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© Carl Hanser Verlag München 2018
Leseprobe aus:
Hakon Ovreas Super-Laura
Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.hanser-literaturverlage.de
Hakon O/vreas
Aus dem Norwegischen von Angelika Kutsch
Mit Illustrationen von Øyvind Torseter
Carl Hanser Verlag
LAURASuper
Als Laura wach wurde, stand eine Eule auf ihrem Nacht
tisch. Sie sah fast echt aus, aber es war nur eine Figur aus
Holz, die sie mit ihren großen runden Augen anstarrte.
Laura hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Sie zog die Strumpfhose und den Pullover von gestern
an. Dann nahm sie die Eule und lief die Treppe hinunter.
Mama saß am Küchentisch und trank Kaffee. Auf der
anderen Seite des Tisches ragte eine ausgebreitete Zeitung
wie eine Wand auf.
»Papa!«, sagte Laura. »Du bist zu Hause?«
Die Zeitung bewegte sich, und Papa guckte über den
Rand.
Laura stellte die Holzfigur auf den Tisch. »Vielen Dank
für die Eule.«
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»Was ist das denn für ein komischer Vogel?«, fragte Papa.
»Der muss von selbst hierhergeflogen sein.«
»Gut, dass du da bist«, sagte Mama. »Dann kannst du mir
helfen. Bald findet der Wintermarkt statt, und ich habe noch
so viel zu tun.«
In dem Kalender, der neben dem Kühlschrank hing, stand
mit großen Buchstaben WINTERMARKT. Um den Tag, an
dem Papa nach Hause kommen sollte, hatte Laura ein rotes
Herz gemalt: Es war der Montag nach dem Wintermarkt.
»Warum bist du früher nach Hause gekommen?«, fragte sie.
»Ich musste dir doch die Eule bringen«, antwortete Papa.
»Ja, die ist nicht schlecht«, meinte Laura und streichelte
die Eule.
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Im selben Augenblick begann es im Haus zu dröhnen.
Es war Musik aus dem Zimmer von Lauras großer Schwester.
»Du darfst Marit nicht so laut Musik hören lassen«, sagte
Papa.
»So geht das jeden Morgen.« Mama seufzte.
Die Musik wummerte. Es klang, als würde ein ganzes
Orchester im ersten Stock spielen.
Mama stöhnte. »Jetzt bist du ja zu Hause und kannst mit
ihr reden.«
»Sie beruhigt sich bestimmt bald«, sagte Papa und breite
te die Zeitung wieder aus.
Als Laura an diesem Morgen zur Schule ging, waren die
Pfützen mit einer dünnen Eisschicht bedeckt. Laura machte
es Spaß, vorsichtig daraufzutreten. Dann knisterte das dunk
le Eis unter ihren Füßen und wurde weiß von den Rissen.
Auf dem Heimweg nach der Schule war das Eis geschmol
zen. Jetzt standen überall große Wasserlachen.
Laura ging zusammen mit Bruno und Matze nach Hause.
Unterhalb vom Altersheim war eine riesige Pfütze auf dem
Gehweg. Sie mussten über die Böschung klettern, um keine
nassen Füße zu kriegen.
»Wisst ihr schon, dass ein reicher Mann in unsere Stadt
zieht?«, fragte Matze. »Er will die größte Hühnerfarm der
Welt hier bauen.«
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»Klasse«, sagte Laura.
»Hoffentlich hauen die Hühner nicht ab«, sagte Bruno.
»Dann gibt’s ein ganz schönes Chaos.«
Hinter dem Altersheim wuchsen große Eichen, und zwi
schen den Bäumen entdeckte Laura etwas. Da stand ein Jun
ge und beugte sich über einen verrosteten Zaun. Als Laura
erkannte, dass es der Sohn vom Pastor war, wollte sie schnell
weitergehen, bevor er sie bemerkte. In dem Moment hörte
sie ein Geräusch. Ein leises Geräusch, fast wie ein Weinen.
»Was macht der Sohn vom Pastor da?«, flüsterte Laura
und zeigte zum Zaun.
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»Der ist doch total blöd«, meinte Bruno. »Lasst uns
weitergehen.«
Das Geräusch klang jämmerlich.
»Hört sich an wie eine Katze«, sagte Laura und wollte
näher gehen.
Matze und Bruno blieben stehen.
»Pass auf, der scheuert dir gleich eine«, sagte Bruno.
Lautlos schlich Laura sich an den Sohn vom Pastor heran.
Die Katze war am Zaun festgebunden. Als Laura sah, wie
sie miaute und versuchte, sich loszureißen, wurde sie stink
wütend. »Hör auf!«, rief sie. »Du quälst die Katze!«
Der Sohn vom Pastor schrak zusammen, als er Laura
rufen hörte. »Geht dich gar nix an«, sagte er.
Laura sah sich um. Weiter hinten, neben den Garagen,
standen ein paar große Jungs.
Die Katze miaute kläglich. Laura erkannte sie an drei
weißen Flecken um die Nase. Es war Frau Wangs Katze.
»Warum bist du so gemein?«, fragte Laura. »Mach sie los!«
»Mach sie doch selber los«, sagte der Sohn vom Pastor
und kam auf sie zu.
Laura erstarrte, als sie sah, wie groß er war. Im Vorbeige
hen schubste er sie.
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Laura legte ihren Rucksack auf den Gehweg und lief zu
der Katze. Zwei Pfoten waren mit Schnüren am Zaun fest
gebunden. Laura versuchte, sie zu lösen, aber der Knoten
war zu fest und die Katze hielt nicht still.
»Das werde ich deinem Lehrer erzählen«, sagte Laura.
»Ich zieh morgen weg«, sagte der Sohn vom Pastor.
»Mir passiert also nichts.«
»Prima«, rief Laura ihm nach. »Dann sind wir dich
endlich los!«
Das bereute sie sofort, denn der Sohn vom Pastor blieb
stehen und drehte sich zu ihr um. Einen Moment lang
glaubte sie, er würde zurückkommen, aber da kamen Matze
und Bruno den Hügel hinaufgelaufen. Sie stellten sich
neben Laura.
»Wenn du weg bist, feiern wir mit Kuchen!«, rief Matze.
»Das gibt ein Riesenfest mit der ganzen Stadt!«, sagte
Bruno.
Der Sohn vom Pastor sah sie an, dann sprang er auf den
Gehweg. Dort stand Lauras Rucksack.
»Dämliche Hosenscheißer!«, rief er und gab dem Ruck
sack einen Tritt, sodass er mitten in einer Pfütze landete.
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Frau Wangs Türklingel war ein kleines gelbes Kamel, dem
man auf den Kopf tippen musste. Laura hielt die Katze fest,
damit sie nicht entwischte. Ihr Rücken war ganz feucht und
kalt von dem nassen Rucksack.
Frau Wang öffnete die Tür, und die Katze kratzte Laura an
den Händen, als sie aus ihrem Arm sprang.
»Oh, tausend Dank«, sagte Frau Wang. »Du hast meine
kleine Persephone gefunden.«
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»Der Sohn vom Pastor hat sie gepiesackt«, sagte Laura.
»Er hat sie an einem Zaun festgebunden.«
»Wie schrecklich!«, sagte Frau Wang. »Mein Kätzchen so
zu quälen.«
»Aber der Sohn vom Pastor zieht morgen weg«, sagte
Laura. »Der kann nicht mehr bestraft werden.«
»Arme kleine Persephone«, sagte Frau Wang.
Als Laura zu Hause ihren Rucksack auspackte, stellte sie
fest, dass alles darin nass geworden war. Die Seiten der
Schul bücher waren zusammengeklebt, und das rote Schreib
mäppchen war grau vom Pfützenwasser.
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An diesem Abend trafen sich die Superhelden in ihrer Hütte.
Laura war immer noch wütend, als sie die Superheldenmaske
aufsetzte. Mit dem blauen Superheldenumhang war sie nicht
mehr Laura, sondern Blaura – die blaue Rächerin. Bruno
setzte seine Maske auf und wurde zu Brauno. Und aus Matze
wurde Schwarzke.
»Hier kommt der schwarze Blitz«, sagte Schwarzke und
knipste eine Taschenlampe an. Er leuchtete Blaura und Brau
no direkt ins Gesicht.
»Hör auf mit dem Quatsch«, sagte Blaura. »Wir haben
etwas Wichtiges zu erledigen.«
Alle drei hatten einen Eimer mit Farbe dabei, und damit
liefen sie nun durch die Dunkelheit zu dem Haus, in dem der
Sohn vom Pfarrer wohnte. Bei dem großen Baum unterhalb
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des Hauses blieben sie stehen. Weiße Atemwolken stiegen aus
Blauras Mund. Das Haus war dunkel, nur ein Fenster war hell
erleuchtet.
»Aber wenn wir nun nichts finden, was wir anstreichen
können«, sagte Brauno leise.
»Dann kippen wir die Farbe in den Schornstein«, meinte
Schwarzke.
»Zuerst checken wir die Garage«, sagte Blaura.
Die Seitentür war nicht abgeschlossen, und drinnen in
der Garage roch es nach Benzin.
»Das Licht funktioniert nicht«, sagte Blaura und drückte
mehrmals auf den Schalter.
Schwarzke knipste seine Taschenlampe an. Der Licht
strahl traf auf einen Haufen Pappkartons.
»Umzugskartons«, stellte Blaura fest.
»So viele!«, sagte Brauno. »Die Sachen, die dem Sohn vom
Pastor gehören, finden wir so doch nie.«