanalyse hohen Aussagewert besitzen, z. B. zur Rentabilität der Marktangebote von Hotels unter-schiedlicher Preisklassen und Standorte (s. Abb. 4.8 ).

Interessant ist im Kontext quantitativer Marktkennzahlen das PIMS-Projekt , das einen empirisch fundierten Ansatz für das strategische (Marketing-) Manage-ment darstellt. PIMS steht für „Profit Impact of Market Strategies“. Das Projekt beruht auf der Auswertung empirischer Daten aus einigen Tausend Strategischen Geschäftseinheiten unterschiedlichster Unternehmen und Branchen, die seit Beginn des Projektes in den 1960er Jahren in einer Datenbank gesammelt und ausgewer-tet werden. Ziel des Projektes ist es, auf dieser breiten Basis an Daten aus „realen Unternehmen“ zu bestimmen, welche Größen den ökonomischen Unternehmens-erfolg bestimmen. Gemessen wird dieser am ROI (Return on Investment/Kapital-

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rendite des Unternehmens) und anderen ökonomischen Erfolgsgrößen. Im Rahmen des PIMS-Projektes ließ sich z. B. statistisch nachweisen, dass der relative Markt-anteil (d. h. der Marktanteil eines Unternehmens im Vergleich zum größten Wett-bewerber) und die relative Produktqualität (d. h. die Produktqualität eines Unter-nehmens im Vergleich zum stärksten Wettbewerber) einen entscheidenden Einfluss auf den erwirtschafteten ROI ausüben.

Die durch das PIMS-Projekt gewonnenen Aussagen sind jedoch nicht vollkom-men kritiklos zu sehen (Homburg 2000). So werden zentrale Variablen wie die relative Produktqualität zwar in quantitativen Größen erfasst, beruhen jedoch auf subjektiven Einschätzungen. Auch ist die Datenbasis nicht repräsentativ; weniger erfolgreiche SGE sind z. B. unterrepräsentiert. Zudem ist ein statistisch nachgewie-sener Zusammenhang zweier Größen keineswegs ein endgültiger Beweis für einen realen kausalen Zusammenhang dieser Größen. Der statistische Zusammenhang der Größen kann z. B. auch aus anderen, im Modell gar nicht berücksichtigten Größen resultieren. Dennoch liefert die Logik des PIMS-Modells empirisch fundierte Hin-weise darauf, nach welchen „Gesetzen“ Märkte funktionieren und welchen Stellen-wert damit die zahlreichen im Rahmen einer Marktanalyse analysierbaren Kenn-zahlen jeweils haben.

Abb. 4.8 Beispiel für Branchenkennzahlen im Rahmen der strategischen Analyse (Quelle: Dehoga 2007, S. 37)

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4.2 Strategische Analyse

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140 4 Strategisches Marketing

Qualitative Markt- und Kundenanalyse Der typische zweite Schritt der Markt- und Kundenanalyse besteht in einer qualita-tiven Analyse relevanter Faktoren (bzw. einer erweiterten Analyse, die neben quan-titativen auch qualitative Größen einbezieht). In der Analyse werden dabei häufig folgende methodische Ansätze verfolgt:

• Chancen/Risiken-Kataloge • Zielgruppen-Studien • Produktlebenszyklus-Analyse • Branchenstruktur-Analyse

Chancen/Risiken-Kataloge stellen darauf ab, den relevanten Markt des Unter-nehmens systematisch auf relevante Entwicklungen „abzuklopfen“ und die Kon-sequenzen für das Unternehmen herauszuarbeiten. Sind die Konsequenzen positiv, ergeben sich Chancen für das Unternehmen; sind sie negativ, ergeben sich Risi-ken. Welche Qualität eine bestimmte Entwicklung hat, hängt dabei vom jeweiligen Unternehmen und seinem Geschäftsmodell ab. Der allgemeine Trend zu bewusste-rer und gesünderer Ernährung bedeutet für einen Hersteller von industriellem „Che-mie-Food“ wie Maggi z. B. eher ein Risiko, für einen Hersteller von weit gehend „unverfälschtem“ Essen wie Frosta eher eine Chance. Inhaltlich und methodisch ergeben sich bei der Erstellung von Chancen/Risiken-Katalogen Berührungspunkte mit den Verfahren, die im Rahmen der Analyse von Gesellschaft und Stakeholder-Umfeld dargestellt wurden. So können bspw. Frühaufklärungssysteme nicht nur zur Analyse des weiteren Unternehmensumfelds eingesetzt werden, sondern auch zur Analyse ganz konkreter Marktentwicklungen. Die Chancen/Risken-Analyse ist das „Herzstück“ der Markt- und Kundenanalyse und geht in die SWOT-Analyse mit ein (s. Kap. 4.2.5).

Zielgruppen-Studien , die sich mit relevanten Werten, Wahrnehmungsmustern und Verhaltensweisen von aktuellen und potenziellen Kunden des Unternehmens beschäftigen, spielen ebenfalls eine Rolle. Unternehmen haben hier die Option, Zielgruppen-Untersuchungen selbst durchzuführen (Primärforschung) oder auf fertig erstellte Studien zurückzugreifen, die für viele wichtige Branchen verfüg-bar sind und z. B. von Marktforschungsinstituten oder den großen Medienverlagen Deutschlands angeboten werden (Sekundärforschung; s. Kap. 3). Wesentlich ist in diesem Kontext die Frage nach der Existenz und Identifikation unterschiedlicher, voneinander abgrenzbarer Kundensegmente innerhalb eines Gesamtmarktes, die durch das Unternehmen ggf. unterschiedlich anzusprechen sind. Relevante Aspekte dieser Strategie der Marktsegmentierung werden in Kap. 4.4.4.4 erläutert.

Die Produktlebenszyklus-Analyse geht von der These aus, dass Produkte – ähn-lich wie lebende Objekte – einen Lebenszyklus mit typischen Phasen (Einführung, Wachstum, Reife, Sättigung und Degeneration) durchlaufen. Wie das Marketing für ein Produkt zu gestalten ist, hängt demnach von der Lebensphase des Produktes ab. Die Lebenszyklus-Analyse liefert speziell im Konsumgüter-Marketing oftmals nützliche Hinweise für das Marketing-Management. Eine genauere Darstellung und kritische Diskussion des Lebenszyklus-Konzeptes findet sich in Kap. 6.2.3.

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Schließlich ist die Branchenstruktur-Analyse , die sich mit den Wettbewerbs-kräften in einem bestimmten Markt auseinandersetzt, Teil der Marktanalyse. Die Branchenstruktur-Analyse in der heute gängigsten Form beruht auf Arbeiten von Porter (2008). Gemäß seinem Modell gibt es in jeder Branche fünf wesentliche „Competitive Forces“ (Triebkräfte des Wettbewerbs), welche die Wettbewerbsin-tensität in der Branche prägen und damit die Profitabilität der Branchenunterneh-men stark beeinflussen („Five-Forces-Modell“; s. Abb. 4.9 ).

Die fünf zentralen Triebkräfte des Wettbewerbs nach Porter sind:

• die Rivalität unter den derzeitigen Anbietern und Produkten (bspw. der Verdrän-gungswettbewerb in der Automobilbranche)

• die Verhandlungsmacht der Abnehmer (bspw. die Verhandlungsmacht von Han-delsunternehmen wie EDEKA gegenüber Herstellern von Lebensmitteln)

• die Verhandlungsmacht der Lieferanten (bspw. die Verhandlungsmacht von Mi-crosoft gegenüber Herstellern von PCs bei der Ausstattung mit Betriebssyste-men)

• die Bedrohung durch Anbieter von Substituten (bspw. bei Kaffee-Anbietern wie Jacobs die Bedrohung durch Anbieter von Tee- oder Erfrischungsgetränken)

• die Bedrohung durch potenzielle neue Anbieter (im Markt für Mobiltelefone bspw. durch den Markteintritt des neuen Wettbewerbers Google)

Porters zentrale These ist, dass die Profitabilität der Branchenunternehmen umso geringer ausfällt, je höher die Wettbewerbsintensität ist, je stärker also die fünf Wettbewerbskräfte wirken. Das Model beruht damit auf einer (zu) stark vereinfach-ten Marktsicht, indem es den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens ausschließ-lich aus fünf Faktoren der Branchenstruktur heraus erklärt. Als Analyserahmen zur Erfassung der relevanten Wettbewerbsfaktoren im relevanten Markt des Unterneh-

Abb. 4.9 Das Five-Forces-Modell zur Branchenstrukturanalyse (i. Anl. an Porter 2008, S. 36)

Derzeitige Anbieter und Produkte

Rivalität

Lieferanten Abnehmer

NeueAnbieter

Substitute

Bedrohung

Bedrohung

Verhandlungs-macht

Verhandlungs-macht

4.2 Strategische Analyse

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142 4 Strategisches Marketing

mens besitzt es im Rahmen der Markt- und Kundenanalyse jedoch durchaus einen hohen Nutzwert.

4.2.4 Unternehmensanalyse

Die Unternehmensanalyse setzt sich mit den strategischen Stärken und Schwächen eines Unternehmens auseinander. Ziel ist es festzustellen, welche Ziele und Strate-gien das Unternehmen mit den vorhandenen Ressourcen realisieren kann.

Kennzahlenanalyse Die Unternehmensanalyse beginnt ebenso wie die Marktanalyse oft mit der Gewin-nung ökonomisch relevanter Kennzahlen, welche den Status quo des Unternehmens quantitativ verdichten. Abbildung 4.10 gibt einen Überblick über Kennzahlen, die sich im Rahmen der strategischen Unternehmensanalyse einsetzen lassen. Im Regel-fall stehen zunächst klassische formalökonomische Kennzahlen im Vordergrund, da sich diese größtenteils einfach und aufwandsarm aus dem betrieblichen Rechnungs-wesen gewinnen lassen. Gewinn, Höhe und Entwicklung des Umsatzes, Umsatz-rentabilität, Marktanteile und Cash Flow-Kennzahlen geben erste Aufschlüsse über Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens. Neben diesen Basiskennziffern lässt sich eine Vielzahl weiterer Kennzahlen bilden und analytisch nutzen, deren jeweilige Relevanz im individuellen Fall von der konkreten strategischen Situation des Unternehmens abhängt. Neben Kennzahlen, die über die strategische Stellung des Unternehmens am Markt Auskunft geben und allgemeinen Marktkennzahlen wie Marktvolumen und Marktpotenzial spielen auch ökonomische und „voröko-nomische“ Prädiktoren eine Rolle. Letztere üben einen direkten Einfluss auf den Unternehmenserfolg aus, wie bspw. die Reputation des Unternehmens (Walsh 2006). Darüber hinaus lassen sich für jedes Instrument des Marketing-Mixes spezi-fische Kennzahlen bilden, welche über die Stärken und Schwächen des Unterneh-mens Auskunft geben, bspw. produktpolitische Kennzahlen wie Deckungsbeiträge oder kommunikationspolitische Kennzahlen wie Marken-Images. Insgesamt geht es darum, ein unternehmensspezifisches System an „ Management and Marketing Metrics „ zu bilden, welches als Diagnosetool zur Bestimmung der strategischen Gesamtsituation des jeweiligen Unternehmens einsetzbar ist.

Weiterführende Analysen Kennzahlen wie die zuvor genannten liefern wichtige Informationen im Rahmen einer Unternehmensanalyse. Sie stellen jedoch zum einen methodisch nur recht ein-fache Maßstäbe für die Beurteilung der Situation des Unternehmens dar, zum ande-ren bilden sie nur vergangene Entwicklungen ab. Sie sind daher durch komplexere und stärker zukunftsgerichtete Methoden zu ergänzen. Unter anderem folgende Me-thoden finden hierbei Anwendung:

• Gap-Analysen • Wertkettenanalysen

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4.2 Strategische Analyse

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144 4 Strategisches Marketing

• Benchmarking-Analysen • Stärken/Schwächen-Profile

Gap-Analysen (von engl. Gap = Lücke) prognostizieren die zukünftige Entwick-lung strategisch relevanter Kennzahlen des Unternehmens (z. B. Umsatz, Ertrag, Marktanteil) und vergleichen diese mit gesetzten Zielwerten. Man prognostiziert bspw., wie sich der Umsatz des Unternehmens ohne weitere Maßnahmen in den kommenden fünf Jahren entwickeln wird und vergleicht diese erwartete Umsatz-größe mit den Umsatzzielen des Unternehmens. Ohne die Einleitung von Maßnah-men wird sich typischerweise eine Lücke („Gap“) zwischen Zielwert und erwarteter Entwicklung ergeben. Lässt sich diese Lücke durch intensivierte Bearbeitung vor-handener Märkte schließen, spricht man von einer operativen Ziellücke. Lässt sich die Lücke nur durch die Erschließung neuer Märkte und/oder Zielgruppen schlie-ßen, spricht man von einer strategischen Ziellücke. Die Gap-Analyse liefert da-mit einen zentralen Analyseansatz, um die Marktfeldstrategie (s. Kap. 4.4.2) eines Unternehmens bzw. einer strategischen Geschäftseinheit zu bestimmen.

Die Wertkettenanalyse geht auf Arbeiten Porter (2000) zurück und zielt dar-auf ab, das Unternehmen aus Marktperspektive systematisch zu durchleuchten. Das Unternehmen wird in verschiedene Bereiche mit jeweils unterschiedlichen Aktivi-täten „zerlegt“. Für jeden dieser Bereiche wird untersucht, welchen Beitrag er zur Wertschöpfung aus Kundensicht leistet. Bei einem Computer-Hersteller wie Apple verantwortet z. B. der Bereich „Produktion“ die technische Produktqualität, der Bereich „Logistik“ die Schnelligkeit der Lieferung und der Bereich „Marketing/Kommunikation“ die mit der Marke verknüpfte emotionale Erlebniswelt. Die Sum-me aller in den verschiedenen Unternehmensbereichen geschaffenen Teil-Kunden-nutzen bestimmt den erzielbaren Marktpreis und damit den Umsatz. Der Aufwand der jeweiligen Aktivitäten hingegen bestimmt die Kosten des Unternehmens. Die Gewinnspanne des Unternehmens resultiert damit direkt aus Wertschöpfung sowie Kosten der jeweiligen Aktivitätsbereiche im Unternehmen. Die Wertkette bietet da-mit ein anschauliches Verfahren der Unternehmensanalyse, das Effektivitätsziele („Was schafft Wert aus Kundensicht?“) und Effizienzziele („Wo im Unternehmen können nicht Wert schaffende und damit Ressourcen verschwendende Aktivitäten abgebaut werden?“) auf recht elegante Weise verknüpft.

Die Benchmarking-Analyse bildet eine Schnittstelle von Markt- und Unterneh-mensanalyse. Sie zielt ab auf die Einstufung des eigenen Unternehmens im direkten Vergleich zu anderen, um darauf aufbauend Optimierungspotenziale aufzuzeigen. Die Benchmarking-Analyse unterscheidet sich spürbar von traditionellen Wettbe-werbsvergleichen. Sie ist stark auf quantitative Messwerte ausgerichtet, anhand derer sich die Qualität der Unternehmensprozesse bemisst (z. B. Ausschuss- oder Beschwerdequoten, Durchlaufzeiten). Man versucht hier gezielt, „Best Practi-ces“ in anderen Unternehmen zu identifizieren, die das erzielbare Optimum in der Prozessgestaltung bereits erreicht haben ( = Benchmarks). Der zentrale innovative Grundgedanke der Benchmarking-Analyse ist es, bei der Suche nach diesen „Best Practices“ den Blick über die eigene Branche hinaus zu richten und generell Unter-nehmen als Vergleichsmaßstab zu berücksichtigen, die aufgrund der Ähnlichkeit

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145

der relevanten Prozesse als Maßstab für das eigene dienen können. So haben z. B. industrielle Hersteller von Pralinen, die mit hohen Ausschussquoten zu kämpfen hatten, in der Produktion Prozessstandards von Elektronik-Unternehmen übernom-men, die in der Herstellung von Leiterplatten tätig waren, da sich die Produktions-bedingungen ähneln (Herstellung kleiner, hoch sensibler Produkteinheiten unter Reinraum-Bedingungen).

Die Erstellung von Stärken/Schwächen-Profilen ist das logische Gegenstück zur Erstellung von Chancen/Risiken-Profilen im Rahmen der Marktanalyse und geht ebenfalls in die unten dargestellte SWOT-Analyse mit ein (s. Kap. 4.2.5). Zur Erstellung von Stärken/Schwächen-Profilen sind die vorhandenen marktbezoge-nen, finanziellen, physischen, organisatorischen und technologischen Ressourcen des Unternehmens systematisch zu erfassen und einzuschätzen. Auf diesem Weg können die strategischen Stärken und Schwächen eines Unternehmens identifiziert werden. Grundsätzlich gilt dabei, dass das Unternehmen die aufgezeigten Stärken zum Aufbau strategischer Wettbewerbsvorteile nutzen sollte und auf die Beseiti-gung der Schwächen hinarbeiten sollte, um Wettbewerbsnachteile im Zielmarkt zu vermeiden. Eine allgemeine Einstufung der strategischen Ressourcen des Unter-nehmens ist i. d. R. jedoch wenig aussagefähig. Die Erstellung des Stärken/Schwä-chen-Profilen sollte daher typischerweise anhand zweier wichtiger Maßstäbe er-folgen (s. Abb. 4.11 ). Zum einen sollte die Analyse und Einstufung des eigenen Unternehmens im direkten Vergleich zum Wettbewerb erfolgen, da sich eine Stärke bzw. Schwäche erst in Relation zur Konkurrenz manifestiert (ein gutes Niveau an Kundenzufriedenheit kann z. B. eine Schwäche darstellen, wenn das Zufrieden-heitsniveau beim Wettbewerb noch deutlich höher ist). Zum anderen sollte die Ein-stufung der eigenen Ressourcen soweit möglich mit Blick auf konkrete strategische Pläne und Herausforderungen vorgenommen werden. Eine gute Kapitalausstattung des Unternehmens im Vergleich zur Konkurrenz muss z. B. keine strategische Stär-ke darstellen, wenn der bearbeitete Markt gar keine hohen Investitionen erfordert (bspw. bei persönlichen Beratungs-Dienstleistungen).

Im Zusammenhang mit der Analyse der eigenen Stärken und Schwächen im Vergleich zum Wettbewerb verdient ein Konzept besondere Beachtung, das unter dem Namen „ Erfahrungskurvenkonzept “ in der Betriebswirtschaftslehre große Resonanz gefunden hat. Das Konzept der Erfahrungskurve setzt sich mit den Pro-duktionskosten eines Unternehmens auseinander. Es beruht auf der Kernthese, dass es in vielen Branchen möglich ist, mit zunehmender kumulierter Produktionsmenge die Produktionskosten pro Stück (!) zu senken. Wie hoch die Kostensenkungspoten-ziale konkret sind, hängt von der jeweiligen Branche ab. Als Orientierungsgröße gilt jedoch ein Korridor von 20% bis 30% Kostensenkungspotenzial pro Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge (Homburg u. Krohmer 2006, S. 445). Liegen also bspw. die Stückkosten für die Produktion eines Mobiltelefons bei €100 und wurden bislang 1 Mio. Geräte hergestellt, so geht das Konzept davon aus, dass die Stückkosten für dasselbe Gerät nur noch bei ca. €70 bis €80 liegen, wenn der Her-steller 2 Mio. Geräte dieses Typs hergestellt hat. Der Kostensenkungseffekt wurde vielfach empirisch nachgewiesen und beruht im Wesentlichen auf Lernprozessen im Unternehmen: Mit zunehmender Produktionsmenge lernen Unternehmen, ihre

4.2 Strategische Analyse

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146 4 Strategisches Marketing

Prozesse in Beschaffung, Produktion, Logistik und Vermarktung immer effizien-ter zu gestalten, so dass die Kosten pro Stück im Zeitverlauf sinken (bspw. ein reduzierter Rohstoffverbrauch durch eine optimierte Einstellung der Produktions-maschinen). Das Erfahrungskurvenkonzept verdeutlicht, dass Unternehmen in der gleichen Branche mit vergleichbaren Produkten sehr unterschiedliche Kostenstruk-turen und damit sehr unterschiedliche Wettbewerbsstärken bzw. -schwächen haben können. Es verdeutlicht zudem die hohe strategische Bedeutung des (relativen) Marktanteils: Je höher der Marktanteil eines Unternehmens ist, desto schneller kann sich das Unternehmen „entlang der Erfahrungskurve“ entwickeln und so strategisch bedeutende Kostenvorteile im Wettbewerb erzielen. Im Rahmen der Unternehmens-analyse spielt also die Position des eigenen Unternehmens auf der Erfahrungskurve im Vergleich zum Wettbewerb eine wichtige Rolle.

Abb. 4.11 Beispiel eines Stärken/Schwächen-Profils in der Unternehmensanalyse (i. Anl. an Klee et al. 2003, S. 70)

Strategische Herausforderung:Markteinführung von Fonds-Sparplänen für türkischstämmige Kunden einer deutschen Bank

Bewertung

Markt- Zielgruppenkompetenz „Deutschtürken“- Marktanteil unter Deutschtürken- Image im Segment „Deutschtürken“-...

Produkt- und Servicekompetenz- Produktkompetenz Fonds- Bisherige Performance

eigener Fonds- Beratungskompetenz Fonds-...

Personal- Türkisches Personal in

türkischen Ballungsgebieten- Kulturelle Offenheit- Interkulturelle Kompetenz

(Auslandsgeschäft etc.)-...

Interne Rahmenbedingungen - Effektives Schulungswesen- Leistungsfähige CRM-

Software- Finanzielle Ressourcen-...

sehrgut

ehergutmittel

sehrschlecht

eherschlecht

EigenesInstitut

StärksterWettbewerber

1 2 3 4 5

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147

4.2.5 Integrative Planungstechniken

Die vorigen Abschnitte zeigten auf, welche Themen und Verfahren bei der Analy-se von Gesellschaft/Umfeld, Markt/Kunden und eigenem Unternehmen eine Rolle spielen. Das Unternehmen steht vor der komplexen Aufgabe, die im Rahmen die-ser Analysetätigkeiten gewonnenen, sehr vielfältigen Informationen zusammenzu-führen, um konkrete Handlungsstrategien für das Unternehmen daraus abzuleiten. An diesem Punkt setzen die sog. integrativen Planungstechniken an. „Integrativ“ sind diese Techniken in zweierlei Hinsicht: Zum ersten führen sie Informationen aus Umweltanalyse (Umfeld und Markt) und Unternehmensanalyse zusammen. Zum zweiten versuchen sie, aus den in der Analyse gewonnenen Informationen erste Empfehlungen für konkrete Strategien abzuleiten. Sie integrieren also strate-gische Analyse und strategische Maßnahmenplanung. Es existieren verschiedene Planungsansätze, die der Bezeichnung „integrativ“ gerecht werden. Am gebräuch-lichsten sind Portfolio- und SWOT-Analysen.

4.2.5.1 Portfolio-Analysen

Portfolios sind Planungstechniken, die Empfehlungen dafür aussprechen, wie die knappen Ressourcen eines Unternehmens (Finanzmittel, Personalressourcen usw.) auf verschiedene „Planungseinheiten“ zu verteilen sind. Diese „Planungseinheiten“ sind meist die Produkte bzw. Geschäftsfelder des Unternehmens; es gibt jedoch auch Kunden-, Technologie- und weitere Portfolios. Ziel der Portfolio-Analyse ist es, die für das Gesamtunternehmen optimale Kombination von Produkten bzw. Ge-schäftsfeldern zu erreichen, die einen Risikoausgleich durch Diversifizierung des Portfolios und langfristige Ertragssicherung bzw. -steigerung verspricht.

Portfolios verdichten die Ergebnisse der Umwelt- und der Unternehmensanalyse auf zwei Bewertungsdimensionen, um daraus eine Aussage über die Erfolgsträch-tigkeit der beurteilten Geschäftsfelder abzuleiten. Sie geben so Auskunft darüber, welche Geschäftsfelder für das Unternehmen besonders „wertvoll“ sind und in die entsprechend investiert werden sollte. Portfolios liefern damit grundlegende Stoß-richtungen für das Unternehmensverhalten und können als Vorstufe einer detaillier-teren Strategieplanung gesehen werden. Begriff und Konzept der Portfolio-Analyse wurden ursprünglich der Finanzwirtschaft entlehnt und von anglo-amerikanischen Beratungsunternehmen (s. u.) in den Kontext des strategischen Management über-tragen. Das Grundkonzept der Portfolio-Analyse hat in Theorie wie Praxis eine hohe Akzeptanz gefunden, auch weil sich Portfolios grafisch sehr gut veranschau-lichen lassen.

Das BCG-Portfolio Ein konzeptionell recht einfacher „Klassiker“ der Portfolio-Technik wurde von der Boston Consulting Group (BCG) entwickelt. In diesem Portfolio dienen der relative Marktanteil ( Unternehmensanalyse) und das Marktwachstum ( Umfeldana-

4.2 Strategische Analyse

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148 4 Strategisches Marketing

lyse) als Dimensionen zur Beurteilung der Geschäftsfelder eines Unternehmens (s. Abb. 4.12 ).

Der relative Marktanteil als (interner) Indikator für die Wettbewerbsfähig-keit des Unternehmens wird definiert als Verhältnis des eigenen Marktanteils zum Marktanteil des größten Wettbewerbers. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass ein Unternehmen mit hohem relativen Marktanteil stark von Erfahrungskurveneffekten (s. Kap. 4.2.4) profitiert und daher seine Produkte im Verhältnis zum Wettbewerb sehr kostengünstig erstellen kann. Das Marktwachstum als (externer) Indikator für die Attraktivität des Marktes ist der Logik der Lebenszyklusmodelle entliehen. Demnach gibt es hoch attraktive und wachsende Märkte und weniger attraktive, d. h. Märkte, die sich erst noch entwickeln müssen oder die bereits degenerieren.

Das BCG-Portfolio postuliert als Idealzustand die Ausgewogenheit des Pro-duktprogramms unter Cash Flow-Aspekten . Diese Ausgewogenheit kann er-reicht werden, indem manche Produkte Cash Flow erwirtschaften (v. a. die Cash Cows), während andere Produkte Cash Flow verzehren (i. d. R. die Stars und Ques-tion Marks). Für ein Unternehmen ist eine mangelnde Ausgewogenheit problema-tisch: Ein Portfolio, das nur aus Cash Cows besteht, die einen hohen Cash Flow

Abb. 4.12 Marktwachstums-/Marktanteils-Portfolio (BCG-Portfolio)

Stars

Ausbauen/

Halten

Poor Dogs

Abschöpfen/

Liquidieren

hoch Relativer

Marktanteil

Markt-

wachstum

Question Marks

Ausbauen/

Liquidieren

Cash Cows

Abschöpfen/

Halten

Verwendung des Cash Flow Produktlebenszyklus

niedrig

nied

righo

ch

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erzielen, ist die langfristig falsche Strategie, denn Cash Cows stoßen in absehbarer Zeit an das Ende ihres Lebenszyklus und ohne „nachwachsende“ Question Marks und Stars in der „Pipeline“ sind zukünftige Erträge ungewiss. Ein Portfolio bspw. nur aus Stars wiederum ist für ein Unternehmen nicht finanzierbar, da diese Pro-dukte hohe Investitionen (und damit Cash Flow) benötigen, um sie mittelfristig zu Cash Cows zu entwickeln.

Die Positionen der Produkte im Portfolio bilden idealtypisch den Lebenszyklus eines erfolgreichen Produktes ab: Es tritt als Question Mark auf den noch unter-entwickelten Markt, wird durch Investitionen zu einem Star entwickelt, durchläuft als Cash Cow die Reifephase des Marktes und endet in der Degenrationsphase des Marktes als Poor Dog, bevor es vom Markt genommen wird. Gemäß dieser Logik wurden für die Produkte in den unterschiedlichen Felder der Matrix Normstrategien entwickelt:

Question Marks („Fragezeichen“) sind neue Produkte mit hohem Marktwachs-tum, aber (noch) niedrigem Marktanteil. Normstrategie ist die Investition in das Produkt, um eine bedeutende Marktposition zu erreichen oder, falls keine überlege-nen Fähigkeiten vorhanden sind, den Rückzug vom Markt einzuleiten.

Stars („Sterne“) sind neue Produkte mit hohem Marktwachstum, die sich einen hohen Marktanteil erarbeitet haben. Das Produkt erzielt relativ hohe Gewinne. Die-se müssen in das Produkt reinvestiert werden, um sich die starke Stellung auf die-sem Zukunftsmarkt zu sichern. Normstrategie bei Stars ist Erweiterungsinvestitio-nen vornehmen, um nicht gegenüber dem Wettbewerb zurückzufallen.

Cash Cows („Melkkühe“) sind relativ alte Produkte mit hohem Marktanteil, aber niedrigem Marktwachstum. Sie sind die wichtigste Kapitalquelle des Unter-nehmens (z. B. zur Unterstützung von Stars; s. linken schwarzen Pfeil in Abb. 4.12 ). Normstrategie bei Cash Cows ist, die starke Wettbewerbsposition zu halten.

Poor Dogs („Arme Hunde“) können alte oder neue Produkte sein, die niedrigen Marktanteil und niedriges Wachstum vereinen. Sie setzen wenig Kapital frei, ver-brauchen allerdings auch kaum Kapital. Normstrategie ist das Abschöpfen, solange der erwartete Netto-Cash-Flow noch positiv ist. Ansonsten ist das Geschäftsfeld aufzulösen (s. grauen Pfeil rechts unten in Abb. 4.12 ).

Bei einer Gesamtbeurteilung des BCG-Portfolios ist dem Ansatz zugute zu halten, dass er eine konzeptionelle Gesamtsicht auf das Produktspektrum von Unternehmen ermöglicht und die Zusammenführung der Planung für unterschied-liche Produktfelder erleichtert. Dabei werden komplexe Zusammenhänge in einem schnellen Gesamtüberblick plausibel und einfach nachvollziehbar dargestellt.

Kritisch ist anzumerken, dass bei der Verengung der Betrachtung auf die Dimen-sionen „relativer Marktanteil“ und „Marktwachstum“ relevante Faktoren unberück-sichtigt bleiben, was zu fehlerhaften Bewertungen der betrachteten Geschäftsfelder führen kann. Zu kritisieren ist weiterhin die Vernachlässigung von Interdependen-zen zwischen Geschäftsfeldern (z. B. Verbundeffekte oder Cross-Selling-Potenzia-le), die Vergangenheitsorientierung und damit mangelnde Aussagekraft bzgl. neuer Produkte sowie die grob vereinfachende Natur der Normstrategien. Zu beachten ist auch, dass die Anwendbarkeit des BCG-Portfolios mit der Gültigkeit der beiden zentralen Modellprämissen steht und fällt. Zum ersten ist dies die lebenszyklus-

4.2 Strategische Analyse

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150 4 Strategisches Marketing

ähnliche Entwicklung der Märkte, die in vielen Produktbereichen nicht festzustel-len ist (Grundnahrungsmittel, Kleidung, Bank- und Versicherungsdienstleistungen u. v. a.). Zum zweiten ist dies die Realisierbarkeit von Erfahrungskurveneffekten. Auch dies ist in der Realität nicht immer der Fall, wenn ein Unternehmen bspw. nur Kleinserien fertigt oder sich aufgrund der Wettbewerbssituation veranlasst sieht, ständig neuere Produktvariationen in den Markt einzuführen. Unter solchen Bedin-gungen sind Erfahrungskurveneffekte und damit verbundene Kosteneinsparungen nur schwer zu erzielen. Zudem fallen in vielen Branchen Erfahrungskurveneffekte aufgrund der spezifischen Wertschöpfungsprozesse überhaupt nicht in nennenswer-tem Umfang an (dazu gehören u. a. große Teile des Dienstleistungssektors).

Das McKinsey-Portfolio Eine allgemeinere Fassung des BCG-Portfolios ist die vom Beratungsunternehmen McKinsey in Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Mischkonzern General Electric entwickelte Portfolio-Technik (McKinsey-Portfolio; auch Marktattraktivi-täts-Wettbewerbsstärken-Portfolio). Es trägt den konzeptionellen Schwächen des BCG-Portfolios zumindest teilweise Rechnung. Hierbei geht es um die elementare Frage, in welche strategischen Geschäftseinheiten innerhalb eines Unternehmens in-vestiert werden sollte und welche Geschäftseinheiten abgebaut werden sollten. Die Umweltanalyse bezieht sich hier jedoch nicht wie im BCG-Portfolio allein auf das Marktwachstum, sondern sehr viel allgemeiner auf den Faktor Marktattraktivität . Neben dem Marktwachstum spielen also auch z. B. Volumen und Profitabilität des Marktes oder die Wettbewerbsintensität eine Rolle. Die Perspektive in der Unter-nehmensanalyse ist ebenfalls deutlich weiter: Statt nur des relativen Marktanteils wird hier allgemein die relative Wettbewerbsstärke des Unternehmens betrachtet. Neben dem relativen Marktanteil werden damit bspw. auch die (relative) Produkt-qualität, die Imagestärke oder die Kapitalausstattung des Unternehmens relevant für die Analyse. Zudem ist die Matrix, in welche die strategischen Geschäftseinheiten (SGE) eingestuft werden, mit 3 × 3 = 9 Feldern stärker differenziert als die 4 Fel-der-Matrix im BCG-Portfolio (s. Abb. 4.13 ).

Abhängig von dem Analyseergebnis für Marktattraktivität und relativer Wett-bewerbsstärke werden nun die SGE des Unternehmens in eines der neun Felder der Matrix eingeordnet. Die daraus abgeleitete Strategieempfehlung folgt der Maxi-me: Je attraktiver der Markt und je stärker die eigene Position gegenüber den Wett-bewerbern, desto eher sollte das Unternehmen in die betreffende SGE investieren. Bei geringer Marktattraktivität und geringer Wettbewerbsstärke sollte das Unter-nehmen demnach die SGE abbauen und die frei werdenden Finanzmittel in die besser positionierten SGE investieren. Bei „mittleren“ Einstufungen sind detailliere Analysen für die betreffenden SGE durchzuführen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob die Geschäftseinheit abgebaut, zunächst ohne größere Investitionen weitergeführt oder durch Investitionen in die eigene Wettbewerbsstärke zu einer attraktiveren SGE ausgebaut wird.

Der Hauptvorteil des Portfolios liegt darin, dass es große Mengen komplexer Informationen, die in der strategischen Analyse gewonnen werden, auf anschauli-che und auch für Nicht-Fachleute plausible Weise verdichtet. Zudem bleibt es nicht

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151

auf der Stufe der Analyse stehen, sondern leitet konkrete, wenn auch recht allgemei-ne Handlungsempfehlungen für das Unternehmen ab. Aufgrund seiner hohen An-schaulichkeit lässt es sich auch didaktisch sehr gut einsetzen. Es sind jedoch auch Nachteile der Methodik nicht von der Hand zu weisen. Die Verdichtung zahlrei-cher verschiedener Faktoren in den beiden Hauptdimensionen „Marktattraktivität“ und „Wettbewerbsstärke“ führt dazu, dass insgesamt oft „mittlere“ Einstufungen der SGE entstehen, die keine eindeutige Strategieempfehlung ermöglichen. Die Ver-dichtung zahlreicher Informationen ist zwangsläufig mit einem Verlust an Informa-tionen über das spezifische Eigenschaftsprofil der SGE verbunden. Zukünftige Ent-wicklungen werden auch nur unzureichend berücksichtigt (z. B. Veränderungen der Marktattraktivität und Wettbewerbsstärke durch technologische Entwicklungen). Zentral ist auch der Nachteil, dass interne und externe Verbundeffekte zwischen den einzelnen SGE im Portfolio nicht berücksichtigt werden. So kann es bspw. sein, dass die Produkte zweier unterschiedlicher SGE auf der gleichen Fertigungsstraße produziert werden (so wird z. B. das unter der Marke Seramis vermarktete Pflanz-granulat für Zimmerpflanzen vom gleichen Hersteller und auf der gleichen Anlage hergestellt wie der Katzenstreu, der unter dem Namen Catsan vermarktet wird). Wird nun eine SGE aufgrund einer negativen Einstufung im Portfolio abgebaut (z. B. Seramis), so muss die Produktionsanlage dennoch aufrecht erhalten werden, weil die andere SGE (z. B. Catsan) besser eingestuft und daher weitergeführt wird. In diesem Fall ist die Logik des Portfolios nur bedingt gültig, da die gewünschte Ka-pitalfreisetzung durch den Abbau einer SGE nicht (in vollem Maße) erreicht wird.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Portfolio-Technik ein sehr anschauliches Mittel zur strategieorientierten Verdichtung von Informationen und damit ein aus-

Abb. 4.13 Aufbau des Wettbewerbsstärke-Marktattraktivitäts-Portfolios

Wettbewerbsstärkeschwach mittel stark

Zone der

Mittelbindung

Zone der

Mittelfreisetzung

AA

A

B

B

B

C

C C

Investieren

Selektive Strategie

Desinvestieren/

Abschöpfen

A

B

C

Mar

ktat

trak

tivitä

t

hoch

niedrig

mittel

4.2 Strategische Analyse

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152 4 Strategisches Marketing

gesprochen nützliches Instrument zur strategischen Planung darstellt. Sie ist jedoch keinesfalls als „Strategieautomat“ zu verstehen, mithilfe dessen sich Strategien zwingend ableiten lassen. Das Zustandekommen der Ergebnisse einer Portfolio-Analyse sollten in jedem Fall kritisch hinterfragt werden. Die Portfolio-Technik nimmt dem Management die Entscheidung über das strategische Verhalten des Unternehmens nicht „aus der Hand“, sondern gibt fundierte Anregungen hierfür. So verstanden kann die Portfolio-Analyse einen wertvollen Beitrag zu einer systemati-schen Strategiedefinition leisten, die nicht nur auf intuitiven Überlegungen beruht.

4.2.5.2 SWOT-Analysen

SWOT-Analysen sind weniger eine spezifische Planungstechnik als vielmehr ein allgemeines Vorgehensraster, im Rahmen dessen man sich verschiedene Planungs-techniken zunutze macht, wie sie in den vorigen Abschnitten dargestellt wurden. Kerngedanke der SWOT-Analyse ist es, die Ergebnisse der Chancen/Risiken-Ana-lyse ( Umweltanalyse) und die Ergebnisse der Stärken/Schwächen-Analyse ( Unternehmensanalyse) zusammenzuführen, um daraus erste Stoßrichtungen für die Unternehmensstrategie abzuleiten (Meffert et al. 2008, S. 236). Das Kürzel SWOT resultiert aus den Initialen der im Englischen üblichen Begriffe für Stärken/Schwä-chen ( = S trengths/ W eaknesses) und Chancen/Risiken ( = O pportunities/ T hreats).

Die Grundzüge der Chancen/Risiken-Analyse und der Stärken/Schwächen-Ana-lyse wurden in den vorigen Abschnitten dargestellt. Im Rahmen der Umweltanalyse (Analyse von Markt/Kunden sowie Gesellschaft/Umfeld) wird versucht, unterneh-mensexterne Umwelteinflüsse mit Bedeutung für das Unternehmen zu identifizie-ren, also Chancen und Risiken. Die Unternehmensanalyse zielt darauf, die strate-gisch relevanten Ressourcen des Unternehmens mit Blick auf die Anforderungen des Marktes zu bewerten, also Stärken und Schwächen zu identifizieren. Die SWOT-Analyse führt diese beiden Teilanalysen zusammen, indem sie Stärken/Schwächen einerseits und Chancen/Risiken andererseits gegenüberstellt und besonders kritische bzw. Erfolg versprechende Kombinationen identifiziert (Abb. 4.14 ).

Die im Rahmen der Analyse erstellte SWOT-Matrix zeigt auf, welche Norm-strategien bei welcher Konstellation abgeleitet werden können. Am Beispiel der Automobilmarke Lexus , die der Toyota -Konzern in Europa als Premium-Marke zu etablieren versucht, wird die Vorgehensweise verdeutlicht (s. Abb. 4.15 ).

In der ST-Situation (Stärke trifft auf Risiko) versucht ein Unternehmen die eige-nen Stärken so einzusetzen, dass sich die Gefahren des Umfelds reduzieren oder umgehen lassen. Die langjährigen Erfahrungen des Toyota-Konzerns in der Produk-tion und Vermarktung von Oberklasse-Fahrzeugen (v. a. in USA und Japan) sollten demgemäß genutzt werden, um den Bedrohungen dieses Marktsegments entgegen-zuwirken, etwa durch kostenorientierte Optimierung der Produktionsprozesse.

In der SO-Situation (Stärke trifft auf Chance) gilt es die vorhandenen Stärken des Unternehmens zu nutzen, um sich ergebende Chancen zu nutzen. Eine Chance ergibt sich im Kfz-Bereich aus der zunehmenden Nachfrage nach Fahrzeuge mit Alternativantrieben; hier besteht ein stark wachsendes Marktsegment. Der Toyota-

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153

Abb. 4.14 Grundmuster der SWOT-Analyse (i. Anl. an Nieschlag et al. 2002, S. 117)

Chancen

(Opportunities)

Risiken

(Threats)

Schwächen

(Weaknesses)

Stärken

(Strengths)

SO-Situation

Einsatz von Stärken

zur Nutzung von

Chancen

ST-Situation

Einsatz von Stärken

zur Abwehr von

Risiken

WT-Situation

Abbau der Schwächen

zur Vermeidung von

Risiken

WO-Situation

Abbau der Schwächen

zur Nutzung von

Chancen

Umwelt

Unter-nehmen

Abb. 4.15 Beispiel einer SWOT-Analyse für die Kfz-Marke Lexus (Auszüge)

! Strategisches Zeitfenster !

! Strategisches Risiko !

ChancenRisiken

Schwächen

Stärken

Umwelt

Unter-nehmen

Chance: Markt für Fahrzeugemit Alternativantrieben wächst

Stärke: Hohe technologischeKompetenz im Bereich alterna-tive Antriebe (v.a. Hybridantrieb)

Risiko: Markt für Luxusfahr-zeuge zunehmend bedrängt (steigender Ölpreis / Markt-eintritt neuer Wettbewerber)

Stärke: LangjährigeKompetenz in der Fertigung von Premium-Fahrzeugen (USA, Asien)

Risiko: Sensibilität der Kundenfür Service-Qualität wächst

Schwäche: Werkstättenqualitätmerklich unter dem Niveau zen-traler Wettbewerber (BMW,Audi, Mercedes)

Chance: Preisspielräume fürPremium-Automobilmarken hoch

Schwäche: Schlecht etablierteMarke; Imagenachteile auf dem europäischen Kfz-Markt

4.2 Strategische Analyse

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154 4 Strategisches Marketing

Konzern besitzt in diesem Segment (speziell im Bereich Hybridantriebe) im Ver-gleich zu Wettbewerbern besondere technologische Kompetenzen. Eine Strategie für Lexus sollte nun darin bestehen, diesen Wettbewerbsvorteil zu nutzen und die Vermarktung von Oberklasse-Wagen mit Hybridantrieb für den europäischen Markt zu forcieren. Da derartige Stärken-Chancen-Kombinationen aufgrund der allgemei-nen Marktdynamik oft nur für einen begrenzten Zeitraum gelten, spricht man hier oft auch von „strategischen Zeitfenstern“, die es zu nutzen gilt.

Das Unternehmen sollte in einer WO-Situation (Schwäche trifft auf Chance) versuchen seine Schwächen zu beseitigen bzw. zu reduzieren, um die Chancen des Umfelds wahrnehmen zu können. So lassen sich im Markt für Premium-Auto-mobile Ertragsmargen realisieren, die im Massenmarkt nur schwer erreichbar sind (Chance). Lexus hat hier den Nachteil, dass die Marke in Europa bislang wenig bekannt und als Premium-Marke nicht etabliert ist (Schwäche). Ziel sollte es hier nach der SWOT-Logik sein, durch eine gezielte Markenstrategie das Unternehmen in eine SO-Situation zu überführen.

Eine WT-Situation (Schwäche trifft auf Risiko) stellt sich für das Unternehmen am negativsten dar (z. B. eine unterdurchschnittliche Servicequalität der Werkstät-ten, wenn diese für Kunden einen Kauf entscheidenden Faktor darstellt). Bei dieser Konstellation liegt ein strategisches Risiko vor, das es zu beseitigen gilt. Als Ex-tremstrategie für den Fall, dass das Risiko existenzbedrohend und die Schwäche nicht mit vertretbarem Aufwand beseitigbar ist, bietet sich der Marktaustritt an. Alternativ können strategische Schwächen abgemildert bzw. neutralisiert werden (z. B. durch hohe technische Zuverlässigkeit der Pkw, wodurch Servicefälle wie Reparaturen seltener notwendig werden). Je nach Sachlage können Schwächen ggf. sogar in Stärken umgewandelt werden (z. B. Preisführerschaft durch deutliche Sen-kung der Servicepreise).

4.3 Definition strategischer Marketingziele

Die Formulierung und Umsetzung von Strategien erfolgt, um übergeordnete Ziele des Unternehmens zu erreichen. Ziele sind Aussagen über erwünschte Zustände, die als Ergebnis wirtschaftlichen Handelns eintreten sollen (z. B. eine Erhöhung des Marktanteils von 14% auf 16% im laufenden Geschäftsjahr, der aus verbesserten Produktvarianten und intensivierter Werbung resultiert). Bevor also Strategien defi-niert werden, müssen erst (strategische) Ziele festgelegt werden.

4.3.1 Zielebenen im Marketing

Unternehmen verfolgen typischerweise eine Vielzahl von Zielen, die in hierarchi-schen Zielsystemen gegliedert sind. Diese Zielsysteme umfassen sowohl grundle-gende, strategische Ziele (z. B. die Erreichung eines bestimmten Marktanteils) als

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155

auch sehr konkrete, kurzfristig orientierte „Alltagsziele“ (z. B. das Ziel, in einem bestimmten Kunden-Mailing eine Antwortquote von mindestens 3% zu erreichen). Die Oberziele des Unternehmens (z. B. Marktanteilsziele) müssen in der unterneh-merischen Praxis also schrittweise in „kleinere“ Zwischenziele heruntergebrochen werden (z. B. Antwortquote auf Mailings), damit diese in konkrete Maßnahmen münden können (z. B. zur konkreten Ausgestaltung einer Mailing-Aktion).

Inhalt und Komplexität eines Zielsystems hängen vom konkreten Unternehmen und seiner Tätigkeit ab. In Großkonzernen finden sich bspw. komplexere Zielsyste-me als in kleineren Unternehmen. Grundsätzlich lässt sich eine Zielhierarchie aber in vier Grundstufen unterteilen (s. Abb. 4.16 ).

Der Unternehmenszweck (die sog. „Business Mission “) ist das grundlegendste Ziel des Unternehmens. Er definiert die Marktaufgabe des Unternehmens und da-mit das, womit sich ein Unternehmen beschäftigen soll, was also gewissermaßen die „Daseinsberechtigung“ des Unternehmens ausmacht. Der Unternehmenszweck gibt einen groben Handlungsrahmen für sämtliche Aktivitäten im Unternehmen vor (Nieschlag et al. 2002, S. 74). In den Unternehmensgrundsätzen von Aldi findet sich z. B. folgende Definition des Unternehmenszwecks: „Wir wollen, dass die Ver-braucher die wichtigsten Lebensmittel ganz in der Nähe, immer frisch, immer von hoher Qualität und immer zum günstigen Preis kaufen können.“

Aus dem Unternehmenszweck lassen sich konkretere Unternehmensziele ablei-ten, die für das Unternehmen als Ganzes definiert werden. Bei den globalen Unter-nehmenszielen ist zwischen ökonomischen Zielen und „vorökonomischen“ Zielen zu unterscheiden. Ökonomische Ziele lassen sich in klassische betriebswirtschaftliche, v. a. monetäre Kennzahlen fassen (z. B. Umsatz- oder Renditeziele). Vorökonomische Ziele dagegen beziehen sich auf Sachverhalte, die sich nicht in klassischen betriebs-

Abb. 4.16 Zielhierarchien im Marketing (i. Anl. an Homburg u. Krohmer 2006, S. 433)

Instrumentalziele

Funktional-ziele

Unternehmens-ziele

Unter-nehmens-

zweck

Bereichsziele

SGE-Ziele

Anz

ahl &

Kon

kret

isie

rung

sgra

d de

r Z

iele

Produktpol. Ziele Preispol. Ziele Komm.pol. Ziele Vertriebspol. Ziele

4.3 Definition strategischer Marketingziele

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156 4 Strategisches Marketing

wirtschaftlichen Kennzahlen ausdrücken lassen. Oft handelt es sich hier um psycho-logische Ziele wie Kundenzufriedenheit, Unternehmensimage oder in unternehmens-interner Sicht auch die Mitarbeiterzufriedenheit. Eine Aufstellung wichtiger ökono-mischer und vorökonomischer Marketingziele, die auf Unternehmensebene oft eine Rolle spielen, findet sich in Abb. 4.17 .

Ökonomische Ziele stellen zwar die finalen Ziele des Unternehmens dar, auf die alle Unternehmensaktivitäten letztlich ausgerichtet sind. Die hohe Bedeutung vor-ökonomischer Ziele liegt jedoch darin begründet, dass ihre Erreichung die Voraus-setzung für die Erreichung der ökonomischen Ziele darstellt. Die Kundenzufrieden-heit ist z. B. ein vorökonomisches Ziel, das zu Wiederkäufen durch Kunden führt und damit das Umsatzziel als ökonomisches Ziel fördert.

Aus den globalen Unternehmenszielen lassen sich in der nächsten Stufe kon-kretere Bereichsziele ableiten, die nur für „Ausschnitte“ des Unternehmens gelten. Diese Bereichsziele beziehen sich v. a. auf einzelne strategische Geschäftseinheiten (SGE) des Unternehmens. Häufig sind Unternehmen in SGE mit eigener Gewinn- und Verlustverantwortung unterteilt, für die individuelle Ziele festgelegt werden müssen (s. Kap. 4.1.2). Daneben können sich die Bereichsziele auf einzelne Unter-nehmensfunktionen (Personal, Finanzen, Produktion usw.) beziehen. Ein Funktio-nalziel im Bereich der Finanzen könnte die Senkung der Fremdkapitalkosten (z. B. Darlehenskosten) darstellen (Grant u. Nippa 2006, S. 84 f.). Ein Bereichsziel in der Funktion Personal könnte dagegen in der Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit bestehen.

Unterhalb der Bereichsziele sind schließlich auf noch konkreterer Ebene Unter-ziele für einzelne Maßnahmen und Maßnahmenbereiche des Unternehmens zu definieren. Speziell im Marketing sind diese Unterziele als Instrumentalziele zu verstehen, die sich auf bestimmte Marketing-Maßnahmen innerhalb der einzel-nen Instrumente im Marketing-Mix beziehen (d. h. Maßnahmen im Bereich der Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationspolitik). Diese Instrumentalziele haben kurzfristigen Charakter und sind in großer Zahl zu definieren (im Kontrast zu den wenigen langfristigen Unternehmenszielen). Sie stellen die Leitpunkte dar,

Abb. 4.17 Beispiele für mögliche Marketingziele

Umsatz

Absatz

Gewinn

Deckungsbeitrag

Rentabilität

usw.

Ökonomische

Marketing-Ziele

Bekanntheit

Image

Kundenzufriedenheit

Kaufpräferenzen

Kundenbindung

usw.

Vorökonomische

Marketing-Ziele

Marketingziele

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157

an denen sich die Ergebnisse der zahlreichen verschiedenen Einzelmaßnahmen im „Unternehmensalltag“ messen lassen. Die prozentuale Antwortquote auf ein be-stimmtes Kunden-Mailing, die erzielte Absatzmenge im Rahmen einer konkreten Sonderpreisaktion oder der Bekanntheitsgrad einer einzelnen Werbekampagne in der anvisierten Zielgruppe sind typische Instrumentalziele im Marketing.

4.3.2 Praktische Anforderungen an die Formulierung von Marketingzielen

Ziele haben eine zentrale Funktion im Planungsprozess jedes Unternehmens. Ohne Ziele kann nach Realisierung der beschlossenen Strategien und Maßnahmen keine Erfolgskontrolle durchgeführt werden, da dann kein Maßstab für die Erfolgsbeurtei-lung vorhanden ist. Ziele haben zudem unternehmensintern eine wichtige Steue-rungsfunktion, weil sie das Handeln aller Organisationsmitglieder „gleichrichten“ und in eine gemeinsame (und dabei die erwünschte) Richtung lenken. Sie können dabei auch eine erhebliche Motivationswirkung für die Mitarbeiter entfalten. Damit Ziele als Grundlage der Erfolgskontrolle dienen und ihre interne Steuerungs- und Motivationsfunktion entfalten können, müssen sie jedoch in geeigneter Weise for-muliert werden. Die Aussage „Wir möchten unseren Marktanteil steigern“ hat zwar bspw. für das Tiefkühlpizza-Sortiment eines Konsumgüterherstellers auf den ersten Blick den Charakter eines Ziels. Dieses ist jedoch nicht „operational“ formuliert, d. h. seine Erreichung kann nicht eindeutig kontrolliert und passende Maßnahmen nur be-dingt daraus abgeleitet werden. Eine operationale Zielformulierung muss drei Ziel-aspekte konkret und unzweideutig benennen (Raffée 1974, S. 121):

1. Zielinhalt: Was soll konkret erreicht werden? („Steigerung des wertmäßi-gen Marktanteils im deutschen Endverbrauchermarkt für TK-Pizzas incl. Bio-Produkte“)

2. Zielausmaß: Zu welchem Ausmaß soll dies erreicht werden? („Steigerung von 7 auf 9 Prozentpunkte“)

3. Zeitlicher Bezug: Bis wann soll dies erreicht werden? („Bis zum Ende des Geschäftsjahres 2011“)

4.4 Definition von Marketingstrategien

4.4.1 Grundlagen der Strategieplanung

4.4.1.1 Charakter und Herausforderungen der Strategieplanung

Nach der Definition strategischer Ziele, also der Aussage darüber, was erreicht wer-den soll, sind Strategien zu definieren und damit grundlegende Aussagen darüber,

4.4 Definition von Marketingstrategien

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158 4 Strategisches Marketing

wie dies erreicht werden soll. Die Festlegung von strategischen Zielen und von strategischen Handlungsprogrammen ist somit immer als „logisches Doppel“ zu sehen, das untrennbar zusammengehört – eine Zieldefinition ohne nachfolgende Strategiedefinition ist unternehmerisch ebenso nutzlos wie eine Strategiedefinition, die nicht auf einer systematischen Zielplanung aufbaut.

Eine Strategie lässt sich allgemein definieren als eine längerfristige Grundsatz-entscheidung über zielorientiertes Unternehmenshandeln. Strategien legen also im Grundsätzlichen fest, wie sich das Unternehmen verhalten möchte, um seine ge-steckten Ziele zu erreichen. Eine klassische Strategieentscheidung im Marketing ist etwa die Frage, ob ein Unternehmen den gesamten Markt in seinem Produktbereich bearbeitet (wie im Markt für Colas z. B. Coca-Cola ) oder ob es sich auf bestimmte Kundensegmente konzentriert (wie z. B. die Marken Afri Cola oder Fritz Cola , die nur ausgewählte, junge Trend-Zielgruppen im Cola-Markt ansprechen). Strategien geben damit einen Orientierungspunkt und einen Handlungskorridor für die zahl-reichen Einzelmaßnahmen im unternehmerischen Alltag vor. Wenn bspw. die Ent-scheidung zu treffen ist, in welchen Medien eine konkrete Werbeanzeige geschaltet wird, trifft Coca-Cola andere Entscheidung (Nutzung von Massenmedien) als Afri Cola oder Fritz Cola (Nutzung spezieller Medien, in welchen die angestrebte Ziel-gruppe gut erreicht wird, z. B. Szenemagazine).

Die Festlegung von Strategien findet auf unterschiedlichen Ebenen statt, wie in Kap. 4.1.3 erläutert wurde. Die verschiedenen logischen Ebenen, auf denen Strate-gien geplant werden, entsprechen dabei direkt den Ebenen der Zielplanung. Auf der Ebene des Gesamtunternehmens werden also Unte r nehmensstrategien festgelegt, die darauf ausgerichtet sind, die globalen Unternehmensziele zu erreichen. Analog dazu gibt es Bereichsstrategien (v. a. für einzelne strategische Geschäftseinheiten des Unternehmens) zur Erreichung der Bereichsziele und Instrumentalstrategien zur Erreichung der Instrumentalziele.

4.4.1.2 Relevante Strategiefelder

Die Strategieplanung ist eine sehr anspruchsvolle unternehmerische Aufgabe, wel-che im Wesentlichen über Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens (bzw. Ge-schäftsbereichs) am Markt entscheidet. Der Prozess der Strategiefindung für Unternehmen, Geschäftsbereiche und Instrumente ist ein komplexer Ablauf, der nicht standardisierbar ist (Mintzberg u. Waters 1985). Er hat einerseits ein stark ra-tional-analytisches Element, insbesondere mit Blick auf die systematische Analyse und Verarbeitung eines umfassenden Informationskatalogs v. a. über Kunden, Wett-bewerber, Umfeld und das eigene Unternehmen. Andererseits haftet ihm auch ein ausgeprägtes intuitiv-kreatives Element an. Die Ressourcenausstattung und strate-gische Gesamtlage jedes Unternehmens ist derart individuell, dass sich keine „auto-matischen“ Regeln zur Strategiedefinition festlegen lassen. Bei der Festlegung der Strategie kann das Management daher nicht z. B. auf ein bestimmtes Planungsver-fahren zurückgreifen, das die „beste“ Strategie „automatisch“ ermittelt. Die Histo-

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rie des Unternehmens, die „unternehmerische Handschrift“ des Management und die vorherrschende Kultur im jeweiligen Unternehmen (welche z. B. mehr oder we-niger risikofreudig ist) üben dabei einen großen Einfluss auf die Strategiefindung aus.

Um die Aufgabe der Strategiedefinition dennoch systematisch anzugehen, ist es daher hilfreich, sich zunächst die einzelnen Aufgabenfelder der Strategiepl a nung zu vergegenwärtigen. Es lassen sich vier wichtige Bereiche identifizieren, in denen eine Strategieplanung des Unternehmens vonnöten ist.

Kundengerichtete Strategien Der i. d. R. wichtigste Bereich der Marketing-Strategieplanung ist die Festlegung der kundengerichteten Strategien, also die Antwort auf die Frage, wie sich das Unternehmen gegenüber seinen Kunden verhalten soll. Die Frage bspw., ob der Absatzmarkt als Ganzes bearbeitet werden soll (wie z. B. bei Coca-Cola) oder ob nur bestimmte Kundensegmente angesprochen werden sollen (wie z. B. bei Afri Cola), gehört zu den zentralen Fragen der Kundenstrategie. Welche strategischen Entscheidungen sich hier konkret ergeben, wird im folgenden Abschnitt erläutert.

Wettbewerbsgerichtete Strategien Neben den Kunden spielen auch die Wettbewerber eine wichtige Rolle in der Stra-tegieplanung. Die zentrale Frage ist hier, wie sich das Unternehmen gegenüber den Unternehmen verhalten soll, mit denen es um Kunden konkurriert. Eine mögliche Strategie ist hier eine (u. U. recht aggressive) „Angriffsstrategie“, welche direkt auf den Kundenstamm des Wettbewerbers abzielt und auch vergleichende Werbung nicht scheut. Historisches Beispiel ist hier der heftige „Cola War“, der in den 1980er und 1990er Jahre v. a. in den USA zwischen Coke und Pepsi ausgetragen wurde. Als Gegenpol kann eine weit gehende Kooperationsstrategie verfolgt werden, welche versucht einen ruinösen Wettbewerb zu verhindern, um allen Unternehmen eine „auskömmliche Existenz“ zu sichern. Als Beispiel kann auf dem deutschen Markt die Abstimmung zwischen den großen Mineralölkonzernen hinsichtlich der Kraft-stoffpreise in einer Region gelten, welche einen intensiveren Preiswettbewerb ver-hindert. Zwischen diesen beiden Endpolen der Wettbewerbsstrategie sind weitere Abstufungen möglich, die jeweils unterschiedliche Grade an Angriff bzw. Koopera-tion bedeuten. Ein „dritter Weg“ besteht im Versuch, einem Wettbewerbsverhältnis auszuweichen, indem sich das Unternehmen auf Marktnischen spezialisiert, die von den übrigen Wettbewerbern nicht (intensiv) bearbeitet werden. So hat das Unter-nehmen Fuji große Erfolge mit Kopiergeräten bei Kleinunternehmen verbuchen können, die vom Branchenführer Xerox keine intensive Betreuung erfuhren.

Absatzmittlergerichtete Strategien Je nach Branche können auch Absatzmittler und hier v. a. Handelsunternehmen eine sehr gewichtige Rolle in der Strategieplanung spielen. Typisch ist dies in Deutsch-land u. a. im Konsumgütermarketing. Der Lebensmittel-Einzelhandel wird von gro-ßen Handelskonzernen mit hoher Nachfragemacht (z. B. Edeka-Konzern, Metro-Konzern) dominiert, die starken Einfluss auf die Konsumgüterhersteller ausüben und deren Handlungsfreiheit im Marketing z. T. erheblich einschränken. Auch mit

4.4 Definition von Marketingstrategien

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160 4 Strategisches Marketing

Blick auf den Handel gibt es verschiedene Strategien zwischen den Polen „Kon-fliktstrategie“ und „Kooperationsstrategie“, die in der Marketingpraxis beide recht verbreitet sind. Der Weg der „Ausweichstrategie“ entspricht hier dem Direktver-trieb (z. B. über das Internet oder Factory Outlets), welcher die Abhängigkeit vom Handel gänzlich vermeidet. Das Efficient Consumer Response-Konzept, eine heute oft praktizierte Kooperationsform zwischen Hersteller und Handel, wird in Kap. 8 „Vertriebspolitik“ genauer vorgestellt.

Stakeholdergerichtete Strategien In Kap. 1 wurde verdeutlicht, welche hohe Macht Stakeholder in Gesellschaft und Umfeld auf ein Unternehmen ausüben können (Medien, Politiker, Institutionen des Verbraucherschutzes, Umweltorganisationen usw.). Auch bezüglich dieser Stake-holder stellt sich somit die Frage der geeigneten Unternehmensstrategie. Die Ver-haltensoptionen liegen hier ebenfalls zwischen den Polen „Angriff“ und „Koopera-tion“. Eine reine Angriffsstrategie ist dabei in den meisten Fällen risikoreich, da bei einer offenen Konfrontation bspw. mit Naturschutzorganisationen wie Greenpeace das Risiko vom Imageschäden ausgesprochen hoch ist. Auf Seiten der Koopera-tionsstrategien gibt es verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit kriti-schen Stakeholdern. Am weitesten geht dabei die „Kooptationsstrategie “, welche Vertreter dieser kritischen Stakeholder zu „Mitgliedern“ der eigenen Organisation macht (Sydow 1995). So hat bspw. die SCHUFA Holding AG , ein Unternehmen, das von vielen Stakeholdern sehr kritisch beobachtet wird, im Jahr 2008 einen Ver-braucherbeirat gegründet, in dem u. a. Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Ver-braucherschutz vertreten sind. Auch eine Ausweichstrategie ist umsetzbar, indem sich das Unternehmen ein Betätigungsfeld sucht, in dem der Einfluss kritischer Stakeholder möglichst gering ist. Die Konsequenz könnte hier etwa die Konzentra-tion auf das Business-to-Business-Geschäft und der Verzicht auf eine Vermarktung an private Endkunden sein, da im Business-to-Business-Bereich das Risiko bspw. einer öffentlichen Negativdiskussion mit Boykottaktionen seitens der Kunden in vielen Branchen deutlich geringer ist.

Da die kundengerichtete Strategie i. d. R. den bedeutendsten und auch inhalt-lich vielschichtigsten Aspekt der Strategieplanung darstellt, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf dieses zentrale Strategiefeld.

4.4.1.3 Systematisierung kundengerichteter Marketingstrategien

Die Kunden sind i. d. R. die wichtigste Personengruppe, die über Erfolg und Exis-tenz eines Unternehmens entscheidet. Das erfolgreiche Überleben des Unterneh-mens hängt davon ab, ob es dem Unternehmen langfristig gelingt, genügend Kun-den zum Kaufakt zu bewegen. Das Verhalten des Unternehmens gegenüber seinen Kunden, d. h. die Definition der kundengerichteten Strategie ist daher für die meis-ten Unternehmen das wichtigste Feld der Strategieplanung.

Allgemein gilt, dass Unternehmen eine Vielzahl unterschiedlicher Strategieop-tionen offen steht, mit denen sie am Markt gegenüber ihren Abnehmern auftreten können. Es gab daher in der betriebswirtschaftlichen Literatur relativ frühzeitig Be-

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strebungen, diese Vielfalt an Alternativen modellmäßig zu kategorisieren. Partielle Ansätze hierzu lieferten etwa Ansoff (1966) oder Porter (1980), mehrdimensionale Ansätze im deutschsprachigen Raum entwickelten u. a. Becker (2006) und Meffert et al. (2008). Allerdings herrscht bis heute weder in der unternehmerischen Praxis noch in der wissenschaftlichen Fachliteratur Einigkeit in der Frage, welche kon-kreten Dimensionen bzw. Inhalte die Planung der Kundenstrategie abdecken sollte. Es gibt keinen in Marketingwissenschaft oder -praxis allgemein etablierten Ansatz, um die einzelnen in diesem Zusammenhang relevanten Planungsfragen zu erfassen und zu systematisieren. Inhaltlich spielen jedoch regelmäßig fünf Teildimensionen bei der Definition der Kundenstrategie eine Rolle (s. Abb. 4.18 ). In den folgenden Abschnitten werden diese fünf zentralen Dimensionen der kundengerichteten Mar-ketingstrategie näher erläutert.

1. Definition des Marktfelds Die Marktfelddefinition setzt sich mit der fundamentalen Frage auseinander, aus welchen Quellen der Umsatz des Unternehmens gesichert bzw. ausgebaut werden soll. Ist dies im Rahmen der bestehenden Geschäftstätigkeit möglich oder sollen neue Produkte und/oder neue Zielgruppen entwickelt werden? Strategieoptionen sind hier Marktdurchdringung (bestehende Produkte für bestehende Zielgrup-pen), Produktentwicklung (neue Produkte für bestehende Zielgruppen), Markt-entwicklung (neue Zielgruppen für bestehende Produkte) und Diversifikation (neue Produkte für neue Zielgruppen).

Abb. 4.18 Dimensionen der kundengerichteten Marketingstrategie

1. Definition Marktfeld

2. Geografische

Marktdefinition

3. Definition

Marktabdeckung

5. Definition Markt-Timing

4. Definition

Wettbewerbsvorteil

Marktdurchdringung

Marktentwicklung

Produktentwicklung

Diversifikation

regional national

inter-national

Massenmarktstrategie

Marktsegmentierungsstrategie

Nischenstrategie

PionierFrüherFolger Später

Folger

Qualitätsführer-Strategie

Preisführer-Strategie

4.4 Definition von Marketingstrategien

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162 4 Strategisches Marketing

2. Geografische Marktdefinition Eine weitere Grundsatzfrage ist die Entscheidung über das geografische Betäti-gungsfeld des Unternehmens. Das Unternehmen steht hier vor den Grundoptionen, seinen Kundenkreis regional, national oder international zu definieren.

3. Definition der Marktabdeckung Ein zentrales Element der Kundenstrategie ist weiterhin die Festlegung, ob der ge-samte relevante Markt bearbeitet werden soll oder ob nur Ausschnitte des Marktes, d. h. bestimmte Kundensegmente bearbeitet werden sollen. Eng damit verknüpft ist die Frage, ob – bei einer Bearbeitung des Gesamtmarktes oder größerer Teile davon – ein „Einheitsmarketing“ für alle Zielgruppen betrieben wird oder ob unter-schiedliche Zielgruppen auch auf unterschiedliche Weise angesprochen werden sollen. Daraus resultieren die drei Strategieoptionen der Massenmarktstrategie (Bearbeitung des Gesamtmarktes bzw. großer Teile davon mit einem standardi-sierten „Einheitsmarketing“), der Marktsegmentierungsstrategie (Bearbeitung des Gesamtmarktes oder größerer Teile davon mit unterschiedlichen Marketing-programmen für unterschiedliche Zielgruppen) und der Nischenstrategie (Kon-zentration auf eine Teilzielgruppe des Gesamtmarktes mit einem bestimmten Mar-ketingprogramm).

4. Definition des zentralen Wettbewerbsvorteils Ein sehr zentraler Aspekt der Strategiedefinition ist die Frage, worin inhaltlich der zentrale Wettbewerbsvorteil des eigenen Marktangebots aus Kundensicht liegen soll. Als strategische Grundoptionen ergeben sich hier zum einen die Preisführer-Strategie (d. h. der zentrale Kundennutzen liegt in der Preiskomponente des eige-nen Marktangebots; „Billiger“-Strategie) und zum anderen die Qualitätsführer-Strategie (d. h. der zentrale Kundennutzen liegt in der Leistungskomponente des eigenen Marktangebots; „Besser“-Strategie).

5. Definition des Markt-Timings Nachdem der zentrale Wettbewerbsvorteil definiert wurde, ist zu entscheiden, in welcher Marktphase das Unternehmen auf den Markt treten möchte. Viele Märkte sind heute geprägt von einer starken Dynamik mit hohen Innovationsraten hin-sichtlich neuer Produkte. Auf diesen Märkten ist es eine zentrale Strategieent-scheidung, wie sich das Unternehmen mit seinen Leistungen in zeitlicher Sicht gegenüber seinen Kunden positioniert (wobei diese Strategiedimension auch enge Bezüge zur wettbewerbsgerichteten Strategie hat; s. o.). Grundlegende Strategie-optionen sind hier die Pionierstrategie (Unternehmen ist Innovator in einer Bran-che), die Früher-Folger-Strategie (Unternehmen kopiert Innovationen des Pio-niers ohne großen Zeitabstand) und die Später-Folger-Strategie (Unternehmen kopiert Brancheninnovationen, nachdem diese sich im Markt etabliert haben.)

Diese fünf Dimensionen der kundengerichteten Strategie bauen tendenziell aufeinander auf. Die ersten drei Strategiedimensionen (Definition von Marktfeld, Marktgeografie und Marktabdeckung) legen fest, welche Bereiche Gegenstand der Unternehmenstätigkeit sein sollen. Sie definieren Aspekte der Marktwahl und ha-ben daher den Charakter von Marktwahlstrategien (s. a. Meffert et al. 2008). Die

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163

Definition des zentralen Wettbewerbsvorteils sowie die Timing-Strategie bauen da-rauf auf und legen fest, wie die ausgewählten Märkte und Marktsegmente bearbeitet werden. Sie haben somit den Charakter von Marktbearbeitungsstrategien .

4.4.2 Marktfeldstrategien

4.4.2.1 Inhalt und Zweck der Definition von Marktfeldstrategien

Ein zentraler strategischer Entscheidungsbereich für Unternehmen besteht in der Festlegung bzw. Weiterentwicklung des eigenen Leistungsprogramms. Auf der Grundlage der Unternehmens- und Marketingziele ist dabei zunächst zu prüfen, ob mit dem aktuellen Marktangebot die Erreichung der gesteckten Ziele gewährleistet ist. Ist dies nicht der Fall, kann also bspw. der angestrebte Umsatz oder Gewinn nicht erzielt werden, besteht eine „Ziellücke“ zwischen Soll- und Ist-Entwicklung eines Unternehmens. Wenn in dieser Situation die Ziele nicht aufgegeben oder nach unten korrigiert werden sollen, müssen neue strategische Alternativen gesucht wer-den. Zur Strukturierung dieser Suche kann die Produkt-Markt-Matrix nach Ansoff (1966) herangezogen werden, welche die vier Grundoptionen der Marktfeldstrate-gie verdeutlicht (s. Abb. 4.19 ).

1. Marktdurchdringung: Das Unternehmen beschränkt sich darauf, mit dem gegenwärtigen Produkt den gegenwärtigen Markt zu bedienen.

2. Marktentwicklung: Das Unternehmen setzt darauf, das gegenwärtige Produkt auf neuen Märkten zu vermarkten.

3. Produktentwicklung: Das Unternehmen entwickelt neue Produkte, um damit die Nachfrager im gegenwärtigen Markt zusätzlich anzusprechen.

4. Diversifikation: Das Unternehmen entwickelt neue Produkte, um damit bisher nicht bearbeitete Märkte zu erschließen.

Während bei den ersten drei Produkt/Markt-Kombinationen (Marktdurchdringung, Marktentwicklung und Produktentwicklung) die strategischen Gemeinsamkeiten zwischen altem und zukünftigem Marktangebot klar erkennbar sind (etwa im Sinne gemeinsamer Vertriebsmethoden, Herstellprozessen oder Zielgruppen), ist bei der

Abb. 4.19 Grundlegende Optionen der Marktfeldstrategie (i. Anl. an Ansoff 1966, S. 132)

MärkteProdukte

gegenwärtig neu

gegenwärtig

DiversifikationProduktentwicklungneu

Marktdurchdringung Marktentwicklung

4.4 Definition von Marketingstrategien

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164 4 Strategisches Marketing

Diversifikation die „gemeinsame Linie“ weniger deutlich und „in der Regel schwä-cher als bei den ersten drei Alternativen“ (Ansoff 1966, S. 132). Das Unternehmen betritt bei der Diversifikation also völliges Neuland, da weder mit dem Markt noch mit dem Produkt Erfahrungen vorliegen.

Ansoff und die Autoren, die sich auf ihn beziehen, haben die Bestimmung der Produkt/Markt-Kombinationen durchweg unter dem Aspekt der Erzeugung von Wachstum für Unternehmen betrachtet. Die Matrix hat jedoch auch bei schrump-fendem Absatz Relevanz: Gerade für Unternehmen in stagnierenden Märkten sind die Strategien der Markt- oder Produktentwicklung von höchster Bedeutung (Kotler et al. 2007, S. 109).

4.4.2.2 Marktdurchdringungsstrategie

Die Strategie der Marktdurchdringung ist dadurch gekennzeichnet, dass mit gegenwärtigen Produkten ein höherer Absatz auf gegenwärtigen Märkten ange-strebt wird. Die Marktdurchdringung ist die erste logische Strategierichtung eines Unternehmens, denn sie knüpft an vorhandenen Marktrese r ven an, d. h. bisher nicht ausgeschöpften Potenzialen des bisherigen Produktes auf dem bisherigen Markt. Die Ausschöpfung gegenwärtiger Märkte mit gegenwärtigen Produkten kann auf unterschiedliche Art und Weise erreicht werden (s. a. Kotler et al. 2007, S. 106f.):

Erhöhung der Verwendungsrate: Eine Erhöhung bzw. Intensivierung der Produktverwendung bei bestehenden Kunden kann auf vielfältige Weise erfolgen. Möglichkeiten sind bspw. die Konsumsteigerung durch Beschleunigung des Ersatz-bedarfs (wie bei Modeartikeln), Vergrößerung der Verkaufseinheit (z. B. Familien-packungen), Erhöhung der Distribution (bspw. durch Nutzung von Tankstellen oder Online-Handel als neue Absatzwege) oder durch Verstärkung der Marketingkom-munikation.

Gewinnung von Kunden der Wettbewerber: Hier können Produktverbesse-rungen, geänderte Kommunikationsstrategien (welche die Vorteile des Angebots gegenüber Wettbewerbsprodukten herausstellen), preispolitische Maßnahmen oder das zusätzliche Angebot der eigenen Produkte in den Vertriebskanälen der Wettbe-werber genutzt werden (so kann ein PC-Hersteller einen Direktvertrieb einrichten, um dem Wettbewerber Dell Kunden streitig zu machen, der ausschließlich diesen Vertriebskanal nutzt).

Erschließung von Nicht-Nutzern: Hier geht es insbesondere darum, Hand-lungsblockaden abzubauen, welche bisherige Nicht-Verwender der Produktgattung von Kauf bzw. Nutzung des Produkts abhalten. Neben Testangeboten für Produkte (z. B. ein kostenloses Kurz-Abonnement für bisherige Nichtleser einer Tageszei-tung) spielen auch hier oft veränderte Kommunikationsstrategien eine Rolle (um z. B. zu verdeutlichen, dass Bio-Nahrungsmittel nicht „langweilig“ schmecken müssen und so neue Kundenkreise zu erschließen). Daneben lassen sich ggf. auch durch die Nutzung bislang vernachlässigter Absatzkanäle bisherige Nicht-Verwen-der besser erreichen (z. B. Online-Vertrieb).

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4.4.2.3 Marktentwicklungsstrategie

Die Strategie der Marktentwicklung fußt auf dem Prinzip, bereits existierende Pro-dukte auf einem oder mehreren neuen Märkte einzuführen. Mit dieser Strategie wird versucht die bisherigen Marktgrenzen für Produkte aufzubrechen, also ein be-stehendes Produkt auch in anderen bisher nicht genutzten Märkten zu etablieren. Die Marktentwicklung kommt v. a. für Unternehmen in Frage, deren Position sich auf bestehenden Märkten nicht mehr verbessern lässt und/oder mit Nachfragerück-gängen aufgrund eines fortgeschrittenen Produktlebenszyklus oder neuer Technolo-gien rechnen müssen. Die Marktentwicklungsstrategie bedeutet ein „Market Stret-ching“, das sich in zwei Stoßrichtungen aufgliedern lässt:

Erschließung funktionaler Zusatzmärkte ( „ New Uses “ ): Hierbei geht es dar-um, neue Verwendungszwecke für bestehende Produkte zu identifizieren. Dies kann durch eine Erweiterung der Produkteignung geschehen, welche in den Markt kom-muniziert wird. So wird der Schokoladenriegel duplo , der zunächst v. a. zum Selbst-verzehr gedacht ist, als „längste Praline der Welt“ vermarktet, die auch Gästen an-geboten werden kann. Außerdem kann der Marketer neue Anwendungsbereiche für das Produkt kommunizieren (z. B. Nutzung von Buko-Frischkäse für Backrezepte statt nur als Brotaufstrich).

Schaffung neuer Teilmärkte ( „ New Users “ ): Hierbei zielen die Maßnahmen darauf, direkt neue Personenkreise anzusprechen, insbesondere durch Kommunika-tionsmaßnahmen in zielgruppenspezifischen Medien (z. B. Vermarktung von Kos-metikprodukten in Männer-Zeitschriften) oder durch die Schaffung differenzierter, zielgruppenspezifischer Produktvarianten (z. B. die Entwicklung von Gesichts-cremes speziell für Männer, wie sie Nivea praktiziert hat; S. Abb. 4.20 ).

4.4 Definition von Marketingstrategien

Abb. 4.20 Marktentwicklung – Erschließung neuer Zielgruppen durch veränderte Kommunika-tion (Quelle: www.jaegermeister.de)

Markenkommunikation 1997 Markenkommunikation 2007

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166 4 Strategisches Marketing

Eine der erfolgreichsten Marktentwicklungen der letzten Jahre hat die Spirituo-senmarke Jägermeister verbuchen können. Bei unverändertem Produkt ist es allein durch eine veränderte Kommunikation gelungen, das Getränk nicht mehr (nur) als „Altherrengetränk“ zu positionieren, sondern auch für deutlich jüngere Zielgruppen als „Party-Getränk“ attraktiv zu machen.

4.4.2.4 Produktentwicklungsstrategie

Die Strategie der Produktentwicklung besteht darin, für Märkte, auf denen das Unternehmen bereits tätig ist, neue Produkte zu entwickeln. Hier wird also der be-stehende Kundenstamm genutzt, um mit neuen Marktangeboten Umsatzpotenziale in diesem Kundenstamm zu sichern und auszuschöpfen. Die Produktentwicklungs-strategie kennt zwei Grundformen: Die Entwicklung neuer Produkt generationen im Rahmen einer Innovationsstrategie sowie die Entwicklung vollkommen neuer Produkt arten im Rahmen einer Cross Selling-Strategie.

Die Innovationsstrategie beruht darauf, technologische Weiterentwicklungen für bisher angebotene Produkte zu schaffen und am Markt anzubieten. Die Produkt-innovationen können unterschiedliche Innovationsgrade aufweisen; von der funda-mentalen Neugestaltung eines Produktes (bspw. Smartphones, welche Mobiltelefon und Organizer in einem Produkt zusammenfassen) über die Verbesserung wesent-licher Produktkomponenten (wie z. B. BMW mit seinen Treibstoff sparenden „Ef-ficient Dynamics“-Motoren) bis hin zu eher „kosmetischen“ Produktänderungen (z. B. die Weiterentwicklung der iPod-Modelle durch Apple). Grundgedanke ist jedoch immer die Sicherung der eigenen Marktposition durch die verbesserte Erfül-lung der Kundenbedürfnisse. Angesichts der verschärften Wettbewerbsbedingun-gen wird die Entwicklung von Produktinnovationen heute in vielen Branchen zum zentralen Wettbewerbsfaktor, um den eigenen Kundenstamm zu halten oder auszu-bauen (Kotler et al. 2007, S. 106).

Die Cross Selling -Strategie zielt ebenfalls darauf ab, den vorhandenen Kunden-stamm zu „nutzen“. Der Grundgedanke ist hier jedoch nicht die Schaffung eines Kundennutzens durch technologische Innovationen, sondern die ökonomische Aus-schöpfung einer bestehenden Kundenbeziehung (Homburg u. Schäfer 2001). Der harte Wettbewerb um Kunden in stagnierenden Märkten sensibilisiert Unternehmen zunehmend für den Wert einer etablierten Kundenbeziehung, die für „Zusatzge-schäft“ durch Cross Selling-Aktivitäten genutzt werden kann. Cross Selling-Ak-tivitäten finden sich in nahezu allen Branchen. Ein erfolgreiches Beispiel im Han-delsbereich liefert der Discounter Aldi , der seinen Kunden mittlerweile auch u. a. Mobiltelefon-Tarife, Fotografie-Dienstleistungen (Bildentwicklung) und Reisen anbietet. Cross Selling ist ein wichtiges Tätigkeitsfeld des CRM und wird in Kap. 5 vertieft.

Marktfeldstrategien, die auf der Entwicklung neuer Produkte beruhen (d. h. Pro-duktentwicklungs- und Diversifikationsstrategie) haben einen engen Bezug zur Ti-ming-Strategie als weitere wichtige Strategieentscheidung im Marketing: Ist die Entscheidung für ein neues Produkt gefallen, muss auch entschieden werden, in

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welcher Marktphase die Innovation auf dem Markt eingeführt wird (als „Pionier“, „Früher Folger“ oder „Später Folger“; s. Kap. 4.4.5). Die konkrete Vorgehensweise bei der Entwicklung neuer Produkte wird in Kap. 6.3.1 erläutert.

4.4.2.5 Diversifikationsstrategie

Die Diversifikationsstrategie bringt für Unternehmen den höchsten Grad neuer Aktivitäten, da hier für das Unternehmen neue Produkte auf für das Unternehmen neuen Märkten angeboten werden. Es geht damit um die Ausweitung des unter-nehmerischen Handelns in Bereiche hinein, die mit der bisherigen Tätigkeit nicht (direkt) verknüpft sind. Es sind drei zentrale Formen der Diversifikation zu unter-scheiden, die sich nach dem Grad unterscheiden, in dem die Aktivitäten „neu“ für das Unternehmen sind:

• horizontale Diversifikation • vertikale Diversifikation • laterale Diversifikation

Im Rahmen der horizontalen Diversifikation erweitern Unternehmen ihr Produkt-programm in Märkte, die „neben“ ihren angestammten Märkten liegen und den bisherigen Märkten zumindest verwandt sind. Der Übergang zur Strategie der Pro-duktentwicklung ist damit fließend. Die horizontale Diversifikation zielt auf Märk-te, die auf der gleichen Wertschöpfungsstufe wie das Stammgeschäft liegen und dieses ergänzen. Die neuen Produkte stehen mit dem bisherigen Produktprogramm noch in sachlichem Zusammenhang, da z. B. gleiche Werkstoffe oder verwandte Technologien verwendet oder vorhandene Vertriebssysteme genutzt werden. Ein illustratives Beispiel liefert der iPod: Apple entwickelte damit ein für das Unter-nehmen neuartiges Produkt, das mit dem bisherigen Produktportfolio nichts zu tun hatte. Auch der avisierte Zielmarkt, in weiterem Sinne der Markt für Unterhaltungs-elektronik, war für Apple als klassischem Computerunternehmen mit Angeboten im Hard- und Softwarebereich gänzlich neu.

Im Rahmen der vertikalen Diversifikation erweitern Unternehmen ihr bishe-riges Tätigkeitsfeld, indem sie Produkte bzw. Leistungen anbieten, die dem bis-herigen Leistungsangebot vor- oder nachgelagert ist. Die Programmtiefe kann zum einen „nach hinten“ erweitert werden, indem vorgelagerte Produktionsstufen mit aufgenommen werden („Rückwärtsintegration“). So hat der Hersteller hochwerti-ger Schokoladen Domori eigene Schokoladenplantagen erworben und produziert eigene Schokoladenbohnen als Rohstoff anstatt diese auf dem Weltmarkt einzukau-fen. Das Unternehmen kann damit auch als Händler von Schokoladenbohnen auf-treten und den Rohstoff an andere Hersteller vertreiben. Zum anderen kann die Pro-grammtiefe „nach vorne“ erweitert werden, indem nachgelagerte Produktionsstufen mit aufgenommen werden („Vorwärtsintegration“). Viele Hersteller von Kleidung (z. B. Trigema) haben z. B. über das Internet oder Factory Outlets eine eigene Han-dels-Infrastruktur aufgebaut und damit eine nachgelagerte Wertschöpfungsstufe für sich selbst erschlossen.

4.4 Definition von Marketingstrategien

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168 4 Strategisches Marketing

Die laterale Diversifikation erweitert die Unternehmensaktivitäten in völlig neue Produkt- und Marktbereiche hinein. Die neuen Produkte und Märkte haben hier keinerlei sachlichen Zusammenhang mehr mit dem Stammgeschäft. Ein er-folgreiches Beispiel bietet der Oetker -Konzern, der nicht nur in der Nahrungsmit-telindustrie tätig ist, sondern u. a. auch im Bereich alkoholische Getränke (z. B. mit der Biermarke Jever), Bankdienstleistungen (Bankhaus Lampe) und Schifffahrt (u. a. Reedereigruppe Hamburg Süd). Die laterale Diversifikation bietet die größten Chancen zur Absatzausweitung und Risikostreuung, um das Gesamtunternehmen von den Entwicklungen einzelner Märkte unabhängiger zu machen. Sie ist aufgrund des Fehlens jeder Erfahrungen des Unternehmens in den neuen Feldern jedoch auch mit den größten Risiken behaftet.

4.4.3 Geografische Marktdefinition

4.4.3.1 Inhalt und Zweck der geografischen Marktdefinition

Die geografische Marktdefinition betrifft die grundlegende Entscheidung darüber, welcher örtliche Raum als Zielmarkt bearbeitet werden soll. Diese Entscheidung ist ebenso fundamentaler Natur wie die Marktfeldstrategie des Unternehmens und erweitert deren Überlegungen um die geografische Dimension. Die Marktfeldstra-tegie (s. o.) legt fest, in welchen grundlegenden Bereichen das Unternehmen tätig sein soll, um den Umsatz zu sichern oder auszubauen, und zwar zum einen aus personeller Sicht (alte/neue Kundengruppen) und zum anderen aus sachlicher Sicht (alte/neue Produkte). Die geografische Marktdefinition folgt derselben Überlegung aus räumlicher Sicht: Hier ist die Entscheidung zu fällen, ob sich das Unternehmen auf die angestammten Markträume beschränkt oder neue Markträume erschließen soll. Sie zeigt damit ebenso wie die Marktfeldstrategie grundlegende Stoßrichtun-gen zur Unternehmensexpa n sion auf.

4.4.3.2 Regionale, nationale und internationale Strategien

Zur geografischen Definition des Marktes für ein Unternehmen oder Geschäftsfeld können verschiedene Kategorisierungen vorgenommen werden. Im Kern stehen dem Unternehmen drei grundlegende Optionen offen (eine stärkere Differenzierung der Strategieoptionen findet sich bei Becker 2006, S. 301):

• Regionale Marktbearbeitung • Nationale Marktbearbeitung • Internationale Marktbearbeitung

Wie der Markt eines Unternehmens geografisch zu definieren ist, hängt zunächst stark von der Produktart ab: Es existieren Produkte, deren Märkte typischerweise entweder ausschließlich international sind (wenn z. B. aufgrund sehr kapitalintensi-

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ver Produktion nur eine internationale Vermarktung ökonomisch sinnvoll ist, etwa im Bereich Großraumflugzeuge). Ebenso existieren Produkte, deren Märkte typi-scherweise rein national sind (z. B. aufgrund kultureller Faktoren, etwa bei Lebens-mitteln, die nur in einem bestimmten Kulturkreis verzehrt werden). Schließlich gibt es auch rein regionale Märkte (z. B. aufgrund der Art der Produktionsprozesse, etwa bei Dienstleistern wie (einzelne) Friseure, Handwerker oder Restaurants).

In vielen Produktbereichen findet sich jedoch eine mehrschichtige Markt-struktur , in der die Wettbewerber sowohl regionale als auch nationale und inter-nationale Strategien der Marktbearbeitung verfolgen. Ein anschauliches Beispiel liefert der Biermarkt: In Europa existieren zahlreiche regional tätige Brauerei-en, die in ihrem Heimatgebiet oftmals eine starke Marktstellung haben. Parallel dazu finden sich in allen europäischen Ländern auch starke nationale Marken (in Deutschland z. B. Krombacher oder Jever). Gleichzeitig sind auch internationa-le bzw. globale Biermarken wie Beck’s, Heineken oder Pilsner Urquell auf dem Markt vertreten.

In solchen geografisch mehrschichtigen Märkten stehen Unternehmen zwei grundsätzliche Stoßrichtungen zur Expansion offen:

• Horizontale Expansion (Geschäftserweiterung innerhalb einer geografischen Schicht)

• Vertikale Expansion (Geschäftserweiterung durch Aufstieg in eine höhere geo-grafische Schicht)

Im Rahmen der horizontalen Expansion verbleibt das Unternehmen innerhalb sei-ner geografischen Schicht und erweitert das Geschäftsfeld, indem es weitere Markt-gebiete der gleichen Kategorie erschließt (ein regionaler Anbieter erschließt bspw. eine weitere Marktregion). So hat die deutsche Radeberger Gruppe mit ihrer (na-tionalen) Stammmarke Radeberger Pilsner im benachbarten Tschechien die dort gut etablierte (ebenfalls nationale) Marke Krušovice übernommen. Man hat auf diesem Weg das Geschäftsgebiet ausgeweitet, ohne den grundsätzlichen Status als natio-naler Anbieter aufzugeben. Sofern die neuen Absatzgebiete an das Stammgebiet angrenzen, kann die zu schaffende logistische und vertriebliche Infrastruktur auf Bestehendem aufsetzen und durch reine Ausdehnung geschaffen werden. Auch ist bei der Erschließung von Nachbarmärkten oftmals schon ein Informationsfundus über den neuen Markt vorhanden.

Die Strategie der vertikalen Expansion beruht dagegen darauf, die Geschäfts-tätigkeit durch „Aufstieg“ in eine höhere Marktschicht zu erweitern. Auch für diese Strategie bietet der Biermarkt illustrative Beispiele: So hat sich bspw. die Flens-burger Brauerei in den vergangenen Jahren mit der Marke Flensburger Pilsener sehr erfolgreich von einer regionalen Marke Schleswig-Holsteins zu einer starken und sehr bekannten nationalen Marke „heraufgearbeitet“ und damit die Marktschicht gewechselt. Die Wachstumspotenziale dieser Strategie sind potenziell deutlich hö-her als bei der horizontalen Expansion. Diese Chancen werden allerdings durch ein höheres Risiko erkauft, da die Geschäftsausweitung in eine „höhere Liga“ mit erheblichen Investitionen und einer grundsätzlichen Neuorientierung der gesamten Unternehmensprozesse und Marketingaktivitäten verbunden ist (so wird für eine

4.4 Definition von Marketingstrategien

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170 4 Strategisches Marketing

nationale Marke das Instrument der TV-Werbung evtl. zum zentralen Element der Marketingkommunikation, die vorher überhaupt keine Option darstellte).

Die internationale Geschäftstätigkeit, sei es im Rahmen einer horizontalen wie auch vertikalen Expansion, spielt für viele Unternehmen eine immer größere Rol-le (Segler 1986). Da sich die Markt- und Marketingbedingungen für international tätige Unternehmen von den Bedingungen regionaler und nationaler Unternehmen stark unterscheiden, hat sich für das internationale Marketing eine eigene Marke-tingdisziplin herausgebildet (s. Kap. 13). Nationale Strategien der Marktexpansion werden in der Marketingliteratur bisher dagegen kaum diskutiert oder nur unter sehr speziellen Aspekten (z. B. mathematische Modelle zur Standortoptimierung für Handelsunternehmen; z. B. Zimmermann 2002). Allerdings spielen Strategien der regionalen und nationalen Markterweiterung in der Unternehmenspraxis ebenfalls eine große Rolle. Hier stehen wachsenden Unternehmen nach Becker (2006) drei strategischen Stoßrichtungen offen: die konzentrische, die selektive und die inselförmige Expansion (s. Abb. 4.21 ).

Bei der konzentrischen Expansion erschließt das Unternehmen neue Gebiete in der Nachbarschaft des Stammgebietes. Möglich ist dies bspw. durch Einschaltung von Großhandelsunternehmen mit entsprechend breiterem Kundenkreis. Ebenso kann es durch eine nicht vermeidbare Überstreuung von Werbung zu einer verstärk-ten Nachfrage von außerhalb des ursprünglichen Absatzgebietes und damit zu einer Ausdehnung kommen. Die konzentrische Expansion ergibt sich oft „automatisch“ ohne bewusste Strategieentscheidung und führt i. d. R. zu einem eher langsamen Gebietswachstum. So hat sich die deutsche Weizenbiermarke Erdinger ausgehend von einer starken lokalen Marktposition in Bayern sukzessive nach Norden (und in internationale Märkte) vorgearbeitet.

Bei der selektiven Expansion wird von einem Kerngebiet aus differenziert vor-gegangen. Es werden dabei schrittweise neue Gebiete geschaffen, wobei man be-

Abb. 4.21 Formen der Markterweiterung

InselförmigeExpansion(z.B. Gosch)

Konzentrische Expansion

(z.B. Erdinger)

Selektive Expansion

(z.B. alnatura)

Stamm-gebiet

Stamm-gebiet Stadt 1

Stadt 2

Stadt 3

Stadt 4

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wusst in Kauf nimmt, dass die Gebiete zunächst unverbunden bleiben. Die Lücken-lassung ergibt sich in der Praxis meist daraus, dass es bestimmte Gebiete gibt, in denen die Konkurrenz sehr stark oder die Zielgruppendichte zu gering ist und in der ein Markteintritt daher nur zu unangemessen hohen Kosten möglich wäre. Der Bio-Supermarkt alnatura verfolgt diese Strategie, indem er nur in bestimmten Regionen Deutschlands mit ausreichender Käuferdichte Filialen eröffnet (u. a. Rhein-Neckar-Region, Rhein-Main-Region).

Ähnlich erfolgt die Gebietsausdehnung bei der inselförmigen Expansion . Je-doch werden hierbei zunächst primär Großstädte angepeilt, in denen eine hohe Pro-fitabilität gegeben ist und durch Pendler aus dem Umland von einer hohen Aus-strahlung in benachbarte Gebiete ausgegangen wird („Speckgürtel“ der Großstäd-te). Ausgehend von diesem Punkt können dann in späteren Expansionsstufen ggf. Gebiete zwischen den ursprünglichen Inseln erschlossen werden. Die Fischrestau-rant-Kette Gosch , auf Sylt beheimatet, hat im Rahmen ihrer nationalen Expansion bspw. zunächst Filialen in Hamburg, Bremen, Berlin und Frankfurt eröffnet, um so das urbane Zielpublikum zu erreichen und die Basis für die weitere geografische Expansion in weitere Großstädte zu schaffen.

4.4.4 Definition der Marktabdeckung

4.4.4.1 Definition der Marktabdeckung: Inhalt und Zweck

Die Definition der Marktabdeckung baut auf den bisher diskutierten Strategiedi-mensionen auf: Die Definition des Marktfelds und die geografische Marktdefini-tion zielen darauf ab, den vom Unternehmen bzw. Geschäftsfeld anvisierten Markt festzulegen. Die Definition der Marktsegmente beinhaltet dann die Entscheidung darüber, welche Ausschnitte dieses Marktes wie differenziert angesprochen werden sollen. Diese strategische Entscheidung umfasst zwei eng miteinander verwobene Entscheidungsfelder (Freter 1983):

1. Entscheidung über den Grad der Markterfassung (Soll der ganze Markt erfasst werden oder nur Teile davon?)

2. Entscheidung über den Differenzierungsgrad der Marktbearbeitung (Sollen die erfassten Marktausschnitte mit einem standardisierten Marketing angespro-chen werden oder sollen unterschiedliche Marktsegmente unterschiedlich ange-sprochen werden?)

Aus diesen beiden Fragen mit jeweils zwei Entscheidungsalternativen lassen sich zunächst vier unterschiedliche Handlungsoptionen bilden. In der unternehmerischen Praxis resultieren daraus drei klassische Strategietypen: die Massenmarktstrategie, die Nischenstrategie und die Marktsegmentierungsstrategie (Abb. 4.22 ).

Massenmarktstrategie : Hier hat sich das Unternehmen entschieden, den gan-zen relevanten Markt zu bearbeiten (oder zumindest sehr große Teile davon), und dies mit einem einheitlichen Marketing. Der strategische Grundgedanke besteht

4.4 Definition von Marketingstrategien

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172 4 Strategisches Marketing

hier meist darin, ein Massenprodukt anzubieten, das auf standardisierte Weise in großen Stückzahlen und daher mit entsprechenden Kostenvorteilen produziert wer-den kann. Typische Unternehmen bzw. Marken mit einer Massenmarktstrategie sind Coca-Cola, McDonald’s oder Nivea.

Nischenstrategie : Diese Strategie beruht ebenfalls auf einem „Einheitsmarke-ting“, fokussiert aber nur auf einen bestimmten, meist kleinen Ausschnitt des Ge-samtmarktes. Sie verfolgt damit einen vollkommen anderen Grundgedanken als die Massenmarktstrategie. Ziel ist hier typischerweise, durch die Fokussierung auf ein bestimmtes Kundensegment ein hohes Maß an Kundenorientierung in diesem Seg-ment zu erreichen, um in dieser Nische gegenüber Konkurrenten hohe Wettbewerbs-vorteile aufzubauen (Porter 1980). Bang & Olufsen (s. Case Study „B&O“; Kap. 8.5) oder Porsche sind klassische Beispiele für Marken mit einer Nischenstrategie.

Marktsegmentierungsstrategie : Die Strategie der differenzierten Marktbe-arbeitung kombiniert Elemente der Massenmarkt- und der Nischenstrategie: Sie zielt einerseits auf den Gesamtmarkt oder größere Teile davon, versucht dabei aber durch unterschiedliche Marketingprogramme für unterschiedliche Kundengruppen eine möglichst hohe Kundennähe zu erreichen. Volkswagen bietet ein anschauli-ches Beispiel für diese Strategie: Mit insgesamt sieben verschiedenen Marken im Pkw-Bereich spricht der Automobilkonzern unterschiedlichste Kundengruppen an und versucht so, eine breite Marktabdeckung mit Kundennähe zu verbinden.

Abb. 4.22 Strategieoptionen im Rahmen der Marktabdeckung (i. Anl. an Freter 2008, S. 245)

teilweise

vollständig

differenziertundifferenziertMarkt-erfassung

Differen-zierung

Mar

kt

1. Massenmarktstrategie

2. Nischenstrategie

Mar

kt

3. Marktsegmentierung(3.a. Gesamtmarkt)

Mar

kt

3. Marktsegmentierung(3.b. Teilmarkt)

Mar

kt

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4.4.4.2 Massenmarktstrategie

Die Kernphilosophie der Massenmarktstrategie kommt bereits in ihrem Namen zum Ausdruck: Die Strategie ist darauf ausgelegt in Produktion und Absatz mög-lichst hohe Stückzahlen zu erreichen. Das Kalkül hinter der Strategie ist meist durch betriebswirtschaftliche Effizienzüberlegungen geprägt. Zum einen versuchen Unternehmen mit einer Massenmarktstrategie, die Prozesse in Produktion, Vertrieb und Kommunikation möglichst stark zu standardisieren und damit sehr effizient zu gestalten. Zum anderen streben sie möglichst hohe Produktionszahlen an, um von Erfahrungskurveneffekten zu profitieren, die ihnen – bedingt v. a. durch Lern-effekte in der Produktion – eine Senkung der Produkt-Stückkosten ermöglichen (s. Kap. 4.2.4).

Da die Massenmarktstrategie auf eine Kostenreduktion zielt, ist sie die passende Grundlage, um gegenüber den Kunden auf den Absatzmärkten eine preisorie n tier-te Discount-Strategie zu verfolgen. Aldi und Ryanair etwa verfolgen in ihren je-weiligen Märkten (Lebensmittel-Einzelhandel bzw. Flugreisen) klar eine Strategie der Preisführerschaft, die direkt auf einer Massenmarktstrategie aufbaut.

Die Massenmarktstrategie lässt Unternehmen jedoch sehr wohl auch die Option, am Absatzmarkt nicht mit einer preisorientierten Strategie aufzutreten, sondern Produkte im oberen Preissegment zu positionieren. Die Massenmarktstrategie stellt vielmehr im Konsumgütermarketing gar die häufigste Strategie der großen Marken-artikelhersteller dar, welche sich gerade auch durch ihren höheren Preis von preis-werten No-Name-Produkten differenzieren ( präferenzorientierte Markenstrate-gie ). Dies gilt v. a. für sehr viele Marken im Bereich der sog. Güter des täglichen Bedarfs, auch „Fast Moving Consumer Goods“ (FMCG) genannt. Produkte, die sich in diese Kategorie einordnen lassen sind bspw. Nahrungsmittel (Dr. Oetker), aber auch Körperpflegeprodukte (Dove) oder Reinigungsmittel (Domestos). Der Aufbau „großer Marken“ wie Nivea oder Pampers ist i. d. R. nicht ohne erhebliche Aufwendungen für die Markenkommunikation möglich. Die Nutzung von Kom-munikationsinstrumenten in der Breitenwerbung (v. a. TV- und Printwerbung in Massenmedien) ist jedoch ökonomisch nur sinnvoll, wenn die Marke an den breiten Markt vertrieben wird. Zudem müssen die Aufwendungen für den kommunikati-ven Markenaufbau und die Markenpflege auch durch die Marke selbst finanziert werden. Dies ist nur möglich, wenn eine Produktion zu geringen Stückkosten ent-sprechende Spielräume schafft.

Die zentrale Chance der Massenmarktstrategie liegt also in der Realisierung er-heblicher Kostenvorteile. Es sind jedoch auch Risiken der Strategie zu beachten. Das Hauptrisiko liegt darin, dass das Unternehmen durch einseitige Konzentration auf Kostenaspekte die Kundenorientierung aus den Augen verliert. Prominentes Beispiel ist das Möbelhaus Ikea , wo der Kosten- und Preissenkungsdruck so weit getrieben wurde, dass heute viele Produkte des Unternehmens eine minderwerti-ge Verarbeitung und eine hohe Fehlerquote aufweisen, ebenso wie bspw. dünne Papp-Verpackungen, welche einen sicheren Transport schwerer Möbelkomponen-ten kaum ermöglichen. Nachahmer des Massenmarktmodells können zudem evtl. zwischenzeitlich auf modernere Produktionstechnologien als der Branchenführer

4.4 Definition von Marketingstrategien

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174 4 Strategisches Marketing

zurückgreifen, die eine kostengünstigere Produktion ermöglichen. Schließlich wer-den evtl. die wichtigen Erfahrungskurveneffekte durch Innovationen, welche das Kernprodukt des Massenproduzenten durch ein anderes ablösen, zunichte gemacht, und damit der zentrale Wettbewerbsvorteil des Unternehmens.

4.4.4.3 Nischenstrategie

Die Nischenstrategie zielt nicht auf den breiten Massenmarkt, sondern nur einen (kleinen) Ausschnitt des Gesamtmarktes. Damit wird eine bestimmte, oft sehr klar definierte Zielgruppe angesprochen, die nur eine Teilmenge des Gesamtmarktes ausmacht. Porsche verfolgt z. B. eine klare Nischenstrategie, indem das Unterneh-men nur einen sehr kleinen Teilmarkt des Automobilmarktes anspricht, dies aber sehr konsequent. Analoges gilt etwa für Bang & Olufsen im Bereich der Unterhal-tungs- und Gebrauchselektronik.

Mit der Nischenstrategie verfolgen Unternehmen i. d. R. kunden- sowie wettbe-werbsbezogene Ziele. Relevant sind zunächst kunde n bezogene Ziele . Das Unter-nehmen versucht, durch die enge Fokussierung der Geschäftstätigkeit einen beson-deren Vorteil zu erreichen, indem es sich mit seinen Marktleistungen sehr konse-quent an einer ganz bestimmten Zielgruppe ausrichtet. Dieser Nutzen besteht meist in einer aus Kundensicht besonders hohen Qualität der Marktleistungen, die sich ohne Kompromisse an den Wünschen und Bedürfnissen dieser Zielgruppe orien-tiert. Damit verbunden ist dann typischerweise das Ziel, eine hohe Preisbereitschaft bei der Klientel aufzubauen, die auf sehr ausgeprägten Markenpräferenzen beruht. So kann es sich der Nischenanbieter Porsche aufgrund der sehr starken Markenprä-ferenzen der Zielgruppe erlauben, beim Pkw-Verkauf trotz sehr hoher Preise selbst markentreuen Stammkäufern keinerlei Rabatte einzuräumen, obwohl die Rabatt-gewährung für Neuwagenkäufer auf dem Pkw-Markt derzeit faktischer Standard ist. Es ist aber auch möglich, dass der zentrale Geschäftsvorteil, der aus der Fo-kussierung der Geschäftstätigkeit beruht, auf der Kostenseite zu finden ist, v. a. im Investitionsgüterbereich (z. B. bei einem Softwareanbieter, der hoch spezialisierte Unternehmenssoftware ausschließlich für kleine Handwerksbetriebe anbietet und diese dadurch besonders preiswert erstellen kann, da er die Anforderungen anderer Branchen ignorieren kann).

In der bekannten Systematik der Wettbewerbsstrategien von Porter (1996) spielt die Frage, ob ein Unternehmen den gesamten Markt oder nur eine Marktnische be-arbeitet, eine zentrale Rolle (s. Abb. 4.23 ). Gemäß der aufgezeigten Überlegungen (Qualitäts- oder Kostenvorteil durch Fokussierung?) trennt er im Fall der Nischen-strategie zwischen den beiden Grundoptionen einer Kosten-Nische und einer Qua-litäts-Nische, die ein Unternehmen im Zielmarkt besetzen kann.

Im Rahmen der Nischenstrategie spielen oft auch wettbewerbsbezogene Zie-le eine große Rolle. Das Unternehmen versucht, eine Abschottung gegenüber dem Wettbewerb zu erreichen, indem es für die Kunden einen relativen Qualitäts- oder Kostenvorteil bietet, den die Konkurrenz nicht offerieren kann – diese richtet sich an einem breiteren Markt aus und muss daher mit ihren Marktangeboten einen Kom-

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promiss zwischen den Bedürfnissen verschiedener Zielgruppen finden. Auf diese Weise können Unternehmen sog. Markteintrittsbarrieren schaffen, die Wettbewer-bern das Eindringen in das Geschäftsfeld des Nischenanbieters erschweren.

Zentral bei der Nischenstrategie ist die Identifikation lohnender Teilmärkte, d. h. die Entwicklung von Marktnischen oder Marktlücken. Eine Marktnische ist ein Marktsegment, in dem zwar bisher bereits Produkte angeboten werden, ein Teil der Kunden bisher aber nur auf Lösungen zurückgreifen kann, die aus ihrer Sicht unbe-friedigend sind. Ein sehr erfolgreiches Beispiel für die Erschließung einer Marktni-sche liefern die Aida-Kreuzfahrten . Das Touristik-Produkt „Kreuzfahrt“ war lange Zeit ein „konservatives Senioren-Produkt“, das von „steifen Regeln“ geprägt war. Aida hat mit zunächst einem Schiff ein jüngeres Kundensegment angesprochen, das ein zwangloseres Miteinander und andere Freizeitaktivitäten an Bord bevor-zugt. Dieser Schritt war so erfolgreich, dass sich diese Marktnische mittlerweile zu einem eigenen großen Teilmarkt entwickelt hat, der von Aida sehr erfolgreich bedient wird. Eine Marktlücke dagegen ist ein Marktsegment, das bisher gar nicht bedient wird, in dem aber latent Nachfrage besteht. Nokia hat bspw. mit der Marke Vertu einen kleinen, aber sehr profitablen Markt für extrem hochwertig verarbeitete Mobiltelefone geschaffen, die eher als Schmuckstück positioniert sind (die Vertu-Modelle kosten teilweise sechsstellige €-Beträge).

Die Chancen der Nischenstrategie liegen wie verdeutlicht v. a. in der Schaf-fung von Preisbereitschaft bei den Kunden und der Abschottung vom Wettbewerb. Die Strategie ist jedoch auch mit Risiken verknüpft. So können Wettbewerber, die eine Massenmarktstrategie verfolgen, im Laufe der Zeit durch Erfahrungskurven-effekte u. U. so hohe Kosten- bzw. Preisvorteile aufbauen, dass der Qualitätsvorteil des Nischenanbieters für Kunden an Bedeutung verliert. Zudem können sich die Produkte der konkurrierenden Massenmarktanbieter zunehmend an die Produk-te des Nischenanbieters angleichen, wodurch dessen relativer Vorteil ausgehöhlt wird (wenn z. B. traditionelle Kreuzfahrt-Anbieter ihre Produkte dem erfolgrei-chen Aida-Modell annähern; s. o.). Weiterhin kann es v. a. bei sehr hohem Erfolg des Nischenanbieters passieren, dass sich die Marktnische zu einem Breitenmarkt entwickelt, der Raum für eine größere Zahl an Wettbewerbern lässt. So hat der ursprüngliche Nischen-Monopolist Bionade mittlerweile mit einer hohen Zahl an

Abb. 4.23 Grundoptionen der Wettbewerbsstrategie nach Porter

teilweise(Nischenmarkt)

vollständig(Gesamtmarkt)

Einzigartigkeit aus Kundensicht

KostenvorteilMarkt-abdeckung

Wettbewerbs-vorteil

Strategie der Kostenführerschaft

Differenzierungs-strategie

Nischen-Strategie

Kosten-Nische Qualitäts-Nische

4.4 Definition von Marketingstrategien

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176 4 Strategisches Marketing

Wettbewerbs-Imitaten zu kämpfen (s. Case Study „Bionade“; Kap. 6.5). Außerdem können Wettbewerber auftreten, die mit noch spezielleren Nischenkonzepten noch höhere Kundenvorteile erzielen als der ursprüngliche Nischenanbieter. Dies ist etwa zu beobachten im stark wachsenden Bio-Markt, wo sich bspw. mit Produkten aus demeter-Landwirtschaft oder „friedfertigem Landbau“ mittlerweile „Sub-Nischen“ innerhalb der Bio-Nische entwickelt haben.

4.4.4.4 Marktsegmentierungsstrategie

Die Strategie der Marktsegmentierung kann als „multiplizierte Nischenstrategie“ verstanden werden. Hier wird zwar der gesamte relevante Markt oder ein großer Ausschnitt davon durch das Unternehmen bzw. die Geschäftseinheit bearbeitet. Man versucht jedoch im Gegensatz zur Massenmarktstrategie, alle wichtigen Kun-dengruppen mit ihren jeweiligen spezifischen Bedürfnissen auf diesem Markt zu identifizieren und diese verschiedenen Kundengruppen auch mit jeweils ver-schiedenen Marketingprogrammen möglichst gut anzusprechen (Rennhak u. Kes-ting 2008). Man versucht so die Vorteile der Massenmarktstrategie (breite Markt-abdeckung, Kostenvorteile) mit den Vorteilen der Nischenstrategie (Kundennähe) zu verbinden. Ein illustratives Beispiel im Lebensmittelbereich liefert der Unilever-Konzern, der in Deutschland mit insgesamt sieben Margarinemarken vertreten ist, die jeweils unterschiedliche Kundensegmente ansprechen sollen (Rama , Flora Soft , Lätta , Becel , Homa Gold , Bertolli und Sanella ).

Die Strategie der Marktsegmentierung spielt auf vielen Märkten eine wichtige Rolle und gewinnt stetig weiter an Bedeutung. Die Hauptursache liegt darin, dass sich die Nachfrage auf den modernen, dynamischen Märkten zunehmend ausdif-ferenziert und sich immer kleinteiligere Marktstrukturen ausbilden. Teilweise ist sogar von einer „ Zersplitterung “ der Märkte die Rede. Um auf derart fragmen-tierten Märkten Wettbewerbsvorteile zu schaffen, verfolgen viele Unternehmen die Strategie der Marktsegmentierung. So machte bspw. das führende US-amerikani-sche Wirtschaftsmagazin BusinessWeek das „Verschwinden des Massenmarktes“ zum Titelthema (s. Abb. 4.24 ).

Im Rahmen einer Marktsegmentierungsstrategie stellen sich zwei zentrale Auf-gaben (Freter 1983, S. 20 ff.):

1. Die Aufteilung des Marktes in verschiedene Kundensegmente (Informations-aspekt der Marktsegmentierung)

2. Die Entwicklung verschiedener Marketingprogramme für die identifizierten Segmente, z. B. die Entwicklung unterschiedlicher Produktvarianten (Aktions-aspekt der Marktsegmentierung)

Der kritische erste Schritt im Rahmen der Marktsegmentierung ist also die Markt-aufteilung . Die Segmente sollen dabei so gebildet werden, dass sie in sich jeweils möglichst homogen sind. Untereinander sollen sie jedoch jeweils klar unterscheid-bar sein. Die Kernfrage dabei ist, nach welchen Kriterien die unterschiedlichen Kundensegmente sinnvoll gebildet werden. Unternehmen stehen eine Vielzahl von

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Segmentierungskriterien zur Verfügung, die sich wie in Abb. 4.25 dargestellt in drei Kategorien fassen lassen.

Eine demografische Segmentierung ist meist vergleichsweise einfach vor-zunehmen, da Unternehmen i. d. R. Grunddaten ihres Kundenstamms (Alter, Ge-schlecht, Wohnort etc.) zur Verfügung haben. Haushaltsendkunden werden bspw.

Abb. 4.24 Trend zur differenzierten Marktbearbeitung (Quelle: Bianco 2004)

"For marketers, the evolution from mass to

micro-marketing is a fundamental change

driven as much by necessity as opportunity.

(…) The country has atomized into countless

market segments defined not only by demo-

graphy, but by increasingly nuanced and

insistent product preferences. 'All the research

we're doing tells us that the driver of demand

going forward is all about products that are

'right for me' says David Martin, president of

Interbrand Corp. 'And that's ultimately about

offering a degree of customization for all.' "

BusinessWeek, 28/2004

4.4 Definition von Marketingstrategien

Abb. 4.25 Kriterien zur Bildung von Marktsegmenten

Segmentierungs-kriterien

DemografischeKriterien

Verhaltens-kriterien

PsychografischeKriterien

Alter LebensphaseEinkommenGeschlechtSchulbildungBeruf Familienstand Soziale SchichtHaushaltsgrößeWohnortusw.

Lebensstil PersönlichkeitEinstellungen / ÜberzeugungenIndividuelleWertesystemeNutzenerwartungenan ProdukteBedürfnisseProduktinteressenInvolvement usw.

MarkentreueEinkaufsstättenwahlImpulsives vs. exten-sives KaufverhaltenMediennutzung (Art / Häufigkeit)MeinungsführerschaftBeschwerdeverhaltenProduktnutzung (Art / Intensität)Preissensibilitätusw.

Bildung und Ansprache von Marketing-Zielgruppen

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178 4 Strategisches Marketing

nach Haushaltsgröße, Einkommen, Geschlecht, Alter oder Bildung segmentiert (z. B. Abb. 4.26 ). Die Rolle der demografischen Segmentierung in der Marketing-praxis ist zwiespältig. Zum einen ist sie einfach und schnell durchzuführen, die notwendigen Daten sind meist leicht verfügbar. In bestimmten Themenfeldern kann sie auch interessante Informationen über Zielgruppen liefern. So gibt es etwa auch eine relativ starke positive Korrelation zwischen dem Bildungsniveau von Endver-brauchern und deren Interesse an umweltpolitischen Fragen (Kotler et al. 2007, S. 366 f.). Für zahlreiche Marketingfragestellungen ist sie jedoch zu einfach, da sich viele Konsumenten anhand einfacher Variablen wie Alter oder Geschlecht nicht in klar trennbare „Schubladen“ einordnen lassen, insbesondere hinsichtlich ihrer Prä-ferenzunterschiede.

Die psychografische Segmentierung ist meist weitaus schwieriger und auf-wändiger, lässt jedoch sehr verlässliche Rückschlüsse auf Produktpräferenzen zu. Eine vergleichsweise effektive Form der psychografischen Segmentierung ist die sog. Nutzensegmentierung („benefit segmentation“), die auf der Identifizierung und Schließung sog. Nutzenlücken basiert (Becker 2006, S. 277 ff.). Die Bene-fit-Segmentierung zielt darauf ab, unterschiedliche Kundensegmente anhand ihrer spezifischen Produktbedürfnisse zu bilden. So bevorzugen bspw. manche Konsu-menten Entspannungsurlaub, andere eher einen aktivitätsreichen „Action-Urlaub“ – für jedes Segment können Reisanbieter eigene Angebote entwickeln. Die Benefit-Segmentierung liefert so auch unmittelbare Ansatzpunkte zur Identifizierung von Marktlücken und Marktnischen (s. Kap. 4.4.4.3).

Bei der verhaltensbezogenen Segmentierung beruht die Aufteilung von Kon-sumenten in Gruppen auf beobachtbarem Verhalten, wie z. B. der Lieferanten- oder Produktwahl. So werden z. B. Großpackungen für Intensivnutzer eines Produktes angeboten, für Wenignutzer kleinere Gebinde. Eine große praktische Rolle spielt auch die Kundensegmentierung nach dem Mediennutzungsverhalten. Da verschie-

Abb. 4.26 Beispiel für demografische Marktsegmentierung nach Geschlecht (LadyCarOnline )

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dene Marktsegmente auch jeweils über die Marketingkommunikation erreichbar sein müssen, lassen sich so Hinweise gewinnen, welche Zielgruppen sich über wel-che Medien (TV, Internet, Lokalzeitung etc.) am besten erreichen lassen.

Damit eine Segmentierung sinnvoll durchgeführt werden kann, sind vier zentrale Anforderungen der Segmentierung zu beachten:

• Verhaltensrelevanz: Die Marktsegmente müssen einen direkten oder indirek-ten Bezug zum Kaufverhalten haben (wenn z. B. ältere und jüngere Genera-tionen die gleiche Marke bevorzugen, ist die Segmentierung nach Alter wenig zweckdienlich).

• Messbarkeit: Die Marktsegmente müssen erfassbar sein, d. h. auch über Markt-forschungsaktivitäten identifizierbar sein.

• Zeitliche Stabilität: Die Segmentspezifika sollen sich über einen längeren Zeit-raum hinweg nicht wesentlich ändern, damit sich eine differenzierte Marktbe-arbeitung auch ökonomisch lohnt.

• Erreichbarkeit: Die Segmente müssen auch auf differenzierte Weise bearbei-tet werden können (da sie z. B. unterschiedliche Medien oder Vertriebskanäle nutzen).

Neben den genannten Chancen sind auch die Risiken einer differenzierten Markt-bearbeitung zu beachten. Als wichtigster Punkt sind hier die Kosten der differen-zierten Marktbearbeitung zu nennen, die den Nutzen der gesteigerten Kunden-nähe überwiegen können. Eine unterschiedliche Ansprache verschiedener Kunden-segmente verursacht Kosten, z. B. durch eine komplexere Produktion (Erstellung unterschiedlicher Produktvarianten) und erhöhten Planungsaufwand. Hier ist für jeden Markt bzw. jedes Unternehmen individuell der optimale bzw. maximale Segmentierungsgrad zu bestimmen, ab dem eine weitere Differenzierung der Ziel-gruppen ökonomisch nicht mehr vertretbar ist. Unternehmen versuchen in diesem Zusammenhang oft, trotz einer differenzierten Marktbearbeitung in der Produk-tion möglichst große Kostenvorteile zu erzielen. In der Automobilbranche wird dies bspw. über eine „Plattformstrategie “ realisiert, nach der Marken v. a. psycho-logisch, weniger aber technisch differenziert werden. So gibt es bspw. unter den Konzernmarken Volkswagen , Seat , Skoda und Audi jeweils Parallelmodelle, die technisch in zentralen Komponenten identisch sind. Verallgemeinernd spricht man von einer Mass Customization-Strategie (individualisierte Massenfertigung), die danach strebt, eine möglichst weit gehende technische Standardisierung der Pro-dukte und dabei dennoch eine Individualisierung der Leistungen aus Kundensicht zu erreichen. Die Swatch -Uhr etwa wird in sehr vielfältigen Modellen angeboten, beruht technisch jedoch auf stark standardisierten Bauteilen.

Weitere Risiken der differenzierten Marktbearbeitung liegen darin, dass (wie bei der Nischenstrategie) der Kostenvorteil der Wettbewerber mit Massenmarkt-strategie so groß werden kann, dass der Kundennutzen aus der segmentspezifischen Kundenansprache als Wettbewerbsvorteil nicht mehr tragfähig genug ist. Zudem ändern sich Kundenwünsche, -bedürfnisse und -segmente in Konsumgüter- wie auch auf Investitionsgütermärkten immer schneller, so dass eine realisierte Markt-

4.4 Definition von Marketingstrategien

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180 4 Strategisches Marketing

segmentierung obsolet werden kann, bevor sich die Investitionen in eine differen-zierte Marktbearbeitung amortisiert haben.

4.4.5 Definition des zentralen Wettbewerbsvorteils

4.4.5.1 Inhalt und Zweck der Definition von Wettbewerbsvorteilen

Die bisher diskutierten Strategiedimensionen (Definition von Marktfeld, Marktgeo-grafie und Marktsegmenten) sind den Markt wahl strategien zuzuordnen, da sie den grundsätzlichen Gegenstand der Unternehmenstätigkeit näher bestimmen. Die bei-den im Folgenden diskutierten Strategiedimensionen (Definition von Wettbewerbs-vorteilen und Definition des Markt-Timings) sind den Markt bearbeitungs strategien zuzurechnen, da sie näher festlegen, auf welche Weise die zuvor definierten Tätig-keitsfelder bearbeitet werden.

Die Kernfrage der Marktbearbeitungsstrategien ist die Definition des zentralen Wettbewerbsvorteils, mit dem sich das Unternehmen am Markt positionieren möch-te. Auch diese strategische Entscheidung hat zwei Perspektiven. Aus Kundenpers-pektive geht es um die Kernfrage, wo der Kernnutzen des Marktangebots liegt, der den Kunden letztendlich im Wesentlichen zum Kauf motiviert. Aus Wettbewerbs-perspektive geht es um die Frage, wie sich das Unternehmen mit einem Kunden-nutzen gegenüber den Konkurrenten abgrenzt, da der Kunde i. d. R. zwischen den Angeboten unterschiedlicher Anbieter auswählen kann.

Damit ein etwaiger Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens als strategischer Wettbewerbsvorteil gilt und damit zur Grundlage der Marktstrategie gemacht wer-den kann, muss er drei Kriterien erfüllen (Meffert et al. 2008, S. 57):

• Relevanz: Er muss einen aus Kundensicht nennenswerten Nutzen schaffen. Wett-bewerbsvorteile in Bereichen, die für den Kunden nicht kaufentscheidend sind, sind demnach nicht strategisch relevant.

• Wahrnehmung: Er muss vom Kunden als solcher wahrgenommen werden. Die-ser Aspekte verweist u. a. darauf, dass Wettbewerbsvorteile nicht nur technisch geschaffen werden müssen, sondern auch am Markt glaubwürdig kommuniziert werden müssen.

• Nachhaltigkeit: Er darf nicht vom Wettbewerb schnell kopierbar sein. Andern-falls wäre er nicht tragfähig als Abgrenzungsmerkmal von den Konkurrenten im gleichen Markt.

Für den Aufbau nachhaltiger Wettbewerbsvorteile ist die Frage zentral, welche Potenziale und Ressourcen – im weitesten Sinne – dem Unternehmen zur Verfü-gung stehen, aus denen heraus Wettbewerbsvorteile entwickelt werden können. Je-des Unternehmen ist in seiner Ausstattung an strategisch relevanten Ressourcen einzigartig: Imagepotenziale, Finanzmittel, technisches Know-how, Standortvortei-le, eine bestimmte Unternehmenskultur, der Bestand an qualifizierten Mitarbeitern usw. spielen hier eine Rolle. Es ist Kernaufgabe des strategischen Management,

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die verfügbaren Ressourcen derart zu nutzen und auszuschöpfen, dass das Unter-nehmen am Markt erfolgreich besteht (Barney 1991). Diese Herangehensweise an die Strategieplanung richtet den Blick also nicht nur auf die Anforderungen des Marktes, sondern auch auf die unternehmensseitigen Potenziale zu deren Erfüllung. Diese Perspektive hat als Resource-Based View in der Managementtheorie ca. seit Ende der 1970er Jahre (Pfeffer u. Salancik 1978; Wernerfelt 1984) einen bedeuten-den Stellenwert erlangt und stellt heute einen wichtigen Grundansatz der strategi-schen Unternehmensführung dar.

Unternehmen schaffen es bisweilen, auf Grundlage ihrer strategischen Ressour-cen Kompetenzen zu entwickeln, die über einen langen Zeitraum und über unter-schiedliche Geschäftsfelder und Produktgeneration hinweg als Grundlage zur Er-zielung strategischer Wettbewerbsvorteile dienen können. Derartige Kompetenzen bezeichnet man als strategische Kernkompetenzen (Prahalad u. Hamel 1990). Sony hat bspw. seit den 1980er Jahren eine hohe technische Kompetenz in der Miniaturisierung von Geräten der Unterhaltungselektronik (Mobile Musikplayer, Kameras, Notebooks etc.) entwickelt, die über rund zwei Jahrzehnte immer wie-der zu bedeutenden Wettbewerbsvorteilen führte. Das Beispiel zeigt jedoch auch die „Vergänglichkeit“ selbst strategischer Kernkompetenzen: In den vergangenen Jahren hat Apple vergleichbare Miniaturisierungs-Kompetenzen entwickelt, so dass Sony damit in den von Apple abgedeckten Produktfeldern seine Alleinstellung am Markt verloren hat.

Letzten Endes geht es mit der Definition von Wettbewerbsvorteilen darum, die Grundlage für das Zustandekommen von Kaufakten mit Kunden zu legen. Daraus lässt sich direkt ableiten, welche Ansatzpunkte Unternehmen zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen offen stehen. Da der Kaufakt einen Tausch „Ware gegen Geld“ darstellt, kann die Vorteilhaftigkeit des Kaufaktes für den Kunden entwe-der aus der „Ware“-Komponente oder aus der „Geld“-Komponente resultieren. Das Unternehmen kann den Wettbewerbsvorteil also entweder in der Leistung schaffen, die es am Markt anbietet („Ware“) oder im Preis, den es für diese Marktleistung verlangt („Geld“) (s. Abb. 4.27 ).

Aus diesen beiden Grundoptionen lassen sich die Basisstrategien zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen ableiten. Die Qualitätsführer-Strategie zielt darauf, einen Leistungsvorsprung am Absatzmarkt durch die Einzigartigkeit der Marktleis-tungen aus Kundensicht (Porter 1980) zu schaffen. Basis ist die besonders effektive Erfüllung von Kundenbedürfnissen. Die Preisführer-Strategie setzt darauf, einen Leistungsvorsprung zu schaffen, indem das Unternehmen (typischerweise durch große Absatzmengen) einen Kostenvorteil erarbeitet, den es in eine preisorientierte Marktstrategie umsetzt (s. a. Abb. 4.23 in Kap. 4.4.4.3).

4.4.5.2 Qualitätsführer-Strategie

Die Qualitätsführer-Strategie beruht darauf, einen Wettbewerbsvorteil in Gestalt eines Leistungsvorteils für Kunden zu schaffen. Diese Strategie dreht sich damit um das fundamentale ökonomische Konzept des Kundennutzens. Ansatzpunkt für

4.4 Definition von Marketingstrategien

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die Erzielung eines Wettbewerbsvorteils können alle aus Kundensicht relevanten Nutzendimensionen eines Produktes sein. Welche Nutzendimensionen für Kunden kaufverhaltensrelevant sind, hängt stark von der jeweiligen Produktart ab. Zu be-achten ist, dass gerade höherwertige Produkte oftmals eine mehrdimensionale Nut-zenstruktur für den Kunden haben. So kann bei Pkw der Imagenutzen eine große Rolle spielen (z. B. bei prestigeträchtigen Marken wie Mercedes), gleichzeitig aber auch die technische Funktionsqualität des Fahrzeugs (Zuverlässigkeit, Sicherheit, Fahrwerk etc.) oder die Qualität der Werkstatt-Dienstleistungen. Grundsätzlich las-sen sich sieben Ansatzpunkte für die Schaffung strategischer Wettbewerbsvorteile identifizieren (s. Abb. 4.27 ; auch Porter 1980; Mintzberg et al. 1995).

• Funktionsqualität: Dieser Aspekt zielt ab auf die Frage, wie gut das Produkt seine Kernfunktion erfüllt. Bei materiellen Gütern wird die Funktionsqualität v. a. bestimmt durch die Funktionsweise der technischen Komponenten, die Qualität der verwendeten Materialien und die Verarbeitungsqualität. So hat

Abb. 4.27 Ansatzpunkte zur Definition strategischer Wettbewerbsvorteile

Ansatzpunkt fürstrategischenWettbewerbsvorteil

PreisLeistung

Absatzmarkt-Strategie

Qualitätsführer-Strategie

Preisführer-Strategie

Unternehmen

Kunde

€ GeldWare

Kaufakte aufAbsatzmärkten(Wettbewerbs-situation)

FunktionsqualitätServiceSchnelligkeitImageHerstellungsweiseÄsthetik / ErlebnisVertrieb

KaufpreisNebenkostendes KaufsUnterhalts-kosten

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BMW im Pkw-Markt gegenüber anderen Anbietern (auch aus dem Premium-Segment) Wettbewerbsvorteile im Bereich der Fahrwerksqualität geschaffen, die vielen Kunden bei ihrer Kaufentscheidung sehr wichtig sind.

• Service: Der Faktor „Service“ zielt auf die Dienstleistungen, welche das Haupt-produkt ergänzen und zusammen mit diesem angeboten werden. Im Bereich Airlines hat sich z. B. Singapore Airlines eine hohe Reputation für exzellenten Bord-Service erworben, der die Kernleistung „Transport“ ergänzt, für service-orientierte Kundensegmente aber oft ausschlaggebend ist.

• Schnelligkeit: In bestimmten Produktfeldern spielt der Aspekt der Geschwin-digkeit eine große Rolle für Kunden. Dies gilt nicht nur für den Investitions-güterbereich, wo die Schnelligkeit von Geschäftsprozessen oft zentral ist. So hat z. B. McDonald’s in Deutschland im Bereich der Außer Haus-Gastronomie den Markt für Fast Food überhaupt erst in der Breite erschlossen und lange Jahre als einzige große Marke in diesem Bereich dominiert.

• Image: Vor allem bei Produkten mit hoher „sozialer Visibilität“, die es einem Konsumenten ermöglichen, „sich anderen darzustellen“, spielt der Imagenutzen eines Produktes oft eine große Rolle. Im Bereich Uhren kann die Marke Rolex als Beispiel dienen, im Bereich Kleidung schaffen es Marken wie Ralph Lauren trotz oft minderwertiger Materialqualität hohe Marktpreise zu erzielen, da sie in bestimmten Zielgruppen Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Marken auf-weisen, die durch das Unternehmensimage bedingt sind.

• Herstellungsweise: Die Herstellungsweise eines Produktes, die dem Endpro-dukt oft gar nicht „anzusehen ist“, spielt als Kundennutzen heute eine immer größere Rolle und kann ebenfalls zur Grundlage eines Wettbewerbsvorteils wer-den. Oft sind es ethische Aspekte, die kaufverhaltensrelevant sind, z. B. eine ökologisch oder sozial verträgliche Produktion (etwa durch Verzicht auf Kinder-arbeit). Die Biermarke Krombacher nutzt den Ökologieaspekt systematisch, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Es können jedoch auch anders geartete Aspekte der Herstellungsweise sein, die zum Wettbewerbsvorteil ausgebaut werden kön-nen (z. B. beim Vollmond-Bier der Zötler-Brauerei , das ausschließlich in Voll-mond-Nächten produziert wird).

• Ästhetik/Erlebnis: Das sensorische Erlebnis einer Marke, u. a. geschaffen durch einen ästhetischen Design-Ansatz, ist ebenfalls ein Aspekt, der als Wett-bewerbsvorteil von Marken stark an Bedeutung gewinnt (Klee 2008). Apple ist ein klassisches Beispiel für eine Marke, deren Wettbewerbsvorteile stark auch von einem ausgesprochen designorientierten Gestaltungsansatz der Produkte getragen werden.

• Vertrieb: Auch Aspekte der Distribution einer Marke können zum Wettbewerbs-vorteil werden (Mintzberg et al. 1995). Die Nutzung bestimmter Vertriebskanäle, welche von den Wettbewerbern nicht genutzt werden, stellt hier den wichtigsten Ansatz dar. So ist bspw. Avon als einzige große Kosmetikmarke ausschließlich im Direktvertrieb erhältlich.

Sehr eng verknüpft mit der Qualitätsführer-Strategie ist die Markenpolitik des be-treffenden Unternehmens. Die Markenstrategie setzt logisch auf der Strategie der

4.4 Definition von Marketingstrategien

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184 4 Strategisches Marketing

Qualitätsführerschaft auf: Im Rahmen der Qualitätsführer-Strategie werden zu-nächst die Wettbewerbsvorteile eines Unternehmens bzw. seiner Marktleistungen definiert. Die Markenstrategie zielt dann darauf ab, diese Wettbewerbsvorteile als zentrale Eigenschaften eines Unternehmens oder eines Produktes systematisch, wi-derspruchsfrei und nachhaltig in den Köpfen der anvisierten Zielgruppe zu ver-ankern. Die konkrete Vorgehensweise im Rahmen des Markenmanagement wird ausführlich im Kap. 6 „Produktpolitik“ erläutert.

4.4.5.3 Preisführer-Strategie

Die Preisführer-Strategie ist das logische Gegenstück zur Qualitätsführer-Strategie. Der zentrale Wettbewerbsvorteil liegt hier nicht unmittelbar in der Leistung, die das Unternehmen auf dem Markt anbietet, sondern im Preis , den der Kunde dafür ent-richten muss. Grundsätzlich stehen Unternehmen drei Ansatzpunkte offen, um sich als Kosten- bzw. Preisführer am Markt zu etablieren (wobei für das Konsumenten-verhalten der erstgenannte Aspekt des Kaufpreises meist die wichtigste Rolle spielt) (s. Abb. 4.27 ):

• Kaufpreis: Der Kaufpreis macht i. d. R. die Hauptkomponente des Preises aus. Er resultiert aus dem regulären Listenpreis des Produktes abzüglich gewährter Rabatte und Skonti. Die Automarke Dacia stellt z. B. den extrem niedrigen Listen-preis seiner Pkw (ab €7.200) in den Mittelpunkt der gesamten Markenwerbung.

• Kaufnebenkosten: Die Kaufnebenkosten umfassen alle Kosten der Kauftrans-aktion, die aus Anlass des Kaufs anfallen, aber nicht über den Kaufpreis abge-deckt sind. Bei einem Pkw-Kauf können u. a. erhebliche Finanzierungs- und Überführungskosten anfallen. So hat Ford 2008 und in den Jahren davor wieder-holt zinslose Pkw-Finanzierungen angeboten, um hier die Angebote der Wett-bewerber zu unterbieten.

• Kosten für Unterhalt und Entsorgung: Die Unterhalts- und Entsorgungskosten umfassen je nach Produkt unterschiedliche Posten. Bei Pkw etwa fallen während der Produktnutzung erhebliche Versicherungs-, Wartungs- und Reparaturkosten an. Volkswagen bietet bspw. ein „Sauber + Sorglos“-Paket für Leasing-Neuwa-gen an, in dem Inspektionen und Versicherungen in der Rate bereits enthalten sind. Das Kostenrisiko für Kunden wird so minimiert.

Voraussetzung für die Erreichung der Preisführerschaft in einem Markt oder Markt-segment ist im Regelfall die Kostenführerschaft . Das unternehmerische Kosten-management spielt daher für diese Strategie eine zentrale Rolle. Hier zeigen sich Verknüpfungen zu einer anderen wichtigen Strategieentscheidung, der Definition der Marktabdeckung (Kap. 4.4.4). Sowohl im Rahmen der Massenmarktstrategie als auch im Rahmen der Nischenstrategie spielen Kostenüberlegungen eine bedeu-tende Rolle. Beide Strategieformen zeigen Wege auf, den für eine Preisführerschaft nötigen Kostenvorteil zu erreichen.

Der Weg, durch hohe Produktionszahlen Erfahrungskurveneffekte zu nutzen und so die Stückkosten der Herstellung sukzessive zu senken, ist der „klassische“ Weg,

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Box 4.1 Preisführer-Strategie der Oettinger-Brauerei (Quelle: Irle 2008; brand eins 6/2007)

Oettinger ist die absatzstärkste deutsche Brauerei. Mit rund sieben Millionen Hektolitern im Jahr 2006 liegt sie laut der Zeitschrift „Brauwelt“, dem Zen-tralorgan der Branche, seit Jahren deutlich vor Konkurrenten wie Kromba-cher, Bitburger, Warsteiner oder Beck & Co. Der Umsatz mit dem Billigbier - der Kasten kostet zwischen fünf und sechs Euro - wird auf eine halbe Mil-liarde Euro geschätzt. (…) Erst große Absatzmengen machten einen solchen Preis möglich. (…) Der Mauerfall 1989 verhalf Oettinger zum Durchbruch. Plötzlich gab es Millionen neuer Kunden mit wenig Geld und viel Lust auf westdeutsches Bier. (…) Jetzt erst konnte Oettinger die Biermengen produ-zieren, die nötig waren, um die Kosten spürbar zu senken, und es konnten Investitionen gemacht werden, die weitere Einsparungen ermöglichten. Eine der wichtigsten: der Kauf einer eigenen, heute 200 Fahrzeuge umfassenden Lkw-Flotte. (…) Der eigene Fuhrpark, der Verzicht auf Werbung, die Ab-gabe in großen Mengen und die Konzentration auf einen einzigen Vertriebs-kanal sind die vier entscheidenden Elemente der Oettinger-Strategie. 46,4% der Kosten einer durchschnittlichen Bierflasche liegen laut einer Studie der Hopfenverwertungsgesellschaft im Vertrieb, in der Logistik und im Marke-ting. (…) Es fängt bei Kleinigkeiten an. So kann allein der Preis für das Eti-kett einer Bierflasche zwischen 0,2 Cent (für ein einfaches Papieretikett wie bei Oettinger) und 1,4 Cent für Hochglanzetiketten mit viel Alu schwanken. Eine individuellere Bierglasflasche kostet schnell 20 Cent, die klassische

eine Preisführer-Strategie umzusetzen (s. a. Box 4.1). In diesem Fall spricht man von einer Preis-Mengen-Strategie (Becker 2006). Der angestrebte Kostenvorteil muss jedoch nicht aus großen Ausbringungsmengen entstehen, sondern kann auch im Rahmen einer Nischenstrategie erreicht werden. Es gibt durchaus die Möglich-keit, durch Spezialisierungsvorteile auch bei Bedienung nur einer kleinen Markt-nische Kostenvorteile zu erlangen und so Wettbewerbsvorteile den Konkurrenten gegenüber zu schaffen (Porter 1980). Diese Kostenvorteile beruhen dann nicht auf Erfahrungskurveneffekten, sondern u. a. auf einer vereinfachten und damit kosten-günstigeren Produktgestaltung sowie der Vermeidung von Streuverlusten in der (Massen-) Kommunikation, welche durch die Konzentration auf ein bestimmtes Segment erst möglich wird (s. Kap. 4.4.4).

Die Marketingpraxis zeigt, dass sich in vielen Branchen die Wettbewerber nach der Art ihres Wettbewerbsvorteils (kosten- oder preisorientiert) klar unterscheiden lassen. Im Automobilbereich sind dies etwa Dacia (Preis) vs. Mercedes (Qualität), bei Fluggesellschaften bspw. Ryanair (Preis) vs. Lufthansa (Qualität), im Bereich Biermarken z. B. Oettinger (Preis) vs. Bitburger (Qualität) oder im Handelsbereich Unternehmen wie Aldi (Preis) vs. Edeka (Qualität).

4.4 Definition von Marketingstrategien

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186 4 Strategisches Marketing

Ein eher seltener, aber sehr interessanter Sonderfall sind Unternehmen, welche es zumindest für begrenzte Zeiträume geschafft haben, eine Preis- und Qualitäts-führerschaft in ihrer Branche zu verbinden. Im Automobilmarkt hatte Toyota etwa über einen längeren Zeitraum in den 1990er und 2000er Jahren in mehreren Fahr-zeugklassen sowohl aus preislicher wie aus technischer Qualitätssicht die am Markt führenden Modelle. In diesem Fall spricht man Outpacing-Strategien (Gilbert u. Strebel 1987).

4.4.6 Definition des Markt-Timings

4.4.6.1 Inhalt und Zweck der Timing-Strategie

Nachdem der zentrale Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens oder Geschäftsfelds bestimmt ist, stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt das definierte Marktange-bot auf den Markt gebracht werden soll. Die Frage, ob ein Unternehmen bspw. als Innovator auftritt, der neue technologische Entwicklungen in einer Branche voran-treibt, oder eher als „Nachzügler“, der neue Produkte bzw. Technologien erst auf den Markt bringt, wenn sie sich bewährt und etabliert haben, ist sowohl wichtig zur Darstellung gegenüber den Kunden als auch zur Abgrenzung gegenüber den Wettbewerbern.

Die strategische Fragestellung des Markt-Timings ist eng mit dem Konzept des Produkt- bzw. Technologielebenszyklus verknüpft. Dieses Konzept geht davon aus, dass Produkte bzw. Technologien ebenso wie Lebewesen einem natürlichen Kreislauf aus Werden und Vergehen unterliegen. Das „Leben“ eines Produktes etwa durchläuft demnach die Phasen aus Einführung, Wachstum, Reife, Sättigung, De-generation (s. Kap. 6.2.3). Das „Verscheiden“ eines Produktes in der Degenera-tionsphase liegt im Regelfall darin begründet, dass ein neues, weiterentwickeltes Produkt auf den Markt tritt, welches das alte Produkt ablöst. Im Computerbereich

0,5-Liter-Flasche, wie Oettinger sie noch benutzt, vier Cent, wenn man sie auf dem Flaschengebrauchtmarkt kauft. Als zu hundert Prozent inhaberge-führtes Familienunternehmen hat Oettinger eine flache Hierarchie, die mit wenig Personal auskommt. Zudem ist die Brauerei durch Investitionen, etwa in eine eigene hochmoderne Kläranlage, führend bei Energie- und Wasser-verbrauchswerten. Laut „Brauwelt“ verbraucht Oettinger nicht einmal halb so viel Wärme und Strom wie andere Großbrauereien und deutlich weniger Wasser. Dank moderner Anlagen, verbunden mit der Beschränkung auf na-hezu eine Flaschengröße und der Arbeit im Dreischichtbetrieb, arbeitet die Brauerei extrem effizient.

© brand eins Verlags GmbH & Co. KG

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wurde etwa das Speichermedium „Diskette“ durch das Produkt „CD“ abgelöst. Dieses wiederum wird absehbar durch das Speichermedium „DVD“ abgelöst. Die Timing-Strategie legt fest, in welcher Phase des Produkt- bzw. Technologielebens-zyklus ein Unternehmen mit seinem Angebot auf den Markt tritt.

4.4.6.2 Pionier-, Früher-Folger- und Später-Folger-Strategie

Grundsätzlich bieten sich einem Unternehmen im Rahmen des Markteintritts drei grundlegende Strategieoptionen (Grant u. Nippa 2006, S. 430 f.):

• Pionier-Strategie • Früher-Folger-Strategie • Später-Folger-Strategie

Bei der Pionier-Strategie tritt das Pionier-Unternehmen als erstes mit einem neuen Produkt am Markt auf. Toyota hatte bspw. mit dem Modell Prius den ersten massen-markttauglichen Pkw mit Hybridantrieb. Mit dem Auftreten des neuen Produkts am Markt beginnt im Rahmen des Produktlebenszyklus (PLZ) die Einführungsphase für dieses Produkt. Die Einführung einer Marktneuheit schafft temporär eine vor-teilhafte Wettbewerbsposition als Monopolist, da noch kein anderer Wettbewerber über ein entsprechendes Angebot verfügt. Dem Pionier bieten sich durch sein frühes Auftreten am Markt Zeitvorteile, die ihm bei der Gestaltung seines Marketing freie Wahl ermöglichen.

Beispielsweise kann das Unternehmen frei entscheiden, ob es im Rahmen der Preispolitik eine Marktdurchdringungsstrategie oder eine Marktabschöpfungsstra-tegie verfolgt (s. Kap. 7). Bei der Marktdurchdringungsstrategie geht das Unterneh-men mit einem niedrigen Preis in den Markt und versucht über hohe Absatzmen-gen, schnell eine marktbeherrschende Position aufzubauen. Im Rahmen der Markt-abschöpfungsstrategie setzt das Unternehmen zunächst einen hohen Preis, um die Zahlungsbereitschaft der innovativen, experimentierfreudigen Konsumenten abzu-schöpfen um anschließend durch Preissenkungen den breiten Markt zu erschließen (so wie bspw. Apple mit dem iPod).

Des Weiteren hat ein Pionier durch sein frühes Handeln am Markt die Mög-lichkeit, ein Image zu etablieren und damit eine weitere Markteintrittsbarriere für Wettbewerber zu schaffen. Zeitvorteil und Markteintrittsbarrieren bieten ihm die Gelegenheit vor dem Eintritt von Wettbewerbsunternehmen feste Beziehungen zu Kunden und Lieferanten aufzubauen und damit die eigene Position im Markt zu stärken (Nieschlag et al. 2002, S. 251 f.).

Allerdings ist die Verfolgung einer Pionier-Strategie nicht nur mit Vorteilen be-haftet. In vielen Märkten sind intensive Grundlagenforschung und hohe Investitio-nen in Forschung und Entwicklung sowie bei der Markteinführung erforderlich. Außerdem muss es dem Unternehmen gelingen, die neuartigen Bedürfnisse, die mit dem Produkt befriedigt werden sollen, beim Verbraucher auch tatsächlich zu aktivieren und ein eventuelles Misstrauen gegenüber neuen Produkten abzubauen (hoher ökonomischer Erfolgsdruck). Diese Markterschließungsanstrengungen

4.4 Definition von Marketingstrategien

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188 4 Strategisches Marketing

kommen aber auch den Vertretern der Folger-Strategien zu Gute. Da der Pionier das neue Produkt bereits am Markt bekannt gemacht hat, spart sich der Frühe Folger In-vestitionen für die Markterschließung und kann außerdem aus eventuellen Fehlern des Pioniers lernen und daraus Konsequenzen ziehen. Für den Pionier hingegen besteht außerdem die Gefahr, dass sich sein neues Produkt als Flop erweist, womit alle finanziellen und personellen Anstrengungen der Produktentwicklung und -ein-führung zunichte gemacht werden.

Unternehmen, welche die Früher-Folger-Strategie verfolgen, treten relativ kurz nach dem Pionier auf den Markt. Üblicherweise liegt dieser Zeitpunkt im PLZ noch vor dem Übergang der Einführungs- zur Wachstumsphase. Zentraler Vorteil dieser Strategie ist, dass sich das Unternehmen dank des bereits am Markt agie-renden Pionierunternehmens die Investitionen der Markterschließung sparen und darüber hinaus noch aus den Fehlern des Pionierunternehmens lernen kann (z. B. durch Ausmerzung von „Kinderkrankheiten“ des Pionierproduktes). Im Markt für MP3-Player war z. B. das von dem südkoreanischen Unternehmen SaeHan Infor-mation Systems entwickelte Modell „MPMan F 10“ der erste für den Massenmarkt entwickelte Player (für den US-Markt von Eiger Labs lizenziert). Die großen Elekt-ronikkonzerne verfolgten in diesem Markt eine Früher-Folger-Strategie und folgten mit eigenen Modellen erst, als das Pioniermodell bereits Erfolge am Markt zu ver-zeichnen hatte.

Eine große Herausforderung dieser Strategie liegt in der Überwindung der vom Pionierunternehmen geschaffenen Markteintrittsbarrieren . Außerdem hat der Frü-he Folger nicht wie das Pionierunternehmen die Möglichkeit, sein Marketing frei zu gestalten, sondern er muss sich meist an der Vorgehensweise des Pionierunter-nehmens orientieren. Verfolgt das Pionierunternehmen bspw. schon die Marktab-schöpfungsstrategie (s. o.), ist es für den Frühen Folger möglicherweise von Vor-teil die Marktdurchdringungsstrategie zu verfolgen. Der niedrige Preis und damit meist verbundenen hohen Absatzmengen ermöglicht es dem Unternehmen, trotz Markteintrittsbarrieren des Pioniers, einen großen Marktanteil zu gewinnen. Ver-folgt umgekehrt das Pionierunternehmen die Marktdurchdringungsstrategie, hat der Frühe Folger die Möglichkeit, durch Verbesserungen des Produktes (z. B. durch Er-höhung seiner Funktionalität) oder durch Angebot verschiedener Produktvarianten für unterschiedliche Teilzielgruppen die Marktabschöpfungsstrategie umzusetzen. Jedoch bleibt dem Frühen Folger im Vergleich zum Pionierunternehmen weniger Zeit, um eine Erfolg versprechende Marktposition aufzubauen, da mit dem baldi-gem Markteintritt weiterer Wettbewerber zu rechnen ist.

Unternehmen mit der Später-Folger-Strategie treten erst in der Wachstums-phase des PLZ in den Markt ein. Zu diesem Zeitpunkt sind die Marktbeziehungen bereits entwickelt, Standards definiert und das Konsumentenverhalten bekannt. Da-her fokussiert sich ein Später Folger auf die Imitation bereits etablierter Produkte und Technologien, um die Wachstumschancen des Marktes zu nutzen. Daher wird dieses Vorgehen auch Me-too-Strategie genannt (Grant u. Nippa 2006, S. 426). Ein Beispiel für die Verfolgung einer solchen Me-too-Strategie sind Generika auf dem Pharmamarkt. Hierbei handelt es sich um Medikamente, welche die Wirkstoffin-halte von Medikamenten mit Markennamen kopieren, wie bspw. ASS Ratiopharm

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als Kopie des ursprünglich von Bayer entwickelten Aspirin . Beide Medikamente enthalten als Wirkstoff Acetylsalicylsäure. Auf Grund der Imitation von Marken-produkten verfolgen Späte Folger meist die Preis-Mengen-Strategie, die effiziente Produktionsprozesse erfordert, um mit günstigen Preisen auf den Markt treten zu können.

Vorteil der Strategie des Späten Folgers sind die geringen Forschungs- und Ent-wicklungskosten sowie die niedrigen erforderlichen Investitionen zur Marktein-führung. Ebenso ist das Floprisiko im Vergleich zum Pionier relativ gering. Zur Generierung von Wettbewerbsvorteilen bedienen sich Späte Folger typischerweise der Marktdurchdringungsstrategie. Um sich dauerhaft eine Position im Markt zu sichern, muss der Späte Folger daher in der Lage sein, komparative Kostenvorteile aufzubauen. Damit wird noch einmal die enge Verknüpfung von Timing-Strategien mit der Definition des Wettbewerbsvorteils des Unternehmens deutlich.

Die notwendige Überwindung der vom Pionierunternehmen oder Frühen Fol-gern aufgebauten Markteintrittsbarrieren stellt den zentralen Nachteil dieser Strate-gie dar. Außerdem ist das Unternehmen als Später Folger bei seinen strategischen und operativen Handlungen abhängig von den Aktionen der bereits etablierten Pio-nierunternehmen und Frühen Folger. Dies engt den Handlungsspielraum der Späten Folger stark ein (Nieschlag et al. 2002, S. 254 f.).

4.4.7 Definition von Strategieprofilen

Die vorigen Abschnitte haben aufgezeigt, welche verschiedenen Entscheidungsfel-der bei der Definition von Strategien für Unternehmen oder Geschäftsfelder eine Rolle spielen. An einigen Stellen ist dabei bereits verdeutlicht worden, wie einzelne Strategiedimensionen zusammenhängen und sich teilweise gegenseitig bedingen. Generell gilt, dass alle besprochenen Strategiedimensionen nicht isoliert voneinan-der betrachtet werden können, sondern in vielfältiger Weise zusammenhängen. Die große strategische Herausforderung liegt für jedes Unternehmen darin, unter den je-weiligen Marktbedingungen Erfolg versprechende „Strategieprofile“ zu definieren. Mit diesem Strategieprofil muss das Unternehmen eine spezifische Kombination einzelner Strategieentscheidu n gen festlegen, welche in ihrer Gesamtheit die Res-sourcen und Erfolgspotenziale des Unternehmens bestmöglich ausschöpfen.

Bei der Definition des unternehmensspezifischen Strategieprofils spielen regel-mäßig zwei Überlegungen eine Rolle: Zum ersten die Analyse und Definition des individuellen Strategieprofils im Vergleich zu den zentralen Wettbewerbern, zum zweiten die Entwicklung des eigenen Strategieprofils im Zeitverlauf. Zur Entschei-dungsfindung lassen sich diese beiden Überlegungen grafisch gut in Strategiedia-grammen veranschaulichen.

Strategieprofile im Wettbewerbsvergleich Eine bedeutende Aufgabe bei der Definition eines Strategieprofils ist die Abgren-zung zu Wettbewerbern, welche auf dem gleichen Markt tätig sind. Im Grundsatz kann davon ausgegangen werden, dass sich die betreffende Marke in mindestens

4.4 Definition von Marketingstrategien

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190 4 Strategisches Marketing

einer Strategiedimension wesentlich von allen relevanten Wettbewerbern abheben sollte. So kann ein u. U. ruinöser Preiswettbewerb vermieden werden, da andern-falls beide Marken deckungsgleiche Strategien verfolgen und von den relevanten Zielgruppen als austauschbar wahrgenommen werden, so dass der Preis als einziger Wettbewerbsparameter verbleibt.

Die Aufgabe der strategischen Wettbewerbsabgrenzung stellt sich in zwei zen-tralen Bereichen: Zum ersten ist sie nötig für die Abgrenzung zu Wettbewerbs-marken anderer Unternehmen, um die Austauschbarkeit von Anbietern auf dem gleichen Markt zu vermeiden und eine ausreichend große Marktarena für das eigene Unternehmen sicherzustellen. Zum zweiten wird sie erforderlich für (Markenarti-kel-) Konzerne im Rahmen von Mehrmarkenstrategien . Ist ein Unternehmen mit mehreren Marken im Markt vertreten (bspw. der Unilever-Konzern mit den Marga-rinemarken Rama, Lätta und Becel), so sollen die unterschiedlichen Strategieprofile der Konzernmarken sicherstellen, dass sich diese durch unterschiedliche Ansätze der Marktbearbeitung nicht gegenseitig „kannibalisieren“.

Abbildung 4.28 verdeutlicht die Definition unterschiedlicher Strategieprofile anhand der beiden Automobilmarken Audi und Skoda innerhalb des Volkswagen-Konzerns. Beide Marken verfolgen die Strategie der Marktdurchdringung inner-halb ihres angestammten Teilmarktes, sind international tätig und besetzen jeweils für sich eine relativ klar umrissene Nische des gesamten Automobilmarktes. Audi versucht jedoch in erster Linie Wettbewerbsvorteile über die Produktqualität aufzu-

Abb. 4.28 Strategieprofile im Wettbewerbsvergleich (Bsp.: Audi vs. Skoda)

1. Definition Marktfeld

2. Geografische

Marktdefinition

3. Definition

Marktabdeckung

5. Definition

Markt-Timing

4. Definition

Wettbewerbsvorteil

Marktdurchdringung

Marktentwicklung

Produktentwicklung

Diversifikation

regional national

inter-national

Massenmarktstrategie

Marktsegmentierungsstrategie

Nischenstrategie

PionierFrüherFolger Später

Folger

Qualitätsführer-Strategie

Preisführer-Strategie

Strategieprofil Audi

Strategieprofil Skoda

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bauen („Vorsprung durch Technik“) und verfolgt bei technologischen Innovationen regelmäßig die Pionierstrategie (z. B. als erster Massenanbieter von Pkw mit Vier-radantrieb unter der Submarke Audi quattro). Skoda hingegen baut Wettbewerbs-vorteile v. a. auf der Preisseite auf und zeigt sich technologisch als Später Folger, der innovative Fahrzeugtechnologien i. d. R. dann anbietet, wenn sie sich bereits am breiten Markt etabliert haben.

Strategieprofile im Zeitverlauf Die hohe Dynamik auf vielen Märkten führt dazu, dass sich im Zeitverlauf auch die von Unternehmen verfolgten Strategien ändern. Diese Strategiedynamiken können sich aus einem radikalen Strategiewechsel des Unternehmens ergeben (z. B. die viel beachtete Neupositionierung der Kleidungsmarke Puma ). Sie können jedoch auch eher auf inkrementalen (also „kleinschrittigen“) Strategieänderungen beruhen, welche über einen längeren Zeitraum hinweg stattfinden (z. B. die allmähliche Ent-wicklung der Automarke Audi von einem Massen- zu einem Premium-Hersteller).

Veränderungen von Strategien im Zeitverlauf können zudem einerseits auf be-wusst geplanten Entscheidungen des Management über einen Strategiewechsel beruhen (Beispiel Puma). Sie können andererseits aber auch das Ergebnis einer vom Management gar nicht geplanten Entwicklung sein, bspw. als Ergebnis von marktgetriebenen Veränderungen. Dass sich z. B. der finnische Mischkonzern Nokia , der sich früher im Kerngeschäft u. a. mit Forstwirtschaft und Gummi-herstellung beschäftigte, im Laufe der Zeit zum größten Mobilfunkhersteller der Welt entwickeln würde, war für das Management des Unternehmens nicht plan- und absehbar. Der bekannte Managementtheoretiker Mintzberg unterscheidet vor diesem Hintergrund zwischen „deliberate strategies“ („beabsichtigten Strate-gien“) und „emergent strategies“ („emergenten Strategien“) (Mintzberg u. Waters 1985).

Veränderungen der verfolgten Strategie finden sich in der unternehmerischen Realität in allen relevanten Strategiedimensionen , wie folgende Beispiele ver-deutlichen:

• Definition des zentralen Wettbewerbsvorteils: Im Markt für Fertiggerichte hat sich die Tiefkühlmarke Frosta von einem Billighersteller (Strategie der Preisfüh-rerschaft) zu einer Premium-Marke (Strategie der Qualitätsführerschaft; „Frosta Reinheitsgebot“) entwickelt.

• Geografische Marktdefinition: Im Biermarkt hat sich die Flensburger Brauerei mit dem Flensburger Pilsener von einer norddeutschen Marke (regionale Markt-bearbeitung) zu einer gesamtdeutschen Marke (nationale Marktbearbeitung) entwickelt.

• Definition des Markt-Timings: Im Bereich der Unterhaltungselektronik hat sich Samsung von einem Billighersteller, der am Markt fest etablierte Produkte herstellt (Strategie des Späten Folgers) zu einer Premium-Marke mit technisch innovativen Produkten (Pionier-Strategie) entwickelt.

Auch zur Verdeutlichung strategischer Dynamiken kann die grafische Veran-schaulichung in Strategiediagrammen wertvolle Dienste leisten, insbesondere zur

4.4 Definition von Marketingstrategien

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Planung möglicher zukünftiger Stoßrichtungen für das eigene Unternehmen. Exem-plarisch findet sich der Strategiewechsel von Samsung in Abb. 4.29 dargestellt.

4.5 Strategierealisierung und -kontrolle

4.5.1 Bedeutung der Strategierealisierung und -kontrolle in der Unternehmenspraxis

Ist die Strategie des Unternehmens bzw. Geschäftsfelds definiert, müssen die durch die Strategie vorgegebenen groben Handlungsstoßrichtungen konkretisiert, in die Tat umgesetzt und die erzielten Ergebnisse überwacht werden. Damit sind die drei der Strategiedefinition folgenden Schritte umrissen:

• Definition von Marketing-Maßnahmen: Bestimmung von Maßnahmen, wel-che die festgelegte Strategie konkretisieren. Im Kern besteht die Aufgabe darin, den Marketing-Mix inhaltlich auszugestalten, also Produkt-, Preis, Kommunika-tions- und Vertriebspolitik zu bestimmen. Hat man sich in der Strategiedefinition z. B. für eine differenzierte Marktbearbeitung entschlossen, müssen anschlie-

Abb. 4.29 Strategieprofile im Zeitverlauf (Bsp.: Samsung Electronics)

1. Definition Marktfeld

2. Geografische

Marktdefinition

3. Definition Marktabdeckung

5. Definition

Markt-Timing

4. Definition Wettbewerbsvorteil

Marktdurchdringung

Marktentwicklung

Produktentwicklung

Diversifikation

regional national

inter-national

Massenmarktstrategie

Marktsegmentierungsstrategie

Nischenstrategie

PionierFrüherFolger Später

Folger

Qualitätsführer-Strategie

Preisführer-Strategie

Strategieprofil Samsung 1990

Strategieprofil Samsung 2009

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ßend für unterschiedliche Zielgruppen auch unterschiedliche Produktvarianten und Werbekampagnen entwickelt werden.

• Realisierung von Marketing-Maßnahmen: Die festgelegten Maßnahmen in den Bereichen Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Vertriebspolitik sind umzusetzen (z. B. die konkrete Durchführung einer geplanten Werbekampagne für eine bestimmte Zielgruppe).

• Kontrolle der Marketing-Ergebnisse: Die Ergebnisse der festgelegten Strate-gien und Maßnahmen sind zu überprüfen. Sofern sich die Kontrolle auf langfris-tige strategische Ziele bezieht, spricht man von strategischer Kontrolle (z. B. die Erreichung von Marktanteilszielen). Dreht sie sich um die Erreichung kurzfris-tiger operativer Ziele, spricht man von operativer Kontrolle (z. B. die Antwort-quote auf ein bestimmtes Kundenmailing).

Die letzte Phase des Marketingprozesses, die Kontrolle , ist rein „technisch“ rela-tiv unproblematisch; sie findet typischerweise in Form eines klassischen Soll-Ist-Vergleichs statt. Wichtig für eine effektive Kontrolle der Marketingergebnisse ist v. a. eine „operationale“ Formulierung der strategischen und operativen Marke-tingziele, damit deren Erreichung klar und eindeutig überprüft werden kann (s. Kap. 4.3.2).

Ergeben sich positive oder negative Abweichungen zwischen Zielsetzung und Ergebnis (wurde also z. B. das gesetzte Ziel für das Marktanteilswachstum oder die Antwortquote in einem Mailing nicht erreicht oder spürbar übertroffen), so ist eine Abweichungsanalyse vorzunehmen (Wöhe 2008, S. 165). Hauptziel der Ab-weichungsanalyse ist es, die Gründe für die Abweichung der Ergebnisse von der ursprünglichen Zielsetzung zu gewinnen. Die so gewonnenen Erkenntnisse hel-fen, bei zukünftigen Planungsprozessen gemachte Fehler zu vermeiden (falls die Gründe für die Zielabweichung im eigenen Unternehmen begründet lagen) und ein besseres Verständnis für die „Gesetze“ zu entwickeln, nach denen sich der eigene Markt verhält (falls die Gründe für die Zielabweichung in externen Faktoren be-gründet lagen).

Der Übergang vom strategischen Management (Strategiedefinition) zum opera-tiven Management (Definition und Realisierung von Marketing-Maßnahmen) ist hingegen in der unternehmerischen Praxis ein häufiges Problem. Generell stellt es eine der großen Herausforderungen der Unternehmensführung dar, zwischen den langfristigen strategischen Plänen des Unternehmens und dem operativen Alltag keinen „Bruch“ entstehen zu lassen. Diese Thematik wird daher im folgenden Ab-schnitt vertieft.

4.5.2 Techniken zur Strategierealisierung und -kontrolle

In vielen Unternehmen finden sich „Bruchstellen“ zwischen den langfristigen Stra-tegieplänen, die i. d. R. von der Unternehmensführung und ihnen zugeordneten Pla-nungsstäben erarbeitet werden, einerseits, und dem operativen „Unternehmensall-tag“ in den verschiedenen Unternehmensbereichen und -abteilungen andererseits.

4.5 Strategierealisierung und -kontrolle

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194 4 Strategisches Marketing

Diese „ Brüche “ in der unternehmerischen Planungskaskade „von oben nach unten“ liegen teilweise in organisatorischen Defiziten begründet (z. B. fehlende interne Informationsflüsse), teilweise in unternehmenskulturellen Faktoren (z. B. Misstrauen an der „Basis“ gegenüber Plänen von „denen da oben“).

Eine große Rolle spielt aber auch das Fehlen geeigneter Planungssysteme und -modelle, um den Transfer „vom Strategischen ins Operative“ herzustellen. Klassi-sche Instrumente zur Strategierealisierung sind v. a. folgende drei Ansätze:

• Planung im Gegenstromverfahren (die Top Down-Planung „von oben nach unten“ wird durch eine Bottom up-Planung „von unten nach oben“ ergänzt; Wöhe 2008)

• Budgetierungstechniken (die einzelnen Unternehmensbereiche und Abteilun-gen erhalten entsprechend der strategischen Pläne Finanz-, Personal- und Sach-mittel zugewiesen)

• Projekt- und Zeitplanungstechniken (Strategieumsetzung durch eine abge-stimmte Projekt- und Zeitplanung für untere Hierarchieebenen und einzelne Unternehmensbereiche)

Diese klassischen Tools zur Strategierealisierung reichen jedoch bei weitem nicht aus, um eine schlüssige Umsetzung der festgelegten Strategien „in alle Unterneh-mensbereiche hinein“ zu gewährleisten. Zudem sind sie – v. a. im Falle der Budge-tierung – unter heutigen Marktbedingungen zu starr und unflexibel, um eine ziel-orientierte Führung von Unternehmen in oft sehr dynamischen Märkten sicherzu-stellen (Pfläging 2006).

In den vergangenen Jahren hat sich in der Unternehmenspraxis ein Instrument sehr stark verbreitet, das den Prozess der unternehmensinternen Strategierealisie-rung und -kontrolle effektiv unterstützt, die Balanced Scorecard (BSC) (Kaplan u. Norton 1997). In der BSC spielen Kennzahlen eine zentrale Rolle. Das Grund-muster der BSC-Logik zeigt Abb. 4.30 auf.

Kennzahlen dienen in der BSC einerseits dazu, messbare Größen für die Errei-chung strategischer Ziele des Unternehmens zu formulieren und damit die Grund-lage für die strategische Kontrolle zu legen. Gleichzeitig dienen sie als Ausgangs-punkt zur Ableitung konkreter Maßnahmen der Strategierealisierung. Operative

Abb. 4.30 Grundlogik der Balanced Scorecard

MaßnahmeZielwertMaßgröße (Kennzahl)

Strategisches Ziel

Was möchten

wir erreichen?

Wie können wir

dasmessen?

Welchen Zielwert

streben wir an?

Was ist hierfür zu

tun?

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Maßnahmen sind demnach immer dann geeignet zur Strategierealisierung, wenn sie einen direkten oder indirekten Einfluss auf die jeweils definierte Strategie-Kenn-zahl haben.

In der klassischen BSC werden vier zentrale, miteinander verzahnte Strategie-bereiche betrachtet, welche insgesamt als hauptverantwortlich für den Erfolg eines Unternehmens angesehen werden (s. Abb. 4.31 ):

• Finanzen: Definition monetärer Ziele und Kennzahlen (z. B. Kapitalrendite) • Kunden: Definition kundenbezogener Ziele und Kennzahlen (z. B. Imageziele) • Interne Prozesse: Definition prozessbezogener Ziele und Kennzahlen (z. B.

Maximalwerte für Lieferzeiten) • Lernen und Entwicklung: Definition potenzialbezogener Ziele und Kennzah-

len (z. B. Ausbildungsziele für Mitarbeiter mit Kundenkontakt)

Diese vier zentralen Perspektiven beeinflussen sich gegenseitig bzw. bauen auf-einander auf. So wird die Erreichung kundenbezogener Ziele (z. B. Kundenzu-friedenheitsziele) als Voraussetzung für die Erreichung finanzieller Ziele (z. B. Umsatzziele) gesehen (Kaplan u. Norton 1997). Prägend für alle vier strategi-schen Zielbereiche ist dabei die Vision und Gesamtstrategie des Unternehmens. Im BMW-Konzern lautet diese strategische Vision etwa, „der weltweit führende Anbieter von Premium-Produkten und Premium-Dienstleistungen für individuelle Mobilität“ zu werden (BMW Group 2007). Aus dieser Vision leiten sich strategi-sche Ziele, Kennzahlen und Maßnahmenprogramme ab, welche in der BSC abge-bildet werden (s. Abb. 4.32 ). Die inhaltliche Herausforderung der BSC liegt darin, ein in sich schlüssiges System aus strategischen Zielen, Kennzahlen und Maßnah-men zu entwerfen, das die angestrebte langfristige Ausrichtung des Unternehmens adäquat widerspiegelt.

4.5 Strategierealisierung und -kontrolle

Abb. 4.31 Aufbau einer Balanced Scorecard (i. Anl. an Kaplan u. Norton 1997, S. 9, © 1997 Schäffer-Poeschel Verlag GmbH & Co. KG)

Maß-nahmen

Ziel-werte

Kenn-zahlen

Strate-gischeZiele

Kunden

Vision & Strategie

Maß-nahmen

Ziel-werte

Kenn-zahlen

Strate-gischeZiele

Finanzen

Maß-nahmen

Ziel-werte

Kenn-zahlen

Strate-gischeZiele

Lernen & Entwicklung

Maß-nahmen

Ziel-werte

Kenn-zahlen

Strate-gischeZiele

Prozesse

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196 4 Strategisches Marketing

Die BSC hat sich in den vergangenen Jahren in der Praxis schnell als Instrument zur Unterstützung der Strategierealisierung und -kontrolle etabliert. Vorteilhaft ist insbesondere der Zwang, sich systematisch mit den relevanten „Wirkgesetzen“ für den Unternehmenserfolg auseinanderzusetzen (Welche Maßnahme fördert welches strategische Ziel und wie lässt sich deren Zielbeitrag in Zahlen fassen?).

Der Einsatz der BSC ist jedoch keine Garantie für eine effektive Strategieum-setzung. Sie bietet lediglich ein Planungsraster und stellt den Planenden vor die Herausforderung, diese auch mit sinnvollen Inhalten zu füllen. Insbesondere der zentrale Schritt der konkreten Formulierung geeigneter Maßnahmen zur Strategie-realisierung wird durch das Instrument nicht unmittelbar unterstützt. Dennoch gilt: „Im Feld der Unternehmenssteuerung ist kein grundlegend neuer Ansatz am Hori-zont zu sehen, der in ähnlicher Weise die Probleme ‚Umsetzung von Strategien‘ und ‚Ausbalancieren monetärer und nicht-monetärer Ziele‘ so elegant und praxisorien-tiert lösen kann“ (Weber et al. 2006, S. 7). Die BSC kann daher aktuell und auf ab-sehbare Zeit als Planungsstandard im Bereich Strategierealisierung und -kontrolle gesehen werden.

Abb. 4.32 Ausschnitt einer Balanced Scorecard

MaßnahmeZielwertMaßgrößeStrateg. Ziel

Freistellung Mitarbeiter für Neuprodukt-entwicklung

Anteil von Leistungen jünger als 2 J. > 40%

Umsatzanteil neuer Produkte & Services

Image als Innovator

Preisargument in Kommunikation fokussieren

Nr. 1 bei > 50% der Kunden

Einstufung PLV durch Kunden (Befragung)

Führend in Preis-Leistungs-Verhältnis

Finanzielle Perspektive

usw.

Kundenperspektive

usw.

Randprodukte desinvestieren

15% SteigerungDiscountedFree Cash Flow

Cash Flow steigern

Kapitalbindung im Lager reduzieren

ROCE > 24%ROCE (Return on Capital Employed)

Kapitalrendite über Branchendurchschnitt

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4.6 Strategieimplementierung

4.6.1 Bedeutung der Strategieimplementierung

Die in den vorigen Abschnitten dieses Kapitels diskutierten Aufgaben der strate-gischen Analyse, der Definition von Zielen und Strategien sowie der Realisierung dieser Strategien und die Kontrolle der erzielten Ergebnisse lassen sich unter das Dach „Marketingplanung und -kontrolle“ fassen. Marketingplanung und -kontrolle dienen als das „Herz des Marketing“ dazu, die Inhalte des Marketing zu definieren. Planung und Kontrolle sind jedoch nur gedankliche Arbeit. Wenn die Marketingpla-nung „Durchschlagskraft“ im Unternehmen erhalten und dieses prägen soll, müssen auch die Strukturen und Prozesse des Unternehmens in die Marketingkonzeption einbezogen und gestaltet werden. Die marketinggerechte Gestaltung der unterneh-mensinternen Strukturen und Prozesse ist Aufgabe der Marketingimplementierung.

Obwohl Marketingtheoretiker i. d. R. den Anspruch erheben, mit dem Marke-ting eine Führungskonzeption für Unternehmen bereitzustellen, ist die Auseinan-dersetzung mit Themen der Marketingimplementierung bisher insgesamt noch ge-ring ausgeprägt (Oelsnitz 1999, Klee 2000), obwohl Implementierungsfragen einen Kernbereich der Unternehmensführung darstellen (Steinmann u. Schreyögg 2005). Bei der Implementierung des Marketing spielen insbesondere vier Handlungsberei-che eine Rolle:

• Organisation: Gestaltung der Organisationsstrukturen und -prozesse gemäß der Anforderungen des Marketing.

• Personalmanagement: Auswahl, Entwicklung und Selektion geeigneter Mit-arbeiter sowie die Schaffung der nötigen Anreizsysteme.

• Controlling-Systeme: Schaffung von Controlling-Methoden und -Architektu-ren, welche das Marketing in seinen Führungsaufgaben unterstützen.

• Unternehmenskultur: Gestaltung der „harten“ und „weichen“ Infrastruktur des Unternehmens, um so das Denken und Fühlen der Mitarbeiter an den Zielen des Marketing auszurichten.

Die folgenden Ausführungen zeigen in Grundzügen auf, welche Ansatzpunkte sich für die Implementierung des Marketing in Unternehmen ergeben.

4.6.2 Ansatzpunkte für die Strategieimplementierung

4.6.2.1 Organisation

Eine zentrale Aufgabe der Marketingimplementierung besteht darin, die Organisa-tion des Unternehmens „marketinggerecht“ zu gestalten. Die Marketing-Organisa-tion umfasst zwei grundlegende Aufgabenbereiche:

4.6 Strategieimplementierung

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198 4 Strategisches Marketing

• Aufbau-Organisation: Marketinggerechte Gestaltung der Unternehmensstruk-turen (z. B. Festlegung von Zuständigkeiten und Bildung von Abteilungen)

• Ablauf-Organisation: Marketinggerechte Gestaltung der relevanten Prozesse im Unternehmen (bspw. die Behandlung von Kundenbeschwerden)

Die fundamentalere der beiden Aufgaben, die Aufbau-Organisation, ist die Defini-tion der organisatorischen Stellung des Marketing im Gesamtaufbau des Unterneh-mens. Wenn Marketing als inhaltliche Leitlinie der gesamten Unternehmensführung verstanden wird (s. Kap. 1), dann lässt sich Marketing in dieser Perspektive zwar nicht in einer bestimmten Abteilung verorten, sondern hat das gesamte Unterneh-men in allen Bereichen zu prägen. Gleichzeitig hat das Marketing jedoch auch die Aufgabe einer Unternehmensfunktion, die „neben“ anderen Funktionen wie Pro-duktion, Personalmanagement oder Einkauf steht und die für eine marktorientierte Ausrichtung des Unternehmens Sorge zu tragen hat. Für diese funktionale Sicht des Marketing ist die Frage zu stellen, wo konkret im Unternehmen das Marketing zu verorten ist.

Für diese organisatorische Verortung des Marketing im Unternehmen eröffnen sich zwei Grundoptionen. Bei einer funktionalen Unternehmensorganisation ist das Marketing eine zentrale Funktion, welche in der Rolle eines internen Dienstleis-ters für sämtliche Sparten und Bereiche des Unternehmens Planungs- und Kontroll-aufgaben im Marketing wahrnimmt. Bei einer divisionalen Unternehmensorga-nisation (auch: „Sparten-Organisation“) ist das Unternehmen typischerweise nach Produktsparten in verschiedene, eigenständig operierende Geschäftsbereiche als „Unternehmen im Unternehmen“ gegliedert, die jeweils eigene Marketingabteilun-gen aufweisen. In der Praxis finden sich beide Organisationsformen des Marketing, wobei mit steigender Unternehmensgröße und Vielfalt des Produktangebots die Bedeutung der divisionalen Organisation zunimmt. Klassischerweise finden sich ebenfalls Mischformen in Gestalt einer zweidimensionalen Matrix-Organisation, welche funktionale und divisionale Strukturen kombiniert. Im komplexen, interna-tional agierenden Unternehmen finden sich teilweise auch dreidimensionale Orga-nisationsformen, in der neben einer Organisation nach Funktionen (incl. Marketing) und Produktsparten zusätzlich eine dritte Organisationsdimension nach Ländern eingerichtet wird („Tensor-Organisation“).

In der Praxis häufig zu findende Formen der Marketing-Organisation sind die beiden folgenden:

• Produkt-Management : Im Produkt-Management werden eigene Organisa-tionseinheiten geschaffen, welche (im Rahmen einer divisionalen Organisation) für bestimmte Produkte und Produktbereiche zuständig sind. Das Produktma-nagement spielt in großen Markenartikel-Konzernen eine bedeutende Rolle und ist als marketingorientiertes Organisationskonzept dort entwickelt worden. So gibt es bspw. im Unilever-Konzern im Bereich der gewerblichen Kunden einen „Produktmanager Saucen und Bindemittel“. Die Organisationsform des Produkt-management hat sich heute jedoch in nahezu allen Branchen durchgesetzt, auch im Investitionsgütermarketing.

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• Key Account Management : Das Key Account Management (KAM) beruht auf der Schaffung eigener organisatorischer Einheiten als zentrale Ansprech-partner für bestimmte, besonders wichtige Kunden(gruppen). Das KAM spielt eine große Rolle im Bereich von Business-to-Business-Geschäftsbeziehungen. Häufig findet man das KAM in großen Konsumgüterkonzernen, welche über das KAM stabile, kooperative Geschäftsbeziehungen zu den großen Handelsunter-nehmen wie EDEKA schaffen möchten. Einen bedeutenden Stellenwert hat das KAM zudem im Investitionsgütermarketing, wo ebenfalls einzelne Abnehmer für ein Unternehmen oft große Bedeutung haben (z. B. bei Zulieferern in der Kfz-Branche, die nur wenige Automobilkonzerne als Kunden haben).

Eine große und weiter zunehmende Bedeutung haben heute Organisationskonzepte, welche darauf ausgerichtet sind, in den oft sehr dynamischen Märkten die Flexi-bilität von Unternehmen sicherzustellen, so dass Unternehmen sehr schnell auf Marktveränderungen reagieren können (z. B. Pfläging 2006). Die Delegation, also die Übertragung von Entscheidungskompetenzen „von oben nach unten“, d. h. von Führungskräften an Mitarbeiter spielt in diesem Zusammenhang eine große Rol-le. Prominentes Beispiel ist das Internet-Unternehmen Google , wo die Entwickler 20% ihrer Arbeitszeit auf Projekte verwenden dürfen, die sie selbst ausgewählt ha-ben. Das Unternehmen versucht so, „eng am Markt“ zu bleiben, indem langwierige interne Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse über die Ausrichtung der Ent-wicklungsschwerpunkte des Unternehmens vermieden werden.

4.6.2.2 Personalmanagement

Eine weitere wichtige Aufgabe der Marketingimplementierung liegt im Bereich Personalmanagement. Die Effektivität des Marketing hängt an vielen Stellen von den Mitarbeitern des Unternehmens ab; diese müssen daher in das Marketing ein-bezogen werden. Grundsätzlich ergeben sich Bezüge zwischen Marketing und Per-sonalmanagement im gesamten Unternehmen. Besonders wichtig ist ein marketing-orientiertes Personalmanagement jedoch v. a. in Bereichen, in denen es zu direktem Kontakt zwischen Mitarbeiter und Kunden kommt (Vertrieb, Beratung, Hotlines etc.). Ganz außerordentliche Bedeutung hat der Faktor Personal in Dienstleistungs-branchen, wo die Interaktion zwischen Mitarbeiter und Kunde Teil der unterneh-merischen Leistung, also des Produktes ist (z. B. bei Banken, Versicherungen oder im Tourismus). Das Personalmanagement ist hier einer der wichtigsten Faktoren, der die Qualität der Unternehmens(dienst)leistungen beeinflusst (s. Kap. 11). Die Verknüpfung zwischen den Bereichen Marketing und Personal wird auch durch em-pirische Studien belegt, welche einen positiven Zusammenhang zwischen Mitarbei-terzufriedenheit und Kundenzufriedenheit nachweisen konnten (z. B. Homburg u. Stock 2004).

Aus der Erkenntnis über die hohe Bedeutung des Personals für das Marketing heraus ist das Konzept des internen Marketing entstanden (Stauss 2000). Das

4.6 Strategieimplementierung

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200 4 Strategisches Marketing

interne Marketing überträgt Grundgedanken des externen, kundengerichteten Mar-keting auf die interne Zielgruppe der Mitarbeiter. Es umfasst ebenso wie das externe Marketing eine strategische Ebene und eine operative Ebene.

Im Rahmen des strategischen internen Marketing spielt in erster Linie die „interne Marktsegmentierung“ eine große Rolle, das interne Pendant zur Strategie der differenzierten Marktbearbeitung auf den Absatzmärkten des Unternehmens (s. Kap. 4.4.4). Demgemäß sind unternehmensintern verschiedene Zielgruppen zu identifizieren und mit jeweils unterschiedlichen internen Marketingprogrammen anzusprechen. So gibt es in größeren Konzernen oft unterschiedliche Mitarbeiter-zeitungen für leitendes und für ausführendes Personal, in denen dieses jeweils u. a. über marketingrelevante Aspekte informiert wird.

Das operative interne Marketing verfügt über einen „Instrumentenkasten“, der sich in drei Handlungsfelder aufgliedern lässt (Stauss 2000):

• Absatzmarktorientierter Einsatz personalpolitischer Instrumente • Absatzmarktorientierter Einsatz interner Kommunikation • Personalorientierter Einsatz externer Marketing-Instrumente

Beim absatzmarktorientierten Einsatz personalpolitischer Instrumente geht es darum, die klassischen Instrumente des Personalmanagement so auszugestalten, dass sie den Anforderungen des Marketing gerecht werden. Die folgenden Ansatz-punkte spielen dabei meist die wichtigste Rolle:

• Personalselektion: Auswahl von geeignetem Personal mit den nötigen Fähigkei-ten, Fertigkeiten und Motivationsstrukturen (bei einem Hotline-Mitarbeiter z. B. eine kundenorientierte „Service-Mentalität“).

• Personalentwicklung: Aufbau marketingrelevanter Fähigkeiten und Fertigkeiten durch Maßnahmen der Aus-, Fort- und Weiterbildung (bei einem Hotline-Mit-arbeiter z. B. die Schulung kommunikativer Kompetenzen zum Umgang mit Anrufern).

• Mitarbeiterführung: Marketing(ziel)orientierte Verhaltenssteuerung von Mit-arbeitern durch Vorgesetzte (etwa durch ein „Management by Objectives“, das bspw. einem Hotline-Mitarbeiter lediglich zu erreichende Kundenzufriedenheits-ziele vorgibt und ihm weit gehende Freiräume in seinem Verhalten gewährt)

• Gestaltung der Anreizsysteme: Schaffung marketingorientierter materieller und immaterieller Anreize für Mitarbeiter (z. B. die Gewährung von Gehalts-Boni und Auszeichnungen als „Mitarbeiter des Monats“ für Hotline-Mitarbeiter mit besonders hohen Kundenzufriedenheitsquoten).

Der absatzmarktorientierte Einsatz interner Kommunikationsinstrumente ist analog zur externen Marketingkommunikation (Werbung usw.) darauf ausgerichtet, eine Beeinflussung der angesprochenen Zielgruppen zu erreichen. Im Gegensatz zur externen Marketingkommunikation geht es jedoch nicht darum, Kunden zu er-reichen, sondern das Denken, Fühlen und Verhalten der eigenen Mitarbeiter so zu beeinflussen, dass es sich an den Marketingzielen des Unternehmens ausrichtet. Eingesetzt werden hierfür zum einen Instrumente der Individualkommunikation (z. B. interne Mailings, Gehaltsbeileger oder Mitarbeitergespräche, welche die

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Kundenorientierung der Mitarbeiter fördern sollen). Daneben lassen sich zum ande-ren auch Instrumente der internen Massenkommunikation effektiv einsetzen, etwa Betriebsversammlungen, schwarze Bretter, Intranet oder Mitarbeiterzeitschriften, bspw. um besonders kundenorientierte Mitarbeiter auszuzeichnen und so das Mar-keting-Bewusstsein der Mitarbeiter zu fördern.

Beim personalorientierten Einsatz externer Marketing-Instrumente schließ-lich geht es darum, im Rahmen der eigentlich absatzmarktgerichteten Marketing-Maßnahmen „Nebeneffekte“ auf die Mitarbeiter zu berücksichtigen und systema-tisch zu nutzen. Hier spielen v. a. Maßnahmen der Marketingkommunikation eine Rolle. So werden bspw. Werbeanzeigen nicht nur von Kunden, sondern auch von den eigenen Mitarbeitern gelesen. Die Airline Cathay Pacific etwa bildete in Wer-beanzeigen eine namentlich genannte Stewardess (Grace Hetherington) ab, die sich mit ihren Worten an den Leser wandte: „ Service straight from the heart heißt für mich: das Beste geben. Weil es mir genauso viel Freude macht wie unseren Kun-den.“ Eine derartige Gestaltung der Kommunikation wirkt nicht nur auf Kunden, sondern kann auch erheblichen Einfluss darauf entfalten, wie Mitarbeiter des Unter-nehmens ihre eigene Rolle definieren und deren Verhalten gegenüber Kunden we-sentlich prägen.

4.6.2.3 Controlling-Systeme

Die Installierung geeigneter Controlling-Systeme zählt ebenfalls zu den Kernauf-gaben der Marketing-Implementierung. Die Aufgaben des Controlling generell werden oft mit Kontrolltätigkeiten assoziiert, die auf der Bereitstellung und Aus-wertung von Kostenrechnungsdaten für konkrete, kurzfristige Entscheidungen be-ruhen, bspw. die Berechnung der Rentabilität bestimmter Produkte im aktuellen Geschäftsjahr. Derartige Aufgaben spielen in der Tat eine wichtige Rolle im Cont-rolling. Der Aufgabenbereich des Controlling hat sich jedoch in der Vergangenheit aufgrund der sehr viel komplexeren Management-Herausforderungen stark erwei-tert. Controlling wird heute im Allgemeinen als umfassendes System der Führungs-unterstützung verstanden, dessen Aufgabenbereich sehr umfassend und sehr viel-fältig ist (Weber 2005; Horváth 2008). Wird Controlling allgemein verstanden als zielorientierte Unterstützung der Unternehmensführung (Reichmann 2006, S. 13), so kann Marketing-Controlling interpretiert werden als die zielorientierte Unter-stützung der Unternehmensführung im Hinblick auf die zentrale Management-Auf-gabe, das Unternehmen an den Anforderungen von Markt und Stakeholdern auszu-richten. Dieses Verständnis des (Marketing-) Controlling lässt sich in drei Leitlinien fassen:

• Marketing-Controlling betrifft nicht nur Kontroll-Aktvitäten, sondern den gesamten Management-Prozess und damit grundsätzlich alle Bereiche der Planung, des Informationsmanagement und der Implementierung. Angesichts der hohen Flopraten bei Neuprodukteinführungen im Konsumgüterbereich liegt bspw. eine zentrale Aufgabe des Marketing-Controlling darin, den gesamten Pro-

4.6 Strategieimplementierung

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zess der Neuproduktentwicklung so zu unterstützen, dass die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns von (kostenintensiven) Neuprodukteinführungen am Markt mini-miert wird, z. B. durch geeignete Testmarkt-Instrumente.

• Marketing-Controlling umfasst nicht nur den Umgang mit Zahlen, sondern das gesamte Spektrum managementrelevanter Informationen . Dies umschließt zum einen „harte“ Fakten u. a. aus dem Rechnungswesen, etwa in Gestalt von Produkt- oder Kunden-Deckungsbeitragsrechnungen, welche den wirtschaftli-chen Erfolgsbeitrag einzelner Produkte oder Kunden aufzeigen. Daneben spielen zum anderen auch „weiche“ Fakten eine bedeutende Rolle. Für ein Lifestyle-Unternehmen wie Puma gehört es zu den bedeutendsten Controlling-Aufgaben, die Wahrnehmung der Marke durch Kunden oder die Entwicklung von persön-lichen Werten und psychologischen Charakteristika der wichtigsten Trend-Ziel-gruppen zu überwachen.

• Marketing-Controlling beschäftigt sich nicht nur mit operativen „Alltagsfragen“ der Unternehmensführung, sondern umfasst alle Hierarchieebenen der Pla-nung bzw. des Management. Neben operativen Controlling-Aufgaben wie der Berechnung von Deckungsbeiträgen für einzelne Produkte, Kunden oder Ver-triebskanäle spielt auch das strategische Controlling eine immer größere Rolle, das die strategische Unternehmensplanung unterstützt. Die Balanced Scorecard als Instrument der Strategieumsetzung im Unternehmen ist ein Beispiel für ein in der Praxis heute sehr häufig genutztes Instrument im Bereich des strategischen Controlling (s. Kap. 4.5.2).

Die konkrete Ausgestaltung von Marketing-Controlling-Systemen für bestimmte Unternehmen hängt von verschiedenen situativen Faktoren ab, u. a. von Branche, Unternehmensgröße, Strategie und Kultur des Unternehmens. Für eine Fashion-Marke wie adidas gehört die Beobachtung von Kleidungs- und Lifestyle-Trends bei Trendsettern zu den zentralen Aufgaben des Marketing-Controlling. In einem Discount-Unternehmen wie Aldi, dessen zentraler Wettbewerbsvorteil auf niedri-gen Preisen beruht, gehört die laufende Kostenüberwachung zu den dominanten Kernaufgaben eines Marketing-Controlling. Bei einem Energieversorger wie E.ON wiederum, der Elektrizität u. a. aus der kontrovers diskutierten Kernkraft gewinnt, stellt die Überwachung gesellschaftlicher und politischer Trends im Bereich Öko-logie/Umwelt eine sehr wichtige Aufgabe des Marketing-Controlling dar. Die Bei-spiele verdeutlichen, dass die Schwerpunkte und konkreten Ausgestaltungsformen eines Marketing-Controlling-Systems nur vor dem Hintergrund der Ausgangslage des jeweiligen Unternehmens bestimmt werden können. Unabhängig von der kon-kreten Unternehmenssituation und -strategie gilt jedoch, dass das Marketing-Cont-rolling aufgrund der komplexeren und verschärften Markt- und Wettbewerbsbedin-gungen als Unterstützungsfunktion des Management stark an Bedeutung gewonnen hat und weiter gewinnt.

4.6.2.4 Unternehmenskultur und Corporate Identity

Ein vierter und sehr zentraler Punkt der Marketingimplementierung ist die marke-tinggerechte Gestaltung der Unternehmenskultur (Klee u. Stahl 2001). Die Unter-

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nehmenskultur kann charakterisiert werden als das System gemeinsamer Denk-, Fühl- und Verhaltensweisen der Mitglieder einer Organisation, das aus der Mit-gliedschaft in der betreffenden Organisation heraus entstanden ist (Schein 2004). So gibt es bspw. Unternehmen mit konservativen Kulturen, in denen traditionelle Werte wie Disziplin, Zuverlässigkeit, Gehorsam usw. eine große Rolle spielen (rela-tiv häufig z. B. bei Banken und Versicherern). Daneben existieren aber auch Unter-nehmen mit „jungen“ Kulturen, in denen viele Mitarbeiter ganz anderen Werten eine hohe Bedeutung beimessen (z. B. Kreativität und konstruktive Kritik) und sich entsprechend verhalten (häufig z. B. bei Werbeagenturen oder IT-Unternehmen).

Die Entwicklung der Kultur eines Unternehmens verläuft meist in einem „schleichenden“, evolutorischen Prozess über einen längeren Zeitraum und ist den Mitarbeitern zu großen Teilen unbewusst. Die Kultur hat zudem ein relativ hohes Beharrungsvermögen und ist i. d. R. nicht innerhalb kurzer Zeit radikal veränderbar. Die Kultur eines Unternehmens hat jedoch meist eine außerordentlich hohe Wirkung auf jegliches Verhalten der Mitarbeiter. Der Versuch, die Entwicklung der Unterneh-menskultur so zu steuern, dass diese die Erreichung der Marketingziele des Unterneh-mens fördert, muss daher im Regelfall einen zentralen Ansatzpunkt der Marketing-implementierung darstellen. Ein Marketingprogramm, das der Unternehmenskultur zuwiderläuft, läuft ein sehr hohes Risiko zu scheitern (z. B. eine kundenorientierte Positionierung der Deutschen Telekom in der Werbung, wenn ein Großteil der Mit-arbeiter an der Kunden-Hotline des Unternehmen weder die Fachkompetenz noch die Motivation hat, ernsthaft auf Kundenanliegen einzugehen).

Zur Gestaltung der Unternehmenskultur ergeben sich zwei zentrale Stoßrich-tungen: Zum einen kann durch ein „symbolisches Management“ explizit versucht werden, den Mitarbeitern zu vermitteln, welche Werte dem Unternehmen wichtig sind (s. a. Box 4.2). Der Vorstandsvorsitzende der Porsche AG Wiedeking hat sich bspw. persönlich mit Privatkunden des Unternehmens getroffen, die im Rahmen eines Autokaufs bei dem Unternehmen negative Erfahrungen gemacht hatten. Der-artige Handlungen verdeutlichen auf symbolische Weise allen Mitarbeitern des Unternehmens, welchen Stellenwert der Kundenorientierung beigemessen wird. Zum anderen kann die gesamte Infrastruktur des Unternehmens genutzt werden, um dessen Kultur zu steuern. Die Gestaltung von Organisation, Personalmanagement und Controlling-Systemen dient dann nicht nur dazu, z. B. organisatorische Sach-probleme zu lösen, sondern auch das Denken, Fühlen und Handeln der Mitarbeiter zu prägen. Wenn z. B. im Unternehmen ein Key Account Management (s. o.) ein-gerichtet wird, das die Strukturen des Unternehmens um dessen Kunden zentriert, wird damit nicht nur ein Organisationsproblem gelöst, sondern (unbewusst) auch das Denken, Fühlen und Handeln der Mitarbeiter kundenorientiert beeinflusst. In den Hotels des Ritz-Carlton -Konzerns in den USA hat jeder Mitarbeiter die Voll-macht, ohne Rücksprache mit Vorgesetzten zur Lösung von Kundenproblemen bis zu $2.000 aufzuwenden, um einen Gast zufrieden zu stellen. Derartige personal-politische Regelungen schaffen nicht nur rein sachliche Lösungen für Kundenpro-bleme, sondern tragen ganz erheblich dazu bei, eine kundenorientierte Dienstleis-tungs-Kultur im gesamten Unternehmen zu verankern.

Ein wichtiger strategischer Ansatz zur Gestaltung der Unternehmenskultur ist die Corporate Identity-Strategie (CI-Strategie). Die CI-Strategie ist ein systema-

4.6 Strategieimplementierung

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204 4 Strategisches Marketing

tisches Handlungsprogramm zur Gestaltung und Kommunikation der „Persönlich-keit“ einer Unternehmung. Analog zur Persönlichkeit eines Menschens beantwortet die CI-Strategie für ein Unternehmen die Frage „Wer bin ich und wofür stehe ich?“. Die CI-Strategie lässt sich in drei aufeinander aufbauende Aufgabenfelder unter-gliedern: Identitätsfindung, Identitätsgestaltung und Identitätsvermittlung (Wied-mann 1996).

Im Rahmen der Identitätsfindung besteht die Aufgabe darin, die aktuelle Iden-tität des Unternehmens zu bestimmen. Da Selbst- und Fremdwahrnehmung hier erheblich auseinanderklaffen können, liegt eine große Herausforderung darin, ein „wahres“ Bild der Unternehmensidentität zu gewinnen. Wesentlich ist hier die Be-stimmung der Unternehmensphilosophie. Die Philosophie eines Unternehmens kennzeichnet das im Unternehmen vorherrschende Wertesystem, d. h. wie ein Unternehmen zur Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung steht, wie es mit seinen Kunden und Geschäftspartnern umzugehen gedenkt, welches Menschenbild den Umgang mit Mitarbeitern prägt usw. Die Unternehmensphilosophie stellt damit quasi das „Herz“ der Unternehmenskultur dar.

Im Anschluss an die Identitätsfindung stellt sich die Aufgabe der Identitätsge-sta l tung , da die Ist-Identität in den seltensten Fällen den erwünschten Soll-Zustand darstellt. Welche Ansatzpunkte sich zur Gestaltung der Unternehmenskultur und damit der Unternehmensidentität ergeben, skizzierte der vorige Abschnitt. Der di-rekteste Weg zur Gestaltung der Unternehmensphilosophie ist die schriftliche For-mulierung der zentralen Werte, die das Unternehmen prägen sollen, in Gestalt von sog. Unternehmensgrundsätzen (s. Abb. 4.33 ).

Der dritte logische Schritt der CI-Strategie liegt in der Identitätsvermittlung . Deren Aufgabe ist es, die zuvor definierte Soll-Identität nach außen (an Kunden, Öffentlichkeit usw.) und nach innen (an Mitarbeiter, Betriebsrat usw.) zu kommuni-zieren. Hierfür gibt es drei klassische Ansatzpunkte, den sog. CI-Mix:

• Corporate Behavior : Identitätsvermittlung durch in sich schlüssige und wider-spruchsfreie Ausrichtung aller Verhaltensweisen der Unternehmensmit-glieder (z. B. durch „Vorbildverhalten“ des Vorstands).

Box 4.2 Gestaltung der Unternehmenskultur bei der SBK (Quelle: Leendertse 2008)

Um der Belegschaft zu zeigen, wie wichtig guter Service ist, gehen bei der Siemens-Betriebskrankenkasse [SBK] Führungskräfte in Sachen Kunden-orientierung mit gutem Beispiel voran. Wenn es gilt, die Gründe einer Kündi-gung zu erfahren, rufen SBK-Vorstandschef Hans Unterhuber und sein Füh-rungskader Abtrünnige selbst an. In elf Prozent der Fälle schaffen sie es gar, die Kündigung rückgängig zu machen. Auch auf Beschwerdemails (…) ant-worten die SBK-Chefs stets selbst und diskutieren alle zwei Monate mit den Mitarbeitern des Beschwerdemanagements Lerneffekte aus dem Monierten.

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• Corporate Communications : Identitätsvermittlung durch systematisch aufeinan-der abgestimmten Einsatz aller Kommunikationsinstrumente (z. B. direkt durch Image-Kampagnen).

• Corporate Design : Symbolische Identitätsvermittlung durch systematisch auf-einander abgestimmten Einsatz aller visuellen Elemente der Unternehmens-erscheinung (Architektur, Logo, Schriftarten, Kleidung usw.).

4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools “

1. Unternehmen und Markt Unternehmen und Historie Im Jahr 1886 gründete Robert Bosch (1861–1942) das Unternehmen „Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik“ in Stuttgart. Dort wurden von zunächst zwei Mitarbeitern elektronische Geräte wie Telefonanlagen

Abb. 4.33 Unternehmensgrundsätze des Unilever -Konzerns (Auszüge) (Quelle: www.unilever.de)

4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools “

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206 4 Strategisches Marketing

hergestellt und installiert. Im Jahr 1887 stellte Bosch einen Magnetzündapparat her und konnte durch dessen technische Verbesserung erste wirtschaftliche Erfolge verzeichnen. Als Bosch zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Weg in die Kraftfahr-zeugtechnik einschlug, erlebte das Unternehmen durch den Erfolg des Automobils einen starken Aufschwung. Das Wachstum des Unternehmens hat sich seit Grün-dung – mit Schwächephasen in der Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre sowie während des Zweiten Weltkriegs – recht kontinuierlich fortgesetzt. Im Jahr 1959 wurde begonnen, das Unternehmen in strategische Geschäftsfelder zu gliedern (s. Kap. 4.1.2). Die Sparte Elektrowerkzeuge wurde 1960 gegründet und firmiert heute als Bosch Power Tools (BPT) (Bosch 2007).

Nach 1990 verstärkte Bosch seine internationalen Aktivitäten. Die Öffnung der osteuropäischen Märkte, das starke Wachstum asiatischer Wirtschaftsräume und die weltweite Vernetzung von Entwicklung, Produktion und Vertrieb prägten und prägen das Unternehmen. Heute ist Bosch ein internationales und in vielen Berei-chen führendes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen. Die Bosch-Gruppe umfasst die Robert Bosch GmbH und ihre rund 300 Tochter- und Regionalgesell-schaften in mehr als 50 Ländern. Mit Kraftfahrzeug- und Industrietechnik sowie Gebrauchsgütern und Gebäudetechnik erwirtschafteten rund 271.000 Mitarbeiter im Geschäftsjahr 2007 einen Umsatz von €46,3 Mrd. Im Stammland Deutsch-land werden noch ca. 25% des Umsatzes erwirtschaftet. Der Gesamtumsatz von €46,3 Mrd. verteilte sich im Jahr 2007 zu 66% auf Europa, 18% auf Amerika und 16% auf Asien und sonstige Länder.

Zahlen und Fakten Tabelle 4.1 gibt einen Überblick über relevante Kennzahlen des Bosch-Konzerns. Die positive Unternehmensentwicklung in den vergangenen Jahren schlägt sich sichtbar in zentralen Erfolgskennziffern nieder.

Der Geschäftsbereich Bosch Power Tools Von den €11,7 Mrd. Umsatz im Jahr 2007 in der Gebrauchsgüter- und Gebäudetechniksparte des Bosch-Konzerns ent-fallen €3,1 Mrd. auf das Geschäftsfeld Elektrowerkzeug und Zubehör. Der Bereich ist in fünf Produktfeldern tätig: handgehaltene Elektrowerkzeuge, Stationärgeräte, Zubehör, Elektrogartengeräte sowie Messwerkzeuge. Mit diesen Werkzeugen bediente BPT zunächst nur professionelle Verwender, seit den 1970er Jahren auch Privatkunden („Do it yourself-Markt“). Die Unternehmensmarke Bosch ist die Hauptmarke des Geschäftsfelds, daneben gibt es die Zweitmarken Skil und Dremel. In dem Geschäftsbereich BPT arbeiten rund 16.000 Mitarbeiter des Konzerns.

BPT gehört zu den weltweit führenden Unternehmen in der Branche. Bei hand-gehaltenen Elektrowerkzeugen sowie Elektrowerkzeuge-Zubehör ist BPT Welt-marktführer, in den übrigen Produktsegmenten hat man jeweils zumindest starke Marktpositionen inne. Dem Umsatz nach liegt BPT in diesem Geschäftsbereich etwa gleichauf mit dem Hauptwettbewerber Black & Decker, der mit Elektrowerk-zeugen und Zubehör etwa $5 Mrd. umsetzt (2007). In einigen Segmenten des Hand-werker-Marktes (Bohren/Meißeln; Messwerkzeuge) stellt auch Hilti einen zentra-len Wettbewerber dar. Weitere Mitbewerber wie Metabo, AEG oder Fein befinden größenmäßig sich weit hinter Bosch.

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2. Strategische Herausforderungen für Bosch Power Tools Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre geriet der Markt für Elektrowerk-zeuge und damit auch BPT in eine schwierige Marktsituation . Gründe dafür waren zum einen die schwache Weltkonjunktur, die Anschläge des 11. Septembers 2001 sowie rückläufige Entwicklungen in der Baubranche. Vor allem aber hatten die Mar-kenhersteller wie BPT mit Anbietern aus Fernost zu kämpfen, die den europäischen Markt mit sehr preisgünstigen Elektrowerkzeugen überschwemmten. Zwar sind diese Produkte meist von minderer Qualität und haben keine lange Lebensdauer. Dennoch übten sie einen enormen Preisdruck aus und führten zu einem Preisver-fall in der Branche. In dieser Zeit bildete sich aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage bei vielen Konsumenten die sprichwörtliche „Geiz-ist-Geil“ Mentalität. Dies hatte auch Konsequenzen für die Vertriebswege. Werkzeuge wurden von Heimwer-kern nicht mehr nur in Baummärkten gekauft, sondern auch bei Discountern und in anderen Geschäften. Diese gehörten nicht zu den traditionellen Vertriebskanälen für BPT. Ähnliches galt für die gewerblichen Handwerker, die ihr Arbeitswerkzeug nicht mehr ausschließlich im Fachhandel, sondern zunehmend auch im Direktver-trieb der Hersteller bezogen.

Das hatte zur Folge, dass zwar vom Jahr 2002 auf das Jahr 2003 im deutschen Elektrowerkzeugmarkt die Anzahl an verkauften Werkzeugen um 1% auf 12 Mio. Stück zunahm, dabei aber gleichzeitige das wertmäßige Marktvolumen um 11% auf €513 Mio. zurückging (o.V. 2004a; s. Abb. 4.34 ). Auf dem Weltmarkt zeigte sich das gleiche Phänomen: Einem leichten Anstieg der Absatzzahlen auf 131 Mio. verkaufte Werkzeuge stand (vor Währungseffekten) ein deutlicher Umsatzrückgang von 11% auf €7,1 Mrd. gegenüber (o.V. 2004b). Auch BPT hatte Umsatzverluste zu verzeichnen. Der BPT-Umsatz lag 2003 bei €2,4 Mrd., währungsbereinigt ein Minus von 2% gegenüber dem Vorjahr.

Tab. 4.1 Zentrale Kennzahlen der Bosch Unternehmensgruppe (Quelle: Bosch 2008) 2003 a 2005 b 2007

Umsatz [€ Mio.] 36.357 41.461 46.320

Anteil außerhalb Deutschlands [%] 71 73 75

Mitarbeiter im Jahresmittel [Tsd.] 229 249 271

- davon in Deutschland 105 110 112

- davon außerhalb Deutschlands 124 139 159

Forschungs- und Entwicklungsauf-wandc [€ Mio.]

2.650 3.073 3.583

Ergebnis nach Steuern [€ Mio.] 1.100 2.450 2.850

a Zahlen gemäß HGB-Rechnungslegung b Bis auf Ergebnis nach Steuern nur fortgeführte Bereiche c Einschließlich an Kunden direkt weiterverrechnete Entwicklungsleistungen

4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools “

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3. Festlegung der Marketingstrategie für Bosch Power Tools BPT reagierte auf die schwierige Marktsituation mit Veränderungen in drei Feldern der Kundenstrategie.

Strategie der Marktentwicklung: Erschließung neuer Nutzergruppen Eine der Stoßrichtungen der BPT-Strategie war es, neue Zielgruppen für das Produktan-gebot zu erschließen und so Umsatzverluste abzufedern (Strategie der Marktent-wicklung; s. Kap 4.4.2.3). Man hatte beobachtet, dass sich im Heimwerkersegment das typische Bild des Heimwerkers verändert. Das Streben nach Individualität im Lebensstil schlägt sich auch in der Wohnraumgestaltung nieder. Es gibt immer mehr Menschen, die beim Einrichten und Renovieren selbst zum Werkzeug grei-fen. Vor allem waren diese Heimwerker nicht mehr überwiegend Männer, die Zahl der heimwerkenden Frauen nahm stark zu. Ebenso entdeckte die junge Generation das Heimwerken für sich. Die BPT Elektrowerkzeuge galten zu diesem Zeitpunkt zwar als ausgreift und solide, hatten aber eher ein konservatives Image, passend zu der Zielgruppe der heimwerkenden Männer. Nicht nur die Marketing-Kommunika-tion war auf diese Klientel ausgerichtet, sondern auch das Design und die (geringe) Handlichkeit der Werkzeuge.

Mit einer neuen Gestaltungslinie für Produkte, Verpackung und Kommuni-kation richtet sich BPT an diese „neuen Heimwerker“, ohne die traditionelle Ziel-gruppe aus den Augen zu verlieren. Zu den Maßnahmen zählen ein innovatives Verpackungskonzept und die außergewöhnliche Gestaltung der Produkte. Bisher wurden in der Kategorie Elektrowerkzeuge die Produkte in Kunststoff-Koffern oder Kartonschachteln verkauft. Die Verpackung diente nur dem Transport und der Auf-bewahrung. Für den Akkuschrauber Ixo bspw. entwickelte BPT hingegen ein neues

Abb. 4.34 Entwicklung des Marktes für Elektrowerkzeuge

Menge (Stück)

12 Mio.

+ 1%

Umsatz (€)

513 Mio.

–11%

2002 2002 2003 2003

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Verpackungskonzept. Das Gerät ist in einer Art Keksdose verpackt, was wesentlich interessanter und frischer wirkt, als alle andere Verpackungsarten der Konkurrenz (s. Abb. 4.35 ).

Zudem gibt es den Ixo in unterschiedlicher Aufmachung zu verschiedenen An-lässen: von Ostern über den Valentinstag bis hin zu einer Weihnachtsedition.

Auch wird speziell in Frauenzeitschriften für den IXO geworben und es gab spezielle PR Kampagnen, die sich auf die neue Zielgruppe der Frauen bezogen. Das Produkt vermittelt mit seinem Design, seiner Ergonomie, seinem leichten Gewicht und seiner Verpackung für jedermann geeignet zu sein. Ein optisch leichteres und moderneres Design spricht insbesondere jüngere Heimwerker-Zielgruppen an.

Ausbau und Kommunikation der zentralen Wettbewerbsvorteile Ein zentraler Ankerpunkt der BPT-Strategie lag zudem darin, die traditionellen Wettbewerbs-vorteile der Marke v. a. gegenüber den Discount-Wettbewerbsmarken noch weiter auszubauen und auch klarer als bisher zu kommunizieren. Im Gegensatz zur Billig-Konkurrenz aus asiatischer Produktion verfolgte BPT mit hoher Konsequenz eine Strategie der Qualitätsführerschaft (s. Kap. 4.4.5). Für Kunden relevante Wettbe-werbsvorteile baute Bosch in den beiden Kernbereichen „Funktionsqualität“ und „Service“ (s. Kap. 4.4.5.2) auf.

Mit Blick auf die Funktionsqualität der Produkte richtete BPT Produktentwick-lung und Kommunikation noch konsequenter als zuvor auf die überlegene technische Qualität aus. Qualität bedeutet nach der Interpretation von BPT mehr als Leistung, Lebensdauer oder gute Arbeitsergebnisse. BPT vermittelt seinen Kunden, dass für sie auch die mechanische und elektrische Sicherheit sowie funktionale Eigenschaf-ten wie Vielseitigkeit, einfache Bedienung und Leistungsreserve wichtig sind. Dies wird mit Bestwerten in den Bereichen Verarbeitung, Haltbarkeit, Umweltbelastung und Übereinstimmung mit Vorschriften und Normen belegt. Bosch-Geräte unter-scheiden sich auch in den hohen Sicherheitsstandards von den Produkten anderer Unternehmen der Branche. So hat BPT als erstes Unternehmen Kühlflächen in die Akkus seiner Elektrowerkzeuge eingebaut, um eine Überhitzung zu vermeiden. Die Qualitätsstrategie schafft dem Unternehmen erhebliche Wettbewerbsvorteile, die

Abb. 4.35 Bosch-Akkuschrauber Ixo mit Verpackung (Quelle: www.bosch.com.au)

4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools “

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210 4 Strategisches Marketing

sich auch in (fehlenden) Rückrufaktionen der Produkte widerspiegeln. Während Metabo und Black & Decker im Jahr 2006 bzw. 2002 aufgrund mangelhafter Pro-dukte Rückrufaktionen durchführen und aufgrund dessen Gewinneinbußen verbu-chen mussten, waren bei BPT keine derartigen Aktionen nötig.

BPT kommuniziert, dass eine Kaufentscheidung neben dem Preis v. a. die Le-bensdauer, das Arbeitsergebnis und das Leistungsvermögen eines Elektrowerk-zeugs berücksichtigen muss. Die BPT-Geräte übertreffen Billigprodukte in diesen Kriterien und damit im Gesamtnutzen erheblich und rechtfertigen glaubhaft die Preissetzung der Power Tools.

Im Bereich Service hat es BPT geschafft, ein Dienstleistungsniveau für Heim-werker, professionelle Anwender und den Fachhandel aufzubauen, das sich vom dem der Wettbewerber deutlich abhebt.

Private Heimwerker können sich per Telefon-Hotline beraten lassen oder seit dem Jahr 2007 über das Internetportal bosch-do-it.de Tipps und Informationen zum Heimwerken und zu den BPT-Produkten abrufen. Im Jahr 2008 eröffnete BPT unter dem Titel „Power Tools Learning Campus“ eine Informationsdatenbank für Hand-werker, Heimwerker und den Handel (s. Abb. 4.36 ). Diese soll zum größten Inter-netwissensportal für Elektrowerkzeuge ausgebaut werden.

Professionellen Anwendern bietet BPT Zusatzleistungen in Form von maßge-schneiderten Servicepaketen. Das „ServicePlus“-Paket etwa bietet dem Handwer-ker auf Wunsch sehr weitreichende Leistungen in Gestalt von Austauschgeräten im Schadenfall, zugesicherten Reparaturfristen, Ersatzteilgarantien, Reparaturkosten-übernahme und weiteren Services bis hin zu Leasing-Dienstleistungen.

Abb. 4.36 Der „Bosch Power Tools Learning Campus“ (Quelle: www.powertool-portal.com)

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Händlern stellt BPT individualisierte Instrumente zur Verfügung, mit denen sie sich vom Wettbewerb differenzieren können. So bietet BPT Vertriebspartnern eine Zertifizierung als „Bosch System Spezialist“ (BSS) an. Qualifiziert sich ein Händ-ler als BSS, erhält er einen professionellen Marktauftritt, den BPT finanziert. Die Produkte werden übersichtlich und kundenfreundlich präsentiert und der Verkaufs-raum optimal gestaltet. Über 1.600 derartiger BSS konnte BPT bereits in Europa einrichten. Dazu erhält der Fachhändler Unterstützung durch ausgebildete Experten, die direkt auf den Verwender zugehen und die Produkte vorstellen. Zusammen mit dem BSS-Fachhändler besuchen die Experten auch BPT-Verwender auf der Bau-stelle und nutzen dafür speziell mit BPT-Werkzeugen und -Zubehör ausgestattete Fahrzeuge. Größere BSS-Händler erhalten von BPT Unterstützung durch ein Shop-in-Shop-Konzept, das als Markenauftritt für die direkte Kommunikation mit den Verwendern dient. BPT stattet diese Shops mit einer großen Auswahl an Elektro-werkzeugen und Zubehör aus. Der Kunde hat die Möglichkeit, zusammen mit einem Fachberater das Werkzeug vor Ort zu testen. BPT hat seinen Vertriebspartnern in Europa inzwischen 700 derartiger Shops zur Verfügung gestellt. Parallel bietet BPT dem Fachhandel Kommunikationshilfen, Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen für das Personal, viele Internetseiten, Printmedien wie das „Taschenbuch für Hand-werk und Industrie“ und Fachberater vor Ort.

Ausbau der Pionierstrategie Ein dritter strategischer Ansatz für BPT bestand im Ausbau der verfolgten Timing-Strategie (s. Kap. 4.4.6). Durch intensivierte Aktivi-täten im Bereich F&E, die sich in einem kontinuierlich steigenden F&E-Budget niederschlagen, gelang es BPT, die Rolle als Innovator im Markt für Elektrowerk-zeuge auszubauen und hier in vielen Bereichen eine klare Führungsposition gegen-über den Wettbewerbern einzunehmen („Pionierstrategie“; s. Kap. 4.4.6.2). Diese hohe Innovationskraft dient dazu, die Qualitätsführerschaft in den relevanten Märk-ten (s. o.) abzusichern. Bosch investierte daher 2007 rund €3,6 Mrd. in Innovation und Forschung und meldete 3.280 Patente an. Die Umsatzstruktur spiegelt diese Innovationsorientierung wider: 36% des Umsatzes in 2007 erzielte BPT mit Pro-dukten, die weniger als zwei Jahre im Markt sind.

Bosch hat durch seine großen Investitionen in F&E einen Wettbewerbsvor-sprung an Fach- und Methodenwissen erarbeitet. Zwar treten Mitbewerber mit ähnlichen Produkten auf und unterbieten teilweise den Preis. BPT schafft es jedoch regelmäßig die Rolle als Innovationsführer und Pionier im Markt zu besetzen. Im Falle der sehr erfolgreichen Ixo-Akkuschrauber, die seit 2003 mit der Lithium-Ionen-Akkutechnologie vertrieben werden, folgten bspw. die Haupt-konkurrenten Metabo und Black & Decker erst deutlich später mit vergleichbaren Produkten.

Neben den Ausgaben für die technische Forschung wurden in den letzten Jahren auch die für Marktforschung um 70% erhöht, um noch kundennähere Produkte zu entwickeln. Ziel sind Produkte, die „wie in die Hand des Benutzers geschneidert“ sind. Ein neues frisches Design, leichtere und handlichere Geräte, leichte Bedien-barkeit, originelle Verpackungen spielen hierbei eine große Rolle, ergänzt durch innovative Techniken wie die Lithium-Ionen-Technologie für Akkus, durch die die

4.7 Case Study „Strategiedefinition bei Bosch Power Tools “

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Geräte leichter, kleiner und haltbarer werden. Gerade bei Geräten mit dieser Tech-nologie erzielt BPT daher die höchsten Marktanteile.

Abbildung 4.37 zeigt im Überblick die umgesetzten Neuorientierungen in der BPT-Strategie.

4. Resultate der neu fokussierten Strategie von Bosch Power Tools Die neu fokussierte Marketingstrategie von BPT schlägt sich sichtbar in den Ge-schäftsergebnissen des Unternehmensbereichs nieder. Hatte BPT im Jahr 2003 noch einen leichten Umsatzrückgang auf €2,4 Mrd. zu verzeichnen, stieg dieser bis 2007 in einem schwierigen Marktumfeld um insgesamt 29% auf €3,1 Mrd. Der Bereich Gebäudetechnik und Gebrauchsgüter, dem auch BPT angehört, arbeitet dabei über-proportional profitabel. Er trägt 25% zum Konzernumsatz bei, erwirtschaftete mit €879 Mio. jedoch 29% des operativen Konzernergebnisses (Bosch 2008). Auch in anderen Fakten zeigt sich der Erfolg der veränderten BPT-Strategie (Berdi 2007):

• Trotz des hohen Wettbewerbsdrucks erzielte Bosch seit 2000 merkliche Markt-anteilsgewinne in den Baumärkten (in Deutschland plus 4% auf 37%).

• Das Preisniveau konnte Bosch trotz starkem Preisdruck dank der gestärkten Marke und innovativer Services aufrecht erhalten.

• Im Vertriebskanal „Baumärkte“ stammen in Deutschland 16 der 20 bestverkauf-ten Elektrowerkzeuge von Bosch.

Abb. 4.37 Strategieprofil von Bosch Power Tools

1. Definition Marktfeld

2. Geografische

Marktdefinition

3. Definition Marktabdeckung

5. Definition Markt-Timing

4. Definition

Wettbewerbsvorteil

Marktdurchdringung

Marktentwicklung

Produktentwicklung

Diversifikation

regional national

inter-national

Massenmarktstrategie

Marktsegmentierungsstrategie

Nischenstrategie

PionierFrüherFolger Später

Folger

Qualitätsführer-Strategie

Preisführer-Strategie

Erschließung neuer Zielgruppen(Frauen, junge Heimwerker)Innovations-

offensive; Ausbau F&E

FunktionsqualitätAusbau von

und Services

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• Besonders erfolgreich ist der Akku-Bohrschrauber Ixo, der seit 2003 jährlich das meistverkaufte Elektrowerkzeug der Welt ist und auf eine Absatzmenge von 8 Mio. Stück seit Produktionsbeginn verweisen kann.

BPT erhielt 2007 den Deutschen Marketing-Preis. Mit dieser Auszeichnung prä-miert der Deutsche Marketing-Verband herausragende Leistungen im Marketing. Ausschlaggebend für die Jury war der nachhaltige Erfolg in einem schwierigen Marktumfeld, den Bosch mit seiner Neuausrichtung der Innovations- und Marke-tingstrategie erzielte.

5. Key Learnings Das strategische Kernproblem, vor dem BPT Anfang der 2000er Jahre stand, war das direkte Resultat gesättigter Märkte in Verbindung mit zunehmender Interna-tionalisierung der Wirtschaft. Dies ist keine Besonderheit der Werkzeugbranche, sondern eher die Norm in vielen Branchen. Das Beispiel BPT zeigt, dass eine solche Marktsituation keineswegs zwingend mit Marktanteilsverlusten und Margenverfall einhergehen muss. Voraussetzung ist jedoch eine stringent geplante und umgesetzte Marketingstrategie. Dabei gilt u. a.:

• Es gibt keine erfolgreiche Standardstrategie für bestimmte Marktsituationen. Jedes Unternehmen muss ein individuelles Strategieprofil bestimmen, das der Unternehmens- und Marktsituation gerecht wird (s. Kap. 4.4.7). Oft führt der verschärfte Wettbewerb dazu, dass Unternehmen dem vermeintlich unvermeid-baren Preisdruck nachgeben. BPT hat sich sehr konsequent gegen den Markt-trend der „Discounterisierung“ gestemmt und so den ökonomischen Erfolg sogar noch stark steigern können. Ein bewusstes Abweichen von der Strategie der Wettbewerber ist oft erfolgreicher als das Folgen vermeintlich unvermeidbarer „Branchentrends“.

• Eine erfolgreiche Strategie beruht auf der Zusammenführung von zwei zentra-len Perspektiven. Zum einen ist dies die Marktorientierung ( „ Market-Based View “ ) , die sich bei BPT u. a. in dem um 70% erhöhten Marktforschungsbudget zur Analyse von Kunden und Wettbewerbern zeigt. Zum anderen sind dies die eigenen Ressou r cen („ Resource-Based View “; s. Kap. 4.4.5.1). Im Fall BPT war dies eine sehr konsequente Rückbesinnung auf die traditionellen Stärken der Marke: eine hohe Funktionsqualität der Produkte, ein gut in den Köpfen der Zielgruppen verankerte Qualitätsmarke (auch wenn diese modernisiert wer-den musste) und eine hohe technische Kompetenz, beruhend auf intensiven F&E-Aktivitäten.

• Eine klare Fokussierung auf Qualitäts- oder Preisführerschaft (s. Kap. 4.4.5) ist Grundlage für eine profitable Stellung am Markt. Die asiatische Discount-Konkurrenz weist mit der Strategie der Preisführerschaft ein sehr klares Profil auf (s. Kap. 7.1); deren Preisniveau wäre für Bosch kaum erreichbar gewesen. BPT hat daher die Entwicklung des gesamten Unternehmens stringent auf das Ziel der Qualitätsführerschaft ausgerichtet, die wiederum unerreichbar für die Preisführer-Konkurrenz ist und BPT in vielen Bereichen die Alleinstellung am Markt sichert. Wettbewerber wie Metabo oder AEG weisen kein so klares Stra-

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tegieprofil wie BPT oder die asiatischen Discount-Anbieter auf; dies schlägt sich in einer verringerten Unternehmensprofitabilität nieder.

• Die Pionierstrategie (s. Kap. 4.4.6) ergänzt sich effektiv mit der Strategie der Qualitätsführerschaft im Bereich der Funktionsqualität. Die hohen Investitio-nen von BPT im F&E-Bereich stellen eine qualitative Weiterentwicklung der angebotenen Produkte sicher. Darüber hinaus kann BPT als Pionier auf globalen Absatzmärkten erhebliche Erfahrungskurveneffekte (s. Kap. 4.2.4) erzielen. Der weltweit sehr erfolgreiche Akku-Bohrschrauber Ixo bspw. hatte bereits ein mil-lionenstarkes Absatzvolumen erzielt, als Wettbewerber wie Black & Decker mit Konkurrenzprodukten auf den Markt traten. Selbst bei vergleichbaren Markt-preisen kann sich BPT hier hohe Ertragsvorteile gegenüber den Wettbewerbern sichern.