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Deutsches Jugendinstitut e. V.
Nockherstraße 2
D-81541 München
Postfach 90 03 52
D-81503 München
Telefon +49 89 62306-0
Fax +49 89 62306-162
www.dji.de
Kinderrechte in pädagogischen Interaktionen
Die „Reckahner Reflexionen zur Ethik
pädagogischer Beziehungen“
Ursula Winklhofer
DJI-Jahrestagung „Kinderrechte: Jetzt wird‘s ernst“
Berlin 13./14.11.2018
2
Aufbau des Vortrags
1 Entstehung der Reckahner Reflexionen
2 Das Projektnetz INTAKT
3 Die zehn Leitlinien und ihre Umsetzung
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München
3
1 Entstehung der Reckahner Reflexionen
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München
Foto: David Ausserhofer
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 4
Gestaltung pädagogischer Beziehungen
Teil 1 Entstehung der Reckahner Reflexionen
Gute pädagogische Beziehungen bilden ein Fundament
dafür, dass Leben, Lernen und demokratische
Sozialisation gelingen.
Viele Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte realisieren
alltäglich gute pädagogische Beziehungen, aber:
Seelische Verletzungen kommen zu oft vor und werden
zu wenig beachtet
Frühe und ganztägige institutionelle Bildung nehmen zu,
Kinder verbringen einen großen Teil ihrer Zeit in Institutionen
Professionelle Bezugspersonen haben große Bedeutung
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 5
Kinderrechtliche Grundlagen
Teil 1 Entstehung der Reckahner Reflexionen
Art. 2 Diskriminierungsverbot
Art. 3 Vorrang des Kindeswohls
Art. 19 Schutz vor Gewalt
Art. 28, Abs. 2 Recht auf Bildung
„Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, umsicherzustellen, dass die Disziplin in der Schule in einer Weise gewahrtwird, die der Menschenwürde des Kindes entspricht (…).“
Grundlegend für die drei Säulen der Kinderrechte:
Schutz vor Gewalt, Förderung, Beteiligung
§ 1631 BGB Abs. 2
„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. KörperlicheBestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigendeMaßnahmen sind unzulässig.“
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 6
Entstehung der Reckahner Reflexionen
Seit 2002: Forschungsprojekt INTAKT
Seit 2011: Jährliche Expertenkonferenz in Reckahn
2013/2014: Int. Konferenz „Kinderrechte und die Qualität
pädagogischer Beziehungen“ in Potsdam, 2 Tagungsbände
2016: Text der Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer
Beziehungen
2017: Drucklegung der Materialien, Förderung Robert Bosch Stiftung
Herausgeber: Deutsches Institut für Menschenrechte, Deutsches
Jugendinstitut, MenschenRechtsZentrum der Universität Potsdam,
Rochow-Museum und Akademie
Teil 1 Entstehung der Reckahner Reflexionen
7
Reckahn - Schule für alle Stände
Friedrich E. von Rochow
gründete eine Dorfschule
für alle Kinder (1773)
Carl F. Riemann (1798):
Beschreibung der
Reckahnschen Schule.
Berlin/Stettin, S. 53:
Es kommt auf „den ersten
Empfang der Kinder“ an.
„Er muß vorzüglich
freundlich und liebreich
seyn, damit sie Zutrauen
fassen können.“
Teil 1 Entstehung der Reckahner Reflexionen
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 8
2 Das Projektnetz INTAKT
Foto: fotolia
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 9
Ergebnisse aus der Forschung –
das Projektnetz INTAKT
Ziel: Analyse anerkennender und verletzender
pädagogischer HandlungsmusterLeitung: Prof. Dr. Annedore Prengel
Alltägliche Interaktionsszenen zwischen Lehrpersonal,
pädagogischen Fachkräften und Kindern werden
beobachtet, beschrieben und analysiert
In 15-jähriger Kooperation entsteht ein 12.000
Feldvignetten umfassender Datensatz aus
Interaktionsszenen in Schulen und Kitas
Teil 2 Das Projektnetz INTAKT
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 10
Beispielszenen aus der Primarstufe (kontrastierend)
Die Klassenlehrerin Frau B. sagt zu
Lukas: „Weißt du was mich richtig ärgert,
dass du so unglaublich faul bist. ... So
richtig schön dumm-faul.“
Mia liest stockend, schafft das letzte Wort
aber auch noch. Die Lehrerin sagt:
„Vielen Dank, Mia! Da hast du dich schon
sehr gut angestrengt. Das war aber auch
ein schweres Wort. Toll!“
Teil 2 Das Projektnetz INTAKT
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 11
Beispielszenen aus der Elementarstufe(kontrastierend)
Jonas will seinen Kittel anziehen und
probiert es alleine. Frau A. sagt zu ihm:
„Das kannst du nicht, siehst du, ich wusste,
dass du das nicht alleine schaffst.“
Denis, der sich noch nicht in erkenntlichen
Worten ausdrücken kann, erzählt in Lauten
eine Geschichte, bei der Frau W. dem Kind
die ganze Zeit interessiert zuhört und
Gegenfragen stellt. Am Ende ruft Frau W.
dem Kind „Bravo!“ zu.
Teil 2 Das Projektnetz INTAKT
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 12
Projekt INTAKT: Kategorien
Kategorien: sehr anerkennend – leicht anerkennend –
neutral – leicht verletzend – sehr verletzend
Interaktionsformen der Anerkennung:
Lob, freundlicher Kommentar, sinnvolle Hilfe, zu
Leistungen ermutigen, Selbständigkeit/Kreativität fördern,
bei Kummer trösten, Kooperation fördern, Missachtung
durch andere Kinder unterbinden, sinnvoll Konsequenzen
aufzeigen, konstruktiv Grenzen setzen, Heiterkeit
ermöglichen
Teil 2 Kinderrechte in pädagogischen Beziehungen
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 13
Projekt INTAKT: Kategorien
Kategorien: sehr anerkennend – leicht anerkennend –
neutral – leicht verletzend – sehr verletzend
Interaktionsformen der Verletzung:
Fehler oder Fehlverhalten böse kritisieren, destruktiver
Kommentar, anbrüllen, Kinder ignorieren, Kummer nicht
beachten, lächerlich machen, beschämen, Hilfe
verweigern, Missachtung durch Mitschüler/innen
tolerieren, Ausgrenzung, keine Grenzen setzen
Teil 2 Das Projektnetz INTAKT
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 14
Anerkennende und verletzende Interaktionen
in Kindertageseinrichtungen
Teil 2 Das Projektnetz INTAKT
7%7% 13%
13%
26%
34%
13% sehr anerkennend26% leicht anerkennend
34% neutral
13% leicht verletzend7% sehr verletzend
7% ambivalent
Ergebnisse Projektnetz INTAKT (Soziale Interaktionen in pädagogischen Arbeitsfeldern) Datenbasis: 28 Kindertageseinrichtungen 128 Frühpädagoginnen und –pädagogen1590 Feldvignetten
(Tellisch/Prengel 2018)
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 15
Häufige Interaktionsformen
Interaktionsformen der Anerkennung Freundlicher Kommentar (13%)
Konstruktive Anweisungen (13%)
Lob (12%)
Freundliches Handeln (10%)
Selbständigkeit/Kreativität fördern (10%) (N = 966)
Interaktionsformen der Verletzung Destruktiver Kommentar (17%)
Ignorieren, nicht beachten (16%)
Destruktive Anweisung (10%)
Negative Zuschreibung zum Kind (10%)
Anbrüllen (10%) (N = 397; Tellisch/Prengel 2018)
Teil 2 Kinderrechte in pädagogischen Beziehungen
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 16
Ergebnisse aus der Schule
Auch in der Schule sind drei Viertel der Lehrer-Schüler-Interaktionen anerkennend und neutral, ca. 20% leicht verletzend bzw. ambivalent und gut 5% stark verletzend (Deutsches Institut für Menschenrechte u.a. 2017)
Die erhobenen Handlungsweisen kamen in der Gegenwart von Zeugen vor
Einzelne Kinder erleben serielle Stigmatisierungen
Die Durchschnittswerte sagen nichts über das Handeln Einzelner
Es finden sich Pädagoginnen und Pädagogen mit sehr verschiedenen Anerkennungsbilanzen Tür an Tür!
Teil 2 Das Projektnetz INTAKT
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 17
3. Die zehn Leitlinien und ihre
Umsetzung
Foto: Volker Minkus
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 18
Reckahner Reflexionen zur Ethik
pädagogischer Beziehungen
Hrsg. (2017): Deutsches Institut für Menschenrechte, Deutsches Jugendinstitut,
MenschenRechtsZentrum der Universität Potsdam, Rochow-Museum und Akademie
https://paedagogische-beziehungen.eu/
Teil 3 Die zehn Leitlinien
Broschüre
Plakat
Flyer
Miniflyer
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 19
Teil 3 Die zehn Leitlinien
Reckahner Reflexionen zur Ethik
pädagogischer Beziehungen
Was ethisch begründet ist:
1. Kinder und Jugendliche werden wertschätzend angesprochen und behandelt.
2. Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte hören Kindern und Jugendlichen zu.
3. Bei Rückmeldungen zum Lernen wird das Erreichte benannt. Auf dieser Basis werden neue Lernschritte und förderliche Unterstützung besprochen.
4. Bei Rückmeldungen zum Verhalten werden bereits gelingende Verhaltensweisen benannt. Schritte zur guten Weiterentwicklung werden vereinbart. Die dauerhafte Zugehörigkeit aller zur Gemeinschaft wird gestärkt.
5. Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte achten auf Interessen, Freuden, Bedürfnisse, Nöte, Schmerzen und Kummer von Kindern und Jugendlichen. Sie berücksichtigen ihre Belange und den subjektiven Sinn ihres Verhaltens.
6. Kinder und Jugendliche werden zu Selbstachtung und Anerkennung der Anderen angeleitet.
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 20
Reckahner Reflexionen zur Ethik
pädagogischer Beziehungen
Was ethisch unzulässig ist:
Es ist nicht zulässig, dass Lehrpersonen und pädagogische Fachkräfte
7. … Kinder und Jugendliche diskriminierend, respektlos, demütigend, übergriffig oder unhöflich behandeln.
8. … Produkte und Leistungen von Kindern und Jugendlichen entwertend und entmutigend kommentieren.
9. … auf das Verhalten von Kindern und Jugendlichen herabsetzend, überwältigend oder ausgrenzend reagieren.
10.… verbale, tätliche oder mediale Verletzungen zwischen Kindern und Jugendlichen ignorieren.
Teil 3 Die zehn Leitlinien
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 21
Vom Wissen zum pädagogischen Handeln -
Handlungsansätze (1)
Ziele
Stärkung gelingender Ansätze und Prävention
Wirksame Möglichkeiten der Intervention
Anerkennung und Achtung als gemeinsame Orientierung
Leitbild bzw. Schulordnung wird in Kooperation mit dem
gesamten Team/Kollegium und der Leitung erstellt;
Beteiligung von Kindern und Jugendlichen; Information der Eltern
Fest verankerte Teamgespräche oder Supervision
Geschützter Raum für Reflexion
Teil 3 Die zehn Leitlinien
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 22
Handlungsansätze (2)
Fundierte Auseinandersetzung in der Ausbildung, Fort-
und Weiterbildung
Personen in Leitungspositionen
fördern anerkennende pädagogische Beziehungen
tragen Verantwortung für Prävention und Intervention
konfrontieren ohne abzuwerten
Anlaufstellen für Kinder, Jugendliche und Eltern (intern
und extern)
Teil 3 Die zehn Leitlinien
Ursula Winklhofer, Jahrestagung eaf, Evangelische Akademie Tutzing, 20.09.2018 23
Literatur Deutsches Institut für Menschenrechte Berlin/Deutsches Jugendinstitut
München/ MenschenRechtsZentrum an der Universität Potsdam/Rochow-
Museum und Akademie für bildungsgeschichtliche und zeitdiagnostische
Forschung an der Universität Potsdam (Hrsg.) (2017): Reckahner Reflexionen
zur Ethik pädagogischer Beziehungen. Reckahn: Rochow-Edition.
https://paedagogische-beziehungen.eu/
Annedore Prengel: Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung,
Verletzung und Ambivalenz. Opladen 2013
Annedore Prengel/Ursula Winklhofer: Kinderrechte in pädagogischen
Beziehungen. Bd.1: Praxiszugänge, Bd. 2: Forschungszugänge. Opladen 2014
Tellisch, Christin/Prengel, Annedore (2018): Pädagogische Beziehungen im
Kindergarten - Wie inklusive Prozesse gestärkt und geschwächt werden. (i.E.)
Ursula Winklhofer, Deutsches Jugendinstitut, München 24
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Foto: Ruprecht Stempell