16
JANUAR 2016 KUWIK 03 Ein kulturwissenschaftliches Magazin

KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

  • Upload
    kuwik

  • View
    222

  • Download
    0

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Third edition of our nonprofit magazine dealing with sociopolitical topics. Made by 4 students studying Cultural Studies at the JKU Linz, Austria.

Citation preview

Page 1: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

JANUAR 2016

KUWIK

03

Ein kulturwissenschaftliches Magazin

Page 2: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

INHALT

FOKUS LITERATUR

2

FOKUS GESCHICHTE

4

FOKUS PHILOSOPHIE

6

ALLGEMEIN

8

EVENTS

12

Page 3: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

1

Willkommen im neuen Jahr 2016!

Wir hoffen, dass ihr die Feiertage gut über-standen habt und wieder frisch und erholt ins neue Jahr starten könnt. Zum Glück haben die zahlreichen Feiern, Schlemmer- und Trink-Ex-zesse wieder ein Ende. Trotz all den vorge-nommenen Fasten-Vorsätzen haben wir ein paar intellektuelle Leckerbissen für euch...

In dieser Ausgabe bieten wir euch beson-ders internationale Themen und beginnen mit einer Reise von Hamburg nach Argenti-nien mit einem Zwischenstopp in Nicaragua. Außerdem wird eine künstlerische Betrach-tungsweise von Außen auf die Situation in Is-rael geboten. Der Street-Art Künstler „Banksy“ stellt in seinen Kunstwerken die momentane politische Situation am Gazastreifen und die zu Weihnachten verkündete Friedens-Symbo-lik, gegenüber.

In den Berichten über Hamburg, Argentini-en und Nicaragua spiegeln sich die verschie-denen Eindrücke der Journalistinnen von den unterschiedlichen Kulturen der einzelnen Län-der wieder und der/die LeserIn hat das Privi-leg in diese fremden Welten einzutauchen. Da sich die AutorInnen eine gewisse Zeit lang vor Ort befanden, beschreiben sie die Ereignisse von einem inneren Blickwinkel. Dieser eröffnet natürlich ganz andere Möglichkeiten, als von einem äußeren Standpunkt. Man selbst befin-

EDITORIAL

Hallo liebe KuwiK’s!

det sich auf einmal in einer anderen, fremden Kultur und betrachtet diese nicht mehr aus der Ferne, sondern aus dem direkten und unmit-telbaren Umfeld. Ich glaube diese bewusste Betrachtung spiegelt sich auch in den Thesen der Kulturwissenschaften wieder.

Außerdem sind es doch die sich spontan entwickelnden Momente, die man sich von ei-nem fremden Land im Gedächtnis behält und mit denen dann auch dieses Land identifiziert wird.

Wir hoffen, dass es euch Spaß macht im KuwiK zu stöbern und in fremde Länder ein-zutauchen.

Hier noch ein Anliegen von uns...Wenn du dich als JournalistIn oder Schrift-

stellerIn siehst und du Spaß am Organisieren von Projekten hast, bist du bei KuwiK völlig richtig. Wir suchen nämlich frische, dynami-sche Köpfe, die sich vorstellen könnten für das KuwiK zu schreiben und zu recherchieren.

Als wir dieses Sprachrohr ins Leben geru-fen haben, war unsere höchste Priorität ein un-abhängiges Medium zu schaffen, welches den StudentInnen eine Möglichkeit gibt brisante Themen an die Öffentlichkeit zu bringen, ohne dabei politisch oder universitär eingeschränkt zu werden. Denn nur so lassen sich Missstän-de, die von federführenden Institutionen ver-ursacht oder begünstigt werden, ansprechen,

ohne zensiert zu werden.Wer Lust hat hier mal reinzuschnuppern,

um sich das ganze einfach mal anzusehen und seine eigenen Ideen einzubringen ist natürlich gerne eingeladen, bei den kommenden Aus-gaben mitzuwirken. Für weitere Fragen wen-de dich an [email protected] oder sprich uns persönlich an.

Wir freuen uns auf dich! das KuwiK-Team

Page 4: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

2

Seit Jahren wird der drohende Verfall unse-rer schönen deutschen Sprache vorhergesagt. Aber stimmt das wirklich? Ist es bloß purer Pessimismus oder werden wir uns in nicht allzu ferner Zukunft wirklich nur mehr mittels Emoticons, Anglizismen und Abkürzungen verständigen? Verlieren wir unsere schönsten Ausdrücke zugunsten von „OMGs“, „4Us“ und gelben grinsenden Gesichtern? Ist das die düstere Zukunft?

Hier die gute Nachricht: Auch wenn es von so manchem Schwarzseher prophezeit wird, haben wir eine komplette Sprachlosigkeit un-sererseits wohl kaum zu befürchten. Sprache befindet sich ständig im Wandel, sie ist von Natur aus dynamisch und wird niemals aufhö-ren sich zu verändern. Denn Sprache passt sich an – sei es an unseren neuen schnelllebigen Alltag oder an die vielen neuen Technologien und Erfindungen, die unser Leben bereichern. Alte Wörter verschwinden, dafür nehmen neue ihren Platz ein. Unser Wortschatz verklei-nert sich also nicht sondern verändert sich nur. Die SprachkritikerInnen müssen sich wohl mit diesem natürlichen Lauf der Dinge abfinden.

Da ich aber trotzdem eine Liebhaberin vieler altmodischer Ausdrücke bin, möchte ich euch hier ein paar der, meiner Meinung nach besonders schönen, leider bereits „ver-storbenen“, oder zumindest stark vom Aus-sterben bedrohten Wörter vorstellen und so zumindest den Versuch wagen sie vor der vollkommenen Vergessenheit zu bewahren. Als Vergleich dazu möchte ich euch aber auch einige der neu kreierten, quasi gerade frisch

„geborenen“ Wortkreationen nicht vorenthal-ten. Denn ihr sollt selbst entscheiden über Sprachverfall oder Sprachgewinn.

Top 5 der überaus nützlichen Ausdrücke für „Vintage-LiebhaberInnen“honett: Welch ein wohlklingendes Wort und es steht sogar immer noch im Duden. Hoffen wir, dass es auch so bleibt und die honetten Menschen, die als ehrenhaft und anständig gelten, nicht aussterben.Lichtspielhaus: „Ich gehe heute ins Lichtspiel-haus und schaue mir den neuen Star Wars Film an.“ Klingt etwas seltsam – heutzutage ge-hen wir nämlich stattdessen ins Kino. Obwohl sich doch eigentlich ein Besuch im Lichtspiel-haus viel glamouröser und aufregender an-hört. Also ich bleibe dabei: Heute gehe ich ins Lichtspielhaus und schaue mir Star Wars an.Lotterbube: Allein schon die Erklärung dieses Wortes enthält mindestens drei andere vom Aussterben bedrohten Wörter. Da wundert es keinen mehr, dass dieser Ausdruck nicht mehr sehr aktiv verwendet wird. Wen es aber inter-essiert und wer es schön findet: Ein echter Lot-terbube ist laut dem Lexikon der bedrohten Wörter „einer, der windiges Gewäsch von sich gibt, sich herumtreibt und in einem Atemzug mit Kesselflickern, Possenmacher, Spitzbuben und Banditen genannt werden darf.“Unhold: Die Synonyme für dieses so unschul-dig klingende Wort sind laut Duden Bestie, Monster oder auch Ungeheuer. Da klingt der Unhold doch viel netter.wohlgemut: Beim Klang dieses wunderbaren

Wortes fühle ich mich doch gleich ganz wohl-gemut. Und seine Bedeutung ist mindestens ebenso wunderbar wie sein Klang: freudig, froh, freudestrahlend, freudevoll, glücklich, frohgemut, munter, fröhlich, zufrieden, sonnig, beschwingt, ungetrübt, wohlgefällig und hei-ter sind die Synonyme laut Duden dafür.

Top 5 der neu kreierten Wörter für „hippe“ junge LeuteCompi: Laut Duden angeblich aktuell eine scherzhafte Abkürzung für den Computer. Hätte ich zwar noch nie gehört, aber der Du-den wird schon recht haben.Fressnarkose: Ein, meiner Meinung nach, eher uncharmanter Ausdruck für den komatösen Zustand nach einer üppigen Mahlzeit, der laut Duden aber zur neuen Szenesprache der Ju-gend gehört.ranken: Heutzutage wird nicht mehr aufgelis-tet oder bewertet sondern nur mehr in einem Ranking gerankt.Screenager: Eine sehr treffende Beschreibung für Jugendliche, die den Großteil ihrer Zeit vor diversen Bildschirmen verbringen.Shitstorm: Jeder kennt ihn, jeder hat schon mal darüber gelesen. In den Massenmedien wird zur Zeit andauernd über den neuesten Shitstorm im Internet und wer gerade davon betroffen ist, berichtet. Im Duden wird er ganz diplomatisch als „Sturm der Entrüstung in ei-nem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“ definiert.Silvia Traxler

Sprachverfall oder Sprachgewinn?

FOKUS LITERATUR

© Pierre Metivier

Page 5: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

3

Die Shoah bzw. der Holocaust ist eines der meistdiskutierten Themen in den unterschied-lichen Wissenschaftsdisziplinen, weshalb es zu diesem historischen Gesellschaftsereignis viele Streitpunkte gibt. Einige davon möchte ich hier vorstellen, um zu zeigen, wie komplex und weitschichtig auch dieses Thema aufgear-beitet werden kann.

Die Diskussionspunkte beginnen bereits bei den Bezeichnungen, die für dieses histo-rische ‚Phänomen’ gewählt wurden: ‚Shoah’ kommt aus dem Hebräischen und bedeutet so viel wie ‚Strafen Gottes’, und ist somit kein angemessener Ausdruck für dieses Ereignis. Der Begriff ‚Holocaust’ kommt ebenfalls aus dem Hebräischen und heißt ‚Brandopfer’. Er steht in Verbindung mit der von Gott gefor-derten, letztendlich verhinderten, Opferung des Sohnes Abrahams. Auch dieser erscheint somit nicht bezeichnend für dieses Szenario. Und auch ein weiterer Begriff, nämlich ‚Aus-chwitz’, beschreibt nicht einmal annähernd, welche Ausmaße und Dimensionen die da-mals stattgefundene Auslöschung der Juden genommen hat.

Weiters kann bei der Frage, wie so eine Tat überhaupt zustande kommen kann, das heißt, ob sie geplant war, oder ob sie einfach ein Er-gebnis gesellschaftlicher Dynamiken gewor-den ist, gestritten werden. Im weiteren Sinne stellt sich dann auch die Schuldfrage. Können sich die Reichsbahnfahrer damit rechtfertigen, dass sie einen Befehl ausgeführt haben, der von ganz oben kam und sie schlechthin keine

Streitthema Holocaustandere Wahl hatten, als die geschändeten und entwürdigten Menschen in den Viehwaggons in die Konzentrations- und Vernichtungslager zu transportieren? Sind sie also unschuldig? Oder haben sie genauso Schuld wie Hitler, der der treibende Motor zu dieser Untat war?

Wie an diesen beiden Beispielen ersichtlich ist, gibt es viele Probleme in der Wissenschaft, sich in gewissen Punkten einig zu werden.

Und auch in der Literatur gibt es Probleme: Hier herrscht vor allem eine Diskussion zwi-schen einem Darstellungsverbot und einem Erinnerungsgebot.

Es stellen sich Fragen wie: Was muss dar-gestellt werden, um den Menschen klarzuma-chen, dass dies nicht noch einmal passieren darf? Was KANN überhaupt dargestellt wer-den? Was sollte im Verborgenen bleiben? Bzw. was genau sollte unbedingt NICHT im Verborgenen bleiben?

Nach dem Autor Theodor W. Adorno, zum Beispiel, ist es die Pflicht der Kunst, „die ver-meintliche Normalität ‚nach Auschwitz’ immer wieder in Frage zu stellen“ und somit die Ge-sellschaft immer wieder mit diesem Ereignis zu konfrontieren.

Im Gegensatz dazu beruft sich der fran-zösische Philosoph und Literaturtheoretiker Jean-François Lyotard auf das jüdische Bil-derverbot im 3. Buch Mose: „Du sollst Dir kein Götterbild machen, auch keinerlei Abbild des-sen, was oben im Himmel oder was unten auf der Erde oder was in den Wassern unter der

Erde ist“. Denn durch schlechte Bilder, oder, im weiteren Sinne, durch schlechte Filme oder Fernsehserien, durch schlechte Romane gerät diese Untat in Gefahr, verzerrt dargestellt und dadurch erst Recht vergessen zu werden. Im Weiteren bezieht er sich auch auf Texte und Bilder, die äußerst genau und streng beschrei-ben, was damals passiert ist. „Aber auch sie stellen noch dar, was undarstellbar bleiben muß [sic!], um nicht, als das Vergessene selbst, vergessen zu werden“.

Ebenfalls ein Anhänger des Darstellungs-verbotes ist Elie Wiesel. Er behauptet, „dass sich das Ereignis der literarischen Darstellung grundsätzlich entzieht“.

Auch wenn dies wahrscheinlich stimmt, dass nie jemand annähernd beschreiben oder erzählen kann, was im Zweiten Weltkrieg pas-siert ist, sehen die Überlebenden der Konzen-trations- und Vernichtungslager es doch als ihre Aufgabe und Pflicht, darüber zu schrei-ben und zu berichten.

Und auch ich bin der Meinung, dass dieses Thema niemals unter den Teppich gekehrt werden darf. Eine solche ungeheuerliche Tat IST passiert, und es ist wichtig, darüber zu sprechen, zu diskutieren und sich Gedanken darüber zu machen, um sich vor Augen zu halten, wozu der Mensch fähig ist und um sich vor Augen zu halten, dass dies nie wieder pas-sieren darf. mm

„Der Holocaust ist ‚unheimlich’ in dem Sinne, dass er sich den Grenzen des Vorstellbaren entzieht und dennoch völ-

lig im Rahmen des Machbaren bleibt. Die Unheimlichkeit des Ereignisses besteht mithin in seiner Grenzenlosigkeit: dass

wirklich alles möglich ist.“

Quelle: Günter, Manuela; Ebbrecht-Hartmann,Tobias (2015): Literatur der Shoah. Skript der FernUniversität in Hagen, Kultur- und Sozialwissenschaften, WS 15/16, S.33

Page 6: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

4

Vergangenen Sommer verbrachte ich zwei Monate in Hamburg, um dort im Staatsarchiv als Praktikantin zu arbeiten. Nach erstaunlich kurzem und unkompliziertem Bewerbungs-prozess wurde ich am 6. Juli um 10:00 Uhr in der Abteilung 2 ressortbezogene archivische Aufgaben im Referat ST 24 Ordentliche und Freiwillige Gerichtsbarkeit, Personenstands-, Melde- und Staatsangehörigkeitswesen, Reli-gionsgemeinschaften erwartet.

Meine Hauptaufgabe war es, den Bestand der Vormundschaftsakten des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek in der Archivsoftware ScopeArchiv zu erschließen. Diese stamm-ten aus der Zeit zwischen ca. 1900 und 1945 und hatten einen Umfang von wenigen Seiten bis zu mehreren Bänden. Konkret handelt es sich bei diesen Akten meist um die Vormund-schaft von verwaisten Kindern, Kindern von denen ein Elternteil verstorben ist oder von unehelichen Kindern. Die Aufgabe des Amts-gerichtes war es für die sogenannten Mündel einen Vormund bereit zu stellen, der sich ei-nerseits um das Wohl, um die Erziehung und das Heranwachsen andererseits auch um die finanzielle Ausstattung des Kindes kümmern soll. „Die Vormundschaftsakten gaben dabei Aufschluss über die familiären und sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit. Darüber hi-naus waren in den Akten Formulare zur Be-stellung des Vormunds, regelmäßige Berichte über die Lebensverhältnisse des Mündels, Ge-burts- und Sterbeurkunden, Auflistungen über Erbschaften und Vermögen, Gerichtsurteile in Straf- und Ehescheidungssachen zu finden“ (Hönnig, 2015).

Für die Erschließung musste ich den vol-len Namen des Mündels, Geburtsdatum, Geburtsort, Aktenzeichen und Ende der Ak-tenlaufzeit aus den Akten entnehmen und in die Datenbank aufnehmen. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Akten und der da-mit einhergehenden, für mich teilweise sehr unleserlichen Sütterlinschrift, brauchte ich in den ersten Tagen noch wesentlich länger zur Verzeichnung. Wenige Tage später aber fiel mir das Lesen und Entziffern der Akten schon um einiges leichter. Nach der digitalen Er-schließung musste ich die Akten von jeglichen papierschädigenden Materialien (Heftklam-

mern etc.) entmetallisieren, verpacken und signieren.

Meine Arbeit führte mich auch immer wie-der ins Magazin, also dem Trakt des Staats-archives, in dem die Archivalien unter kon-stanter (und im Sommer angenehm kühler) Raumtemperatur aufbewahrt werden. Dort durfte ich zum Beispiel bei der Suche nach Polizisten mit NS-Vergangenheit in Polizeiper-sonalakten mithelfen, ungelöste Mordakten durchstöbern oder Lebensdaten von Fotogra-fen ermitteln, um Nutzungsrechte zu klären.

Nach der vollständigen Erschließung der Vormundschaftsakten, durfte ich in die Ab-teilung der Plankammer, in der keine Akten, sondern Stadtpläne, Landkarten, Postkarten, Fotos – sprich alles außer Akten – verzeichnet wurden. Meine Aufgabe bestand darin, Ma-terialien und Überbleibsel der Hamburger Gartenbauausstellungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert zu digitalisieren. Die Materialien wurden nun nicht mehr in kleinen Akten ver-staut, sondern in ca. 1,5x2 Meter großen Map-pen mit teilweise sehr unerwarteten Inhalten (Bierdeckel, Flyer, Servietten, Papierhüte, Mo-biles, …) archiviert. Deutlich zu erkennen ist hierbei, dass eine historische Quelle nicht nur ein simples Schriftstück sein muss, sondern auch völlig allgegenwärtige Materialien und Gebrauchsgegenstände zu historischen Quel-le werden können. Auch sie können über eine bestimmte Zeit einen bestimmten Aussage-wert mitliefern.

Ich bekam während meines Praktikums unter anderem auch Einblicke in die Restau-rierungswerkstatt, die täglich für das Archiv im Einsatz ist um alte Quellen wieder aufzupäp-peln, um ihnen ein langes Leben im Archiv ga-rantieren zu können.

Abwechslungsreich waren auch die beiden Tage im Lesesaal bzw. dem angebotenen Be-ratungsdienst, der vor allem den Hobbyfor-scher_innen und Studierenden, erste Tipps zur archivarischen Recherche bietet.

Dass Archive nicht nur staubig und eintö-nig sind, wurde mir schon nach meinem ers-ten Tag klar. Der zurzeit stattfindende digitale Wandel im Archivwesen mit hochmodernen Arbeitstechniken, die unterschiedlichen Arten

von Quellen, das dynamische und größtenteils sehr junge Team machten das Praktikum im Archiv lebendig und abwechslungsreich zu-gleich. Für Geschichteinteressierte oder plan-lose Kuwis, kann ich ein solches Praktikum nur weiterempfehlen. Ich habe dabei den Beruf der Archivarin/des Archivars kennengelernt, der sich nicht nur auf staubige Akten reduziert, sondern unglaublich weitläufig ist. Außerdem habe ich währenddessen auch unheimlich viel über die Geschichte Hamburgs gelernt.

Vor allem aber habe ich erlebt, dass der Geschichte im Archiv Leben eingehaucht wird, sie wird fühlbar, riechbar und unheimlich spannend. vekron.

Praktikum im Staatsarchiv Hamburg

Page 7: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

5

BuchempfehlungAmos Oz – Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

In der Lehrveranstaltung Dokumentation und Medien aus dem Kernfach Geschichte mussten wir dieses Semester eine Quellenar-beit zu Amos Oz‘ Eine Geschichte von Liebe und Finsternis durchführen. Da hier noch ein wenig Platz ist, folgt nun eine kleine Buchemp-fehlung über das 2002 erschiene Werk.

Die Autobiographie des israelischen Lite-raturwissenschaftlers und Philosophen be-handelt auf sehr spannende, berührende und auch traurige Art und Weise das Leben des nun mittlerweile berühmtesten Schriftstellers Israels. Geboren 1939, wuchs er als Einzelkind bei seinen Eltern in einer winzigen Wohnung in Jerusalem auf. Beide Eltern hatten studiert und sprachen bis zu elf Sprachen, ihrem Sohn allerdings zogen sie nur in Hebräisch auf, um ihm vor dem Europa der damaligen Zeit zu beschützen. Die Familien beider Eltern wan-derten aus ihrer Heimat Osteuropa aus und fanden in Jerusalem ein neues Zuhause (vgl. Wunderlich, 2005).

Das Buch ist gefüllt mit Kindheitserinnerun-gen des jungen Amos‘. Oz‘ Kindheit war vor

allem geprägt von der britischen Mandats-zeit in Palästina zwischen 1920 und 1948. Der jahrhundertewährende kriegerische Konflikt zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung eskalierte nach der offiziellen Ausrufung des israelischen Staates am 15. Mai 1948, als wenige Minuten danach das ara-bische Militär im jungen Israel einrückte, mit dem Ziel, der Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Israels. Der Paläs-tinakrieg währte noch bis Juli 1949 (vgl. Timm, 2008).

Oz ist ein klarer Befürworter des Israeli-schen Staates und beschreibt dies auch mehr-mals in seinem Buch, allerdings ohne dabei die kriegerischen Gegenangriffe und Gräuel-taten der israelischen Armee zu leugnen. So kämpfte er zwar als Soldat auf der Seite des israelischen Militärs im Sechstagekrieg von 1967 sowie im Jom-Kippur-Krieg von 1973, aber dennoch gründete er die israelische Frie-densbewegung und sprach sich immer wieder für eine Konfliktlösung zwischen den beiden verfeindeten Seiten aus (vgl. ZEIT.de, 2005).

Das Buch handelt aber nicht nur von den kriegerischen Auseinandersetzungen zwi-schen jüdischer und arabischer Bevölkerung. Oz schafft es ein buntes, lebhaftes Bild der

israelischen Küstenstadt Tel Aviv zu kreieren, sodass man sich am liebsten in den nächsten Flieger nach Tel Aviv setzen würden, um sich dort von Oz‘ verlockenden Beschreibungen selber ein Bild zu machen. Auch das Jerusa-lem der 1940er Jahre wird bildhaft dargestellt mit einem großen kulturellen Angebot und einer feinen Küche.

Neben den sehr emotionalen Passagen der kriegerischen Auseinandersetzungen zwi-schen der jüdischen und der arabischen Be-völkerung (wie zum Beispiel der Tagebuchein-trag einer trauernden Mutter über ihren von einem arabischen Scharfschützen ermordeten Sohn), beleben die verschiedenen Selbstdar-stellungen des jungen Amos Oz sein Werk. Seine Kindheitserinnerungen an die eigene Schildkröte, die Begegnung mit einem arabi-schen Mädchen, seine familiäre Umgebung sowie die vielen detailreichen Beschreibun-gen von Begegnungen und Prägungen schrei-ben seine persönliche Geschichte zwischen Liebe und Finsternis.

Ein Tipp für alle, die Lust auf eine kultu-rell-historische Reise in das junge Israel haben.vekron.

FOKUS GESCHICHTE

Page 8: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

6

Maybe this whole situation will sort itself out...

Gerade erst haben wir Weihnachten gefei-ert und das Friedenslicht reiste um die Welt, um überall Hoffnung und Licht zu spenden. Am Ausgangspunkt seiner Reise, an der Ge-burtskirche in Bethlehem gingen indes die Lichter aus. Mehrere Minuten lang blieben sie erloschen im Gedenken an die Opfer von Angst und Gewalt. Besonders gedacht wurde all denen, die ihre Heimat verloren haben. Vie-le Menschen haben in den letzten Jahren ihre Häuser und ihr zu Hause verloren. Hundertau-sende sind auf der Flucht Millionenen leben in Flüchtlingslagern. Diese Menschen haben alles verloren, außer ihrer Hoffnung. Während-dessen herrscht in Europa die Angst, dass wir unseren Wohlstand teilen müssen. Flüchtlinge werden als Belastung des Staates angesehen. Sie bräuchten Betreuung, würden Geld kosten und ja gar kein Teil unserer Gesellschaft wer-den wollen.

Eine andere Geschichte erzählt ein neues Werk des Street-Artists Banksy im Flüchtlings-lager „The Jungle“ in Calais. Der Künstler ar-beitet mit Spraydose und Schablonen, weil er nach eigener Aussage, einfach viel zu lange braucht um freihändig zu sprayen und nicht erwischt zu werden. An einer Betonmauer malte er das lebensgroße Abbild des App-le-Gründers Steve Jobs mit einem Bündel Kleider über der Schulter und einem alten Computer in der Hand. Das Werk erinnert dar-an, dass Jobs Vater einst aus Syrien in die USA immigrierte. Zweifellos ist der Apple-Konzern ein Gewinn für den Staat, der seinen Vater da-mals aufnahm. Er ergreift Partei für die Flücht-linge und bringt ihnen etwas Hoffnung nach Calais.

Hoffnung darauf, dass die aussichtslo-se Lage vielleicht gesehen wird. Denn das Flüchtlingslager ‚The Jungle‘ ist kein orga-nisiertes Camp, es gibt weder Strom, noch Wasser oder Essen. Mittlerweile leben über 6000 Menschen hier an der Küste von Calais, und es werden immer noch mehr. Viele sind direkt hier an Land gegangen und leben nun zwischen Zelten und Müll. Bisher hat weder Frankreich noch ein anderes europäisches Land die Verantwortung für das Lager über-nommen. Währendessen verwandelt sich die naheliegende Stadt Calais zunehmend in eine

Festung. Im Kleinen findet hier dasselbe statt, wie

in ganz Europa. Unzählige brauchen unsere Hilfe und sterben bei dem Versuch sie zu er-bitten. Doch die Nationen Europas weisen die Verantwortung von sich, sie bauen Zäune und warten ab. Eine Festung aus Misstrauen und Gleichgültigkeit. Vielleicht wird sich ja alles von allein lösen…maybe this whole situation will sort itself out… schrieb Banksy an eine Wand in „The Jungle“.

Eben diese Gleichgültigkeit versucht Banksy mit seinen Mitteln zu durchbrechen. Als Street-Artist stellt er seine Kunst auf der Straße aus. Sein handeln zielt darauf ab ein Publikum zu erreichen und natürlich eine Bot-schaft zu übermitteln. Banksy beherrscht die-ses Handwerk, wie kein zweiter. Seine Werke im Flüchtlingslager sollen Fotografen anlo-cken, welche dann über das Lager berichten.

Doch traurigen Geschichten kann man auch aus dem Weg gehen, nicht aber den Werken des Street-Artists auf der Straße. Vor allem um diejenigen zu erreichen, die eine Mauer um sich bauen, hinterließ der Künstler auch innerhalb der Stadt Calais seine Spuren. Mitten im Stadtzentrum malte er eine Vari-ation des Gemäldes „das Floß der Medusa“ von Gericault. Im Vordergrund ein Floß voller Flüchtlinge und im Hintergrund, statt eines rettenden Schiffes, eine Fähre von der Bauart wie sie häufig am Ärmelkanal zu sehen ist. „Wir sitzen nicht alle in einem Boot“, kommentiert er selbst sein Werk…

Wie viele derjenigen, die vor den Toren der Stadt auf eine Zukunft hoffen, haben Europa wohl genau so erreicht?

Am Stadtstrand von Calais hat Banksy die Umrisse eines Kindes gesprayt das mit einem Fernrohr aufs Meer blickt, als würde es seinen Weg in die Freiheit suchen. Auf dem Fernrohr aber sitzt ein Geier, der gierig auf das Kind zu warten scheint.

Wie viele haben die Flucht übers Meer wohl nicht über-lebt?

Banksys Werke zwingen Menschen, die gerade nicht damit rechnen, sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen. Fragen denen man in Europa scheinbar gerne ausweichen möchte. Denn solange man keine Verantwor-tung übernommen hat, muss man nichts be-zahlen. Banksys Werke zwingen den Betrach-ter sich Gedanken zu machen. Sie inspirieren dazu, Vorurteile zu überdenken und sich eben nicht abzuwenden.

Denn… die Situation wird sich nicht von al-lein zum Besten lösen!Eva Lechner

Page 9: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

7

FOKUS PHILOSOPHIEFREIER ARTIKEL

© Banksy

Page 10: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

8

ALLGEMEIN

Wie alles begannManchmal im Leben tun sich ganz unver-

hofft Chancen auf, die genau auf lange ge-hegte Träume passen: Mein Traum von Süd-amerika währte seit Kindestagen und wurde im Sommer 2015 wahr, nachdem ich das An-gebot erhalten hatte, für zwei Monate nach Argentinien zu gehen und dort bei der NGO Voluntario Global tätig zu werden. Unmittelbar nach der Klausur von „Themen und Theorien II“ im Sommersemester brach ich also auf nach Buenos Aires – ohne Zeit gehabt zu haben,

auch nur ein bisschen im Reiseführer zu lesen, ohne die geringste Ahnung, was mich erwar-ten würde. Im Nachhinein habe ich beschlos-sen, dass ich das in Zukunft immer so machen werde, denn ich habe mich auf meiner Reise am meisten in die Überraschungsmomente verliebt, die Dinge, mit denen ich nun wirklich nicht gerechnet hätte, das Eintauchen in das fremdartig Anmutende, in dem man früher oder später fast immer bemerkt, dass es dem Bekannten gar nicht so unähnlich ist, ohne sich

vorher beängstigende oder vielleicht einfach falsche Bilder und Vorstellungen gemacht zu haben. Sicherlich hatte ich vor Abreise noch von allen möglichen Seiten gut gemeinte Tipps und Warnungen erhalten, die dazu führ-ten, dass ich als ich ankam, überhaupt nicht einschätzen konnte, wovor ich Angst haben sollte: Ich wusste nicht, ob es gefährlich sein würde, nachts alleine unterwegs zu sein, wie ich als Ausländerin behandelt werden würde oder wem ich vertrauen konnte. Letzten En-

Meine Zeit als Radiojournalistin bei einem argentinischen Sender

Page 11: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

9

des habe ich hier aber die Erfahrung gemacht, dass die allermeisten Menschen mehr als das Beste wollen und in so vielen Situationen un-erwartet Hilfe angeboten wird. Und wenn man es nicht gelegentlich riskiert, zu vertrauen, wird man viele Gelegenheiten verpassen, die der Beginn großartiger Freundschaften sein können. Natürlich sollte man nicht naiv, son-dern durchaus etwas vorsichtig im Sinn von aufmerksam sein. Aber zu viel Angst begrenzt die Möglichkeiten, die man hat, viele berei-chernde Erfahrungen zu machen.

„Home is where the heart is”Mit dieser Auffassung, die während des

gesamten Aufenthalts bestärkt wurde, stürzte ich mich also lebensfroh in mein Abenteuer Argentinien: Ich wohnte in einer 20er-WG für internationale freiwillige Helfer der NGO, die in einem Studentenwohnheim untergebracht waren. Drei Duschen gab es, als ich ankam, am Ende meines Aufenthalts funktionierte nur noch eine und das warme Wasser reichte für genau diejenige eine Person, die es morgens in aller Frühe als erstes aus dem Bett schaffte. Die Küche war ein beliebter Spot unter Ka-kerlaken und mein Zimmer, schräg oben zwi-schen zwei Diskotheken gelegen, wies beein-druckende Risse in der Wand und ein riesiges Loch in der Fensterscheibe auf. Trotz all dem fühlte ich mich an wenigen Orten der Welt je so angekommen und angenommen wie in diesem Wohnheim. Mitunter mag das daran liegen, dass ich in der Zeit in Argentinien noch ganz andere Lebenssituationen kennenlernte, in denen schon ein Wellblechdach über dem Kopf keine unbedingte Selbstverständlichkeit war.

Voluntario GlobalMeine Arbeit in Argentinien ermöglichte

mir sehr unterschiedliche tiefe Eindrücke in Lebensweisen und in die Gesellschaft in Ar-gentinien: Voluntario Global ist eine Nichtre-gierungsorganisation, die vor allem im Groß-raum Buenos Aires, aber auch an anderen Standorten in Argentinien sowie mit vereinzel-ten Projekten in anderen süd- und mittelame-rikanischen Ländern aktiv für soziale Gerech-tigkeit und Umweltschutz eintritt. Sie gliedert sich dabei in unterschiedliche Initiativen, wie verschiedene Waisenhaus- und Kindergarten-projekte, unter anderem speziell für HIV-in-fizierte Minderjährige. Zudem gibt es eine

Suppenküche und mehrere Krankenhäuser einschließlich einer psychologischen Betreu-ungsstation für Menschen ohne Anspruch auf Versicherungsleistungen in diesem Bereich. Weiters unterhält die Organisation Nachhil-feprojekte speziell im Fach Englisch sowie ein Wäschereiprojekt, bei dem benachteiligte Jugendliche zu günstigen Arbeitsbedingun-gen beschäftigt werden, sodass sie dadurch eine Ausbildung finanzieren und nebenbei absolvieren können. Voluntario Global enga-giert sich auch durch etliche Umweltprojekte. Eines davon widmet sich beispielsweise der Aufwertung der Wasserqualität und der Rei-nigung der Strände an der Mündung des Río de la Plata, also der Küste der Metropolregion von Buenos Aires. Es handelt sich beim Delta des Río de la Plata speziell in Zusammenhang mit dem kontaminierten Zufluss Ríachuelo um eines der am schwersten verschmutzen Ge-wässer der Welt.

Mein BeitragAls Teil der Medienabteilung von Volun-

tario Global existiert der nach eben diesem Fluss benannte Community Radiosender FM Ríachuelo. Er dient der Berichterstattung über soziale und politische Themen in Buenos Ai-res, Argentinien, Lateinamerika und weltweit, aber verleiht auch speziell den Projekten der NGO eine Stimme. Ich war während meines Aufenthalts als Teil des Medien- und PR-Teams der Organisation allem voran bei diesem Ra-diosender beschäftigt. Oftmals war es meine Aufgabe, Projekte von Voluntario Global zu besuchen und Interviews mit den Beteiligten zu führen, um dann im Radio über die Ideen der Initiativen, ihren Fortgang mit Erfolgen und Schwierigkeiten etc. berichten zu können. Zudem besuchte ich verschiedene kulturelle Veranstaltungen und Einrichtungen in und um Buenos Aires und kommentierte sie - spe-ziell aus der Sicht einer mitteleuropäischen Studentin. Häufig unterhielten wir uns dann in den Sendungen mit argentinischen oder internationalen jungen Erwachsenen – häufig anderen Freiwilligen aus Projekten von Vo-luntario Global - im Rahmen des speziell da-für ausgelegten Radioprogramms Con Otro Acento über Gesichter von Gleichheit und Differenz innerhalb und zwischen Ländern und Kontinenten oder unterschiedliche Sicht-weisen auf die kulturelle Landschaft Argenti-niens. Mit ähnlicher Perspektivierung, aber

auch einer reisejournalistischen Komponente, führte ich eine Kolumne über Reisen innerhalb Argentiniens, aber auch in die Nachbarstaaten Chile und Uruguay, zu denen ich Gelegenheit erhielt. Ein anderer wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit war eine weitere Kolumne – nämlich über politische und soziale Themen in Europa. Ich durfte – häufig zusammenhän-gend mit den zuvor behandelten sozialpoliti-schen Themen – in Kurzbeiträgen europäische Musik und Filme in den Sendungen vorstellen. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Arbeitsbereichen von Voluntario Global wa-ren nicht so klar gezogen, sodass ich manch-mal beim Besuch verschiedener Projekte der Organisation in deren Umsetzung involviert wurde. So war ich einmal an der Vorbereitung eines friedlichen Protestes der Hafenarbeiter-gewerkschaft beteiligt und durfte ein Graffiti an der Außenmauer von deren Zentrale mit-gestalten. Zudem war ich als Berichterstatterin oft hautnah am politischen Geschehen: Ein-mal war ich auf dem Platz vor dem Präsiden-tinnen-Palast – dieser heißt Plaza Colón, also Kolumbus-Platz –  dabei, als das Denkmal für Juana Azurduy eingeweiht wurde, an der Stel-le wo seit einer halben Ewigkeit die Kolum-bus-Statue gestanden hatte. Juana Azurduy war eine bedeutende Guerilla-Kämpferin im Streben nach der Unabhängigkeit von Spa-nien um 1800 und setzte sich für die Rechte der Landbevölkerung ein. Und: Sie war eine Frau und erhielt, im Gegensatz zu ihren heroi-sierten männlichen  Mitstreitern wie  beispiels-weise José de San Martín und Simon Bolívar, im Nachhinein keinerlei Anerkennung für ihr politisches Engagement. Dass ihr Denkmal nun das von Christopher Columbus ersetzt, ist daher von enormer Tragweite und ein Zeichen südamerikanischer Selbstbestimmung und der Geschlechter-Gleichstellung. Im Rahmen der Einweihung wohnte ich einer Rede des bolivianischen Präsidenten und einer weite-ren von Christina Fernández de Kirchner, der argentinischen Staatschefin, bei – inmitten einer Hymnen singenden Menge von zu Trä-nen gerührten Menschen unter Flaggen vie-ler politischer und sozialer Organisationen. Die Feierlichkeiten wurden von traditionellen Tanzeinlagen, Feuerritualen und Auftritten ver-schiedener Musikgruppen begleitet. Einmal mehr faszinierte mich an jenem Tag die Far-benpracht Lateinamerikas.

Page 12: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

10

Learning by doingZugegeben: die Teilnahme an so vielen

Live-Radio-Sendungen auf Spanisch kostete mich anfangs aber zugegebenermaßen eini-ge Überwindung. Eine weitere große Heraus-forderung war es, als mir die Verantwortung zugetragen wurde, für das zuvor erwähnte Wäscherei-Projekt eine Homepage zu erstel-len – ich bin nicht gerade ein Technik-Genie und hatte hier keinerlei Erfahrung, auf die ich hätte zurückgreifen können. Was ich aber während der Zeit in Argentinien jedenfalls ler-nen konnte, war eine Offenheit, allen Möglich-keiten Raum zu geben, die sich mir boten, um etwas Neues auszuprobieren. In Argentinien lernt man die Dinge generell häufig, indem man sie einfach macht. Und irgendwie hat es funktioniert: Ich hatte nie zuvor im Radio gere-det, nie zuvor eine Website designt, und siehe da, während der Zeit in Argentinien ist beides schon beinahe zu etwas Alltäglichem für mich geworden. Natürlich habe ich noch viele Feh-ler bezüglich der Sprache gemacht und bis zum Ende der zwei Monate brauchte ich stets eine halbe Ewigkeit, um nur Kleinigkeiten auf der Homepage zu ändern, aber man lernt ein-fach immer weiter und es klappt besser und besser. Und wenn ich so zurückdenke, hatte ich trotz der anfänglichen Überforderung mit Manchem selten eine zugleich so intensive und lustige Zeit, in der ich derart viele unter-schiedlichste Erfahrungen machen konnte. Ich glaube nach meiner Zeit in Argentinien, wenn man einfach sein Bestes versucht, klappen die Dinge meistens irgendwie, egal, ob man et-was vernünftig nach Plan schon immer gelernt hat oder nicht. Viel wichtiger ist ein gewisser Einfallsreichtum und so werden Wege manch-mal leichter geebnet, als man je erwartet hätte.

Auf ReisenNeben den Einblicken in den Arbeitsalltag

eines südamerikanischen Landes, konnte ich auch unterwegs auf dem sogenannten Süd-kegel, also dem südlichen Teil Lateinameri-kas, wertvolle Gedanken und Inspirationen sammeln. So begab ich mich beispielsweise in die Stadt Mendoza und mit einem Bus auf eine abenteuerliche, zehnstündige Fahrt über die Anden auf einer verschneiten engen Pass-straße um Chiles Hauptstadt und die traum-hafte bunte Hafenstadt Valparaíso, der schon viele Gedichte und Lieder gewidmet wurden. Ein andermal erreichte ich nach etlichen auf-

regenden Etappen durch unterschiedlichste Landschaft, wie den Weiten der sogenann-ten Pampas oder den Hügelformationen am südlichen Ende des Regenwaldes mit einer achtköpfigen Gruppe, bestehend aus sieben Nationalitäten, den Norden Argentiniens im Dreiländereck mit Brasilien und Paraguay, wo wir die beeindruckenden Iguazú-Wasserfälle bestaunen konnten.

Ein Land sind seine LeuteNeben den Eindrücken von der Landschaft

und aus der Distanz beobachteten Stra-ßenszenen waren es besonders die direkten Begegnungen mit sehr unterschiedlichen Menschen in verschiedenen Kontexten, die mich während der zwei Monate wachsen lie-ßen: In der internationalen WG ergaben sich häufig interessante Gespräche über allerlei Themen, welche oft lustig, häufig aber auch sehr tiefgründig waren und vielseitige Pers-pektiven auf das Wesen unserer Welt zeig-ten. Auch der Kontakt zu meinen KollegInnen vom Radio über die Arbeit hinaus war eine Bereicherung: Bei einer Essenseinladung bei meiner Chefin zu Hause lernte ich viel über argentinische Küche und erfuhr ihre Sichtwei-se auf verschiedene Probleme des Landes. Einmal durfte ich sie zu einem Wohnbaupro-jekt begleiten, über das wir bei dieser Gele-genheit gesprochen hatten. Die Wohnungen schienen nett, modern und geheizt – einfach angenehm um darin zu leben. Aber ich hatte erfahren, welche Schwierigkeiten es in diesem armen Viertel namens La Boca in Buenos Aires in Zusammenhang mit dem Bau gab, dass es zehn Jahre gebraucht hatte, bis alles in dem Zustand war, den ich jetzt sah. Im Laufe dieser Zeit haben etliche Familien, die anfangs Teil dieses als Kooperative organisierten Projekts waren, die Hoffnung aufgegeben. Aber die-jenigen, die den Glauben nicht verloren und viel Energie investierten, haben am Schluss den Traum verwirklichen können, ein eige-nes würdiges Zuhause zu haben. Dies ist eine der Geschichten, die mich in Argentinien am meisten berührt hat, neben den Erzählungen im Kontakt zu einer obdachlosen Familie, die bei einer Bank vor unserem Haus übernachte-te – mit zwei kleinen Kindern. All das machte das Land für mich viel mehr aus, als die Se-henswürdigkeiten, die Steaks und der Tango, von denen ich in den Reiseführern dann noch von Zeit zu Zeit las. All die Bilder, die ich mir im

Vorhinein hätte machen können, hätten nicht dem Wesentlichen entsprochen. Die wahren Wunder von Ländern liegen in ihren Men-schen, und die sind meiner Meinung nach im Einzelnen unbeschreiblich.

Dennoch habe ich versucht, ein Stück Bue-nos Aires in Worten einzufangen:

An der Mündung

Die Stadt an der Mündung - wird sie je ruhen? Nur allein der Gedanke zurück macht manche ihrer Menschen still. Sie kennt keine Eile und doch zieht sie treibend an in ihrer Leidenschaft. Hat die Zeit, die wartend schnell verrinnt, wo es voll und laut ist.

Die Stadt an der Mündung schwelgt in Vergan-genem gefangen. Ihr Blick von Befreiungsgeist blinzelt noch zur Quelle hinterm Meer. Ein-fallsreichtum und Wehmut prägen ihre träge schwelende fallende Bewegung. Gedanken wie Gefühle in ihre unzähligen Gesichter ge-schrieben schweben empor.

Die Stadt an der Mündung lässt ohne Ende of-fen zu tun. Doch am farbigsten träumen stets jene, deren Schicksal schwer sein will. Stark ist, wer draußen auf der Straße sein Lächeln zu behalten schafft. Kinder, deren unbeachtete Geschichten bereits beginnen, wo es aus ist.

Die Stadt an der Mündung - sie scheidet, wer zu hoffen hat und wer zu bangen. Denn jen-seits der letzten Brücke, wo die Wege keine Lichter haben, scheint Morgen täglich leer. Und dennoch spür ich den pochenden Puls von Wirklichkeit am stärksten in jener Umge-bung. Der größte Glanz geht aus dem Leuch-ten der Augen derer dort im Nichts hervor.Johanna Graßl

Page 13: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

11

Was könnte ich schreiben? Über die Ge-schichte Nicaraguas? Die Revolution? Über politische, soziale und ökologische Herausfor-derungen und Entwicklungen? Über den ge-planten „Canal de Nicaragua“ und seine Fol-gen? Über die Rolle von NGO´s? Oder doch über die Rolle von Reisenden, deren Verant-wortung und ihren durch die kulturelle Brille gefärbten Blick?

Nein, ein ganz persönlicher, subjektiver, kurzer Einblick in meine Erinnerungen soll es werden. Eine Sprach-Bilderweltenreise in die-ses wunderbare Land in Zentralamerika, das mich so tief berührt hat. Obwohl es schwer fällt Wörter zu finden, die auch nur annähernd wiedergeben können, wie einzigartig dieses Land und seine Menschen sind.

Nicaragua. Ein Lebensgefühl. Quirliges Leben und Ruhe zugleich. Eine Regsamkeit, die zum Aufatmen einlädt. Wärme.

Menschen. Lachen. Lebendigkeit. Eine Freun-dlichkeit, die die Seele berührt. Einfachste Verhältnisse und trotzdem (oder gerade deswegen?) soviel Zufriedenheit. Dankbarkeit.Offene Türen und offene Herzen. Familie. Straßenhändler, Pferde- und Ochsenkarren, Moto-Taxis und Fahrräder, die die Verkehrsad-ern mit rauschender Betriebsamkeit erfüllen. Und Minibusse, in denen die Beifahrer schon von Weitem durch offene Türen oder Fenster verkünden wohin die Fahrt gehen wird. Mächtige Landschaften, spuckende Vulkane, tropische Früchte, und Kolibris, die einem beim Essen Gesellschaft leisten. Farbe. Soviel Farbe - in den Straßen, auf den Märkten. Und jedes Mal aufs Neue unzählige Eindrücke, die einen wie eine bunte Welle überschwemmen. Tiefer Glaube und Bescheidenheit.

Eine Kathedrale, deren weißes Dach barfuss betreten werden darf und Musik, die durch das Gemäuer nach oben dringt. Eine Stim-mung, die unbeschreiblich ist. Unermüdliche, fleißige Menschen, denen kein fließendes Wasser zur Verfügung steht, und die immer sehr gepflegt und ordentlich auftre-ten. Man fragt sich wie sie dies schaffen, trägt man doch selbst stets eine dünne Schicht des Straßenstaubes mit sich herum. Dankbare Kinder, deren Lebensfreude und Gemeinschaftsgefühl ansteckend und herzer-wärmend sind. Farbenfrohe Hängematten. Hahnenkrähen. Gallo Pinto und Empanadas. Entschleunigung, die einen ruhiger, aber intensiver leben lässt. Langsamer aber be-wusster gehen lässt.Eva Manetzgruber

Algunas impresiones de Nicaragua

Page 14: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

12

EVENTS

Die Lüge von Florian Zeller Österreichische Erstaufführung: 04.02.2016 Kartenreservierung unter: http://www.the-ater-phoenix.at/

BrucknerhausDer kleine Prinz – das Musical Europa-TourneeWann: Montag 18. Jänner 2016 um 20 UhrKarten unter www.brucknerhaus.at

afo – Architekturforum Oberösterreich/LinzAusstellung RAND Rand – anders als Grenze – ist keine klar definierte Zone, vielmehr bildet er einen diffu-sen Raum. Der Rand ist konfliktgeladen, aber auch verbindend, unbeachtet und durchlässig. Dort finden Begegnungen statt, es entwickelt sich Neues und entsteht Unerwartetes. Öffnungszeiten Ausstellung: Mi–Sa: 14.00 – 17.00, Fr: 14.00 – 20.00 Uhr läuft noch bis Freitag 29.Jänner 2016, Herbert-Bayer-Platz 1

Landestheater Linz Das Tagebuch der Anne Frank – OperWann: Donnerstag 21. Jänner 2016 ab 20 UhrKarten unter www.landestheater-linz.at

Schl8hof WelsStefanie Sargnagel & Krixi Kraxi und die Kro-xn mit Nino Mandl (aus Wien) und Natalie OfenböckWann: 16.01.16 21:00Eintritt: Vvk €12Vorverkauf: Café Strassmair, Hermanns, Moden Neugebauer

Tribüne LinzGerührt und Geschüttelt - Tragikomödie von Karin SchmidGastspieltermine:Donnerstag, 21. Jänner 2016, 19:30h | Pre-miereSamstag, 23. Jänner 2016, 19:30hDonnerstag, 28. Jänner 2016, 19:30hDauer: 1h 15min (keine Pause)Karten: online-direkt| 0699 11 399 844 | Email

Theater MaestroTheatergruppe aus Sofia: „Migranten“ von Slavomir Mrogrk (in Originalsprache)Termin: Donnerstag, 28. Jänner 2016 um 20:00 UhrKarteninfo unter 0732 / 7711 76.

Theater PhönixDas Grauen – eine Multimedia-Performance von FUCKHEAD, raum.null und Stirn PrumzerMultimedia-Performance: 16.01.2016 SaalLetzte Vorstellung: 17.01.2016, 60 MinutenKartenreservierung unter http://www.the-ater-phoenix.at/

Die Liebe schreit nach Meer - eine musika-lische Heimsuchung von Reanimation de LuxeKonzert: 23.01.2016 BalkonKartenreservierung unter http://www.the-ater-phoenix.at/

PosthofChristoph & Lollo - Das ist Rock ‘n’ RollWann: Sa. 23.01.2016 // 20:00 MusikkabarettTickets: MS (num. Sitzpl.): € 16/18/20, Stehpl. € 10

Franz Froschauer in: “Eichmann” von Rainer LewandowskiWann: Mi. 03.02.2016 // 20:00 TheaterTickets: MS (num. Sitzpl.): € 17/19/21

Andreas Vitasek – SekundenschlafWann: Dienstag 23.Februar 2016 um 20 Uhrwww.posthof.at/tickets/

Page 15: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

13

Maybe this wohle situation will sort itself out – BanksyChile – Johanna GraßlNicaragua – Eva Manetzgruber

Herausgeber: ÖH JKU KUWI Altenbergerstraße 69 4040 Linz

Chefredaktion: Magdalena MeindlhumerMartina Kapsammer Verena Kronberger Fatima Malic Softic

Art Direction und Grafik: Karolin Ohrnberger (www.karooh.com)

Korrektur: Hannah Schöch

Druck:Studio 360 e.U.Jutogasse 24675 Weibern

Freie Artikel und sonstige Anliegen an: [email protected]

Fokus Literatur:Mrozek, Bodo (2005): Lexikon der bedrohten Wörter, Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Ver-lag.Online Duden (2016): www.duden.deGünter, Manuela; Ebbrecht-Hartmann, Tobi-as (2015): Literatur der Shoa. Skript der Fern Universität in Hagen, Kultur- und Sozialwissen-schaften, WS 15/16.

Fokus Geschichte:Bundeszentrale für politische Bildung (2008): Die Gründung des Staates Israel, [online] http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/44995/gruendung-des-staates-israel [03.01.2016].Wunderlich, Dieter (2005): Amos Oz, Biogra-fie, [online] http://www.dieterwunderlich.de/Amos_Oz.htm [03.01.2016]. Zeit Online (2005): Amos Oz: Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, [online] http://www.zeit.de/literatur/buchspezial/leipzig2005/samstag/amos_oz [03.01.2016].

Abbildungsverzeichnis: Titelbild: Machine in a Box – Christian WeidingerWords – Pierre Metivier Entenwerder, Hamburg – Verena Kronberger Kind mit Fernrohr und Geier - Banksy

IMPRESSUM

Quellenverzeichnis

Page 16: KUWIK - Ein kulturwissenschaftliches Magazin

KUWIK SAGT DANKE

© Christian Weidinger