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Datum: 01.02.2014 Neue Zürcher Zeitung 8021 Zürich 044/ 258 11 11 www.nzz.ch Medienart: Print Themen-Nr.: 38.9 Abo-Nr.: 38009 Medientyp: Tages- und Wochenpresse Auflage: 115'622 Erscheinungsweise: 6x wöchentlich Seite: 61 Fläche: 133'609 mm² Medienbeobachtung Medienanalyse Informationsmanagement Sprachdienstleistungen ARGUS der Presse AG Rüdigerstrasse 15, Postfach, 8027 Zürich Tel. 044 388 82 00, Fax 044 388 82 01 www.argus.ch Argus Ref.: 52688108 Ausschnitt Seite: 1/4 Saftige Geschmacklosigkeiten Greuel, Unfug und Unrat Schweizer Souvenirs in der Kritik Schweizer Reiseandenken geraten schon in den Anfängen des modernen Tourismus ins Schussfeld der Kritik. Staatliche Versuche, Hersteller, Produzenten, Ver- käufer und Käufer zu erziehen, scheitern an den spezifischen Bedürfnissen der touristisch Reisenden. Franziska Nyffenegger Zweifillos das Resultat akkuratester Feldstudien - ein Souvenir, das den kmristen daran erinnert, mit welch knackiger liacht die Eingeborenen von Zürich durch die Strassen hupfen, KTO XLGO ROB

KTO XLGO ROB Saftige Geschmacklosigkeiten · Neue Zürcher Zeitung 8021 Zürich 044/ 258 11 11 Medienart: Print Themen-Nr.: 38.9 Medientyp: Tages- und Wochenpresse Abo-Nr.: 38009

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Page 1: KTO XLGO ROB Saftige Geschmacklosigkeiten · Neue Zürcher Zeitung 8021 Zürich 044/ 258 11 11 Medienart: Print Themen-Nr.: 38.9 Medientyp: Tages- und Wochenpresse Abo-Nr.: 38009

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Saftige GeschmacklosigkeitenGreuel, Unfug und Unrat Schweizer Souvenirs in der Kritik

Schweizer Reiseandenken geraten schonin den Anfängen des modernen Tourismusins Schussfeld der Kritik. StaatlicheVersuche, Hersteller, Produzenten, Ver-käufer und Käufer zu erziehen, scheiternan den spezifischen Bedürfnissen dertouristisch Reisenden.

Franziska Nyffenegger

Zweifillos das Resultat akkuratester Feldstudien - ein Souvenir, das den kmristen daran erinnert, mit welch knackiger liacht die Eingeborenen von Zürich durch die Strassen hupfen, KTO XLGO ROB

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Ein Regal reiht sich an das andere, auf den Tabla-ren geschnitzte Dinge, teils offen, teils in Karton-schachteln, eine unüberschaubare Menge: Chaletsin allen Grössen und vielfacher Variation; mitEdelweiss ornamentierte Vasenständerchen, eben-solche Brieföffner und Federhalter, Barometerund Thermometer, Bilder- und Spiegelrahmen;über Tintenfässern wachende Gemsen, Rebhüh-ner und Luzerner Löwen; Zwerge als Nuss-knacker; sitzende, liegende, stehende, tanzendeBären; kleine und kleinste Bernhardinerhunde,Murmeltiere, Steinböcke, Kühe und Ziegen, Sen-nen und Hirtinnen . . .

Der Dachboden des Brienzer UnternehmensEd. Jobin AG birgt eine Reiseandenken-Wunder-welt, von der die heutige Antiquitätenabteilung imVerkaufslokal nur ausschnittweise zu erzählen ver-mag. Rund 800 Souvenirartikel dokumentiert derVerkaufskatalog aus der vorletzten Jahrhundert-wende. Die Titelseite nennt stolz die an Weltaus-stellungen etwa in Chicago (1893) oder Paris (1906)erworbenen Goldmedaillen. Doch 1914 nimmt dasflorierende Geschäft ein abruptes Ende. WegenKrieg und Krise muss die Firma ihre Filialen in

Zermatt und St. Moritz, in Interlaken, Luzern undMontreux schliessen. Seither warten die Souvenir-Hits der Belle Epoque auf ihre Wiederentdeckung.

Die Schnitzerei ist im frühen Tourismus diewohl erfolgreichste Andenken-Industrie. In derJungfrauregion entsteht sie als Kunstgewerbe nachden Unspunnenfesten von 1805 und 1808. Den Rei-senden das stellen die Einheimischen insbeson-dere während der Hungerjahre 1816/17 fest lassensich neben Alpenblumen, Mineralien und Gems-fellen mit Gewinn auch beschnitzte Alltagsgegen-stände, Kleinschreinerarbeiten, Tier- und Men-schenfiguren verkaufen.

Doch nicht allen gefällt das rasch wachsendeSouvenirsortiment. Die gestalterische Qualität der«feingeschnitzten Holzware» gibt im Landes-innern bald Anlass zu teilweise gehässig formulier-ter Kritik.

Selbstwüchsiger DilettantismusBereits in den 1820er Jahren verlangt das Amts-gericht Interlaken nach einer Zeichenschule, umdie Schnitzer «mehr mit dem künstlerischen Ge-schmacke» und der «Proportionslehre» vertraut zumachen. Erste Versuche scheitern am Desinteresseder Zielgruppe mehrheitlich Kleinbauern, diedas Schnitzhandwerk neben ihrer landwirtschaft-lichen Tätigkeit betreiben. Sie sehen nicht ein, wes-

halb sie sich abends nach einem langen Arbeitstagden Belehrungen eines auswärtigen Bildhauersaussetzen sollen, wo das Geschäft mit der Schnitz-ware doch bestens läuft.

1860 schreibt Hermann Alexander von Ber-lepsch in der deutschen Familienzeitschrift «DieGartenlaube»: «Vor zwanzig Jahren konnten die

meisten Schnitzler kaum eine Figur, eine Blumeoder Arabeske anatomisch oder proportioniertrichtig zeichnen, geschweige denn dass sie klareBegriffe von den Gesetzen der plastischen Compo-sition, von den ästhetischen Bedingungen derGruppierung gehabt hätten.» Nach wie vor trügendie meisten Arbeiten «das entschiedenste Geprägedes selbstwüchsigen Dilettantismus», und Ausbil-dung tue not. Dem stimmt der Berner Kantonsbau-meister Salvisberg in einem Bericht von 1868 zuund fügt an, die Brienzer Schnitzereien seien«meistens herzlich schlecht, roh und unbedeutend,in ihrer Composition abgeschmackt».

Der ungeschulte Selbstwuchs beschäftigt nota-bene bereits Mitte des 19. Jahrhunderts alleine inBrienz mehrere hundert Handwerker, bringt drin-gend benötigtes Geld in ihre Familienkassen undhält die Kinder von der in vielen anderen Schwei-zer Touristenorten üblichen Bettelei ab. Die bittereArmut im Haslital und in anderen Tälern der Jung-frauregion scheint den souvenirkritischen Städternnicht bewusst zu sein. Gottfried Keller etwa hältwenig von den «Oberländer Holzschneidern, wel-che von nichts anderem träumen als von den Bör-sen der durchreisenden Teesieder».

Neue Sachlichkeit SouvenirkitschDer wachsende Konkurrenzdruck und erste Ab-satzrückgänge führen nach 1880 zur Gründung derbis heute bestehenden Schnitzlerschule. Die Aus-bildung von ästhetischem Bewusstsein ist damitgesichert, doch die Souvenirindustrie bleibt unterBeschuss.

Nach der Jahrhundertwende verschärft sich dieTonlage der Kritiker. In den Zeitschriften von Hei-

matschutz und Werkbund entflammen regelrechteHasstiraden gegen den «Fremdenkitsch» und die«Andenkenpest». Von «blödsinnigen Dingen»,«windigem Zeug», «pseudokunstgewerblichemKitsch», «Unfug», «Unrat», «Scheusaligkeiten»und «Hausgreueln» ist die Rede. Ihnen wird anläss-lich der Landesausstellung 1914 in Bern offiziellder Kampf angesagt. Um den Andenkenbasar imDörfli mit «guten gewerblichen Erzeugnissen» zu

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bestücken, lanciert das zuständige Komitee einennationalen Wettbewerb und erhält Tausende vonEinsendungen.

Ski fahrende GemsenDie Auswahl erweist sich jedoch als mühevoll, wieein Jurymitglied berichtet: «Man kann sich kaumvorstellen, wie einfältig und albern die Gegen-stände manchmal waren, die uns vorgelegt wurden.An Ski fahrende Gemsen und Murmeltiere ge-wöhnten wir uns langsam, hölzerne Bären, die alsTouristen und Bergführer verkleidet wurden, wa-ren für uns keine Seltenheit mehr, auch Bernhardi-ner, die in allen Grössen und Stellungen, bald inSchirm- und Stockständer, bald als Fingerhutbe-hälter oder Flaschenpfropfen Verwendung findensollten, bereiteten uns keine Überraschungenmehr.»

Jährlich fordern ab 1915 solche Wettbewerbedas Kunstgewerbe auf, sich dem «guten Schweize-rischen Reiseandenken» zu widmen. Mit mässigemErfolg. Die Ausschreibungen finden kaum mehrResonanz und die meisten der ausgezeichnetenEntwürfe nie einen Hersteller. Der anhaltend«grassierende und unwürdige Souvenirkitsch» be-

wegt die Kämpfer für das «formschöne Reise-andenken» zu weiteren Massnahmen. An der Lan-desausstellung 1939 in Zürich zeigt ein «Souvenir-schandpfahl» abschreckende Beispiele und er-mahnt die Besucher dazu, einheimische und «ehr-liche» Andenken zu kaufen. Das Gütezeichen «BelRicordo», finanziert vom Eidgenössischen Depar-tement des Innern (EDI), vom Bundesamt fürIndustrie, Gewerbe und Arbeit (Biga) und vomSchweizerischen Heimarbeiterverband, soll fortanempfehlenswerte Produkte auszeichnen; zudemwill der Trägerverein eine Mustersammlung an-legen.

Standen im 19. Jahrhundert die Souvenirher-steller in der Kritik, geht es nun um die geschmack-liche Erziehung der Käuferschaft und um denguten Ruf der Schweiz. «Salontirolerei», wie sie imSouvenirbereich vorherrsche, erwecke einen «irre-führenden Eindruck vom kulturellen Niveau desLandes», was nicht im Interesse der touristischenLeistungsträger sein könne, meint 1942 zum Bei-spiel ein Werkbundvertreter. Auch die «Neue Zür-cher Zeitung» (20. 4. 1945) erhofft sich von demneuen Label positive Auswirkungen: «Die Aus-landgäste, die wir in den Nachkriegsjahren erwar-ten, werden mit den Andenken des <Bel Ricordo>eine nicht zu unterschätzende kulturelle Werbungfür die schweizerische Volkskunst und damit ganzallgemein für unser Ferienland Schweiz fördern.»

Über viele Jahre gehören Reiseandenken-Wett-bewerbe und Aktivitäten der Vereinigung «BelRicordo» zur festen Traktandenliste der Eidgenös-sischen Kommission für angewandte Kunst(EKaK), der nationalen Hüterin guter Gestaltung.Sie beteiligt sich finanziell und nimmt Einsitz beiJurierungen. Die Sitzungsprotokolle der 1940erund 1950er Jahre zeigen, dass Fragen der Ressour-cenkontrolle oder vielmehr -vergabe die Diskus-sion dominieren: Wie viel Geld soll die Kommis-sion in den anstrengenden und, wie sich zeigenwird, aussichtslosen Kampf zur «Verbesserungdes Schweizer Reiseandenkens» investieren? Jahrfür Jahr kürzt die EKaK ihre Beiträge an Aktivitä-ten im Souvenirbereich, behält aber ihren Einsitz(und damit auch Einfluss) im Vorstand des Vereins«Bel Ricordo». 1958 führt ein weiterer Wettbe-werb für gute Reiseandenken zu einer Grundsatz-

diskussion unter den Kommissionsmitgliedern. DieErgebnisse der Ausschreibung seien «kläglich»ausgefallen, und die Anzahl Auszeichnungen habenachträglich reduziert werden müssen. Der Kom-missionspräsident Berchtold von Grünigen, Direk-tor der Allgemeinen Gewerbeschule Basel, sieht

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einen der Gründe für diesen Misserfolg im «ver-schwommenen Begriff <Reiseandenken», so dasProtokoll der betreffenden Sitzung. «Gut geformteund typische Gebrauchsgegenstände» sind für ihndie schönsten Andenken an Auslandreisen. Mitanderen Worten: Wer einen guten Geschmack hat,braucht keine als solche gekennzeichneten Souve-nirs, weder gute noch schlechte.

Die Touristenkultur siegtTrotz der ungelösten Frage, was ein Souvenir über-haupt ist und was allenfalls seine Güte auszeich-net, beteiligt sich die Kommission bis Ende der1970er Jahre weiterhin an nationalen Andenken-Wettbewerben. Protokolliert wird notorische Un-zufriedenheit mit den eingereichten Entwürfen,mit unklaren Wettbewerbsbestimmungen und mitdem fehlenden Willen der Produzenten, die prä-mierten Ideen zur Marktreife zu bringen. Als dasSchweizer Heimatwerk 1989 die EKaK um Hilfebei der Durchführung eines Souvenir-Wettbe-werbs bittet, der im Vorfeld der 700-Jahr-Feierstattfinden soll, fällt die Antwort deutlich und ab-schliessend aus: «Die Kommission ist nicht bereit,auf das Gesuch einzutreten. Sie erachtet es nichtals ihre Aufgabe, Touristen von sog. gut gestaltetenSouvenirs zu überzeugen, wenn solche gar nichtgefragt sind.»

Damit endet die Geschichte von (staatlichen)Erziehungsversuchen im Souvenirbereich. Bisheute werden Designwettbewerbe zum Themaausgeschrieben, doch ist ihr Ziel längst nicht mehrdie Geschmacksbildung, weder der Entwerfer,Hersteller und Verkäufer noch der Käufer. Viel-mehr geht es um Destinationsmarketing, um einepointierte, originelle und distinktive Positionie-rung in einem hart umkämpften Markt. BrienzerBären und Interlakner Holzkühe aber gehörenin notabene seit über hundert Jahren unveränder-ter Gestalt nach wie vor zu den Bestsellern derSouvenirbranche. Und um ausgesuchte Stücke ausder Belle Epoque zu erwerben, reisen nichtwenige Liebhaber aus aller Welt zu Jobin nachBrienz.Franziska Nyffenegger ist Kulturwissenschafterin. Sie unterrichtetals Dozentin im Departement Design der Zürcher Hochschule derKünste und leitet an der Hochschule Luzern Design 8i Kunst das

SNF-Projekt «Bildsymbole der Schweiz Entwurf im Souvenir».