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Rücklichter, Schlieren, in Rot Wie viele fahren denn Umzüge, heut‘ morgen? Auffahrwetter, Dort draußen, wie hier drinnen, Sicherheitsabstand. Kein Neuwagenduft mehr, es wurde geraucht, Wertminderung. Dennis Fassing KrankFeiern Kurzgeschichte

KrankFeiern

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Ich hätte niemals gedacht, dass es so werden würde. Irgendwann Zeit und Ort zu finden, zu denen man gehört, das war abgemacht. Aber wieso fühlt sich dass dann jetzt so unendlich komisch an?

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Rücklichter, Schlieren, in Rot

Wie viele fahren denn Umzüge,

heut‘ morgen?

Auffahrwetter,

Dort draußen, wie hier drinnen,

Sicherheitsabstand.

Kein Neuwagenduft mehr,

es wurde geraucht,

Wertminderung.

Dennis Fassing

KrankFeiern

Kurzgeschichte

Depression war nie tragbar,

doch steht uns so gut!

Wie wir Rotwein und Pillen mischen,

so kleine Pupillen blitzen auf!

Endlich taub!

- Casper: XoXo

Es ist der zweite Freitag des Monats und wie immer sit-

ze ich hier auf diesen viel zu niedrigen Polsterstühlen

und starre in den dunklen Raum. Um mich herum sit-

zen wie immer die gleichen Gestalten und alle halten

wir uns an Flaschen des einzig trinkbaren Bieres fest,

das es in diesem Laden gibt. Auf der Bühne liest ein

androgyner Kerl seine Pseudo-Gedichte über Flacker-

lichter auf der Autobahn und ich bin so gelangweilt wie

seit Stunden nicht mehr. Und das, obwohl der Tag

nichts Besseres für mich bereit gehalten hatte, als in ei-

ner Bibliothek zu sitzen und Foucault zu lesen. Es ist

immer Foucault, in letzter Zeit, ich komme da gar nicht

mehr raus, oder nach, oder was auch immer. Meine Bli-

cke gleiten über die Gesichter der drei Leute, die mit

mir um den lächerlich niedrigen Couchtisch sitzen.

Keiner sieht direkt auf die Bühne, sie starren nur auf

den Raum oder ihre Hände. Ich seufze melancholisch

auf und verdrehe die Augen, die anderen lächeln ge-

quält. Ich frage mich, ob jemandem hier die Gedichte

wirklich gefallen könnten, zugeben wird es auf jeden

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Fall keiner. Die nächsten Minuten lege ich mein Kinn

auf die Tischplatte und starre auf Karins Brüste, die das

zwar bemerkt, aber nicht weiter kommentiert, warum

sollte sie auch, liegt in meinem Blick sicher kein Be-

gehren. Ich glaube, meine Augen sind staubbedeckt.

Der Dichter ist immer noch auf irgendeiner ostdeut-

schen Autobahn unterwegs und denkt über Möbeltrans-

porter nach. Ich versuche, mir Karin nackt vorzustellen,

doch die hohe Stimme mit sächsischem Akzent lenkt

mich ab und es kommt nichts dabei heraus.

Ich gehe pinkeln und vertausche wie üblich die Damen-

und die Herrentoilette miteinander, weil dieser Club es

nicht hinkriegt, seine Türen zu beschriften. Es stört eh

niemanden und so genieße ich einige Sekunden ein

deutlich gepflegteres Klo und anschließend sowohl

Gelseife, als auch gleich zwei Papiertücher zum trock-

nen der Hände. Ich stehe extra eine Weile vor dem

Spiegel und hoffe, dass jemand herein kommt, der mich

fragt, was ich hier tun würde, aber nichts passiert. Ei-

nen weiteren Moment kriege ich damit herum, dem Ge-

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spräch der beiden Garderobenmädchen zu lauschen, die

unten an der Treppe sitzen. Das ist auch ziemlich lang-

weilig, aber ihre Stimmen klingen gut. In der Hoffnung,

das große Finale des Dichters verpasst zu haben, gehe

ich zurück durch die Feuer- und Lärmschutztür.

Auf der anderen Seite kommt mir mein gesamter Tisch

entgegen, Jan und Markus und Karin. Sie halten Zeige-

und Mittelfinger als V an ihre Lippen und zeigen hinter

sich auf die leere Bühne. Ich mache auf dem Absatz

kehrt und hoffe, dass irgendjemand schon Gras gekauft

hat. Draußen ist es kalt. Ich will meinen kalten Atem

nicht sehen und ziehe entschlossen, um ihn durch

Rauch zu ersetzen. Wir stehen hier draußen ohne Ja-

cken und frieren und es ist einfach ekelhaft und trotz-

dem werfen uns die beiden Mädels von der Kleiderab-

gabe durch die offene Tür sehnsüchtige Blicke zu. Fast

will ich sie anflirten, ihnen Kippen anbieten, doch es

sind ja zwei und das ist mir dann viel zu kompliziert.

Hier draußen kann ich mir Karin schon eher nackt vor-

stellen, aber nicht ohne Gänsehaut.

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„Fuckscheisse, oder?“, eröffnet Jan die Diskussion des

eben Gehörten. „Warum müssen die zu so Lesungen

immer einen so einen dummen Empathielyriker einla-

den?“

„Der hat halt sächsisch gesprochen. Wie kann man

denn einen Literaturpreis bekommen, wenn man nur

sächsisch liest?“, fragt sich Markus. Karin lacht nur,

fand es aber generell sicher auch scheiße.

„Hat wer was dabei?“, frage ich, nicht sicher, was man

über den Vortrag noch sagen könnte.

Minuten später inhalieren wir alle tief und versuchen es

zu genießen, so gut es eben mit schlotternden Knien

geht. Ich überlege, ob ich offenen Geistes darauf war-

ten will, ob eine Wirkung einsetzt, oder ob ich mich

schon vorher in Symptome hineinsteigern sollte. Auf

dem Weg zurück in den Laden fragt Karin, wer denn

noch lese, was keiner von uns beantworten kann. Wir

sind nur so hier, keiner kommt mehr wegen dem Pro-

gramm. Es ist unwichtig. „Gegenräume“, denke ich und

muss kurz grinsen. Die Eingangstür in den Clubbereich

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ist wirklich so verdammt schwer, das man gar nicht

mehr umhin kann, dass als Schwelle zu etwas anderem

zu betrachten. „Mein lieber Foucault“, denke ich weiter

und frage mich, ob das wegen dem Joint ist.

Später sitzen wir alle an der Bar im Qualm, denn der

Raucherbereich ist nach den Lesungen wieder geöffnet.

Wir trinken weiterhin Biere und Schnäpse, denn die

Longdrinks sind zu teuer, um davon wirklich drauf zu

kommen. Das Barmädchen trägt dieses Filmspoiler-

Shirt, das man in letzter Zeit so oft sieht. Ich lese und

hake geistig ab: Snape kills Dumbledore – weiß ich. Ty-

ler Durden isn’t real – weiß ich. Donnie dies – weiß

ich. Ich würde gerne etwas Neues lesen.

So eine Kleine kommt dann rüber zu uns und sagt so

etwas wie: „Hey, ihr seid doch auch in dem Seminar

Dienstags, oder? Ihr sitzt da immer so vorne, oder?“,

und wir sehen uns alle gegenseitig an und nicken dann.

Ich glaube nicht, ihr Gesicht schon einmal gesehen zu

haben, aber sie macht weiter: „Ihr sagt immer voll die

klugen Sachen und wisst voll viel. Ich würd’ das auch

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gern’ so verstehen, aber ich hab’ da immer voll die

Probleme mit“. Keiner scheint sich sicher zu sein, ob

sie darauf eine Antwort erwartet, also grinsen wir ir-

gendwie unverbindlich und nicken weiter. Irgendwann

sagt sie dann auch: „Ja gut, also, war schön, euch ge-

troffen zu haben. Bis Dienstag dann.“, und verschwin-

det wieder. Wir sind uns schnell einig, dass keiner von

uns ihr Gesicht kannte. Gesichtslose Masse. Ich muss

ihr nachschauen, wie sie da mit einigen Wenigen auf

der Tanzfläche steht und sich bewegt, unperfekt zu ei-

ner schnelleren Version von So perfekt, was ja auch ir-

gendwie passt. Ich male mir aus, wie wir ein interes-

santes Gespräch hätten führen können, wie wir erst

über Bücher und dann über Poetiken gesprochen hätten,

um schließlich zu ihr oder mir zu gehen und Sex zu ha-

ben. Das hatte doch eigentlich so zu funktionieren.

Nachdem die letzte Runde ausgegeben wurde, sitzen

nur noch Jan, Markus und ich vor der Tür des Clubs.

Auf dem Floor im Keller geht es jetzt erst richtig los,

doch die Musik klingt wie immer beschissen und ob-

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wohl wir durch unsere Stempel ohne Eintritt rein kä-

men, waren wir noch nie dort unten. Unsere raus ge-

schmuggelten Bierflaschen in der Hand, lehnen wir am

klammen Mauerwerk und starren die Straße herauf und

herab.

„Ich hab’ es nicht geschafft, richtig draufzukommen.

Scheiße!“, sagt Jan und spuckt zwischen seine Beine.

„Ich hab was“, sagt Markus, in seinen Taschen kra-

mend. Er hält jedem von uns ein Plättchen Aspirin Di-

rekt hin.

„Das ist so weit unten“, sage ich, reiße die Packung

aber gleich auf und brösle die kleine Tablette in mein

Bier. Wir stoßen an und trinken. Wie immer finde ich

die Bröckchen am Boden sehr ekelhaft, aber es geht ja

auch nicht um den Geschmack. Eine Weile sitzen wir

schweigend da und lassen Leute an uns vorbeilaufen.

Doch dann rede ich einfach mal drauf los: „Wisst ihr,

ich hab’ das hier immer für meine eigene kleine Utopie

gehalten. Mein Nicht-Ort, an dem Zeit und Raum mei-

nes restlichen Lebens nichts gelten. Und irgendwie war

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das auch so, mit den ganzen Ritualen und allem, dem

Bier, den schlechten Autoren, den Kippen, den hässli-

chen Stühlen.“

„Ja“, sagen Jan und Markus gleichzeitig und wahr-

scheinlich hören sie mir kaum zu. Das ist zum Glück

gleichgültig, denn ich rede eher mit mir selbst: „Aber

so langsam merke ich, dass solche Orte auch ganz

schrecklich sein können. So langsam glaube ich, dass

ich zuviel Zeit in diesem Ort verbracht habe und jetzt

nicht mehr zurückfinde, in meine Zeit und meinen

Raum. Foucault sagt, dass es Heterotopien gibt, die

völlig offen zu sein scheinen, aber zu der nur Einge-

weihte Zutritt haben. Ich hab Schiss, dass das hier eine

ist, zu der nur Eingeweihte den Ausgang wieder finden

– und ich nicht eingeweiht bin.“

Die anderen schweigen und starren in die Luft und ich

tue es ihnen gleich. Meine Wahrnehmung dreht sich

und es fühlt sich an, als würde ich schon auf dem Rü-

cken liegen. Wider besseren Wissens nehme ich auch

den letzten Schluck aus meiner Flasche. Ich denke nur

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noch daran, dass jeder von uns so blöd war, das Mäd-

chen von vorhin nicht einmal nach ihrem Namen zu

fragen. Wir sind so weit weg von allen, wir nicken nur

noch ab und hoffen, dass es schnell wieder vorbei geht.

„Ich will raus hier“, sage ich und ärgere mich gleichzei-

tig, wie melancholisch das klingt. „Ich bin so in mir

selbst verpackt, dass keiner mehr ran kommt. Irgend-

wann auch ihr nicht mehr.“

Markus sagt: „Hey…“, und dann nichts mehr, aber er

hat damit auch schon alles klar gemacht. Ich drücke

mich an der Wand hoch und falle fast vornüber. Die an-

deren folgen mir und unschlüssig schwankend stehen

wir uns gegenüber.

„Ich geh heim“, sage ich. „Schlafen und dann auch hof-

fentlich wieder aufwachen.“

„Hey, was ist denn mit Karin?“, fragt Markus und wan-

dert unbestimmt ein paar Meter in die Hofeinfahrt, die

zurück zum Club führt.

„Die ist seit mindestens zwei Stunden nicht mehr da“,

sage ich und atme tief ein, was mir nicht gut bekommt.

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„Gute Nacht, Jungs.“

Der Heimweg dauert lange und ich kotze fast in die

volle U-Bahn. Ich fühle mich so krank wie lange nicht

mehr, obwohl ich genau weiß, dass sich an meinem Zu-

stand seit Wochen nichts geändert hat. In Wirklichkeit

liege ich ganz auf mich zurück geworfen herum und

bin nicht in der Lage, den Mist aus mir heraus zu

schwitzen. Doch ich mache jetzt einen Deal mit mir:

Wenn ich es schaffe, in mein Bett zu kommen, ohne

mich zu übergeben, dann schaffe ich es auch wieder

raus aus diesem Ort, der den Ausgang verloren hat.

„Deal“, denke ich. Und: „Man kann ja nicht immer

krank sein.“

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„Wahrscheinlich schneidet jede menschliche Gruppe aus

dem Raum, den sie besetzt hält, in dem sie wirklich

lebt und arbeitet, utopische Orte aus und aus der

Zeit, in der sie ihre Aktivitäten entwickelt, urchroni-

sche Augenblicke.“

- Michel Foucault: Die Heterotopien